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Schellings Denken der Freiheit - KOBRA - Universität Kassel

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104<br />

Paul Ziche<br />

Alle diese Aspekte komprimiert Schelling in einen Begriff, <strong>der</strong> – wenig<br />

überraschend – wie<strong>der</strong>um mehrdeutig ausfällt, nun aber eindeutig auf den<br />

Menschen bezogen ist und den epistemologischen o<strong>der</strong> wissenschaftstheoretischen<br />

Kontext hinter sich läßt: In den Begriff <strong>der</strong> „Selbstaufgegebenheit“<br />

(SW I,9,229). Diese Kennzeichnung des Menschen, die zugleich die Grundlage<br />

von Wissenschaft darstellen soll, ist genauso wie das griechische Pendant<br />

<strong>der</strong> „Ekstasis“ eine „vox anceps“ – zu letzterer führt Schelling das eigens<br />

aus (SW I,9,230): Der Mensch ist sich selbst als Aufgabe aufgegeben, und<br />

um dieser Aufgabe gerecht zu werden, muß er sich selbst aufgeben. <strong>Freiheit</strong><br />

selbst, als <strong>der</strong>en Bild <strong>der</strong> offene Punkt aufgefaßt war, wird damit ebenfalls zu<br />

einer vox anceps, und mit ihr das Subjekt, auch hier ausdrücklich als solche<br />

benannt:<br />

„Nun wird aber A, dieses absolute Subjekt, in seiner Abstraktion nur<br />

erhalten durch B, durch die Gewalt des nichtwissenden, sich alles Wissens<br />

begebenden Wissens. Seiner Natur nach hält es gleichsam keinen<br />

Augenblick stand, weil es natura anceps ist, <strong>Freiheit</strong>, die es ist, und auch<br />

nicht ist, also sogleich sich entscheiden muß.“ (SW I,9,237)<br />

<strong>Freiheit</strong> bleibt bezogen auf eine Doppelheit von Zuständen, die zugleich<br />

Grundbefindlichkeiten o<strong>der</strong> -ausrichtungen des Menschen bezeichnen. Genauso<br />

ist Wissen stets auf ein Nicht-Wissen bezogen und nur durch letzteres<br />

möglich, wenn es als Bewegung des Erkennens verstanden wird. Auch auf<br />

einer an<strong>der</strong>en Ebene hatte Schelling bereits, vor allem in den Stuttgarter Privatvorlesungen,<br />

die Verfaßtheit des Menschen als Person mit <strong>der</strong> Grundlegung<br />

von Wissenschaft verbunden. 18<br />

Im Begriff des Wissens ist das mögliche Scheitern von Wissen mitgedacht,<br />

genauso wie <strong>Freiheit</strong> immer nur vor dem Hintergrund einer Entscheidung<br />

zu verstehen ist. Hieraus ergibt sich, daß Wissen, ebenso wie <strong>Freiheit</strong>,<br />

nur vor dem Horizont möglicher Gefährdung gedacht werden kann. Bereits<br />

in den Stuttgarter Privatvorlesungen hatte Schelling eine noch weiter reichende<br />

Gefährdung ausgesprochen, nämlich die prekäre Stellung des Menschen<br />

im Weltsystem insgesamt: Das Weltsystem ist auf ihn bezogen, und<br />

zwar nicht nur in einer Relation des Erkennens, son<strong>der</strong>n auch so, daß <strong>der</strong><br />

Mensch ein „Mittler“, ein „Verklärungspunkt“ ist und ihm dieselbe Ver-<br />

18 Vgl. Paul Ziche: „ ‚Die Seele weiß nicht, son<strong>der</strong>n sie ist die Wissenschaft‘. Zum Zusammenhang<br />

von Wissenschafts- und Personbegriffen bei Schelling“, in: „Alle Persönlichkeit<br />

ruht auf einem dunkeln Grunde“. <strong>Schellings</strong> Philosophie <strong>der</strong> Personalität,<br />

hrsg. von Thomas Buchheim u. Friedrich Hermanni, Berlin 2005, S. 199-213.

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