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Barlach-Dramen_Ueber.. - Peter Godzik

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An Edzard Schaper (1926)<br />

Ich bin Çberzeugt, daÅ bei mir ein sinngemÑÅes Arbeiten erst mÖglich war, nachdem<br />

sich das plastische und dichterische VermÖgen, jedes fÇr sich, sich zu seiner Form<br />

gefunden hatte. Solange ich aus dem VollgefÇhl, aus dem allgemeinen Drang heraus<br />

gestaltete oder besser: werden lieÅ, was werden wollte, konnte nichts anderes als<br />

Verschwommenheit entstehen, noch jetzt muÅ ich kÑmpfen, das eine nicht durch das<br />

andere verwischen zu lassen. Ich war 30 Jahre, als ich anfing, mich dramatisch auszusprechen,<br />

und fÇhle, daÅ um dieselbe Zeit das blasse Bilden und Gestalten zum<br />

plastischen VermÖgen strebte. Ich sage nicht: zum Wollen, denn ich erkannte, daÅ<br />

alles bewuÅte Zielen mir nichts eintrug, ich muÅte mich dem von mir und meinen<br />

WÇnschen unabhÑngigen GeheiÅ unterwerfen, einem Bestimmen, das mir eine Art<br />

innerer PassivitÑt aufzwang, so kommt es also heraus, daÅ ich – beim Schreiben –<br />

Handlungen und Gestalten wahrnehme, fÇr die ich nur ein Çbriges tun mÇÅte, um<br />

ihre Worte zu erlauschen und ihrem Gang die Wege zu ebnen. Ich darf also gewissermaÅen<br />

die Verantwortung ablehnen, sehe aber natÇrlich, daÅ da nichts entsteht,<br />

als was meiner PersÖnlichkeit Ñhnlich ist. Was ich gegenÇber dieser PersÖnlichkeit<br />

als Begrenztheit und Enge empfinde, als von ihr bedingt, durch sie mit dem Fluch<br />

des Zeitlichen beladen, gehÖrt wohl nicht hierher, es genÇgt wohl, wenn „ich“ mich<br />

als etwas anderes als meine PersÖnlichkeit empfinde, um anzudeuten, daÅ ich mein<br />

wahres Wesen in einer dunklen, unbewuÅten Tiefe suche.<br />

So sind auch wohl alle meine Gestalten nichts anderes als zum Sprechen und Handeln<br />

geborene StÇcke dieses unbekannten Dunkels, wie ich auch nichts dagegen zu<br />

sagen habe, wenn man meint, daÅ meine plastischen Gestalten nichts sind als sehnsÇchtige<br />

MittelstÇcke zwischen einem Woher? und einem Wohin?<br />

Ich muÅ mir schon Gewalt antun, um nur dieses zu sagen, fÇhle sehr deutlich mein<br />

UnvermÖgen zur verstandesgemÑÅen Aufhellung, sehe auch nicht recht, was ich mit<br />

solchem Versuch Gutes ausrichte, ja, ich meine, daÅ dieses alles nicht meine Sache<br />

ist und daÅ ich mich mit der Tatsache begnÇgen sollte, Leben zu fÇhlen und ihm<br />

nach VermÖgen Form zu geben.<br />

Ich will versuchen, etwas wie einen LebensabriÅ hinzuzufÇgen. Ich bin 56 Jahre alt,<br />

1870 an der Niederelbe geboren, in Wedel in Holstein, lebte eine kleinbÇrgerliche<br />

Jugend, war oft mit dem Vater im Doktorwagen Çber Land in BauernhÑusern und<br />

-gÇtern. Hingegeben an das Leben von Regen und Wind fÇhlte mein Sein im Sein<br />

von Wolken und WÑldern und Wassern, immer mit Schreiben nicht weniger als mit<br />

kÇnstlerischen Versuchen beschÑftigt, wurde zÇnftiger Bildhauer ohne jede Orientierung<br />

durch geeignete Leitung und immer gedrÑngt, mich in Versen und Prosa hÖchst<br />

ÇberschwÑnglich auszusprechen. Ein Zufall brachte meinen „Toten Tag“ ans Licht,<br />

indem ich aufgefordert wurde, fÇr die Panpresse ein lithographisches Werk zu geben.<br />

So kam das Buch mit meinen Zeichnungen heraus.<br />

Eine zweimonatliche Reise nach Russland, 1906, war es wohl, die mir den Begriff<br />

von Grenzenlosigkeit gab, aus dem heraus ich mich zu Unternehmungen ermutigt<br />

sah. Eine Grenzenlosigkeit, in der sich das Menschliche nur als kristallisierte, festgeformte<br />

Gestaltung behaupten konnte, wollte man das Menschliche Çberhaupt festhalten.<br />

Als Bildhauer glÇckte mir damals zum ersten Mal ganz solche Formung, wie weit<br />

sie mir als Dramatiker geglÇckt ist, wage ich nicht zu sagen; nicht zu sagen, ob ich<br />

hier mehr als einen Anfang gemacht habe, ob meine Sehnsucht nach Einfachheit<br />

und Klarheit eine Spur von ErfÇllung gefunden.<br />

Ernst <strong>Barlach</strong> an Edzard Schaper, 10. Mai 1926; in: ders., Die Briefe 1888-1938 in zwei BÇnden, Band<br />

II: Die Briefe 1925-1938, herausgegeben von Friedrich DroÉ, MÄnchen: Piper 1969, S. 62-64.<br />

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