Barlach-Dramen_Ueber.. - Peter Godzik

Barlach-Dramen_Ueber.. - Peter Godzik Barlach-Dramen_Ueber.. - Peter Godzik

06.02.2013 Aufrufe

dergutmachungsbeflissen fÇhrte man Barlachs StÇck „Die SÇndflut“ auf – in krasser Verkehrung seiner Intention. Noah war ja das Portrait des autoritÑtsbedÇrftigen Menschen, der sich einen Gott nach seinem Bilde gemacht hat, der es fÇr ganz normal hÑlt, daÅ die Ausrottung den andern zugedacht ist; und falls da Schuld sein sollte, wenn nun alles unterging, dann konnte sie nur von oben kommen: er hatte immer getan, was angesagt war. Was fÇr ein StÇck zu jener Zeit! Welche Chance, zu begreifen, daÅ Wandel nur mÖglich ist, wenn Verantwortung nicht abgeschoben wird! Stattdessen schlugen die Çberlebenden Noahs sich an die Brust, daÅ sie das Erste Gebot Çbertreten hatten, und sahen bekÇmmert ein, daÅ der Herr der Heerscharen das nicht ungestraft lassen konnte, zumal er es im Religionsunterricht deutlich vorher gesagt hatte. Mit demselben Instinkt dafÇr, daÅ nicht sein kann, was nicht sein darf, hat man Barlachs „Findling“ gar nicht erst aufgefÇhrt. EmpÖrend, wollte man das StÇck wÖrtlich verstehen: Da soll durch eine Abendmahlshandlung, in der Menschenfleisch ausgeteilt wird, der religiÖs verbrÑmte Zusammenhang zwischen Biedersinn und BestialitÑt suggeriert werden. Da verkÇndet einer, wie ihm die wahre Welt erschienen ist: „Der Heiland stand in unserer vÑterlichen Gartenlaube am weiÅ gedeckten Tisch und schÑrfte unser altes Bratenmesser, schnitt Scheiben von der Kalbskeule und sah aus wie mein GroÅvater.“ Und – nicht genug der Blasphemien – da wird das Vaterunser gebetet, wie Barlach es wohl fÇr menschlicher hÑlt: „FÇhre uns fleiÅig zum Versuch guter GetrÑnke/ Und sende ErlÖsung uns von Çbler Verdauung/ Denn dein ist der Bereich und die Kraft und die Herrlichkeit/ Der ewigen GefrÑÅigkeit.“ Das kann der Barlach doch alles gar nicht so gemeint haben! Wahrscheinlich ist das im Çbertragenen Sinn zu verstehen, irgendwie mystisch oder so. Man muÅ ja nicht alles auf die BÇhne bringen. WomÖglich wird so was noch ernstgenommen ... Bis heute mÖchte man nicht wahrhaben, daÅ Barlach kein Schuld-und-SÇhne-Dramatiker ist. Auch seine Bettler und Frierenden halten nicht um Almosen die arme Christenhand auf, weil das schlechte Gewissen der Gesunden und Wohlhabenden geÑtzt werden muÅ. Es ging ihm um die geschundene Kreatur. „Im Menschenleben werden wir schlimmer zugerichtet als EisbÑren, Kondoren, Affen und LÖwen“ („Seespeck“, Romanfragment). Den Menschen hielt er fÇr einen fehlgeschlagenen Versuch der Natur. DaÅ Gut und BÑse menschliche Kategorien sind, war ihm eine Binsenweisheit. Die Vorstellung von einem persÖnlichen Gott hielt er fÇr absurd. Er war unorthodox als Mensch wie als KÇnstler. Unter den BÇrgern lebte er wie ein Fremder. Ihre satanische WohlanstÑndigkeit kannte er bis auf den Grund. Und er fÇhlte doch selbst bÇrgerlich bis in die Knochen. „Im allgemeinen halte ich mich fÇr einen hoffnungslosen ReaktionÑr, aber mit dem trÖstlichen GefÇhl zwischendurch, das Gegenteil zu sein“ (1916 an Julius Cohen). Barlach lÑÅt sich gut gegen Barlach zitieren. Der Reichtum seines Werks ist Vieldeutigkeit. Wie sein Leben ist sein Werk vom Widerspruch beherrscht. „Sie gehen einem groÅen Erlebnis entgegen, das alles BÇrgertum Çbertrifft“, notierte er im „GÇstrower Tagebuch“ 1915 Çber einen Truppentransport nach Osten. Dann wurde er zum SchÖpfer der Gefallenenmale, die Friedensmale sind. Die Plastik sei doch sein „Wichtigstes geworden“, meinte er 1920 zu seinem Vetter Karl: „Wenn ich mich schon wichtig machen will, womit zunÑchst als mit Plastik?“ Aber Çber seine dramatischen Arbeiten schrieb er: „Das ist am Ende meine triebmÑÅig sicherste Begabung“ (An Adolf Schinnerer 1909). Er hat sich der Theaterfremdheit bezichtigt. Das wurde in Programmheften gern abgedruckt: RÇckversicherung, falls die Inszenierung schiefgeht, und Trost fÇr die Zuschauer. Aber er meinte den Theaterbetrieb: „Meistens habe ich erfahren, daÅ man ein feierlich-langweiliges Getue zuwege brachte“ (1933 an Wilfried Hennig). „Was weiÅ ich HinterwÑldler vom Theater“, fÑngt er listig einen Brief 52

an und beweist dann das Gegenteil: „Doch zerbreche ich mir manchmal den Kopf darÇber, in welchem VerhÑltnis die menschliche Figur mit ihrem menschlichen Ton aus dem naturgroÅen Munde, mit ihrer nicht grÖÅer als gewachsenen Nase im Gesicht, zum umgebenden BÇhnenbild stehen muÅ“ (11.12.1918). – Ein Vergleich zwischen dem FrÇhwerk und dem SpÑtwerk des Bildhauers Barlach mit dem FrÇhwerk und SpÑtwerk des Schriftstellers Barlach zeigt, daÅ Barlachs Sprachstil wesentlich frÇher ausgeprÑgt und unverwechselbar war. Schon in der ersten Prosa personifiziert er nicht nur áberzeugungen und GefÇhle; er macht die Elemente zu Gestalten, die Steine reden ihm. Seine Sprache ist deftig-konkret und zugleich umstÑndlich-genau. Er war unfÑhig, das ihn Umgebende in einfachen AussagesÑtzen auf den nicht vorhandenen Punkt zu bringen. Er empfand die „UngehÖrigkeiten, die im Bestand der Dinge allzu sicher hausten“, sah die trÑnenvolle Seele „im Morast ihrer abgrÇndigen Problemlosigkeit“ („Der gestohlene Mond“, Romanfragment), hÖrte, „was das Stillschweigen im Versteck der Worte flÇstert“ („Der tote Tag“). Diese Sprache verweigert sich einer Indienstnahme auÅerhalb dessen, was sie zum Ausdruck bringt, politisch und Ñsthetisch. Und der FlÇchtigkeit entdeckt sie sich nicht. Die WidersprÇche seines Wesens hat Barlach auf der BÇhne zu Gestalten gemacht und die Erfahrung der Widersinnigkeit menschlichen Strebens zum Thema: „Ob Çberhaupt irgendwo ein Ich ist, das weiÅ, was los ist? Was der ganze materiellgeistig-seelische GÑrungsprozeÅ bedeutet?“ Seine zwanghafte BeschÑftigung mit dem Drang nach HÖherem hat Barlach immer auch mit Humor quittiert und sich und sein Dauerthema im „Blauen Boll“ grÇndlich auf den Arm genommen. Da schaltet er mit Himmel und HÖlle wie Goethe im „Faust“, und auch seinem ewig Strebenden wird das ersehnte Werden zum sauren MÇssen. „Teufel und Gott sind eins. Eins ist Zwei also“ („Theodor DÑubler“, Prosaschrift). Die BÇhne, mithin, ist das ideale Medium fÇr Barlach. Der Witz, daÅ Boll nicht Mephisto braucht, um zu wissen, was die Welt im Innersten zusammenhÑlt, und gleich da hinmarschiert, wo Grete ist und die Chance zur Reserve-ErlÖsung obendrein, daÅ aber Grete die ErlÖsung vom Teufel in der HÖlle besorgt wird, wodurch ihre Kinder gerettet werden – und was dergleichen handfeste Verdrehungen des Kulturguts mehr sind, muÅ sogar einem Regisseur wie Hans Bauer entgangen sein. In seiner DarmstÑdter Inszenierung, 1966, war das 6. Bild, die HÖlle, gestrichen. Die AuffÇhrungsgeschichte von Barlachs Dramen ist auch eine Geschichte der Humorlosigkeit. Wo die Bibel im Spiel ist, oder Goethes „Faust“, da hÖrt offenbar auch fÇr deutsche Theaterleute der SpaÅ auf. „Ich bin also viel bockbeiniger, als recht wÑre“ (An J. Cohen, 1916). „Eins ist Zwei also“, heiÅt: Gut und BÖse sind eins. Die Kategorien sind austauschbar. „Ich bin ein Spieler von Profession“, lautet die erste Zeile des Gedichts „Zu einem Selbstbildnis“. Paul Siebenmark im „Armen Vetter“ ist eine MÖglichkeit von Hans lver; Wahl im nachgelassenen Roman „Der gestohlene Mond“ die andere MÖglichkeit von Wau. Barlachs Fragen, auf daÅ Antworten abfielen, galt deshalb dem Werden, dem Wandel, dem „Leben als FreÅprozeÅ, als Verwandlungs- und Verdauungswunder“ („Die echten Sedemunds“), der „Geschichte von der freudigeren Weltanschauung infolge eines guten FrÇhstÇcks“ (An Piper 1923), der Liebe, die in KÇche und Kirche durch den Magen geht, und vor allem natÇrlich dem Drang Çber sich hinaus: „Mit den Wolken, den Winden, den KÑfern, den Raben, dem GrÇn der Felder und WÑlder ganz eins sein kÖnnen!“ (An Piper 1922). Als Noahs Widersacher Calan in der „SÇndflut“ von Erde, Wasser und Ratten nicht mehr zu unterscheiden ist, erkennt er Gott als das Prinzip, das schafft und vom Geschaffenen neu geschaffen wird: „An mir wÑchst Gott und wandelt sich weiter mit mir zu Neuem!“ Wandel und Werden als Stoffwechsel: Man muÅ ihre BestialitÑt ins Auge fassen, wenn man die Welt verÑndern will. 53

an und beweist dann das Gegenteil: „Doch zerbreche ich mir manchmal den Kopf<br />

darÇber, in welchem VerhÑltnis die menschliche Figur mit ihrem menschlichen Ton<br />

aus dem naturgroÅen Munde, mit ihrer nicht grÖÅer als gewachsenen Nase im Gesicht,<br />

zum umgebenden BÇhnenbild stehen muÅ“ (11.12.1918). – Ein Vergleich zwischen<br />

dem FrÇhwerk und dem SpÑtwerk des Bildhauers <strong>Barlach</strong> mit dem FrÇhwerk<br />

und SpÑtwerk des Schriftstellers <strong>Barlach</strong> zeigt, daÅ <strong>Barlach</strong>s Sprachstil wesentlich<br />

frÇher ausgeprÑgt und unverwechselbar war. Schon in der ersten Prosa personifiziert<br />

er nicht nur áberzeugungen und GefÇhle; er macht die Elemente zu Gestalten, die<br />

Steine reden ihm. Seine Sprache ist deftig-konkret und zugleich umstÑndlich-genau.<br />

Er war unfÑhig, das ihn Umgebende in einfachen AussagesÑtzen auf den nicht vorhandenen<br />

Punkt zu bringen. Er empfand die „UngehÖrigkeiten, die im Bestand der<br />

Dinge allzu sicher hausten“, sah die trÑnenvolle Seele „im Morast ihrer abgrÇndigen<br />

Problemlosigkeit“ („Der gestohlene Mond“, Romanfragment), hÖrte, „was das Stillschweigen<br />

im Versteck der Worte flÇstert“ („Der tote Tag“). Diese Sprache verweigert<br />

sich einer Indienstnahme auÅerhalb dessen, was sie zum Ausdruck bringt, politisch<br />

und Ñsthetisch. Und der FlÇchtigkeit entdeckt sie sich nicht.<br />

Die WidersprÇche seines Wesens hat <strong>Barlach</strong> auf der BÇhne zu Gestalten gemacht<br />

und die Erfahrung der Widersinnigkeit menschlichen Strebens zum Thema: „Ob<br />

Çberhaupt irgendwo ein Ich ist, das weiÅ, was los ist? Was der ganze materiellgeistig-seelische<br />

GÑrungsprozeÅ bedeutet?“ Seine zwanghafte BeschÑftigung mit<br />

dem Drang nach HÖherem hat <strong>Barlach</strong> immer auch mit Humor quittiert und sich und<br />

sein Dauerthema im „Blauen Boll“ grÇndlich auf den Arm genommen. Da schaltet er<br />

mit Himmel und HÖlle wie Goethe im „Faust“, und auch seinem ewig Strebenden wird<br />

das ersehnte Werden zum sauren MÇssen. „Teufel und Gott sind eins. Eins ist Zwei<br />

also“ („Theodor DÑubler“, Prosaschrift). Die BÇhne, mithin, ist das ideale Medium fÇr<br />

<strong>Barlach</strong>. Der Witz, daÅ Boll nicht Mephisto braucht, um zu wissen, was die Welt im<br />

Innersten zusammenhÑlt, und gleich da hinmarschiert, wo Grete ist und die Chance<br />

zur Reserve-ErlÖsung obendrein, daÅ aber Grete die ErlÖsung vom Teufel in der HÖlle<br />

besorgt wird, wodurch ihre Kinder gerettet werden – und was dergleichen handfeste<br />

Verdrehungen des Kulturguts mehr sind, muÅ sogar einem Regisseur wie Hans<br />

Bauer entgangen sein. In seiner DarmstÑdter Inszenierung, 1966, war das 6. Bild, die<br />

HÖlle, gestrichen. Die AuffÇhrungsgeschichte von <strong>Barlach</strong>s <strong>Dramen</strong> ist auch eine<br />

Geschichte der Humorlosigkeit. Wo die Bibel im Spiel ist, oder Goethes „Faust“, da<br />

hÖrt offenbar auch fÇr deutsche Theaterleute der SpaÅ auf. „Ich bin also viel bockbeiniger,<br />

als recht wÑre“ (An J. Cohen, 1916).<br />

„Eins ist Zwei also“, heiÅt: Gut und BÖse sind eins. Die Kategorien sind austauschbar.<br />

„Ich bin ein Spieler von Profession“, lautet die erste Zeile des Gedichts „Zu einem<br />

Selbstbildnis“. Paul Siebenmark im „Armen Vetter“ ist eine MÖglichkeit von Hans<br />

lver; Wahl im nachgelassenen Roman „Der gestohlene Mond“ die andere MÖglichkeit<br />

von Wau. <strong>Barlach</strong>s Fragen, auf daÅ Antworten abfielen, galt deshalb dem Werden,<br />

dem Wandel, dem „Leben als FreÅprozeÅ, als Verwandlungs- und Verdauungswunder“<br />

(„Die echten Sedemunds“), der „Geschichte von der freudigeren Weltanschauung<br />

infolge eines guten FrÇhstÇcks“ (An Piper 1923), der Liebe, die in KÇche und<br />

Kirche durch den Magen geht, und vor allem natÇrlich dem Drang Çber sich hinaus:<br />

„Mit den Wolken, den Winden, den KÑfern, den Raben, dem GrÇn der Felder und<br />

WÑlder ganz eins sein kÖnnen!“ (An Piper 1922). Als Noahs Widersacher Calan in<br />

der „SÇndflut“ von Erde, Wasser und Ratten nicht mehr zu unterscheiden ist, erkennt<br />

er Gott als das Prinzip, das schafft und vom Geschaffenen neu geschaffen wird: „An<br />

mir wÑchst Gott und wandelt sich weiter mit mir zu Neuem!“ Wandel und Werden als<br />

Stoffwechsel: Man muÅ ihre BestialitÑt ins Auge fassen, wenn man die Welt verÑndern<br />

will.<br />

53

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!