Gender Lesen - Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur
Gender Lesen - Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur
Gender Lesen - Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
40<br />
DER TEXT<br />
erklärt, warum er in der Schule gerne vorliest, folgendermaßen:<br />
„Da les’ ich gern, da hört mir endlich<br />
jemand zu. Zu Hause hört mir ja nie einer zu.<br />
Zu Hause bin ich immer im Zimmer, les’ allein, das<br />
ist fad, in der Klasse sind ja mehrere <strong>und</strong> da les’ ich<br />
gern.“ 24<br />
<strong>Lesen</strong> <strong>und</strong> Schreiben als Zugangsinstrumente<br />
<strong>Lesen</strong> <strong>und</strong> Schreiben sind Voraussetzungen <strong>für</strong><br />
den individuellen Erfolg in unseren hochentwickelten<br />
Wirtschaftssystemen <strong>und</strong> eine umfassende<br />
Partizipation am gesellschaftlichen Leben. Eine<br />
aktiv gestaltende Teilhabe erfordert allerdings neben<br />
dem Nachvollziehen der Botschaften anderer,<br />
dass wir unsere eigenen Bedürfnisse <strong>und</strong> Interessen<br />
ausdrücken können, entweder durch Reden<br />
oder Schreiben oder auch durch visuelle Darstellungen<br />
sowie andere Aktivitäten (z.B. Demonstrationen<br />
oder künstlerische Interventionen im öffentlichen<br />
Raum). Die eminente Bedeutung des<br />
Schreibens als auch demokratiepolitisch notwendige<br />
Ergänzung des <strong>Lesen</strong>s wird in der Diskussion<br />
r<strong>und</strong> um PISA <strong>und</strong> um Leseförderung zumeist ausgeblendet.<br />
Dabei sind mit den neuen Informations- <strong>und</strong> Kommunikationstechnologien<br />
auch die Anforderungen,<br />
sich schriftlich ausdrücken <strong>und</strong> schriftliche<br />
Aufgaben erledigen zu können, enorm gestiegen.<br />
Gleichzeitig hat die elektronische Textverarbeitung<br />
das Schreiben in vielem vereinfacht: die Möglichkeit,<br />
Texte mehrmals zu überarbeiten, ohne<br />
dass Spuren hinterlassen werden <strong>und</strong> ohne dass erneutes<br />
Schreiben erforderlich ist; das standardisierte<br />
Schriftbild, das durch die verschiedenen<br />
Schrifttypen <strong>und</strong> Layoutmöglichkeiten Texten ein<br />
völlig anderes Aussehen gibt als handschriftlich<br />
verfasste Texte es haben; die Rechtschreibüberprüfung,<br />
die hilft, zumindest die gröbsten Fehler<br />
zu korrigieren. Motivierend kommt vor allem <strong>für</strong><br />
Buben noch dazu, dass Schreiben mit dem Computer<br />
zu einem technischen Vorgang geworden ist<br />
<strong>und</strong> sie hier ihre Expertise im Computerumgang<br />
anwenden können.<br />
24) Böck, 2000, S. 101.<br />
Mit dem Schreiben wird die Autorschaft von Texten<br />
angesprochen, die immer auch eine Frage von<br />
Definitions- <strong>und</strong> Gestaltungsmacht ist: Wer<br />
schreibt Texte <strong>für</strong> wen? Wer bestimmt <strong>und</strong> wählt<br />
aus, was <strong>für</strong> andere, <strong>für</strong> die LeserInnen, wichtig ist<br />
<strong>und</strong> was diese wissen sollen? Was bedeutet es,<br />
wenn jemand sich schriftlich nicht „gut“, den Konventionen<br />
der Orthographie <strong>und</strong> Grammatik entsprechend,<br />
ausdrücken kann?<br />
Debatten über Rechtschreibreformen <strong>und</strong> die Notwendigkeit,<br />
dass Rechtschreibung nach wie vor<br />
ein zentrales Bildungsziel des Deutschunterrichts<br />
ist, sind immer auch Diskussionen über soziale<br />
Unterschiede <strong>und</strong> Ab- bzw. Ausgrenzungen.<br />
Schrift ist in diesem Sinne auch ein Modus von (Bildungs-)Eliten.<br />
Die Förderung der Schreibkompetenzen<br />
hat – wie die Leseförderung – einen emanzipatorischen<br />
Anspruch mit dem Ziel, soziale <strong>und</strong><br />
Bildungsunterschiede auszugleichen.<br />
Dass Frauen, obwohl sie mehr – <strong>und</strong> laut PISA –<br />
auch besser lesen (<strong>und</strong> wohl auch schreiben – da<strong>für</strong><br />
gibt es allerdings keine empirischen Daten) als<br />
Männer, nach wie vor in vielen Bereichen des gesellschaftlichen<br />
Lebens benachteiligt sind, zeigt,<br />
dass <strong>Lesen</strong> <strong>und</strong> Schreiben einerseits nur Bausteine<br />
dessen sind, was den beruflichen <strong>und</strong> sozialen<br />
Erfolg bzw. die gesellschaftliche Position <strong>und</strong> deren<br />
Gestaltungschancen ausmacht. Andererseits ist<br />
eine differenzierte Betrachtung des „<strong>Lesen</strong>s“ unerlässlich,<br />
<strong>und</strong> zwar danach, welche Lesestoffe,<br />
welche Lesemedien <strong>und</strong> Genres von Männern bevorzugt<br />
werden <strong>und</strong> welche von Frauen <strong>und</strong> welche<br />
Relevanz diese in den unterschiedlichen Sphären<br />
des gesellschaftlichen Lebens haben. Aus dieser<br />
Differenzierung leiten sich wiederum Zielsetzungen<br />
vor allem <strong>für</strong> die Leseförderung der Mädchen<br />
ab: Welchen Textgattungen <strong>und</strong> Strategien<br />
des <strong>Lesen</strong>s müssen sie sich verstärkt zuwenden, um<br />
mit zu erwartenden Anforderungen im beruflichen<br />
Leben zurechtzukommen?