Gender Lesen - Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur
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44<br />
DER TEXT<br />
„Information“ versus „Unterhaltung“?<br />
Eine gängige Differenzierung von Genres ist die<br />
Gegenüberstellung von Information <strong>und</strong> Unterhaltung.<br />
Diese Dualität ist insofern fragwürdig, als<br />
es sich hier nicht um die Gegenpole einer Skala<br />
handelt: Information kann immer auch unterhaltend<br />
sein <strong>und</strong> Unterhaltung informativ. Das Gegenteil<br />
von Information wäre „Nicht-Information“,<br />
von Unterhaltung „Nicht-Unterhaltung“. Problematisch<br />
an dieser klassischen Unterscheidung ist<br />
außerdem, dass ihr eine Wertung eingeschrieben<br />
ist: Unterhaltung wird im Vergleich zu Information<br />
traditionell als weniger wichtig bis zu belanglos<br />
eingestuft, Information als das Wichtige, Nützliche.<br />
Auch wenn Texte von ihren AutorInnen <strong>für</strong> bestimmte<br />
Zwecke verfasst werden <strong>und</strong> eine diesen<br />
Zielen entsprechende „Lesart“ nahe legen, bedeutet<br />
das nicht, dass die RezipientInnen sich an<br />
diese Textintentionen halten müssen. So wird gerade<br />
bei der Gegenüberstellung „Information“<br />
versus „Unterhaltung“ häufig ausgeblendet, dass<br />
es in erster Linie die RezipientInnen sind, die bestimmen,<br />
<strong>für</strong> welche Zwecke sie Medien nutzen.<br />
So können als „Unterhaltung“ eingestufte Romane<br />
oder Soap Operas Interpretationshilfen <strong>und</strong><br />
Modelle zur Verfügung stellen, wie man sich selbst<br />
in ähnlichen Situationen verhalten könnte. Umgekehrt<br />
erfüllen als „Information“ bezeichnete<br />
Angebote, wie z.B. bei Sachliteratur oder Dokumentationen,<br />
häufig unterhaltende Funktionen<br />
wie Spannung <strong>und</strong> Entspannung. 28<br />
Aufgr<strong>und</strong> der Zuschreibungen „wertvoll“ <strong>und</strong><br />
„minderwertig“ ist die Unterscheidung zwischen informations-<br />
<strong>und</strong> unterhaltungsorientierten Texten<br />
auch <strong>für</strong> eine geschlechtersensible Auseinandersetzung<br />
mit Genrepräferenzen zu hinterfragen, weil<br />
dadurch gleichzeitig die Lesepräferenzen von Frauen<br />
abgewertet werden: Frauen <strong>und</strong> Mädchen lesen<br />
deutlich öfter als Männer <strong>und</strong> Buben „unterhaltungsorientierte“<br />
Texte. Bei den männlichen Lesepräferenzen<br />
stehen informationsorientierte Gen-<br />
28) Einen historischen Überblick zur Differenzierung des Unterhaltungs-<br />
<strong>und</strong> Informationslesens gibt Erich Schön in seinem 1999<br />
erschienenen Buchbeitrag „<strong>Lesen</strong> zur Information, <strong>Lesen</strong> zur<br />
Lust – schon immer ein falscher Gegensatz“.<br />
res an erster Stelle. Diese Vorlieben führen z.B.<br />
auch dazu, dass Frauen häufiger erzählende Literatur<br />
<strong>und</strong> Männer häufiger Sach- <strong>und</strong> Fachbücher<br />
lesen. Diese weiblichen <strong>und</strong> männlichen Lektürepräferenzen<br />
sind unter anderem auf die Alltagsanforderungen<br />
zurückzuführen, mit denen Frauen<br />
<strong>und</strong> Männer konfrontiert sind. Frauen sind häufiger<br />
als Männer <strong>für</strong> „Beziehungsarbeit“ zuständig,<br />
Männer eher <strong>für</strong> „Erwerbsarbeit“. In diesen unterschiedlich<br />
akzentuierten Alltagswelten sind je andere<br />
„Informationen“ nützlich, die auch in verschiedenen<br />
Medien <strong>und</strong> Genres sowie anhand je<br />
spezifischer Themen abgehandelt werden.<br />
Die Unterscheidung von „Information“ <strong>und</strong><br />
„Unterhaltung“ entspricht der Komplexität der<br />
Genre- <strong>und</strong> Funktionsvielfalt von Medienangeboten<br />
auch deswegen immer weniger, weil inhaltliche<br />
<strong>und</strong> gestalterische Aspekte von Information <strong>und</strong>