Schellings Denken der Freiheit - KOBRA - Universität Kassel
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Christian Danz<br />
1793 haben. 54 Deutlich ist jedenfalls auch, dass Schelling das hermeneutische<br />
Problem einer moralphilosophischen Deutung <strong>der</strong> biblischen Schriften<br />
selbst bewusst geworden ist. Denn durch eine moralphilosophische Deutung<br />
<strong>der</strong> paulinischen Texte wird die von Schelling in <strong>der</strong> Magisterdissertation beschriebene<br />
exegetische Aufgabe, „zwischen <strong>der</strong> Sache selbst und den Vorstellungen,<br />
unten denen sie verborgen liegt“ (AA I/1, 108f.), zu unterscheiden, so<br />
gelöst, dass in die Sache selbst eine gegenwärtige Philosophie eingetragen<br />
wird. Die Interpretation des biblischen Mythos ist dann aber nicht historisch,<br />
son<strong>der</strong>n allegorisch. 55 Schelling hat diese von ihm im Sommer 1793 in seinen<br />
Kommentaren zu den paulinischen Briefen praktizierte allegorische Auslegung<br />
in <strong>der</strong> Folgezeit durch eine vertiefte geschichtshermeneutische Reflexion<br />
des geschichtlichen Verstehens korrigiert. In dem aus dem Nachlass<br />
erhaltenen Entwurf <strong>der</strong> Vorrede, die <strong>Schellings</strong> Sohn in <strong>der</strong> Biographie seines<br />
Vaters mitteilt und auf die Jahre 1793-1794 datiert, 56 hat Schelling auf <strong>der</strong><br />
Grundlage und in Weiterführung seines historischen Mythosverständnisses<br />
eine Konzeption <strong>der</strong> historischen Interpretation ausgearbeitet, welches den<br />
Akkomodationsgedanken und die allegorische Deutung <strong>der</strong> Vorstellungen<br />
<strong>der</strong> alten Welt hinter sich lässt.<br />
In dieser Vorrede zu einem geplanten Projekt über historische Studien zur<br />
Bibel erörtert Schelling sein neues Verständnis von historischer Interpretation.<br />
Der Zweck dieser Vorrede, so Schelling, sei „die Angabe des Gesichtspunkts,<br />
aus dem die historisch-kritischen und exegetischen Resultate zu<br />
betrachten sind“. Dieser „Gesichtspunkt“ sei, wie Schelling fortfährt, die<br />
54 G. C. Storr, Annotationes quaedam theologicae ad philosophicam Kantii de religione<br />
doctrinam, Tübingen 1793. Dazu W. G. Jacobs, Gottlob Christian Storrs ‚Bemerkungen<br />
über Kant’s philosophische Religionslehre‘, in: M. Franz (Hrsg.), „… an <strong>der</strong> Galeere<br />
<strong>der</strong> Theologie“? Höl<strong>der</strong>lins, Hegels und <strong>Schellings</strong> Theologiestudium an <strong>der</strong> <strong>Universität</strong><br />
Tübingen, Tübingen 2007, S. 169-185.<br />
55 Die allegorische Interpretation <strong>der</strong> biblischen Texte hatte nicht nur David Friedrich<br />
Strauß in seinem Leben Jesu an <strong>der</strong> Kantischen Religionsschrift kritisiert, son<strong>der</strong>n auch<br />
die historischen Exegeten des späten 18. Jahrhun<strong>der</strong>ts (Johann Gottfried Eichhorn u.a.)<br />
haben in Kants Religionsschrift nichts an<strong>der</strong>es als einen Rückfall in eine längst überwundene<br />
Epoche <strong>der</strong> Schriftauslegung gesehen. „Die von Kant vorgeschlagene Behandlungsart<br />
<strong>der</strong> biblischen Bücher will keine eigentliche Auslegung, son<strong>der</strong>n Accomodation<br />
biblischer Sprüche auf moralische Lehren <strong>der</strong> Vernunftreligion empfehlen.<br />
Man soll den biblischen Worten einen Sinn unterlegen, den sie haben können.“ J. G.<br />
Eichhorn, [Rez.], in: ABBL 7.6 (1797), S. 1077-1084, hier S. 1077. Zitiert nach B.<br />
Seidel, Kant und die Zielgerade <strong>der</strong> Historiotheologie, S. 148. Zur Kritik <strong>der</strong> aufgeklärten<br />
Bibelexegese an Kants allegorischer Bibelauslegung siehe a. a. O., S. 147-150.<br />
56 F. W. J. Schelling, Entwurf <strong>der</strong> Vorrede, in: G.L. Plitt, Aus <strong>Schellings</strong> Leben, Bd. I, S.<br />
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