Gender Lesen - Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur
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DIE LESERIN, DER LESER<br />
3 Lesekompetenz 18<br />
„Lese-Kompetenz heißt, geschriebene Texte zu<br />
verstehen, zu nutzen <strong>und</strong> über sie zu reflektieren,<br />
um eigene Ziele zu erreichen, das eigene Wissen<br />
<strong>und</strong> Potential wahrzunehmen <strong>und</strong> am gesellschaftlichen<br />
Leben teilzunehmen.“ 19 Diese Definition<br />
der Lesekompetenz, mit der PISA arbeitet,<br />
rückt den instrumentellen Nutzen des <strong>Lesen</strong>s in<br />
den Vordergr<strong>und</strong>, <strong>Lesen</strong> interessiert vor allem als<br />
kognitiver Prozess der Informationsaufnahme.<br />
Diese Konzeption von Lesekompetenz macht<br />
es verständlich, warum sich Empfehlungen zur<br />
Verbesserung der Lesekompetenz im Kontext von<br />
PISA auch eher auf den Ausbau von Lesetrainings<br />
konzentrieren. Motivationale <strong>und</strong> emotionale<br />
Komponenten des <strong>Lesen</strong>s werden in dieser Modellierung<br />
von Lesekompetenz nicht <strong>und</strong> damit<br />
auch in Förderungskonzepten in Anschluss an PI-<br />
SA weniger berücksichtigt.<br />
Leseförderung muss die Lesekompetenz als „Teilhabe<br />
an kultureller Praxis“ (Bettina Hurrelmann)<br />
verstehen. <strong>Lesen</strong>, Lesekompetenzen <strong>und</strong> Lesegewohnheiten<br />
sind Teil des Habitus einer Person, die<br />
in spezifischen Lebenswelten lebt. Lesekompetenz<br />
umfasst kognitive, motivationale, emotionale <strong>und</strong><br />
reflexiv-interaktive Aspekte. Motiviert-Sein zum<br />
<strong>Lesen</strong> bedeutet, dass <strong>Lesen</strong> <strong>und</strong> schriftliche Kommunikation<br />
als sinnvoll <strong>und</strong> brauchbar eingestuft<br />
<strong>und</strong> erlebt werden <strong>und</strong> auch die <strong>für</strong> das <strong>Lesen</strong> notwendigen<br />
Anforderungen erbracht werden, weil<br />
entsprechende Gratifikationen zu erwarten sind.<br />
Die emotionale Komponente der Lesekompetenz<br />
hängt eng mit der motivationalen zusammen: <strong>Lesen</strong><br />
vermittelt positive Gefühle, sei es als Identifikation<br />
mit Figuren, als das Rekonstruieren anderer<br />
Welten oder als Freude über neu Gelerntes. Äs-<br />
18) Zur Lesekompetenz gibt es je nach Forschungsinteresse<br />
unterschiedlichste Konzepte. An dieser Stelle sollen lediglich<br />
eine Übersicht gegeben <strong>und</strong> jene Aspekte der Lesekompetenz<br />
herausgegriffen werden, die <strong>für</strong> das Thema der geschlechterspezifischen<br />
Leseförderung relevant erscheinen. Interessierte<br />
LeserInnen werden vor allem an die Publikationen verwiesen,<br />
die im Rahmen des DGF-Projektes „Lesesozialisation in der<br />
Mediengesellschaft“ erschienen sind (http://www.uni-koeln.de/<br />
dfg-spp-lesesoz/). Eine Übersicht über die kognitiven Verarbeitungsprozesse<br />
des <strong>Lesen</strong>s geben z.B. Christmann/Groeben 1999.<br />
19) Lang 2001, S. 29.<br />
thetisches Genießen <strong>und</strong> Unlust am <strong>Lesen</strong> zählen<br />
ebenfalls zur emotionalen Dimension der Lesekompetenz.<br />
Die Reflexion von Gelesenem <strong>und</strong> die sog. Anschlusskommunikation<br />
sind weitere wichtige Faktoren<br />
der Lesekompetenz. Durch die Verknüpfung<br />
des Gelesenen mit Vorwissen, durch dessen Interpretation<br />
wird das Gelesene <strong>für</strong> den Leser, die Leserin<br />
erst „sinnvoll“ <strong>und</strong> „verwendbar“. Die Anschlusskommunikation<br />
beschreibt die interaktive<br />
Dimension der Lesekompetenz, die auf die Bedeutung<br />
des <strong>Lesen</strong>s bzw. des Verstehens <strong>und</strong> Verwendens<br />
von schriftsprachlicher Kommunikation <strong>für</strong> die<br />
Teilnahme am gesellschaftlichen Leben verweist.<br />
Dieses elaborierte Verständnis von Lesekompetenz<br />
wurde im Rahmen des Schwerpunktprogramms<br />
„Lesesozialisation in der Mediengesellschaft“<br />
der Deutschen Forschungsgemeinschaft<br />
erarbeitet. 20 Bettina Hurrelmann21 fasst in ihrem<br />
Überblick folgende prototypische Merkmale des<br />
<strong>Lesen</strong>s zusammen:<br />
■ Kognitive Dimension:<br />
Bildung kohärenter mentaler Textrepräsentationen<br />
durch Worterkennung, Satzidentifikation,<br />
Satzverknüpfung, globale Kohärenzherstellung,<br />
Genrewissen, Erkennen der Autorintention,<br />
Verbindung von Textinformationen<br />
mit eigenem Vorwissen.<br />
■ Motivationale Dimension:<br />
Zielstrebigkeit, Ausdauer, Aktivierung positiver<br />
Gratifikations- <strong>und</strong> Nutzenerwartungen,<br />
Bedürfnis nach kognitiver Durchdringung des<br />
Textes.<br />
■ Emotionale Dimension:<br />
Bedürfnisbezogene Auswahl von Texten, Verbindung<br />
positiver Gefühlserlebnisse mit der Lektüre,<br />
Balancierung von Unlustgefühlen, Genießen<br />
der Lesesituation.<br />
20) http://www.uni-koeln.de/dfg-spp-lesesoz/<br />
21) Hurrelmann 2002, S. 285f.