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Barlach-Dramen_Ueber.. - Peter Godzik

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um die Ecke sehen kann, an der die Herrschaften ewig vorbeidemonstrieren.“ Der<br />

„Blick um die Ecke“ hat ihn gelehrt, daÅ es Dinge gibt, die „einfacher und grÖÅer sind<br />

als alle MÇhe um die Form“, und daÅ „einzig unser menschliches Verschulden ... der<br />

Orgelpunkt aller Kunst und aller Religion“ ist. Programmatisch formuliert wird diese<br />

Einsicht nach der Betrachtung eines mittelalterlichen Kruzifixes: „Es steht da wie eine<br />

Hieroglyphe und predigt, daÅ es noch etwas anderes gibt als Fleisch und Bein. Wir<br />

mÇssen wieder Raum haben und nicht bloÅ FlÑche! Wir mÇssen aus der BÇrgerlichkeit<br />

heraus! Wir mÇssen Courage bekommen, im Geistigen hÑuslich zu werden!“<br />

Der Tote Tag ist die frÇheste dichterische Verwirklichung dieses Programms. Mit der<br />

Entfaltung des Antagonismus zwischen Helden- und Philistertum rÇckt <strong>Barlach</strong> in die<br />

Nachbarschaft der expressionistischen Dramatiker. Zu einer stabilen Verbindung mit<br />

den Vertretern der neuen Kunstrichtung ist es indessen nicht gekommen. Der passionierte<br />

EinzelgÑnger bleibt auch jetzt allen kÇnstlerischen ParteigrÇndungen gegenÇber<br />

bis zur Ungerechtigkeit miÅtrauisch. Offenbar erlaubt seine „transzendente<br />

Begier“ keine wie immer geartete Ablenkung. Als Dramatiker mÇsse er mit dem „absoluten<br />

MaÅstab“ messen, hatte er bereits 1906 erklÑrt. Stoffe, die eine so strenge<br />

PrÇfung verlohnen, sind rar. <strong>Barlach</strong> hat sie aus seinem eigenen Erfahrungsschatz<br />

geholt. Zum ersten Mal im Toten Tag, wo der Generationskonflikt - seit Hasenclevers<br />

Sohn (1914) ein Standardmotiv der expressionistischen Dramatik - religiÖs sublimiert<br />

wird. Der Dichter unterscheidet hier zwischen einer leiblichen und einer geistigen Vater-<br />

beziehungsweise Sohnschaft. Die leibliche Bindung des Sohnes an den Vater<br />

wird zum Symbol der geistigen, Gott und Mensch umfassenden Gemeinschaft, die er<br />

durch den Egoismus der Mutter gefÑhrdet sieht. Sein Glaube an die „hÖhere Abkunft“<br />

des Menschen bildet nicht nur die Basis des Toten Tags. Auf diesem Fundament hat<br />

<strong>Barlach</strong> (nach 1906) sein dichterisches und bildnerisches Gesamtwert errichtet.<br />

Im Jahre 1910 Çbersiedelt er nach GÇstrow, wo er zusammen mit seiner Mutter und<br />

dem Sohn Nikolaus einen Hausstand grÇndet. Damit endet sein „ambulantes Dasein“.<br />

Die ÑuÅeren UmstÑnde seines nur von gelegentlichen Reisen unterbrochenen<br />

einsiedlerischen Lebens verlieren in den folgenden Jahren an Bedeutung. DafÇr tritt<br />

jetzt das Werk beherrschend in den Vordergrund.<br />

Noch bevor der Tote Tag gedruckt ist, nimmt <strong>Barlach</strong> eine neue Arbeit in Angriff. „Die<br />

Osterleute“ hatte dieses Auferstehungsdrama ursprÇnglich heiÅen sollen. Unter dem<br />

Titel Der arme Vetter wird es 1918 gedruckt. In der Zwischenzeit versucht er sich an<br />

einem erzÑhlerischen Werk, dem Seespeck. In diesem romanartigen Opus autobiographischen<br />

Charakters (das unvollendet liegenbleibt) zeigt sich <strong>Barlach</strong> auf der HÖhe<br />

sprachlicher Meisterschaft. Die MÇhsal seiner frÇhen sprachbildnerischen Anstrengungen<br />

zahlt sich jetzt aus. In einer makellosen Prosa beschwÖrt der ErzÑhler<br />

die Erinnerungen an seine Wedeler Erfahrungen. Dabei konzentriert er sich ganz auf<br />

die Darstellung seines damaligen „inneren Seins“ und entwirft in Seespeck, der ein<br />

gesteigerter <strong>Barlach</strong> ist, einen Helden nach seiner Fasson.<br />

Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges lÑhmt <strong>Barlach</strong>s Schaffenskraft. Der Schriftsteller<br />

zieht sich auf das Tagebuch zurÇck, dem er in den nÑchsten Jahren seine Konfessionen<br />

und Visionen anvertraut. Wie manche seiner prominenten Zeitgenossen ist<br />

auch <strong>Barlach</strong> von der epidemisch grassierenden Kriegsbegeisterung angesteckt<br />

worden. Doch treten die von den Erfolgsmeldungen der Heeresberichte ausgelÖsten<br />

„Betrachtungen eines Unpolitischen“ bald in den Hintergrund. Auf seinem eigenen<br />

Feld bewegt sich <strong>Barlach</strong> dagegen als Menschen- und Naturbeobachter. Davon<br />

zeugt eine Serie von prÑgnanten Charakterstudien und literarischen SelbstportrÑts.<br />

Breiten Raum nehmen auch seine erregenden amateurtheologischen Spekulationen<br />

ein. Und was der unermÇdliche SpaziergÑnger von seinen Wanderungen Çber die<br />

LandstraÅen und durch die WÑlder der Umgebung als „Augenbeute“ heimbringt, wird<br />

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