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Gender Lesen - Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur

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38<br />

DER TEXT<br />

stellen gewesen. Das Hineintragen von Elementen<br />

der Oralität in die schriftlich geführte interpersonale<br />

Kommunikation dürfte <strong>für</strong> diese Sensibilisierung<br />

ebenfalls eine wichtige Rolle gespielt haben.<br />

Schrift, Sprache <strong>und</strong> Bild haben als je spezifische<br />

Kommunikationsmodi unterschiedliche Potentiale<br />

<strong>und</strong> Anforderungen, die sich auf die Darstellung<br />

von Inhalten einerseits <strong>und</strong> die Rezeption andererseits<br />

beziehen. Was die Struktur von Aussagen<br />

betrifft, sind Sprache <strong>und</strong> Schrift z.B. sequenziell<br />

organisiert. Informationen werden der Reihe nach<br />

erzählt oder beschrieben. Um das Gesagte oder<br />

Geschriebene nachzuvollziehen, muss der Leser<br />

bzw. die Leserin diesen Sequenzen folgen. Auch<br />

wenn man, wie bei Hypertexten, von einem Textausschnitt<br />

zum nächsten „springt“, erfordert ein am<br />

Verstehen orientiertes <strong>Lesen</strong> von Texten zumeist,<br />

dass man sich an die vom Autor, von der Autorin<br />

vorgegebene Ordnung hält.<br />

Bilder sind hingegen im zweidimensionalen Raum<br />

strukturiert, die Inhalte sind – bei nicht-bewegten<br />

Bildern – alle gleichzeitig präsent. Visuelle Darstellungen<br />

zeigen ihre Inhalte. Der „Leser“, die<br />

„Leserin“ eines Bildes hat im Vergleich zu schriftlichen<br />

Texten wesentlich mehr Möglichkeiten, die<br />

eigene Ordnung des Betrachtens zu bestimmen.<br />

Die sequenzielle Anordnung des Schreibens führt<br />

dazu, dass Ereignisse in ihrem Verlauf wiedergegeben<br />

werden. Alles, was ein Text kommunziert, muss<br />

in Worten benannt werden, die in syntaktischen<br />

Strukturen angeordnet sind. Durch diese zeitlich-sequenzielle<br />

Anordnung eignen sich Texte eher zur<br />

Darstellung von Ereignissen <strong>und</strong> Erfahrungen in ihrem<br />

zeitlichen Ablauf. Visuelle Darstellungen eignen<br />

sich hingegen besonders <strong>für</strong> die Darstellung<br />

von Größenverhältnissen, von räumlichen Anordnungen<br />

<strong>und</strong> Strukturen. Anfang <strong>und</strong> Ende müssen<br />

z.B. „übersetzt“ werden durch eine bestimmte<br />

Strukturierung der Objekte, etwa durch Nummerieren<br />

oder durch ihre Anordnung von links nach<br />

rechts (in Gesellschaften, in denen von links nach<br />

rechts geschrieben wird – im arabischen Raum wäre<br />

diese Anordnung umgekehrt) bzw. von oben nach<br />

unten.<br />

Das „Offene“ an der Sprache <strong>und</strong> das<br />

„Konkrete“ an Bildern<br />

Durch die Räumlichkeit <strong>und</strong> den Charakter des<br />

Zeigens vermitteln Bilder auch eher konkrete Vorstellungen<br />

als sprachlich vermittelte Aussagen.<br />

Diese lassen mehr Raum <strong>für</strong> individuelle Rekonstruktionen<br />

bzw. erfordern sie das Einbringen eigener<br />

Erfahrungen <strong>und</strong> Vorstellungen. Ein kleiner<br />

H<strong>und</strong>, gemalt, gezeichnet oder fotografiert, ist ein<br />

bestimmter, konkret dargestellter kleiner H<strong>und</strong>.<br />

Wenn von einem kleinen H<strong>und</strong> die Rede ist, sind<br />

die ZuhörerInnen oder LeserInnen sehr frei darin<br />

sich vorzustellen, um welche Rasse es sich handelt,<br />

welche Farbe dieser H<strong>und</strong> hat, ob er fre<strong>und</strong>lich<br />

oder bedrohlich wirkt etc.<br />

Diese Freiheit bei der Konkretisierung von sprachlichen<br />

Begriffen ist ein wichtiges Spezifikum der<br />

Rezeption von geschriebenen Texten <strong>und</strong> vor allem<br />

<strong>für</strong> ungeübte LeserInnen, die Bild(schirm)medien<br />

in ihrem Kommunikationsalltag einen großen<br />

Stellenwert geben, auch eine Herausforderung.<br />

Anders als bei den ihnen geläufigen Visualisierungen<br />

müssen sie <strong>für</strong> sich selbst die vergleichsweise<br />

offenen Begriffe der Sprache mit ihren eigenen<br />

Vorstellungen füllen. Diese Offenheit impliziert<br />

nicht nur Freiheit, sondern auch Unsicherheiten<br />

– ein Aspekt, der bei der Arbeit mit ungeübten<br />

LeserInnen zu beachten ist.<br />

Unsicherheiten beim <strong>Lesen</strong> entstehen <strong>für</strong> ungeübte<br />

LeserInnen z.B. auch dann, wenn sie sprachliche<br />

Codes nicht verstehen, weil sie ihnen nicht vertraut<br />

sind, oder sie sich nicht in das Erzählte oder Beschriebene<br />

hineinversetzen können. So meint die<br />

11-jährige Stefanie, die Bücher nur gelegentlich<br />

liest, über die Unterschiede zwischen <strong>Lesen</strong> <strong>und</strong><br />

Fernsehen: „Na, beim <strong>Lesen</strong> ist man viel langsamer.<br />

Es gibt weniger Bilder. Beim Fernsehen hast<br />

alles voll Bild. Und siehst auch, wer das sagt. Das<br />

wird ja nicht erzählt. Es ist gleich dort, es wird<br />

nicht erzählt, dass zum Beispiel der dort das gesagt<br />

hat, sondern der sagt das selber. [Beim <strong>Lesen</strong>] da<br />

merkst das erst am Schluss manchmal, wer das gesagt<br />

hat.“ 22 Und der 11-jährige Dominik, der Co-<br />

22) Böck 2000, S. 92.

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