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Barlach-Dramen_Ueber.. - Peter Godzik

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fallend. Sollte dieses Verhalten Ihnen, lieber Herr Pastor, oder Ihrem Herrn Amtsbruder<br />

anstÖÅig erscheinen, so finde ich solches Urteil nur zu berechtigt und entziehe<br />

mich nicht der Folgerung, mich von einer Gemeinschaft zu lÖsen, deren Satzungen<br />

ich nicht entsprechen kann.<br />

Der Fluch des Individualismus liegt auch auf mir, ich pflege zu sagen: „Die PersÖnlichkeit<br />

ist eben doch nicht das grÖÅte GlÇck der Erdenkinder“, aber dieses Fegefeuer<br />

muÅ doch wohl von der Welt erlitten werden. Ich habe mir oft vorgenommen, das<br />

Wort Gott nicht mehr zu gebrauchen, denn ich fÇhle vernichtend den Unterschied<br />

zwischen dem menschlichen Empfindungs- und AnschauungsvermÖgen und dem<br />

alles Sein und Geschehen einschlieÅenden Begriff. In meiner „SÇndflut“ habe ich<br />

dem Bibelgott ja wohl nach VermÖgen das Letzte an GrÖÅe gegeben (ich weiÅ: „gegeben“<br />

ist eine Art LÑsterung), aber er ist vor meinem Gewissen doch der Gott, wie<br />

ihn Menschen als das Erhabenste zu sehen vermÖgen, weil sie sehen, sich vergegenwÑrtigen<br />

mÇssen, den sie so und nicht anders zu erkennen vermeinen. Leider bin<br />

ich KÇnstler und von Naturanlage gezwungen, Gestalt in allem wahrzunehmen, und<br />

so ist aus menschlichem und kÇnstlerischem UnvermÖgen zum Gestalt- und Begrenzungslosen<br />

Gott „geworden“, eben darum, weil man gestalten muÅ, ob man will oder<br />

nicht. So lebe ich in einem gewissen Zwiespalt meines Glaubens und Ahnens, aber<br />

seien Sie versichert, nicht ungern, sondern in der Zuversicht, daÅ Zweifel und Unsicherheit<br />

nichts sind, als was ich einmal in einem sonst schlechten Gedicht das „GlÇck<br />

des UngenÇgens“ nannte. Ich muÅ bekennen, daÅ dieses GlÇck beseligend ist, beseligend<br />

durch die Erfahrung einer schÖpferischen und unaufhaltsamen Ruhelosigkeit<br />

des absoluten Geschehens, vor dem weder eine religiÖse noch philosophische<br />

Bestimmung Geltung beanspruchen kann, die ich also hÖchstens als die<br />

jeweiligen Kennzeichen historischer HÖhepunkte der Menschheit anerkennen kann.<br />

DaÅ die Ausgestaltungen dieser einzelnen Phasen wahrhaft groÅ sind und mich darum<br />

immer wieder erschÇttern, verpflichtet mich nicht, ihnen oder einer einzelnen anzugehÖren.<br />

So lebe ich in einer UngewiÅheit, die mir eine Vorstufe erscheint, von der<br />

ich nicht zurÇcktreten kann, ohne an mir eine Beschneidung gerade dessen zuzulassen,<br />

was ich als Sprossen und Entfalten leisester AnfÑnge Çber die Begrenztheit<br />

meiner zu ihrer Zeit beglÇckenden frÇheren ZustÑnde hinaus ansehe. Ich hafte somit<br />

zu einem Teil, ob aus Gewohnheit, TrÑgheit des Geistes oder aus Scheu vor Entscheidungen,<br />

die sich abermals als nicht endgÇltig erweisen werden, sei dahingestellt,<br />

an dem Alten, wobei der Grad der bloÅen äuÅerlichkeit oder der frÇheren inneren<br />

Verwachsenheit nicht bestimmt werden kann.<br />

Was ich weiter zu sagen hÑtte, verschlieÅe ich in mich, denn schon die NÖtigung zur<br />

Vertiefung oder zum Eingehen darauf beim Lesen durch Sie wÑre einer unzulÑssigen<br />

Beeinflussung vergleichbar, weil es so eindringlich vorgetragen werden mÇÅte, als ob<br />

es Çberzeugen wollte. Ich glaube aber, daÅ alles Notwendige empfangen und als<br />

selbstverstÑndlich hingenommen werden muÅ, glaube obendrein, daÅ das Wort ein<br />

elender Notbehelf, ein schÑbiges Werkzeug ist und das eigentliche und letztliche<br />

Wissen wortlos ist und bleiben muÅ. Es ist dem Menschen gegeben als Kleingeld zur<br />

Bestreitung seiner BedÇrftigkeit und maÅt sich immer wieder die Ordnung absoluter<br />

Dinge an, ein irdischer Topf der Zeitlichkeit, der aus der Ewigkeit schÖpfen mÖchte.<br />

SchlieÅlich mache ich kein Hehl aus dem BewuÅtsein, mit all diesem nur das UngefÑhre<br />

des zu Sagenden getroffen zu haben. Die Forderung des: „Erkenne dich<br />

selbst!“ ist vielleicht die allerhÖchste und schwerste. áber sich aussagen wollen ist<br />

doch wohl allermeist das Wagnis einer UnmÖglichkeit.<br />

Mit herzlichen GrÇÅen bin ich Ihr sehr ergebener E. <strong>Barlach</strong><br />

Ernst <strong>Barlach</strong> an Johannes Schwartzkopff, 3.12.1932, Die Briefe 1888-1938 in zwei BÇnden, Band II:<br />

Die Briefe 1925-1938, herausgegeben von Friedrich DroÉ, MÄnchen: Piper 1969, Seite 335-338.<br />

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