Schellings Denken der Freiheit - KOBRA - Universität Kassel
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108<br />
Paul Ziche<br />
<strong>der</strong> die Philosophie, beginnend mit <strong>der</strong> Zeit um 1800, lange geschlummert<br />
habe, und zwar nicht einen vor-Kantisch dogmatischen, son<strong>der</strong>n einen nach-<br />
Kantischen anthropologischen Schlaf. 23 Einschläfernd und dadurch auch<br />
reduzierend für die Optionen <strong>der</strong> Philosophie habe dabei gewirkt, daß ab<br />
etwa 1800 eine „anthropologische Konfiguration“ die mo<strong>der</strong>ne Philosophie<br />
bestimmt habe, in <strong>der</strong> letztlich eine dogmatische These zur Begründung einer<br />
an<strong>der</strong>en solchen These gedient und so einen insgesamt dogmatischen Zugriff<br />
eingeführt habe, indem man versucht habe, im Ausgang von einem empirischen<br />
Wissen über den Menschen – letztlich von jedem beliebigen <strong>der</strong>artigen<br />
Ansatzpunkt aus – ein philosophisches Feld zu entwickeln, innerhalb<br />
dessen man die Grundlagen von Wissen, eine Bestimmung seiner Grenzen<br />
und schließlich die Wahrheit schlechthin für entdeckbar hielt. Erklärbar<br />
werde das aus einer Verwechslung des Empirischen mit dem Transzendentalen.<br />
Aus dieser Verdopplung, diesem Übereinan<strong>der</strong>falten des Dogmatischen<br />
entsteht in Foucaults Bild jene Höhle, in <strong>der</strong> die Philosophie zu schlafen<br />
kommt. Foucault sieht nur einen Ausweg: nämlich den, die anthropologische<br />
Formation grundlegend zu zerstören. Ein Erlösungsangebot findet er bei<br />
Nietzsche, <strong>der</strong> den Berührungspunkt von Mensch und Gott neu entdeckt habe<br />
und damit die gegenseitige Verwiesenheit des Endes von beiden zu denken<br />
gezwungen wurde.<br />
Worin aber, so wird man vor dem Hintergrund des hier Vorgetragenen<br />
fragen müssen, unterscheidet sich diese Lösung <strong>der</strong> anthropologischen Konfusion<br />
von <strong>Schellings</strong> Deutung des Menschen als eines gottgleichen Mittlers?<br />
Es gibt einen zentralen Unterschied: Auch Schelling entgeht <strong>der</strong> Konfusion<br />
des Empirischen mit dem Transzendentalen, aber in einer Weise, die eine<br />
Analyse des Menschen in all seiner Gefährdung und eine Begründung von<br />
Wissenschaft verbindet (den Weg in den inspirierten Wahnsinn deutet er in<br />
den Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums an, geht ihn<br />
aber nicht). Für Foucault eröffnet das Verschwinden des Menschen erst den<br />
zum <strong>Denken</strong> nötigen Raum; Schelling analysiert den Menschen in seiner<br />
gefahrvollen conditio humana wie in seiner wissenschaftlichen Betätigung<br />
als einen solchen Raum eröffnend und durchmessend. Diese Integration des<br />
Wissenschaftsbezugs zeichnet sein Konzept einer philosophischen Thematisierung<br />
des Menschen aus. Er entwirft eine menschliche Wissenschaft aus<br />
<strong>der</strong> Überwindung <strong>der</strong> empirisch-transzendental-Disjunktion im Interesse einer<br />
Berücksichtigung <strong>der</strong> weiter und tiefer reichenden ancipitia des Menschen<br />
zwischen Natur und Gott.<br />
23 Michel Foucault: Les mots et les choses. Une archéologie des sciences humaines. Paris<br />
1966, 351-354.