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Barlach-Dramen_Ueber.. - Peter Godzik

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eben gekaufte Petroleumlampe. Er sah aus wie ein Auswanderer, und das war er<br />

eigentlich auch immer.“ Seine Vaterpflichten, denen er sich mit rÇhrender Pedanterie<br />

widmet, empfindet <strong>Barlach</strong> nicht als Last, sondern als befreienden Auftrag. „Ein<br />

Mensch ohne Kinder hat vom Menschentum und seiner Stellung in der Welt nur ganz<br />

ein fragmentarisches GefÇhl“, schreibt er 1909, als er nach langen KÑmpfen endlich<br />

auch legitimer Vater seines natÇrlichen Sohnes geworden ist. Auf eine recht drastische<br />

Weise sucht er noch 1919 Reinhard Piper (dem er seit 1901 freundschaftlich<br />

verbunden war) die Tragweite seines Vaterschaftserlebnisses zu verdeutlichen: „Ich -<br />

um aufs Egoistische hinauszuspielen - ich brauche das StÇck Mensch, sagen wir<br />

dreist, zu meiner eigenen Erbauung ... Ich muÅ, ihm zur Erziehung ... mir ein wenig<br />

durch eigenes Vorspielen beweisen, daÅ die guten und bÖsen Dinge Einen nicht unterzukriegen<br />

brauchen, daÅ man Herr in seinem Reiche sein kann. Er braucht die<br />

Einsicht, und was lÑÅt besser begreifen als vorgelebter Beweis?“<br />

Am Anfang von <strong>Barlach</strong>s neuem Lebensabschnitt steht wiederum eine Flucht. Im<br />

Sommer 1906 lÑÅt er sich von seinem Bruder Nikolaus zu einer Reise nach SÇdruÅland<br />

Çberreden. Dem ÇberstÇrzten Aufbruch folgt eine Reise ohne Plan und genau<br />

umrissenen Zweck; fraglich, ob der ewige „Auswanderer“ von diesem Unternehmen<br />

mehr erwartet hatte als eine wenigstens vorÇbergehende ErlÖsung von der „Pein des<br />

mÇhsamen Sterbens“.<br />

Die Reise fÇhrt Çber Warschau und Kiew nach Charkow. In dem Dorf Pokatilowka<br />

bezieht <strong>Barlach</strong> Quartier. Von hier aus unternimmt er einige Fahrten in die Steppenlandschaft<br />

des Donez-Gebietes. Ende September kehrt er wieder nach Berlin zurÇck.<br />

Wenig spÑter geht er daran, seine Erlebnisse aufzuzeichnen. Er wÑhlt dazu die Tagebuchform.<br />

Aber sein „Russisches Tagebuch“ wird kein landlÑufiger Reisebericht,<br />

der sich auf die Rekapitulation des VordergrÇndigen beschrÑnkt. Wir haben es hier<br />

vielmehr mit einem Rechenschaftsbericht zu tun, der sich als selbstÑndiges Kapitel in<br />

das nie abgeschlossene Opus seines SelbsterzÇhlten Lebens einfÇgt.<br />

Was ihm weder die Heimat noch Paris zu geben vermocht hatten, wird ihm in RuÅland<br />

zuteil. Hier entdeckt er eine Welt „neuer ZustÑnde“; und hier geht ihm die „unerhÖrte<br />

Erkenntnis“ auf: „Du darfst alles Deinige, das äuÅerste, das Innerste, GebÑrde<br />

der FrÖmmigkeit und UngebÑrde der Wut, ohne Scheu wagen, denn fÇr alles, heiÅe<br />

es hÖllisches Paradies oder paradiesische HÖlle, gibt es einen Ausdruck.“ Der Erlebnisertrag<br />

der Reise hÑtte jedoch schwerlich zu dem „groÅen AnstoÅ“ werden kÖnnen,<br />

wenn <strong>Barlach</strong> nicht schon durch die vor allem in Wedel geschlagenen „Hauptschlachten“<br />

darauf vorbereitet gewesen wÑre. Auf den StreifzÇgen durch die heimatliche<br />

Landschaft hatte er die Welt zu sehen gelernt, „nicht wie sie scheint, sondern wie sie<br />

ist“. Bereits in Wedel hatte sich sein „plastischer Blick“ im Umgang mit der Natur darin<br />

geÇbt, Zeit und Ewigkeit zugleich zu sehen. Ihren begrifflichen Niederschlag fanden<br />

die Wedeler Visionen allerdings erst in Berlin. „Ich kenne einen Bildhauer [= <strong>Barlach</strong>]“,<br />

notiert der KÇnstler hier, „der seine Anregung nicht am Modell, nicht am Leben<br />

der Menschen, sondern in der Natur sucht; er gewinnt da Begriffe hÖherer Formen<br />

als es ihm das Leben liefert. Ein Schauen von Mythen ... zu denen er die entsprechenden<br />

Personen erschaffen muÅ. Das mythische Schauen ist mir eben der Grundbegriff<br />

aller Kunst.“<br />

Was er zuvor (wenn auch maskiert, von konventionellen Formen unkenntlich gemacht)<br />

in Wedel in kleinem MaÅstab erlebt hatte, erschloÅ sich ihm in RuÅland in<br />

riesenhaften Dimensionen. Er erfÑhrt die Steppenlandschaft als Gebilde eines furios<br />

schaltenden WeltenschÖpfers, der - von keiner RÇcksichtnahme gehemmt - Himmel<br />

und Erde seinem Stilwillen unterworfen, hat. Hier war „auÅen wie innen“ und alles<br />

„ohnemaÅen wirklich“. Die Anschauung dieser monumentalen Szenerie bestÑrkt <strong>Barlach</strong><br />

in dem schon lÑngst gefaÅten EntschluÅ, dem „Ornamentluxus“ ein und fÇr alle<br />

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