05.02.2013 Aufrufe

Christa Wolfs ,,Medea'' - Rekonstruktion eines Mythos

Christa Wolfs ,,Medea'' - Rekonstruktion eines Mythos

Christa Wolfs ,,Medea'' - Rekonstruktion eines Mythos

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

ureigenen Schwächen. Sie spricht von Angst, Schuld, Fremdheit, Gleichgültigkeit. Sie erwähnt<br />

Masken, die das Volk trägt aus Angst vor Gefahr, auch wenn Wut darunter brennt. (1, S. 179) Sie<br />

hinterfragt Grundthemen der politischen Macht, die Mann-Frau-Opposition, die Widersprüche<br />

unserer Zivilisation, die keinerlei Hoffnung auf Ausweg und damit auf Rettungsperspektiven für<br />

unsere Welt zulassen. (Rupp) ,,Ich denke es sind immer die gleichen Gründe, die Gruppen von<br />

Menschen dazu bringen, andere zu entwerten und zu dämonisieren: Unkenntnis, Angst, Abwehr,<br />

Schuldgefühle, Entlastungsbedürfnis. Das ist ja nun auch unsere jüngste Erfahrung.'' (2, S. 32)<br />

Schwarz-Weiß-Denken, eindeutige Schuldzuweisungen für konkrete Situationen haben nur selten<br />

oder gar keine Berechtigung. „Kann ein Mensch so böse sein?“ stellt sie eine Schwerpunktfrage in<br />

den Raum. In „Medea“ ist jegliche Gemeinschaft zerbrochen, Kommunikation unmöglich<br />

geworden. Wie geht es uns – in unserer Gesellschaft? „Nicht lügen können ist eine schwere<br />

Behinderung.“ spricht Medea und ergänzt: „Die hier, Absyrtos, sind Meister im Lügen, auch im<br />

Sich-Selbst-Belügen.“ Wie ehrlich sind wir in unserem Sozialstaat? Wie ehrlich sind wir zu uns<br />

selbst? Welche Leichen halten wir in unseren Kellern versteckt?<br />

Wolf gibt auch in ihren ,,Voraussetzungen für einen Text'' einen Hinweis darauf, das von ihr<br />

geschriebene Medea-Buch nicht auf sich selbst zu beschränken, auf eine bestimmte zeitliche Etappe<br />

beziehungsweise auf eine konkret benannte Situation: ,,Welche grundlegend verschiedenen<br />

Wertesysteme stoßen aufeinander, und inwiefern legt die Medea-Geschichte Zeugnis davon ab, dass<br />

die Vertreter der 'höheren', will heißen: siegreichen Werte niemals bereit und in der Lage sind, die<br />

Lebensweise, die Ziele und Ideale, die Glaubensvorstellungen der unterlegenen Gruppen, sozialen<br />

Schicht, der besiegten Bevölkerung zu begreifen, ja: auch nur zu sehen, geschweige sie als Werte<br />

anzuerkennen? Sie sehen, alles höchst aktuelle Fragen..." Höchst aktuelle Fragen. Betrachtet man<br />

das heutige Weltgeschehen, schimmert Medeas Gestalte wie eh und je durch die Schichten der Zeit.<br />

Es wäre nun an uns, von ihr zu lernen. ,,Wir besitzen den Schlüssel, der alle Epochen aufschließt,<br />

manchmal benutzen wir ihn schamlos, werfen einen eiligen Blick durch den Türspalt, erpicht auf<br />

schnellfertige Urteile, doch sollte es auch möglich sein, uns schrittweise zu nähern, mit Scheu vor<br />

dem Tabu, gewillt, den Toten ihr Geheimnis nicht ohne Not zu entreißen. Das Eingeständnis<br />

unserer Not, damit müßten wir anfangen.'' (1, S. 9)<br />

28

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!