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Barlach-Dramen_Ueber.. - Peter Godzik

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aus mÖglich ist, sobald der Autor nur das Material fÇr sie aus genÇgend tiefen Bereichen<br />

der eigenen Seele zu holen vermag. <strong>Barlach</strong> besaÅ die Gabe; er stieg in AbgrÇnde<br />

des Elementaren hinab, die vor ihm keiner betreten hat und fand zu ihrer<br />

Fassung trotzdem nicht nur den Schrei, sondern eine Sprache, deren Melodie ebenfalls<br />

allein stand in der Welt der Zeit. Sie klingt noch heute seltsam nah im Ohr, und<br />

die Menschen, die sie tragen, stehen wie riesige Schatten unmittelbar neben uns, so<br />

daÅ wir sie nicht abrÇcken und in ihren Beziehungen zu den Nachbarn im eigenen<br />

Werk des Dichters oder gar in dem anderer betrachten kÖnnen. Es ist eine Ñhnliche<br />

Wirkung, wie sie das Werk Frank Wedekinds noch zur Zeit seines Todes Çbte; sie ist<br />

heute noch nicht ganz gewichen, und so wird auch die dramatische Dichtung <strong>Barlach</strong>s<br />

vÖllige áberschaubarkeit vielleicht erst nach einem oder mehreren Menschenaltern<br />

bekommen. Heute steht sie fÇr sich, mehr noch als das Werk des Plastikers,<br />

also daÅ man sich zuweilen fragt, ob nicht das Drama am meisten von Wesen und<br />

Substanz des ganzen Menschen <strong>Barlach</strong> empfangen habe. Die Entscheidung untersteht<br />

ebenfalls der Zukunft; wir kÖnnen nur unser Gegenwartsbild zu umreiÅen versuchen,<br />

uns bemÇhen, den Nachgeborenen etwas zu hinterlassen von der Vision,<br />

die das dichterische Werk <strong>Barlach</strong>s in den Seelen seiner Zeitgenossen wirkte. FÇr<br />

uns hat es mit der unabrÇckbaren VordergrundnÑhe seiner Menschen und DÑmonen<br />

etwas von der beÑngstigend beglÇckenden Wucht der ragenden BacksteinwÑnde<br />

von St. Georg, von St. Nikolai in Wismar, in Rostock. Wir sehen an dieser Welt empor,<br />

stehen in ihrem Schatten, bedrÇckt und aufwÑrtsgerissen zugleich und suchen<br />

vergeblich so weit zurÇckzutreten, daÅ ihre Dimensionen klein genug zu bequemer<br />

áberschaubarkeit werden. Es gelingt nicht, sie behalten ihre GrÖÅe, also daÅ wir uns<br />

zuletzt bescheiden und uns sogar dankbar bescheiden. Geschichte und die Distanz<br />

ihrer Betrachtung sind schÖn, Leben aber ist schÖner, und alle NÑhe ist Leben. Die<br />

Zukunft, die den Zugang sowohl zu den dann wohl aufgearbeiteten Tiefenschichten<br />

der Seele wie den abgerÇckten Blick Çber das Gesamtwerk haben wird, wird klÇger<br />

sein; wir aber leben noch den Ausklang des unmittelbaren, unhistorisch lebendigen<br />

Daseins mit, in das das Schicksal Ernst <strong>Barlach</strong> und uns hineingestellt hat, und sind<br />

darum, wenigstens in diesem Fall, die Reicheren.<br />

Paul Fechter, Ernst <strong>Barlach</strong> (1957), GÄtersloh: Bertelsmann Lesering 1961, S. 111-114.<br />

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