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Barlach-Dramen_Ueber.. - Peter Godzik

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einen ErstarrungsprozeÅ darstellen, einen rationalen áberbau Çber das an sich irrationale<br />

Grundgeschehen. Die Kunst aber, deren Wesen in diesem Erleben beschlossen<br />

ist, ist insofern stets religiÖs. Das war es denn auch, was Richard Wagner mit<br />

seinem bekannten Worte gemeint hat.<br />

Die hierfÇr erforderliche Haltung ist die der Abgeschiedenheit. Bekanntlich hat Meister<br />

Eckehart der Abgeschiedenheit eine seiner tiefsten Predigten gewidmet. In ihr<br />

heiÅt es:<br />

„Vollkommene Abgeschiedenheit kennt kein Absehen auf die Kreatur, kein<br />

Sichbeugen und kein Sicherheben, sie will weder darunter noch darÇber sein,<br />

sie will nur auf sich selber ruhen, niemandem zu Liebe und niemandem zu<br />

Leide. Sie trachtet weder nach Gleichheit noch nach Ungleichheit mit irgendeinem<br />

anderen Wesen, sie will nicht dies oder das, sie will nur mit sich selber<br />

eins sein.“<br />

Die Abgeschiedenheit ist nicht unbedingt Einsamkeit, sie ist vielmehr das Freiwerden<br />

unseres Selbst unter áberwindung der Ich-SphÑre. Das Ich ist wesentlich begrenzt,<br />

wie ja das IchbewuÅtsein ein selektives ist (vgl. die „Enge des BewuÅtseins“ der<br />

Psychologie). Das Selbst hingegen ist wesentlich unbegrenzt, soweit dies innerhalb<br />

der phÑnomenalen Welt mÖglich ist – Hermann Graf Keyserling hat es einmal wie<br />

folgt beschrieben:<br />

„Es ist die Çberempirische einsame Einzigkeit im Grunde unseres Wesens,<br />

und diese ist dem BewuÅtsein letzte Instanz, bis daÅ die Scheidewand nach<br />

oben zu durchbrochen und die einsame Einzigkeit zum Ausfallstore eines weiteren<br />

Transsubjektiven wird, welches dann hinter allen äuÅerungen des persÖnlichen<br />

Menschen steht, durch diesen hindurchleuchtet und ihn inspiriert.“<br />

Ernst <strong>Barlach</strong> war solch ein Abgeschiedener – nicht weil er sich in die Einsamkeit<br />

seines Ateliers am Inselsee bei GÇstrow zurÇckzog, nicht weil er die Menschen mied,<br />

wie das scheinen konnte: sondern weil er das seinem Wesen UngemÑÅe nie an sich<br />

herankommen lieÅ, weil er ungetrÇbt blieb von dem, was diesen Weg hÑtte stÖren<br />

kÖnnen, den er mit der RÇckkehr von seiner RuÅlandreise begann und erst mit seinem<br />

Tode im Jahre 1938 beendete. Wer diese Abgeschiedenheit aber hat, der steht<br />

Çber allen Dingen, an den kann nichts herantreten, das nicht seinem Sinne gemÑÅ<br />

wÑre. So heiÅt es unter Anspielung auf eine bekannte Stelle bei Meister Eckehart in<br />

dem bereits zitierten Werke Keyserlings:<br />

„Kann ich nur abgeschieden sein – und wer sollte mich daran hindern? – dann<br />

ist das Weltall, welches ich als Geist auffassen und benÖtigen kann, mein ....“<br />

Kommen wir wieder zu <strong>Barlach</strong> zurÇck. Was ist dieses „Es“, dessen geheimnisvolles<br />

Sein und Wirken schon dem Knaben gewiÅ ist? In seinem Drama „Die SÇndflut“<br />

(1924) lÑÅt er Sem sagen:<br />

„Gott ist nicht Çberall und Gott ist auch nicht alles. ... Er verbirgt sich hinter allem,<br />

und in allem sind schmale Spalten, durch die er scheint, scheint und<br />

blitzt. Ganz dÇnne, feine Spalten, so dÇnn, daÅ man sie nie wiederfindet,<br />

wenn man nur einmal den Kopf wendet. ... Ich seh’ ihn oft durch die Spalten,<br />

aber es ist so seltsam geschwind, daÅ es klafft und wieder keine Fuge zu finden<br />

ist ...“<br />

Und ergebnisreich fÇr unsere Studie ist, was Calan, der schlieÅlich seines Augenlichtes<br />

beraubte Widersacher Noahs, sagt. Wir lesen dort:<br />

„Die Welt ist groÅ und Gott ist winziger als Nichts – ein PÇnktchen, ein Glimmen;<br />

und alles fÑngt in ihm an, und alles hÖrt in ihm auf. Er ist ohne Gestalt<br />

und Stimme. Nur Glut ist Gott, ein glimmendes FÇnkchen, und alles entstÇrzt<br />

ihm, und alles kehrt in den Abgrund seiner Glut zurÇck. Er schafft und wird<br />

vom Geschaffenen neu geschaffen.“<br />

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