LEOPOLD IM SPIEGEL DER ZEIT - a3kultur
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03<br />
08. bis 21. Oktober 2012<br />
Der Präsident des Bezirks Schwaben residiert im<br />
fünften Stock eines schlichten Verwaltungsgebäudes<br />
aus den 50er-Jahren am Hafnerberg im<br />
Domviertel. Der Diplom-Betriebswirt Jürgen Reichert<br />
übt dieses Ehrenamt seit nun bald zehn<br />
Jahren aus. Die sachliche, unaufgeregte Art des<br />
Hauses passt zu seinem Chef. An den Wänden<br />
hängen Werke schwäbischer Künstler und irgendwo<br />
wird gerade renoviert. Reichert kommt<br />
direkt von einem Termin in Neu-Ulm zum Gespräch.<br />
Die Baustelle auf der A8 hat ihn etwas<br />
aufgehalten. Die kleine Verspätung ist dem<br />
60-Jährigen unangenehm. Sie passt nicht zu<br />
seinem Arbeitsethos. Wer wie Reichert immer an<br />
mehreren Stellen gleichzeitig gefragt ist, muss es<br />
mit der Einteilung seiner Zeit wohl auch besonders<br />
genau nehmen, um seinen Aufgaben gerecht<br />
zu werden.<br />
Im Hauptberuf ist der schwäbische Bezirkstagspräsident<br />
Direktor der St. Gregor Kinder-, Jugend-<br />
und Familienhilfe und leitet deren<br />
Trägerin, die Katholische Waisenhausstiftung<br />
Augsburg. Der Doppelbelastung gewinnt Reichert,<br />
der sich seit seiner Jugend in der kirchlichen<br />
Sozialarbeit engagiert, positive Aspekte<br />
ab. Nur so konnte er die Wohlfahrtspolitik wie<br />
auch den Alltag der sozialen Träger genau kennenlernen,<br />
um damit »in Kenntnis beider Seiten<br />
möglichst optimale Ergebnisse zu erzielen«, wie<br />
er es ausdrückt. In der Vergangenheit hat sich<br />
diese Doppelfunktion sowohl für den Bezirk als<br />
auch für die St. Gregor-Jugendhilfe ausgezahlt.<br />
Beide Institutionen konnten in den letzten Jahren<br />
ein beachtliches Wachstum verzeichnen<br />
und sich für die Herausforderungen der Zukunft<br />
rüsten.<br />
Kliniken, Sozialarbeit, kulturelle Themen …<br />
die Handlungsstränge des Bezirks laufen früher<br />
oder später bei Jürgen Reichert zusammen<br />
Nachdem Reichert den zeitlichen Aufwand für<br />
die St. Gregor-Jugendhilfe zuletzt etwas zurückfahren<br />
konnte, wird im kommenden Jahr seine<br />
Altersteilzeit im vollen Umfang wirksam, womit<br />
sich dem Präsidenten etwas mehr Spielraum für<br />
seine Aufgaben im Bezirk öffnet. Dieser ist laut<br />
Reichert auch deshalb notwendig, »um den komplexen<br />
Aufgaben der Zukunft die notwendige Zeit<br />
für qualitätsvolle Entscheidungen einzuräumen«.<br />
Diese Aufgaben konzentrieren sich in erster<br />
Linie auf den Betrieb der bezirkseigenen<br />
Kliniken und die Leistung zahlreicher sozialer<br />
Aufgaben in Bereichen wie der Altenpflege oder<br />
der Arbeit mit und für Behinderte. Darüber hinaus<br />
engagiert sich der Bezirk bei zahlreichen<br />
kulturellen Themen. Alle diese Handlungssträn-<br />
im Land der Mecheler und tüftler<br />
Jürgen Reichert ist seit bald zehn Jahren Präsident des Bezirks Schwaben. Ein Porträt von Jürgen Kannler<br />
»Kultur rechnet sich nicht, aber sie zahlt sich aus.« Als Betriebswirt kennt Jürgen Reichert die positive Wirkung einer guten Kulturpolitik auf viele Bereiche der gesamten Volkswirtschaft. Vom<br />
Dach der Verwaltungszentrale des Bezirks Schwaben hat er einen guten Überblick vom Ries bis ins Allgäu Foto: <strong>a3kultur</strong><br />
ge laufen früher oder später bei Jürgen Reichert<br />
zusammen. So ist der Präsident Vorsitzender des<br />
Bezirks-, des Kultur- und Europa-, des Sozial- und<br />
Psychiatrie- sowie des Jugendausschusses, außerdem<br />
des Irsee-Werkausschusses und des Verwaltungsrats<br />
der Bezirkskliniken Schwaben.<br />
Diese Anforderungen können unmöglich von<br />
einem Frühstückspräsidenten gestemmt werden,<br />
sondern erfordern den Einsatz eines erfahrenen<br />
und gut vernetzten Managers. Jürgen<br />
Reichert ist so ein Mann. Dass seine Familie samt<br />
den drei Enkeln wegen seiner Verpflichtungen<br />
häufig zurückstecken muss, ist für den Vollblutschwaben<br />
einer der wenigen Wermutstropfen in<br />
seinem Amt. Doch auch in dieser Hinsicht erhofft<br />
er sich durch das baldige Ende seiner<br />
hauptberuflichen Verpflichtungen eine deutliche<br />
Verbesserung. Schließlich ist er auch auf<br />
den Rückhalt seiner Familie angewiesen, wenn<br />
er 2013 erneut für das Präsidentenamt kandidieren<br />
möchte.<br />
Mit der Neuausrichtung von 1953 fand<br />
der kulturelle Aspekt Eingang in den<br />
Aufgabenbereich der Bezirke<br />
Im hessischen Korbach 1951 als Kind sudetendeutscher<br />
Eltern geboren, gelange er schon bald<br />
nach Schwaben. Die gewachsene tiefe Verbundenheit<br />
zu seinem Bezirk wird auch deutlich,<br />
wenn er aus dem Stegreif über die Geschichte<br />
seiner zutiefst föderalistischen Körperschaft referiert,<br />
die zu Beginn des 19. Jahrhunderts von<br />
Minister Montgelas, dem Vordenker des Bayernkönigs<br />
Maximilian I., ins Leben gerufen wurde.<br />
Schon früh fiel den Bezirken die Verantwortung<br />
für die damals nach modernsten Standards errichteten<br />
psychiatrischen Einrichtungen zu.<br />
Gleiches galt für die damals ebenfalls neu gegründeten<br />
Einrichtungen für Behinderte. In diesem<br />
historischen Kontext erwuchsen somit zwei<br />
der wichtigsten Aufgabenbereiche der Bezirke.<br />
Für Jürgen Reichert sind sie außerdem ein<br />
»Wachstumsmarkt« mit jährlich steigender<br />
Quote, den er mit seinen Anstalten zu bewältigen<br />
hat. Denn das Leistungsspektrum der Bezirke<br />
basiert nicht auf Freiwilligkeit, sondern ist<br />
in der Bezirksordnung von 1953 festgelegt. Dort<br />
ist unter anderem auch bestimmt, dass »die Bevölkerung<br />
jedes Regierungsbezirks parallel zu<br />
den Landtagswahlen einen Bezirkstag wählt, der<br />
ebenso viele Bezirksräte zählt wie der Bezirk Abgeordnete<br />
im Landtag hat«, wie im Historischen<br />
Lexikon Bayerns nachzulesen ist. Im Zuge dieser<br />
Neuausrichtung fand unter dem Oberbegriff der<br />
Heimatpflege auch der kulturelle Aspekt Eingang<br />
in den Aufgabenbereich der Bezirke. Dieser<br />
Heimatbegriff wird in Schwaben vor allem als<br />
Verantwortung verstanden, bei der Schaffung<br />
und Bewahrung von Identität Hilfestellungen zu<br />
leisten. Ein Angebot, das sich nicht nur an »Alteingesessene«<br />
richtet, sondern explizit auch Zuwanderer<br />
jeder Art einschließt, wie Reichert<br />
betont.<br />
»Kultur braucht der Mensch zum Leben.<br />
Sie schafft Identität und macht ihn<br />
weniger anfällig für Krisen«<br />
Wer eine Bayernkarte zur Hand nimmt, wird<br />
schnell feststellen, dass kein anderer Bezirk eine<br />
mit Schwaben vergleichbare Vielfalt aufweisen<br />
kann, das sich vom Ries im Norden bis zum<br />
Hochgebirge im Süden erstreckt. »Diese Vielfalt<br />
spiegelt sich auch in einer Vielschichtigkeit<br />
wider, die enorme Substanz, nicht zuletzt in<br />
kultureller Hinsicht, birgt. Die so geprägte Differenzierung<br />
ist eine der Stärken Schwabens. Hier<br />
war immer schon Initiative gefragt, um brauchbare<br />
Lösungen zu finden. Ein idealer Nährboden<br />
für Mecheler und Tüftler, die vom bunten Fleckerlteppich<br />
Schwaben aus neue Ideen und Produkte<br />
entwickelten«, befindet Reichert und fügt<br />
hinzu: »Kultur braucht der Mensch zum Leben.<br />
Sie schafft Identität und macht ihn weniger anfällig<br />
für Krisen.«<br />
Der Bezirk konzentriert sich bei seinem kulturellen<br />
Engagement vor allem auf Programme<br />
und Einrichtungen, deren Qualität entweder in<br />
ihrer Einzigartigkeit liegt, wie beispielsweise<br />
beim Textilmuseum tim und dem Käthe-Kruse-<br />
Museum in Donauwörth, oder die Gesamtschwaben<br />
im Fokus haben, wie etwa die Anlage in<br />
Oberschönenfeld oder das Bauernhofmuseum in<br />
Illerbeuren mit seinen historischen Gebäuden<br />
aus allen Teilen des Bezirks. Letzteres liegt Reichert<br />
wohl besonders am Herzen, jedenfalls lässt<br />
er es sich nicht nehmen, mehrmals im Jahr selber<br />
Behindertengruppen durch das Freiluftmuseum<br />
zu führen und sie im Anschluss auf eine<br />
ordentliche Brotzeit einzuladen.<br />
Für seine vielfältige Kulturarbeit zwischen<br />
Trachtenberatung, Literatur- und Theaterprojekten,<br />
Denkmalpflege und den eigenen Museen<br />
wendet der Bezirk jährlich rund 7,5 Millionen<br />
Euro auf. Das entspricht knapp 1,4 Prozent des<br />
Gesamtetats. Jürgen Reichert sähe die Quote<br />
zwar gern bei zwei Prozent oder sogar darüber<br />
und sagt: »Kultur rechnet sich nicht, aber sie<br />
zahlt sich aus.« Als Betriebswirt kennt er die positive<br />
Wirkung einer guten Kulturpolitik auf<br />
viele Bereiche der gesamten Volkswirtschaft und<br />
vermisst diesen geübten Blick bei manchen seiner<br />
Kollegen in der Politik.<br />
POrtrÄt<br />
Gegenstände haben kein<br />
Bewusstsein, nehmen die<br />
Kamera nicht wahr und<br />
erzählen trotzdem immer<br />
eine Geschichte. Sie »verhalten<br />
sich natürlich«.<br />
Aus Sangiovese-Trauben des berühmtesten<br />
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warm und schmeichelnd, entlockt er der<br />
klassischen Rebsorte völlig neue und<br />
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