Schellings Denken der Freiheit - KOBRA - Universität Kassel
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Mythos und Geschichte 179<br />
widmet war, das hermeneutische Programm Semlers weiter. Semlers methodische<br />
Verzahnung von grammatischer und historischer Interpretation wird<br />
bei Gabler als Verschränkung <strong>der</strong> zwei Teilaufgaben <strong>der</strong> philologischen Interpretation<br />
und <strong>der</strong> historischen Rekonstruktion aufgenommen. „Diese Aufgabe<br />
wird vor allem in zwei Teilen [Arbeitsgängen] gelöst: Der eine besteht<br />
in <strong>der</strong> richtigen Interpretation <strong>der</strong> Stellen, die sich hierauf beziehen; <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e<br />
im sorgfältigen Vergleich <strong>der</strong> Vorstellungen aller heiligen Autoren untereinan<strong>der</strong>.“<br />
32 Gabler unterscheidet in seiner Hermeneutik zwischen Auslegen<br />
und Erklären als zwei grundlegenden und aufeinan<strong>der</strong> aufbauenden<br />
hermeneutischen Teilschritten, die zum Verständnis von Dokumenten <strong>der</strong><br />
Vergangenheit unumgänglich sind. Während <strong>der</strong> methodische Teilschritt <strong>der</strong><br />
Auslegung sich auf die philologische Aufgabe <strong>der</strong> „Auffindung des grammatischen<br />
Sinnes“ bezieht und in das „Gebiet <strong>der</strong> Worterklärung“ gehört,<br />
beinhaltet die Erklärung die sowohl historische als auch philosophische Aufgabe<br />
<strong>der</strong> „Sacherklärung“. 33 Erst beide methodischen Teilschritte zusammen<br />
führen nach Gabler zu einem angemessenen Verständnis des historischen<br />
Textes <strong>der</strong> Bibel.<br />
Mit Lessings geschichtsphilosophischer Rehabilitierung <strong>der</strong> positiven Religion<br />
in <strong>der</strong> Erziehungsschrift auf <strong>der</strong> einen Seite und <strong>der</strong> Herausbildung <strong>der</strong><br />
Urkundenhypothese sowie <strong>der</strong> historischen Hermeneutik in <strong>der</strong> Aufklärungstheologie<br />
auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en ist <strong>der</strong> Problemhorizont von <strong>Schellings</strong> Magisterdissertation<br />
umrissen. Das von Schelling während seines Studiums an <strong>der</strong><br />
<strong>Universität</strong> Tübingen konzipierte Mythosverständnis ist nun in den Blick zu<br />
nehmen.<br />
32 J. P. Gabler, De iusto discrimine theologiae biblicae et dogmaticae regundisque recte<br />
utriusque finibus, S. 27. Dazu R.G. Kratz, Auslegen und Erklären. Über die theologische<br />
Bedeutung <strong>der</strong> Bibelkritik nach Johann Philipp Gabler, in: K.-W. Niebuhr/W. Böttrich<br />
(Hrsg.), Johann Philipp Gabler 1753–1826 zum 250. Geburtstag, Leipzig 2003,<br />
S. 53-74.<br />
33 J. P. Gabler, Ueber den Unterschied zwischen Auslegung und Erklärung, erläutert durch<br />
die verschiedene Behandlungsart <strong>der</strong> Versuchungsgeschichte Jesu, in: <strong>der</strong>s., Kleinere<br />
theologische Schriften Bd. 1, hrsg. v. T. A. Gabler/J. G. Gabler, Ulm 1831, S. 201-214,<br />
hier S. 203. Vgl. auch ebd.: „Man kann daher in <strong>der</strong> That einen gegründeten Unterschied<br />
zwischen Auslegen und Erklären machen: zu dem ersten gehört nur die Erforschung<br />
des Sinnes; zu dem letztern hingegen die Aufklärung <strong>der</strong> Sache selbst.“