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Barlach-Dramen_Ueber.. - Peter Godzik

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Seinem Widerspruchswesen treu, hat <strong>Barlach</strong> der Illusionslosigkeit eine Hoffnung<br />

entgegengesetzt. Wandel kann nur Sinn ergeben, wenn die bloÅe „FraÅ-, Raff- und<br />

Habegerechtigkeit“ (An Bruder Hans 1922) Çberwunden wird. An Calan wÑchst die<br />

SchÖpfung, weil er nicht alles Gute von oben erwartet, sondern von sich selbst. Ver-<br />

Ñnderung ist nur mÖglich, wenn Menschen sich verantwortlich fÇhlen fÇr sich selbst<br />

und fÇr den Zustand der Welt. So lange eine Chance besteht, Verantwortung abzuschieben,<br />

Ñndern gesellschaftliche VerÑnderungen nichts an der Natur des Menschen.<br />

Dem PortrÑt der Honoratiorengesellschaft in den „Echten Sedemunds“ setzt<br />

<strong>Barlach</strong> in allen spÑteren <strong>Dramen</strong> Gestalten entgegen, die den Mut zum Widerstand<br />

gegen die aufgrund geltenden Rechts herrschende Gewalt entwickeln.<br />

Dieser Mut wÑchst aus einem autonomen Gewissen. Im „Graf von Ratzeburg“ wird<br />

es das „Wissen“ genannt, das „sich selbst gehorcht“, das „alles Sein“ ausmacht. Vergeblich<br />

sehnt sich der christliche Asket Hilarion nach Heinrichs „Wissen“, das „ohne<br />

Furcht“ ist. Vergeblich, weil diese Furchtlosigkeit identisch ist mit einem Sein, fÇr das<br />

alle „Geltungen“ ungÇltig sind, also auch die des Alten und Neuen Testaments. Solcher<br />

Freiheit zeigt Hilarion sich nicht gewachsen: „Wozu der Freiheit, der ich nicht<br />

bedarf! Nicht gleich, niedrig wÇnsche ich zu sein, das HÇndchen seines Herrn,<br />

durchdrungen von gebenedeiter Demut, lustvoll im Aufblick aus der Verworfenheit<br />

zur Gnade.“ Heinrichs oft zitierte SÑtze „Ich habe keinen Gott. Aber Gott hat mich.“<br />

setzen in Wahrheit die kaum vorstellbare UnabhÑngigkeit von menschlicher Furcht<br />

um Leib und Leben voraus. „Gott“ – das ist fÇr <strong>Barlach</strong> schon in seinem ersten Drama,<br />

„Der tote Tag“, der Zusammenhang, in dem wir existieren, der Kosmos, das<br />

Prinzip, das weiterwirkend sich wandelt. Es ist die Dimension, die er dem Menschen<br />

und seiner Verantwortung fÇr das Sein zumiÅt. Im „Gestohlenen Mond“, geschrieben<br />

1936/37, im Garten vergraben vor den Nazis, autobiographisch wie sein Gesamtwerk,<br />

zieht <strong>Barlach</strong> diese Konsequenz fÇr sich selbst. In einem Alptraum erkennt er,<br />

daÅ es sein eigener Schatten ist, der den Mond verfinstert, die eigene Existenz, die<br />

Licht, Helle und Wahrheit verdeckt. Mit solchem von <strong>Barlach</strong> her entwickeltem Ansatz<br />

wollte Ulrich Gerhard unlÑngst in Bochum den „Toten Tag“ inszenieren. Er hatte zusammen<br />

mit Susanne Raschig SpielflÑchen und RaumlÖsungen entwickelt, mit denen<br />

die mystisch-heillose Ausgesetztheit der menschlichen Wesen in die planetarische<br />

Dimension gerÇckt werden sollte. Aber er konnte den Schauspieler Wolf Redl,<br />

der als Kule besetzt war, nicht davon Çberzeugen, daÅ das StÇck den Innenraum<br />

nicht braucht. Wolf Redl hat dann am Schauspielhaus Bochum die Regie und die<br />

BÇhnengestaltung Çbernommen und mit der ersten WiederauffÇhrung des Werkes an<br />

einem wichtigen Theater seit mehr als einem halben Jahrhundert das uralte <strong>Barlach</strong>-<br />

Klischee bedient. Selbst jedes Scheitern des Versuchs von Gerhard, hat Redl bewiesen,<br />

wÑre sinnvoller gewesen.<br />

Redl hat sein VerstÑndnis von <strong>Barlach</strong>s „Toten Tag“ durch den Graphiker <strong>Barlach</strong><br />

beglaubigen wollen. Er hat so etwas wie eine szenische Tautologie zu den berÇhmten<br />

Steinzeichnungen hergestellt, die vor 70 Jahren Henry Moore beeinfluÅt haben.<br />

Sogar SteiÅbart, das unsichtbare Geistwesen, das die egomanisch Blut und Boden<br />

verhaftete Mutter nicht sehen kann, also auch der Zuschauer nicht, hat Redl als<br />

Gnom im schwarzen Zottelfell unter dumpf drÑuendem GebÑlk Çber die BÇhne krauchen<br />

lassen. Trostlos nÖlte Kule im dunklen BÇÅereckchen vor sich hin - wie blinde<br />

Seher mit Wanderstab und dem Wissen um Leid und Freiheit das so an sich haben -,<br />

und die letzten 25 Jahre Theatergeschichte, in denen sich die Kunst entwickelt hat,<br />

auf der BÇhne sichtbar zu machen, was hinter den Worten steckt, waren wie nicht<br />

gewesen. So wurde <strong>Barlach</strong>, der seiner Zeit weit voraus war, die Gegenwart verweigert,<br />

die seine Zukunft war. DaÅ man <strong>Barlach</strong>s Zeichnungen zu seinen <strong>Dramen</strong> betrachten<br />

und dennoch inspiriert werden kann, hat Rolf Winkelgrunds Inszenierung<br />

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