Neurobiologie der Stressverarbeitung. Konsequenzen für die Praxis ...
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<strong>Neurobiologie</strong> <strong>der</strong> <strong>Stressverarbeitung</strong><br />
<strong>Konsequenzen</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Praxis</strong> <strong>der</strong><br />
Krisenintervention<br />
Eva Irle, Claudia Lange, UMG<br />
Godehard Weniger, Burghölzli Zürich<br />
Ulrich Sachsse, Asklepios Fachklinikum <strong>für</strong><br />
Psychiatrie und Psychotherapie Göttingen<br />
Krisenintervention: Zielgruppen–Orte–Methoden<br />
35 Jahre Kriseninterventionszentrum Wien<br />
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Donnerstag, 29. November 2012<br />
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Nicht jede Krise wird zum Trauma<br />
Was ist eigentlich ein Trauma?<br />
Nicht jede Krise, nicht einmal jede<br />
Lebensgefahr ist ein Trauma!<br />
Krise und Lebensgefahr sind eine<br />
Herausfor<strong>der</strong>ung an unsere Stress-<br />
Bewältigungssysteme<br />
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309.81 DSM-IV Kriterium A 1<br />
<strong>für</strong> Posttraumatische Belastungsstörung<br />
• A. Die Person wurde mit einem traumatischen<br />
Ereignis konfrontiert, bei dem <strong>die</strong> beiden<br />
folgenden Kriterien vorhanden waren:<br />
• (1) <strong>die</strong> Person erlebte, beobachtete o<strong>der</strong> war<br />
mit einem o<strong>der</strong> mehreren Ereignissen<br />
konfrontiert, <strong>die</strong> tatsächlichen o<strong>der</strong><br />
drohenden Tod o<strong>der</strong> ernsthafte Verletzung<br />
o<strong>der</strong> eine Gefahr <strong>der</strong> körperlichen<br />
Unversehrtheit <strong>der</strong> eigenen Person o<strong>der</strong><br />
an<strong>der</strong>er Personen beinhalteten<br />
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309.81 DSM-IV Kriterium A 2<br />
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<strong>für</strong> PTBS<br />
• (2) <strong>die</strong><br />
Reaktion <strong>der</strong><br />
Person<br />
umfaßte<br />
intensive<br />
Furcht,<br />
Hilflosigkeit<br />
o<strong>der</strong><br />
Entsetzen.<br />
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Peritraumatische<br />
Informationsabspeicherung<br />
• Direkte Informationsabspeicherung in <strong>der</strong><br />
Amygdala und in an<strong>der</strong>en Regionen des<br />
limbischen Systems:<br />
• Bildfetzen, Standbil<strong>der</strong>, kurze Videos,<br />
Sätze, Stimmen, Geräusche, Gerüche<br />
• Aktivierung des Priming-Gedächtnisses:<br />
ist so ähnlich, also: Gefahr!<br />
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„Sensibilisierung“<br />
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Bindungs-System =<br />
Anxiolyticum, Antidepressivum<br />
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Traumaverarbeitung durch das<br />
Soziale Unterstützungssystem<br />
• Intrusionen zulassen<br />
• Immer wie<strong>der</strong> drüber reden lassen, aber nicht<br />
ausfragen o<strong>der</strong> „ausquetschen“; auch schweigen<br />
lassen<br />
• Akzeptieren mit ungeteilter Loyalität „Du hast recht,<br />
das war Unrecht, Dich trifft keine Schuld, das hast Du<br />
nicht ver<strong>die</strong>nt“ – Kritik kommt später<br />
• Gleichzeitig beruhigen „Es ist vorbei“ „Jetzt bist Du<br />
sicher“ „Alles wird wie<strong>der</strong> gut“<br />
• Sicherheit geben <strong>für</strong> sicheren Schlaf<br />
• Verträumen, bei Albträumen beruhigen<br />
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Wenn ein Trauma nicht<br />
innerhalb von 4 bis 6 Monaten<br />
verarbeitet ist, war das Soziale<br />
Unterstützungssystem<br />
überfor<strong>der</strong>t<br />
In <strong>die</strong>ser Zeit werden 85 bis 90 %<br />
aller Monotraumata verarbeitet<br />
und integriert<br />
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„Desensibilisierung“<br />
Das sensibilisierte Stress-<br />
Verarbeitungssystem muss<br />
desensibilisiert werden<br />
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Aus unerträglichen und<br />
unkontrollierten<br />
Intrusionen und Flashbacks<br />
sollen erträgliche und<br />
kontrollierbare Erinnerungen<br />
werden<br />
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Psychodynamische Probleme<br />
• Verstärkung bereitliegen<strong>der</strong><br />
Familiendynamik<br />
• Verstärkung bereitliegen<strong>der</strong><br />
psychodynamischer, innerer Probleme<br />
bzw. negativer Glaubensüberzeugungen<br />
Chronifizierung im dynamischen Kontext<br />
wie Essstörung, Migräne, Schmerz u. a.<br />
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Trauma-<br />
tisierende<br />
Familien<br />
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Trauma =<br />
• Trauma im Sinne des DSM und ICD:<br />
Lebensgefährliche Situation, verbunden<br />
mit Entsetzen und Hilflosigkeit<br />
• Bindungstrauma / Beziehungstrauma<br />
Attachement-Trauma / Relational Trauma<br />
(Allan Schore)<br />
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Design<br />
• 30, inzwischen 40 weibliche<br />
kPTBS/BPS-Patientinnen mit CSA / CPA<br />
• 25 Kontrollen<br />
• SCID-I, SCID-II, SCID-D, DIB<br />
• DES/FDS, IES-R, TAQ, BDI, SCL-90-R,<br />
BPI<br />
• Neuropsychologische Tests<br />
• 3D-MRI<br />
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Kleinere<br />
Hippocampus<br />
Volumina<br />
Links und<br />
Rechts bei<br />
kPTBS<br />
Karl A, Schaefer M, Malta LS,<br />
Därfel D, Rohle<strong>der</strong> N, Werner A.<br />
A meta-analysis of structural<br />
brain abnormalities in PTSD.<br />
Neurosci Biobehav Rev<br />
2006;30:1004–1031.<br />
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Trauma-bezogene Symptome<br />
und Hippocampus Volumen<br />
• Mehr Intrusionen (IES-R) – geringeres Hippocampus<br />
Volumen rechts (r=-.56; p=.003)<br />
• Mehr Hyperarousal (IES-R) – geringeres Hippocampus<br />
Volumen: links (r=-.39; p=.047) und rechts (r=-.44;<br />
p=.026)<br />
• Längere Dauer <strong>der</strong> PTBS-Symptome – geringeres linkes<br />
Hippocampus Volumen (r=-.54; p=.002)<br />
• Anke Karl, Andreas Maercker et al.2006: Meta-Analyse<br />
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Neglect (Vernachlässigung)<br />
und Hippocampus Volumen<br />
• Erheblichere Vernachlässigung (TAQ) während<br />
Kindheit und Adolescenz – geringeres<br />
Hippocampus Volumen links (rs=-.57; p=.002)<br />
und rechts (rs=-.43; p=.024)<br />
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Aktueller Diskussionsstand<br />
• Häufige Zustände über mehr als zehn Jahre mit<br />
Intrusionen, Flashbacks, Übererregung<br />
(hyperarousal) führen zu verringertem<br />
Hippocampus- (und Amygdala-)Volumen<br />
• Es gibt genetisch bedingte Hippocampus-<br />
Verkleinerungen<br />
• Es gibt viele an<strong>der</strong>e Stress-Faktoren, <strong>die</strong> den<br />
Hippocampus verkleinern<br />
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FDG-PET: Max Planck Institute For<br />
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Neurological Research Köln<br />
• Sample: 17 Frauen mit BPS und<br />
CSA/CPA<br />
• 10 gesunde Frauen<br />
• „Ruhe-PET“<br />
• IR 15/8 <strong>der</strong> DFG<br />
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Ergebnisse<br />
• Reduzierter Glucose-Metabolismus in rechtsseitigen<br />
ventromedialen Cortex-Regionen des<br />
Temporal-Lappens und links-seitigen Cortex-<br />
Regionen des medialen Parietal-Lappens und<br />
des posterioren cingulären Cortex<br />
• Gedächtnis-Leistungen (WMS-R) waren unter<br />
den BPS-Patientinnen signifikant korreliert mit<br />
<strong>der</strong> metabolischen Aktivität<br />
• Das Episodische Gedächtnis war beeinträchtigt<br />
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Precuneus<br />
• Hat <strong>die</strong> höchste Ruhe-Perfusionsrate im<br />
menschlichen Cortex (Gusnard and<br />
Raichle, 2001)<br />
• Tonisch aktiv. Ermöglicht so eine<br />
konstante, stabile und einheitliche<br />
Perspektive des Organismus in Beziehung<br />
zu seiner Umwelt<br />
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• Aktiviert während<br />
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Precuneus<br />
• - Imaginationen eigener Aktionen o<strong>der</strong><br />
Bewegungen<br />
• - Handlungen, <strong>die</strong> Introspektion, Selbst-<br />
Bewertung, Reflektion <strong>der</strong> eigenen<br />
Persönlichkeit und des eigenen mentalen<br />
Zustandes erfor<strong>der</strong>n<br />
• Review: Cavanna and Trimble, 2006<br />
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Precuneus<br />
• Herabgesetzte Aktivität während<br />
• - Meditation<br />
• - Hypnose<br />
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Precuneus<br />
• Reduzierte Größe bei BPS (unsere Stu<strong>die</strong>)<br />
• Reduzierter Ruhe-Glucose Metabolismus bei BPS<br />
(unsere Stu<strong>die</strong>)<br />
• Niedrigere Aktivität als Antwort bei Schmerz bei<br />
BPS (Schmahl et al, 2006)<br />
• Reduzierte Größe und reduzierter Ruhe-Glucose-<br />
Metabolismus sind Aspekte bei BPS<br />
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Precuneus<br />
• Die Dissociative Symptom-Belastung bei<br />
Menschen mit Depersonalisation ist korreliert<br />
mit erhöhter metabolischer Aktivität (Simeon et<br />
al 2000)<br />
• Trauma-bezogene dissociative Zustände<br />
(states) von Menschen mit PTBS nach CSA sind<br />
korreliert mit erhöhter Aktivität (Lanius et al<br />
2002, 2005)<br />
• Positive Korrelation zwischen <strong>der</strong> Precuneus-<br />
Größe rechts und Depersonalisation (unsere<br />
Stu<strong>die</strong>)<br />
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Dissociation, Trauma, PTSD<br />
• Wir konnten keine signifikanten<br />
Beziehungen und Korrelationen finden<br />
zwischen Trauma-bezogenen Variablen<br />
und Volumenverän<strong>der</strong>ungen des<br />
Precuneus, des postcentralen Gyrus und<br />
des inferioren parietalen Cortex<br />
• Verän<strong>der</strong>ungen des parietalen Cortex<br />
scheinen Aspekte zu sein <strong>der</strong> BPS, DA,<br />
DIS, Depersonalisation o<strong>der</strong> von<br />
psychosenahen Symptomen<br />
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Schlussfolgerungen <strong>für</strong> <strong>die</strong> Therapie<br />
• Langjährige Krankheitsphasen mit häufigem<br />
Hyperarousal, Intrusionen und Flashbacks führen zu<br />
Hirnschäden im Bereich Hippocampus, eventuell auch<br />
Amygdala, und bedürfen zwingend einer Therapie<br />
• Eine Dissoziativität, <strong>die</strong> Hyperarousal verhin<strong>der</strong>t, kann<br />
möglicherweise protektiv <strong>für</strong> <strong>die</strong>se Hirnregionen<br />
wirken. Dann darf <strong>die</strong> Dissoziativität nur verringert<br />
werden, wenn mit <strong>der</strong> resultierenden Intrusivität<br />
erfolgreich umgegangen werden kann<br />
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Zeit heilt nicht alle Wunden<br />
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"Results of psychodynamically oriented traumafocused<br />
inpatient treatment for women with<br />
complex posttraumatic stress disor<strong>der</strong> (PTSD)<br />
and bor<strong>der</strong>line personality disor<strong>der</strong> (BPD)."<br />
(2006)<br />
Bulletin of the Menninger Clinic 70(2): 125-144.<br />
Falk Leichsenring – Christina Vogel –<br />
Ulrich Sachsse, Göttingen<br />
„Hamburger Preis Persönlichkeitsstörungen 2006“<br />
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Ich habe mich ferner daran gewöhnt, <strong>die</strong><br />
Anwendung <strong>der</strong> kathartischen Psychotherapie<br />
mit einer Liegekur (Silas Weir-Mitchell: rest cure)<br />
zu verbinden, <strong>die</strong> nach Bedürfnis zur vollen Weir-<br />
Mitchellschen Mastkur ausgestaltet wird. Ich<br />
habe dabei den Vorteil, daß ich so einerseits <strong>die</strong><br />
während einer Psychotherapie sehr störende<br />
Einmengung neuer psychischer Eindrücke<br />
vermeide, an<strong>der</strong>erseits <strong>die</strong> Langeweile <strong>der</strong><br />
Mastkur, in <strong>der</strong> <strong>die</strong> Kranken nicht selten in ein<br />
schädliches Träumen verfallen, ausschließe. …<br />
…man erreicht durch solche Kombination <strong>der</strong><br />
Breuerschen mit <strong>der</strong> Weir-Mitchellschen<br />
Therapie alle körperliche Aufbesserung, <strong>die</strong> man<br />
von letzterer erwartet, und so weitgehende<br />
psychische Beeinflussung, wie sie ohne<br />
Psychotherapie bei <strong>der</strong> Ruhekur niemals<br />
zustande kommt.<br />
S. Freud: Stu<strong>die</strong>n über Hysterie<br />
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