Gender Lesen - Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur
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Vor dem Hintergr<strong>und</strong> der <strong>Gender</strong>differenzen <strong>und</strong><br />
mit der Zielsetzung, Lesekompetenzen <strong>und</strong> Lesegewohnheiten<br />
zu fördern, interessiert „<strong>Lesen</strong>“ hier<br />
als Handlung <strong>und</strong> nicht als kognitiver Prozess. <strong>Lesen</strong><br />
wird als Aktivität thematisiert, die aus der Perspektive<br />
der Leserin, des Lesers <strong>für</strong> sie bzw. <strong>für</strong> ihn<br />
Sinn macht – bzw. im Falle des „Nicht-<strong>Lesen</strong>s“<br />
eben nicht sinnvoll ist.<br />
Ein anderer Zugang zum <strong>Lesen</strong>, auf den vor allem<br />
Förderungskonzepte von Teilleistungen des <strong>Lesen</strong>s<br />
aufbauen, ist die Auseinandersetzung mit kognitiven<br />
<strong>und</strong> hirnphysiologischen Prozessen bei der<br />
Wahrnehmung <strong>und</strong> Verarbeitung von Texten.<br />
Auch wenn neuere neurophysiologische Studien<br />
zeigten, dass Frauen in der Verarbeitung von verbalen<br />
Daten Männern überlegen sind <strong>und</strong> Männern<br />
Frauen beim räumlichen Denken, sind die Geschlechterunterschiede<br />
beim <strong>Lesen</strong> in ihrer Deutlichkeit<br />
nicht biologisch begründet, sondern im<br />
historisch gewachsenen sozialen Zusammenleben<br />
zu suchen. Kognitive Ansätze der Leseforschung<br />
<strong>und</strong> Leseförderung blenden zudem weitgehend<br />
aus, dass Kinder <strong>und</strong> Jugendliche gr<strong>und</strong>sätzlich als<br />
sinnvoll handelnde Personen zu verstehen sind.<br />
Das Ergebnis dieser kognitionsorientierten Betrachtungsweisen<br />
von „<strong>Lesen</strong>“, die meines Erachtens<br />
vor allem bei der Diagnose von Leseverständnisproblemen<br />
sehr wichtig sind, sind häufig<br />
Trainings- <strong>und</strong> Übungsprogramme, die <strong>für</strong> Kinder<br />
<strong>und</strong> Jugendliche oft wenig bis keinen Sinn machen,<br />
haben sie doch zumeist keinerlei Zusammenhang<br />
mit ihren Lebenswelten <strong>und</strong> Alltagsanforderungen.<br />
Konzepte der Leseförderung,<br />
die zuerst einmal von Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen<br />
akzeptiert werden müssen, um die angestrebten<br />
Ergebnisse zu erreichen, brauchen allerdings ein<br />
anderes Bild des Mensch-Seins: Ein am Menschen<br />
als sinnvoll handelndem Subjekt orientierter Ansatz<br />
geht davon aus, dass effektive Maßnahmen der<br />
Leseförderung vor allem <strong>für</strong> die Kinder <strong>und</strong> Jugendlichen<br />
selbst Sinn machen müssen, damit sie<br />
diese auch annehmen (können).<br />
„<strong>Lesen</strong>“ wird in dieser Broschüre als eine kommunikativ<br />
ausgerichtete Tätigkeit thematisiert. LeserInnen<br />
rezipieren in Schriftform vermittelte In-<br />
halte. Die Bandbreite dieser Inhalte ist unbegrenzt.<br />
D.h. auch, dass Leseförderung sich nicht auf die <strong>für</strong><br />
die Schule typischen literarischen <strong>und</strong> Sachtexte reduzieren<br />
darf, sondern auch Lesematerialien des<br />
Alltags einbeziehen muss, wie Produktinformationen,<br />
Kataloge, Prospekte, Verzeichnisse usw.<br />
Texte sind auf Trägermedien angewiesen. Traditionelle<br />
Träger von Texten sind beständige Materialien,<br />
allen voran Papier, aber auch Folien, Metalle,<br />
Stoffe sowie alles, was beschriftet bzw. bedruckt<br />
werden kann. Das neue Ausgabemedium <strong>für</strong><br />
Schrift ist der Bildschirm: Fernseher, Computer,<br />
Projektionswände, das Handy <strong>und</strong> andere Displays.<br />
Diese Texte sind im Vergleich zu gedruckten<br />
oder geschriebenen flüchtig. In die Vorschläge<br />
<strong>für</strong> die Praxis der Leseförderung sind neben<br />
den traditionellen, papiergeb<strong>und</strong>enen Lesemedien<br />
die neuen Technologien gezielt eingeb<strong>und</strong>en, weil<br />
besonders Buben dem Bildschirm in ihrem Freizeit-<br />
<strong>und</strong> Medienalltag einen hohen Stellenwert geben<br />
<strong>und</strong> sie hier ihre Expertise einbringen können.<br />
Leseförderung ist als ein in die Zukunft gerichtetes<br />
Projekt zu betrachten. Den Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen<br />
sind jene Kompetenzen <strong>und</strong> ist jenes<br />
Wissen zu vermitteln, das sie brauchen, um in ihrem<br />
künftigen Leben bestehen <strong>und</strong> ihr Leben möglichst<br />
selbstbestimmt gestalten können. Eine zukunftsorientierte<br />
Leseförderung muss sich die Frage<br />
stellen, welche Medien, Genres <strong>und</strong> Lesestrategien<br />
Kinder <strong>und</strong> Jugendliche brauchen <strong>und</strong> mit<br />
welchen Modi sie es zu tun haben werden. Der gesellschaftliche<br />
<strong>und</strong> mediale Wandel <strong>und</strong> die damit<br />
verb<strong>und</strong>enen Veränderungen des <strong>Lesen</strong>s sind vorauszudenken<br />
<strong>und</strong> in die gegenwärtigen Konzepte<br />
zu integrieren. Aus diesem Anspruch leitet sich ab,<br />
dass in dieser Broschüre nicht die Förderung des<br />
literarischen <strong>Lesen</strong>s oder des <strong>Lesen</strong>s von Büchern<br />
im Mittelpunkt steht, sondern eine möglichst große<br />
Bandbreite an Lesestrategien, Genres <strong>und</strong> Lesemedien<br />
abgedeckt wird. Für die schulische Leseförderung<br />
ergibt sich daraus, dass es sich hier um<br />
eine „Querschnittsaufgabe“ handelt, die nicht –<br />
wie vielfach angenommen – auf den Deutsch- oder<br />
Literaturunterricht beschränkt, sondern in allen<br />
Fächern wahrgenommen werden sollte.<br />
EINLEITUNG<br />
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