Gender Lesen - Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur
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WAS IST „LESEN“?<br />
WAS IST „LESEN“?<br />
II. Was ist „<strong>Lesen</strong>“?<br />
1 Die <strong>Kultur</strong>technik <strong>Lesen</strong> in der<br />
Wissensgesellschaft<br />
Kommunikation <strong>und</strong> Gesellschaft<br />
Menschliches Zusammenleben braucht Kommunikation,<br />
die Evolution der Gesellschaft ist ohne<br />
Kommunikation nicht denkbar: Sprache ermöglicht<br />
es den Menschen, sich mitzuteilen <strong>und</strong> aufeinander<br />
abzustimmen, sei es beim gemeinsamen<br />
Arbeiten oder der Organisation eines Sozialsystems.<br />
Die Erfindung der Schrift war ein Quantensprung<br />
in der gesellschaftlichen Entwicklung. Bislang<br />
mündliche <strong>und</strong> dementsprechend unsichere Aussagen<br />
werden durch ihre Verschriftlichung – <strong>und</strong><br />
damit auch Materialisierung – fixiert <strong>und</strong> transportierbar.<br />
Mit ihrem „Festschreiben“ gewinnen<br />
Aussagen – Gesetze, Verzeichnisse, Berichte von<br />
Ereignissen etc. – an Verbindlichkeit <strong>und</strong> Autorität.<br />
Der Charakter von Schreiben als Aussagenproduktion<br />
<strong>und</strong> <strong>Lesen</strong> als Zugang zu Information als<br />
Herrschaftsinstrumente zeigt sich an früheren gesetzlichen<br />
Bestimmungen, wer <strong>Lesen</strong> <strong>und</strong> Schreiben<br />
lernen durfte <strong>und</strong> wem dies verboten war. Mit<br />
der Schrift wurde es auch möglich, größere <strong>und</strong> große<br />
Sozialsysteme zu organisieren. <strong>Lesen</strong> <strong>und</strong><br />
Schreiben werden zu <strong>Kultur</strong>techniken, zu Werkzeugen<br />
der menschlichen Kommunikation.<br />
„<strong>Lesen</strong> ist Handeln von Menschen, die in der<br />
kognitiven Dimension des <strong>Lesen</strong>s aus einem Text<br />
Sinn bilden <strong>und</strong> in seinen sinnlichen<br />
<strong>und</strong> emotiven Dimensionen sich durch ihr<br />
Tun ein Erleben selbst bereiten. Dabei entsteht<br />
die Lese-Erfahrung gerade durch die<br />
untrennbare Einheit der verschiedenen<br />
Dimensionen des <strong>Lesen</strong>s.“<br />
13) Schön 1999, S. 1.<br />
Erich Schön 13<br />
Die Entwicklung der Massenmedien, die bis Anfang<br />
des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts in erster Linie Schriftmedien<br />
waren, geht Hand in Hand mit der Ausdifferenzierung<br />
der Gesellschaften in unterschiedlichste<br />
Gruppen. Die Massenmedien stellen<br />
Öffentlichkeit her. Mit ihrer Informationsfunktion<br />
tragen sie auch zum Zusammenhalt zwischen<br />
den unterschiedlichsten gesellschaftlichen<br />
Teilsystemen bei. Die (selbstbestimmte) Rezeption<br />
der massenmedial verbreiteten Inhalte erforderte<br />
allerdings bis zum Auftreten von Wanderkinos<br />
<strong>und</strong> des Radios, dass man lesen konnte. <strong>Kultur</strong>bewegungen<br />
der Sozialdemokratie <strong>und</strong> der Arbeiterbewegungen<br />
setzten sich unter dem Schlagwort<br />
„Wissen ist Macht“ auch <strong>für</strong> die Alphabetisierung<br />
<strong>und</strong> die Verbesserung der Lesefähigkeiten<br />
von Personen mit geringer Schulbildung ein. Arbeiterinnen<br />
<strong>und</strong> Arbeitern Zugang zu Bildung zu<br />
ermöglichen, stand im Hintergr<strong>und</strong> dieser politischen<br />
Bemühungen, in deren Kontext Ende des 19.<br />
<strong>und</strong> Anfang des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts auch eine Reihe<br />
von Arbeiterbüchereien gegründet wurde.<br />
Ein neues Zeitalter <strong>für</strong> die interpersonale Kommunikation<br />
<strong>und</strong> den Transport von Information<br />
bricht im 19. Jahrh<strong>und</strong>ert durch die Erfindung des<br />
Telefons an. Mündliche Nachrichten können über<br />
weite Distanzen ohne Verschriftlichung übermittelt<br />
<strong>und</strong> ausgetauscht werden. Damit entsteht die Möglichkeit<br />
von raumunabhängiger informeller Kommunikation:<br />
Schriftliche Kommunikation ist, wenn<br />
die Texte aufbewahrt werden, nachvollziehbar, –<br />
was mitunter auch ein Nachteil sein kann.<br />
Die erste Hälfte des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts stand im Zeichen<br />
der auditiven <strong>und</strong> audiovisuellen Massenmedien,<br />
des Films, des Hörfunks <strong>und</strong> ab den 1950er<br />
Jahren auch des Fernsehens. Diese Technologien<br />
wurden durch verschiedene Speicher-, Übermittlungs-<br />
<strong>und</strong> Ausgabemedien weiterentwickelt. Immer<br />
wenn eines dieser Medien neu auf den Markt<br />
kam, waren die Be<strong>für</strong>chtungen groß, dass Schreiben<br />
<strong>und</strong> <strong>Lesen</strong> an Bedeutung verlieren werden.