Barlach-Dramen_Ueber.. - Peter Godzik

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06.02.2013 Aufrufe

kundÑrer SinntrÑger, Vehikel fÇr eine Botschaft, die jenseits seiner Ebene liegt und auf die nur noch die GebÑrde beschwÖrend verweisen kann. Diese Gebrochenheit der Form stellt Barlachs Drama (der Terminus wird mit Vorbehalt weitergebraucht) in den grÖÅeren Zusammenhang des expressionistischen Dramas, das in seinem Versuch, die Erfahrungs-Wirklichkeit fÇr ein Wesenhaftes und Absolutes durchsichtig zu machen, ebenfalls das geschlossene dramatische GefÇge sprengte, indem es diese Wirklichkeit ekstatisch ÇberhÖhte. Die Besonderheit des Barlachschen Dramas innerhalb dieses allgemeinen Zusammenhanges besteht darin, daÅ es – zumal in StÇcken wie „Der arme Vetter“, „Die echten Sedemunds“, „Der blaue Boll“ – nicht von vornherein und gleichmÑÅig von dieser Stilisierung ergriffen und ÇberhÖht wird, sondern daÅ die ekstatische Verweisung meist aus einem Raum alltÑglicher Wirklichkeit heraus erfolgt, allerdings in der Weise, daÅ dessen RealitÑtscharakter immer mehr aufgehoben wird. Auch von seinem inhaltlichen Anliegen her gehÖrt Barlach in den weiteren Zusammenhang der expressionistischen Dramatik und ihrer Vision von der Erneuerung des Menschen – bei Barlach nirgends aufs Soziologische und Kulturelle, sondern immer radikal aufs Existentielle und Metaphysische gewandt. „Die Sehnsucht ist zuletzt gewiÅ, / Die in mir zehrt mit weinendster Gewalt / Nach meiner gott-ursprÇnglichen Gestalt“ – dieses Zitat aus Werfels „Spiegelmensch“ macht den Zusammenhang deutlich. Schon bei der Betrachtung der „SÇndflut“ wurde offenbar, daÅ bei dieser religiÖsen Erneuerung des Menschen nicht die christliche Heilslehre im Spiele ist. Wo sich solche Elemente finden – im „Armen Vetter“ etwa „Ostern“, „Opferlamm“ und Eucharistiemotiv, in der „Guten Zeit“ das stellvertretende Opfer am Kreuz, im „Findling“ das „neugewordene Kommen des Kindes“ und vor allem im „Grafen von Ratzeburg“, dessen Stationen die Christophoruslegende zugrunde liegt – unterlegt sie Barlach lediglich, um seine eigene Heilsbotschaft dem EmpfÑnger annÑhern zu kÖnnen. Die AnnÑherung an die Form der christlichen Legende im „Grafen von Ratzeburg“ ist besonders aufschluÅreich, denn sie liegt in der inneren Tendenz der dramatischen Mitteilung Barlachs. Wie das geheime Vorbild seiner Plastik die gotische Plastik und die Buddhastatue war, so liegt auch hier die AnnÑherung an eine Form vor, die einen vorgegebenen Inhalt vergegenwÑrtigt. Barlachs Inhalt aber bleibt demgegenÇber „Entwurf“, der weder auÅerhalb des plastischen oder dramatischen Gebildes dargestellt noch durch es verkÖrpert werden kann. Er kann, als Eingehen des Helden in das „Wissen Çber alles Wissen“, nur ganz abstrakt als „Heilsfindung“ bezeichnet werden, „Aufgehen des PersÖnlichen im ‘áberpersÖnlichen’“. Dieser Inhalt bedingt auch die Gebrochenheit der dramatischen Form Barlachs; denn er ist, streng genommen, kein Inhalt, sondern ein Zustand, der durch das Medium der bÇhnenmÑÅigen VorgÑnge hindurch beim EmpfÑnger der Barlachschen Botschaft hervorgerufen werden soll. (Horst Wagner, Barlach, Die SÄndflut, in: Benno von Wiese (Hg.), Das deutsche Drama. Vom Barock bis zur Gegenwart. Interpretationen, DÄsseldorf: August Bagel 1958, S. 338-356.) 32

Klaus Lazarowicz 1969 „Mein jetziges Arbeiten ist nur noch ein hoffnungsloses, im Grund nutzloses Ringen nach dem Ziel, das ich entweder erreichen muÅ oder auf dem Wege untergehen“, schreibt der neunzehnjÑhrige Barlach an seinen Freund und Mentor Friedrich DÇsel. „Ich arbeite“, berichtet er, „aber ohne VergnÇgen und Erfolg ... und habe doch ein stÇrmisches Verlangen nach TÑtigkeit, erfolgreicher TÑtigkeit, und sollte ich Leben und Eigentum dabei verlieren, wie gerne wÇrde ich alles auf etwas GroÅes setzen.“ Barlachs Sturm-und-Drang-Epoche reicht bis in die Mitte der neunziger Jahre. Seine frÇhen Briefe veranschaulichen diesen krisenhaften GÑrungsprozeÅ. Noch 1894 – inzwischen ist der Adept einer gewerblich orientierten Zeichenkunst zum MeisterschÇler von Robert Diez avanciert – bezeichnet er seine TÑtigkeit an der Dresdener Akademie als ein „Schinden bis aufs Blut“, um dann freilich trotzig hinzuzufÇgen, daÅ er in dieser Tortur die einzige MÖglichkeit sehe, „Çber den Durchschnitt hinwegzukommen“. Und Ende 1894 lÑÅt er DÇsel wissen, daÅ er entschlossen sei, sich in das „schÑumende Meer“ zu stÇrzen, „wo die Geister kÑmpfen ... Vielleicht reiÅt mich die nÑchste Flutwelle im Zusammenbrechen mit hinab ... aber ich habe von jeher nicht ohne Tollheit zusehen kÖnnen, wie Andere ihre KrÑfte im wogenden Kampfe maÅen und tÇchtig waren, wenn auch nur im Untergehen.“ Genug der Zitate. Das tremolierende Pathos dieser äuÅerungen irritiert uns. Und doch ist nicht daran zu zweifeln, daÅ es Barlach ernst war mit dem, was er dem ins Vertrauen gezogenen Zeugen seiner Existenznot mitzuteilen hatte. Es handelt sich hier um die „ekstatischen Konfessionen“ (Buber) eines mit „unmÑÅiger Risikofreudigkeit“ begabten, AuÅenseiters, der sich in eine Zeit verschlagen fÇhlte, die fÇr ihn kein „fÖrderndes Beispiel“ Çbrig hatte. DaÅ sich der junge Barlach in einer Heldenrolle gefÑllt, geht vor allem auf das Konto seiner Carlyle-LektÇre. Von der Lethargie des fin de siêcle ist in seinen Briefen nichts zu spÇren. Dagegen scheint er fÇr die „Magie des Extrems“ (Nietzsche) anfÑllig gewesen zu sein, fÇr den Radikalismus des Entweder-Oder, des Alles-oder-Nichts. DaÅ er Kierkegaard und Nietzsche, den groÅen Rebellen des 19. Jahrhunderts, nÑhersteht als den von der communis opinio approbierten Zeitgenossen, weiÅ er damals noch nicht. AufsÑssig gegen seine Zeit, ist er doch darauf aus, sich in ihr zu bewÑhren und zu beweisen. Es ist die paradoxe Situation des UnzeitgemÑÅen, in der er sich befindet. Wirkliche Vorbilder, exemplarische Muster findet er nur auÅerhalb der von der Tradition gezogenen Grenzen. Durch einen Zufall gerÑt er 1894 im Dresdener Residenz-Theater in eine AuffÇhrung von Hanneles Himmelfahrt, In der Begegnung mit Hauptmanns „Traumdichtung“ offenbart sich ihm die „lauterste, wunderbarste, innigste deutsche Poesie“. Die Errungenschaffen des Naturalismus hatten ihn offensichtlich kaltgelassen. Auf der phantastischen BÇhne des Symbolisten Hauptmann schien ihm dagegen das verwirklicht, was er selbst zu erreichen suchte. Immer wieder spielt er in den Briefen jener Jahre die „deutsche Phantasiekraft“ gegen die NÇchternheit und Pedanterie seiner kÇnstlerischen Zeitgenossen aus. Aber weder in Hamburg noch in Wedel hatte er seinen „wÇtenden HeiÅhunger nach den Umarmungen der goldenen Phantasie“ stillen kÖnnen. Von Robert Diez war er in die Welt des akademischen Konservativismus eingefÇhrt worden. VerstÑndlich, daÅ der auf selbstÑndige Entdeckungen, und Eroberungen versessene Abenteurer den Ehrgeiz hatte, die Vertreter der Moderne kennenzulernen, um sich mit ihnen zu vergleichen. „Es ist sehr hohe Zeit, daÅ ich einmal [aus Dresden] herauskomme“, notiert er im September 1894. Etwa ein halbes Jahr spÑter reist er im Schlepptau eines in der Ökonomischen Verwertung seiner Kunstfertigkeiten etwas glÇcklicheren Studienfreundes nach Paris, dem „Mekka der Moderne“. In seinem GepÑck fÇhrt er mancherlei Vorurteile Çber die franzÖsische Kunst mit sich. 33

kundÑrer SinntrÑger, Vehikel fÇr eine Botschaft, die jenseits seiner Ebene liegt und<br />

auf die nur noch die GebÑrde beschwÖrend verweisen kann.<br />

Diese Gebrochenheit der Form stellt <strong>Barlach</strong>s Drama (der Terminus wird mit Vorbehalt<br />

weitergebraucht) in den grÖÅeren Zusammenhang des expressionistischen Dramas,<br />

das in seinem Versuch, die Erfahrungs-Wirklichkeit fÇr ein Wesenhaftes und<br />

Absolutes durchsichtig zu machen, ebenfalls das geschlossene dramatische GefÇge<br />

sprengte, indem es diese Wirklichkeit ekstatisch ÇberhÖhte. Die Besonderheit des<br />

<strong>Barlach</strong>schen Dramas innerhalb dieses allgemeinen Zusammenhanges besteht darin,<br />

daÅ es – zumal in StÇcken wie „Der arme Vetter“, „Die echten Sedemunds“, „Der<br />

blaue Boll“ – nicht von vornherein und gleichmÑÅig von dieser Stilisierung ergriffen<br />

und ÇberhÖht wird, sondern daÅ die ekstatische Verweisung meist aus einem Raum<br />

alltÑglicher Wirklichkeit heraus erfolgt, allerdings in der Weise, daÅ dessen RealitÑtscharakter<br />

immer mehr aufgehoben wird.<br />

Auch von seinem inhaltlichen Anliegen her gehÖrt <strong>Barlach</strong> in den weiteren Zusammenhang<br />

der expressionistischen Dramatik und ihrer Vision von der Erneuerung des<br />

Menschen – bei <strong>Barlach</strong> nirgends aufs Soziologische und Kulturelle, sondern immer<br />

radikal aufs Existentielle und Metaphysische gewandt. „Die Sehnsucht ist zuletzt gewiÅ,<br />

/ Die in mir zehrt mit weinendster Gewalt / Nach meiner gott-ursprÇnglichen Gestalt“<br />

– dieses Zitat aus Werfels „Spiegelmensch“ macht den Zusammenhang deutlich.<br />

Schon bei der Betrachtung der „SÇndflut“ wurde offenbar, daÅ bei dieser religiÖsen<br />

Erneuerung des Menschen nicht die christliche Heilslehre im Spiele ist. Wo sich solche<br />

Elemente finden – im „Armen Vetter“ etwa „Ostern“, „Opferlamm“ und Eucharistiemotiv,<br />

in der „Guten Zeit“ das stellvertretende Opfer am Kreuz, im „Findling“ das<br />

„neugewordene Kommen des Kindes“ und vor allem im „Grafen von Ratzeburg“,<br />

dessen Stationen die Christophoruslegende zugrunde liegt – unterlegt sie <strong>Barlach</strong><br />

lediglich, um seine eigene Heilsbotschaft dem EmpfÑnger annÑhern zu kÖnnen.<br />

Die AnnÑherung an die Form der christlichen Legende im „Grafen von Ratzeburg“ ist<br />

besonders aufschluÅreich, denn sie liegt in der inneren Tendenz der dramatischen<br />

Mitteilung <strong>Barlach</strong>s. Wie das geheime Vorbild seiner Plastik die gotische Plastik und<br />

die Buddhastatue war, so liegt auch hier die AnnÑherung an eine Form vor, die einen<br />

vorgegebenen Inhalt vergegenwÑrtigt. <strong>Barlach</strong>s Inhalt aber bleibt demgegenÇber<br />

„Entwurf“, der weder auÅerhalb des plastischen oder dramatischen Gebildes dargestellt<br />

noch durch es verkÖrpert werden kann. Er kann, als Eingehen des Helden in<br />

das „Wissen Çber alles Wissen“, nur ganz abstrakt als „Heilsfindung“ bezeichnet<br />

werden, „Aufgehen des PersÖnlichen im ‘áberpersÖnlichen’“. Dieser Inhalt bedingt<br />

auch die Gebrochenheit der dramatischen Form <strong>Barlach</strong>s; denn er ist, streng genommen,<br />

kein Inhalt, sondern ein Zustand, der durch das Medium der bÇhnenmÑÅigen<br />

VorgÑnge hindurch beim EmpfÑnger der <strong>Barlach</strong>schen Botschaft hervorgerufen<br />

werden soll.<br />

(Horst Wagner, <strong>Barlach</strong>, Die SÄndflut, in: Benno von Wiese (Hg.), Das deutsche Drama. Vom Barock<br />

bis zur Gegenwart. Interpretationen, DÄsseldorf: August Bagel 1958, S. 338-356.)<br />

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