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Schellings Denken der Freiheit - KOBRA - Universität Kassel

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78<br />

Martin Blumentritt<br />

haben. Das Wahre ist demnach, sogar in einem über Hegel hinausgehenden<br />

Sinn das Ganze. Adornos Ergänzung, das Ganze sei das Unwahre, nahm den<br />

Prozeß zwischen Kant und Hegel wie<strong>der</strong> auf, in ähnlicher Weise könnte man<br />

das von Schelling sagen. Ganz und gar nicht kann es darum gehen, den<br />

Vorwurf des Totalitarismus gegen Hegel zu erheben. Denn die philosophische<br />

Kategorie <strong>der</strong> Totalität schließt (politischen) Totalitarismus aus. Totalitarismus<br />

ist Partikularismus, <strong>der</strong> auf Ausgrenzung und Unterdrückung beruht,<br />

während das Totum, nicht als etwas denkbar ist, das An<strong>der</strong>es ausgrenzt,<br />

weil es dann kein Ganzes wäre. De Begriff <strong>der</strong> Totalität hat demnach eine<br />

kritische Funktion gegenüber totalitärem <strong>Denken</strong>. Wenn Adorno davon<br />

spricht, daß das Ganze das Unwahre sei, dann ist darunter zu verstehen, daß<br />

die bestehende gesellschaftlich-politische Wirklichkeit nicht dem entspricht,<br />

was Hegel o<strong>der</strong> Schelling als das höchste Allgemeine exponierten. Den<br />

Optimismus, daß <strong>der</strong> Begriff die wahre Wirklichkeit sei, teilte Adorno indes<br />

nicht und Schelling ging einen ersten Schritt in die Richtung, wenn er das<br />

Moment <strong>der</strong> Anschauung nicht aus <strong>der</strong> Idee tilgte. 33<br />

Die Ausstoßung des Bösen besagt, daß das Totum, zu dem sich nicht nur<br />

Gott, son<strong>der</strong>n auch sein weltliches Derivat, vervollkommnen soll, ein praktisches<br />

Desi<strong>der</strong>at ist. Die geschichtsphilosophische Theodizee, im Lichte <strong>der</strong><br />

Kantischen Kritik an ihr gesehen, die im Vorangegangenen Thema war, hat<br />

in vielfacher Hinsicht heute Aktualität als Gegengift zur Resignation, auch<br />

wenn <strong>der</strong> universitäre Betrieb sich diese nicht nehmen lassen will. Als ich<br />

vor fast dreißig Jahren in einem Aufsatz von Wolfdietrich Schmied-Kowarzik<br />

34 von <strong>der</strong> in Nuancen steckenden Gigantomachie in <strong>der</strong> Philosophie<br />

zwischen Hegel und Schelling las, wußte ich noch nicht, wie dankbar ich<br />

heute für die Anregung sein würde, dieser nachzuspüren. In <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>aufnahme<br />

des Prozesses zwischen Schelling und Hegel, nicht erst für die Spätphilosophie<br />

<strong>Schellings</strong>, steckt das Motiv einer „sich selbst aufhebende(n)<br />

und verwirklichende(n) Philosophie“ als „Erkenntnis für freie Menschen“, 35<br />

ohne daß dazu die Vernunft Feyerabend machen müsse.<br />

33 Diesen Gedanken verdankte Schelling einer bestimmten Interpretation einer Textstelle bei<br />

Kant, Kritik <strong>der</strong> reinen Vernunft, B 422f., insbeson<strong>der</strong>e die Fußnote. Vgl. genauer Martin<br />

Blumentritt, Begriff und Metaphorik des Lebendigen, Würzburg 2007, S. 102f. An<br />

diesem Schnittpunkt wären sowohl die Marxsche Hegelkritik, Adornos Nichtidentisches<br />

als auch die Defizite <strong>der</strong> neueren Neurowissenschaft (vgl. Ch. Zunke a. a. O.)<br />

diskutierbar.<br />

34 Wolfdietrich Schmied-Kowarzik, Das Spekulative Wissen o<strong>der</strong> die Ekstasis des <strong>Denken</strong>s.<br />

Eine Verteidigung <strong>der</strong> Philosophie als Potenz ihrer Überwindung, in: Hans Peter<br />

Duerr, Der Wissenschaftler und das Irrationale, Frankfurt am Main 1981, S. 112-138.<br />

35 A. a. O. S. 138.

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