Barlach-Dramen_Ueber.. - Peter Godzik
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Im Verlauf seines rund einjÑhrigen Aufenthalts verlieren sich zwar diese von einem<br />
forcierten Patriotismus eingegebenen Ressentiments. Aber <strong>Barlach</strong> bleibt bis zuletzt<br />
ein skeptischer, abwartender Beobachter. Auch in Paris gelingt es ihm nicht, sich fÇr<br />
ein „Einziges und Wichtigstes“ zu bestimmen. Er zeichnet und magaziniert seine<br />
„Blickerlebnisse“ nach alter Gewohnheit in zahlreichen SkizzenbÇchern; er setzt seine<br />
plastischen und malerischen Experimente fort, entwirft Plakate, treibt in den Salons<br />
und Museen kunsthistorische Studien und fÇhrt im Çbrigen unter dÇrftigsten UmstÑnden<br />
im Kreis einer kleinen KÇnstler- und Literatengruppe ein Leben als Bohemien<br />
nach Pariser Zuschnitt.<br />
Besondere IntensitÑt wendet er an einen „Geisterroman“, in dem er zwei allegorische<br />
Figuren - den Humor und den Beobachtungsgeist - durch Paris abenteuern lÑÅt. Zwei<br />
BruchstÇcke dieser unvollendet gebliebenen Jugendarbeit haben das groÅe Autodafà,<br />
das <strong>Barlach</strong> vor seiner RuÅlandreise veranstaltete, Çberlebt. Als erstes literarisches<br />
SelbstportrÑt (und damit als frÇher VorlÑufer des Seespeck und des Gestohlenen<br />
Mondes) verdienen diese Fragmente auch heute noch unser Interesse. <strong>Barlach</strong><br />
treibt hier nÑmlich nicht nur eine allegorisch drapierte Kunst- und Zeitkritik. Seine satirische<br />
Abrechnung mit der Akademie, mit seinen Lehrern, Vorbildern, Freunden und<br />
Gegnern dient vor allem der eigenen Standortbestimmung und der tastenden Erkundung<br />
seiner MÖglichkeiten. In den Figuren des Humors und des Beobachtungsgeistes<br />
hat er - zum ersten Mal das DoppelgÑnger-Motiv erprobend - eigene WesenszÇge<br />
personifiziert: seine mit der RealitÑt frei schaltende Phantasie und seinen unbestechlichen<br />
Wirklichkeitssinn. DaÅ er „Auge und Geist“ als ein BrÇderpaar auftreten<br />
lÑÅt, besagt doch wohl, daÅ er die seinem Naturell eigentÇmlichen (offenkundig nur<br />
schwer zu vereinbarenden) Seh- und Darstellungsweisen in Einklang zu bringen<br />
suchte. Erst ein Jahrzehnt spÑter findet er die begriffliche LÖsung dieser Aufgabe.<br />
Der „plastische Blick“, schreibt er 1906 (noch vor der RuÅlandreise), sieht, „auf die<br />
Natur gerichtet, Zeit und Ewigkeit zugleich“, das heiÅt: er entdeckt und umfaÅt im<br />
Endlichen das Unendliche, im Wirklichen das áberwirkliche. Erfindung, Sprache und<br />
Stil der frÇheren Fragmente bezeugen jedoch, daÅ <strong>Barlach</strong> sich schon in Paris von<br />
der naturalistischen und der realistischen Natur- und Wirklichkeitsauflassung entschieden<br />
distanziert hat.<br />
Wie radikal seine Opposition gegen den Zeitgeist, vor allem gegen den in der Gestalt<br />
des „Herrn von GlÇck“ personifizierten Materialismus war, wird erst gegen Ende des<br />
BruchstÇcks deutlich: in dem Bericht des der UnglÇcksgÖttin verfallenen Beobachtungsgeistes.<br />
„Das UnglÇck“, heiÅt es in einer interpretierenden Randnotiz zu dem<br />
Geisterroman, „schafft mit kÇnstlerischer Seele, anders und andres als ein Roman.<br />
Es spielt ein furchtbares Schachspiel, aber mit vollendeter Kunst.“ Der fÇnfundzwanzigjÑhrige<br />
„Schweifer an der Grenze“, der in einem 1895 geschriebenen Brief bekennt,<br />
daÅ er „vorm GlÇck mehr Angst habe als vorm Jammer“, fÇhlt sich als Figur in<br />
diesem Schachspiel. Er verachtet die „glÇcksÇchtige Welt“, und er glaubt an die lÑuternde<br />
Kraft des Leidens. Seine Vision von der grenzenlosen Wachstums- und BildungsfÑhigkeit<br />
des Geistes, der vom UnglÇck zu den „herrlichsten Taten von Selbstlosigkeit<br />
und Hingabe“ angespornt wird, wÑchst aus dem Boden dieser GlÑubigkeit,<br />
die sich spÑter in seinen MÑrtyrergestalten ausprÑgen wird.<br />
„Ein biÅchen frisiert“ kehrt er im Mai 1896 nach Deutschland zurÇck. Er hat viel gesehen<br />
und manches gelernt; aber auch Paris hatte ihn nicht von seiner Ratlosigkeit<br />
kurieren kÖnnen. Die merkwÇrdige Unfruchtbarkeit dieser Exkursion hat <strong>Barlach</strong> spÑter<br />
damit zu erklÑren versucht, daÅ es ihm damals „am Erlebnis“ gefehlt habe – „was<br />
sich zutrug, begab sich bestenfalls als RaritÑt“. Er hatte zwar - so etwa lÑÅt sich diese<br />
Bemerkung Çbersetzen - ein Auge fÇr das MerkwÇrdige, aber noch kein GespÇr<br />
fÇr das Bedeutende: fÇr jene „glÇcklichen GegenstÑnde“, die nach Goethes Beobach-<br />
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