Barlach-Dramen_Ueber.. - Peter Godzik
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Mann ... aus Punkten, Flecken, Linien und Tupfen“ ein „tieferes (das heiÅt Çber das<br />
Geschmackserlebnis am Ornamentalen hinausgehendes) seelisches ErschÇttertwerden“<br />
widerfahren kÖnne. Meine „kÇnstlerische Muttersprache“, erklÑrt <strong>Barlach</strong>, ist<br />
„nun mal die menschliche Figur ... DarÇber komme ich nicht hinaus.“ Auf eine „Esperanto-Kunst“<br />
kÖnne er sich nicht einlassen.<br />
Noch radikaler ÑuÅert sich seine Ablehnung der abstrakten Malerei in dem erst nach<br />
seinem Tode verÖffentlichten „Diario DÑubler“ (entstanden um 1913). Hier werden<br />
Picasso und DÑubler (der sich fÇr den spanischen Maler eingesetzt hatte) der „Hochstapelei“<br />
bezichtigt: „Ich selbst weiÅ, wie das lockt: bloÅ Striche und FÑden zu fÇgen,<br />
aber es ist nicht das Ende, sondern vielleicht ein Durchgang, eine HandÇbung, um<br />
aus dem. gewohnten áberdruÅ herauszukommen ... Ich sage aber prost Mahlzeit<br />
dazu; fÇr mich ist das Organische in der Natur der Ausdruck eben des Inneren, die<br />
Menschengestalt der Ausdruck Gottes, soweit er im Menschen und hinterm Menschen<br />
brÇtet, steckt, wÇhlt.“ <strong>Barlach</strong>s gereizte Reaktion auf Kandinsky und Picasso<br />
ist verrÑterisch. DaÅ der ehemalige Avantgardist sich gegenÇber den jÇngsten ReprÑsentanten<br />
der Moderne als Platzhalter des Konservativismus aufspielt, ist ein<br />
Symptom seiner Unsicherheit. Kein Zweifel, daÅ ihm diese Rolle nicht lag. Aber der<br />
EinundvierzigjÑhrige war verstÑndlicherweise weder bereit, sich von den Jungen in<br />
die Etappe abschieben zu lassen, noch mit ihnen zu paktieren. So blieb ihm nur der<br />
Ausweg, die Entwicklung von der figÇrlichen zur abstrakten Darstellung als Modetorheit<br />
zu verdÑchtigen. Er sieht nicht oder will nicht wahrhaben, daÅ er in Kandinsky<br />
und Picasso Bundesgenossen attackiert. Aber der in ein aussichtsloses RÇckzugsgefecht<br />
verstrickte Zeitgenosse des Expressionismus wird zum Expressionisten malgrà<br />
lui. Stilistisch geht er seine eigenen Wege, die Çber die vom 19.Jahrhundert errungenen<br />
kÇnstlerischen Positionen kaum hinausfuhren. GesinnungsmÑÅig steht er den<br />
Neuerern jedoch nÑher, als er zuzugeben bereit ist. Die Forderungen der Zeit mit<br />
denen der Ewigkeit zu konfrontieren - das wird auch sein HauptgeschÑft, dem er sich<br />
mit der „grandiosen Monotonie des Genies“ (so Marcel Proust Çber Thomas Hardy)<br />
gewidmet hat; auch dann noch, als die expressionistischen Ekstatiker und Missionare<br />
lÑngst verstummt waren oder sich anderen Zielen zugewandt hatten.<br />
1907, ein Jahr nach der RÇckkehr von seiner RuÅlandreise, begann <strong>Barlach</strong> mit der<br />
Niederschrift eines Dramas, das im Entwurfsstadium den nicht eben einladenden<br />
Titel „Blutgeschrei“ erhielt und das 1912 von dem Verleger Paul Cassirer unter der<br />
áberschrift Der tote Tag gedruckt wurde. Inspirationsquelle war <strong>Barlach</strong>s gerichtlicher<br />
Streit um die Legitimierung seiner Vaterschaft. „Die Mutter wollte den Knaben<br />
nicht hergeben. Auf diese Weise muÅte ich frÇher oder spÑter notwendig Gott fÇr ihn<br />
werden. Das war der AnstoÅ. Unter den HÑnden wuchs die Idee von selber ins Mythische.“<br />
Die Transformation des Privaten ins Mythische bestimmt nicht nur die Figurenwahl,<br />
sie prÑgt auch die Sprache, die Bildlichkeit und die Komposition des Dramas,<br />
in dem <strong>Barlach</strong> ein hÖchst wunderliches Personal versammelt: eine Mutter und<br />
ihren Sohn, den GÖtterboten Kule, zwei Hausgeister und einen Alb. Kule hat auf seiner<br />
Pilgerschaft durch die Welt gelernt, daÅ der erst der „wahre Mann“ ist, der „sich<br />
noch mit anderer Leid dazu belÑdt“. Die Mutter und ihr zum Stubenhocker degenerierter<br />
Sohn verweigern sich diesem Appell, der ihnen nur ein „Heldentum in Jammer<br />
und NÖten“ zu verheiÅen scheint. Sie werden zu Gegenspielern des blinden Sehers.<br />
Zwischen diesen Antipoden wird der Konflikt zwischen Geist und Fleisch, zwischen<br />
weltÇberwindendem Heroismus und welthÖrigem Egoismus ausgetragen.<br />
1910, als er den „Berserker“ geschaffen hatte, schreibt <strong>Barlach</strong>: „GemÇtlichkeit? Ich<br />
blicke darauf nicht freundlich. Es gibt bessere Sachen! Die guten Leute, die mich fÖrdern,<br />
meinen, Kunst sei eine Kulturangelegenheit, ‚Schmuck des Lebens’! Prost<br />
Mahlzeit, wenn die wÇÅten, was ich weiÅ! Ich bin in der Lage eines Menschen, der<br />
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