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Gesamtes Livebook als PDF - Börsenblatt des deutschen ...

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WESTERMANNS WELT<br />

An das Bücherlesen wurde Christine Westermann von ihrem Vater herangeführt.<br />

Er hat seine Bücher stets sorgsam behandelt – ganz anders <strong>als</strong> die Tochter, die sich<br />

für den leidenschaftlichen Umgang entschieden hat.<br />

Wie geht man mit<br />

einem Buch um?<br />

B uchhändler<br />

sind wie gute Freunde. Ihre Ratschläge sind mir<br />

wichtig: „Lesen Sie das mal, ich glaube, es könnte Ihnen gefallen.“<br />

Bei jedem anderen würde ich solch plumpe Vertraulichkeit<br />

ablehnen, bei einem Buchhändler freue ich mich. Die Frage<br />

ist nur, ob ich auch ein guter Freund der Bücher bin. Denn wie<br />

geht man mit einem Buch um?<br />

Für mich gibt es nur zwei Möglichkeiten: sorgsam oder leidenschaftlich.<br />

Ich habe mich für leidenschaftlich entschieden. Was<br />

im Klartext heißt: Ich knicke ein Buch auch schon mal in der Mitte,<br />

damit ich es gut in der Hand halten kann. Ich biege es mir zurecht,<br />

was einen Zuhörer bei einer Lesung mal an den Rand eines<br />

Herzkaspers gebracht hat.<br />

Mir kommt ein Klassenkamerad in den Sinn, ein wilder, gieriger<br />

Allesleser, <strong>des</strong>sen Bücher ihm ähnlich sahen. Leicht<br />

schmuddelig, hier und da ein Fettfleck. „Der nimmt eine Salamischeibe<br />

<strong>als</strong> Lesezeichen“, der Satz hing ihm bis zum Abitur<br />

nach.<br />

Bei mir ist es kein Aufschnitt, ich markiere Lesestellen mit Kassenbons<br />

vom Gemüseladen, mit Resten von Briefumschlägen, hin<br />

und wieder kommen mir auch mal ne Bordkarte oder ein Bahnticket<br />

entgegen. Bleistiftstriche und Eselsohren sind unerlässlich,<br />

falls ich eine Zeile wiederfinden will, die ich besonders gelungen<br />

fand. Im Englischen sagt man „dog ears“, was ich viel<br />

passender und auch klüger finde. Hundeohren – immer hübsch<br />

aufgestellt, aufmerksam, neugierig, wissen wollend.<br />

Mein Vater hat mich an das Bücherlesen herangeführt. Ein<br />

Buch, das er mir gab, <strong>als</strong> ich knapp 13 war, hieß „André und Ursula“,<br />

ein Buch über die verbotene Liebe zwischen einer Deutschen<br />

und einem Franzosen im Ersten Weltkrieg. Der Roman ist ihm<br />

sichtlich nahegegangen. Immer wieder waren Zeilen im Buch<br />

sorgfältig mit dem Lineal unterstrichen, daneben kleine Anmerkungen<br />

wie „genau“ oder „Clermont, der Wald “ oder „um Mitternacht“.<br />

Mein Vater war in ebendiesem Krieg verwundet worden.<br />

Jahre später las ich aus seiner Bibliothek „Statist auf diplomatischer<br />

Bühne“, die Aufzeichnungen von Hitlers Chefdolmetscher.<br />

Auch hier hatte er seine Kommentare an den Rand geschrieben,<br />

er hat diese Zeit beim Lesen noch einmal durchlebt<br />

»Bleistiftstriche und<br />

Eselsohren sind unerlässlich«<br />

und durchlitten, er saß wegen seines Widerstands gegen die Nazis<br />

im Zuchthaus.<br />

Blättere ich heute in seinen Büchern, ist es, <strong>als</strong> seien sie ein<br />

Stück von ihm.<br />

Er hat sie sorgsam behandelt, mit stiller Leidenschaft. Auch<br />

mich begleiten Bücher durch mein Leben, aber meine Leidenschaft<br />

ist wohl eher laut, von mehr Radau begleitet.<br />

Die Buchhändler meines Vertrauens wissen nicht von meiner<br />

Rau-aber-herzlich-(Buch-)Seite. Man muss seinen Freunden ja<br />

auch nicht alles erzählen. �<br />

^ Christine Westermann ist Fernseh- und Radiojournalistin und Autorin.<br />

Sie moderiert die Sendung „Montalk“ im WDR-Radio und gemeinsam<br />

mit Götz Alsmann die TV-Sendung „Zimmer frei!“. 2010 wurde<br />

Christine Westermann mit dem Deutschen Radiopreis ausgezeichnet.<br />

16<br />

buchjournal 3_2012<br />

© Gustav Kuhweide

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