Schellings Denken der Freiheit - KOBRA - Universität Kassel
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Wolfdietrich Schmied-Kowarzik<br />
losophie“ um unsere Sinnbestimmung in <strong>der</strong> wirklichen Geschichte geht,<br />
wird sie zu einer existentiellen Sinnorientierung unseres je eigenen existentiellen<br />
Menschseins in <strong>der</strong> Welt.<br />
Das grundlegend Neue <strong>der</strong> positiven Philosophie <strong>Schellings</strong> ist, dass sie<br />
sich ausdrücklich als eine geschichtliche Philosophie versteht – was nicht dasselbe<br />
meint wie eine Philosophie, die nach dem Wesen <strong>der</strong> Geschichte fragt.<br />
Schelling nennt demgegenüber seine „positive Philosophie“ eine geschichtliche,<br />
da sie die verzweiflungsvolle Frage nach dem Sinn unseres je eigenen<br />
geschichtlichen Seins aufwirft, in das wir gestellt sind und das uns aufgegeben<br />
ist. „Weit entfernt also, daß <strong>der</strong> Mensch und sein Thun die Welt begreiflich<br />
mache, ist er selbst das Unbegreiflichste [...]. Gerade Er, <strong>der</strong> Mensch,<br />
treibt mich zur letzten verzweifelten Frage: warum ist überhaupt etwas? warum<br />
ist nicht nichts?“ (XIII, 7) Das hier aufbrechende existenzphilosophische<br />
Anliegen <strong>Schellings</strong> ist seit Sören Kierkegaard bis hin zu Paul Tillich, Hans<br />
Ehrenberg, Franz Rosenzweig, Karl Jaspers, Martin Heidegger sowie Ernst<br />
Bloch und Emmanuel Levinas immer wie<strong>der</strong> – wenn auch in ganz unterschiedlicher<br />
Weise – gesehen und aufgenommen worden. 26<br />
<strong>Schellings</strong> Philosophie <strong>der</strong> Mythologie und Philosophie <strong>der</strong> Offenbarung<br />
ist insgesamt gesehen eine geschichtliche Phänomenologie des „notwendig<br />
Gott-setzenden Bewußtseins“, das wir sind. Darin steckt zum einen eine vorwegnehmende<br />
Antwort auf Feuerbachs anthropologischen Atheismus. 27 Denn<br />
natürlich sind alle mythologischen Bil<strong>der</strong> und alle theologischen Gottesgedanken<br />
Entwürfe unseres Bewusstseins, wer würde das je bestreiten können.<br />
Aber Feuerbach übersieht, das „notwendig Gottsetzende“, und dies ist bei<br />
Schelling nicht wie bei Schopenhauer nur psychologisch als ein „metaphysisches<br />
Bedürfnis“ bestimmt, 28 son<strong>der</strong>n als eine grundlegende Klärung des<br />
Bezuges des <strong>Denken</strong>s zum Sein – hierin liegt eine Kampfansage gegen Hegels<br />
Phänomenologie des Geistes. Bei Hegel endet die Phänomenologie darin, dass<br />
sich das Bewusstsein in das absolute Wissen hinein „aufopfert“ 29 , es geht so<br />
in die Erkenntnis des absoluten Geistes auf, <strong>der</strong> zugleich im Sinne des doppelten<br />
Genetivs <strong>der</strong> Geist Gottes ist. Genau diese Selbstaufopferung und zu-<br />
26 Vgl. Wolfdietrich Schmied-Kowarzik, „Geschichtsphilosophie und Theologie“, in: Myriam<br />
Bienenstock (Hg.), Der Geschichtsbegriff: eine theologische Erfindung?, Würzburg 2007,<br />
51 ff.<br />
27 Ludwig Feuerbach, Das Wesen des Christentums (1841), in: Werke in 6 Bden., Frankfurt<br />
a.M. 1976, Bd. V.<br />
28 Arthur Schopenhauer, Parerga und Paralipomena, in: Sämtliche Werke, Darmstadt 1963,<br />
Bd. IV.<br />
29 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Phänomenologie des Geistes, in: Werke in 20 Bden.,<br />
Frankfurt a.M. 1970, Bd. III, 575 ff.