Böse Hexen gibt es nicht - Versuch einer interdisziplinären - Heim

hinsichtlich der Formulierung geeigneter Fragestellungen
und hinsichtlich der zusammenfassenden Interpretation von
Antworten (also hinsichtlich der Entscheidungsfindung)
durchaus unterstützend tätig gewesen sein. Es ist jedoch
auch überliefert, dass die weisen Frauen selbst gependelt
haben. In solchen Fällen waren sie es wahrscheinlich selbst,
welche Entscheidungen fällten und den Ratsuchenden
entsprechend beeinflussten.
Einen größeren Interpretationsspielraum als das Pendeln
gestattete das Handlesen, auch als „Chiromantie“ oder als
„Chirologie“ bezeichnet. Die Kunst des Handlesens geht auf
einen Zeitraum um etwa 1000 v. Chr. zurück und stand
daher der Hagia bereits zur Verfügung. Sie nutzte dabei die
Tatsache, dass keine zwei Menschen gleiche Fingerabdrücke
und auch keine gleichen Handlinien aufweisen, zur
Vorhersage. Tatsächlich ist es so, dass das Aussehen einer
Hand doch schon recht viel über die Tätigkeit eines
Menschen verraten kann. So erlaubt das Verhältnis der
Längen von Zeige- und Ringfinger Aussagen über die
Aggressivität einer Person, mithin also über sein Wesen.
Man vergleiche nur einmal die Hände eines Bauarbeiters mit
denen eines Mannequins. Verhornungen, Schründe,
Verletzungen, tief eingegrabene Furchen oder aber das
Fehlen eben dieser markanten Merkmale lassen durchaus
Rückschlüsse auf die Person zu, zu der die betreffende Hand
gehört. Der Hagia muss all dies bekannt gewesen sein.
Betrachtete sie die Hand eines Ratsuchenden und erzählte
dem daraufhin etwas aus seinem Leben, so wird dies einer
Legitimation ihrer Fähigkeiten entsprochen haben. Die
Handleserei wurde damit zu einem Balanceakt zwischen
fundierter Persönlichkeitsanalyse und spekulativer
Hellseherei.