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DUNKELKAMMER_DIE KRIMIKOLUMNE<br />
Dass die Welt auch schon vor dem 11. September 2001 düster war, zeigt<br />
Peter Temple in „Tage <strong>des</strong> Bösen“. Ein Toptitel: Anwärter auf einen<br />
der besten Krimis <strong>des</strong> Jahres, meint Buchjournal-Experte Tobias Gohlis.<br />
Ein Video bringt den Tod<br />
A ls<br />
2011 „Wahrheit“ von Peter Temple erschien, hätte ich nicht<br />
gedacht, dass dieses Meisterwerk noch zu toppen wäre. War<br />
es auch nicht – <strong>als</strong> Kriminalroman einer Stadt und ihrer Epoche<br />
steht „Wahrheit“ einzig da. Aber die Epoche selbst – es ist die Welt<br />
US-amerikanischer Suprematie, noch unerschüttert vom 11. September<br />
– bekommt in keinem anderen Buch so beklemmend Gestalt<br />
wie in Peter Temples „Tage <strong>des</strong> Bösen“. Das Buch ist erstm<strong>als</strong><br />
2002 auf Englisch erschienen<br />
und jetzt endlich auch auf<br />
Deutsch erhältlich.<br />
Der in Australien lebende, in<br />
Südafrika aufgewachsene Peter<br />
Temple hatte sich mit drei (jeweils<br />
mit Preisen ausgezeichneten)<br />
Kriminalromanen um den<br />
jüdischen Anwalt, Spieler und<br />
Privatdetektiv Jack Irish bereits<br />
einen Namen gemacht, <strong>als</strong> er den<br />
Schauplatz von Australien ausdehnte<br />
auf die ganze westliche<br />
Welt. „Tage <strong>des</strong> Bösen“ beginnt<br />
dort, wo die westliche mit der<br />
südlichen (nicht korrekt auch:<br />
Dritten) Welt zusammenknallt:<br />
in Südafrika.<br />
Dort verdingt sich Constan tine<br />
Niemand <strong>als</strong> Bodyguard – eine<br />
vergleichsweise friedliche Existenz<br />
nach Jahren <strong>als</strong> Söldner in<br />
Diensten diverser Imperialisten. Bis er <strong>als</strong> Einziger den Anschlag<br />
auf einen seiner Schutzbefohlenen überlebt und aus dem Leichenberg<br />
Papiere und eine Videokassette rettet. Sein spontaner Entschluss,<br />
Dokumente und Video an die Auftraggeber <strong>des</strong> Attentats<br />
zu verkaufen, setzt das Romangeschehen in Gang.<br />
Während Niemand in London versucht, aus seiner Kollateral-<br />
Beute Geld zu machen, werden die Leser parallel in diverse Überwachungs-<br />
und Informationsbeschaffungsgeschäfte der in Hamburg<br />
ansässigen Firma W & K eingeführt. Deren Stärken sind operative<br />
Schnelligkeit und avancierte Hackerkunst, die sie für jeden<br />
einsetzt, der genügend zahlt. Und genügend zahlen können<br />
Staaten, Geheimdienste und Konzerne.<br />
Auf dem Video aus Johannesburg sind weiße – vermutlich amerikanische<br />
– Zivilisten und Soldaten zu sehen. Sie erschießen bereits<br />
verletzt oder geschwächt am Boden liegende Menschen,<br />
darunter Frauen und Kinder. Das Video dokumentiert die Auslöschung<br />
eines afrikanischen Dorfs. In London reagieren Nie-<br />
© Bart Sadowski<br />
Soldaten, Söldner, Nachrichtendienste: Peter Temples Roman taucht<br />
tief ein in Abgründe, die Zivilisten sonst eher verborgen bleiben<br />
mands potenzielle Geschäftspartner auf seine Angebote mit<br />
Mordversuchen. Das Video muss für jemanden von lebenswichtiger<br />
Bedeutung sein. Niemand bekommt keine Chance zu Verhandlungen.<br />
Jeder Kontakt, und sei er noch so klan<strong>des</strong>tin eingefädelt,<br />
löst weitere Mordanschläge gegen den Südafrikaner aus.<br />
Während Niemand immer verzweifelter in London um sein<br />
Leben kämpft, gehen die Informationsbeschaffer von W & K den<br />
Spuren eines dubiosen Geldwäschers<br />
nach und stoßen auf <strong>des</strong>sen<br />
Kontakte zu einem noch viel<br />
dubioseren Dunkelmann. Angelegenheiten<br />
ohne Bezug zu Video<br />
und Massakern. Zu W & K gehört<br />
auch der ehemalige Kriegsberichterstatter<br />
John Anselm. Er ist<br />
traumatisiert: 1993 war er über<br />
ein Jahr <strong>als</strong> Geisel von Islamisten<br />
in Beirut festgehalten worden.<br />
Seine Knochen sind kaputt und<br />
sein Gedächtnis funktioniert nur<br />
noch bruchstückhaft.<br />
Während er sich in der Schutzzone<br />
seines bürgerlichen Elternhauses<br />
(glänzend die Darstellung<br />
<strong>des</strong> hamburgischen Ambientes!<br />
Temple hat ein paar Jahre<br />
an der Alster gelebt) berappelt<br />
und seinen Erinnerungen mithilfe<br />
einer zunächst zurückgewiesenen<br />
Therapeutin auf die Spur zu kommen sucht, verwickeln<br />
sich die Handlungsstränge. Wird Niemand überleben? Wird Anselm<br />
verstehen? Zwei Fragen, auf die Temple, Spannungs- und<br />
Analysekünstler gleichermaßen, die Kollaboration von US-Politik,<br />
Nachrichten-Industrie und militärisch-industriellem Komplex<br />
fokussiert. „Tage <strong>des</strong> Bösen“: Anwärter auf einen der besten<br />
Krimis <strong>des</strong> Jahres. �<br />
^ Tobias Gohlis ist Sprecher der KrimiZeit-Besten liste<br />
(www.arte.tv/krimiwelt).<br />
Peter Temple: Tage <strong>des</strong> Bösen. Übersetzt von Sigrun Zühlke.<br />
C. Bertelsmann, 432 S., 14,99 € (D) • 15,50 € (A) • 21,90 sFr.<br />
38<br />
Tobias Gohlis<br />
buchjournal 3_2012<br />
© Marco Grundt