Schellings Denken der Freiheit - KOBRA - Universität Kassel
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Wolfdietrich Schmied-Kowarzik<br />
des transzendentalen Idealismus versteht sich als transzendentale Selbstexplikation<br />
des „Ich bin“ als transzendentale Erinnerungsgeschichte des durch<br />
all seine Bewusstseinsgestalten hindurch sich seiner selbst bewusstwerdenden<br />
absoluten Ich. Die intellektuelle Anschauung des „Ich bin“ ist nicht nur<br />
letztes Prinzip alles Bewusstseins, son<strong>der</strong>n aus ihren sich wechselseitig bedingenden<br />
und bestimmenden Tätigkeiten lassen sich auch alle Konstitutionsformen<br />
<strong>der</strong> Naturerfahrung, <strong>der</strong> sittlichen Selbstbestimmung und des<br />
ästhetischen Erlebens entwickeln, so ist sie Ort und Prozess des transzendentalen<br />
Innewerdens des Bewusstseins durch all seine Horizonte von Weltkonstitution<br />
hindurch. „Ich, <strong>der</strong> ich weiß, bin <strong>der</strong>selbe, <strong>der</strong> ich bin, mein Wissen<br />
und mein Seyn erschöpfen sich wechselseitig, das Subjekt des Bewußtseyns<br />
und das <strong>der</strong> Thätigkeit sind Eins.“ (III, 570)<br />
Im Folgenden soll nur auf den Teil <strong>der</strong> praktischen Philosophie innerhalb<br />
des Systems des transzendentalen Idealismus eingegangen werden, in welchem<br />
Schelling die Konstitutionsebenen <strong>der</strong> menschlichen <strong>Freiheit</strong>, <strong>der</strong> Rechtsverfassung<br />
und <strong>der</strong> menschheitlich aufgegebenen Geschichte behandelt. 9<br />
Erinnern wir aber vorab daran, dass dieser mit <strong>der</strong> Selbstbestimmung des<br />
sich bewusstgewordenen Bewusstseins anhebende Dimension menschlicher<br />
<strong>Freiheit</strong> und Geschichte eine lange transzendental vorbewusste Geschichte<br />
des Bewusstseins vorausgeht, in <strong>der</strong> beginnend beim sich noch nicht selber<br />
bewussten „Ich bin“ über die ursprünglichen Empfindungen, die produktiven<br />
Anschauungen (Zeit und Raum) und die bestimmende Reflexion sich die<br />
Konstitution <strong>der</strong> Naturerfahrung vollzieht. D. h. das seiner selbst bewusste<br />
Bewusstsein, mit dem durch freie Selbstbestimmung die geschichtliche Welt<br />
anhebt, erfährt sich dort, wo es sich im Handlungskontext mit An<strong>der</strong>en seiner<br />
selbst bewusst wird, immer schon als daseiend in eine daseiende Natur gestellt.<br />
Diese transzendentalen Dimensionen <strong>der</strong> Naturerfahrung werden von<br />
Schelling im theoretischen Teil des System des transzendentalen Idealismus<br />
als vorbewusste Konstitutionsgeschichte des Bewusstseins herausgearbeitet.<br />
Hier liegen – das sei hier nur angemerkt – die großen Differenzen sowohl<br />
einerseits zu Hegel, <strong>der</strong> sieben Jahre später seine Phänomenologie des Geistes<br />
(1807) 10 als Erfahrungsprozess des Bewusstseins konzipierte und daher<br />
bereits mit <strong>der</strong>en Anfang bei <strong>der</strong> „sinnlichen Gewissheit“ kommentarlos<br />
<strong>Schellings</strong> Bemühen um die vorbewusste Konstitution <strong>der</strong> Naturerfahrung<br />
9 Vgl. Wolfdietrich Schmied-Kowarzik, „Schelling – <strong>Freiheit</strong>, Recht und Geschichte“,<br />
in: <strong>der</strong>s., <strong>Denken</strong> aus geschichtlicher Verantwortung. Wegbahnungen zur praktischen Philosophie,<br />
Würzburg 1999.<br />
10 Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Phänomenologie des Geistes (1807), in: Werke in 20<br />
Bden., Frankfurt a.M. 1970.