Barlach-Dramen_Ueber.. - Peter Godzik
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Boll am Ende die Kraft erlangt, sein launenhaftes „Belieben“ dem Diktat des Sollens<br />
zu unterwerfen - darin haben wir die symbolischen Stationen eines religiÖsen Werdens<br />
zu sehen, dem die Selbstentsagung als die hÖchste Form der Selbstverwirklichung<br />
gilt.<br />
Von diesem theozentrischen Selbst- und WeltverstÑndnis profitieren nicht zuletzt die<br />
„Hexengenossen“ und „TeufelsbrÇder“, die in <strong>Barlach</strong>s Werk ihr Wesen treiben. Auch<br />
die Siebenmark, Sedemund und Prunkhorst - VerkÖrperungen des BÖsen - werden<br />
an der Verwirklichung des von ihm entworfenen Heilsplanes beteiligt. „GlÇck ist nicht<br />
ohne Not, ErlÖsung nicht ohne SÇnde ... Weil wir verloren sind, darum kÖnnen wir<br />
gerettet werden“, heiÅt es im „Diario DÑubler“. Die SÇnde erscheint unter transzendentalem<br />
Aspekt als die notwendige Voraussetzung der ErlÖsung, als „felix culpa“;<br />
weshalb der alte Sedemund die Frage aufwerfen kann, ob es am Ende nicht so herauskommen<br />
kÖnne, „daÅ man einmal belohnt wird dafÇr, bÖse gewesen zu sein“;<br />
nÑmlich als EntschÑdigung dafÇr, daÅ der „BÖse“ dem „Guten“ die MÖglichkeit geboten<br />
hat, seine Liebe an ihm zu bezeugen.<br />
Diese Auffassung prÑgt auch <strong>Barlach</strong>s Vorstellung von dem VerhÑltnis des Menschen<br />
zu Gott. Auch Gott, so glaubt er, „bedurfte des BÖsen, damit das Gute sich an<br />
ihm bewÑhre“; er hat den HaÅ geboren, „damit die Liebe sich stark und ÇbermÑchtig<br />
entfalte“. Wenn aber Gott nur schafft, um „vom Geschaffenen neu geschaffen“ zu<br />
werden, dann fÑllt dem Menschen eine im Grunde Çbermenschliche Aufgabe zu. In<br />
der SÄndflut (1924) wird der Exponent des „BÖsen“ (in ábereinstimmung mit <strong>Barlach</strong>s<br />
problematischer LÖsung des Theodizeeproblems) zum ebenbÇrtigen Partner<br />
des auf die Mitwirkung seiner Kreaturen angewiesenen SchÖpfers erhoben und damit<br />
gerechtfertigt. „Auch an mir wÑchst Gott und wandelt sich weiter mit mir zu Neuem“,<br />
triumphiert der „Gottversucher“ Calan.<br />
Die letzte Konsequenz, die sich aus der Konstruktion dieser wechselseitigen AbhÑngigkeit<br />
ergibt, hat <strong>Barlach</strong> in der Guten Zeit (1929) und im Gestohlenen Mond durchgespielt:<br />
die GrÑfin Celestine und Henny Wau verstehen sich nicht mehr als Partner,<br />
sondern als Richter und Retter des durch seine, wie sie glauben, fehlgeratene<br />
SchÖpfung schuldig gewordenen Gottes, dem sie durch ihren Tod zu neuem Leben<br />
verhelfen wollen. Es scheint, als habe <strong>Barlach</strong> sich die AbsurditÑt der Idee des „werdenden“<br />
Gottes erst selbst vor Augen fÇhren mÇssen, ehe er sich von ihr distanzieren<br />
konnte. Henny Wau wird, nach strenger PrÇfung der Motive ihres „ErlÖser“-<br />
Todes, vom Dichter der LÑsterung ÇberfÇhrt.<br />
Auch die von <strong>Barlach</strong> statuierte Gleichung gut = bÖse geht nicht auf; sie wird von der<br />
RealitÑt als Rechenfehler entlarvt. WÑhrend der Niederschrift des Gestohlenen Mondes<br />
(1936-38) muÅ sich <strong>Barlach</strong> von der politischen Inkarnation des BÖsen darÇber<br />
belehren lassen, daÅ der Bereitschaft zum „Gutnehmen des BÖsen“ eine Grenze gesetzt<br />
ist. Die Hitler-Diktatur erzwingt den Abbruch seiner BemÇhungen um eine Rehabilitierung<br />
des BÖsen, die ihren nobelsten Ausdruck in seiner prophetischen Rundfunkrede<br />
vom 23. Januar 1933 gefunden hatten.<br />
Nicht Calan, Celestine, Hilarion (der „eigene SchÖpfer seines Gottes“) oder Henny<br />
Wau - dichterische Projektionen von <strong>Barlach</strong>s Rebellentum - behalten also das letzte<br />
Wort, sondern Gestalten vom Schlage Kules, in denen sich die andere WesenshÑlfte<br />
des „DoppelgÑngers“ verkÖrpert hat. Der Hirt aus der SÄndflut und Heinrich, der Graf<br />
von Ratzeburg, gehÖren dazu. Ihr Ja ist dem Nein abgetrotzt. Und deshalb erweist<br />
sich ihre Einfalt am Ende als dauerhafter und solider als die Vermessenheit ihrer Widersacher.<br />
Kules „BotengÑngerweg“, der quer durch <strong>Barlach</strong>s <strong>Dramen</strong> fÇhrt, endet in<br />
Ratzeburg, wo er auf Graf Heinrich stÖÅt. Dieser vom Geist nobilitierte Vater hat sich<br />
allen AnsprÇchen der „Geltung“ und des „Beliebens“ entzogen, um sich auf seine<br />
eigentliche Aufgabe vorzubereiten. Wie <strong>Barlach</strong> hat auch er gelernt, sich als ein Me-<br />
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