Schellings Denken der Freiheit - KOBRA - Universität Kassel
Schellings Denken der Freiheit - KOBRA - Universität Kassel
Schellings Denken der Freiheit - KOBRA - Universität Kassel
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
64<br />
Martin Blumentritt<br />
lität auf den Begriff, in einem Sinne, <strong>der</strong> nur die Form des freien Willens, <strong>der</strong><br />
sich selbst Zweck ist, anerkennt und als Prinzip setzt.<br />
Ideen sind folglich an<strong>der</strong>s als im alltagsprachlichen Gebrauch keine willkürlichen<br />
Einfälle o<strong>der</strong> Vorstellungen, son<strong>der</strong>n Begriffe, die die Vernunft in<br />
<strong>der</strong> Reflexion auf sich selbst notwendig hervorbringt. Wird diese Idee gegenständlich<br />
vorgestellt, so spricht Kant von Ideal als <strong>der</strong> Idee, die nicht in concreto<br />
son<strong>der</strong>n in individuo vorgestellt wird. Mit dem Ideal ist ein Maximum<br />
bestimmt, das nicht zu übersteigen ist, das wir auch utopisch 6 nennen können.<br />
Die Vorstellung <strong>der</strong> Totalität <strong>der</strong> Menschen als ein durch das Gesetz <strong>der</strong><br />
<strong>Freiheit</strong> bestimmtes System ist das Ideal <strong>der</strong> Menschheit, das die Idee <strong>der</strong><br />
Menschheitswürde verwirklicht. Menschheit als ein übersinnlicher Gegenstand<br />
– eine Vorstellung a priori – fungiert als Richtmaß aller wirklichen menschlichen<br />
Verhältnissse, die auf ihre Idee als Optimum bezogen sind. Die Idee<br />
<strong>der</strong> Menschheit in ihrer Vollkommenheit wird als notwendiges Ideal <strong>der</strong><br />
Vernunft erschlossen, indem sie ex negativo aus <strong>der</strong> unvollkommenen gesellschaftlichen<br />
Wirklichkeit erkannt wird. Jede Gesellschaftskritik beginnt mit<br />
einer solchen Feststellung, daß die Menschen noch nicht unter Bedingungen<br />
leben, in denen sie die <strong>Freiheit</strong> bereits realisieren. Die Menschheit ist we<strong>der</strong><br />
aus <strong>der</strong> Summe <strong>der</strong> empirischen Menschen zu ersehen noch aus ihr zu erschließen.<br />
In diesem Ideal gründet „die Würde eines vernünftigen Wesens,<br />
das keinem Gesetz gehorcht, als dem, das es zugleich selbst gibt.“ 7<br />
Der Gesellschaftszustand, in dem dies realisiert wird, ist nach dem „Ältesten<br />
Systemprogramm des deutschen Idealismus“ als Staat nicht denkbar,<br />
weswegen dieser aufhören soll, was allerdings, wie die spätere Entwicklung<br />
des Deutschen Idealismus zeigt, nicht unmittelbar realisierbar erscheint. Da<br />
die antagonistische Gesellschaft, die „ungesellige Geselligkeit“ o<strong>der</strong> das<br />
„geistige Tierreich“, das in den Theorien des bürgerlichen Naturrechts im<br />
Sinne eines „Kriegs eines jeden gegen jeden“ ausgelegt wird, nur durch den<br />
Staat, <strong>der</strong> den destruktiven Kampf seiner Bürger eindämmt, möglich ist, sind<br />
die Theoretiker des Deutschen Idealismus von <strong>der</strong> Vorstellung eines absoluten<br />
Naturrechts zu einem relativen fortgeschritten, welches die Realisierung<br />
des Ideals <strong>der</strong> Menschheit noch utopischer erscheinen läßt. Die mo<strong>der</strong>ne<br />
Herrschaft erscheint als eine aus <strong>Freiheit</strong> gesetzte Beschränkung <strong>der</strong> Willkür,<br />
ohne die <strong>der</strong> Staat jede Legitimation verlieren würde. „Ohne allen Gedanken<br />
an <strong>Freiheit</strong> wäre organisierte Gesellschaft theoretisch gar nicht zu begrün-<br />
6 Auch Blochs „konkrete Utopie“ besteht nicht darin einen idealen Zustand auszupinseln,<br />
son<strong>der</strong>n in einer bestimmten Negation des Bestehenden, in dem die Potentiale für<br />
ein Optimum sich verbergen.<br />
7 A. a. O. BA 77.