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Schellings Denken der Freiheit - KOBRA - Universität Kassel

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Mythos und Geschichte 177<br />

men. 26 Beide Begriffe wollen den Abstand <strong>der</strong> eigenen Gegenwart von <strong>der</strong><br />

Zeit <strong>der</strong> biblischen Schriftsteller zum Ausdruck bringen und dadurch an <strong>der</strong><br />

Wahrheit des in <strong>der</strong> eigenen Gegenwart als problematisch empfundenen Weltbilds<br />

<strong>der</strong> Bibel festhalten. Sie ersetzen die Akkomodationsvorstellung, <strong>der</strong><br />

zufolge sich Jesus und die Apostel in ihrer Verkündigung den zeitgenössischen<br />

Vorstellungen ihrer jüdischen Umwelt angepasst haben. Die sich am<br />

Ende des 18. Jahrhun<strong>der</strong>ts etablierende historische Bibelwissenschaft hat die<br />

biblischen Texte als Urkunden aus <strong>der</strong> Kindheit <strong>der</strong> Menschheit verstanden. 27<br />

Dadurch wird <strong>der</strong> mit <strong>der</strong> Akkomodationsvorstellung verbundene und für<br />

diese konstitutive Gedanke einer bewussten Einkleidung von Gedanken bzw.<br />

<strong>der</strong> Anpassung <strong>der</strong> Offenbarung an zeitgeschichtlich bedingte Verstehensbedingungen<br />

durch ein Entwicklungsmodell <strong>der</strong> Vernunft ersetzt. In <strong>der</strong> Kindheit<br />

<strong>der</strong> Menschheit konnte diese sich nicht an<strong>der</strong>s artikulieren als in sinnlichen<br />

Vorstellungen. Dem Mythosbegriff kommt somit die Funktion eines<br />

methodischen Leitbegriffs zu, <strong>der</strong> die kulturelle und zeitliche Differenz <strong>der</strong><br />

biblischen Texte zur eigenen Gegenwart so markiert, dass an <strong>der</strong> Wahrheit<br />

<strong>der</strong> alten Urkunden festgehalten werden kann. 28<br />

26 Vgl. B. Seidel, Kant und die Zielgerade <strong>der</strong> Historiotheologie in <strong>der</strong> Späten Aufklärung,<br />

S. 145: „Der in <strong>der</strong> historischen Kritik erfaßte Abstand vom Text kann nun in <strong>der</strong><br />

Verwendung eines kritischen Begriffes, dem des Mythos o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Urkunde überwunden<br />

werden.“ Zum Mythosbegriff, wie er im Anschluss an den Göttinger Altphilologen<br />

Christian Gottlieb Heyne in <strong>der</strong> „mythischen Schule“ <strong>der</strong> späten Aufklärungstheologie<br />

ausgebildet wurde, siehe C. Hartlich/W. Sachs, Der Ursprung des Mythosbegriffs in<br />

<strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Bibelwissenschaft, Tübingen 1952; A. Horstmann, Mythologie und Altertumswissenschaft.<br />

Der Mythosbegriff bei Christian Gottlob Heyne. In: Archiv für<br />

Begriffsgeschichte 23 (1979), S. 60-85; <strong>der</strong>s., Der Mythosbegriff vom frühen Christentum<br />

bis zur Gegenwart. In: Archiv für Begriffsgeschichte 23 (1979), S. 7-54; <strong>der</strong>s., Art.:<br />

Mythos, Mythologie II-IV. In: HWPh Bd. 6, Basel 1984, Sp. 283-295.<br />

27 Der Begriff des Kindheitszustands <strong>der</strong> Menschheit wurde <strong>der</strong> Aufklärungstheologie<br />

durch J. J. Rousseau vermittelt. Vgl. B. Seidel, Karl David Ilgen und die Pentateuchforschung<br />

im Umkreis <strong>der</strong> sogenannten älteren Urkundenhypothese. Studien zur Geschichte<br />

<strong>der</strong> exegetischen Hermeneutik in <strong>der</strong> späten Aufklärung, Berlin/New York 1993,<br />

S. 24; E. Hirsch, Geschichte <strong>der</strong> neuern evangelischen Theologie im Zusammenhang<br />

mit den allgemeinen Bewegungen des europäischen <strong>Denken</strong>s, Bd. 3, Gütersloh 1951,<br />

S. 105. Die Anschauung vom Kindheitszustand <strong>der</strong> Menschheit findet sich bei allen<br />

historisch orientierten Autoren in <strong>der</strong> zweiten Hälfte des 18. Jahrhun<strong>der</strong>ts. So bei G. E.<br />

Lessing, Erziehung des Menschengeschlechts, § 16; J.G. Eichhorn, Urgeschichte, in:<br />

RBML 4 (1779), S. 129-256, hier S. 177: „mit einem Wort, in <strong>der</strong> Kindheit <strong>der</strong> Welt,<br />

wo dem Menschen noch <strong>der</strong> allumfassende Blick mangelte“.<br />

28 Siehe hierzu B. Seidel, Karl David Ilgen und die Pentateuchforschung im Umkreis <strong>der</strong><br />

sogenannten älteren Urkundenhypothese, S. 22-33.

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