Schellings Denken der Freiheit - KOBRA - Universität Kassel
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Die <strong>Freiheit</strong> und das Absolute 269<br />
ignoriert als auch an<strong>der</strong>erseits gegenüber Fichte, <strong>der</strong> zwar ebenfalls eine transzendentale<br />
Konstitutionsgeschichte entwirft, diese aber immer aus <strong>der</strong> Perspektive<br />
eines Ich rekonstruiert, das die Welt <strong>der</strong> Objekte setzt, weshalb er<br />
keine Naturerfahrungen, son<strong>der</strong>n nur wissenschaftliche Naturerkenntnisse<br />
kennt, sodass bei ihm die Natur zum bloßen Nicht-Ich degeneriert wird. 11<br />
Wenden wir uns nun <strong>der</strong> menschlichen <strong>Freiheit</strong> und ihrer geschichtlichen<br />
Welt zu: Bewusste Selbstbestimmung des Individuums ist immer nur im und<br />
aus dem gemeinschaftlichen Handlungshorizont <strong>der</strong> Menschen denkbar; o<strong>der</strong><br />
genauer, die freie Selbstbestimmung des Individuums setzt die Verständigungs-<br />
und Handlungsgemeinschaft sich wechselseitig for<strong>der</strong>n<strong>der</strong> und frei<br />
anerkennen<strong>der</strong> Individuen voraus. Freie Selbstbestimmung ist keine unbestimmte<br />
Willkürhandlung, son<strong>der</strong>n ein selbstbestimmtes Entscheiden in den<br />
sozialen Handlungsraum hinein. Insofern betont Schelling in diesem Zusammenhang:<br />
„Jene fortgehende Einwirkung [<strong>der</strong> An<strong>der</strong>en auf das Individuum]<br />
ist das, was man Erziehung nennt, im weitesten Sinn des Wortes, in welchem<br />
die Erziehung nie geendigt, son<strong>der</strong>n als Bedingung des fortdauernden Bewußtseins<br />
fortwährend ist.“ (III, 551)<br />
Die sich hieraus ergebende Dialektik freien selbstbestimmten Handelns<br />
lässt sich in drei Konstitutionsebenen näher entfalten: l. als das Problem des<br />
Gewissens als <strong>der</strong> unhintergehbaren Entscheidungsinstanz des freien Willens<br />
des Individuums 12 , 2. als das Problem einer politische <strong>Freiheit</strong> ermöglichenden<br />
und sichernden staatlichen Rechtsverfassung 13 und 3. als das Problem<br />
des Hoffnungs- und Aufgabenhorizonts menschlicher Geschichte 14 . – Nur<br />
auf die letzte <strong>der</strong> drei Dimensionen sei hier etwas näher eingegangen:<br />
Individuelle <strong>Freiheit</strong> und allgemeine Rechtsordnung wi<strong>der</strong>streiten sich und<br />
setzen sich doch wechselseitig voraus. Es ist die Frage, ob die Geschichte die<br />
allmähliche Auflösung dieses Wi<strong>der</strong>streites zu sein vermag. Zunächst erscheint<br />
<strong>der</strong> individuellen <strong>Freiheit</strong> die Rechtsordnung als „zweite Natur“ äußeren<br />
Zwangs, während die Rechtsordnung im individuellen Handeln einen Fall<br />
erblickt, <strong>der</strong> sich den allgemeinen Regeln nicht fügen will. Trotzdem ist die<br />
„allgemeine Rechtsverfassung [...] Bedingung <strong>der</strong> <strong>Freiheit</strong>“, genauer Bedingung<br />
<strong>der</strong> Verwirklichung von <strong>Freiheit</strong> im gesellschaftlichen Kontext, wie<br />
11 Vgl. Wolfdietrich Schmied-Kowarzik, „Von <strong>der</strong> wirklichen, von <strong>der</strong> seyenden Natur“.<br />
<strong>Schellings</strong> Ringen um eine Naturphilosophie in Auseinan<strong>der</strong>setzung mit Kant, Fichte<br />
und Hegel, Stuttgart-Bad Cannstatt 1996.<br />
12 Siehe hierzu auch <strong>Schellings</strong> Abhandlung: Neue Deduktion des Naturrechts (1796), (I,<br />
247 f.).<br />
13 Siehe hierzu das Kapitel „Deduktion des Rechts“ (III, 581ff.).<br />
14 Siehe hierzu das Kapitel „Deduktion des Begriffs <strong>der</strong> Geschichte“ (III, 587 ff.).