Barlach-Dramen_Ueber.. - Peter Godzik
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gerichtet, sie lauschen in die Zukunft, ob ihnen nicht schon von dort her das erlÖsende Geisteswort erklingt, das durch die äonen wirkende Christuswort. Es ist das Werk seiner Zuversicht geworden, ein Werk unserer ahnenden Hoffnung: „Ich spÇre es im klaren BewuÅtwerden, daÅ uns der Weg trÑgt, den wir zu gehen meinen. Die Zeit, in die wir uns getan fÇhlen, sind wir wohl selbst, die gute wie die bÖse. Das Wesen des Seins ist dunkel, weil wir Augen haben, mit denen wir es erkennen wollen; gut nur, dass Schauen ist, das alles Erkennen ÇberflÇssig macht.“ 1935 ist der Fries fertig; aber noch fehlen die Menschen, die bereit sind, das Werk entgegenzunehmen, denn „zu jeder Kunst gehÖren zwei: einer, der sie macht, und einer, der sie braucht.“ 1937 wurde dann in MÇnchen die Ausstellung „Entartete Kunst“ erÖffnet. Neben wirklich Unbedeutendem hingen da angeprangert Arbeiten von Nolde, Dix, Kandinsky, Paula Modersohn-Becker, Franz Marc und Ernst Barlach. „PrÑhistorische Kunststeinzeitler“ wurden sie von den damaligen SachverstÑndigen genannt und ihre Werke „primitive internationale Kritzeleien“. Und die GÇstrower Presse forderte gebieterisch die Beseitigung des Engels im Dom. Der schwebende Engel wurde aus dem Dom geholt und irgendwo versteckt. Damit ging Barlachs kÇnstlerischer Weg zeichenhaft zu Ende. „Der Engel ist weg, jetzt ist meines Bleibens nicht mehr.“ Die noch folgenden Werke sind mÇhsam seiner Seele abgerungen, ein kniender Greis, ÑuÅerlich verzweifelt, doch innerlich glÑubig, betend, trostbedÇrftig und trostspendend zugleich. Das war Ernst Barlachs Antwort an die Machthaber. Am 24. Oktober 1938 starb Barlach im Rostocker Krankenhaus. In seinem Atelier wurde er aufgebahrt, umgeben von den schweigenden Gestalten, Çber dem offenen Sarg schwebend die Maske des GÇstrower Domengels. Seinem Wunsch entsprechend wurde er in Ratzeburg begraben. Nach dem Pastor sprach Friedrich DÇse!: „Gewaltig und erhaben, ergreifend und erschÇtternd sind seine Werke, aber schÖner und edeler noch waren seine Seele und sein Herz!“ Aus dem dramatischen Werk Barlachs ragen die „SÇndflut“ und das Spiel vom „Grafen von Ratzeburg“. Steht in der „SÇndflut“ dem frommen gottergebenen Noah der Çberhebliche, ErdenmÑchten vertrauende Calan gegenÇber, so steht hier Knecht Offerus, der dem rechten Herrn dienen mÖchte, neben dem Grafen Heinrich, der Herrscher ist im Irdischen. Offerus folgt seiner inneren Stimme durch alle Wirrnisse und Schrecken der Welt und findet denn Herrn, wÑhrend Heinrich immer mehr den Weg in die Erdenschuld geht. Erst in der Begegnung mit Offerus findet er die Kraft der Umkehr, fÇhlt seine Berufung und pilgert mit den Kreuzrittern ins Morgenland. Aber er ist kein AuserwÑhlter wie Offerus, der die Taufe zum „Christopherus“ empfÑngt. Immerhin hat er den Weg gefunden, den er spÑter einmal gehen wird. Seine Begegnung mit dem Sucher Offerus hat ihn zur Besinnung gebracht, und seine letzte Erkenntnis wird ihm zum Trost: „Ich habe keinen Gott, aber Gott hat mich.“ Neben den Plastiken und Dramen Barlachs steht ebenso groÅ sein graphisches Werk. Nicht selten ist auch hier das GÖttliche der thematische Mittelpunkt. Von den vielen EinzelblÑttern und Reihen seien die Holzschnitte „Die Wandlungen Gottes“ hervorgehoben. Sie zeigen die Wirkensstufen des SchÖpfers, vom „Ersten Tag“ bis zum „Siebenten Tag“ hin, vom Schwebenden, das Nichts segnenden Gott bis zum ruhenden, an einen Felsen zurÇckgelehnten Gott, der nach vollbrachter SchÖpfung von Himmel und Erde seine mÇde gewordenen HÑnde in den SchoÅ gelegt hat und voll Hoffnung in die Zukunft blickt. Das Werk der 6 Tage ist getan, die gÖttlichen KrÑfte sind eingeflossen in die SchÖpfung. Der in dem Felsen ruhende Gott ist eins geworden mit ihr. Robert Seiser, Ernst Barlach - Zu seinem 100. Geburtstag, in: Die Christengemeinschaft, Jg, 42, 1970, Dez.; wieder abgedruckt in Hans Harmsen (Hg.), Ernst Barlach Gesellschaft e.V., Den Mitgliedern und Freunden zur Jahreswende 1971/1972 und als Jahresgabe, Hamburg 1972, S. 31-36. 46
Henning Falkenstein 1978 Als Barlach (1919) Die echten Sedemunds vollendet hatte, erholte sich Deutschland langsam vom Weltkrieg. Die Theater wurden wieder geÖffnet, und 1919 stand zum ersten Mal ein Barlach-StÇck auf einem Theaterspielplan. Nicht sein Erstling war es, sondern der Arme Vetter, der in den Hamburger Kammerspielen Premiere hatte. Trotz der erwÑhnten Schwierigkeiten, der bewuÅt zerstÖrten Handlung, der Darstellung von etwas eigentlich nicht Darstellbarem, der ungewÖhnlichen Kompaktheit, die nicht nur an den Regisseur, sondern auch an die Zuschauer groÅe Anforderungen stellen, konnte man sich der Kraft des StÇckes nicht entziehen. Innerlich, Çberzeugend, bisweilen rauh und tÑppisch, Aufmerksamkeit heischend, wÇhlerisch, nicht fÇr ein breites Theaterpublikum geeignet – so urteilten die ersten Kritiker. Im nÑchsten Jahr folgte eine Inszenierung in Halle, die aber keinen besonderen Erfolg hatte; als aber JÇrgen Fehling das StÇck 1923 im Berliner Schauspielhaus mit Heinrich George inszenierte, kam es zu einem Çberzeugenden BÇhnenerfolg. Von da an erschien das Drama beinahe jedes Jahr auf einer deutschen BÇhne, bis die Nationalsozialisten dies unterbanden. Auch der Tote Tag wurde noch 1919 uraufgefÇhrt, und zwar in Leipzig; die Zuschauer erhielten ErlÑuterungen, die aber recht einseitig waren. Das StÇck sei nur fÇr eine kleine Gemeinde Gebildeter geeignet, meinten die Kritiker; als aber kein Geringerer als Thomas Mann es ein paar Jahre spÑter in MÇnchen sah, stellte er Barlach als einen der bedeutendsten jungen deutschen Autoren neben Brecht. Bei den Echten Sedemunds brauchte Barlach nicht mehr so lange auf die UrauffÇhrung zu warten; sie erfolgte bereits Anfang 1921, wieder in den Hamburger Kammerspielen. Wenige Wochen danach gelang Barlach zum erstenmal der Sprung auf eine Berliner BÇhne. Leopold JeÅner, der dem modernen deutschen Drama besonders aufgeschlossen war, fÇhrte das StÇck mit Fritz Kortner als altem Sedemund im Staatstheater auf. Da fuhr selbst der so menschenscheue Barlach nach Berlin, fÇrchtete sich aber dann doch im letzten Moment vor dem Rummel der Premiere, verkroch sich statt dessen in einem anderen Theater und ging erst zur zweiten AuffÇhrung – und wurde bitter enttÑuscht: „Ich sah ein StÇck von Herrn JeÅner, aber nicht von mir, oder doch nur da von mir, wo die mehr oder weniger nebensÑchlichen Personen ... das Wort hatten“, schrieb er an Piper. „Filmtempo und Expression, damit will ich nichts zu tun haben. Der SchÇtzenplatz war menschenleer, das Grabmal war eine weiÅe Wand ... und der Grundton des HauptsÑchlichen Geschrei und Monumentalund Stilbums.“ (B 480.) Die Briefstelle deutet an, daÅ JeÅner Die echten Sedemunds als ein expressionistisches Drama inszeniert hatte. Damit schuf er gegen den Willen Barlachs einen PrÑzedenzfall fÇr Barlach-AuffÇhrungen Çberhaupt. Beinahe ebenso entscheidend fÇr die StÇcke des GÇstrowers wurden die bekannten Berliner Kritiker. Alfred Kerr hielt Çberhaupt nichts von Barlach und verriÅ ihn, wo er nur konnte; Herbert lhering und Julius Bab dagegen hielten ihn fÇr einen der talentiertesten deutschen Autoren und priesen die AuffÇhrungen; Bab erkannte sogar schon von Anfang an richtig, daÅ Barlachs StÇcke viel realistischer inszeniert werden mÇÅten. Schon die ersten drei Dramen zeigen, daÅ Barlach mit Holz, Stein oder Metall kaum schwerer gerungen haben kann als mit der Sprache. Die Sprache ist stÑrker vorgeformt als die anderen Ausdrucksmittel, bedeutungsgeladen und deshalb am wenigsten verÑnderbar. Barlach hielt sie darum fÇr am wenigsten ausdrucksstark: „Ich glaube aber, ... daÅ das Wort ein elender Notbehelf, ein schÑbiges Werkzeug ist und das eigentliche und letztliche Wissen wortlos ist und bleiben muÅ. Es ist ... ein irdischer Topf der Zeitlichkeit, der aus der Ewigkeit schÖpfen mÖchte.“ (B 1007.) 47
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Henning Falkenstein 1978<br />
Als <strong>Barlach</strong> (1919) Die echten Sedemunds vollendet hatte, erholte sich Deutschland<br />
langsam vom Weltkrieg. Die Theater wurden wieder geÖffnet, und 1919 stand zum<br />
ersten Mal ein <strong>Barlach</strong>-StÇck auf einem Theaterspielplan. Nicht sein Erstling war es,<br />
sondern der Arme Vetter, der in den Hamburger Kammerspielen Premiere hatte.<br />
Trotz der erwÑhnten Schwierigkeiten, der bewuÅt zerstÖrten Handlung, der Darstellung<br />
von etwas eigentlich nicht Darstellbarem, der ungewÖhnlichen Kompaktheit, die<br />
nicht nur an den Regisseur, sondern auch an die Zuschauer groÅe Anforderungen<br />
stellen, konnte man sich der Kraft des StÇckes nicht entziehen. Innerlich, Çberzeugend,<br />
bisweilen rauh und tÑppisch, Aufmerksamkeit heischend, wÇhlerisch, nicht fÇr<br />
ein breites Theaterpublikum geeignet – so urteilten die ersten Kritiker. Im nÑchsten<br />
Jahr folgte eine Inszenierung in Halle, die aber keinen besonderen Erfolg hatte; als<br />
aber JÇrgen Fehling das StÇck 1923 im Berliner Schauspielhaus mit Heinrich George<br />
inszenierte, kam es zu einem Çberzeugenden BÇhnenerfolg. Von da an erschien das<br />
Drama beinahe jedes Jahr auf einer deutschen BÇhne, bis die Nationalsozialisten<br />
dies unterbanden.<br />
Auch der Tote Tag wurde noch 1919 uraufgefÇhrt, und zwar in Leipzig; die Zuschauer<br />
erhielten ErlÑuterungen, die aber recht einseitig waren. Das StÇck sei nur fÇr eine<br />
kleine Gemeinde Gebildeter geeignet, meinten die Kritiker; als aber kein Geringerer<br />
als Thomas Mann es ein paar Jahre spÑter in MÇnchen sah, stellte er <strong>Barlach</strong> als<br />
einen der bedeutendsten jungen deutschen Autoren neben Brecht.<br />
Bei den Echten Sedemunds brauchte <strong>Barlach</strong> nicht mehr so lange auf die UrauffÇhrung<br />
zu warten; sie erfolgte bereits Anfang 1921, wieder in den Hamburger Kammerspielen.<br />
Wenige Wochen danach gelang <strong>Barlach</strong> zum erstenmal der Sprung auf eine<br />
Berliner BÇhne. Leopold JeÅner, der dem modernen deutschen Drama besonders<br />
aufgeschlossen war, fÇhrte das StÇck mit Fritz Kortner als altem Sedemund im<br />
Staatstheater auf. Da fuhr selbst der so menschenscheue <strong>Barlach</strong> nach Berlin, fÇrchtete<br />
sich aber dann doch im letzten Moment vor dem Rummel der Premiere, verkroch<br />
sich statt dessen in einem anderen Theater und ging erst zur zweiten AuffÇhrung –<br />
und wurde bitter enttÑuscht: „Ich sah ein StÇck von Herrn JeÅner, aber nicht von mir,<br />
oder doch nur da von mir, wo die mehr oder weniger nebensÑchlichen Personen ...<br />
das Wort hatten“, schrieb er an Piper. „Filmtempo und Expression, damit will ich<br />
nichts zu tun haben. Der SchÇtzenplatz war menschenleer, das Grabmal war eine<br />
weiÅe Wand ... und der Grundton des HauptsÑchlichen Geschrei und Monumentalund<br />
Stilbums.“ (B 480.) Die Briefstelle deutet an, daÅ JeÅner Die echten Sedemunds<br />
als ein expressionistisches Drama inszeniert hatte. Damit schuf er gegen den Willen<br />
<strong>Barlach</strong>s einen PrÑzedenzfall fÇr <strong>Barlach</strong>-AuffÇhrungen Çberhaupt. Beinahe ebenso<br />
entscheidend fÇr die StÇcke des GÇstrowers wurden die bekannten Berliner Kritiker.<br />
Alfred Kerr hielt Çberhaupt nichts von <strong>Barlach</strong> und verriÅ ihn, wo er nur konnte; Herbert<br />
lhering und Julius Bab dagegen hielten ihn fÇr einen der talentiertesten deutschen<br />
Autoren und priesen die AuffÇhrungen; Bab erkannte sogar schon von Anfang<br />
an richtig, daÅ <strong>Barlach</strong>s StÇcke viel realistischer inszeniert werden mÇÅten.<br />
Schon die ersten drei <strong>Dramen</strong> zeigen, daÅ <strong>Barlach</strong> mit Holz, Stein oder Metall kaum<br />
schwerer gerungen haben kann als mit der Sprache. Die Sprache ist stÑrker vorgeformt<br />
als die anderen Ausdrucksmittel, bedeutungsgeladen und deshalb am wenigsten<br />
verÑnderbar. <strong>Barlach</strong> hielt sie darum fÇr am wenigsten ausdrucksstark: „Ich<br />
glaube aber, ... daÅ das Wort ein elender Notbehelf, ein schÑbiges Werkzeug ist und<br />
das eigentliche und letztliche Wissen wortlos ist und bleiben muÅ. Es ist ... ein irdischer<br />
Topf der Zeitlichkeit, der aus der Ewigkeit schÖpfen mÖchte.“ (B 1007.)<br />
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