Barlach-Dramen_Ueber.. - Peter Godzik

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06.02.2013 Aufrufe

In seinen ersten drei Dramen versuchte Barlach immer wieder, in diese Ewigkeit vorzudringen, obwohl die Sprache sie direkt nicht erfassen kann. Wie erwÑhnt, machte er es sich dadurch schwer, daÅ er nicht den „Topf der Zeitlichkeit“ fÇr Blicke in die Ewigkeit benutzte, sondern ihn zerstÖrte, um damit zu zeigen, daÅ es ihm nicht auf ihn ankam. Diese ZerstÖrung zeigt sich als AuflÖsung des kausalen Handlungsgeschehens bis in die Satzstruktur hinein, in der Hervorhebung von EinzelwÖrtern, besonders Substantiven, durch Alliteration oder Assonanz; diese so hervorgehobenen WÖrter bilden eine neue Struktur Çber oder neben der syntaktischen. Dies hat weitere Folgen fÇr die Gesamtstruktur der Dramen: Alle Personen, gleichgÇltig, ob es sich um vordergrÇndige Nebenfiguren oder Hauptfiguren handelt, sprechen diese selbe Sprache und werden dadurch stark nivelliert; lediglich der Dialekt schafft manchmal geringfÇgige Unterschiede. Wegen dieser Nivellierung der IndividualitÑt der Personen kann auch nur selten echter Humor entstehen; einmal fehlen die Kontraste, zum anderen ist das „eigentliche und letztliche Wissen“ humorlos. HÖchstens Gesellschaftssatire kann dann und wann aufflackern. Weiterhin kann Barlach wegen dieser Nivellierung nicht zwischen einem Protagonisten und einem Antagonisten unterscheiden, nicht zuletzt auch deshalb, weil sein Protagonist – oder Antagonist – sprachlich gar nicht direkt darstellbar ist, lediglich mit „Notbehelfen“, wie Gott, Geist, Hoher Herr. Daraus ergibt sich als weiterer Schritt, daÅ Barlach die klassische Dramenstruktur von fÇnf Akten nicht erfÇllen kann und darum eine lose Folge von Bildern vorzog. Diese fÇr Barlach so typischen Merkmale sind bereits im Toten Tag ersichtlich und werden in den folgenden Dramen immer wieder neu variiert. Henning Falkenstein, Ernst Barlach (KÑpfe des XX. Jahrhunderts, Band 89), Berlin: Colloquium 1978, S. 58-61. 48

Theaterarbeit fÅr Barlach Heinz Dietrich Kenter (1978) Ich habe in meiner Regielaufbahn drei Dramen Barlachs inszeniert: „Der tote Tag“ am 12.4.24 in Aachen, „Der blaue Boll“ am 9.12.53 in Essen, „Der Graf von Ratzeburg“ am 8.11.55, auch in Essen. Das Unternehmen 1924 in Aachen war so gewagt (Aachen stand mitten in den bÇrgerkriegsÑhnlichen KÑmpfen um die Rheinische Republik), daÅ mit dem Intendanten Francesco Sioli auch der „Verein zur FÖrderung der BÇhnenkunst“ die Verantwortung fÇr die AuffÇhrung mit Çbernahm, daÅ ferner die Inszenierung nicht an einem der Çblichen Theaterabende, sondern als Matinee an einem Sonntag herauskam. Doch konnte nicht verhindert werden, daÅ, als zum SchluÅ starker Beifall einsetzte, Gegner des Themas des StÇckes heftig zu unmiÅverstÑndlichen und lautstarken Protesten ausholten. Die spÑteren Abendvorstellungen brachten keine Tumulte mehr. ábrigens spielte den Sohn Willy Birgel, der damals noch unbekannt war. Als ich mich 30 Jahre spÑter erneut mit Barlach auseinandersetzte und – in Essen – sein dramatisches Werk neben dem dramatischen Werk Franz Grillparzers als Zyklus erarbeiten wollte, muÅte ich den Plan aufgeben, als ich nach Stuttgart berufen wurde. Von den Erfahrungen in Essen auf das Jahr 1924 zurÇckblickend, erkannte ich, daÅ ich damals Barlach zu lautstark bizarr, nicht frei von expressionistischen Darstellungsmitteln, inszeniert hatte. Doch die geistige Idee Barlachs scharf in Wort, Geste, in verdeutlichende szenische Situationen umzusetzen, diesen Weg hatte ich schon 1924 instinktiv so richtig beschritten, daÅ ich 1954 hieran, bewuÅter, anknÇpfen konnte. Man riet mir ab, als ich den „Blauen Boll“, erst recht, als ich „Der Graf von Ratzeburg“ inszenieren wollte. JÇrgen Fehlings Berliner Meister-Leistung war unvergessen. Ich aber wollte Fehling nicht Çbertrumpfen. Ich wollte Barlach genauer erkennen. Was alles war, kÇnstlerisch, politisch, seit jenen zwanziger Jahren geschehen? WÇrde Barlach, der Dramatiker, standhalten? Ich habe „Der Graf von Ratzeburg“ nicht ganz so rundum geschafft wie „Der blaue Boll“. In „Ratzeburg“ geht es, darf ich sagen: unwegsamer zu als im „Boll“. Die Situationen sind schwerer aufzuschlÇsseln, sehr viel schwerer in KÖrper umzusetzen. Mir war das alles bewuÅt – doch ich wagte, ermutigt durch die positive Arbeit an dem zwei Jahre voraufgegangenen „Boll“, ermutigt auch durch die eigenwillig skurrile PersÖnlichkeit des Schauspielers Gerhard Just, den ich fÇr die Darstellung des Grafen gewinnen konnte. „Der blaue Boll“ – mit Claus Clausen als einem bedingungslosen Gradwanderer – wurde ein durchschlagender Erfolg. Es war uns gelungen, Barlachs Suche nach geistiger Wahrheit mit den unverfÑlschten Mitteln des Theaters zu szenischer Wahrheit zu bringen. Ich muÅ hier mit groÅer Achtung die BÇhnenbilder von Friedhelm Strenger erwÑhnen. Das Deutsche Schauspielhaus und die Barlach-Gesellschaft unter Friedrich Dross luden uns ein, unsere Arbeit auch in Hamburg zu zeigen. Der Eindruck war auch dort ungewÖhnlich. Die Gegenwart tut sich schwer mit dem Dramatiker Barlach. Der merkwÇrdige Zwang (Ñhnlich wie es Goethes „Faust“ auch ergeht), geistige Auseinandersetzungen auf dem Theater heute ins Ñsthetisch Bildhafte umzusetzen, dem BÇhnenbildner die szenische Verdeutlichung zu Çbergeben, statt exakt mit den schauspielerischen Mitteln, dem Wort und dem KÖrper, die szenische Wirklichkeit zu erarbeiten, verwehrt den Zugang zur Darstellung Barlachs. Hinter Barlachs dramatischem und plastischem Werk steht gleichermaÅen das instinktive Wissen um die atemberaubende GefÑhrdung des Menschen in unserem Jahrhundert. Solches ist auf dem Theater 49

In seinen ersten drei <strong>Dramen</strong> versuchte <strong>Barlach</strong> immer wieder, in diese Ewigkeit vorzudringen,<br />

obwohl die Sprache sie direkt nicht erfassen kann. Wie erwÑhnt, machte<br />

er es sich dadurch schwer, daÅ er nicht den „Topf der Zeitlichkeit“ fÇr Blicke in die<br />

Ewigkeit benutzte, sondern ihn zerstÖrte, um damit zu zeigen, daÅ es ihm nicht auf<br />

ihn ankam. Diese ZerstÖrung zeigt sich als AuflÖsung des kausalen Handlungsgeschehens<br />

bis in die Satzstruktur hinein, in der Hervorhebung von EinzelwÖrtern, besonders<br />

Substantiven, durch Alliteration oder Assonanz; diese so hervorgehobenen<br />

WÖrter bilden eine neue Struktur Çber oder neben der syntaktischen. Dies hat weitere<br />

Folgen fÇr die Gesamtstruktur der <strong>Dramen</strong>: Alle Personen, gleichgÇltig, ob es sich<br />

um vordergrÇndige Nebenfiguren oder Hauptfiguren handelt, sprechen diese selbe<br />

Sprache und werden dadurch stark nivelliert; lediglich der Dialekt schafft manchmal<br />

geringfÇgige Unterschiede. Wegen dieser Nivellierung der IndividualitÑt der Personen<br />

kann auch nur selten echter Humor entstehen; einmal fehlen die Kontraste, zum anderen<br />

ist das „eigentliche und letztliche Wissen“ humorlos. HÖchstens Gesellschaftssatire<br />

kann dann und wann aufflackern. Weiterhin kann <strong>Barlach</strong> wegen dieser Nivellierung<br />

nicht zwischen einem Protagonisten und einem Antagonisten unterscheiden,<br />

nicht zuletzt auch deshalb, weil sein Protagonist – oder Antagonist – sprachlich gar<br />

nicht direkt darstellbar ist, lediglich mit „Notbehelfen“, wie Gott, Geist, Hoher Herr.<br />

Daraus ergibt sich als weiterer Schritt, daÅ <strong>Barlach</strong> die klassische <strong>Dramen</strong>struktur<br />

von fÇnf Akten nicht erfÇllen kann und darum eine lose Folge von Bildern vorzog.<br />

Diese fÇr <strong>Barlach</strong> so typischen Merkmale sind bereits im Toten Tag ersichtlich und<br />

werden in den folgenden <strong>Dramen</strong> immer wieder neu variiert.<br />

Henning Falkenstein, Ernst <strong>Barlach</strong> (KÑpfe des XX. Jahrhunderts, Band 89), Berlin: Colloquium 1978,<br />

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