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Autodesk Magazin No. 05/Ausgabe Mensch und Maschine

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Titelstory<br />

in Deutschland am Tag – ein Viertel davon<br />

rauscht durch die Klospülung hinunter. In den<br />

meisten Fällen strömen Haus-, Industrie <strong>und</strong><br />

Niederschlagsabwässer zusammen durch die<br />

so genannte Mischkanalisation. Was dazu führt,<br />

dass die abenteuerlichsten Gegenstände durch<br />

die Rohre geschwemmt werden. In Hamburg<br />

kann man solche „Beutestücke“ im Sielmuseum<br />

bew<strong>und</strong>ern: Da ist von Gebissen über Mäntel,<br />

Perücken, Schuhen bis hin zur Reizwäsche beinah<br />

alles vertreten. Ganz zu schweigen von verschiedenen<br />

Chemikalien wie Hormonpräparaten.<br />

Schlagzeilen machte letztes Jahr die Nachricht,<br />

dass in Deutschland angeblich mehr gekokst<br />

wird als bisher gedacht. Der Beweis: Jeder<br />

Kokser, der seine <strong>No</strong>tdurft auf dem Klo statt<br />

hinter dem Busch erledigt, hinterlässt eine<br />

chemische Fährte im Abwasser, <strong>und</strong> die findet<br />

man schließlich in den Flüssen wieder.<br />

Hygiene: eine moderne Erfindung<br />

Früher allerdings landeten diverse Ausscheidungsprodukte<br />

ziemlich oft hinter dem Busch –<br />

<strong>und</strong> in der Regel einfach auf der Straße. Dorthin<br />

wurde alles geschüttet, was im Haushalt keine<br />

Verwendung mehr fand. Im Mittelalter stand<br />

man der Körperpflege insgesamt sehr reserviert<br />

gegenüber, da man fürchtete, man würde das<br />

Seelenheil durch sie gefährden. In der Barock-<br />

<strong>und</strong> in der Rokokozeit litt man ebenfalls unter<br />

einer gewissen Wasserscheu. Das betraf den<br />

Bauern ebenso wie den Schlossherrn. Wichtiger<br />

als die Waschschüssel waren Fläschchen <strong>und</strong><br />

Puder. Der aristokratische Lebensstil war über<br />

alle Reinlichkeitsfragen erhaben. Burgen <strong>und</strong><br />

Kirchen stanken nach Urin. Dass Napoleon<br />

täglich badete, brachte ihm viel Spott ein <strong>und</strong><br />

erschien den meisten als Zeichen seiner geringen<br />

Herkunft. Die Konsequenz: Seuchen wie<br />

Ruhr <strong>und</strong> Cholera grassierten in allen Gesellschaftsschichten<br />

bis weit ins 19. Jahrh<strong>und</strong>ert.<br />

Und dann kam die industrielle Revolution. Als<br />

erstes erkannten die Engländer die Wichtigkeit<br />

einer unterirdischen Kanalisation. 1842 begann<br />

man in London mit dem Bau eines Abwassersystems.<br />

Es wurde außerdem das Water Closet (WC)<br />

Abb. links: neuer Abwasser-<br />

bereich in Wien<br />

Bild © MA30 - Wien Kanal<br />

Abb. rechts: Pressrohrvortrieb,<br />

Zürich<br />

Bild © Walo Bertschinger Central AG, Zürich<br />

Abb. links: Münchner Kanalisation<br />

Abb. rechts: Presszylinder für ø 1.25 m<br />

(Kanalisation)<br />

Bild © Walo Bertschinger Central AG, Zürich<br />

Abb. links: der unspektakuläre<br />

Einstieg in die Tiefe<br />

Abb. rechts: Aushub in 18 m Tiefe<br />

für Wirbelfallschacht & Stollen<br />

Bild © Walo Bertschinger Central AG, Zürich<br />

erf<strong>und</strong>en, die Toilette mit Wasserspülung. Endlich<br />

konnte man trockenen Fußes durch die Straßen<br />

gehen.<br />

Auf dem europäischen Festland waren Hamburg<br />

<strong>und</strong> Wien die ersten Städte mit einem Abwassersystem.<br />

Neben den unumstrittenen hygienischen<br />

Vorteilen brachte die Kanalisation vielerorts<br />

ungeahnte Chancen für Überlebenskünstler:<br />

In Wien gab es bis in die Dreißigerjahre des 20.<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts die so genannten „Kanalstrotter“.<br />

Sie stiegen in die Unterwelt hinab in der Hoffnung,<br />

Münzen, Schmuck, Knochen <strong>und</strong> Fett aus<br />

den Kanälen zu fischen, die sie dann verkaufen<br />

konnten. Viele Obdachlose hatten im Kanalnetz<br />

sogar ihren festen Wohnsitz. Ihr wohl bekanntester<br />

Unterschlupf war die „Zwingburg“, eine<br />

trockene Kammer des Kanalisationssystems, die<br />

sich unter dem Schwarzenbergplatz befindet.<br />

Das Geld fließt unter der Erde<br />

Heute sind 95 Prozent der deutschen Haushalte<br />

an das öffentliche Abwassersystem angeschlossen.<br />

So dynamisch sich viele Städte über der Erde<br />

entwickeln, so starr <strong>und</strong> veraltet sind sie im<br />

Untergr<strong>und</strong>. „Die Größe <strong>und</strong> der oft marode<br />

Zustand der Leitungssysteme sind ein wesentlicher<br />

Gr<strong>und</strong> dafür, weswegen in Deutschland<br />

r<strong>und</strong> vier Fünftel der <strong>Ausgabe</strong>n in diesem Bereich<br />

in die Instandhaltung <strong>und</strong> den Ausbau der Netze<br />

fließen“, mahnt Dr. Harald Hiessl, Leiter der<br />

Abteilung Umwelttechnik <strong>und</strong> Umweltökonomie<br />

am Fraunhofer-Institut für Systemtechnik <strong>und</strong><br />

Innovationsforschung. Dabei handelt es sich bei<br />

den Schäden größtenteils um defekte Anschlüsse,<br />

häufig aber auch um Risse in den Rohren oder<br />

abgesplitterte Teile in der Rohroberfläche. Heute<br />

sind die Rohre teilweise aus Kunststoff. Daneben<br />

gibt es aber auch Rohre aus Beton für große<br />

Durchmesser sowie Kanäle aus Steinzeug oder<br />

Eisen. Doch egal, welches Material, der Alterungsprozess<br />

ist bei allen unaufhaltsam. „Allein<br />

in München werden jährlich 5 Millionen Euro<br />

in die Kanalsanierung investiert“, erklärt Josef<br />

Heuberger, Abteilungsleiter für die Kanalisation<br />

bei der Stadtentwässerung München. Und dieser<br />

Aufwand ist bitter nötig, denn eine nachlässige

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