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Barlach-Dramen_Ueber.. - Peter Godzik

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wandeln. Die zeitbedingte Ausweitung des Seelischen in Schichten, die fÇr die Welt<br />

auÅerhalb der dichterischen vom Sprachlichen her noch unbetretbar sind, ergibt fÇr<br />

<strong>Barlach</strong>s Werk die gleiche Wirkungsbegrenzung wie fÇr die moderne Physik, die moderne<br />

mathematische Forschung, die wirklich moderne Malerei. Die AnsprÇche, die<br />

in den Voraussetzungen wie in den Konsequenzen und geistigen Folgerungen gestellt<br />

werden, gehen so weit Çber das allen ZugÑngliche hinaus, daÅ eine beziehungsvolle<br />

Rezeption durch eine grÖÅere Allgemeinheit entweder Çberhaupt nicht<br />

mehr mÖglich sein wird (wie etwa in den Naturwissenschaften) oder doch erst ganz<br />

allmÑhlich, durch lange begriffliche Vorbereitung wird erreicht werden kÖnnen. Die<br />

Physik des unendlich Kleinen lÖst sich in Mathematik von immer grÖÅerer Abstraktheit,<br />

Kunst und Dichtung stoÅen in Bezirke von noch vÖllig unbegrifflicher Konkretheit<br />

– mit demselben Ergebnis. Beide stellen unendlich viel hÖhere AnsprÇche als die<br />

ihnen vorausgehenden Phasen der Entwicklung; die Beziehung zwischen der geistigen<br />

Welt der Menschheit und dieser Menschheit ist in ihrer Spiralbewegung wieder<br />

Çber dem Punkt angekommen, von dem sie einst ihren Ausgang nahm: Wissen und<br />

Schaffen sind Angelegenheiten ganz weniger geworden, werden den anderen erst<br />

langsam, nach langer Vorarbeit der Mittler, vielleicht in Andeutungen zugÑnglich werden.<br />

Ernst <strong>Barlach</strong>s Werk ist nicht das einzige, das unter diesem Zeitschicksal steht; er<br />

begegnet sich hier mit den stÑrksten Gestaltern seiner und der spÑteren Epoche. Das<br />

Drama Kokoschkas, zur wirklichen Kenntnis der Wesenswelt dieses Malers ebenso<br />

unerlÑÅlich wie die Dichtung <strong>Barlach</strong>s fÇr die Erfassung seiner menschlich kÇnstlerischen<br />

Art, ist in gleicher Weise abgetrennt von den Bezirken nicht nur der heutigen<br />

Allgemeinheit. Die Lyrik Gottfried Benns und nicht nur seine Lyrik, steht in der gleichen<br />

zeitbedingten UnzugÑnglichkeit. Kunst und Dichtung sind lÑngst nicht mehr Sache<br />

aller, vor allem nicht der Zeitgenossen; sie haben wie die Wissenschaften den<br />

grÖÅten Teil ihrer Gegenwartsbedeutung abgegeben und dafÇr die Vorbereitung von<br />

spÑteren Entwicklungen im Geistig-Seelischen wie im Realen Çbernommen. Die zeitgenÖssische<br />

Welt wird sich in natÇrlichem Teilhabenwollen um beide bemÇhen und<br />

tut es auch bereits; eine AnnÑherung aber und damit die MÖglichkeit eines Auffassens<br />

nicht nur von ferne Çber die Dunkelheiten fremder AbgrÇnde hinweg wird, wenn<br />

Çberhaupt, erst eine erheblich spÑtere Zukunft bringen.<br />

Dieser Zukunft wird dann auch die Einordnung der dramatischen Welt <strong>Barlach</strong>s in<br />

das Gesamtbild der deutschen und der europÑischen Entwicklung vorbehalten bleiben.<br />

Aus dem Nahbild, das uns heute allein gegeben ist, tauchen gelegentlich da<br />

und dort Momentbeziehungen zu dichterischen Gestalten der Vergangenheit auf.<br />

Gestalt und Werk Frank Wedekinds, vom „Marquis von Keith“ bis zu den spÑten<br />

Dichtungen, wird sichtbar, da und dort Hamsun, im „Findling“ in seltener Mischung<br />

Claudel und Carl Hauptmann, daneben Erinnerungen an Ibsen, an Strindberg, an<br />

Nietzsche und zu Beginn ganz von ferne auch an Wagners Nibelungenwelt stellen<br />

sich ein. Das Eigentliche, Wesentliche aber, die wirkliche <strong>Barlach</strong>welt berÇhren sie<br />

kaum. Die steht ohne Beziehung zu den Werken der Zeitgenossen in sich selber geschlossen<br />

fÇr sich und zwar im Sprachlichen wie in der Gestaltung. Beider Wirkung<br />

ist noch nicht abzusehen; <strong>Barlach</strong> hat sowohl Sprache wie Gestalten in Bereiche<br />

vorgetrieben, die vor ihm keiner betreten hat. Er hat die Sprache nach den Tiefenschichten<br />

wie in ihren StilmÖglichkeiten sehr persÖnlich ausgeweitet, bis zum gleichzeitigen<br />

Nebeneinander mehrerer Stilwelten; er hat die SphÑre der Gestaltung in Tiefen<br />

getrieben, die bis dahin Wedekind ebenso wie der Generation Brechts unzugÑnglich<br />

waren. Er tat das zu einer Zeit, da Paul Ernst die MÖglichkeit des Gestaltens<br />

Çberhaupt leugnete, tat es in <strong>Dramen</strong> mit ebenfalls klassischen OrdnungszÇgen des<br />

Baus, aber an Menschenbildern, die den Beweis erbrachten, daÅ Gestaltung durch-<br />

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