05.02.2013 Aufrufe

50 - Alexander von Humboldt-Stiftung

50 - Alexander von Humboldt-Stiftung

50 - Alexander von Humboldt-Stiftung

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>Alexander</strong> <strong>von</strong> <strong>Humboldt</strong>-<strong>Stiftung</strong><br />

<strong>Humboldt</strong><br />

kosmos<br />

>><br />

>><br />

kosmos Nr.86 >> Dezember 2005<br />

Die Macht der Bilder<br />

The Power of Images


Verstärkung für Ihr Forschungsteam<br />

Support for your research team<br />

Sie sind <strong>Humboldt</strong>-Fellow? Dann können Sie jetzt, gefördert<br />

durch das Feodor Lynen-Stipendium, Ihren<br />

Wunsch-Mitarbeiter engagieren. Wir unterstützen<br />

langfristige Forschungsaufenthalte hoch qualifizierter<br />

deutscher Postdocs am Institut eines ehemaligen<br />

<strong>Humboldt</strong>-Stipendiaten oder -Preisträgers im Ausland.<br />

Gefördert werden deutsche Wissenschaftlerinnen und<br />

Wissenschaftler aus allen Fachgebieten, die zum Zeitpunkt<br />

des Stipendiumantritts ihre Promotion abgeschlossen<br />

haben und jünger als 38 Jahre sind.<br />

Die Bewerbung kann jederzeit auf Anregung des wissenschaftlichen<br />

Gastgebers im Ausland oder durch Eigeninitiative<br />

des Bewerbers erfolgen. Mit der Antragstellung<br />

muss ein mit dem Gastgeber abgesprochener Forschungsplan<br />

vorgelegt werden.<br />

Bewerbungsunterlagen und weitere<br />

Informationen finden Sie unter<br />

www.humboldt-foundation.de/lynen<br />

Bewerbungen sind jederzeit möglich.<br />

Are you a <strong>Humboldt</strong> Fellow? If so, you can now take<br />

on a research associate of your choice, with sponsorship<br />

from the Feodor Lynen Research Fellowships. We<br />

support long-term foreign research stays for highlyqualified<br />

German scholars at an institute of a former<br />

<strong>Humboldt</strong> guest researcher abroad.<br />

Research fellowships are available to German<br />

scientists of any discipline who have completed their<br />

doctorate and are younger than 38 at the start of<br />

the fellowship.<br />

Applications may be submitted either on the recommendation<br />

of an academic host abroad or on the<br />

candidate's own initiative. They must include a research<br />

plan, which has to be agreed in advance with<br />

the host organisation.<br />

Application forms and further<br />

information can be found at<br />

www.humboldt-foundation.de/ lynen<br />

Applications can be made at any time.<br />

<strong>Alexander</strong> <strong>von</strong> <strong>Humboldt</strong>-<strong>Stiftung</strong><br />

Jean-Paul-Str. 12 · 53173 Bonn<br />

Tel: ++49-2 28-8 33-0<br />

E-Mail: info@humboldt-foundation.de<br />

www.humboldt-foundation.de


1 >> <strong>Humboldt</strong> kosmos 86/2005<br />

>><br />

Editorial<br />

Liebe Leserinnen und Leser,<br />

wenn ich als Kind durch die Straßen meiner Heimatstadt<br />

(des bayerischen Augsburg) ging, habe ich mich<br />

an den sprudelnden Brunnen der breiten Straße<br />

gefreut, welche die Stadt <strong>von</strong> Süden nach Norden<br />

durchquert. Lesen konnte ich die Bilder der Architektur<br />

damals nicht. Diese breite Straße, so wurde mir<br />

später bewusst, ist spätantiken Ursprungs, weil die<br />

Gründung der Stadt auf ein Kastell römischer Legionen<br />

zurückgeht. An der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert<br />

hat dann die Freie Reichsstadt den alten Prozessionsweg<br />

durch drei in Brunnenform gefasste Denkmäler<br />

geschmückt, durch einen Augustus-, einen Merkur-<br />

und einen Herkulesbrunnen. Wer „lesen“ kann,<br />

wird darin den wohlgeordneten sozialen Raum der<br />

alten Stadt erkennen: Augustus ist Sinnbild des Stadtregiments;<br />

Merkur, der Gott des Handels, ist Allegorie<br />

der patrizischen Kaufmannsgeschlechter; und Herkules<br />

schließlich ist Abbild der Handwerker, die in den<br />

heute noch nach ihnen benannten Gässlein, getrennt<br />

nach Berufen, abseits der breiten Straße zusammenwohnten.<br />

So gibt es in den alten Städten eine Brotund<br />

eine Fleischstraße, ein Färbergässlein, einen<br />

Schmiedberg und viele andere sprechende Straßen.<br />

Gekrönt wurde in Augsburg das Ensemble der Brunnen<br />

durch den Reichsadler auf dem Giebel des städtischen<br />

Siegelhauses. Denn der Kaiser war der eigentliche<br />

Herr der Freien Reichsstadt. Der Heidelberger<br />

Archäologe Tonio Hölscher hat gezeigt, dass solch<br />

sprechende Stadtbilder, in denen sich die Architektur<br />

mit Skulpturen, Mosaiken und Vasenbildern verbindet,<br />

in der griechischen und der römischen Antike wurzeln.<br />

Er hat belegt, dass und wie eine solche Bildsprache<br />

<strong>von</strong> allen Bewohnern der heterogenen Teile der alten<br />

Reiche verstanden wurde.<br />

Bis tief in das 18. Jahrhundert hinein haben alle Dinge<br />

der Natur und der Kultur etwas bedeutet. Die Menschen<br />

konnten mehr Sprachen lesen als nur die der<br />

Wörter, der Texte, der Schriftzeichen. Sie konnten die<br />

Kirchen, die Tempel, die Friedhöfe lesen, sie lebten in<br />

und mit den Ritualen, die dort verrichtet wurden, die<br />

Biblia Pauperum war auf die Innenwände mittelalterli-<br />

Titelthema Coverstory<br />

cher Dome gemalt. Das 18. Jahrhundert, die Zeit der<br />

Aufklärung, hat den Orient vom Okzident getrennt.<br />

Jetzt verloren die „Dinge“, die einst auf das hinter<br />

ihnen liegende „Numinose“ verwiesen, ihre vielschichtige<br />

Aussage. Sie „bedeuteten“ nicht mehr, sie waren<br />

nur noch sie selbst. In dieser Zeit entstand mit der Vorherrschaft<br />

der Wörter und der Texte die moderne, rationale<br />

Wissenschaft, in deren Kern der kreative Zweifel<br />

nistet. Wir, die wir in Zeiten aufgewachsen sind, die<br />

<strong>von</strong> Wörtern und Texten beherrscht werden, sind leicht<br />

zu betrügen <strong>von</strong> unerkannten Ritualen, <strong>von</strong> unbestechlichen<br />

Fotografien, welche scheinbar nur Wirklichkeit<br />

abbilden, aber doch manipulierbar sind.<br />

„Medienkompetenz“ nennen wir den Versuch, über die<br />

Worte und die Texte hinauszudringen, einer flüchtigen<br />

Zeit die Dynamik der Rituale abzuschauen, zu lernen,<br />

welche Sprache die Bilder sprechen, wie zumal die<br />

Fotografie und das bewegte Bild unser Leben dominieren.<br />

Die amerikanische Essayistin Susan Sontag, die<br />

2003 in Frankfurt mit dem Friedenspreis des Deutschen<br />

Buchhandels ausgezeichnet wurde und ihr<br />

Leben darauf gesetzt hat, die tiefe Kluft zwischen dem<br />

„neuen“ Amerika und dem „alten“ Europa zu erklären,<br />

hat uns deutlich gemacht, dass und wie unsere Wirklichkeit<br />

zumal durch die Kriegsfotografie gedeutet und<br />

verfälscht werden kann, welche Macht für die im Bildsehen<br />

ungeübten Menschen selbst <strong>von</strong> einer Fiktion<br />

der Wirklichkeit ausgeht. Die Wirklichkeit, die wir<br />

leben, stellt sich in Bildern und in Sprache her, in Bildern<br />

der Erinnerung ebenso wie in Visionen der<br />

Zukunft. Beide, Vergangenheit und Zukunft, stehen<br />

(nach Maurice Halbwachs) nicht naturwüchsig an. Sie<br />

sind soziale Setzungen, konstruiert aus den jeweiligen<br />

Bedürfnissen der Gegenwart. Von der Macht der Bilder<br />

handelt dieses Heft des <strong>Humboldt</strong>-Kosmos. Wir alle<br />

sind ihr unterworfen und sollten daher versuchen,<br />

„lesen“ zu lernen.<br />

Aus Bonn grüßt herzlich die Mitglieder der weltweiten<br />

<strong>Humboldt</strong>-Familie<br />

Wolfgang Frühwald


Impressum Imprint<br />

<strong>Humboldt</strong> Kosmos<br />

Ausgabe Issue<br />

86<br />

Herausgeber Publisher<br />

<strong>Alexander</strong> <strong>von</strong><br />

<strong>Humboldt</strong>-<strong>Stiftung</strong><br />

V.i.S.d.P. Responsible person in<br />

accordance with German press law<br />

Generalsekretär<br />

Secretary General<br />

Dr. Georg Schütte<br />

Redaktion Editorial Staff<br />

Georg Scholl (Leitung) (Head)<br />

Ulla Hecken<br />

Redaktionelle Mitarbeit<br />

Editorial support<br />

Alexandra Dahir<br />

Satz Typesetting<br />

Courir-Druck GmbH, Bonn<br />

Übersetzungen ins Englische<br />

English Translations<br />

Mike Gardner<br />

Wissenschaftlicher Beirat<br />

Academic Advisory Board<br />

Prof. Dr. Roland Fischer<br />

Prof. Dr. Joachim Jens Hesse<br />

Prof. Dr. Wolfgang Peter Schleich<br />

Prof. Dr. Waltraud Wiethölter<br />

Redaktionsbeirat<br />

Editorial Advisory Board<br />

Dr. Ulrike Albrecht<br />

Dr. Sven Baszio<br />

Dr. Johannes Belz<br />

Dr. Gisela Janetzke<br />

Dr. Barbara Sheldon<br />

Redaktionsanschrift Address<br />

Redaktion <strong>Humboldt</strong> Kosmos<br />

Jean-Paul-Straße 12<br />

D-53173 Bonn<br />

presse@avh.de<br />

www.humboldt-foundation.de<br />

Verlag und redaktionelle<br />

Verantwortung für die Rubrik<br />

Nachrichten Publishing House<br />

and editorial responsibility for<br />

the News section<br />

Lemmens Verlags- &<br />

Mediengesellschaft mbH<br />

Matthias-Grünewald-Str. 1-3<br />

D-53175 Bonn<br />

info@lemmens.de<br />

www.lemmens.de<br />

Druck Printer<br />

Druckpartner Moser GmbH,<br />

Rheinbach<br />

Erscheinungsweise 2 x jährlich<br />

Appearing twice a year<br />

Auflage dieser Ausgabe<br />

Circulation of this issue<br />

32.000<br />

>>><br />

2 >> <strong>Humboldt</strong> kosmos 86/2005<br />

>><br />

Inhalt<br />

Contents<br />

Titelthema Coverstory


Bildnachweis Picture credits<br />

Titel, S. 29, 45: Böll & Fischer GbR,<br />

Unkel<br />

S. 2, 32, 33 oben rechts, 47, 49: picturealliance/ZB-Fotoreport<br />

S. 3: picture-alliance/KPA/HIP/ArtMedia;<br />

picture-alliance/dpa-Report; Paul<br />

Eckenroth/JOKER, picture-alliance/<br />

dpa-Fotoreport<br />

S. 7: picture-alliance/OKAPIA, Manfred<br />

P. Kage<br />

S. 9, 10/11: Autor<br />

S. 13: picture-alliance/KPA/HIP/ArtMedia<br />

S. 14: picture-alliance/akg-images<br />

S. 15: picture-alliance/KPA/HIP/The British<br />

Library<br />

S. 16, 63, 64: picture-alliance/dpa-Fotoreport<br />

S. 19: Autor<br />

S. 20 oben: CDU; unten: SPD<br />

S. 22, 23: Autor<br />

S. 25, 27: picture-alliance/akgimages/Erich<br />

Lessing<br />

S. 26: picture-alliance/akg-images<br />

S. 31 oben, S. 33 oben links: Universität<br />

Magdeburg<br />

S. 31 unten: picture-alliance/OKAPIA KG,<br />

Germany<br />

S. 35: picture-alliance/dpa-Bildarchiv<br />

S. 37: picture-alliance/dpa-Report<br />

S. 39 oben, 43 oben links: picturealliance/dpa-Bildarchiv<br />

S. 39 unten: picture-alliance/dpa<br />

S. 41 oben links: picture-alliance/ZB/<br />

dpa-Report<br />

S. 41 oben rechts: picture-alliance/KPA<br />

Copyright<br />

S. 43 oben rechts: picture-alliance/dpa/<br />

ZB-Special<br />

S. 48: picture-alliance/dpa/dpaweb<br />

S. <strong>50</strong>: Paul Eckenroth/JOKER<br />

S. 51: Auswärtiges Amt<br />

S. 52: Hartwig Lohmeyer/JOKER<br />

S. 53: oben links: Photo Disk, oben<br />

rechts: Deutsches Elektronen-Synchrotron<br />

(DESY)<br />

S. 54: David Ausserhofer/JOKER<br />

S. 55 oben links: Deutscher Bundestag<br />

S. 55 oben rechts: Deutscher Bundestag<br />

S. 56 <strong>von</strong> oben nach unten: picture-alliance/dpa/dpaweb/dpa-Report;picturealliance/dpa/dpaweb/dpa-Bildfunk;picture-alliance/dpa/dpaweb/dpa-Report;<br />

S. 57 oben und unten: picture-alliance/<br />

dpa/dpaweb/dpa-Report<br />

S. 59, 61: <strong>Humboldt</strong>-<strong>Stiftung</strong><br />

Autorenfotos: privat<br />

Die Beiträge geben die persönliche Sicht<br />

der Autoren und nicht die der <strong>Alexander</strong><br />

<strong>von</strong> <strong>Humboldt</strong>-<strong>Stiftung</strong> wieder. Nichtnamentlich<br />

gezeichnete Artikel und Interviews<br />

sind redaktionelle Beiträge.<br />

Contributions reflect the personal views<br />

of the authors and not those of the <strong>Alexander</strong><br />

<strong>von</strong> <strong>Humboldt</strong> Foundation. Articles<br />

with no reference to an author are editorial<br />

contributions.<br />

ISSN 0344-0354<br />

3 >> <strong>Humboldt</strong> kosmos 86/2005<br />

13 37 <strong>50</strong> 64<br />

1<br />

Editorial<br />

2<br />

Inhalt<br />

Contents<br />

4<br />

Criticus meint...<br />

6<br />

Titelthema –<br />

Die Macht der Bilder<br />

Cover Story –<br />

The Power of Images<br />

8<br />

Interview<br />

Teruaki Takahashi<br />

Wir denken in Bildern<br />

We think in pictures<br />

12<br />

Interview<br />

Lucy-Anne Hunt<br />

Von den Kreuzfahrern<br />

zu Al Qaida<br />

From the crusaders<br />

to Al Qaida<br />

16<br />

Andrea Gentile<br />

Reiß dich los<br />

<strong>von</strong> deiner Sklavenkette<br />

Break loose from<br />

your ball and chain<br />

18<br />

Belkis Bilgin-Eran<br />

Wenn aus Forschung<br />

Kunst wird<br />

When research<br />

turns into art<br />

20<br />

Sergej Sumlenny<br />

Wer hat hier eigentlich<br />

gewonnen?<br />

Now who’s the winner?<br />

24<br />

Inigo Bocken<br />

Lernen <strong>von</strong> Cusanus<br />

Learning from Cusanus<br />

28<br />

Interview<br />

Hans-Jochen Heinze<br />

Wir schauen dem<br />

Gehirn beim Denken zu<br />

Watching<br />

the brain think<br />

34<br />

Deutschland<br />

im Blick<br />

View onto<br />

Germany<br />

Kenneth Pennington<br />

Meine weiß-blaue<br />

Identität<br />

My white and blue<br />

identity<br />

40<br />

Mark Elliott<br />

Deutsche Rätsel,<br />

schottische Antworten<br />

German puzzles,<br />

Scottish answers<br />

Titelthema Coverstory<br />

44<br />

<strong>Humboldt</strong>ianer<br />

im Profil<br />

<strong>Humboldt</strong>ians<br />

in Profile<br />

Laurence A. Rickels<br />

Rettet die Germanistik<br />

Save German Studies<br />

46<br />

Lorenzo Perilli<br />

Was Forscher<br />

wirklich wollen<br />

What researchers<br />

really want<br />

<strong>50</strong><br />

Nachrichten<br />

News<br />

56<br />

Neues aus<br />

der <strong>Stiftung</strong><br />

News from<br />

the Foundation<br />

62<br />

Wissenschaft<br />

und Kultur<br />

Science<br />

and Culture<br />

Jörn Ahrens<br />

Von der Antike<br />

ins Weltall<br />

From the antique<br />

to outer space


Criticus meint...<br />

dass Deutschland eine Außenwissenschaftspolitik<br />

braucht. Denn Wissenschaft ist im 21. Jahrhundert endgültig<br />

zu einem Feld internationaler Konkurrenz geworden.<br />

Dies jedoch nicht in einem eng wissenschaftsimmanenten<br />

Sinn: Die Suche nach Wahrheit, nach der aktuell<br />

tragfähigsten und weitestreichenden Erklärung fand<br />

schon immer ohne Rücksicht auf die Grenzen <strong>von</strong> Herrschaftsbereichen<br />

und Staaten statt. Neu ist die Bedeutung,<br />

die grundlegende wissenschaftliche Erkenntnisse<br />

und ihre Anwendung in Forschung und Entwicklung für<br />

die Produktivkraft moderner Staaten und Staatenbünde<br />

haben.<br />

Solange die Industrie im 20. Jahrhundert jedoch der<br />

bei weitem stärkste Motor wirtschaftlichen Wachstums<br />

war und solange die deutschen Hochschulen in erster<br />

Linie für den heimischen Markt ausbildeten, standen die<br />

internationalen Entwicklungen der Bildungs-, Hochschulund<br />

Wissenschaftssysteme anderer Länder nicht im Mittelpunkt<br />

des Interesses. Die Teilung der Welt in zwei militärisch-wirtschaftliche<br />

Blöcke trug zudem dazu bei, den<br />

Blickwinkel und die Kooperationschancen einzuengen.<br />

Der Fall des Eisernen Vorhangs und die Globalisierung<br />

der Wirtschafts- und Wissenschaftsbeziehungen katapultierten<br />

jedoch in kürzester Zeit die nationalen akademischen<br />

Systeme in eine neue Phase internationaler Kooperation<br />

– und Konkurrenz: Ein weltweiter Wettlauf ist entbrannt<br />

um begabte Studierende, kreative Doktoranden,<br />

innovative Postdocs und renommierte Wissenschaftlerinnen<br />

und Wissenschaftler.<br />

Die deutsche Außenpolitik muss auf diese Entwicklungen<br />

reagieren. In der alten Zeit industriellen Wachstums<br />

ist die Bundesrepublik Deutschland den internationalen<br />

Herausforderungen für die nationale Wirtschaft<br />

mit einer Außenwirtschaftspolitik begegnet. In der neuen<br />

Zeit globaler Wissensvernetzung und Innovationskonkurrenz<br />

steht die Antwort einer Außenwissenschaftspolitik<br />

noch aus.<br />

Viele Akteure – wenig Koordination?<br />

Auf allen Ebenen der staatlichen Verwaltung gestalten<br />

derzeit in Deutschland unterschiedlichste Akteure die<br />

internationale wissenschaftliche Zusammenarbeit: Wissenschafts-<br />

und Forschungsministerium, Außen-, Wirtschafts-,<br />

Umwelt-, Verbraucherschutz-, Landwirtschaftsoder<br />

Entwicklungsministerium – in der ein oder anderen<br />

4 >> <strong>Humboldt</strong> kosmos 86/2005<br />

Form organisieren und finanzieren zahlreiche Bundesministerien<br />

Forschungsarbeiten, die international vernetzt<br />

sind. Einzelne Bundesländer finanzieren für die<br />

Studierenden und Lehrenden ihrer Hochschulen internationale<br />

Kooperations- und Austauschprogramme. Selbst<br />

in den Schulen sind Auslandsjahre, die junge Menschen<br />

auf eine internationale Ausbildung und Arbeitswelt vorbereiten<br />

sollen, keine Seltenheit mehr.<br />

Längst hat die deutsche Wissenschaft die Herausforderungen<br />

erkannt: Deutsche Universitäten richten Vertretungen<br />

im Ausland ein, exportieren Studienangebote,<br />

gründen so genannte Satellitencampusse oder kooperieren<br />

beim Aufbau deutscher Universitäten und Fachhochschulen<br />

in anderen Ländern. Seit Jahrzehnten haben die<br />

großen Internationalisierungsagenturen der deutschen<br />

Hochschulen und der deutschen Wissenschaft, die <strong>Alexander</strong><br />

<strong>von</strong> <strong>Humboldt</strong>-<strong>Stiftung</strong> und der Deutsche Akademische<br />

Austauschdienst, ein weltweites Vertrauensnetz<br />

<strong>von</strong> erfolgreichen jungen Menschen und anerkannten<br />

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aufgebaut.<br />

Inzwischen werben sie jedoch auch weltweit für den Studien-<br />

und Forschungsstandort Deutschland und bemühen<br />

sich um internationale Strukturen an deutschen<br />

Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Die Deutsche<br />

Forschungsgemeinschaft hat ihre Förderprogramme<br />

komplett international geöffnet. Die Institute der<br />

Max-Planck-Gesellschaft, aber auch andere außeruniversitäre<br />

Forschungsstätten und -organisationen rekrutieren<br />

stärker denn je weltweit führende Wissenschaftlerinnen<br />

und Wissenschaftler für ihre Institute. Über eigene Auslandsbüros<br />

sondieren sie Kooperationsmöglichkeiten und<br />

bereiten die Zusammenarbeit mit renommierten und<br />

innovativen Instituten in anderen Ländern vor.<br />

***********************<br />

„In kürzester Zeit wurden die nationalen<br />

akademischen Systeme in eine neue Phase<br />

internationaler Kooperation und Konkurrenz<br />

katapultiert.“<br />

***********************<br />

Ein spezifisch deutsches Prinzip erweist sich in dieser<br />

Phase der rasanten Internationalisierung als förderlich:<br />

Die Selbstverwaltung der Wissenschaft, eine Schutzein-<br />

Criticus


ichtung des Wissenschaftssystems vor Fremdsteuerung<br />

und politischem Missbrauch, hat starke Organisationen<br />

geschaffen, die sich eng an den wissenschaftlichen<br />

und fachlichen Interessen ihrer Mitglieder und<br />

Zielgruppen orientieren. Als staatsferne Akteure oder<br />

in einem erweiterten Sinne auch Nicht-Regierungsorganisationen<br />

(NGOs) genießen sie in der weltweiten<br />

wissenschaftlichen Gemeinschaft Akzeptanz und Vertrauen,<br />

aber nicht nur dort. Der amerikanische Politikwissenschaftler<br />

Joseph Nye hat auf die Bedeutung der<br />

so genannten soft power für die internationale Politik<br />

aufmerksam gemacht: Nicht mehr nur auf den traditionellen<br />

Feldern der Außenpolitik, allen voran dem<br />

Feld der harten Politik und der harten Macht, der<br />

Sicherheitspolitik, werden die internationalen Beziehungen<br />

gestaltet. Zunehmend gewinnen Bereiche der<br />

weichen Politik an Bedeutung. Hierzu gehört traditionell<br />

die auswärtige Kulturpolitik, seit einiger Zeit auch<br />

im umfassenderen Verständnis <strong>von</strong> auswärtiger Kulturund<br />

Bildungspolitik. In Zukunft wird die Außenwissenschaftspolitik<br />

zu einem zentralen Aktionsfeld der<br />

Politik werden.<br />

Was eine Außenwissenschaftspolitik leisten kann<br />

Ziel dieser Außenwissenschaftspolitik sollte es sein, das<br />

vielstimmige Konzert der deutschen Akteure zu harmonisieren.<br />

Anleitung und Reglementierung würde die<br />

Chancen der deutschen Wissenschafts-NGOs behindern<br />

und wissenschaftsimmanentes Vertrauen unterminieren.<br />

Aber eine wechselseitige Information und<br />

Unterstützung bei der Koordination kann die Möglichkeiten<br />

erweitern. Außenwissenschaftspolitik findet an<br />

der Schnittstelle <strong>von</strong> Wirtschafts- und Forschungspolitik<br />

statt. Sie darf sich jedoch nicht in Technologiepolitik<br />

erschöpfen. Vielmehr muss sie die vielfältigen Potenziale,<br />

die in der internationalen Vernetzung sowohl<br />

der Grundlagenforschung als auch der anwendungsorientierten<br />

Forschung und industriellen beziehungsweise<br />

technischen Entwicklung liegen, fördern.<br />

***********************<br />

„Andere Länder sind bereits auf dem Weg,<br />

Wissenschafts-, Wirtschafts- und Außenpolitik<br />

zu verzahnen.“<br />

***********************<br />

5 >> <strong>Humboldt</strong> kosmos 86/2005<br />

Ansätze gibt es seit langem: So entsendet das deutsche<br />

Forschungsministerium wissenschaftliche Referenten<br />

an ausgewählte deutsche Botschaften im Ausland. Diese<br />

Referate an den deutschen Botschaften gilt es zu stärken<br />

und enger mit den Wirtschaftsreferaten auf der<br />

einen und den Kulturreferaten auf der anderen Seite zu<br />

verbinden. Laufbahnen innerhalb der Bundesressorts,<br />

insbesondere im Forschungsministerium und im Auswärtigen<br />

Dienst, aber auch im Bundesministerium für<br />

wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung könnten<br />

flexibilisiert werden, um einen stärkeren wechselseitigen<br />

Austausch zwischen den Ressorts zu ermöglichen.<br />

Im Berliner Auswärtigen Amt könnte ein außenwissenschaftspolitischer<br />

Strategiekreis, der mit führenden<br />

Vertretern der deutschen Wissenschafts- und<br />

Austauschorganisationen besetzt ist, den Außenminister<br />

beraten. Ein Unterausschuss für Außenwissenschaftspolitik<br />

könnte als gemeinsames Gremium des<br />

Ausschusses für Wissenschaft, Bildung und Technikfolgenabschätzung<br />

und des Auswärtigen Ausschusses im<br />

Deutschen Bundestag den ressortübergreifenden Blick<br />

öffnen und für eine angemessene Koordination und<br />

Kontrolle sorgen.<br />

Als rohstoffarmes Land ist Deutschland auf eine<br />

zukunftsorientierte, nachhaltige Gestaltung der internationalen<br />

Wissenschaftsbeziehungen angewiesen. Als<br />

Land mit einer besonderen historischen Verantwortung<br />

kann es in der Außenwissenschaftspolitik an eine<br />

Tradition der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik<br />

anknüpfen, die Vertrauen und Kooperation in den Mittelpunkt<br />

der internationalen Politikgestaltung stellt.<br />

Andere Länder sind bereits auf dem Weg, Wissenschafts-,<br />

Wirtschafts- und Außenpolitik zu verzahnen.<br />

Deutschland könnte mit einer dezidierten Entwicklung<br />

und Ausgestaltung der Außenwissenschaftspolitik weltweit<br />

Akzente setzen und Beachtung finden.<br />

Criticus<br />

Criticus


Die Macht der Bilder<br />

The Power of Images<br />

Es ist wie der Traum eines Insektenforschers:<br />

Eine Welt, die <strong>von</strong> den meisten<br />

unbeachtet im Verborgenen existiert,<br />

fasziniert auf einmal ein großes Publikum.<br />

Durch das Rasterelektronenmikroskop<br />

gesehen, werden aus Ameisen<br />

Kunstobjekte. Welche Rolle die Macht<br />

der Bilder für die Wissenschaft spielt,<br />

zeigen dieses und weitere Beispiele in<br />

diesem Heft. In bunten, spektakulären<br />

Bildern können Neurologen dem Gehirn<br />

beim Denken zusehen und neue<br />

Therapien entwickeln. Die Erforschung<br />

<strong>von</strong> Flüssigkristallen führt nicht nur zu<br />

wichtigen Anwendungen in zahlreichen<br />

Geräten, die unseren Alltag leichter<br />

machen, sie sorgt auch für ästhetische<br />

Glücksmomente am Okular und einer<br />

Ahnung <strong>von</strong> schöpferischer Größe im<br />

Kleinsten.<br />

Dem Einfluss der Bilder auf unser<br />

Denken, unsere Sprache und unser<br />

Handeln sind die weiteren Autoren dieser<br />

Ausgabe auf der Spur: Welche Rolle<br />

spielen Bilder in der japanischen Kultur,<br />

und weshalb lesen die Japaner in der U-<br />

Bahn so gerne Comics? Wie entstand<br />

das Kreuzfahrerbild zu Zeiten <strong>von</strong> Richard<br />

Löwenherz, und warum ist es<br />

heute noch so lebendig? Wie schneiden<br />

die Plakate der Parteien zur letzten Bundestagswahl<br />

ab – im deutsch-russischen<br />

Vergleich der Wahlkampfstrategien? Was<br />

ist dran an der klassischen Medienkritik<br />

und dem Vorwurf der grassierenden<br />

Manipulation vor allem durch das Fernsehen?<br />

Und wie könnten moderne Politiker<br />

<strong>von</strong> einem mittelalterlichen Philosophen<br />

den kreativen Gebrauch <strong>von</strong> Bildern<br />

lernen?<br />

It’s like the daydreams of an insectologist:<br />

a world existing hidden from the attention<br />

of the masses suddenly starts to fascinate a<br />

wide audience. Viewed under a grid electron<br />

microscope, ants turn into objects of<br />

art. This is one of a few examples this edition<br />

contains that demonstrate the power<br />

of images in science. Using spectacular<br />

illustrations, neurologists can watch the<br />

brain think and develop new therapies.<br />

Research on liquid crystals not only results<br />

in important applications in a wide range<br />

of apparatus making our everyday lives<br />

easier but also creates aesthetic moments<br />

of pleasure when peering through the lens<br />

as well as giving an inkling of creative<br />

power on a minute scale.<br />

Other authors in this edition look at<br />

how pictures influence how we think,<br />

speak and act. What is the role of pictures<br />

in Japanese culture, and why do the<br />

Japanese love to read comics on the underground?<br />

How did the motif of the crusader<br />

develop in the days of Richard the Lionheart,<br />

and why is it still so virulent nowadays?<br />

How do the posters of the parties<br />

campaigning for the recent Federal Elections<br />

fare in a German-Russian comparison<br />

of election strategies? How justified is<br />

classic criticism of the media and the accusation<br />

of rampant manipulation by television<br />

in particular? And in what way could<br />

modern-day politicians learn from a<br />

medieval philosopher about using pictures<br />

creatively?


8 >> <strong>Humboldt</strong> kosmos 86/2005<br />

Titelthema – Die Macht der Bilder Coverstory – The Power of Images<br />

Interview Teruaki Takahashi<br />

Wir denken in Bildern<br />

We think in pictures<br />

Bilder spielen in der japanischen Literatur eine große<br />

Rolle, <strong>von</strong> den klassischen Dichtungen bis zur U-<br />

Bahnlektüre <strong>von</strong> heute. Ein Gespräch mit dem Germanisten<br />

Teruaki Takahashi über japanische Traditionen,<br />

den Einfluss der Europäer und die Liebe der<br />

Japaner zu Comic-Heftchen.<br />

>> Kosmos: Herr Professor Takahashi, japanische<br />

Schriftzeichen sind näher am Bild und der Malerei als<br />

die lateinischen Buchstaben der westlichen Kulturen.<br />

Denken Japaner daher stärker in Bildern?<br />

>> Takahashi: Ich glaube nicht. Wenn man etwas<br />

sprachlich beschreibt, tut man das oft in Bildern. Aus<br />

den Wörtern entstehen Szenen vor unserem inneren<br />

Auge. Wenn Sie oder ich einen Aufsatz schreiben wollen,<br />

dann machen wir zunächst eine Art Skizze, eine Gliederung,<br />

die nicht nur aus Stichworten besteht, sondern die<br />

Zusammenhänge mit Pfeilen, Kästchen oder Unterstreichungen<br />

auch graphisch darstellt. Das ist nichts anderes<br />

als eine sehr reduzierte Form eines Bildes. Das menschliche<br />

Denken ist <strong>von</strong> dem bildlichen Vorstellen gar nicht<br />

zu trennen. Ob Sie nun Japaner sind oder Europäer.<br />

>> Kosmos: Dennoch spielen Bilder in der japanischen<br />

Kultur eine größere Rolle …<br />

>> Takahashi: … und zwar mit einer langen Geschichte.<br />

In traditionellen japanischen Büchern werden<br />

Sie kaum eine Seite ohne Bilder finden. Text und Bild<br />

waren eine Einheit. In der Edo-Zeit, die <strong>von</strong> 1603 bis<br />

1867 dauerte, gab es, besonders seit dem 18. Jahrhundert,<br />

speziell gebildete Schreiber, die Bunjin. Bun bedeutet<br />

Schrift und jin heißt Mensch, also Schriftmensch.<br />

Ein Bunjin musste aber nicht nur gut dichten<br />

können, er musste auch eine Landschaft schlicht und<br />

schön malen können – auch Blumen, Vögel oder Pferde.<br />

Doch diese Tradition wurde unterbrochen.<br />

>> Kosmos: Wodurch?<br />

>> Takahashi: Es lag an dem wachsenden Einfluss der<br />

Europäer, die eine klare Trennlinie zwischen Bild und<br />

Schrift zogen. Für die Japaner war das damals etwas<br />

ganz Neues, und sie importierten diese Denkweise. Die<br />

Bunjin-Tradition wurde als altmodisch abgetan. Das ist<br />

ein Beispiel für den Eurozentrismus, den sich die Japaner<br />

nach Öffnung des Landes in der Mitte des 19. Jahrhunderts<br />

aneigneten.<br />

>> Kosmos: Kann man eine Linie ziehen <strong>von</strong> der Tradition<br />

der Bunjin zu den heute so enorm populären<br />

In Japanese literature, whether it be classic poetry<br />

or today’s light reading for people on the underground,<br />

pictures play an important role. Kosmos<br />

talked to German language and literature scholar<br />

Teruaki Takahashi about Japanese traditions, European<br />

influence and Japan’s special liking for<br />

comics.<br />

>> Kosmos: Professor Takahashi, Japanese characters are<br />

more like pictures and painting than the Latin letters of<br />

western cultures. So do the Japanese think more in pictures?<br />

>> Takahashi: I don’t believe so. You often use pictures<br />

when you are describing something with words. Your<br />

inner eye sees the scenes that the words evoke. If you or I<br />

wish to write an essay, we will first draw a sort of diagram,<br />

a structure containing arrows, boxes or underlined<br />

items in addition to headwords to give a graphic impression<br />

of the links between the words. What we have here is<br />

a very reduced form of a picture. You can’t separate human<br />

thinking from symbolic imagining, regardless of<br />

whether you happen to be Japanese or European.<br />

>> Kosmos: But pictures are nevertheless still more<br />

important in Japanese culture …<br />

>> Takahashi: … and here we can look back on a long<br />

history. For example, you will find hardly any page without<br />

illustrations in traditional Japanese books. The text<br />

and the pictures formed an entity. In the Edo era, which<br />

lasted from 1603 to 1867 there used to be specially trained<br />

scribes, the Bunjin. Bun means writing, and jin refers to<br />

a human being, or person. So the Bunjin was the writing<br />

person. But he wasn’t only expected to write well. He also<br />

had to be able to paint a simple and nice picture of a landscape,<br />

and also of flowers, birds or horses. However, this<br />

tradition was interrupted.<br />

>> Kosmos: By what?<br />

>> Takahashi: That was due to the growing influence of<br />

the Europeans, who drew a clear line between pictures<br />

and writing. At the time, this was something quite new<br />

for the Japanese, a way of thinking they were keen to<br />

import while dismissing the Bunjin tradition as oldfashioned.<br />

This is an example of the Eurocentrism the<br />

Japanese adopted since they had opened up their country<br />

to the outside world in the middle of the nineteenth century.<br />

>> Kosmos: Is there a link between the Bunjin tradition<br />

and the Japanese comics, the mangas, which are so enor-<br />

*******<br />

Professor Dr. Teruaki<br />

Takahashi lehrt Germanistik<br />

an der Rikkyo<br />

Universität in Tokio. Als<br />

<strong>Humboldt</strong>-Forschungsstipendiat<br />

war er <strong>von</strong><br />

1984-86 und 2004 an den<br />

Universitäten in Bonn<br />

und Köln.<br />

*******<br />

Professor Dr. Teruaki<br />

Takahashi teaches German<br />

language and literature<br />

at Tokyo’s Rikkyo<br />

University. He was at the<br />

Universities of Cologne<br />

and Bonn as a <strong>Humboldt</strong><br />

Research Fellow from<br />

1984-86 and in 2004.<br />

Genji neu: Seite aus Waki<br />

Yamato's Manga-Werk<br />

„Asakiyumemishi“, das die<br />

Geschichte des Prinzen<br />

Genji nacherzählt.<br />

Genji revamped:<br />

A page from Waki Yamato's<br />

Manga “Asakiyumemishi”,<br />

which tells the story<br />

of Prince Genji.


japanischen Comics, den Mangas, die viele erwachsene Japaner heute<br />

in der U-Bahn auf dem Weg zur Arbeit lesen?<br />

>> Takahashi: Tatsächlich lebt in der Mangakultur diese Tradition in<br />

gewisser Weise fort – gegen alle Widerstände. Denn Mangas galten<br />

lange als eine verpönte Subkultur. Als ich noch ein Kind war, sagte<br />

meine Mutter mir immer: Leg die Mangas weg – du musst anständige<br />

Bücher lesen. Beim Kino war das auch so. Heute wird Film sehr wohl<br />

als Kunst verehrt, aber als ihr Kind hätten mich meine Eltern nie ins<br />

Kino gelassen. Das war für sie ein Vergnügen der bloßen Unterhaltung.<br />

Ich musste immer heimlich hingehen.<br />

>> Kosmos: Wie erklärt sich die japanische Faszination für Comics?<br />

>> Takahashi: Es ist doch langweilig, wenn man nur das Bild sieht,<br />

und es ist langweilig, wenn man nur die Schrift liest. Beides zusammen<br />

macht eben ein Kunstwerk aus. So war es schon im Altertum. Berühmt<br />

sind die prächtigen Bildrollen aus dem zwölften Jahrhundert, die die<br />

Geschichte des Prinzen Genji in ausgewählten Szenen nacherzählen.<br />

Dabei folgt auf jede in Pinselschrift geschriebene Textpassage ein bunt<br />

gemaltes Bild, Szene für Szene. Andererseits gibt es in Europa auch<br />

eine solche Tradition. Es gibt ja schon seit langem Buchillustrationen.<br />

Auch im Mittelalter gab es Erzählungen, die fast nur aus Bildern<br />

bestanden. Denken Sie etwa an die prächtige Bebilderung der Armenbibel<br />

aus dem 14. Jahrhundert. Die Kombination <strong>von</strong> Schrift und Bild<br />

ist nicht genuin japanisch, sondern auch europäisch. Vielleicht hat<br />

man das nur etwas vergessen. Die gebildeten Europäer waren seit der<br />

Aufklärung, oder schon seit Luthers Schriftprinzip, sehr schriftlich<br />

orientiert. Aber die Tradition der Bilder gibt es trotzdem auch in<br />

Europa.<br />

>> Kosmos: Und es gibt ein Interesse an der Mangakultur. Nicht nur<br />

bei europäischen Lesern, sondern auch bei Wissenschaftlern …<br />

>> Takahashi: Vor allem jüngere Kollegen haben damit angefangen,<br />

10 >> <strong>Humboldt</strong> kosmos 86/2005<br />

Titelthema – Die Macht der Bilder Coverstory – The Power of Images<br />

mously popular nowadays and which many adult Japanese read on their<br />

way to work on the underground?<br />

>> Takahashi: In a way, the Bunjin tradition really does continue to<br />

exist in manga culture – despite all opposition. For mangas have long been<br />

frowned upon as a subculture. When I was still a child, my mother would<br />

always tell me to put the mangas away and read decent books. It was the<br />

same with the cinema. Nowadays, films are highly respected as art, but my<br />

parents would never have allowed their child to go to the pictures. For<br />

them cinemas were pure entertainment that I could only enjoy in secret.<br />

>> Kosmos: Why are the Japanese so fascinated by comics?<br />

>> Takahashi: Just looking at a picture is boring, and so is just reading<br />

a text. A real work of art incorporates both elements. This was already the<br />

case in antiquity. The splendid scrolls from the 12 th century about Prince<br />

Genji are well-known. They tell his story in selected scenes. Every brushwritten<br />

text passage is followed by a colourful picture. But such a tradition<br />

also exists in Europe, where illustrations have been used in books for<br />

a long time. In the Middle Ages, some tales would be made up almost<br />

entirely of pictures. Just think of the splendid illustration of the Poor<br />

People's Bible in the 14 th century. Combining written texts and pictures is<br />

not genuinely Japanese but European, as well. Since the Age of Enlightenment,<br />

indeed, since Luther's principle of scripture, educated Europeans<br />

have been geared very much to writing. Nevertheless, the tradition of<br />

pictures does exist in Europe, too.<br />

>> Kosmos: And people do show an interest in manga culture. Not only<br />

European readers, but researchers as well …<br />

>> Takahashi: Younger colleagues in particular have started to examine<br />

mangas. My impression is that this has been the case more in the West<br />

than in Japan itself. From time to time I myself use mangas translated<br />

into German in my lectures on German language and literature. Actual-


Mangas zu erforschen. Im Westen mehr noch als in<br />

Japan selbst, ist mein Eindruck. Ich selber benutze ab<br />

und zu ins Deutsche übersetzte Mangas in meinen Germanistikvorlesungen.<br />

Eigentlich ist es ein Wunder, dass<br />

man sich damit solange nicht wissenschaftlich beschäftigt<br />

hat. Denn schließlich ist dieses Kulturphänomen in<br />

Japan seit Jahrzehnten wichtig. Man könnte Japan besser<br />

verstehen, wenn man auch seine Mangas lesen<br />

würde.<br />

****************<br />

„Als ich noch ein Kind war, sagte meine<br />

Mutter mir immer: Leg die Mangas weg –<br />

du musst anständige Bücher lesen.“<br />

****************<br />

“When I was still a child, my mother would<br />

always tell me to put the mangas away<br />

and read decent books.”<br />

11 >> <strong>Humboldt</strong> kosmos 86/2005<br />

ly, it is amazing that this issue wasn’t given academic<br />

attention for such a long time. After all, it has been a<br />

major cultural phenomenon in Japan for years. It would<br />

be easier to understand Japan if one read its mangas.<br />

Titelthema – Die Macht der Bilder Coverstory – The Power of Images<br />

Genji alt: Historische Bildrolle zur Geschichte des Prinzen Genji. Ancient Genji: Historic scroll with illustrations of Prince Genji’s tale.


Interview Lucy-Anne Hunt<br />

Von den Kreuzfahrern zu Al Qaida<br />

From the crusaders to Al Qaida<br />

Gegenseitige Feindbilder vergiften nicht erst seit<br />

dem 11. September 2001 die Beziehungen zwischen<br />

westlicher und islamischer Welt. Bei der gegenseitigen<br />

Verunglimpfung setzt man auf Tradition. Ein<br />

Gespräch mit der Kunsthistorikerin Lucy-Anne Hunt<br />

über die Renaissance des Kreuzfahrerbildes und<br />

seine historischen Wurzeln.<br />

>> Kosmos: Frau Professor Hunt, Sie erforschen die<br />

Kunst der Kreuzfahrerzeit. Finden sich in den Gemälden<br />

des 12. Jahrhunderts die Motive für Feindbilder,<br />

die bis heute überlebt haben?<br />

>> Hunt: Zumindest wurzeln sie hier teilweise. Denn<br />

tatsächlich war die Kunst der Kreuzfahrer vor allem in<br />

ihren Anfängen eine Auseinandersetzung mit dem<br />

Fremden und Feindlichen. Als die Kreuzfahrer im 11.<br />

Jahrhundert versuchten, das Gelobte Land zu erobern,<br />

waren sie <strong>von</strong> feindlichen islamischen Staaten umgeben,<br />

die sie in eine dauerhafte Auseinandersetzung verwickelten.<br />

Um diese durchstehen zu können, brauchte man die<br />

Rückendeckung aus der Heimat. Deshalb war eine starke<br />

und dauerhafte Propaganda wichtig. Man schuf also<br />

ein nützliches Image, das die Muslime, die „Sarazenen“,<br />

als Heiden diskreditierte. Als moralisch korrupt, gemein<br />

und verachtenswert gezeichnet, erschienen sie als das personifizierte<br />

Gegenteil der christlichen Werte. Mohammed<br />

selbst wurde als Antichrist verunglimpft.<br />

>> Kosmos: Wie wurde die Entstehung dieses Bildes –<br />

heute würde man in der Sprache der Werbung <strong>von</strong><br />

Branding sprechen – gesteuert?<br />

>> Hunt: Der Vergleich mit dem Branding führt zu<br />

weit. Aber eine Beeinflussung war da. Natürlich beruhte<br />

dieses Bild des Islam nicht auf Fakten. Zu Zeiten des<br />

ersten Kreuzzugs Ende des 11. Jahrhunderts wusste<br />

man im Westen praktisch nichts über die islamische<br />

Welt. Das Bild, das man sich erst allmählich machte,<br />

speiste sich aus den Erzählungen zurückkehrender<br />

Kreuzritter – und ihrer Diener, die oftmals weit hinter<br />

den Schlachtlinien gewesen waren und den Feind nie<br />

zu Gesicht bekommen hatten. Mit Vorurteilen angereichert<br />

und schließlich in Klöstern zusammengetragen<br />

und der christlichen Perspektive angepasst, entstand<br />

ein Zerrbild vom Islam, das man für wahr hielt. Dabei<br />

muss man sagen, dass Kirchenkreise etwa in Frankreich<br />

und Spanien den wirklichen Islam durchaus besser<br />

kannten.<br />

12 >> <strong>Humboldt</strong> kosmos 86/2005<br />

Mutual concepts of the enemy have not only started<br />

to poison the relations between the Western and the<br />

Islamic world since the 11th September 2001. Tit-fortat<br />

disparagement can draw on tradition. Kosmos<br />

talked to art historian Lucy-Anne Hunt about the<br />

renaissance of the crusader image and its historical<br />

roots.<br />

>> Kosmos: Professor Hunt, you are examining art in the<br />

days of the crusaders. Do the paintings of the 12 th century<br />

contain the motifs for concepts of an enemy that have<br />

persisted up to this day?<br />

>> Hunt: They are at least partly rooted in this period.<br />

For above all in its early days, the art of the crusaders was<br />

part of a dispute with otherness and hostile forces. When<br />

the crusaders attempted to take the Holy Land in the 11 th<br />

century, they were surrounded by hostile Islamic states<br />

that engaged them in a continuing conflict. Strong bakking<br />

from the West was needed to survive this situation,<br />

which is why powerful and sustained propaganda became<br />

so important. So a useful image discrediting the Muslims,<br />

the “Saracens”, as pagans was created. Morally corrupt,<br />

vile and despicable, they appeared as the personified<br />

opposite of the virtues of Christians. And Mohammed<br />

himself was reviled as the Anti-Christ.<br />

>> Kosmos: How was the development of this image controlled,<br />

to put it in the branding language of advertising?<br />

>> Hunt: To compare this with branding would be going<br />

a bit too far. But there was influencing. Of course this<br />

image of Islam wasn’t based on facts. At the time of the<br />

first crusade, in the eleventh century, people in the West<br />

knew next to nothing about the world of Islam. The image<br />

that was gradually being generated drew on the tales of<br />

returning crusaders – and their servants, who would<br />

often have been miles behind the line of battle and had<br />

never beheld the enemy. Embroidered with prejudice and<br />

ultimately collected in monasteries and adapted to the<br />

Christian perspective, a distorted image of Islam developed<br />

that was believed to be true. However, it has to be<br />

said that church circles in, say, France and Spain were<br />

clearly more familiar with Islam.<br />

>> Kosmos: The Muslim side also had its fair share of<br />

concepts of the enemy. Were the same mechanisms at<br />

work here?<br />

>> Hunt: A distinction was made between the “Franks”,<br />

the Christians coming from the West as crusaders, and<br />

Titelthema – Die Macht der Bilder Coverstory – The Power of Images<br />

*******<br />

Professor Dr. Lucy-Anne<br />

Hunt lehrt Kunstgeschichte<br />

an der Manchester<br />

Metropolitan University,<br />

England, wo sie die<br />

School of History of Art<br />

and Design leitet. Als<br />

<strong>Humboldt</strong>-Forschungsstipendiatin<br />

war sie 1986<br />

und 1987 an der Freien<br />

Universität Berlin.<br />

*******<br />

Professor Dr. Lucy-Anne<br />

Hunt is Head of the<br />

School of History of Art<br />

and Design at Manchester<br />

Metropolitan University,<br />

UK. She was a <strong>Humboldt</strong><br />

Research Fellow at<br />

the Free University of<br />

Berlin in 1986 and 1987.


Kosmos: Auch die muslimische Seite übte sich im Zeichnen <strong>von</strong><br />

Feindbildern. Wirkten hier dieselben Mechanismen?<br />

>> Hunt: Man wusste zu unterscheiden zwischen den „Franken“, den<br />

als Kreuzfahrer aus dem Westen kommenden Christen, und ihren östlichen<br />

unter islamischer Herrschaft lebenden Glaubensbrüdern. Das<br />

Bild <strong>von</strong> den Franken war ebenfalls eine Karikatur: ein natürlicher<br />

Feind der Muslime, unehrlich, hinterhältig, unzivilisiert und grausam.<br />

Vor allem der Eindruck der Gewalttätigkeit hatte sich seit den Massakern<br />

des ersten Kreuzzugs in die Gedächtnisse eingegraben. Obwohl<br />

andererseits die Tapferkeit und religiöse Standfestigkeit der Franken<br />

sowie die Klugheit eines Anführers wie Richard Löwenherz durchaus<br />

anerkannt wurde. Das negative Bild setzte sich durch und kommt<br />

immer wieder auch in jüngeren Konflikten zutage, etwa in Algerien,<br />

Bosnien, im Irak oder in Palästina.<br />

>> Kosmos: Wie hat sich das westliche Bild <strong>von</strong> den „Sarazenen“ mit<br />

der Zeit entwickelt?<br />

>> Hunt: Zum zweiten Kreuzzug hin begann sich das Bild zu verändern.<br />

Der Kontakt zwischen Orient und Okzident war intensiver<br />

geworden, auch der zwischen Juden und Christen. Man kann diese Veränderungen<br />

sehr genau an den Bildern jener Zeit ablesen: zwischen<br />

dem ersten Kreuzzug über den Verlust Jerusalems im Jahr 1291 bis zum<br />

frühen 14. Jahrhundert. An die Stelle des stereotypen, feindlichen Muslims,<br />

der so ganz anders war als man selbst, trat ein nuanciertes Bild.<br />

>> Kosmos: Das Feindbild hatte ausgedient?<br />

14 >> <strong>Humboldt</strong> kosmos 86/2005<br />

Feindbild schon vor dem<br />

1. Kreuzzug: Karl der Große<br />

kämpfte im 8. Jahrhundert<br />

gegen die als Teufel verkleideten<br />

Araber in Spanien.<br />

Images of the enemy –<br />

even before the first crusade:<br />

Charlemagne battling<br />

Arabs dressed as devils in<br />

Spain in the 8 th century.<br />

their Eastern brothers in faith living under Islamic rule. The image of the<br />

Franks was a caricature, too: a natural enemy of the Muslims, dishonest,<br />

perfidious, uncivilised and cruel. In particular, the impression of violence<br />

had carved itself on the collective memory since the massacres of the first<br />

crusade. While the bravery and religious tenacity of the Franks as well as<br />

the prudence of a leader like Richard the Lionheart were acknowledged,<br />

the negative image persisted and has surfaced again in more recent conflicts<br />

such as those in Algeria, Bosnia, Iraq or Palestine.<br />

>> Kosmos: How did the Western image of the “Saracens” develop in the<br />

course of time?<br />

>> Hunt: The image started to change towards the onset of the second<br />

crusade. Links between the Orient and the Occident had become more<br />

intensive, including those between Jews and Christians. These changes<br />

can be read very clearly from the pictures of that period: from the first<br />

crusade through the loss of Jerusalem in 1291 to the early 14 th century.<br />

The stereotype, hostile Muslim, who was so entirely different from oneself,<br />

was replaced with a nuanced image.<br />

>> Kosmos: So the image of the enemy had had its day?<br />

>> Hunt: Well, it was not as if Muslims were now being presented in a<br />

particularly favourable light. And one would look in vain for altruistic<br />

angles in contemporary accounts. But the notion of the mission in that<br />

period resulted in the artists now presenting Muslims as prospective proselytes,<br />

as people with at least a potential to convert. A dialogic vision<br />

evolved, opening up Christians’ self-perception as well.


****************<br />

„Das Kreuzfahrerbild polarisiert, verteufelt den Gegner<br />

und suggeriert Gottgewolltheit als Rechtfertigung<br />

für aggressives Handeln.“<br />

****************<br />

“The crusader image polarises, demonises the enemy<br />

and suggests that aggressive action is justified since<br />

it is willed by God.”<br />

>> Hunt: Nun, es war nicht so, dass Muslime fortan besonders vorteilhaft<br />

dargestellt wurden. Auch altruistische Sichtweisen sucht man in<br />

zeitgenössischen Darstellungen meist vergebens. Aber der Missionsgedanke<br />

jener Zeit ließ die Künstler Muslime nun als zu Bekehrende und<br />

Bekehrbare darstellen. Es entstand eine dialogische Perspektive, die<br />

den Christen auch den Blick auf sich selbst eröffnete.<br />

>> Kosmos: Vom amerikanischen Präsidenten George W. Bush und<br />

mehr noch <strong>von</strong> den islamischen Terroristen der Al Qaida wurde das<br />

Kreuzfahrerbild auch in unserer Zeit benutzt. Wie kommt es, dass dieses<br />

Motiv, das viele hundert Jahre alt ist, immer noch lebt und Resonanz<br />

in einer breiten Öffentlichkeit auslöst?<br />

>> Hunt: Das Kreuzfahrermotiv ist ein fester Bestandteil im historischen<br />

Gedächtnis. Bei den Muslimen ruft es binnen Sekunden die Erinnerungen<br />

an vergangene Verbrechen des Westens wach. Bei beiden Seiten<br />

wirkt es verlässlich polarisierend und verteufelt den Gegner. Und es<br />

suggeriert Gottgewolltheit als Rechtfertigung für aggressives Handeln.<br />

>> Kosmos: Dabei spielt der Wille Gottes im säkularisierten Westen<br />

immer weniger eine Rolle …<br />

>> Hunt: Präsident Bush hat sich bei seiner Entscheidung für den<br />

jüngsten Krieg im Irak jedenfalls darauf bezogen. Diese Berufung auf<br />

gottgegebene Autorität passt zu der simplen Alternative, die hier formuliert<br />

wird: Wenn ihr nicht mit uns seid, seid ihr gegen uns. Dagegen<br />

haben islamische Terroristen bei ihren Anschlägen auf westliche Ziele<br />

auch muslimische Opfer, die dort lebten, in Kauf genommen, etwa bei<br />

den Londoner Bombenanschlägen im letzten Juli. Dieser Konflikt<br />

zeigt, dass wir unbedingt einen Dialog brauchen, auch wenn er<br />

schmerzlich sein wird und lange dauert. Unser Bild <strong>von</strong>einander spielt<br />

dabei ein wichtige Rolle. Nicht nur für die Verfestigung bereits herrschender<br />

Einstellungen, sondern auch für das Entstehen <strong>von</strong> neuen.<br />

15 >> <strong>Humboldt</strong> kosmos 86/2005<br />

Titelthema – Die Macht der Bilder Coverstory – The Power of Images<br />

>> Kosmos: In our modern days, too, the image of the crusader has been<br />

used by American President George W. Bush and, even more, by the Islamic<br />

terrorists of Al Qaida. How come this motif, which is several hundred<br />

years old, still thrives and can trigger a response among a broader public?<br />

>> Hunt: The motif of the crusader is an integral element of the historical<br />

memory. Among the Muslims, it will revoke reminiscences of crimes<br />

committed by the West in the past within seconds. On both sides, it has a<br />

reliably polarising effect and demonises the enemy. And it suggests that<br />

aggressive action is justified since it is willed by God.<br />

>> Kosmos: And yet God’s will is playing an ever diminished role in the<br />

secularised West …<br />

>> Hunt: At any rate, President Bush referred to it when opting for the<br />

recent war in Iraq. This appeal to God-given authority fits in with the<br />

simple choice given here: if you’re not with us, you’re against us. Conversely,<br />

in their attacks on Western targets, extreme Muslim groups have<br />

also accepted casualties among Muslims, as in the London bombings last<br />

July. This polarisation demonstrates that the need for ongoing dialogue<br />

and negotiation, albeit a painstaking and slow process, is ever more crucial.<br />

Mutual visual imagery plays an important part in both the reinforcing<br />

of existing attitudes and the forging of new ones.<br />

Zweikampf zwischen<br />

Richard I. und Saladin<br />

A duel between Richard I<br />

and Saladin


Andrea Gentile<br />

Reiß dich los <strong>von</strong> deiner Sklavenkette<br />

Break loose from your ball and chain<br />

Erziehen die Massenmedien ihr Publikum zu willfährigen<br />

Sklaven? Deutsche und amerikanische Medienkritiker<br />

gehen hart ins Gericht mit Zeitungen und<br />

Fernsehsendern, die bestimmen, worüber ihre Leser<br />

und Zuschauer nachdenken sollen.<br />

Das Fernsehen macht einem die Medienschelte wirklich<br />

leicht. Ob Blut und Horror im Film, menschliche<br />

Tragödien in Talkshows oder Krieg und Katastrophen<br />

in der Tagesschau: je schrecklicher, desto interessanter.<br />

Nur eine schlechte Nachricht ist eine gute Nachricht.<br />

Bilder, die schocken, ziehen unweigerlich die meisten<br />

Zuschauer an. Dies gilt nicht nur für Spielfilme, sondern<br />

in steigendem Maße auch für Nachrichtensendungen.<br />

Bedienen die Sender mit dieser Auswahl der<br />

Schrecklichkeiten nur die anscheinend vor allem <strong>von</strong><br />

niederen Instinkten gesteuerte Nachfrage ihres Publikums?<br />

Oder erziehen sie sich ihr Publikum erst durch<br />

geschickte Manipulation? Das Lager derjenigen, die an<br />

eine vorsätzliche Verführung glauben, ist groß und<br />

prominent besetzt: Hans Georg Gadamer, einer der<br />

renommiertesten deutschen Philosophen des 20. Jahrhunderts,<br />

bezeichnete das Fernsehen als „die Sklavenkette,<br />

an der die moderne Menschheit hängt. Die<br />

Schlüssel dazu hat die moderne Informations-Elite,<br />

deren Ziel nur die Versklavung der Menschheit durch<br />

Bilder ist”.<br />

Sein berühmter Kollege Jürgen Habermas sieht die<br />

Massenmedien als <strong>von</strong> politischen und ökonomischen<br />

Kräften kontrolliert, die ein Interesse daran hätten, die<br />

Zuschauer zu manipulieren. Die politische Manipulation<br />

besteht für Habermas in einer Meinungsmache, in<br />

der Debatten nicht nur übertragen, sondern auch<br />

erzeugt und gesteuert werden.<br />

Informationsflut: Wer die Wahl hat, hat die Qual<br />

Eine andere Position vertritt der deutsche Politikwissenschaftler<br />

Peter Klier. Er hält den Vorwurf der Manipulation<br />

für nicht stichhaltig. Jede Darstellung <strong>von</strong> Tatsachen<br />

sei einer wie auch immer gearteten Verzerrung<br />

unterworfen. Angesichts der Flut <strong>von</strong> verfügbaren Informationen<br />

sei die Frage der Selektion das zentrale<br />

Problem. Das Wirklichkeitsbild der Zuschauer werde<br />

umso mehr durch die Medien bestimmt, je weniger<br />

Zugang sie zu primären Informationsquellen hätten.<br />

16 >> <strong>Humboldt</strong> kosmos 86/2005<br />

Do the mass media condition their audience as<br />

compliant slaves? German and American media critics<br />

harshly judge newspapers and television channels<br />

that determine what their readers and viewers<br />

should think about.<br />

Television really makes it easy for the public to slate the<br />

media. Whether it’s gore and horror in a film, human<br />

tragedies in talk-shows or war and disasters in the Tagesschau<br />

news programme, the more terrible, the better.<br />

Only bad news is good news. Shocking images inevitably<br />

attract most viewers. This applies not only to feature films<br />

but, to an increasing degree, to news programmes as well.<br />

Are the channels only meeting a demand among<br />

their viewers that appears to be controlled by base<br />

instincts with this selection of horrors? Or do they first of<br />

all educate their audience with clever manipulation? The<br />

body of opinion suspecting premeditated seduction is big<br />

and can boast formidable members. Hans Georg Gadamer,<br />

one of the most renowned German philosophers<br />

of the 20 th century, called television “the ball and chain<br />

that modern humanity is hanging onto. The keys to it are<br />

held by the modern information elite whose sole objective<br />

is to enslave humanity with pictures”.<br />

His famous colleague Jürgen Habermas regards the<br />

mass media as controlled by political and economic<br />

forces that have an interest in manipulating viewers.<br />

Habermas describes political manipulation as opinionforming<br />

in which debates are not merely broadcast but<br />

also generated and controlled.<br />

The information overkill: spoilt for choice<br />

German political scientist Peter Klier presents a different<br />

view. He does not believe that the accusation of manipulation<br />

can be substantiated. Any representation of facts is<br />

subject to some form of distortion. He argues that, given<br />

the overkill of available information, the issue of selection<br />

is the key problem, and that the viewers’ perception<br />

of reality is determined all the more by the media the less<br />

access they have to primary sources of information.<br />

To put it bluntly, the problem lies with the TV viewers<br />

themselves, who have turned into couch potatoes.<br />

Everything a viewer knows comes from the media, and he<br />

does not know what reality itself is like. In this scenario,<br />

the media aren’t manipulating reality, neither are they<br />

distorting it. They are in fact creating reality! As German<br />

Titelthema – Die Macht der Bilder Coverstory – The Power of Images<br />

*******<br />

Dr. Andrea Gentile lehrt<br />

Philosophie an der Universita<br />

Teologica Seraphicum<br />

in Rom, Italien.<br />

Als <strong>Humboldt</strong>-Forschungsstipendiat<br />

war<br />

er 2001-2002 und 2005 an<br />

der Universität München.<br />

*******<br />

Dr. Andrea Gentile<br />

teaches philosophy at<br />

the Universita Teologica<br />

Seraphicum in Rome,<br />

Italy. He was at the<br />

University of Munich as<br />

a <strong>Humboldt</strong> Research<br />

Fellow from 2001-2002<br />

and in 2005.


****************<br />

„Alles, was der Zuschauer über die Weltereignisse<br />

weiß, stammt aus dem Fernsehen, die Wirklichkeit<br />

selber kennt er nicht.“<br />

****************<br />

“Everything a viewer knows comes from the media,<br />

and he does not know what reality itself is like.”<br />

Zugespitzt formuliert liegt das Problem beim Zuschauer selbst,<br />

der sich nicht mehr aus seinem Fernsehsessel aufraffen kann: Alles,<br />

was er über die Weltereignisse weiß, stammt aus den Medien, die<br />

Wirklichkeit selber kennt er nicht. In diesem Fall manipulieren die<br />

Medien die Realität nicht, sie verzerren sie auch nicht – sie erzeugen<br />

sie! Sie sind, wie der deutsche Soziologe Niklas Luhmann beschreibt,<br />

ein selbst-referentielles System, das nahezu autonom existiert.<br />

Ob manipulierend, lediglich selektierend oder letztlich <strong>von</strong> der<br />

Realität abgekoppelt: Ein Effekt der Medien ist in jedem Fall das so<br />

genannte Agenda-Setting nach der berühmten These des amerikanischen<br />

Politologen Bernard Cohen: Die Presse kann vielleicht nicht den<br />

Menschen vorschreiben, was sie denken sollen. Aber sie ist überaus<br />

erfolgreich darin, ihren Lesern zu sagen, woran sie denken sollen und<br />

welche Themen sie für wichtig halten.<br />

Experimentelle Studien widerlegen allerdings diese Annahme. Der<br />

erste Schritt bei jeder Datenaufnahme ist die Selektion. Menschen entscheiden<br />

selbstständig, welche Zeitungen sie lesen oder welche Programme<br />

sie sich ansehen. Die Artikel, die sie dann lesen, beziehungsweise<br />

die Filme, die sie sich ansehen, durchlaufen im Zuge ihrer Verarbeitung<br />

im Gehirn einen Prozess: Der Leser oder Zuschauer nimmt<br />

die Informationen über kognitive Schemata auf, die er im Laufe seines<br />

Lebens gebildet hat. Die neuen Daten fügen sich hier ein und verbinden<br />

sich mit bereits vorhandenen Kenntnissen. Alles, was zu bekannten<br />

und für glaubwürdig befundenen Inhalten in Widerspruch steht,<br />

wird automatisch zurückgewiesen. Anderes wird entsprechend angepasst<br />

oder interpretiert. Gebildete Leute zeichnen sich durch ein breites<br />

Spektrum an kognitiven Schemata aus. Als nächster Schritt der<br />

Informationsverarbeitung wird das Gelesene oder Gesehene in einen<br />

übergeordneten Sinnzusammenhang eingeordnet und ein Bezug zwischen<br />

den aktuell aufgenommenen Daten und einem größeren Kontext<br />

hergestellt.<br />

Welcher Medientheorie man auch immer den Vorzug gibt – um<br />

dem Einfluss <strong>von</strong> Fernsehen, Presse und Internet auf unsere Wahrnehmung<br />

und unser Denken etwas entgegenzusetzen und uns in unserer<br />

Individualität zu behaupten, sollten wir vielleicht den Blick mehr nach<br />

innen richten. An die Stelle der äußeren Reizüberflutung tritt die Konzentration<br />

auf eigene Gefühle und Gedanken. Ein solches Gewahrsein<br />

des eigenen Erlebens fördert unsere Unabhängigkeit bei der Formulierung<br />

eigener Standpunkte und befähigt uns dazu, im Kontakt mit<br />

anderen authentisch zu sein.<br />

17 >> <strong>Humboldt</strong> kosmos 86/2005<br />

sociologist Niklas Luhmann describes, they are a self-referential system<br />

that exists virtually autonomously.<br />

Whether in a manipulating or merely selecting manner or ultimately<br />

completely detached from reality, one of the effects of the media, at any<br />

rate, is what is called agenda-setting in the famous proposition made by<br />

American political scientist Bernard Cohen, according to which the press<br />

may not be able to prescribe what people think but is extremely successful<br />

in telling its readers what to think about and what topics they should<br />

deem important.<br />

However, experimental surveys refute this assumption. In every intake<br />

of data, the first step is selection. People decide autonomously which<br />

newspapers they read or which programme they watch. The articles they<br />

then read or the films they then watch undergo processing in the brain in<br />

the course of which the reader or viewer takes up information via cognitive<br />

schemata that he has formed during his life. The new data are fitted<br />

into these schemata and associated with already existing insights. Everything<br />

contradicting known contents perceived as credible is automatically<br />

rejected. Other contents are accordingly adapted or interpreted. Educated<br />

people are distinguished by a broad spectrum of cognitive schemata.<br />

In a next step of information processing, what has been read or seen<br />

is integrated into a super-ordinate context of meaning. A relation is<br />

established between the newly registered data and a larger context.<br />

Regardless of which media theory one will give preference to, we<br />

should perhaps look more into ourselves in order to get something to<br />

counter the influence of television, the press and the Internet on our perception<br />

and assert our individuality. External overstimulation is<br />

replaced with concentrating on one’s own feelings and thoughts. Such<br />

awareness of our own experiencing supports our independence in formulating<br />

our own viewpoints and enables us to be authentic in our contacts<br />

with others.


Belkis Bilgin-Eran<br />

Wenn aus Forschung Kunst wird<br />

When research turns into art<br />

Flüssigkristalle beobachtet man unter einem Polarisationsmikroskop<br />

im Labor. Doch eigentlich gehören<br />

sie in Kunstgalerien.<br />

Vor rund 120 Jahren machte der österreichische Botaniker<br />

F. Reinitzer eine ganz und gar ungewöhnliche Entdeckung:<br />

Er fand „lebendige“ Kristalle, die sonst starren<br />

Strukturen bewegten sich! Sein Fund und die polarisationsmikroskopischen<br />

Untersuchungen des deutschen<br />

Physikers Otto Lehmann bildeten die Grundlage für die<br />

Flüssigkristallforschung, ohne die es heute keine LCD-<br />

Anzeigen gäbe, wie sie uns in Mobiltelefonen, Notebooks<br />

oder Flachbildschirmen beispielsweise <strong>von</strong> Navigationssystemen<br />

unentbehrlich geworden sind. Viele organische<br />

Substanzen zeigen das flüssigkristalline Phänomen: Sie<br />

gehen beim Schmelzen nicht unmittelbar vom festen in<br />

den flüssigen Zustand über, sondern bilden Phasen, in<br />

denen sich die geordnete kristalline Phase mit der mobilen,<br />

flüssigen Phase verbindet. Daher können die Flüssigkristalle<br />

zwar wie eine übliche Flüssigkeit gegossen werden,<br />

aber sie können auch einheitlich ausgerichtet werden<br />

und haben dann Eigenschaften wie ein fester Körper.<br />

Ohne Flüssigkristalle kein modernes Leben<br />

Flüssigkristalle sind in vielen Bereichen allgegenwärtig,<br />

ohne die unser modernes Leben starken Einschränkungen<br />

unterliegen würde, nicht nur in der Kommunikations-<br />

oder Unterhaltungselektronik. Neben der Optoelektronik<br />

finden Flüssigkristalle vor allem in der Thermographie,<br />

etwa in der Medizin und der Materialprüfung,<br />

sowie in der Herstellung hochfester Materialien<br />

praktische Anwendung. Auch für Biologen, Biochemiker<br />

und Physiker sind Flüssigkristalle ein wichtiges Element<br />

der Strukturbildung und Funktionsweise <strong>von</strong><br />

Bausteinen des Lebens.<br />

Seit der Entdeckung flüssigkristalliner Verbindungen<br />

wurde ihre Architektur ständig verändert. Heute<br />

reicht das Spektrum <strong>von</strong> einfachen Stäbchen bis zu komplizierten<br />

Ringsystemen. Zur Beobachtung und Identifizierung<br />

solcher Veränderungen muss der Forscher ein<br />

gutes Auge haben. Er muss das Bild der Flüssigkristalle,<br />

ihre Textur, „lesen“ und interpretieren. Die Texturbilder<br />

genannten mikroskopischen Aufnahmen sind für die<br />

Charakterisierung der Flüssigkristalle sehr wichtig. Ein<br />

erfahrener Flüssigkristallforscher gewinnt aus ihnen<br />

zahlreiche Ergebnisse. Er zieht zur Unterstützung noch<br />

18 >> <strong>Humboldt</strong> kosmos 86/2005<br />

Liquid crystals are observed under a polarisation<br />

microscope in the laboratory. But they really belong<br />

in art galleries.<br />

About 120 years ago, the Austrian botanist F. Reinitzer<br />

made a very unusual discovery. He found “living” crystals.<br />

What normally were rigid structures were now moving!<br />

His discovery and the polarisation microscopy<br />

examinations carried out by German physicist Otto<br />

Lehmann formed the foundations of liquid crystal research,<br />

without which there would nowadays be no LCD<br />

displays like the ones that have become indispensable to<br />

us in mobile telephones, notebooks or flatscreens of navigation<br />

systems, for example. This liquid crystal phenomenon<br />

occurs in many organic substances. They do not<br />

immediately convert from a solid to a liquid state but<br />

form phases in which the orderly crystalline phase links<br />

up with the mobile, liquid phase. This is why the liquid<br />

crystals can be poured like a common liquid but can also<br />

be oriented in a uniform direction and then bear the<br />

properties of a solid body.<br />

Without liquid crystals no modern life<br />

Liquid crystals are omnipresent in many areas without<br />

which our modern life would be subject to considerable<br />

restrictions, not only in communications and consumer<br />

electronics. In addition to optoelectronics, liquid crystals<br />

are above all used in fields such as thermography, for<br />

instance in medicine and materials testing, and in the<br />

manufacture of highly solid materials. But liquid crystals<br />

are also an important element of the formation of structures<br />

and modes of functioning of the components that<br />

make up life.<br />

Since the discovery of liquid-crystalline compounds,<br />

their architecture has constantly been modified. Today,<br />

structures range from simple rods to complicated ring<br />

systems. Researchers need a very good eye for the observation<br />

and identification of such changes. They have to<br />

“read” and interpret the image and texture of the liquid<br />

crystals. The microscopic photos, known as texture pictures,<br />

are very important in characterising the liquid<br />

crystals. An experienced liquid crystal researcher will<br />

obtain a multitude of results from them. Although he<br />

applies other methods as an aid, many a discovery is<br />

made solely by interpreting the pictures.<br />

A researcher who has developed a substance with<br />

Titelthema – Die Macht der Bilder Coverstory – The Power of Images<br />

*******<br />

Professor Dr. Belkis Bilgin-Eran<br />

lehrt Chemie an<br />

der Yildiz Technical University<br />

in Istanbul. Als<br />

<strong>Humboldt</strong>-Forschungsstipendiatin<br />

war sie <strong>von</strong><br />

2001-2002 und 2005 an der<br />

Martin-Luther-Universität<br />

Halle-Wittenberg.<br />

*******<br />

Professor Dr. Belkis Bilgin-Eran<br />

teaches chemistry<br />

at Yildiz University<br />

in Istanbul. She was at<br />

Martin Luther University<br />

Halle-Wittenberg as a<br />

<strong>Humboldt</strong> Research<br />

Fellow from 2001-2002<br />

and in 2005.


19 >> <strong>Humboldt</strong> kosmos 86/2005<br />

Flüssigkristalle unter dem<br />

Polarisationsmikroskop<br />

Liquid crystals seen through<br />

a polarisation microscope<br />

andere Verfahren heran, doch manche Erkenntnis entsteht allein durch<br />

die Interpretation der Bilder.<br />

Der glücklichste Moment für einen Forscher, der ein Material mit<br />

neuen flüssigkristallinen Eigenschaften entwickelt hat, ist gekommen,<br />

wenn er nach monatelangen Laborforschungen seine Probe zwischen<br />

zwei Glasplättchen legt und unter dem Polarisationsmikroskop bei<br />

verschiedenen Temperaturen untersucht: Der Anblick der wie lebendig<br />

wirkenden beweglichen Moleküle ist phantastisch. Legt man die<br />

bei unterschiedlichen Temperaturen und Aggregatzuständen erzeugten<br />

Bilder nebeneinander, kommt man sich beinahe vor wie in einer<br />

Kunstgalerie. Die eindrucksvollen Motive und Farben, die durch die<br />

Umorganisation der beweglichen Moleküle entstehen, zeigen uns<br />

nicht nur, wie lebendig die Wissenschaft sein kann. Sie sind Teil einer<br />

Entwicklung, in der technische und naturwissenschaftliche Bilder mit<br />

den wachsenden technischen Möglichkeiten immer öfter gleichrangig<br />

neben künstlerische Bilder treten. Man denke neben den Flüssigkristallen<br />

etwa an die bizarren Rasterelektronenmikroskopaufnahmen<br />

<strong>von</strong> Insekten, die es auf die Titelseiten <strong>von</strong> Zeitungen bringen oder<br />

ganze Bildstrecken in populärwissenschaftlichen Magazinen füllen.<br />

Oder an Kernspinaufnahmen oder Wärmebilder des menschlichen<br />

Körpers, die es nicht nur in die Medien schaffen, sondern auch die<br />

Kunst und Popkultur inspirieren. Alle diese wissenschaftlichen Bilder<br />

sind längst nicht mehr nur Mittel und Objekt der Forschung, sie bereichern<br />

den ästhetischen Bildfundus der Menschheit und zeigen, dass<br />

die Grenze zwischen Naturwissenschaft und Kunst fließend ist.<br />

new crystalline properties experiences his happiest moment when, after<br />

months of laboratory examinations, he puts his sample onto a slide and<br />

then examines it under the polarisation microscope at different temperatures.<br />

The prospect of the molecules appearing like living creatures is<br />

fantastic. Putting the pictures generated at different temperatures and in<br />

different aggregate states next to one another will almost give the<br />

impression of an art gallery. Not only do the impressive motives and<br />

colours that result from the reorganisation of the mobile molecules show<br />

us how lively science can be. They are part of a development in which,<br />

more and more frequently, technical and scientific pictures are appearing<br />

on a par with artistic pictures. Alongside the liquid crystals, just<br />

think of the bizarre grid electron microscope photos of insects that sometimes<br />

feature on the front pages of magazines or fill entire series of illustrations<br />

in popular science journals. Or of magnetic resonance imaging<br />

or thermal images of the human body which have not only made it into<br />

the media but also inspire art and pop culture. All these scientific<br />

pictures have long ceased to be mere means and objects of research. They<br />

enrich the aesthetic picture fund of humankind and show that the<br />

boundaries between science and art are liquid.<br />

**********************<br />

„Der Anblick der wie lebendig wirkenden<br />

beweglichen Moleküle ist phantastisch.“<br />

**********************<br />

“The prospect of the molecules appearing<br />

like living creatures is fantastic.”


Sergej Sumlenny<br />

Wer hat hier eigentlich gewonnen?<br />

Now who’s the winner?<br />

Mit ausgeklügelten Werbekampagnen versuchten<br />

die deutschen Parteien bei der Bundestagswahl auch<br />

noch das letzte Prozent an Wählerstimmen herauszukitzeln<br />

– und landeten in einer Pattsituation. Kein<br />

Wunder, meinen russische Beobachter. Ein deutschrussischer<br />

Wahlkampfvergleich.<br />

Die deutschen Bundestagswahlen im September 2005<br />

waren für die Demoskopen eine deftige Überraschung. Ein<br />

Wimpernschlagfinale zwischen Bundeskanzler Schröder<br />

und seiner Herausforderin Merkel hatte niemand vorhergesehen.<br />

Aus der Sicht vieler russischer Kommentatoren,<br />

beispielsweise der größten politisch-wirtschaftlichen Zeitschrift<br />

„Expert“ oder der beiden führenden Zeitungen<br />

„Kommersant“ und „Iswestija“, war die Überraschung<br />

weniger groß. Die beinahe Pattsituation zwischen Sozialdemokraten<br />

und Christdemokraten und dass die Wahlen<br />

schon zum zweiten Mal <strong>von</strong> nur wenigen tausend Wahlstimmen<br />

entschieden wurde, nahmen sie als Beleg dafür,<br />

dass der Wahlkampf nach westlicher Art in eine Sackgasse<br />

führt. Die Ursache liegt nach einer in Russland weit verbreiteten<br />

Theorie in einem Gleichgewicht der Kräfte:<br />

Wenn beide Seiten ähnliche Slogans benutzen, wenn die<br />

Wahlplakate und Fernsehreden beider großen Parteien<br />

nach allen Regeln der Werbekunst inszenierte Aufführungen<br />

sind und wenn die beiden Seiten versuchen, alle sozialen<br />

Schichten gleichermaßen zu erreichen, sollte es am<br />

Ende keinen überraschen, dass der Wähler sich nicht entscheiden<br />

kann. Die Folge sind Wahlabende, an denen man<br />

ziemlich lange und sehr genau Stimmen auszählen muss,<br />

um herauszufinden, wer eigentlich gewonnen hat. So war<br />

es zuletzt zweimal in Amerika, zweimal in Deutschland<br />

und bei den letzten Wahlen in der Ukraine.<br />

Natürlich ist dies eine etwas einseitige Erklärung für<br />

eine komplexe politische Situation. Auch spricht aus dieser<br />

Theorie eine gewisse Skepsis gegenüber der Demokratie.<br />

Dennoch ist sie äußerst aufschlussreich. Und zwar<br />

mit Blick auf Russland und den dort verbreiteten Glauben<br />

an die Allmacht der so genannten „politischen Technologien“,<br />

der politischen Werbung, und eine Geringschätzung<br />

der politischen Diskussion. Deutlich wird<br />

dies, wenn man den Wahlkampf und den Einsatz <strong>von</strong><br />

Bildern in Russland und in Deutschland vergleicht.<br />

Die Darstellung und Selbstdarstellung <strong>von</strong> Politikern<br />

sind im russischen und deutschen Wahlkampf<br />

grundverschieden. Das Auffälligste am russischen Wahl-<br />

20 >> <strong>Humboldt</strong> kosmos 86/2005<br />

In Germany’s Federal Parliament elections, parties<br />

scrambled for the final percentage points with<br />

sophisticated election campaigns - only to end up<br />

with a stalemate. Small wonder, say Russian<br />

observers. Reason enough to compare German and<br />

Russian election campaigns.<br />

The German Federal Parliament Elections in September<br />

2005 turned out to be a hefty surprise for the opinion<br />

pollsters. Nobody had anticipated a neck and neck final<br />

between Federal Chancellor Schröder and his challenger<br />

Merkel. From the angle of many Russian commentators,<br />

such as those writing for the country’s biggest political<br />

and economic journal, “Expert”, or the two leading newspapers<br />

“Kommersant” and “Izvestiya”, the results were<br />

not that astonishing. What was almost a stalemate<br />

between Social Democrats and the Christian Democrats<br />

and that this was already the second time an election<br />

outcome was decided by just a few thousand votes was<br />

regarded by them as proof of western style election campaigns<br />

merely ending in a cul-de-sac. A theory that is<br />

widespread in Russia puts this down to a balance of powers.<br />

If both sides use similar slogans, if the election posters<br />

and television broadcasts of both major parties are presentations<br />

that have been stage-managed with all the<br />

tricks of the trade, and if both sides strive to address all<br />

strata of society with the same impact, it should ultimately<br />

come as no surprise if the voter is unable to decide<br />

what he wants. The result is election evenings in which<br />

the count of votes takes rather a long time and has to be<br />

very accurate to determine who has really won. This is<br />

what the latest elections were like twice in America and<br />

Germany, and the same thing happened in Ukraine’s<br />

recent polls.<br />

Of course this is a somewhat one-sided explanation<br />

of a complex political situation. Also, this theory reflects<br />

a certain degree of scepticism towards democracy. Nevertheless,<br />

it is highly instructive regarding Russia and the<br />

widespread belief there of an omnipotence of so-called<br />

“political technologies”, political advertising and disdain<br />

of political debate. This becomes apparent when comparing<br />

the election campaigns and use of images in Russia<br />

and Germany.<br />

There are fundamental differences between Russian<br />

and German election campaigns in terms of how politicians<br />

are presented and present themselves. What strikes<br />

Titelthema – Die Macht der Bilder Coverstory – The Power of Images<br />

*******<br />

Sergej Sumlenny ist<br />

Medienwissenschaftler.<br />

Er arbeitete für das<br />

Studio der ARD in Moskau<br />

und als Chefredakteur<br />

der Nachrichtensendung<br />

„World Business“<br />

des unabhängigen<br />

Satellitenfernsehsenders<br />

„RBC-TV“. Zurzeit ist<br />

er als Bundeskanzlerstipendiat<br />

bei der Frankfurter<br />

Allgemeinen Zeitung<br />

und untersucht<br />

die Rolle der deutschen<br />

Medien in der politischen<br />

Kommunikation.<br />

*******<br />

Sergey Sumlenny is a<br />

media scientist and<br />

works as a journalist<br />

for the Moscow studio of<br />

the German TV channel<br />

ARD. He is also Editorin-Chief<br />

of the news<br />

programme “World Business”<br />

broadcast by the<br />

independent satellite TV<br />

channel “RBC-TV”.<br />

Currently, he is with the<br />

Frankfurter Allgemeine<br />

Zeitung as a Federal<br />

Chancellor Scholar and<br />

is examining the role<br />

played by the German<br />

media in political communication.


kampf ist, dass die Opposition in der öffentlichen Auseinandersetzung<br />

ganz unter sich bleibt. Die Regierung weicht dem direkten Schlagabtausch<br />

aus und konzentriert sich auf Fernsehwerbung und Plakate.<br />

Fernsehabstinenz als Erfolgsrezept<br />

Bundeskanzler Schröder gelang es, beim gleichzeitig <strong>von</strong> vier Sendern<br />

übertragenen Fernsehduell mit Kanzlerkandidatin Merkel vor 21 Millionen<br />

Zuschauern zu punkten und seine Partei in der Wählergunst<br />

hochzureißen. Bei den russischen Parlamentswahlen im Jahr 2003 und<br />

den Präsidentenwahlen <strong>von</strong> 2004 war es genau umgekehrt. Die heute<br />

regierende Partei „Jedinaja Rossija“ (Einiges Russland) nahm an keiner<br />

einzigen Fernsehdebatte teil. Ihre Begründung: man müsse arbeiten<br />

und habe keine Zeit, sinnlose Diskussionen mit politischen Zwergen<br />

zu führen. Das gleiche konnte man bei den Präsidentenwahlen<br />

beobachten, als der amtierende Präsident Putin einen großen Bogen<br />

um die direkte Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner vor<br />

laufenden Kameras machte. TV-Debatten hatte er auch nicht nötig.<br />

Seine Wahlkampagne fand erfolgreich in den Nachrichtensendungen<br />

des staatlichen Fernsehens statt, das auch den Mitgliedern der Partei<br />

„Jedinaja Rossija“ gebührend Sendezeit einräumte.<br />

Der freiwillige Rückzug aus den Fernsehdebatten und die Allianz<br />

mit dem Präsidenten sicherten „Jedinaja Rossija“ den Wahlerfolg. Ihr<br />

Slogan war denn auch ganz konsequent: Nicht etwa „Für die Armen“,<br />

wie der der Liberaldemokratischen Partei Russlands (LDPR), auch<br />

nicht „Wir bringen Gerechtigkeit nach Russland“, wie der der marginalen<br />

rechtsradikalen Partei „Rus“ (Altrussland), sondern „Gemeinsam<br />

mit dem Präsidenten“ und „Partei des Präsidenten“.<br />

War es Bundeskanzler Schröder gelungen, mit seinen bei über <strong>50</strong><br />

Prozent liegenden persönlichen Popularitätswerten die eigene Partei<br />

wenigstens auf das Niveau <strong>von</strong> 33 Prozent hochzuziehen, schaffte es<br />

der parteilose Präsident Putin mit seinem Zustimmungswert <strong>von</strong> rund<br />

70 Prozent, der Partei „Jedinaja Rossija“ 67 Prozent der Plätze im Parlament<br />

zu sichern.<br />

Auch bei den russischen Gouverneurswahlen im Jahr 2003 war<br />

Präsident Putin wahlentscheidend. In den Nachrichten des russischen<br />

Staatsfernsehsenders „Rossija“ gab er eine Wahlempfehlung für die<br />

kremltreue Kandidatin Walentina Matwijenko ab, die er gerne als<br />

Gouverneurin <strong>von</strong> Sankt Petersburg gesehen hätte. Die Oppositionsparteien<br />

klagten vor Gericht und forderten, Matwijenko <strong>von</strong> der<br />

Wahlliste zu streichen. Nach russischem Recht dürfen der Präsident,<br />

der Ministerpräsident und die Bundesminister sich nicht in Wahlen<br />

einmischen, bei denen sie nicht selber kandidieren. Die Klage war<br />

erfolglos, Matwijenko wurde gewählt.<br />

Das erste, was ein russischer Beobachter in Deutschland bemerkt,<br />

ist die große Ähnlichkeit der Wahlplakate der unterschiedlichen Parteien.<br />

Eigentlich gibt es nur zwei Hauptvarianten: ein Plakat mit dem<br />

22 >> <strong>Humboldt</strong> kosmos 86/2005<br />

Links: Anti-Putinkampagne<br />

während der letzten Präsidentschaftswahl<br />

Left: Anti-Putin campaign<br />

during the latest presidential<br />

elections<br />

Titelthema – Die Macht der Bilder Coverstory – The Power of Images<br />

Rechts: Wir für die Armen,<br />

wir für die Russen. Wladimir<br />

Schirinowski als Kandidat<br />

der Liberaldemokratischen<br />

Partei Russlands (LDPR).<br />

Right: We’re for the poor,<br />

we’re for the Russians.<br />

Vladimir Shirinovski as<br />

candidate for the Liberal<br />

Democratic Party of Russia<br />

(LDPR).<br />

the eye in a Russian election campaign is that the opposition completely<br />

keeps to itself in public debate. The government avoids disputes with<br />

opponents, preferring to concentrate on television ads and posters.<br />

Keeping out of the limelight as a recipe for success<br />

Federal Chancellor Schröder succeeded in scoring points in a TV duel with<br />

his contender Angela Merkel that was broadcast simultaneously by four<br />

channels to 21 million viewers and managed to boost his party’s favour<br />

among voters. Things had been exactly the other way round in the Russian<br />

Parliament elections of 2003 and the Presidential elections of 2004.<br />

Today’s governing party, “Yedinaya Rossiya” (Unified Russia) didn’t take<br />

part in a single TV debate, claiming that there was work to be done and<br />

there was no time for pointless discussions with political dwarves. The<br />

same state of affairs could be observed during the Presidential elections,<br />

when President-in-office Putin kept well clear of any political debate with<br />

his political opponent that would have been filmed. Neither did he need<br />

any TV debates. His election campaign was run successfully in the news<br />

broadcasts of the state-owned TV channel, which also gave the members of<br />

the “Yedinaya Rossiya” party due time on the air.<br />

A voluntary withdrawal from TV debates and an alliance with the<br />

President secured “Yedinaya Rossiya” its electoral success. And its slogan<br />

was perfectly straightforward: neither “For the poor”, as the Liberal<br />

Democrat Party of Russia (LDPR) proclaimed, nor “We will bring justice<br />

to Russia”, as promised by the fringe radical right-wing party “Rus”<br />

(Old Russia), but “Together with the President” and “The President’s<br />

Party”.<br />

While Federal Chancellor Schröder had at least managed to raise his<br />

own party to the level of 33 percent with his personal popularity ratings<br />

of over <strong>50</strong> percent, non-party President Putin, with his approval rating<br />

of around 70 percent, succeeded in securing 67 percent of the seats in<br />

Parliament for the “Yedinaya Rossiya” Party.<br />

President Putin also played a crucial role in the outcome of the Russian<br />

Governors’ elections held in 2003. In the news programmes of the<br />

Russian State TV channel “Rossiya”, he recommended the election of a<br />

candidate loyal to the Kremlin, Valentina Matviyenko, whom he wished<br />

to see become Governor of Saint Petersburg. The opposition parties<br />

brought the issue to court, demanding that Matviyenko be struck from<br />

the ballot list. Russian law prohibits the President, the Prime Minister<br />

and the Federal Ministers from interfering with elections they are not<br />

running for office in. The complaint was unsuccessful, and Matviyenko<br />

was elected.<br />

The first thing a Russian observer in Germany notices is the great<br />

similarities the election posters of the different parties bear. Really, there<br />

are only two main varieties: a poster with the picture of a candidate for<br />

a constituency or one presenting the top candidate or the party chairman.<br />

Also, with handful of exceptions, there are hardly any differences


Bild eines Wahlkreiskandidaten oder eines mit dem Konterfei des Spitzenkandidaten<br />

beziehungsweise Parteichefs. Auch gibt es bei den etablierten<br />

Parteien mit wenigen Ausnahmen kaum Unterschiede zwischen<br />

den Plakaten der Direktkandidaten in den einzelnen Wahlkreisen.<br />

Wenn diese Plakate schwarz-weiß wären und kein Parteikürzel<br />

trügen, könnte man kaum unterscheiden, zu welcher Partei der Kandidat<br />

gehört. So eine Nivellierung der Plakate ist für die russischen<br />

Wahlkampagnen, bei denen jede Partei versucht, ihr eigenes Profil<br />

auch optisch herauszuarbeiten, absolut untypisch.<br />

Trotz langfristig sinkender Wahlbeteiligung gibt es in Deutschland<br />

keine Wahlplakate mit Appellen, an die Wahlurnen zu kommen. Im<br />

Gegensatz zu Russland, wo die Zentralwahlkommission sehr aktiv ist:<br />

Ihre Plakate erklären den Wählern, wann die Wahlen stattfinden, <strong>von</strong><br />

wann bis wann die Wahllokale geöffnet sind und wo man seine Stimme<br />

abgeben kann.<br />

Genauso interessant ist für einen russischen Beobachter, dass im<br />

Laufe der Wahlkampagne in Deutschland die Parteien Fernsehwerbung<br />

und Plakate produzieren, die nur der Kritik ihrer Gegner gewidmet<br />

sind. Nach russischer Gesetzgebung wäre diese Werbung gesetzwidrig:<br />

Solche Plakate erscheinen zwar in Russland, aber sie gehören<br />

zur „Schattenzone“ der Wahlkampagnen. Zusammen mit den vielen<br />

satirischen Beiträgen im Fernsehen und Radio machte die kritische<br />

Ausleuchtung der Politiker die Wahlkampagne in Deutschland scharf<br />

und lebendig. Der Hauptunterschied zwischen Deutschland und<br />

Russland ist aber die Ratlosigkeit des deutschen Wählers, der sich<br />

noch Tage, nachdem er seine Stimme längst abgegeben hatte, fragen<br />

musste: „Wer hat denn nun eigentlich gewonnen?“<br />

23 >> <strong>Humboldt</strong> kosmos 86/2005<br />

among the established parties between the posters of the direct candidates<br />

in the individual constituencies. If these posters were in black and<br />

white and weren’t displaying the abbreviation of the respective party,<br />

one would hardly be able to determine which party a candidate belongs<br />

to. Levelling posters in such a way would be absolutely untypical of the<br />

Russian election campaigns, in which each party also attempts to give a<br />

visual presentation of its profile.<br />

In spite of a gradual decline in turnout, there are no election posters<br />

in Germany calling on citizens to go to the polls. This contrasts considerably<br />

with Russia, where the Central Election Commission is very active.<br />

Its posters explain to the voters when the elections take place, from when<br />

to when the polling stations are open and where one can vote.<br />

What is equally interesting for a Russian observer is that in the<br />

course of the election campaign in Germany, the parties produce television<br />

ads and posters devoted solely to criticising their opponents. Russian<br />

legislation would forbid such advertising. Posters of this kind do turn up<br />

in Russia, but they are regarded as dirty campaigning. Together with the<br />

numerous satirical programmes on TV and the radio, the critical limelight<br />

cast on the politicians in Germany gave the election campaign an<br />

edge and livened it up. Nevertheless, the main difference between Germany<br />

and Russia is that the German voter is at a loss. Days after having<br />

cast his vote, he still had to ask himself: “Now who really won the elections?”


Inigo Bocken<br />

Lernen <strong>von</strong> Cusanus<br />

Learning from Cusanus<br />

Sie sind versessen auf Sendezeiten und kritisieren<br />

doch die Bilderflut der Mediendemokratie: Moderne<br />

Politiker sitzen anno 2005 in der Bilderfalle. Die Ideen<br />

eines Philosophen aus dem 15. Jahrhundert könnten<br />

ihnen helfen.<br />

Bilder regieren unsere Welt. Politiker, Künstler und<br />

sogar Wissenschaftler, die nicht im Fernsehen erscheinen,<br />

existieren eigentlich nicht. Wenn sie es denn auf<br />

unseren Bildschirm schaffen, sollten sie einen äußerst<br />

komplizierten Sachverhalt in 30 Sekunden schildern<br />

können. Sonst versinken sie rasch wieder in der Anonymität.<br />

Was nicht als Bild erscheint, hat kulturell und<br />

gesellschaftlich kaum Gewicht.<br />

Werbeagenturen wissen schon lange um die Kraft<br />

des Visuellen. Anstelle altehrwürdiger und wohlbegründeter<br />

Theorien über ein gutes und gelungenes Leben,<br />

bestimmen heutzutage Bilder zunehmend unsere wichtigsten<br />

Lebensentscheidungen. Dabei geht es schon<br />

längst nicht mehr um einen oberflächlichen Hedonismus,<br />

um ein strahlendes Aussehen oder eine gut entwickelte<br />

Muskulatur. Immer mehr spielt die Werbung mit<br />

doppelten Bedeutungsebenen und setzt auf die reflexive<br />

Kraft <strong>von</strong> Bildern, die nicht einfach plakativ sind, sondern<br />

ihre Wirkung im Kopf des Betrachters entfalten.<br />

Viele Politikwissenschaftler und Philosophen misstrauen<br />

dagegen immer noch den Bildern. Die Präzision<br />

und Tiefe der Sprache könnten Bilder nicht ersetzen, so<br />

der über die Aufklärung bis zu Platon zurückreichende<br />

traditionelle Vorwurf. Dabei wird vergessen, dass auch<br />

Sprache mit Bildern arbeitet und diese oftmals die Höhepunkte<br />

sprachlicher Kreativität markieren – ob in der<br />

Kunst oder vor allem in der Politik. Im Fernsehen gut auszusehen,<br />

heißt für einen Politiker viel mehr, als dass sein<br />

Schlips ordentlich gebunden ist. Er muss das unübersichtliche<br />

Chaos der Wirklichkeit in einem sprachlichen<br />

Bild zusammenfassen. Das gilt auch für komplizierte wissenschaftliche<br />

Einsichten. Die Einsteinsche Sentenz, der<br />

zufolge der liebe Gott nicht würfelt, ist ein Beispiel unter<br />

vielen. Starke Bilder haben politische Macht. Die Begeisterung<br />

für die deutsche Einheit hätte nicht die gleiche<br />

Wirkung gehabt, wenn nicht das Bild der „blühenden<br />

Landschaften“ in dem Köpfen der Leute gewesen wäre.<br />

Ebenso wäre die spätere Enttäuschung über die ausbleibenden<br />

ökonomischen Früchte der Einheit ohne dieses<br />

Bild und seine Verheißung nicht so groß gewesen.<br />

24 >> <strong>Humboldt</strong> kosmos 86/2005<br />

They are bent on broadcasting time but still criticise<br />

the flood of images that media democracy produces.<br />

In the year 2005, modern politicians are sitting in<br />

the image trap. The ideas of a fifteenth-century<br />

philosopher could help them out.<br />

Pictures rule our world. Politicians, artists and even scientists<br />

who do not appear on TV don’t really exist. If they<br />

really do make it onto the screen, they ought to be able to<br />

give a thirty-second account of a very complicated state<br />

of affairs. Otherwise they will quickly fade into<br />

anonymity again. Anything that doesn’t appear as an<br />

image has hardly any clout in culture and society.<br />

Advertising agencies have long been aware of the<br />

power of pictures. Nowadays, instead of venerable and<br />

well-founded theories on a good and fulfilling life,<br />

images increasingly determine our most important decisions<br />

about our lives. Superficial hedonism, radiant looks<br />

or well-developed muscles have long ceased to count.<br />

Advertising is playing around more and more with double<br />

levels of meaning, setting its sights on the reflexive<br />

power of pictures that are not merely striking but develop<br />

their true impact in the brain of the beholder.<br />

Nevertheless, many political scholars and philosophers<br />

remain suspicious of pictures. Ever since the days of<br />

Plato, it has traditionally been claimed that images cannot<br />

be a substitute for the precision and depth of language.<br />

Here, one tends to forget that language also uses<br />

pictures and that the latter often mark the climax of language<br />

creativity – whether it be in art or, above all, in<br />

politics. To a politician, looking good in a TV broadcast<br />

means more than having one’s tie knotted properly. He<br />

has to sum up the unfathomable chaos of reality in a language<br />

picture. The same applies to complicated scientific<br />

insights. Einstein’s famous remark that God doesn’t play<br />

dice is only one of several examples. Strong images bear<br />

political power. Enthusiasm about German unity would<br />

not have had the same impact had it not been for the<br />

“blossoming landscapes” people pictured in their brains.<br />

By the same token, disappointment later on about the<br />

economic fruits of unity failing to materialise would<br />

hardly have been so great without this image and the<br />

promises it offered.<br />

Instead of the usual criticism of images and their<br />

ostensible superficiality and lack of precision, methods<br />

are required to handle pictures more effectively, to<br />

Titelthema – Die Macht der Bilder Coverstory – The Power of Images<br />

*******<br />

Dr. Inigo Bocken lehrt<br />

Philosophie an der<br />

Universität Nijmegen.<br />

Zurzeit ist er als <strong>Humboldt</strong>-Forschungsstipendiat<br />

an der Universität<br />

Hildesheim.<br />

*******<br />

Dr. Inigo Bocken teaches<br />

philosophy at the University<br />

of Nijmegen.<br />

Currently, he is a <strong>Humboldt</strong><br />

Research Fellow<br />

at the University of<br />

Hildesheim.


Statt der gängigen Kritik an den Bildern, ihrer vermeintlichen<br />

Flachheit und mangelnden Präzision, werden<br />

Methoden gebraucht, um mit Bildern besser umzugehen,<br />

sie zu analysieren, zu kritisieren und zu verfeinern.<br />

Die Politik muss sich fragen, ob Bilder nicht über eine<br />

eigene „Vernünftigkeit“ verfügen und ob die Kritik an den<br />

Bildern nicht das menschliche Denken einengt. Ohne Bilder<br />

und Visionen schrumpfen die Möglichkeiten einer<br />

konstruktiven Kritik der politischen Verhältnisse.<br />

Inspirierendes Mittelalter<br />

Inspirieren lassen könnten sich die Politiker des Zeitalters<br />

der elektronischen Medien ausgerechnet <strong>von</strong> einem<br />

Mann des späten Mittelalters: Nicolaus Cusanus. Als<br />

einer der führenden Politiker des 15. Jahrhunderts hatte<br />

der deutsche Philosoph, der <strong>von</strong> 1401 – 1464 lebte, die<br />

Bedeutung der Bilder für die menschliche Realität<br />

25 >> <strong>Humboldt</strong> kosmos 86/2005<br />

analyse, criticise and refine them. Politics has to ask itself<br />

whether pictures do not bear “reason” of their own and<br />

whether criticism of pictures does not restrict human<br />

thought. Without pictures and images, the opportunities<br />

for a constructive critique of political conditions are<br />

reduced.<br />

The middle ages as an inspiration<br />

Politicians in the age of electronic media could try to<br />

become inspired by, of all people, a man of the late middle<br />

ages: Nicolaus Cusanus. As one of the 15 th century’s<br />

leading politicians, this German philosopher, who lived<br />

from 1401 – 1464, had recognised the importance of pictures<br />

in human reality. While medieval society displayed<br />

sensitivity towards pictorial symbols, pictures were<br />

always regarded as a second-class aid for the uneducated.<br />

The true contents of religious and social truths were<br />

Jan van Eyck: Goldschmied<br />

Jan de Leeuw (1436)<br />

Jan van Eyck: Jan de Leeuw,<br />

the goldsmith (1436)


erkannt. Die mittelalterliche Gesellschaft war zwar sehr sensibel für<br />

bildhafte Symbole, doch wurden Bilder immer als zweitrangiges Hilfsmittel<br />

für Menschen ohne Bildung betrachtet. Der eigentliche Inhalt<br />

religiöser und gesellschaftlicher Wahrheiten war hoch gebildeten, lateinisch<br />

sprechenden Theoretikern vorbehalten. Für Cusanus jedoch<br />

waren Bilder keine bloße Verfallsform rationalen Denkens oder ein reines<br />

Abschreckungsinstrument, das die einfachen Leute vor fatalen Irrtümern<br />

und dem daraus folgenden Sturz in die Hölle schützen sollte.<br />

Im Gegensatz zu seinen antiken und mittelalterlichen Vorgängern<br />

nahm er keine Entlarvung des Bildes zugunsten einer begrifflichen oder<br />

theoretischen Wahrheit vor. Die in seiner Zeit neuesten Entwicklungen<br />

der flämischen Malerei waren der Schlüssel für ein neues Verständnis der<br />

persönlichen Perspektive. Den Mönchen eines Tegernseer Klosters, die<br />

ihn um eine verständliche Auslegung seines Denkens gebeten hatten,<br />

schickte Cusanus so die Kopie eines Selbstporträts des großen Malers<br />

Rogier van der Weyden zusammen mit der Aufforderung, das Gemälde<br />

aufzuhängen und davor in einem Halbkreis auf und ab zu gehen.<br />

Es gehörte zu den Neuigkeiten der flämischen Malerei, Menschen so<br />

abzubilden, dass sie den Betrachter wirklich anblickten und so den Eindruck<br />

erweckten, ihn mit in ihre Welt aufzunehmen. In der Kunstgeschichte<br />

wurde Malern wie Jan van Eyck, Rogier van der Weyden oder<br />

Hugo van der Goes oft vorgeworfen, dass sie nicht über das Können verfügten,<br />

die Perspektive so perfekt darzustellen, wie es die Maler der italienischen<br />

Renaissance taten. Die Vielzahl der Perspektiven war jedoch keineswegs<br />

Ausdruck mangelnden technischen Könnens, sondern eine Technik,<br />

den Betrachter einzubeziehen. Cusanus hatte dies erkannt und versucht,<br />

diese künstlerische Innovation auf die gesellschaftliche und politische<br />

Lage zu übertragen. Denn auch die späte mittelalterliche Gesellschaft<br />

wurde immer mehr <strong>von</strong> einer Pluralität der Sichtweisen geprägt, die theoretisch<br />

nicht mehr miteinander versöhnt werden konnten.<br />

Wer das Porträt Rogiers sieht, glaubt, dass dessen Blick nur ihn<br />

anschaut. Je mehr er versucht, diesen Eindruck auf die Probe zu stellen,<br />

desto mehr ist er <strong>von</strong> diesem Eindruck überzeugt. Wenn er jedoch einem<br />

anderen Betrachter auf dem Bogen um das Porträt herum begegnet, der<br />

ihm <strong>von</strong> einer ähnlichen Erfahrung berichtet, versteht er, dass er das<br />

Geschehen auf dem Bild nur aus seiner eigenen Perspektive heraus<br />

betrachten kann.<br />

26 >> <strong>Humboldt</strong> kosmos 86/2005<br />

Nicolaus Cusanus,<br />

Ausschnitt aus einem<br />

Stifterbild (um 1470)<br />

Nicolaus Cusanus, excerpt<br />

from a founder picture<br />

(around 1470)<br />

Titelthema – Die Macht der Bilder Coverstory – The Power of Images<br />

reserved for highly educated theorists speaking Latin. But to Cusanus,<br />

pictures did not represent a mere form of decay of rational thought or a<br />

pure deterrent conceived to protect simple people from making fatal mistakes<br />

and tumbling into hell as a result.<br />

Unlike his antique and medieval predecessors, he did not seek to<br />

expose the picture in favour of a conceptual or theoretical truth. The latest<br />

developments in Flemish painting in his age were the key to a new<br />

understanding of the personal perspective. Thus Cusanus sent the monks<br />

of a Lake Tegern monastery who had asked him for a comprehensible<br />

interpretation of his thoughts the copy of a self-portrait by the great<br />

painter Rogier van der Weyden together with a request that they hang<br />

the picture up and walk to and fro in a semicircle in front of it.<br />

One of the novelties of Flemish painting was to depict people in a<br />

manner suggesting that they were really looking at the beholder and thus<br />

creating the impression that they were taking him into their world. In art<br />

history, painters such as Jan van Eyck, Rogier van der Weyden or Hugo<br />

van der Goes were often accused of not having the skills to represent perspectives<br />

as perfectly as the painters of the Italian renaissance had. However,<br />

the use of several perspectives was by no means an expression of a<br />

lack of technical skills but a method to integrate the beholder. Cusanus<br />

recognised this and attempted to transfer this artistic innovation to the<br />

social and political situation. For late medieval society was also increasingly<br />

being shaped by a plurality of views that could no longer be reconciled<br />

theoretically.<br />

Anyone looking at Rogier’s portrait will believe that Rogier is looking<br />

at him alone. The more he attempts to test this impression, the more he<br />

will be convinced by its impact. However, when he meets another<br />

beholder on the way around the semicircle in front of the picture reporting<br />

a similar experience to him, he will understand that he can only<br />

observe what is happening in the picture from his own perspective.<br />

All perspectives are true<br />

Such an account ought to plunge the beholder into deep despair. For<br />

he has discovered that his belief is merely one of an endless number of<br />

views and that he is not in the midst of events but rather on the edge of<br />

an infinite number of perspectives. Nevertheless, this is not the conclusion<br />

Cusanus arrives at. Rather, he reasons that both perspectives are<br />

true. What the beholder sees is really only his own perspective, and yet it<br />

is his sole possible access route. The observer knows that he would only be<br />

able to understand the painting if he were to get to know all possible perspectives,<br />

and he simultaneously grasps that this is impossible. Thus he<br />

can handle other perspectives without rejecting them as untrue.<br />

In a paper of the same year 1453, “On the Peace of Faith”, Cusanus<br />

applies this dynamic of perspectives to the political and religious situation<br />

of his times. This paper was prompted by the bloody strife between<br />

Moslems and Christians in Constantinople. It refers to a fictitious peace


****************<br />

„Bilder waren ein reines Abschreckungsinstrument,<br />

das die einfachen Leute vor fatalen Irrtümern<br />

und dem Sturz in die Hölle schützen sollte.“<br />

****************<br />

“Pictures represented a pure deterrent conceived<br />

to protect simple people from making fatal mistakes<br />

and tumbling into hell as a result.”<br />

Alle Perspektiven sind wahr<br />

Ein solcher Bericht musste den Betrachter in tiefe Verzweiflung versetzen.<br />

Denn er entdeckt, dass sein Glaube nur eine der endlos vielen Perspektiven<br />

darstellt und er sich nicht im Zentrum des Geschehens, sondern<br />

eher am Rande unendlich vieler möglichen Sichtweisen befindet.<br />

Doch dies ist nicht die Schlussfolgerung, die Cusanus zieht. Er schließt<br />

vielmehr, dass beide Perspektiven wahr sind. Was der Betrachter sieht,<br />

ist tatsächlich nur seine eigene Perspektive, doch ist sie der für ihn einzig<br />

mögliche Zugangsweg. Der Zuschauer weiß, dass er das Gemälde<br />

nur verstehen kann, wenn er alle möglichen Sichtweisen kennen lernen<br />

würde und zugleich versteht er, dass dies unmöglich ist. So kann er mit<br />

anderen Perspektiven umgehen, ohne sie als unwahr zu verwerfen.<br />

In einer Schrift aus dem gleichen Jahr 1453, „Der Frieden des Glaubens“,<br />

wendet Cusanus diese Dynamik der Perspektiven auf die politische<br />

und religiöse Lage seiner Zeit an. Der Anlass ist der blutige Konflikt<br />

zwischen Muslimen und Christen in Konstantinopel. Von einer fiktiven<br />

Friedenskonferenz ist in der Schrift die Rede, an der Vertreter aller damalig<br />

bekannten Völker und Religionen teilnehmen. Sie versuchen, die<br />

„eine Religion in der Verschiedenheit der Bräuche und Riten“ zu finden.<br />

Dies jedoch, ohne dass eine der Religionen das eigene Bild der Wahrheit<br />

aufgeben muss. Mit einer für seine Zeit erstaunlichen Toleranz skizziert<br />

Cusanus, wie die verschiedenen Auffassungen Perspektiven der Wahrheit<br />

sind, die in einem dynamischen Prozess miteinander ins Gespräch treten<br />

können. Anders als nach ihm die Aufklärer verlangt Cusanus <strong>von</strong> den<br />

Völkern nicht, ihre bildlichen Auffassungen zugunsten einer abstrakten<br />

Wahrheit der Vernunft aufzugeben. Doch obwohl er da<strong>von</strong> ausging, dass<br />

niemand in der Lage wäre, eine Position außerhalb der Perspektiven einzunehmen,<br />

hielt er es für eine gefährliche Illusion, so zu tun, als ob der<br />

Mensch je ohne diesen absoluten Anspruch auf Wahrheit leben könnte.<br />

Es sei notwendig, diesen Anspruch ernst zu nehmen und anzuerkennen,<br />

und nicht als fundamentalistisch abzutun. Weil sie die Vielheit der absoluten<br />

Ansprüche einsehen, müssen die Vertreter der verschiedenen Völker<br />

und Kulturen ihre Identität nicht aufgeben.<br />

Die Cusanussche Interpretation des Bildes ist der Schlüssel für den<br />

Umgang mit politischen Bildern – auch heute noch: Politische Konflikte<br />

werden nicht <strong>von</strong> rein theoretischen oder rationalen Argumenten<br />

bestimmt, sondern <strong>von</strong> unterschiedlichen Visionen und Perspektiven.<br />

Diese Einsicht taugt als Regel Nummer eins für den Bilderstreit der Politik<br />

auch bald 600 Jahre nach Cusanus. Die zweite Einsicht: Bilder können<br />

die Politik inspirieren und Ideen vermitteln, auf die, wer nur mit<br />

Worten und Parteiprogrammen ringt, vielleicht nie kommen würde.<br />

Vielleicht wird der Besuch <strong>von</strong> Gemäldegalerien statt <strong>von</strong> Fernsehstudios<br />

der nächste große Trend unter den Medienprofis der Politik.<br />

27 >> <strong>Humboldt</strong> kosmos 86/2005<br />

Rogier van der Weyden: „Christus als Weltenrichter und der Erzengel Michael<br />

als Seelenwäger“ (1446-52)<br />

Rogier van der Weyden: “Christ passing judgement on the world and Archangel<br />

Michael weighing souls” (1446-52)<br />

conference attended by the representatives of all peoples and religions<br />

known at the time. They attempt to discover “the one religion in the<br />

diversity of customs and rites”, without any one of these religions having<br />

to forfeit its own notion of truth. With a degree of tolerance that is<br />

remarkable for his days, Cusanus outlines how the different notions are<br />

perspectives of the truth that can engage in debate in a dynamic process.<br />

Unlike the enlighteners after him, Cusanus does not demand peoples to<br />

give up their pictorial notions in favour of an abstract truth of reason.<br />

But although he set out from the assumption that nobody would be able<br />

to assume a position outside the perspectives, he regarded doing as if people<br />

could ever live without this absolute claim to truth as a dangerous<br />

illusion. It was essential to take this claim seriously and recognise it<br />

rather than dismissing it as fundamentalist. Because they accept the<br />

diversity of absolute claims, the representatives of the different peoples<br />

and cultures do not have to forfeit their identity.<br />

Cusanus’ interpretation of the picture is the key to handling political<br />

images – even today. Political conflicts are not determined by theoretical<br />

or rational arguments but by different visions and perspectives. This<br />

insight is still valid as Rule Number One regarding the debate about<br />

images in politics nearly 600 years after Cusanus. The second insight is<br />

that pictures can inspire politics and impart ideas that those merely<br />

campaigning with words and party manifestos might never get. Perhaps<br />

visits to art galleries instead of TV studios are going to be the next major<br />

trend among the media pros in politics.


Interview Hans-Jochen Heinze<br />

Wir schauen dem Gehirn beim Denken zu<br />

Watching the brain think<br />

Bildgebende Verfahren haben die Hirnforschung revolutioniert<br />

und in die öffentliche Diskussion gebracht.<br />

Ein Gespräch mit dem Neurologen Hans-Jochen<br />

Heinze darüber, weshalb die bunten Bilder vom<br />

Hirn so suggestiv sind, zu welchen neuen Therapien<br />

sie führen und wie die Hirnforschung in Zukunft<br />

auch Gesunden helfen könnte.<br />

>> Kosmos: Herr Professor Heinze, bis vor etwa zwanzig<br />

Jahren mussten sich Hirnforscher mit Präparaten,<br />

Hirnstrommessungen und Röntgenaufnahmen begnügen.<br />

Heute sehen Sie bunte dreidimensionale Bilder vom<br />

Ort des Geschehens. Erinnern Sie sich noch an Ihr „erstes<br />

Mal“, bei dem Sie die neuen Möglichkeiten erlebten?<br />

>>Heinze: Das war in den 80er Jahren, ich war Postdoc<br />

in den USA. Bis dahin hatte sich die Forschung fast ausschließlich<br />

auf das EEG, also die Aufzeichnung der<br />

elektrischen Hirnaktivität, konzentriert. Als wir dann<br />

zum erstenmal PET-Bilder des aktiven Gehirns sahen,<br />

dachten wir, dass wir unsere bisherigen Ergebnisse und<br />

Verfahren vergessen könnten: Die Bilder zeigten ein<br />

Netzwerk aktiver Hirnstrukturen, die wir zuvor nur<br />

indirekt <strong>von</strong> der Hirnoberfläche aus hatten vermuten<br />

können. Für uns alle war klar, dass dieser Ansatz eine<br />

Revolution in der Hirnforschung bedeutet.<br />

>> Kosmos: Sie konnten jetzt dem Gehirn praktisch<br />

beim Denken zusehen …<br />

>>Heinze: Dem Gehirn beim Denken zusehen konnten<br />

wir in bestimmten Grenzen schon vorher. Unsere<br />

anfängliche Vermutung, dass die funktionelle Bildgebung<br />

die Elektrophysiologie obsolet machen könne,<br />

war unbegründet: Es ist vielmehr erst die Kombination<br />

beider Verfahren, die uns in die Lage versetzt, die räumlich-zeitliche<br />

Architektur höherer Hirnfunktionen zu<br />

verstehen (siehe Kasten S. 30).<br />

>> Kosmos: Verdanken Sie es auch diesen bunten und<br />

eindrucksvollen Bildern, dass die Hirnforschung so viel<br />

Aufmerksamkeit erregt?<br />

>>Heinze: Sicherlich sind diese Bilder suggestiv. So<br />

wird hohe Aktivität rot dargestellt, geringe Aktivität<br />

blau. Man nutzt dabei aus, dass unser Gehirn auf Kontraste<br />

und auffällige Farbreize besonders gut reagiert.<br />

Wenn Sie statt der Farbe Zahlen an der betreffenden<br />

Stelle im Gehirn eintragen, die den Grad der Aktivität<br />

anzeigen, wäre das wissenschaftlich die gleiche Aussage.<br />

Aber sie wäre nicht anschaulich und für ein rasches<br />

28 >> <strong>Humboldt</strong> kosmos 86/2005<br />

Imaging methods have revolutionised brain research<br />

and turned it into a topic of public debate.<br />

Kosmos talked to neurologist Hans-Jochen Heinze<br />

about why the colourful pictures of the brain are so<br />

suggestive, what new therapies they can pave the<br />

way to and how brain research could also help the<br />

healthy in future.<br />

>> Kosmos: Professor Heinze, up to about twenty years<br />

ago, brain researchers had to make do with preparations,<br />

measurements of brain currents and X-ray photos. Today,<br />

it is possible to look at colourful, three-dimensional pictures<br />

of the scene of the action. Can you still remember your<br />

“first time” you experienced the new options?<br />

>>Heinze: That was in the 80s, when I was a post-doc in<br />

the USA. Up to then, brain research had concentrated<br />

almost exclusively on the EEG, on recording electric brain<br />

activity. When we then saw PET images of the brain in<br />

action, we thought we could now forget about our previous<br />

results and methods. The pictures showed a network of<br />

active brain structures that we would so far have only<br />

been able to anticipate indirectly, from the brain surface.<br />

To us all, it was obvious that this approach amounted to a<br />

revolution in brain research.<br />

>> Kosmos: So now you could virtually watch the brain<br />

think …<br />

>>Heinze: Within certain restraints, we had already<br />

been able to watch the brain think with our old technology.<br />

Our initial suspicion that functional imaging could<br />

render electrophysiology obsolete proved unfounded. Rather,<br />

it is only the combination of both methods that enables<br />

us to understand the spatio-temporal architecture of<br />

advanced brain functions (see box page 30).<br />

>> Kosmos: Is it also thanks to these colourful and<br />

impressive images that brain research has attracted so<br />

much attention?<br />

>>Heinze: Of course these images are suggestive. For<br />

instance, a high level of activity is represented in deep red,<br />

while low activity is in blue. Here, the fact that our brain<br />

responds especially well to contrasts and conspicuous<br />

colour stimuli is taken advantage of. If you were to merely<br />

write numbers into the image instead of colours, the<br />

statements would be exactly the same from a scientific<br />

angle. But that would not be particularly illustrative and<br />

would be of little help in quickly gaining an understanding<br />

of the results.<br />

Titelthema – Die Macht der Bilder Coverstory – The Power of Images<br />

*******<br />

Professor Dr. Hans-<br />

Jochen Heinze ist Direktor<br />

der Klinik für Neurologie<br />

II an der Universität<br />

Magdeburg sowie Direktor<br />

der Abteilung für Verhaltensneurologie<br />

am<br />

dortigen Leibniz-Institut<br />

für Neurobiologie. Er ist<br />

Fachvertreter im Auswahlausschuss<br />

für Forschungsstipendien<br />

der<br />

<strong>Humboldt</strong>-<strong>Stiftung</strong>.<br />

*******<br />

Professor Dr. Hans-<br />

Jochen Heinze is Director<br />

of the Neurological<br />

Clinic II at Magdeburg<br />

University and Director<br />

of the Department of<br />

Behavioural Neurology<br />

at the Leibniz Institute<br />

for Neurobiology, also<br />

located there. He is a<br />

specialist representative<br />

in the Selection Committee<br />

for Research Fellowships<br />

of the <strong>Humboldt</strong><br />

Foundation.


Verständnis der Ergebnisse wenig hilfreich.<br />

>> Kosmos: Sie können beobachten, wie das menschliche<br />

Hirn auf bestimmte Reize reagiert, beispielsweise,<br />

welche Bilder Emotionen auslösen. Das wäre als Anwendung<br />

für die Werbeindustrie interessant …<br />

>>Heinze: … und wird <strong>von</strong> manchen Firmen bereits<br />

eingesetzt. Wenn man Werbung anschaut, gibt es viele<br />

Verarbeitungsstufen im Gehirn, die nur zu einem ganz<br />

geringen Teil bewusst werden und über die man mit<br />

klassischen Methoden der Marktforschung, wie Testvorführungen<br />

und Befragungen, nichts erfährt. Mit<br />

29 >> <strong>Humboldt</strong> kosmos 86/2005<br />

>> Kosmos: You can watch how the human brain<br />

responds to certain stimuli, for instance which images<br />

trigger certain emotions. That would be an interesting<br />

application in advertising …<br />

>>Heinze: … and is already being used by some firms. If<br />

you look at advertising, there are several levels of processing<br />

in the brain only a very small share of which people<br />

are aware of and of which nothing is learnt via classic<br />

methods of market research such as test demonstrations<br />

and interviews. In contrast, imaging could help visualise<br />

some of these processes.


****************<br />

„Ein nach materiellen Prioritäten optimiertes<br />

‚Designergehirn‘ wäre zweifellos eine höchst<br />

verwerfliche Entwicklung.“<br />

****************<br />

“A ‘designer brain’ optimised to meet material<br />

priorities would without doubt be a highly reprehensible<br />

development.”<br />

Hilfe der Bildgebung dagegen können einige dieser Prozesse sichtbar<br />

gemacht werden.<br />

>> Kosmos: Die Werbeleute kämen dem gläsernen Kunden damit ein<br />

ganzes Stück näher. Was bringt die Technik für Ärzte und ihre Patienten?<br />

>>Heinze: Sie helfen uns, die Ursachen für bestimmte Erkrankungen<br />

zu erkennen. Beispielsweise können wir entdecken, in welchen Bereichen<br />

des Gehirns und auf welcher Ebene der Informationsverarbeitung<br />

fehlerhafte Wahrnehmungen, Defizite oder Halluzinationen<br />

erzeugt werden. Verhaltensstörungen und pathologische Prozesse bestimmter<br />

Nervenzellpopulationen können auf diese Weise einander<br />

zugeordnet werden.<br />

>> Kosmos: Entstehen hieraus auch neue Therapien?<br />

>>Heinze: Es gibt zahlreiche Anwendungen in der Kognitiven Neurologie<br />

und Psychiatrie. Beispielsweise die Behandlung bestimmter neuropsychiatrischer<br />

Erkrankungen, etwa <strong>von</strong> Menschen mit einer<br />

Zwangserkrankung. Einige dieser Patienten können den Zwang, sich<br />

selber schwere Verletzungen zuzufügen, nicht unterdrücken, und sind<br />

durch konservative Verfahren nicht zu therapieren. Man nimmt an,<br />

dass eine veränderte Aktivität in bestimmten Hirnarealen wie dem<br />

Nucleus Accumbens bei dieser Erkrankung eine wichtige Rolle spielt.<br />

Hier setzt eine neue, invasive Therapie an: Nachdem man mit bildgebenden<br />

Verfahren die genaue Position dieses Areals ermittelt und seine<br />

Interaktionen mit anderen Hirnstrukturen identifiziert hat, reguliert<br />

man mittels elektrischer Stimulation über eine stereotaktisch eingeführte<br />

Elektrode die Aktivität in einem Teilbereich des Nucleus Ac-<br />

Wie entstehen die Bilder vom Gehirn?<br />

Man unterscheidet die elektrophysiologischen Methoden wie das<br />

klassische EEG (Elektroenzephalogramm) und das MEG (Magnetenzephalogramm)<br />

<strong>von</strong> den so genannten Bildgebungsverfahren:<br />

die Kernspintomographie, die funktionelle Kernspintomographie,<br />

die Spektroskopie und die Positronen-Emissions-Tomographie<br />

(PET). Mit dem EEG und MEG kann man zeitlich genau bestimmte<br />

zentralnervöse Prozesse verfolgen; die räumliche Auflösung ist<br />

allerdings begrenzt. Die Stärke der funktionellen Bildgebungsverfahren<br />

ist dagegen die räumliche Darstellung <strong>von</strong> Aktivierungen,<br />

insbesondere auch in tiefer gelegenen Hirnstrukturen. Diese Verfahren<br />

beruhen darauf, dass sie Blutflussänderungen messen, die wiederum<br />

relativ langsam ablaufen und daher den Zeitverlauf der<br />

neuralen Informationsverarbeitung häufig nicht abbilden. Man<br />

kombiniert deshalb Bildgebung und Elektrophysiologie und erhält<br />

so eine funktionelle Raum-Zeit-Architektur.<br />

30 >> <strong>Humboldt</strong> kosmos 86/2005<br />

Titelthema – Die Macht der Bilder Coverstory – The Power of Images<br />

>> Kosmos: This would get the advertising people a lot closer to the<br />

“glass consumer”. But in what way can doctors and patients benefit from<br />

the new technology?<br />

>>Heinze: It helps us detect the causes of certain diseases. For instance,<br />

we can discover in which areas of the brain and at which level of information<br />

processing faulty perceptions, deficits or hallucinations are generated.<br />

Behavioural disorders and pathological processes in certain nerve cell<br />

populations can thus be assigned to each other.<br />

>> Kosmos: Does this also lead to new therapies?<br />

>>Heinze: There are several applications in cognitive neurology and<br />

psychiatry, such as the treatment of certain neuro-psychiatric diseases like<br />

those of people with an obsessive disorder. Some of these people are unable<br />

to suppress the compulsion to inflict severe injuries upon themselves and<br />

cannot be treated with conservative methods. Here, it is assumed that<br />

changes in activity in certain brain areas such as the Nucleus Accumbens<br />

play an important role in this disease. This is where a new, invasive therapy<br />

comes in. Having established the exact position of this area with imaging<br />

methods, one then regulates activity in a sub-area of the Nucleus<br />

Accumbens using electric stimulation via a stereo-tactically inserted electrode.<br />

Sometimes, the results are dramatic. The compulsion will ebb, and<br />

some of the patients are once again able to pursue their professions.<br />

>> Kosmos: All this raises the question whether we have a free will. Are<br />

we ultimately merely slaves of neuronal thunderstorms in our heads?<br />

Compulsive acts would only be one extreme example …<br />

>>Heinze: Yes, this is a frequently discussed question nowadays, although<br />

of course, it is by no means new. Is our thinking and acting the result of<br />

How are the images of the brain created?<br />

One distinguishes between electro-physiological methods such as the<br />

classic EEG (electro-encephalogram) and the MEG (magneto-encephalogram)<br />

and, on the other side, the imaging methods: magnetic<br />

resonance imaging, functional magnetic resonance imaging, spectroscopy<br />

and positron emission tomography (PET).<br />

While the EEG and the MEG can be used to track decision-making<br />

processes in the brain with temporal accuracy and with virtually no<br />

limitations, spatial resolution is limited. In contrast, the strength of<br />

the imaging methods is that they offer spatial representations of<br />

activities, especially those in the deeper structures of the brain. These<br />

methods are based on measurements of changes in blood flow, which,<br />

however, progress relatively slowly and therefore frequently fail to<br />

illustrate the temporal progression of neural information processing.<br />

This is why imaging and electrophysiology are combined, resulting in<br />

a space-time architecture of more sophisticated brain functions.


31 >> <strong>Humboldt</strong> kosmos 86/2005<br />

Titelthema – Die Macht der Bilder Coverstory – The Power of Images<br />

Oben: farblich markierte<br />

Aktivierungsmuster in einer<br />

Kernspin-Aufnahme des<br />

menschlichen Gehirns.<br />

Top: Activating patterns in a<br />

magnetic resonance image<br />

of the human brain marked<br />

in different colours.<br />

Unten: Magnetresonanz-<br />

Tomographie vom Gehirn<br />

einer Creutzfeld-Jakob-<br />

Patientin.<br />

Bottom: Magnetic resonance<br />

tomography of a<br />

Creutzfeldt-Jakob patient’s<br />

brain.<br />

*****<br />

„Wir dachten, jetzt<br />

können wir unsere<br />

bisherigen Verfahren<br />

vergessen. Für<br />

uns alle war klar,<br />

dass die neuen Bilder<br />

eine Revolution<br />

in der Hirnforschung<br />

bedeuten.“<br />

*****<br />

“We thought we<br />

could now forget<br />

about our previous<br />

methods. To us all,<br />

it was obvious that<br />

the new images<br />

amounted to a<br />

revolution in brain<br />

research.”


cumbens. Die Ergebnisse sind teilweise dramatisch.<br />

Der Zwang lässt nach. Einige der Patienten können<br />

wieder ihrem Beruf nachgehen.<br />

>> Kosmos: Das wirft die Frage nach dem freien Willen<br />

auf. Sind wir letztlich nur Sklaven neuronaler<br />

Gewitter in unserem Kopf? Zwangshandlungen wären<br />

hierfür nur ein extremes Beispiel …<br />

>>Heinze: Ja, das ist eine derzeit oft diskutierte, aber<br />

natürlich keineswegs neue Frage: Ist unser Denken und<br />

Handeln das Ergebnis kausaler neuraler Aktivität, und<br />

müssen wir daher nicht konsequenterweise den<br />

Schuldbegriff abschaffen und das Kapitel der Moral<br />

neu schreiben? Ich glaube, eine solche Schlussfolgerung<br />

ist nicht gerechtfertigt. Ich bezweifle überhaupt nicht,<br />

dass Denken, Entscheiden und Handeln mit neuraler<br />

Aktivität, also physikalischen Gesetzen, zusammenhängen.<br />

Aber ich halte diese Zusammenhänge für viel<br />

komplizierter, als dass wir sie mit unserem gegenwärtigen<br />

Wissen, vielleicht auch mit unserem Erkenntnisvermögen<br />

überhaupt, verstehen können. Nach dem<br />

gegenwärtigen Stand der Wissenschaft ist es nicht angemessen,<br />

unser persönliches Empfinden <strong>von</strong> Verantwortung<br />

und Freiheit, also die Grundlage unserer Moral,<br />

als neurale „Täuschung“ zu erklären.<br />

>> Kosmos: Im deutschen Feuilleton wurden diese<br />

Fragen dennoch ausführlich diskutiert. Wird die<br />

Bedeutung Ihres Fachs für philosophische Grundsatzfragen<br />

überschätzt?<br />

>>Heinze: Vielleicht manchmal. Ich bewerte die Rolle<br />

der kognitiven Neurowissenschaft jedenfalls eher unter<br />

pragmatischen Gesichtspunkten: Sie soll dazu beitragen,<br />

Störungen neuraler Prozesse zu diagnostizieren<br />

und zu therapieren, so dass der Mensch in die Lage versetzt<br />

wird, innerhalb seiner Möglichkeiten die Welt<br />

32 >> <strong>Humboldt</strong> kosmos 86/2005<br />

causal neural activity, and don’t we therefore have to forget<br />

the issue of guilt and rewrite the chapter on morals? I<br />

believe that such a conclusion isn’t justified. Not that I<br />

have any doubts that thinking, deciding and acting is linked<br />

to neural activity and therefore physical laws. But I<br />

believe that these contexts are far too complicated for us to<br />

be able to comprehend them with our present level of<br />

knowledge if not with our cognitive capacity in general.<br />

With state-of-the-art science, it wouldn’t be appropriate to<br />

describe our personal perception of responsibility and freedom,<br />

the basis of our morals, as a neural “deception”.<br />

>> Kosmos: Nevertheless, these issues have been elaborately<br />

discussed in the German feature pages. Is the<br />

importance of your subject regarding philosophical principles<br />

being overestimated?<br />

>>Heinze: Sometimes, perhaps. At any rate, I would<br />

assess the role of cognitive neuro-science more from a<br />

pragmatic angle. It is supposed to contribute to diagnosing<br />

and treating disorders in neural processes so that<br />

the human being is enabled to objectively understand and<br />

value the world within his abilities and plan and implement<br />

alternative concepts of life.<br />

>> Kosmos: Do the alternative concepts of life include<br />

treating the brains of the healthy as well sooner or later?<br />

The recently discovered agent to enhance the memory<br />

could be an initial step in this direction …<br />

>>Heinze: Scientists really are already working on this.<br />

Some of these approaches, such as enhancing certain types<br />

of memory performance, are not unrealistic. Older people<br />

in particular could benefit from this, for we know that<br />

from the age of 60 years on, changes in the storage and<br />

retrieval of information frequently occur among healthy<br />

people as well. The Old and the New is experienced differently<br />

from in youth.<br />

Vorbereitung eines Patienten<br />

zur Hirnuntersuchung<br />

im PET-Zentrum in Rossendorf<br />

bei Dresden<br />

A patient being prepared for<br />

a brain examination at the<br />

PET centre in Rossendorf<br />

near Dresden


objektiv zu verstehen und zu bewerten, alternative Lebensentwürfe zu<br />

planen und umzusetzen.<br />

>> Kosmos: Gehört zu den alternativen Lebensentwürfen, dass man<br />

über kurz oder lang auch die Gehirne der Gesunden behandelt? Der<br />

jüngst entdeckte Wirkstoff zur Steigerung der Merkfähigkeit könnte<br />

einen ersten Schritt markieren …<br />

>>Heinze: Es wird gegenwärtig tatsächlich daran gearbeitet. Einige<br />

dieser Ansätze, wie die Steigerung bestimmter Gedächtnisleistungen,<br />

sind nicht unrealistisch. Vor allem ältere Menschen könnten da<strong>von</strong><br />

profitieren, denn wir wissen, dass ab dem 60. Lebensjahr auch bei<br />

gesunden Menschen häufig Veränderungen der Speicherung und des<br />

Abrufs <strong>von</strong> Informationen eintreten: Alt und Neu wird anders erlebt<br />

als in der Jugend.<br />

>> Kosmos: Die Optimierung des menschlichen Gehirns würde<br />

große ethische Fragen aufwerfen und wohl mindestens wie die Gentechnik<br />

entschiedene Gegner auf den Plan rufen …<br />

>>Heinze: Natürlich muss man sorgfältig abwägen. Ein nach materiellen<br />

Prioritäten optimiertes „Designergehirn“ wäre zweifellos eine<br />

höchst verwerfliche Entwicklung. Aber ich glaube, dass solche Szenarien<br />

wenig realistisch sind. Hinter Intelligenz, Kreativität, Mitleid und<br />

Moral stehen extrem komplexe Prozesse. Wir sind zwar in der Lage,<br />

einzelne Faktoren zu identifizieren, die im Falle einer Dysfunktion zu<br />

gravierenden Störungen führen. Aber das heißt keineswegs im<br />

Umkehrschluss, dass die Veränderung einzelner Faktoren etwa durch<br />

Medikamente die kognitive Leistungsfähigkeit und die Persönlichkeit<br />

insgesamt verbessern und bereichern würde. Für die „Optimierung<br />

des menschlichen Gehirns“ gelten vielmehr Bedingungen, die auch<br />

ohne Neurowissenschaften evident sind: Eine gute allgemeine Erziehung,<br />

eine intakte Familie und eine optimistische, soziale Gesellschaft.<br />

33 >> <strong>Humboldt</strong> kosmos 86/2005<br />

Titelthema – Die Macht der Bilder Coverstory – The Power of Images<br />

Links: Kernspinresonanz-Aufnahme eines gesunden menschlichen Gehirns,<br />

männlich, ca. 40 Jahre<br />

Left: Core magnetic resonance image of a healthy human brain, male, approx.<br />

40 years<br />

Rechts: In charakteristischen Kurven werden Hirnströme eines Patienten in<br />

einem EEG aufgezeichnet.<br />

Right: A patient’s brain currents are recorded in characteristic graphs in an<br />

EEG.<br />

>> Kosmos: Optimising the human brain would raise grave ethical issues<br />

and probably bring determined opponents into the arena, at least as<br />

much as genetic engineering …<br />

>>Heinze: Of course this has to be considered very carefully. A “designer<br />

brain” optimised to meet material priorities would without doubt be a<br />

highly reprehensible development. But I believe that such scenarios are<br />

hardly realistic. Intelligence, creativity, compassion and morals are based<br />

on extremely complex processes. We may be able to identify individual factors<br />

that lead to grave disorders if a dysfunction occurs. But this would by<br />

no means justify turning the argument on its head and claiming that<br />

modifications of individual factors, for instance through drugs, would<br />

improve and enrich cognitive performance and the personality as a whole.<br />

Rather, “optimising the human brain” is conditional on factors that would<br />

still be evident even without neuro-science: good general education and<br />

upbringing, an intact family and an optimistic, caring society.


Bayern sind die Amerikaner unter den Deutschen.<br />

Eine Liebeserklärung an die Münchener Lebensart.<br />

Als ich 1969 ein Stipendium der <strong>Alexander</strong> <strong>von</strong> <strong>Humboldt</strong>-<strong>Stiftung</strong><br />

erhielt, war ich 27 Jahre alt. Die Entscheidung,<br />

nach München zu gehen, fiel mir nicht<br />

schwer, hatte doch die Bayerische Staatsbibliothek mit<br />

ihren damals fast 30.000 mittelalterlichen Handschriften<br />

und Frühdrucken alles, was ich für meine Forschungsarbeit<br />

über mittelalterliche Rechtsgeschichte<br />

brauchte.<br />

Die Bayern waren mir allerdings ein wenig suspekt.<br />

Aufgewachsen im Mittleren Westen der USA, in Milwaukee,<br />

Wisconsin, hatte ich die üblichen Vorurteile<br />

über den Freistaat im Süden Deutschlands und seine<br />

Einwohner. Ich war da<strong>von</strong> überzeugt, dass alle Bayern<br />

Lederhosen tragen und bei Sonnenaufgang zu jodeln<br />

beginnen, ebenso wie ich mir sicher war, dass das Oktoberfest<br />

im Oktober stattfindet.<br />

Meine Nachbarn, die Beckenbauers<br />

Als ich im September 1969 in München ankam, mietete<br />

ich ein kleines Haus in der südöstlichsten Ecke <strong>von</strong><br />

München, dem Stadtteil Waldperlach. Das Haus hätte<br />

die perfekte Kulisse für „Goldköpfchen und die drei<br />

Bären“ abgegeben. Es gab weder Zentralheizung noch<br />

warmes Wasser. Dies war – wie ich erfuhr – für<br />

Deutschland Ende der 60er Jahre durchaus nicht unüblich.<br />

Ich fand heraus, dass ich mir Kästen mit Bier aus<br />

Andechs und Weihenstephan ins Haus liefern lassen<br />

konnte – mein Bierlieferant trug übrigens immer Lederhosen,<br />

auch im Winter. Meine unmittelbaren Nachbarn<br />

waren die Beckenbauers, nicht der Kaiser persönlich,<br />

aber sein Cousin. Sie waren echte Bayern. Sie<br />

konnten zwar Hochdeutsch sprechen, führten mich<br />

aber ins Bayerische ein. Ihnen hatte ich zu verdanken,<br />

dass mein sozialer Terminkalender im ersten Jahr gut<br />

gefüllt war. Im September ging ich mit ihnen zu meinem<br />

ersten Oktoberfest „auf d’Wiesn“. Später im<br />

Herbst trauerte ich mit ihnen, als sie mir <strong>von</strong> ihrer Einladung<br />

zu der „gemischten Hochzeit” einer nahen Verwandten<br />

berichteten.„Ein Protestant?“ fragte ich. „Na, a<br />

Preiß'n", antworteten sie. Im Frühjahr nahmen sie<br />

mich mit zu meiner ersten Faschingsparty, auf der ich<br />

die Bekanntschaft mit Doppelkorn machte, einem klaren<br />

Schnaps, der heute in bayerischen Gaststätten nicht<br />

34 >> <strong>Humboldt</strong> kosmos 86/2005<br />

Deutschland im Blick View onto Germany<br />

Kenneth Pennington<br />

Meine weiß-blaue Identität<br />

My white and blue identity<br />

The Bavarians are Germany’s Americans. A declaration<br />

of love to the Munich way of life.<br />

When I received an <strong>Alexander</strong> <strong>von</strong> <strong>Humboldt</strong> Fellowship<br />

in 1969, I was 27 years old. Opting for Munich seemed to<br />

suggest itself, given that the Bavarian State Library, with<br />

its almost 30,000 medieval manuscripts and incunabula,<br />

had everything I needed for my research on medieval<br />

legal history.<br />

However, the Bavarians were a little suspicious to me.<br />

Having grown up in America’s Midwest, Milwaukee, Wisconsin,<br />

I had the usual misconceptions about this Free<br />

State in the south of Germany and its inhabitants. I was<br />

sure that all Bavarians wore Lederhosen and yodelled at<br />

the crack of dawn, and I believed that the Oktoberfest<br />

actually took place in October.<br />

My neighbours, the Beckenbauers<br />

When I first arrived in Munich in September of 1969, I<br />

rented a small cottage in the farthest southeastern part of<br />

Munich called Waldperlach. The house could have been<br />

the perfect setting for “Goldielocks and the Three Bears”.<br />

It did not have central heating or hot water. That, I<br />

learned, was not unusual for Germany at the end of the<br />

60s. I discovered that I could have crates of Andechs and<br />

Weihenstephan beer delivered to my door by my beer<br />

man – who always wore Lederhosen even in the winter.<br />

My next-door neighbours turned out to be the Beckenbauers,<br />

not the Kaiser himself but his first cousin. They<br />

were real Bavarians to the core. They could speak<br />

Hochdeutsch but introduced me to Bayerisch. They<br />

provided me with a rich social calendar for the first year.<br />

In September I went with them to my first Oktoberfest<br />

“auf d´Wiesn.” Later in the fall I grieved with them when<br />

they told me that they were attending a “mixed marriage”<br />

of a close relative. “A Protestant?” I inquired. “Na,<br />

a Preiß’n,” they answered. In spring they took me to my<br />

first Fasching party and introduced me to Doppelkorn,<br />

a clear Schnaps that no longer is being served in bayerische<br />

Gaststätten, if my research during this summer<br />

has been properly conducted. Finally, during sunny June<br />

weeks of 1970 I watched the German national soccer<br />

team with them as it took on Morocco, Bulgaria, Peru,<br />

and England until they finally lost to Italy in the “Match<br />

of the Century” in the World Championships. The<br />

Kaiser, Franz Beckenbauer, was elegant, creative, and<br />

*******<br />

Professor Dr. Kenneth<br />

Pennington lehrt die<br />

Geschichte des Mittelalters<br />

an der Catholic University<br />

of America,<br />

Washington, D.C. USA.<br />

1969 wurde ihm ein <strong>Humboldt</strong>-Forschungsstipendium<br />

verliehen, das ihn<br />

im selben Jahr erstmals<br />

an die Universität München<br />

führte, wo er zuletzt<br />

im Sommer 2005 im Rahmen<br />

einer Wiederaufnahme<br />

tätig war.<br />

*******<br />

Professor Dr. Kenneth<br />

Pennington teaches<br />

Medieval History at the<br />

Catholic University of<br />

America, Washington,<br />

D.C. USA. In 1969, he was<br />

awarded a <strong>Humboldt</strong><br />

Research Fellowship<br />

which brought him to<br />

the University of Munich<br />

in that same year, where,<br />

in the context of a<br />

resumption of the<br />

research fellowship, he<br />

last worked in the summer<br />

of 2005.


********************<br />

„ Außerhalb Bayerns brauche ich immer eine Weile, bis ich verstehe,<br />

dass die Deutschen, die mich auf der Straße nicht grüßen, nicht<br />

unfreundlich sind, es sind nur keine Bayern.“<br />

********************<br />

“When I am outside of Bavaria it always takes a while for me<br />

to understand that the Germans who do not recognise me on the<br />

street are not unfriendly, they are just not Bavarians.”<br />

mehr zu kriegen ist – vorausgesetzt ich habe meine Recherchen in diesem<br />

Sommer sorgfältig genug durchgeführt. Schließlich, in den sonnigen<br />

Juniwochen des Jahres 1970, erlebten wir gemeinsam, wie die<br />

deutsche Nationalmannschaft in der Fußballweltmeisterschaft nacheinander<br />

Marokko, Bulgarien, Peru und England besiegte, bis sie<br />

schließlich im „Spiel des Jahrhunderts“ gegen Italien verlor. Der Kaiser,<br />

Franz Beckenbauer, war elegant, kreativ und machte selbst bei der<br />

Niederlage eine gute Figur. Auch wenn ich ihn nie persönlich kennen<br />

gelernt habe, so fühlte ich mich durch die Beckenbauers <strong>von</strong> nebenan<br />

doch immer sehr mit ihm verbunden.<br />

Auch die Oper wurde ein Teil meines Lebens in jenem Jahr. Ich<br />

hatte noch nie in einer Stadt gelebt, in der es eine Oper gab, und war<br />

sehr gespannt darauf. Ich fand heraus, dass es im oberen Bereich des<br />

Zuschauerraums der Bayerischen Staatsoper billige Stehplätze gab.<br />

Für einen Hinterwäldler („Bauerntölpel“ trifft es nicht wirklich) aus<br />

dem amerikanischen Mittleren Westen war ein Besuch der Staatsoper<br />

ein echtes Erlebnis. Er begann immer mit einem Cognac in der<br />

Opernbar, gefolgt <strong>von</strong> dem langen Aufstieg zu meinem Stehplatz im<br />

Dachgeschoss des Theaters, um dann bei der Vorführung <strong>von</strong> Musik,<br />

Gesang und Tanz zu kulminieren. Eine Aufführung ist mir nachhaltig<br />

im Gedächtnis geblieben, „Tristan und Isolde“ <strong>von</strong> Richard Wagner.<br />

Ich weiß nicht mehr, wer die Sänger waren oder wer dirigiert hat, aber<br />

an eines erinnere ich mich genau: Die Vorführung begann um 18.00<br />

Uhr und endete um 23.30 Uhr. Eine lange Zeit zum Stehen.<br />

Das akademische Jahr 1969/70 war ein wunderbares Jahr. Bayern<br />

wurde ein Teil meines Lebens. Ich lernte Deutsch und fand heraus, was<br />

es bedeutet, ein Bayer zu sein im Unterschied zu einem Preußen oder<br />

einem Schwaben. Habe ich eigentlich schon erwähnt, dass ich auch in<br />

meiner wissenschaftlichen Arbeit Fortschritte machte?<br />

Bayerische Anziehungskraft<br />

Man weiß im Leben nie, ob eine zufällige Begegnung, Erfahrung oder<br />

ein Erlebnis sich als Beginn einer langen Beziehung oder als Sackgasse<br />

herausstellt. In meinem Fall hat mich die <strong>Alexander</strong> <strong>von</strong> <strong>Humboldt</strong>-<br />

<strong>Stiftung</strong> auf einen Weg gebracht, der bis heute noch nicht zu Ende ist.<br />

In den 70er Jahren kam ich immer wieder für kurze Besuche zurück<br />

nach München und jedes Mal staunte ich über die Veränderungen.<br />

Manches empfand ich zunächst als Nachteil. So waren gegen Ende der<br />

70er Jahre alle meine bayerischen Lieblingsrestaurants verschwunden.<br />

An ihre Stelle waren italienische und jugoslawische Gaststätten getreten.<br />

Allerdings begriff ich schnell, dass die ethnische Vielfalt München<br />

nur noch interessanter machte.<br />

Den Sommer 1983 verbrachte ich wieder in Bayern, dann die Jahre<br />

<strong>von</strong> 1985 bis 1987 und die Sommer der Jahre 1989, 1992 und 2005 mit<br />

vielen Kurzbesuchen zwischendurch. Je öfter ich zurückkehrte, desto<br />

mehr wurde mir bewusst, wie heimisch ich mich in diesem Land fühl-<br />

36 >> <strong>Humboldt</strong> kosmos 86/2005<br />

Deutschland im Blick View onto Germany<br />

beautiful to watch even in defeat. Somehow, although I have never met<br />

him, I have always felt that I had a connection to him through my neighbours,<br />

the Beckenbauers.<br />

The opera also became a part of my life that year. I had never lived<br />

in a city with an opera, and I thought that opera might be interesting. I<br />

learned that the Bavarian State Opera had cheap tickets for standing<br />

room in the upper reaches of the theatre. For an American Midwestern<br />

hayseed (not quite a Bauerntölpel), going to the Staatsoper was an<br />

experience. It would begin with a cognac in the opera café, continue with<br />

the long climb to my post in the attic of the theatre, and culminate with<br />

the music, singing, and dance. I remember one performance in particular,<br />

Wagner’s “Tristan and Isolde”. I do not remember the singers or conductor,<br />

but I do remember that it started at 6 p.m. and ended at 11:30<br />

p.m. It was a long time to stand.<br />

The academic year of 1969-1970 was a glorious year. Bavaria became<br />

a part of my life. I learned to speak German and discovered something<br />

of what it meant to be a Bavarian rather than a Prussian or a<br />

Swabian. Did I mention that I got some research done?<br />

The lure of Bavaria<br />

You never know whether a chance meeting, experience or an event in<br />

your life is the beginning of a long relationship or a dead end. In my case,<br />

the <strong>Alexander</strong> <strong>von</strong> <strong>Humboldt</strong> Foundation put me on a road that has not<br />

yet had an end. I came back to Munich during the 1970s for many short<br />

visits and marvelled at the changes, some of which seemed at first to be<br />

downsides. By the last years of the 70s all my favourite Bavarian restaurants<br />

were gone. In their place were Italian and Yugoslavian eateries.<br />

What I quickly discovered was that ethnic diversity made Munich a<br />

much more interesting place.<br />

I came back to Bavaria for a summer in 1983, for two years from<br />

1985 to 1987, and again for the summers of 1989, 1992, and 2005, with<br />

many short visits in between. As I returned, I became more and more<br />

aware how comfortable I was in this land. It is not because it is the most<br />

exciting place in Germany. During our long stay in 1985-1987, I took my<br />

twelve-year-old daughter Alison, who is, I am delighted to write, a<br />

<strong>Humboldt</strong> Fellow too, to Berlin for a visit. In those last years of a divided<br />

Berlin the city had a pulse that was similar to the beat of New York City.<br />

One evening we were walking down the Kurfürstendamm, or the Ku’damm<br />

as Alison quickly learnt to call it, after a day spent touring East<br />

Berlin and then going through the Pergamon Museum. The Ku’damm<br />

was ablaze with lights and filled with people. “Weißt du was, Vati,” she<br />

said, “Im Vergleich zu Berlin ist München ein Kuhdorf.” Alison was<br />

right (at least in part). Munich is gemütlich. It seduces you with its<br />

charm and character, not with its brashness.<br />

But the key question is: why does Bavaria and Munich exercise such<br />

a strong pull on my imagination? I have visited almost every corner of


te. Es lag nicht daran, dass es etwa die aufregendste<br />

Gegend in Deutschland wäre. Während unseres langen<br />

Aufenthaltes 1985 bis 1987 nahm ich meine 12-jährige<br />

Tochter Alison (die, wie ich mit Stolz berichten kann,<br />

ebenfalls <strong>Humboldt</strong>-Stipendiatin ist) mit auf eine Reise<br />

nach Berlin. In jenen letzten Jahren als geteilte Stadt<br />

hatte Berlin einen Lebensrhythmus, der dem New<br />

Yorks vergleichbar war. Eines Abends gingen wir den<br />

Kurfürstendamm – oder Ku’damm, wie Alison ihn<br />

schnell zu bezeichnen lernte – entlang nach einem Tag,<br />

den wir erst mit einer Tour durch Ost-Berlin und dann<br />

im Pergamon-Museum verbracht hatten. Der Ku’damm<br />

war hell erleuchtet und voller Menschen.„Weißt<br />

Du was, Vati“, sagte sie, „im Vergleich zu Berlin ist<br />

München ein Kuhdorf.“ Alison hatte recht, zumindest<br />

teilweise. München ist eine gemütliche Stadt. Es be-<br />

37 >> <strong>Humboldt</strong> kosmos 86/2005<br />

Germany. No other part of the country has captivated me<br />

as Bavaria. There are obvious reasons. The Bavarian<br />

countryside is spectacularly green, lush, and beautiful<br />

with a carpet that stretches to its southern mountainous<br />

walls. As I sit in my study in Washington, D.C. writing<br />

this essay, I remember the trips that we took this summer<br />

to Bad Tölz, Garmisch, Tegernsee, Kloster Ettal, Murnau,<br />

Walchensee and beyond. I see a narrow winding road<br />

snaking through rolling green meadows with the mountains<br />

framing the background (I must confess that there<br />

was a little bit of rain this summer). The institute that I<br />

worked in during this stay also reminded me how Bavarians<br />

connect with their land. The Monumenta Germaniae<br />

Historica (German Institute for Medieval Research)<br />

takes a day each year to make an Ausflug (there is no<br />

English word or phrase that captures the rich meaning of<br />

Der Kaiser: durch die Beckenbauers<br />

<strong>von</strong> nebenan<br />

immer mit ihm verbunden<br />

The Kaiser. Always connected<br />

to him through his nextdoor<br />

neighbours


********************<br />

„Amerikanern fällt es schwer, ein ernstes<br />

Gesicht zu bewahren, wenn sie jemandem begegnen.<br />

Die Bayern haben ebenfalls ein Problem mit offensiver<br />

Freundlichkeit.“<br />

********************<br />

“Americans have a hard time keeping a straight<br />

face when they meet someone. Bavarians have<br />

the same problem of aggressive friendliness.”<br />

sticht durch Charme und Charakter, aber nicht durch<br />

wildes Großstadtleben.<br />

Die Schlüsselfrage ist jedoch: Warum üben Bayern<br />

und München eine so starke Anziehungskraft auf mich<br />

aus? Ich habe fast jede Gegend in Deutschland besucht.<br />

Kein anderer Teil dieses Landes hat mich so gefesselt<br />

wie Bayern. Einige Gründe liegen auf der Hand. Die<br />

bayerische Landschaft ist wunderbar grün, reich und<br />

schön bis an die Gebirgskette ganz im Süden. Während<br />

ich hier in meinem Büro in Washington, D.C. sitze und<br />

diesen Artikel schreibe, schwelge ich in Erinnerungen<br />

an die Ausflüge, die wir in diesem Sommer unternommen<br />

haben: nach Bad Tölz, Garmisch, an den Tegernsee,<br />

zum Kloster Ettal, Murnau, Walchensee und so<br />

weiter. Ich sehe eine schmale, sich windende Straße, die<br />

sich durch Hügel mit grünen Weiden schlängelt und im<br />

Hintergrund die Berge (allerdings muss ich zugeben,<br />

dass es in diesem Sommer etwas regnerisch war). Das<br />

Institut, für das ich während meines Aufenthaltes gearbeitet<br />

habe, erinnerte mich ebenfalls daran, wie sehr<br />

die Bayern mit ihrem Land verbunden sind. Die Monumenta<br />

Germaniae Historica, das Deutsche Institut<br />

zur Erforschung des Mittelalters, macht jedes Jahr einen<br />

Ausflug. Dieses Jahr fuhren wir mit 40 Leuten mit der<br />

S-Bahn bis zur Endhaltestelle in Herrsching, erklommen<br />

den heiligen Berg bis zum Kloster Andechs, tranken<br />

eine Maß (manche <strong>von</strong> uns auch mehr als eine),<br />

aßen im Biergarten zu Mittag und kehrten auf einem<br />

anderen Weg nach Herrsching zurück, wo wir den Tag<br />

in einem Café am Ammersee ausklingen ließen. Das ist<br />

akademisches Leben auf bayerische Art. Habe ich schon<br />

erwähnt, dass ich diesen Sommer auch ein Buch zu<br />

Ende geschrieben habe?<br />

„Grüß Gott“<br />

Bayern spricht einen Teil meiner amerikanischen Identität<br />

besonders stark an. Deutsche haben mir oft erzählt,<br />

dass ihnen, wenn sie Amerikaner treffen, das<br />

amerikanische Lächeln auffällt: freundlich, offen, aber<br />

nicht ehrlich gemeint. Ich erinnere mich häufig an<br />

diese Bemerkung, wenn ich ein unwillkürliches Lächeln<br />

auf meinem Gesicht spüre. Amerikanern fällt es<br />

schwer, ein ernstes Gesicht zu bewahren, wenn sie<br />

jemandem begegnen. Die Bayern jedoch haben ebenfalls<br />

ein Problem mit offensiver Freundlichkeit, nur<br />

38 >> <strong>Humboldt</strong> kosmos 86/2005<br />

Ausflug). This year about 40 of us went on the S-Bahn<br />

train to the end of the line in Herrsching, hiked up the<br />

holy mountain to Kloster Andechs, drank a Maß (some of<br />

us had more than one), had lunch in the beer garden and<br />

took another route back to Herrsching where we finished<br />

the day in a café next to the Ammersee. That is academic<br />

living Bavarian style. Did I mention that I finished a<br />

book project this summer?<br />

“Grüß Gott”<br />

Bavaria connects particularly well with parts of my<br />

American identity. Germans have often told me that<br />

when they meet Americans, they encounter the American<br />

smile: friendly, open, but insincere. I often remember<br />

that observation when an involuntary smile flits over my<br />

face. Americans have a hard time keeping a straight face<br />

when they meet someone. Bavarians, however, have the<br />

same problem of aggressive friendliness, but instead of<br />

the smile it is the greeting. “Grias di” in Bavarian or<br />

“Grüß Gott” in Hochdeutsch could be the motto for<br />

Bavaria. This summer I was particularly conscious of<br />

how Bavarians constantly greet you.<br />

In the corridors, elevators, sidewalks, stores, kiosks,<br />

Bavarians recognise you, your being, and your importance<br />

with “Grüß Gott”. In the rest of Germany you may<br />

get the bland “Guten Tag” when you enter a store but not<br />

on the street. When I am outside of Bavaria it always<br />

takes a while for my white and blue identity to understand<br />

that these Germans who do not recognise me on the<br />

street are not unfriendly, they are just not Bavarians.<br />

I do not remember exactly when my identity became<br />

white and blue. Perhaps all Germans have a little Bavarian<br />

in them, even the Preißn. On the same trip to Berlin<br />

with Alison we toured East Berlin with an East German<br />

tour guide who showed us East Berlin and extolled the<br />

virtues of the DDR. Later Alison and I were walking<br />

through the Pergamon, and I suddenly came face to face<br />

with our tour guide again. She was leading another<br />

group through the museum. Without thinking I said<br />

“Grüß Gott” to her. “Grüß Gott!” she answered. She reddened,<br />

realised her blunder, and looked around quickly<br />

to see who might have heard her. I bet that today she lives<br />

in Bavaria.<br />

I was not surprised to learn that a large number of<br />

research fellows choose to live in or around Munich dur-<br />

Deutschland im Blick View onto Germany


dass es bei ihnen nicht das Lächeln, sondern der Gruß<br />

ist.„Grias di“ auf Bayerisch oder „Grüß Gott“ auf Hochdeutsch<br />

könnte Bayerns Motto sein. Diesen Sommer<br />

fiel es mir besonders auf, dass die Bayern einen permanent<br />

grüßen.<br />

Auf Fluren, in Fahrstühlen, auf Bürgersteigen, in<br />

Geschäften oder Kiosken würdigen die Bayern jeden<br />

Fremden, seine Anwesenheit und seine Bedeutung mit<br />

einem „Grüß Gott“. Im übrigen Deutschland hört man<br />

allenfalls ein gleichgültiges „Guten Tag“, wenn man<br />

einen Laden betritt, aber nicht auf der Straße. Außerhalb<br />

Bayerns brauche ich immer eine Weile, bis meine<br />

weiß-blaue Identität sich umgestellt und verstanden<br />

hat, dass die Deutschen, die mich auf der Straße nicht<br />

grüßen, nicht unfreundlich sind, es sind nur keine Bayern.<br />

Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, wann<br />

meine Identität die Farben weiß-blau angenommen<br />

hat. Vielleicht tragen alle Deutschen ein Stück Bayern<br />

in sich, sogar die „Preißn“. Als ich zusammen mit meiner<br />

Tochter Alison in Berlin war, besichtigten wir auch<br />

Ost-Berlin mit einer ostdeutschen Fremdenführerin,<br />

die uns die Stadt zeigte und uns die Vorzüge der DDR<br />

anpries. Später waren wir im Pergamon-Museum und<br />

standen plötzlich wieder unserer Fremdenführerin gegenüber.<br />

Sie führte eine andere Gruppe durch das<br />

Museum. Ohne nachzudenken, sagte ich „Grüß Gott“<br />

zu ihr. „Grüß Gott!“ antwortete sie, realisierte ihren<br />

Fauxpas, errötete und sah sich schnell um, ob sie jemand<br />

gehört haben konnte. Ich wette, sie lebt heute in<br />

Bayern.<br />

Dass sich eine große Anzahl <strong>von</strong> Stipendiaten<br />

München und Umgebung für ihren Forschungsaufenthalt<br />

in Deutschland aussuchen, überrascht mich nicht.<br />

Ich habe den Verdacht, dass viele <strong>von</strong> ihnen dieselben<br />

Farben angenommen haben wie ich. In diesem Sinne<br />

möchte ich alle „<strong>Humboldt</strong>-Bayern“ <strong>von</strong> Moskau über<br />

Peking bis Washington, D.C. auffordern, sich mir anzuschließen<br />

und einen Toast auszubringen auf die bayerische<br />

Gemütlichkeit und Staatsangehörigkeit (ehrenhalber)<br />

– Oans, zwoa, g’suffa!<br />

39 >> <strong>Humboldt</strong> kosmos 86/2005<br />

Krachlederne, großes Bier<br />

Bayern, wie es keiner kennt<br />

Rustic leather shorts and a couple<br />

of tankards. A completely different<br />

impression of Bavaria<br />

ing their research stays in Germany. I suspect that many<br />

of them have adopted the same flag as I. So I propose that<br />

all the "<strong>Humboldt</strong> Bavarians" from Moscow and Beijing<br />

to Washington, D.C. join me in a toast. Let us raise our<br />

glasses together to Bayerische Gemütlichkeit and citizenship<br />

(honorary) – Oans, zwoa, g’suffa!


Mark Elliott<br />

Deutsche Rätsel, schottische Antworten<br />

German puzzles, Scottish answers<br />

Können Deutsche ohne Depeche Mode-Parties überleben?<br />

Sind germanische Wissenschaftler menschliche<br />

Wesen? Und wie verhilft das deutsche Wetter mühelos<br />

über alle Sprachbarrieren? Ein deutsch-schottischer<br />

Vergleich.<br />

Deutschland im Sommer 2005<br />

Die Schlagzeilen: der Tod <strong>von</strong> Schauspielern, <strong>von</strong><br />

denen ich nie gehört habe. Bilder des neuen deutschen<br />

Papstes unmittelbar neben Fotos der nackten Brüste<br />

junger Frauen. Frust über das Wetter und, sobald das<br />

Wetter besser wird, Probleme wegen Trinkens in der<br />

Öffentlichkeit, Nacktheit, Lärm … 40-jährige ehemalige<br />

Fußballstars, ihre Ehefrauen und deren Liebhaber …<br />

wirkt unmittelbar einschläfernd. Bestechung und Korruption,<br />

Skandale in der Automobilindustrie, kein<br />

Geld, im Stich gelassene Arbeiter.<br />

Was aus all diesem wirklich hervorsticht: Deutschland<br />

versteht es, zu sündigen. Frei nach Luther: Sündige<br />

tapfer (aber ebenso tapfer empfange Vergebung!) In<br />

England wird alles unter den Teppich gekehrt, hier werden<br />

Untersuchungen eingeleitet, anstatt dass einfach<br />

mal jemand die Wahrheit sagt; Spin ist in. Und schlechtes<br />

Benehmen infolge Betrinkens wird noch lange nicht<br />

in jedem Fall verurteilt. Deutschland jedoch erwartet<br />

Besseres und ist vielleicht auch ehrlicher als Großbritannien.<br />

Der erste Kontakt<br />

Als ich im Jahr 2002 das erste Mal nach Deutschland<br />

ins schöne Heidelberg kam, brachte ich ein Gefühl mit,<br />

das sich vielleicht als „Ehrfurcht“ bezeichnen lässt.<br />

Nein, nennen wir es „Angst“, damit bleiben wir ehrlich,<br />

ganz nach deutscher Gepflogenheit. Angst vor den großen<br />

Professoren, vor der mit den Geistern der Vergangenheit<br />

geschwängerten Atmosphäre, vor der gegenwärtigen<br />

Kompetenz, vor den eindrucksvollen Gebäuden.<br />

Ich fühlte mich in diesem Stamm wie ein Außenseiter<br />

zu biblischen Zeiten und konnte nur hoffen, dass<br />

ich in den Augen meiner Oberen Gnade finden würde.<br />

Ich schätzte ihre Geduld angesichts meiner sprachlichen<br />

Inkompetenz, und zu jenem Zeitpunkt war ich<br />

noch bereit einzuräumen, dass all unser schottisches<br />

kulturelles und wissenschaftliches Erbe lediglich ein<br />

schlechter Witz sei, unser Bemühen um Exzellenz nicht<br />

mehr als eine Fußnote zu den wissenschaftlichen<br />

40 >> <strong>Humboldt</strong> kosmos 86/2005<br />

Can Germans survive without Depeche Mode parties?<br />

Are Teutonic scholars human beings? And how<br />

does the German weather help overcome language<br />

barriers effortlessly? A German-Scottish comparison.<br />

Germany in the summer of 2005<br />

Headlines: Announcements of the death of actors I had<br />

never heard of. Pictures of the new German Pope next to<br />

pictures of young women’s bosoms. Weather-frustration<br />

and when the weather improved problems about openair<br />

drinking-nakedness-noise. Forty year-old erstwhile<br />

footballers, their wives and their boyfriends … immediately<br />

putting one to sleep. Bribery and corruption, automobile<br />

industry scandals, no money, workers left in the<br />

lurch.<br />

What really stands out from this: Germany knows<br />

how one ought to sin. With Luther – sin with boldness<br />

(but also receive forgiveness with boldness!). In the UK<br />

all gets hushed up, there are enquiries instead of truthtelling,<br />

spin is “in”. And bad behaviour caused by alcohol<br />

is in no way always to be condemned. Germany however<br />

expects better and is also perhaps more honest than<br />

Britain.<br />

First contact<br />

When I first came to Germany, to beautiful Heidelberg, in<br />

2002, I brought with me a feeling that one more accurately<br />

ought to call “awe”. No, let’s call it “fear”, if we are going<br />

to be honest in true German style. Fear of the great Professors,<br />

of the atmosphere which was thick with the considerable<br />

ghosts of the year before yesteryear, of the presentday<br />

competence, of the impressive buildings. I felt like an<br />

outsider of biblical times in this tribe in which I could only<br />

hope that I had found favour in the eyes of my Lords. I<br />

treasured their patience with my linguistic incompetence<br />

and I admitted at that time that all our Scottish cultural<br />

or scholarly heritage was only a bad joke, our striving<br />

after excellence not much more than footnotes to the<br />

scholarly main body of text from Central Europe. Karl<br />

Jaspers? An important thinker most of all for theologians.<br />

Hans-Georg Gadamer? The same, even if we needed a<br />

hermeneutical interpreter to understand him. In any case<br />

we knew that we had to go to the German sources! Without<br />

Wittgenstein, Brunner, Heidegger and Bultmann,<br />

etc., there would be no theology in English. No question. I<br />

hardly knew how to answer these arguments.<br />

Deutschland im Blick View onto Germany<br />

*******<br />

Dr. Mark Elliott lehrt<br />

Theologie an der University<br />

of St. Andrews,<br />

Schottland, Großbritannien.<br />

Als <strong>Humboldt</strong>-Forschungsstipendiat<br />

war<br />

er 2002 an der Universität<br />

Heidelberg und 2005 an<br />

der Universität München.<br />

*******<br />

Dr. Mark Elliott teaches<br />

Theology at the University<br />

of St. Andrews, Scotland,<br />

Great Britain.<br />

He was at the University<br />

of Heidelberg in 2002 and<br />

at the University of<br />

Munich in 2005 as a<br />

<strong>Humboldt</strong> Research<br />

Fellow.


Hauptwerken aus Zentraleuropa. Karl Jaspers? Ein<br />

bedeutender Denker vor allem für Theologen. Hans-<br />

Georg Gadamer? Ebenso, auch wenn man hermeneutische<br />

Interpreten braucht, um ihn zu verstehen. In<br />

jedem Fall wussten wir, dass wir zu den deutschen<br />

Quellen gehen mussten! Ohne Wittgenstein, Brunner,<br />

Heidegger und Bultmann und viele weitere würde es<br />

eine englische Theologie gar nicht geben. Keine Frage.<br />

Ich wusste kaum, was ich diesen Argumenten entgegnen<br />

sollte.<br />

Die Rückkehr<br />

Dieses Mal, im schon erwähnten Regensommer 2005,<br />

den ich in München verbrachte, suchte ich mir meine<br />

sozialen Kontakte teilweise unter den anderen Exilanten<br />

englisch-amerikanischer Abstammung. Diese Leute<br />

beeindruckten mich, trotz anfänglicher Vorurteile, mit<br />

ihrer Entschlossenheit, alles zu honorieren, was am<br />

Leben in München gut war (nicht zuletzt der Wein und<br />

das Essen!) und mit ihrer Überzeugung, dass sie sich<br />

glücklich schätzen konnten, in so einer tollen Stadt zu<br />

leben.<br />

Dieses Mal erschienen mir die Professoren nicht so<br />

distanziert, sondern eher zugänglich und ansprechbar. Es<br />

lohnt sich immer, sich mit der akademischen Arbeit eines<br />

Wissenschaftlers vertraut zu machen, um einen Eindruck<br />

<strong>von</strong> ihm oder ihr zu gewinnen. Ich lernte, deutsche Wissenschaftler<br />

als menschliche Wesen zu sehen.<br />

Kurz und gut: Glücklich der Brite, der drei Monate<br />

in München verbringen darf – in einer Gegend, die fast<br />

schon zu viel an Kultur bietet, in der der Unterschied<br />

zwischen Arbeit und Freizeit noch bekannt ist (oh, die<br />

herrlichen, tatsächlichen Wochenenden!), ebenso wie<br />

der zwischen wirklichem Essen und Junk Food (Obstund<br />

Gemüsestände an jeder Ecke!) sowie der zwischen<br />

41 >> <strong>Humboldt</strong> kosmos 86/2005<br />

The return<br />

This time, in that rainy summer of 2005 I already mentioned<br />

above that I spent in Munich, I sought out a social<br />

life partly in the form of the expatriates of English-American<br />

origin. These people, despite my first prejudices,<br />

impressed me due to their determination to appreciate<br />

all that was good about life in Munich (not least wining<br />

and dining!) and their awareness that they were pretty<br />

lucky to be living in such a fine city.<br />

This time the Professors did not seem so distant but<br />

rather accessible and approachable. It is always worth<br />

familiarising oneself with the written work of an academic<br />

in order to get a fuller account of who he or she is.<br />

I learned to see German academics as human beings.<br />

In a nutshell: happy is the Brit who gets to spend<br />

three months in Munich, in a region which is almost too<br />

rich in culture, which knows the difference between work<br />

and leisure (oh, the glorious real weekend!) as well as<br />

that between healthy foodstuffs and junk food (fruit and<br />

vegetable stalls at every corner), between art and kitsch<br />

(compare the Pinakothek and Glyptothek with the<br />

Gallery of Modern Art in Britain’s cultural capital and<br />

second city, Glasgow).<br />

During my stay as guest of Ludwig Maximilians<br />

University in Munich my behaviour and internal disposition<br />

declared to the whole corridor, maybe even to the<br />

whole building: “I don’t want to disturb you. My apologies!<br />

(Sorry is the first word that every British child<br />

learns.) My task is simply to complete a book and nothing<br />

else. If this language barrier were not already there to<br />

keep us apart then we would have to think of another way<br />

to avoid contact.”<br />

Sometimes I tried to use my terrible German. It often<br />

seemed to me that I was less embarrassed by it than my<br />

German hearers. When I opened my mouth, they looked<br />

Eine Stimme gegen Armut<br />

statt Yeah, Yeah, Yeah. Popstar<br />

Herbert Grönemeyer, Beatles<br />

Speaking out against poverty<br />

instead of Yeah, yeah, yeah.<br />

Pop star Herbert Grönemeyer,<br />

Beatles


********************<br />

„Glücklich der Brite, der drei Monate in München verbringen<br />

darf – in einer Gegend, in der der Unterschied zwischen Arbeit<br />

und Freizeit noch bekannt ist.“<br />

********************<br />

“Happy is the Brit who gets to spend three months in Munich,<br />

in a region which still knows the difference between work<br />

and leisure.”<br />

Kunst und Kitsch (man vergleiche nur die Pinakothek und Glyptothek<br />

mit der Gallery of Modern Art in Großbritanniens Kulturhauptstadt<br />

und zweiter Metropole Glasgow).<br />

Während meines Aufenthalts als Gast an der Ludwig-Maximilians-Universität<br />

in München signalisierte mein Verhalten und meine<br />

innere Einstellung allen Flurnachbarn, vielleicht sogar allen Kollegen<br />

im gleichen Gebäude dieselbe Botschaft: „Ich hoffe, ich störe nicht.<br />

Verzeihen Sie bitte! (Verzeihung ist das erste Wort, das jedes englische<br />

Kind lernt). Meine Aufgabe besteht lediglich darin, ein Buch fertig zu<br />

stellen und das war’s. Wenn die Sprachbarriere nicht wäre, müsste ich<br />

mir einen anderen Weg ausdenken, jeglichen Kontakt zu vermeiden.“<br />

Manchmal probierte ich mein schreckliches Deutsch aus. Meistens<br />

kam es mir so vor, als ob mir dies selber immer noch weniger peinlich<br />

sei als meinen deutschen Gesprächpartnern. Sobald ich den Mund<br />

aufmachte, sahen sie zu Boden, als wenn es dort ein dahinsiechendes<br />

Tier zu beobachten gäbe. Sie begannen zu schwitzen, ihre T-Shirts<br />

weichten durch, und schließlich suchten wir alle gemeinsam nach dem<br />

Notausgang aus dieser linguistischen Problemzone. Mehr als einmal<br />

war es „das Wetter“, das uns rettete. In der Tat war es häufig bewölkt im<br />

Juli, Gott sei Dank!<br />

Offene Fragen<br />

Ich habe mich oft gefragt, warum die deutsche Kultur, der die Welt<br />

immerhin Bach, Beethoven, Schubert, Brahms und Andere verdankt,<br />

nicht in der Lage ist, einen anständigen Popsong hervorzubringen. Ist<br />

so etwas unter ihrer Würde? Popmusik ist schnell, oberflächlich, flüchtig.<br />

Warum soll man sich damit abgeben? Warum sollten sich die<br />

Deutschen an einem Spiel beteiligen, in dem die Briten spätestens seit<br />

den Beatles weit in Führung liegen? Könnten Deutsche überleben<br />

ohne Depeche Mode-Parties? Ist Deutschland der Mülleimer (oder die<br />

Kotztüte) für die Trümmer der Popmusik der Welt? Dennoch wäre es<br />

nicht sinnvoll für Herbert Grönemeyer, seinen Namen zu ändern,<br />

auch wenn dieser sich schlimmer anhört als Harry Webb (Cliff<br />

Richards) oder Reginald Dwight (Elton John). Nein, er passt zu ihm.<br />

Die Deutschen stehen nicht auf Ironie. In diesem Zusammenhang ist<br />

mir übrigens aufgefallen, wie wenig Wind <strong>von</strong> postmodernen deutschen<br />

Autoren in meinem Forschungsgebiet, der Fundamentaltheologie,<br />

gemacht wird, in der es um Wissen, Glaube und Erkenntnis geht.<br />

Ist das Zufall? Wie auch immer, es ist vermutlich besser so.<br />

Respekt<br />

Ich gebe zu, es ist ein Problem <strong>von</strong> mir, dass ich angesichts <strong>von</strong> Leuten,<br />

die sich für wichtig und bedeutend halten, oft zu grinsen oder sogar<br />

höhnisch zu lachen anfange. Seit den 60er Jahren ist den Briten jedes<br />

Konzept <strong>von</strong> „Respekt“ abhanden gekommen. Zu Hause ist Tony Blair<br />

einfach „Tony“ (eigentlich würde man zumindest „Anthony“ erwarten),<br />

42 >> <strong>Humboldt</strong> kosmos 86/2005<br />

Deutschland im Blick View onto Germany<br />

at the floor as though there was a dying animal to observe. They began to<br />

sweat, shirts got wet, and we all looked for an emergency exit from this<br />

linguistic accident. More than once did “the weather” save us. Indeed it<br />

was frequently cloudy all through July, thank goodness.<br />

Unanswered questions<br />

I often asked myself why German culture which formerly provided the<br />

world with Bach, Beethoven, Schubert, Brahms and others is not up to<br />

the takes of writing a decent, original hit for the pop charts. Is such a<br />

thing “beneath” Germans? For pop music is quick, superficial, ephemeral.<br />

Why should one bother with it? Why should Germans share in a game<br />

in which the British ever since the Beatles are way out in the lead? Could<br />

Germans survive without Depeche Mode parties? Is Germany the wastebucket<br />

(or sick-bucket) for the detritus of the world’s pop music? Yet<br />

there’s no point in Herbert Grönemeyer changing his name on the<br />

ground that it sounds even worse than Harry Webb (>>Cliff Richard) or<br />

Reginald Dwight (>>Elton John). Indeed it suits him. The Germans<br />

don’t really do irony. In this connection I have noticed how little there is<br />

a fuss made by German authors of Postmodernism in my research area,<br />

Fundamental Theology, which is concerned with knowing, faith and<br />

revelation. Is this just a coincidence? However, it is perhaps a preferable<br />

state of affairs.<br />

Respect<br />

I admit it that I have a problem that when someone acts as if they are a<br />

great and important person I often start to smile, even laugh in a sniggering<br />

way. Now, since the 60s the British have lost the concept of<br />

“Respect”. At home Tony Blair is just Tony (one would expect at least<br />

“Anthony”!), we’re not really sure what Queen Elizabeth’s surname is,<br />

and what’s more we don’t care. Such abbreviations are, if not actually<br />

marks of disrespect as such (one thinks back to the beloved Princess Di),<br />

arguably a sign that there is nothing greater or more respect-worthy than<br />

the British sense of humour which would neither undermine nor support<br />

anyone. Yet the German academic hierarchical system I consider to be a<br />

disadvantage for those who inhabit it. It can encourage bossiness and the<br />

bullying of inferiors. What sometimes passes for assertiveness in Germany<br />

I find to be more like aggressiveness in some cases. Assertiveness<br />

has more to do with honesty and courage on matters of principle in front<br />

of the boss and one’s peers, and nothing to do with psychological subjugation<br />

which stifles creativity. But then, most Scots are not only lacking<br />

in respect but are also moaners who feel sorry for themselves!<br />

In no way homesick<br />

I have missed places where no-one actually lives and also the sea, but<br />

what else? Should I say: English television? Well maybe for the football<br />

on it. Ok, digestive biscuits. A good cup of tea. One can learn to give these


wir sind uns nicht sicher, wie eigentlich der Nachname <strong>von</strong> Queen Elizabeth<br />

lautet, und es ist uns auch egal. Solche Abkürzungen sind nicht<br />

direkt Ausdruck <strong>von</strong> Respektlosigkeit (man denke nur zurück an die<br />

geliebte Lady Di), sondern eher ein Zeichen dafür, dass es nichts Größeres<br />

gibt als den englischen Sinn für Humor, der niemanden vernichtet,<br />

aber auch niemanden unterstützt. Die deutschen akademischen Hierarchien<br />

halte ich für einen Nachteil für diejenigen, die Teil dieses Systems<br />

sind. Sie können unter Umständen Herrschsucht und Einschüchterung<br />

<strong>von</strong> Untergebenen fördern. Was in Deutschland als Selbstbehauptung<br />

durchgeht, empfinde ich manchmal schlicht als Aggression. Selbstbehauptung<br />

hat etwas zu tun mit Ehrlichkeit und dem Mut, Vorgesetzten<br />

und Kollegen gegenüber zu seinen Prinzipien zu stehen. Es hat weniger<br />

zu tun mit psychischer Unterwerfung, die Kreativität unterdrückt.<br />

Andererseits: die Schotten wiederum sind nicht nur respektlos, sie sind<br />

auch Jammerlappen, die sich selbst Leid tun.<br />

Gar kein Heimweh<br />

Ich habe Gegenden vermisst, in denen wirklich niemand wohnt, und<br />

das Meer, aber was sonst noch? Soll ich jetzt sagen: englisches Fernsehen?<br />

Na ja vielleicht, wegen des Fußballs. Und eine bestimmte Sorte<br />

Kekse. Eine gute Tasse Tee. Aber man kann lernen, auf diese Dinge zu<br />

verzichten. Im Gegenzug habe ich Anstöße durch eine ganze Welt<br />

neuer Ideen erhalten, die meine eigenen fest gefügten Vorstellungen<br />

vollkommen verändert haben. Ich komme nach Hause zurück, und<br />

sofort vermisse ich die Großstadt, die aufregende Atmosphäre und<br />

den Platz, an dem ein neuer Abschnitt meines Lebens anfing.<br />

Nun danket …<br />

Nur in Deutschland konnte mein Forschungsvorhaben ernst genommen<br />

werden. Es gibt dort ein breites ökumenisches Netzwerk, in dem<br />

ich mich als biblischer Theologe zu Hause fühle. Ich konnte meine<br />

eigenen Ideen beisteuern. Ich habe es geschätzt, <strong>von</strong> Zeit zu Zeit an<br />

einem Seminar teilnehmen zu dürfen; als besonders hilfreich empfand<br />

ich das über die Bibel, die Literatur und die Beziehung zwischen Philosophie,<br />

religiöser Empfindsamkeit und ihrer kreativen Ausdrucksformen.<br />

Ich habe nicht viele neue Freunde gefunden, dafür aber einige<br />

wirklich gute, und angenehme Kontakte, aus denen sich Freundschaften<br />

entwickeln können. Für alles, was ich erhalten habe, sei Gott<br />

gepriesen.<br />

43 >> <strong>Humboldt</strong> kosmos 86/2005<br />

things up. In exchange I received an impetus for a world of new ideas,<br />

which has turned my fixed ideas on their head. I return home and immediately<br />

I miss the great city, the exciting atmosphere, the place of the start<br />

of a new stage in my life.<br />

Nun danket ...<br />

Only in Germany could my project have been taken seriously. There is a<br />

network of ecumenical width in which I as a biblical theologian could<br />

feel at home. I could put forward my own ideas. I have appreciated the<br />

occasional participation in a seminar, among which that on the bible<br />

and literature and the relationship between philosophy, religious sensibility<br />

and their expression in creative forms was particularly helpful. I<br />

made not many new friends but a few good ones, and some meaningful<br />

contacts, which might develop into friendships. For all I have received,<br />

praise be to God.<br />

****************<br />

„Ich habe mich oft gefragt, warum die deutsche Kultur,<br />

der die Welt immerhin Bach, Beethoven, Schubert,<br />

Brahms und andere verdankt, nicht in der Lage ist,<br />

einen anständigen Popsong hervorzubringen.“<br />

****************<br />

“I have often asked myself why German culture which<br />

formerly provided the world with Bach, Beethoven,<br />

Schubert, Brahms and others is not up to the takes of<br />

writing a decent, original hit for the pop charts.”


Die wissenschaftliche Beschäftigung mit der deutschen<br />

Kultur und Literatur droht an amerikanischen<br />

Universitäten zu einer bedrohten Art zu werden. Wie<br />

lässt sich der Abwärtstrend stoppen?<br />

Es geht bergab mit der Germanistik in den Vereinigten<br />

Staaten. An vielen Universitäten soll das Fach in naher<br />

Zukunft gestrichen werden. Es fehlt an Nachwuchs. Es<br />

gelingt einfach nicht, siebzehn- oder achtzehnjährige<br />

Leser für deutsche Texte zu interessieren und sie über<br />

das Lernen der Sprache für die deutsche Kultur zu<br />

begeistern. Über kurz oder lang wird das Fach deshalb<br />

nur noch konzentriert an wenigen größeren Universitäten<br />

weiter existieren. Dabei haben gerade die kleinen<br />

Universitäten die Germanistik entscheidend vorangebracht.<br />

Dass sie weniger Geld haben und nicht sämtliche<br />

Epochen und Aspekte deutscher Literatur aufgreifen<br />

können, glichen sie in der Vergangenheit mit Flexibilität<br />

und interdisziplinärer Arbeit aus und etablierten<br />

dabei einen neuen, kosmopolitischen Ansatz. Dieser ist<br />

nun bedroht, denn unglücklicherweise neigen Hochschulverwaltungen<br />

in Zeiten knapper Kassen dazu,<br />

genau dort zu streichen, wo ohnehin bereits das meiste<br />

zusammengestrichen wurde.<br />

Doch es liegt nicht an Nachwuchsproblemen und<br />

Geldmangel allein, dass die Germanistik im Gegensatz<br />

etwa zur französischen Sprach- und Literaturwissenschaft<br />

auf den absteigenden Ast geraten ist. So ist an<br />

amerikanischen Hochschulen so gut wie nichts über<br />

die Entwicklungen in der jüngeren oder neueren Literatur-<br />

und Kulturwissenschaft in Deutschland bekannt.<br />

Natürlich sind wir mit den herausragenden Schülern<br />

des bekannten Literaturwissenschaftlers Peter Szondi<br />

vertraut, <strong>von</strong> denen viele ja schließlich in den Vereinigten<br />

Staaten waren oder sind. Auch kennen wir einen<br />

einflussreichen Literatur- und Medienwissenschaftler<br />

wie Friedrich Kittler. Aber wir wissen nichts über die<br />

Folgegenerationen <strong>von</strong> Wissenschaftlern, die <strong>von</strong> diesen<br />

beiden Berliner Schulen beeinflusst wurden.<br />

Noch in den 70er und 80er Jahren konnte man die<br />

Germanistik in Deutschland im Vergleich zu den USA<br />

durchaus als provinziell bezeichnen. Viele Vertreter der<br />

beiden einflussreichen zeitgenössischen literaturwissenschaftlichen<br />

Berliner Traditionen machten ihre Karriere<br />

mit Unterstützung amerikanischer Universitäten.<br />

Heute ist dies anders. Am Zentrum für Literatur-<br />

44 >> <strong>Humboldt</strong> kosmos 86/2005<br />

<strong>Humboldt</strong>ianer im Profil <strong>Humboldt</strong>ians in Profile<br />

Laurence A. Rickels<br />

Rettet die Germanistik<br />

Save German Studies<br />

As an academic subject German culture and literature<br />

is threatening to become an exotic, albeit<br />

threatened species. How can this trend be stopped?<br />

German Studies in the United States is a declining field,<br />

soon to be a condemned site at many universities. There<br />

are not enough junior scholars, and German culture is<br />

not catching seventeen or eighteen year olds where they<br />

read, not drawing them toward that interest in a culture<br />

that gets consummated as language acquisition. This<br />

decline will eventually lead to a concentration of German<br />

Studies at just a handful of “major” universities.<br />

However, improvements in German Studies came about<br />

precisely through the smaller departments at the<br />

“minor” universities. In the past, these institutions made<br />

up for their smaller budgets and their inability to address<br />

all epochs and aspects of German literature with flexibility<br />

and interdisciplinary research, establishing a new,<br />

cosmopolitan approach. Now, this approach is in jeopardy,<br />

for unfortunately, when money gets tight, university<br />

administrations tend to slash funding precisely where<br />

the most severe cutbacks have already been initiated.<br />

However, the downward turn in German Studies, as<br />

opposed to French Language and Literature, is not only<br />

due to a lack of funding and an insufficient recruitment<br />

of junior scholars. We in the American academy know<br />

next to nothing about what is going on in the younger or<br />

newer generation of literary and cultural scholarship in<br />

Germany. Yes, we know about the senior heirs of Peter<br />

Szondi, many of whom were or are in the United States.<br />

We also know about influential media and literary scholars<br />

like Friedrich Kittler. But we know nothing about the<br />

subsequent generations of scholars influenced by these<br />

two Berlin schools.<br />

In the 1970s and 1980s, Germanistik in Germany<br />

was, quite frankly, a provincial field compared to what<br />

one could find in the U.S. Many members of the two<br />

powerful contemporary literary-theoretical traditions<br />

associated with Berlin were able to keep their careers<br />

going through the support of universities in the United<br />

States.<br />

Today, things have changed. This can be observed at<br />

the Zentrum für Literaturforschung (Centre for Literary<br />

Research) in Berlin, for example, where, in contrast with<br />

the hectic routine of overworked professors at the universities,<br />

German scholars of Germanistik engage in a fruitful<br />

*******<br />

Professor Dr. Laurence<br />

Arthur Rickels lehrt<br />

Neuere Deutsche Literaturwissenschaft<br />

an der<br />

University of California<br />

in Santa Barbara, USA.<br />

Als <strong>Humboldt</strong>-Forschungsstipendiat<br />

war er<br />

zwischen 1985 und 1993<br />

mehrmals an den Universitäten<br />

Düsseldorf und<br />

Bochum. Im Sommer 2005<br />

arbeitete er im Rahmen<br />

einer Wiedereinladung<br />

am Zentrum für Literaturforschung<br />

in Berlin.<br />

*******<br />

Professor Dr. Laurence<br />

Arthur Rickels teaches<br />

Recent German Literary<br />

Studies at the University<br />

of California in Santa<br />

Barbara, USA. He stayed<br />

at the Universities of<br />

Düsseldorf and Bochum<br />

as a <strong>Humboldt</strong> Research<br />

Fellow several times<br />

between 1985 and 1993.<br />

He received a renewed<br />

invitation to work at the<br />

Zentrum für Literaturforschung<br />

(Centre for<br />

Literary Research) in<br />

Berlin in the summer of<br />

2005.


****************<br />

„Von unseren jüngeren deutschen Kollegen<br />

können wir sehr viel lernen!“<br />

****************<br />

“There is a great deal to learn from<br />

our younger German colleagues.”<br />

forschung in Berlin beispielsweise lässt sich das beobachten. Abseits<br />

des überlasteten Alltags an den Universitäten findet hier ein fruchtbarer<br />

Austausch zu neuen Themen statt, zwischen deutschen Germanisten<br />

wie mit Gastwissenschaftlern aus den Vereinigten Staaten. Gerade<br />

die jungen deutschen Wissenschaftler füllen hier die Lücken, die durch<br />

die nachlassende Spezialisierung der Kulturwissenschaften in den<br />

USA entstanden sind. Von unseren jüngeren deutschen Kollegen in<br />

den Literatur- und Kulturwissenschaften können wir sehr viel lernen!<br />

Entgegen der weit verbreiteten Vorstellung in den Vereinigten Staaten<br />

sind sie nämlich nicht ausschließlich damit beschäftigt, Übersetzungen<br />

<strong>von</strong> Judith Butlers Werken zu lesen. Jüngere deutsche Wissenschaftler,<br />

wie beispielsweise die Feodor Lynen-Stipendiaten der <strong>Humboldt</strong>-<strong>Stiftung</strong>,<br />

sollten darin bestärkt werden, Übersetzungen ihrer<br />

Arbeiten in ihrem Gastland USA zu veröffentlichen, damit nicht nur<br />

die Werke ihrer bereits etablierten Kollegen gelesen werden. Auf diese<br />

Weise könnte die jüngere Generation deutscher Germanisten zeigen,<br />

wie wichtig es wäre, mehr über die Germanistik in Deutschland zu<br />

erfahren – und dies auf Deutsch.<br />

Doch nicht nur mit seinen wissenschaftlichen, auch mit seinen<br />

kulturellen Pfunden muss Deutschland mit Blick auf seine Popularität<br />

in Amerika stärker wuchern. Der Umgang mit Berlin zeigt dies deutlich.<br />

Viele Deutsche pflegen gegenüber ihrer Hauptstadt eine Ambivalenz,<br />

die nicht eben geeignet ist, junge Leute aus dem Ausland neugierig<br />

zu machen. Dabei wird wohl jeder in der internationalen Kulturszene<br />

bestätigen, dass Berlin eine der interessantesten Städte Europas<br />

ist. Für viele amerikanische Künstler – ob jung oder alt – ist sie zu<br />

einer wichtigen Adresse geworden. Viele <strong>von</strong> ihnen haben übrigens,<br />

nachdem sie Berlin für sich entdeckt hatten, angefangen, Deutsch zu<br />

lernen. Wer eine jüngere Generation <strong>von</strong> Studenten der Literaturwissenschaft<br />

und Literaturtheorie in der englischsprachigen Welt gewinnen<br />

will, kann hier<strong>von</strong> lernen: erst kommt das Interesse für die Kultur,<br />

dann für die Sprache und schließlich vielleicht für die Forschung.<br />

45 >> <strong>Humboldt</strong> kosmos 86/2005<br />

<strong>Humboldt</strong>ianer im Profil <strong>Humboldt</strong>ians in Profile<br />

exchange with each other and with visiting academics from the USA.<br />

Here, it is the young German scholars who bridge the gaps resulting from<br />

a lack of emphasis on genealogy in cultural studies in the USA. There is a<br />

great deal to learn from our younger German colleagues in literary and<br />

cultural studies, who are not, as we tend to imagine in the States, exclusively<br />

engaged in reading translations of Judith Butler. Younger German<br />

scholars, such as the <strong>Humboldt</strong> Foundation's Feodor Lynen Fellows, ought<br />

to be encouraged in getting their work into print in translation alongside<br />

the work of more established figures in their field in the host country. In<br />

this way, the younger generation of German scholars of Germanistik could<br />

be given the chance to prove the importance of learning more about German<br />

studies in Germany – and in German at that.<br />

However, if Germany wants to boost its popularity in America, it has<br />

to make the most of its cultural as well as its academic assets. This can easily<br />

be demonstrated by looking at how Berlin is treated. Many Germans<br />

display an ambivalence towards their capital that is not exactly conducive<br />

to rousing young people's interest abroad. And yet anyone from the international<br />

cultural scene would readily confirm that Berlin is one of<br />

Europe's most interesting cities. Many U.S. artists, younger and older,<br />

have made Berlin one of their addresses. And after thus discovering<br />

Berlin, they learnt German. There is a lesson to learn for anyone wishing<br />

to catch the interest of a younger generation of readers of literature and<br />

literary theory in the English-language world: first people take an interest<br />

in culture, then in the language and ultimately, perhaps, in research.


Lorenzo Perilli<br />

Was Forscher wirklich wollen<br />

What researchers really want<br />

Bürokratische Reformideen und das Schielen nach<br />

falschen Vorbildern gefährden die europäischen Universitäten.<br />

Ein Plädoyer für die Besinnung auf klassische<br />

Stärken und mehr Vertrauen in den Nachwuchs.<br />

Ruhe, Zeit und Vertrauen. Was Forschung braucht,<br />

steckt in diesen Begriffen. Was der wissenschaftliche<br />

Alltag verlangt, ist das genaue Gegenteil: Eile, unverzügliche<br />

Ergebnisse sowie die Hinnahme misstrauischer<br />

Kontrollen. Quantität zählt. Man muss möglichst<br />

viel veröffentlichen und sich darum kümmern,<br />

mehr und mehr zitiert zu werden. Am Ende werden<br />

Publikationen und Zitate einfach zusammengeworfen<br />

und ausgezählt. Ob die Qualität der Arbeit nur gering<br />

oder gar unbeträchtlich ist, interessiert nicht. Denn wer<br />

unter den Auskundschaftungs-Staffeln der europäischen<br />

Ministerien könnte das wirklich beurteilen?<br />

Fortschritte in der Wissenschaft, ob in den Geistesoder<br />

in den Naturwissenschaften, entstehen oft aus<br />

Originalität, aus einer Turbulenz im ruhigen Fluss der<br />

Routine. Doch Originalität wurde und wird nicht<br />

sofort erkannt und akzeptiert. Es dauert, bis sich neue<br />

und ungewöhnliche Ideen durchsetzen. Hätte man, wie<br />

heute immer mehr, einen Citation Index oder Impact<br />

Factor, also das Prinzip des „Gucken-wir-mal-wie-oftich-zitiert-wurde“,<br />

angelegt, um den Wert der Arbeiten<br />

des jungen Albert Einstein oder Kurt Gödel zu beurteilen,<br />

dann hätte ein <strong>von</strong> ihnen vorgeschlagenes Forschungsprojekt<br />

nie eine finanzielle Unterstützung gefunden<br />

– und beide hätten auch keinen Platz in der<br />

akademischen Welt.<br />

Widerstand gegen die zeitgenössische bürokratische<br />

Tendenz zur Abflachung gibt es glücklicherweise<br />

noch – doch wie lange? Die Reformen, die die Gesetzgeber<br />

in vielen europäischen Ländern einführen wollen<br />

oder eingeführt haben, beruhen auf einem Mangel an<br />

Kompetenz. Die Methoden, Ziele und Bedürfnisse <strong>von</strong><br />

Universitäten und Forschern sind unbekannt oder werden<br />

missverstanden. Der erste und verhängnisvolle<br />

Grundfehler besteht in der Überzeugung, dass ein und<br />

dasselbe System für alle Fächer gelten kann und soll.<br />

Doch für Geisteswissenschaften und Naturwissenschaften<br />

passen nicht ohne weiteres dieselben Lösungen. Was<br />

für die einen sinnvoll ist, kann für die anderen ungünstig<br />

sein. Das gilt für die Organisation der wissenschaftlichen<br />

Arbeit, die Bewertung der Ergebnisse, ja selbst<br />

46 >> <strong>Humboldt</strong> kosmos 86/2005<br />

Bureaucratic reform notions and modelling on the<br />

wrong examples are jeopardising European universities.<br />

A plea for some reflection upon classic<br />

strengths and more faith in the up-and-coming generation<br />

of academics.<br />

Peace, time and trust. These three words sum up what<br />

research really needs. The demands of day-to-day<br />

research are just the opposite: haste, immediate results<br />

and accepting mistrustful controls. What counts is the<br />

quantity. You have to see to it that you publish as much as<br />

you can and get cited as often as possible. At the end of the<br />

day, publications and citations are simply lumped<br />

together and counted. Whether the work is of low quality<br />

or even insignificant is of no interest. For who among the<br />

scouting squadrons dispatched by the European ministries<br />

could really judge this?<br />

Scientific progress, whether it be in the humanities or<br />

the natural sciences, often evolves from originality, from<br />

turbulences in the calm flow of routine. But originality is<br />

not recognised and accepted. It takes time for new and<br />

unusual ideas to establish themselves. If a citation index<br />

or an impact factor (i.e. the principle of “let’s see how<br />

often I’m cited”), both of which are being applied more<br />

and more nowadays, had been used to assess the value of<br />

young Albert Einstein’s or Kurt Gödel’s work, a research<br />

project proposed by either of them would never have<br />

found financial support, and none of them would have<br />

attained a position in the academic world.<br />

True, opposition to the contemporary bureaucratic<br />

tendency towards mediocrity fortunately continues to<br />

exist, but for how long? The reforms that legislators<br />

either wish to, or have already, introduced in several<br />

European countries are based on a lack of competence.<br />

The methods, aims and needs of universities and researchers<br />

are either unknown to them or have been misunderstood.<br />

The first, fateful basic error is the conviction<br />

that one and the same system can, and should, apply to<br />

all subjects. But solutions for the humanities will not<br />

necessarily fit the natural sciences, and vice versa. What<br />

may make sense for one group could be unfavourable for<br />

others. This holds for organising academic activities,<br />

evaluating results and even the length of studies. Lumping<br />

everything together doesn’t make sense. For example,<br />

there are subjects both in the humanities and in the sci-<br />

<strong>Humboldt</strong>ianer im Profil <strong>Humboldt</strong>ians in Profile<br />

*******<br />

Professor Dr. Lorenzo<br />

Perilli lehrt Geschichte<br />

der antiken Philosophie<br />

und Wissenschaft an den<br />

Universitäten Roma Tor<br />

Vergata und Lumsa in<br />

Rom, Italien. 1996 wurde<br />

ihm ein <strong>Humboldt</strong>-Forschungsstipendiumverliehen,<br />

das ihn im selben<br />

Jahr erstmals an die Universität<br />

München führte.<br />

Im Sommer 2005 war er<br />

im Rahmen einer Wiederaufnahme<br />

an der Berlin-<br />

Brandenburgischen Akademie<br />

der Wissenschaften<br />

in Berlin tätig.<br />

*******<br />

Professor Dr. Lorenzo<br />

Perilli teaches History of<br />

Antique Philosophy and<br />

Science at the Universities<br />

Tor Vergata and<br />

Lumsa in Rome, Italy. In<br />

1996, he was awarded a<br />

<strong>Humboldt</strong> Research<br />

Fellowship which<br />

brought him to the University<br />

of Munich in that<br />

same year. In the summer<br />

of 2005 he worked at<br />

the Berlin-Brandenburg<br />

Academy of Science in<br />

Berlin in the context of<br />

a resumption of his<br />

research fellowship.


die Dauer des Studiums. Alle über einen Kamm zu<br />

scheren, ist unsinnig. Es gibt geistes-, aber auch naturwissenschaftliche<br />

Fächer, in denen man keine berufliche<br />

Ausbildung erhält. Man muss auch keine bekommen;<br />

dort wird man zum Denken und Überlegen<br />

ausgebildet, man lernt, Probleme zu lösen und mit<br />

Komplexität umzugehen. Man könnte es Problemwissen<br />

nennen, unabhängig da<strong>von</strong>, ob man mit mathematischen<br />

Formeln, mit physikalischen Experimenten<br />

oder mit einer altgriechischen Handschrift zu tun hat.<br />

Es ist eine Fähigkeit, die heute immer mehr fehlt. An<br />

der Universität sollte man die Gelegenheit bekommen,<br />

sie zu erwerben. Denn oft wird dies die einzige Gelegenheit<br />

sein.<br />

Falsch verstandene Amerikanisierung<br />

Als Rechtfertigung für die meisten Reformideen dient<br />

der Verweis auf die Dominanz der Vereinigten Staaten.<br />

Das europäische System solle und müsse dem angloamerikanischen<br />

angepasst werden. Nur wer die amerikanischen<br />

Verhältnisse nicht kennt, kann diese These<br />

vertreten. Denn ein einheitliches amerikanisches System<br />

existiert als solches nicht. Dennoch kann man viel<br />

<strong>von</strong> den Amerikanern lernen – und aus der eigenen<br />

europäischen Geschichte: In den ersten Jahrzehnten<br />

des 20. Jahrhunderts waren die amerikanischen Universitäten<br />

für die Mehrheit der Studenten kaum mehr<br />

als eine bessere Sekundarschule. Niemand wäre damals<br />

auf die Idee gekommen, demgegenüber die Exzellenz<br />

47 >> <strong>Humboldt</strong> kosmos 86/2005<br />

ences that do not provide vocational training. Neither<br />

does one necessarily need this training! There, one is<br />

trained to think and consider things and learns how to<br />

solve problems and handle complexity. You could call it<br />

learning how to solve problems, regardless of whether you<br />

are dealing with mathematical formulae, physical experiments<br />

or antique Greek writing. It is an ability that<br />

increasingly appears to be lacking nowadays. Universities<br />

ought to offer the opportunity to learn it. For often<br />

enough, this will be the only opportunity people get.<br />

A wrongly understood Americanisation<br />

Most reform ideas are justified by pointing to the dominating<br />

role the United States plays. It is argued that the<br />

European system should, and has to be, adapted to the<br />

Anglo-American one. Such a proposition can only be put<br />

forward by someone who is not familiar with American<br />

conditions. For there is no such thing as a standard<br />

American system. Even so, a lot can be learnt from the<br />

Americans as well as from Europe’s own history. In the<br />

first decades of the 20th century, the American universities<br />

were little more than an advanced secondary school<br />

for the majority of students. In those days, nobody would<br />

have started to draw comparisons with the German university<br />

and question its excellence. That many (but up to<br />

this day by no means all) American universities succeeded<br />

in catching up so swiftly was also due to the red carpet<br />

treatment they gave to top European scientists. American<br />

universities were sufficiently far-sighted and industrious


Ehemalige deutsche Forschungsministerin Edelgard Bulmahn.<br />

Roter Teppich für Talente?<br />

Germany’s ex-Research Minister Edelgard Bulmahn. A red carpet for talent?<br />

der deutschen Universität zu bestreiten. Die rasante Aufholjagd vieler<br />

(aber bis heute beileibe nicht aller) amerikanischer Universitäten<br />

gelang auch deshalb, weil man einen roten Teppich für die besten<br />

europäischen Kräfte ausrollte. Amerikanische Universitäten hatten die<br />

Tüchtigkeit und Weitsicht, Nutzen aus der Ausbildung der Europäer,<br />

und damit aus europäischen Schulen und Universitäten, zu ziehen.<br />

Die Amerikaner boten das Umfeld, die Europäer die Köpfe.<br />

Es läge für Europa nahe, den eigenen Talenten und Spitzenleuten<br />

ebenfalls einen roten Teppich auszurollen und einen dem amerikanischen<br />

ähnlichen Rahmen anzubieten: ein fruchtbares Umfeld, Öffnung<br />

und Aufgeschlossenheit, Chancen, Vertrauen und – das verbotene<br />

Wort muss fallen – Geld, das heißt „dramatisch höhere Ausgaben<br />

für Forschung und Bildung”, wie der seit langem in den USA lebende<br />

deutsche Historiker Sven Beckert in der letzten Ausgabe dieser Zeitschrift<br />

forderte. Doch was haben sich die europäischen Entscheidungsträger<br />

ausgedacht? Sie ändern und verschlechtern, was unterm Strich<br />

gute Resultate erzielt hat, nämlich unsere Studiengänge und unsere<br />

Universitäten. Das nennt sich dann Modernisierung. Unverändert<br />

dagegen bleibt das, was nicht funktioniert und was fehlt, nämlich jenes<br />

fruchtbare Umfeld. Statt den Fähigkeiten Raum zu geben, werden Hindernisse<br />

in den Weg gelegt.<br />

Der Wahn der Bürokraten<br />

Das haben die Besten unter den Studenten schnell erkannt. Sie wissen,<br />

dass sie mit dem neuen System einer wahren Ausbildung beraubt werden.<br />

Es kann nur schaden, Studiengänge zu verkürzen, Prüfungen<br />

leichter zu machen oder gar die Zahl der zu lesenden Seiten im Voraus<br />

festzulegen. Das Beispiel Italien: Vorlesungsreihen heißen dort jetzt<br />

48 >> <strong>Humboldt</strong> kosmos 86/2005<br />

<strong>Humboldt</strong>ianer im Profil <strong>Humboldt</strong>ians in Profile<br />

to draw benefits from the training the Europeans had enjoyed, and hence<br />

from European schools and universities. The Americans provided the<br />

environment and the Europeans the brains.<br />

It appears to suggest itself for Europe to roll out a red carpet for its<br />

own talent and excellent researchers and provide a framework similar to<br />

that in America: a fertile environment, accessibility and openness, career<br />

opportunities, faith in people’s abilities and – it has to be said – money,<br />

which means “dramatically higher expenditure on research and education”.<br />

Incidentally, this is what Sven Beckert, a German historian who<br />

has been living in the USA for a long time, called for in this journal’s last<br />

edition. But what have the European decision-makers devised? They are<br />

changing and worsening what has, by and large, yielded good results, i.e.<br />

our study courses and our universities. And this is dubbed modernisation.<br />

In contrast, what remains unchanged is what doesn’t work or is<br />

lacking, i.e. the fertile environment. Instead of making room for abilities,<br />

obstacles are put in people’s path.<br />

The madness of the bureaucrats<br />

The best of the students have been quick to spot this. They know that the<br />

new system is robbing them of true education and training. Shortening<br />

study courses, making examinations easier to pass or even setting the<br />

number of pages to be read in advance can only do harm. Take Italy, for<br />

example. Series of lectures are now called modules – a term that reflects<br />

bureaucratic madness. Within three years’ time, Italian students have to<br />

pass 30 so-called module exams and write a short thesis. Thanks to the<br />

sheer mass of events, they can learn hardly anything in the individual<br />

modules. Against their own will, the students have been turned into customers<br />

shopping from a range of articles resembling the colourful world<br />

of commodities in modern supermarkets.<br />

What makes sense is exactly the opposite. Non multa sed multum –<br />

not many but much! Trying to create a better university by splitting up<br />

subjects and stripping them of their academic content is the wrong<br />

approach. Students have to be given the opportunity to examine, consider<br />

and judge, or in a nutshell, to think. Only in this way can maturity,<br />

self-confidence and the desire to break new ground develop. Only from<br />

such students can society expect anything.<br />

The same applies to research. Only too often, working at a university<br />

or a research institution means writing reports and wasting time and<br />

energy with an activity that until recently was largely unknown to scientists:<br />

inventing credible projects. The author is familiar with several colleagues<br />

who had to invent projects they didn’t need at all. But what they<br />

did need was money to carry on with their projects and to pay junior<br />

staff. That projects require partners to be eligible for funding is a further<br />

error that the majority of the humanities and many a natural science<br />

adhere to. Teamwork in joint projects is not suitable for everything and<br />

everyone. Work in the humanities in particular has always been an indi-


Module – ein Name, aus dem der bürokratische Wahn spricht. Italienische<br />

Studenten müssen innerhalb <strong>von</strong> drei Jahren 30 so genannte<br />

Modul-Prüfungen bestehen, dazu eine kurze Hausarbeit. Wegen der<br />

schieren Masse der Veranstaltungen können sie in den einzelnen<br />

Modulen kaum etwas lernen. Die Studenten sind wider den eigenen<br />

Willen zu Kunden einer Angebotsvielfalt geworden, die sich an der<br />

bunten Warenwelt moderner Einkaufszentren orientiert.<br />

Das Gegenteil ist sinnvoll. Non multa sed multum – nicht vielerlei,<br />

sondern viel! Eine bessere Universität schafft man eben nicht, indem<br />

man Fächer aufsplittet und geistig entleert, sondern indem man Studierenden<br />

die Gelegenheit gibt, zu untersuchen, zu überlegen, zu<br />

beurteilen – in einem Wort: zu denken. Nur so entstehen Reife, Selbstvertrauen<br />

und der Wunsch weiterzugehen. Nur <strong>von</strong> solchen Studenten<br />

kann die Gesellschaft etwas erwarten.<br />

Dasselbe gilt für die Forschung. An einer Universität oder Forschungseinrichtung<br />

zu arbeiten, bedeutet heute allzu oft, Berichte zu<br />

schreiben und Zeit und Energie in einer bis vor kurzem Wissenschaftlern<br />

weitgehend unbekannten Tätigkeit zu verschwenden: das Erfinden<br />

glaubwürdiger Projekte. Der Autor kennt zahlreiche Kollegen, die<br />

Projekte erfinden mussten, die sie überhaupt nicht brauchten. Was sie<br />

aber brauchten, war Geld, um ihre Tätigkeit weiterführen zu können,<br />

und um junge Mitarbeiter zu bezahlen. Dass Projekte, um förderungswürdig<br />

zu sein, Partner brauchen, ist ein weiterer Irrtum, dem die<br />

Mehrheit der Geisteswissenschaften und nicht wenige Naturwissenschaften<br />

anhängen. Teamarbeit an gemeinsamen Projekten eignet sich<br />

nicht für alles und jeden. Vor allem die geisteswissenschaftliche Arbeit<br />

ist immer eine individuelle Tätigkeit gewesen, die aus geduldigem<br />

Überlegen und viel allein beim Studium in Bibliotheken verbrachter<br />

Zeit besteht. Doch nach der langwierigen Vorbereitung eines Projekts,<br />

der Antragstellung, der Fertigstellung der Berichte und des Kostenplans<br />

sowie nach zahlreichen Briefen an Kollegen bleibt für diese<br />

bedrohte Art unter den wissenschaftlichen Tätigkeiten, das individuelle<br />

Nachdenken und Forschen sowie die anstrengende Suche nach dem<br />

richtigen Weg, nicht mehr viel Zeit übrig.<br />

Sinnvolle Reformen liegen auf der Hand: Man muss mehr Personen<br />

fördern und weniger Projekte. Und man muss gerade jüngeren<br />

Wissenschaftlern mehr Vertrauen, Geld und Chancen geben, ohne<br />

dafür etwas anderes zu verlangen als Einsatz und Hingabe. Vertrauen<br />

kommt vor Evaluieren. Vertrauen zu gewähren, bedeutet verantwortlich<br />

zu machen. So können junge Menschen wissenschaftlich und kulturell<br />

weiterkommen, so werden sie, in späterer Zeit, anderen dasselbe<br />

Vertrauen und Wissen weitergeben, das sie bekommen und erworben<br />

haben. Ein junger Wissenschaftler, der Vertrauen in sich und seine<br />

Arbeit spürt und dem eine Perspektive gegeben wird, ist eine sichere<br />

Investition in die Zukunft nicht nur seines Fachs, sondern auch der<br />

Gesellschaft.<br />

49 >> <strong>Humboldt</strong> kosmos 86/2005<br />

Bürokratischer Wahn:<br />

Vorlesungsreihen heißen jetzt Module<br />

Bureaucratic madness.<br />

Series of Lectures are now<br />

called modules.<br />

vidual activity consisting of patient thinking and spending long hours<br />

alone studying in libraries. But after the tedious preparations for a project,<br />

filing the proposal, compiling the reports and the cost plan, and writing<br />

countless letters to colleagues, only little time remains for what is now<br />

a threatened species among academic activities: thinking and researching,<br />

as well as the tedious quest for the right approach.<br />

Meaningful reforms are obvious. More people and fewer projects<br />

have to be funded. And younger scientists and scholars in particular have<br />

to be given more trust, money and opportunities without initially being<br />

demanded to show anything else but commitment. Trust must come<br />

before evaluation. Trusting people means making them responsible. This<br />

is how young people can make progress academically and culturally, and<br />

it paves the way for their passing on trust and knowledge they have<br />

received and acquired to others later on in their career. A young scientist<br />

who perceives trust in himself and his work and who has been offered a<br />

perspective is a safe investment in the future not only of his subject but of<br />

society as well.<br />

****************<br />

„Wissenschaftler verschwenden ihre Zeit mit dem<br />

Erfinden <strong>von</strong> Projekten, die sie in Wirklichkeit gar<br />

nicht brauchen.“<br />

****************<br />

“Scientists are wasting their time inventing projects<br />

they don’t really need.”


Nachrichten<br />

News<br />

Neues aus der deutschen und internationalen Wissenschaftsszene sowie Informationen über forschungspolitische Trends.<br />

News from the German and the international academic scene and information about research policy trends.<br />

www.young-germany.de<br />

An junge „High-Potentials“ aus aller Welt richtet sich<br />

das vom Auswärtigen Amt initiierte englischsprachige<br />

Internetportal, das neugierig machen soll auf Deutschland.<br />

Mit immer wieder neuen Inhalten informiert die<br />

Seite über Karrierechancen und innovative Entwicklungen<br />

in Forschung und Wissenschaft. Sie gibt aber<br />

auch wertvolle Tipps zu den alltäglichen Dingen des<br />

interkulturellen Lebens: Wann brauche ich als Nicht-<br />

EU-Bürger einen deutschen Führerschein, wer bietet<br />

wann wem das Du an, oder wie viel Trinkgeld gibt man<br />

üblicherweise in deutschen Restaurants?<br />

Die Seite ist ein Gemeinschaftsprojekt der Internetredaktion<br />

des Auswärtigen Amts und des Societäts-<br />

Verlags in Frankfurt am Main. Auch Stipendiaten der<br />

<strong>Humboldt</strong>-<strong>Stiftung</strong>, des Deutschen Akademischen Austauschdienstes<br />

(DAAD), des Goethe-Instituts sowie verschiedener<br />

Wissenschaftsorganisationen waren an der<br />

Entstehung der Internetseite beteiligt und gaben Hinweise,<br />

welche Informationen für Ausländer in Deutschland<br />

wirklich wichtig sind. Erfahrungsberichte <strong>von</strong> Stipendiaten<br />

sind auf www.young-germany.de ebenfalls<br />

zu lesen. Eine Kommunikationsplattform bietet eine<br />

Möglichkeit zum gegenseitigen Austausch.<br />

<strong>50</strong> >> <strong>Humboldt</strong> kosmos 86/2005<br />

www.young-germany.de<br />

Young high potentials from all over the world are to be<br />

attracted by an English-language Internet portal aimed<br />

at rousing people’s curiosity about Germany that was<br />

initiated by the German Foreign Office. With constantly<br />

updated contents the page provides information about<br />

career opportunities and innovative developments in<br />

research and science. But it also gives valuable advice on<br />

everyday aspects of intercultural life. If I am a non-EU<br />

citizen, when do I need a German driving licence? Who<br />

addresses whom at what point as “du”, and what tip do<br />

waiters in German restaurants usually reckon with?<br />

The page is a joint project of the Foreign Office’s<br />

Internet Editorial Team and the Societäts-Verlag publishing<br />

company in Frankfurt am Main. Grant-holders<br />

and fellows of the <strong>Humboldt</strong> Foundation, the German<br />

Academic Exchange Service (DAAD), the Goethe Institute<br />

and various science organisations were involved in<br />

developing the Internet page and contributed advice on<br />

what information is really important for foreigners in<br />

Germany. Accounts of what grant-holders and fellows<br />

have experienced can also be read at www.young-germany.de.<br />

A communication platform offers readers an<br />

opportunity for mutual exchange.<br />

Wie viel Trinkgeld sollte in<br />

deutschen Cafés gegeben<br />

werden? Fragen wie diese<br />

beantwortet die Seite<br />

www.young-germany.de<br />

How much do you tip a<br />

waiter at a German café?<br />

Questions like this one are<br />

answered at www.younggermany.de


Deutsche Hochschulen im Ausland<br />

Im Wintersemester 2005/2006 hat die Deutsch-Jordanische<br />

Hochschule (German Jordanian University –<br />

GJU) ihren Betrieb am vorläufigen Standort in<br />

Amman aufgenommen. In Kooperation mit der jordanischen<br />

Regierung wird sie <strong>von</strong> der Fachhochschule<br />

Magdeburg-Stendal nach dem Modell deutscher Fachhochschulen<br />

eingerichtet.<br />

Immer mehr deutsche Hochschulen gründen<br />

inzwischen Zweigstellen im Ausland. Dabei handelt es<br />

sich teilweise um Beteiligungen am Aufbau deutscher<br />

Hochschulen wie der Deutschsprachigen Universität<br />

Budapest und der Deutschen Universität in Kairo, teilweise<br />

um Außenstellen deutscher Hochschulen oder<br />

auch um Studiengänge, die in Zusammenarbeit mit<br />

ausländischen Hochschulen durchgeführt werden.<br />

Gegenwärtig existieren 30 Initiativen dieser Art, <strong>von</strong><br />

denen 26 sich noch in der Förderphase durch das<br />

Bundesministerium für Bildung und Forschung befinden.<br />

17 der so genannten Off Shore-Angebote sind<br />

in Asien angesiedelt, 5 in Osteuropa, jeweils 3 im<br />

Nahen Osten und in Lateinamerika und 2 in Afrika.<br />

Ein Schwerpunkt der Studiengänge liegt auf den Ingenieurwissenschaften,<br />

der Rest verteilt sich über die<br />

Natur-, Rechts-, Wirtschafts- und Kulturwissenschaften<br />

und andere Fachrichtungen. Die durchschnittliche<br />

Studiengebühr beträgt 2.000 Euro. Unterrichtssprache<br />

ist in der Regel englisch, wobei ein Aufenthalt in<br />

Deutschland meist in die Programme integriert ist.<br />

„Ein Ziel der Projekte besteht darin, auf dem internationalen<br />

Bildungsmarkt Fuß zu fassen“, erklärt Dr.<br />

Christian Thimme, zuständig für Studienangebote<br />

deutscher Hochschulen im Ausland beim Deutschen<br />

Akademischen Austauschdienst (DAAD), „zumindest<br />

einige der Hochschulen hoffen, langfristig durch die<br />

Studiengebühren auch Einnahmen zu generieren.<br />

Daneben eröffnen sich durch die Kooperationen ganz<br />

neue Chancen, Joint Ventures zu bilden; Firmen beider<br />

Partnerländer werden häufig in die Erstellung der<br />

Curricula miteinbezogen. Auch kulturpolitische Motive<br />

spielen eine Rolle, wie bei den deutschsprachigen<br />

Studiengängen in Osteuropa.“ Die Motive der ausländischen<br />

Partnerhochschulen sind ganz ähnlich gelagert.<br />

Für sie bedeutet die Kooperation eine Erweiterung<br />

ihres Studienangebots und erhöht die Chancen<br />

für Gemeinschaftsprojekte mit der Wirtschaft.<br />

51 >> <strong>Humboldt</strong> kosmos 86/2005<br />

German higher education<br />

institutions abroad<br />

The German Jordanian University (GJU) has commenced<br />

its activities for the winter semester of<br />

2005/2006 at its temporary site in Amman. It is being<br />

set up in co-operation with the Jordanian Government<br />

by the Fachhochschule Magdeburg-Stendal along the<br />

lines of German Fachhochschulen (degree-awarding,<br />

practice-oriented higher education institutions).<br />

Nowadays, more and more German higher education<br />

institutions are setting up subsidiaries abroad.<br />

Some of them consist of participation in establishing<br />

German higher education institutions such as the German-speaking<br />

University of Budapest and the German<br />

University in Cairo, while others are branches of German<br />

higher education institutions or are study courses<br />

run in co-operation with foreign institutions. To date,<br />

there are 30 of these initiatives 26 of which are still<br />

being funded by the German Federal Ministry of Education<br />

and Research. 17 of these offshore programmes are<br />

being run in Asia, 5 in Eastern Europe, 3 each in the<br />

Middle East and Latin America and 2 in Africa. One of<br />

the focal points of the courses is the engineering sciences,<br />

while the rest of them are distributed among the natural,<br />

law and economic sciences as well as cultural studies<br />

and other disciplines. The average tuition fee is 2,000<br />

euros. As a rule, teaching is in English, with a visit to<br />

Germany usually being included in the programmes.<br />

“One of the goals the projects aim at is to gain a foothold<br />

on the international education market,” explains Dr.<br />

Christian Thimme, who is responsible for study programmes<br />

of German higher education institutions<br />

abroad at the German Academic Exchange Service<br />

(DAAD). “At least some of the institutions hope that<br />

they will also be able to generate income from tuition<br />

fees in the long run. In addition, co-operation schemes<br />

open up entirely new opportunities to form joint ventures.<br />

Frequently, firms of both partner countries are<br />

involved in curriculum development. Cultural policy<br />

motives also play a role, as is the case with the Germanlanguage<br />

study courses in Eastern Europe.”<br />

The foreign partner institutions have very similar<br />

ambitions. For them, co-operation means being able to<br />

extend their study programmes and better opportunities<br />

to run joint projects with industry.<br />

Nachrichten News<br />

Die Deutsche Universität<br />

in Kairo<br />

The German University<br />

in Cairo


Mehr ausländische Doktoranden<br />

durch Graduiertenschulen<br />

Nachdem der Anteil der ausländischen Doktoranden in<br />

Deutschland nach Auskunft des Statistischen Bundesamts<br />

in den letzten Jahren bereits leicht zugenommen<br />

hat (<strong>von</strong> 8,7 Prozent im Jahr 2002 auf 10 Prozent im Jahr<br />

2003, dem letzten vorliegenden Wert) erhoffen sich die<br />

Organisatoren neuer Graduiertenprogramme einen<br />

weiteren Anstieg. Neben der Exzellenzinitiative des<br />

Bundes und der Länder, in deren Rahmen Graduiertenschulen<br />

als ein Schwerpunkt gefördert werden, startet<br />

im Jahr 2006 auch eine neue Initiative aus der außeruniversitären<br />

Forschung: die Helmholtz-Kollegs. In<br />

Zusammenarbeit mit verschiedenen Hochschulen bietet<br />

die Helmholtz-Gemeinschaft deutscher Forschungszentren<br />

(HGF) ein eigenes Programm für Doktoranden<br />

an, das in englischer Sprache durchgeführt werden soll.<br />

Angestrebt wird ein Ausländeranteil <strong>von</strong> circa 40 Prozent.<br />

„Neben der wissenschaftlichen Ausbildung sollen<br />

die Teilnehmenden auch ein berufsqualifizierendes, persönlichkeitsbildendes<br />

Training erhalten“, erklärt Dr.<br />

Bärbel Köster <strong>von</strong> der Geschäftsstelle der Helmholtz-<br />

Gemeinschaft. Gefördert werden Dissertationsprojekte<br />

aus den Forschungsbereichen der HGF: Energie, Erde<br />

und Umwelt, Gesundheit, Schlüsseltechnologien, Struktur<br />

der Materie oder Verkehr und Weltraum mit bis zu<br />

300.000 Euro im Jahr.<br />

„Ein Vorteil der Graduate Schools ist die Mehrfachbetreuung“,<br />

konstatiert Bernhard Lippert <strong>von</strong> der<br />

Hochschulrektorenkonferenz, „Studierende aus dem<br />

Ausland fühlen sich hier in der Regel gut aufgehoben,<br />

weil sie dieses Modell vielfach <strong>von</strong> zu Hause kennen.<br />

Mehrfachbetreuung bedeutet zum einen weg <strong>von</strong> der<br />

Eins zu Eins-Promotion, bei der der Doktorand ganz<br />

52 >> <strong>Humboldt</strong> kosmos 86/2005<br />

More Foreign Doctoral Candidates<br />

Thanks to Graduate Schools<br />

With the share of foreign doctoral candidates in Germany<br />

already having grown slightly over the last few years<br />

according to the Federal Statistical Office (from 8.7 percent<br />

in 2002 to 10 percent in 2003, the latest available<br />

value), the organisers of new programmes for postgraduates<br />

are now hoping for a further increase. In addition to<br />

the Initiative for Excellence of the Federal Government<br />

and the Länder in the framework of which the Graduate<br />

Schools are being funded as a priority area, a new initiative<br />

is also starting in non-university research in 2006: the<br />

Helmholtz Graduate Schools. In collaboration with various<br />

higher education institutions, the Helmholtz Association<br />

of National Research Centres (HGF) is running a<br />

programme of its own for doctoral candidates that is to be<br />

held in English. The aim is to cater for a 40-percent share<br />

of foreigners.<br />

“In addition to their scientific training, the students<br />

are also offered special training to acquire vocational<br />

qualifications and develop their personality,” explains<br />

Dr. Bärbel Köster of the Helmholtz Association head<br />

office. Doctoral theses from the research fields of the HGF<br />

such as energy, earth and environment, health, key technologies,<br />

the structure of matter or transport and space<br />

are to be supported with up to 300,000 euros a year.<br />

“One advantage of the Graduate Schools is multiple<br />

supervision,” Dr. Bernhard Lippert of German Rectors’<br />

Conference stresses. “As a rule, students from abroad feel<br />

well supported here because they are largely familiar<br />

with the model from at home. For one thing, multiple<br />

supervision means bidding farewell to one-to-one support<br />

in which the doctoral candidate has to rely entirely<br />

on his PhD supervisor. Second, as a rule, the supervisors<br />

come from different focal areas, enabling them to provide<br />

Absolventen vor der<br />

Universität Bonn<br />

Nachrichten News<br />

Graduate students from the<br />

University of Bonn


auf seinen Doktorvater angewiesen ist. Zum anderen<br />

kommen die Betreuer in der Regel auch aus verschiedenen<br />

Schwerpunkten und sind dadurch insgesamt in der<br />

Lage, eine größere Bandbreite <strong>von</strong> Anregungen zu geben.<br />

Die Betreuung wird interdisziplinärer.“<br />

Gute Erfahrungen mit der Graduiertenbetreuung<br />

hat auch die Max-Planck-Gesellschaft in ihren International<br />

Schools gemacht. Hier liegt der Anteil der Doktoranden<br />

aus dem Ausland inzwischen bei 60 Prozent.<br />

Dialog zwischen Politik und Wissenschaft:<br />

Think Tanks in Deutschland<br />

Ende der 90er Jahre ging die Bundesregierung nach Berlin<br />

– und nicht nur sie.Verbände und Firmen, Wissenschaftsorganisationen<br />

und Journalisten, Interessensvertreter aller<br />

Art zogen in die neue Hauptstadt. Als eine der mittelbaren<br />

Folgen lassen sich seitdem veränderte Kommunikationsbeziehungen<br />

zwischen den politisch Handelnden<br />

und den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppierungen<br />

beobachten. So wird den Journalisten ein neuer ruppiger<br />

Umgangston nachgesagt und den Wirtschaftslobbyisten<br />

ein verstärkter Einfluss. Auch der Austausch zwischen<br />

Politikern und Wissenschaftlern hat sich intensiviert – so<br />

die Wahrnehmung <strong>von</strong> Dr. Volker Perthes, Direktor der<br />

<strong>Stiftung</strong> Wissenschaft und Politik, die 1998 ihren Sitz<br />

nach Berlin verlegt hat. „Grundsätzlich haben wir festgestellt,<br />

dass die Beratungsfreudigkeit der Politiker zugenommen<br />

hat, seit die Regierung in Berlin ist“, berichtet<br />

Perthes, „zum einen sind durch den Umzug alte Strukturen<br />

aufgebrochen und zum anderen herrscht durchgehend<br />

Sparzwang: Bevor jemand neu eingestellt wird,<br />

greift man lieber auf externe Fachleute zurück. So kommt<br />

es relativ häufig vor, dass wir gebeten werden, beispielsweise<br />

einen Fraktionsarbeitskreis in 20 Minuten in ein<br />

Themengebiet einzuführen oder an einem Brainstorming<br />

in einem Ministerium teilzunehmen. Wir haben unsererseits<br />

neue interaktive Formen der Politikberatung eingerichtet<br />

wie gemeinsame Arbeitskreise mit Politikern.<br />

Inzwischen achten wir auch verstärkt darauf, den handlungsorientierten<br />

Bedürfnissen <strong>von</strong> Entscheidungsträgern<br />

entgegenzukommen und kurz, konzise und verständlich<br />

zu schreiben. Die kurzen Zusammenfassungen<br />

werden mehr gelesen.“<br />

In Deutschland gibt es schätzungsweise zwischen 80<br />

und 130 Think Tanks, das heißt Einrichtungen, deren<br />

53 >> <strong>Humboldt</strong> kosmos 86/2005<br />

a wider range of advice. Supervision becomes more interdisciplinary.”<br />

The Max Planck Society has also gained good experience<br />

with the supervision of doctoral candidates in its<br />

International Schools. Here, the share of doctoral candidates<br />

from abroad is already at 60 percent.<br />

A Dialogue between politics and science:<br />

think tanks in Germany<br />

Towards the end of the 90s, the German Federal Government<br />

moved to Berlin. And with it, associations and<br />

companies, science organisations and journalists and<br />

representatives of all sorts of interest groups moved to the<br />

new capital as well. Changes in the communication relations<br />

between the political actors and the different groups<br />

in society have been observed as one of the resulting<br />

impacts since then. Journalists are said to have a gruffer<br />

way of speaking, while industrial lobbyists are claimed to<br />

have increased their influence. Exchange between politicians<br />

and scientists has intensified as well, according to<br />

what Dr. Volker Perthes, Director of the “<strong>Stiftung</strong> Wissenschaft<br />

und Politik”, has observed. The foundation<br />

moved its headquarters to Berlin in 1998. “We have generally<br />

noticed that readiness to consult experts has grown<br />

among politicians since the government moved to<br />

Berlin,” Perthes reports. “Moving has meant breaking up<br />

old structures. And then there is the requirement for<br />

everybody to economise. Before taking on any new staff,<br />

one prefers to resort to external specialists. Thus we are<br />

relatively often asked to introduce a working group of a<br />

parliamentary party to a topic within 20 minutes’ time<br />

or to take part in a brainstorming session at a ministry.<br />

We for our part have introduced new, interactive forms of<br />

policy consulting such as joint working groups with<br />

politicians. Nowadays, we also take care that we are<br />

amply considering the action-oriented requirements of<br />

decision-makers and write material in a short, concise<br />

and comprehensible manner. Brief summaries are read<br />

more.”<br />

It has been estimated that there are between 80 and<br />

130 think tanks in Germany. Think tanks are institutions<br />

whose research relates to political activities in some way.<br />

Nachrichten News


Forschung in irgendeiner Form für die politische Arbeit<br />

relevant ist. Dazu zählen die großen Wirtschaftsforschungsinstitute,<br />

außen-, friedens- und sicherheitspolitische<br />

Organisationen und Einrichtungen der Sozial-,<br />

Umwelt- und Technikforschung wie die Akademien für<br />

Technikfolgenabschätzung. Eine große Gruppe bilden die<br />

Ressortforschungsinstitutionen, die einzelnen Ministerien<br />

zugeordnet sind und in deren Auftrag forschen.<br />

Während die akademischen Institute stolz auf ihre politische<br />

Neutralität sind, engagieren sich andere Think Tanks<br />

explizit für bestimmte politische Richtungen oder gesellschaftliche<br />

Interessen. Hierzu gehören die Forschungsakademien<br />

der parteinahen politischen <strong>Stiftung</strong>en wie die<br />

SPD-nahe Friedrich-Ebert-<strong>Stiftung</strong> oder die CDU-nahe<br />

Konrad-Adenauer-<strong>Stiftung</strong>, aber auch parteiunabhängige<br />

Institute wie das Öko-Institut Freiburg, dessen Gründungsmitglieder<br />

sich dem Widerstand gegen die Kernenergie<br />

verbunden fühlten und das sich seitdem für umweltpolitische<br />

Fragestellungen einsetzt.<br />

Für Einrichtungen, die als Think Tanks erfolgreich<br />

sein wollen, hat es sich als sinnvoll erwiesen, auf drei Ebenen<br />

aktiv zu sein: in der wissenschaftlichen Community,<br />

in der Politikberatung und im Kontakt mit der allgemeinen<br />

Öffentlichkeit. Dies ist auch die Erfahrung <strong>von</strong> Professor<br />

Dr. Klaus Zimmermann, Präsident des Deutschen<br />

Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Berlin, und<br />

Direktor des Bonner Forschungsinstituts zur Zukunft der<br />

Arbeit (IZA). „Unser Ziel ist es, zu <strong>50</strong> Prozent Forschung<br />

zu betreiben und zu <strong>50</strong> Prozent Politikberatung“, erklärt<br />

Zimmermann, „etwa 45 Prozent unseres Gesamtetats<br />

stammen aus Beratungsaufträgen“. Immer wieder kommt<br />

es vor, dass Wissenschaftler zu Ergebnissen gelangen, bei<br />

denen sie zwar großen Handlungsbedarf sehen, die <strong>von</strong><br />

der Politik aber nicht aufgegriffen werden. In solchen Fällen<br />

wenden sie sich gerne an die Presse. „Was öffentlich<br />

diskutiert wird, zieht irgendwann auch die Aufmerksamkeit<br />

der Politiker auf sich und findet Eingang in die Parteiprogramme“,<br />

hat Zimmermann festgestellt, „ein Beispiel<br />

für ein Thema, das uns gegenwärtig stark beschäftigt und<br />

das unserer Ansicht nach zu wenig beachtet wird, ist das<br />

Zuwanderungsgesetz. Es ist absehbar, dass in Deutschland<br />

54 >> <strong>Humboldt</strong> kosmos 86/2005<br />

They include the major economic research institutes, foreign,<br />

peace and security policy organisations as well as<br />

institutions of social, environmental and engineering<br />

research such as the technology assessment academies. The<br />

departmental research institutions allocated to individual<br />

ministries and conducting research the latter have commissioned<br />

form a large group. While the academic institutions<br />

are proud of their political neutrality, other think<br />

tanks are explicitly engaged in supporting certain political<br />

causes or interests in society. These include the research<br />

academies of the political foundations associated with the<br />

political parties, such as the Friedrich-Ebert-<strong>Stiftung</strong>, or<br />

the Konrad-Adenauer-<strong>Stiftung</strong>, affiliated to the SPD and<br />

the CDU respectively, as well as institutes independent of<br />

parties such as the “Öko-Institut” (Institute for Applied<br />

Ecology) of Freiburg, whose founding members dedicated<br />

themselves to opposing nuclear power and which since<br />

then has campaigned for environmental policy issues.<br />

It has proved sensible for institutions that wish to be<br />

successful as think tanks to be active at three levels: in the<br />

scientific community, in policy consulting and in contacts<br />

with the general public. This is also the experience made<br />

by Professor Dr. Klaus Zimmermann, President of the<br />

German Institute for Economic Research (DIW), Berlin,<br />

and Director of the Bonn Institute for the Study of Labour<br />

(IZA). “Our aim is to conduct <strong>50</strong> percent research and <strong>50</strong><br />

percent policy consulting,” Zimmermann explains.<br />

“Around 45 percent of our overall budget come from consulting<br />

orders.” Again and again, scientists arrive at results<br />

for which they note a considerable need to take action but<br />

that are not addressed by politics. In such cases, they frequently<br />

get in touch with the press. “What is discussed in<br />

public will at some stage attract the attention of the politicians<br />

and enter the party programmes,” Zimmermann<br />

notes. “One example of a topic that is currently keeping us<br />

very busy and that we believe is being given too little attention<br />

is the law on immigration. One can already reckon<br />

with a dearth of qualified specialists in Germany in the<br />

future. But they can only come from abroad. However, as<br />

a rule, people immigrating currently are low-qualified.<br />

Here, there is a lack of political initiative.”<br />

Nachrichten News


in Zukunft qualifizierte Fachkräfte fehlen werden. Diese<br />

können nur aus dem Ausland kommen. Die Leute, die im<br />

Moment zuwandern, sind jedoch in der Regel gering qualifiziert.<br />

Hier mangelt es an politischen Initiativen.“<br />

Wo die Wissenschaftler bei den Politikern adäquate<br />

Reaktionen auf Forschungsresultate vermissen, reagiert<br />

die andere Seite auch schon mal mit dem Vorwurf der<br />

Praxisferne. Wissenschaftler würden zu theoretisch arbeiten<br />

und hätten zu wenig Verständnis für das politische<br />

Tagesgeschäft. Hierzu Professor Dr. Dr. h.c. Werner Weidenfeld,<br />

Direktor des Centrums für angewandte Politikforschung<br />

(CAP) an der Universität München: „Politik<br />

folgt einer bestimmten Ratio. Ein Politiker hat für einen<br />

anstehenden Sachverhalt in einem gegebenen Moment<br />

zahlreiche Aspekte gleichzeitig im Blick zu halten. So geht<br />

es zum einen um Sachfragen, zum anderen aber auch um<br />

strategische Gesichtspunkte des Machterhalts. Dieser<br />

Situationsratio der Politik steht die Systemratio der Wissenschaft<br />

gegenüber. Dessen muss sich der Wissenschaftler<br />

bewusst sein. Umgekehrt sollte der Politiker beachten,<br />

dass der Experte nicht alle strategischen Aspekte bedenken<br />

wird. Der Dialog zwischen Politik und Wissenschaft<br />

funktioniert überall dort, wo sich beide Teile dessen bewusst<br />

sind. Der Wissenschaftler sollte beispielsweise ein<br />

Gespür für Timing haben. Ein Papier, das heute gebraucht<br />

wird, kann in zwei Tagen vollkommen wertlos sein. Die<br />

Aufbereitung <strong>von</strong> Informationen vollzieht sich in Politik<br />

und Wissenschaft unterschiedlich.“<br />

Das Modell der Think Tanks stammt ursprünglich<br />

aus den USA, wo diese Einrichtungen für die Politik eine<br />

große Rolle spielen und dabei häufig parteipolitisch festgelegt<br />

sind. Weidenfeld zufolge hängt dies auch damit<br />

zusammen, dass die politische Infrastruktur in den USA<br />

dünner ist als in Deutschland. Was dort <strong>von</strong> Think Tanks<br />

geleistet werde, übernehmen in Deutschland Parteien<br />

und Verbände. Bei der Positionierung auf einem zunehmend<br />

internationalen Markt der Gutachtenvergabe, betrachten<br />

deutsche Wissenschaftler – so Zimmermann –<br />

ihre politische Neutralität auch als Standortvorteil.<br />

55 >> <strong>Humboldt</strong> kosmos 86/2005<br />

When scientists point to a failure among politicians<br />

to respond adequately to research results, the other side<br />

sometimes replies by way of pointing to their being out of<br />

touch with reality. Scientists, it is claimed, work too theoretically<br />

and understand too little of day-to-day political<br />

activities. Commenting on this, Professor Dr. Dr. h.c.<br />

Werner Weidenfeld, Director of the Centre for Applied<br />

Policy Research (CAP) at Munich University, claims:<br />

“Politics follows a certain reason. At a given moment, a<br />

politician has to keep an eye on several aspects of a forthcoming<br />

issue simultaneously. There are factual issues as<br />

well as strategic considerations on sustaining power. This<br />

reason stemming from a given situation in politics is<br />

countered by the systematic reason of science, a state of<br />

affairs that the scientist has to be aware of. Conversely, the<br />

politician ought to bear in mind that the expert will not<br />

consider all strategic aspects. Dialogue between politics<br />

and science will work whenever both sides are aware of<br />

this. For instance the scientist should have a sense of timing.<br />

A paper required today may be entirely useless in two<br />

days’ time. The processing of information progresses in<br />

different ways in politics and science.”<br />

The think tank model originates from the USA,<br />

where these institutions play a major role in politics and<br />

are frequently tied to the policies of a single party.<br />

According to Weidenfeld, this is also due to the infrastructure<br />

of politics in the USA being thinner than that<br />

in Germany. What is achieved there by think tanks is<br />

dealt with in Germany by parties and associations.<br />

Regarding positioning oneself on an increasingly international<br />

market of commissioning of reports and studies,<br />

Zimmermann maintains that German scientists view<br />

their political neutrality as a locational advantage.<br />

Nachrichten News<br />

Seit die Regierung in Berlin<br />

sitzt, hat die Beratungsfreudigkeit<br />

der Politiker<br />

zugenommen – so die<br />

Wahrnehmung auf Seiten<br />

der Wissenschaft. Im Bild<br />

der Sitz des Bundestages,<br />

<strong>von</strong> außen und innen.<br />

Since the Government<br />

moved to Berlin, politicians<br />

have become more eager to<br />

benefit from consultancy<br />

services – at least this is<br />

what scientists claim. The<br />

picture shows the seat of<br />

the German Parliament from<br />

the outside and inside.


Neues aus der <strong>Stiftung</strong><br />

News from the Foundation<br />

Fünf <strong>Humboldt</strong>ianer erhalten Nobelpreis<br />

Bei der diesjährigen Nobelpreisverleihung wurden<br />

fünf <strong>Humboldt</strong>ianer ausgezeichnet. Der Nobelpreis<br />

für Chemie ging zu gleichen Teilen an den ehemaligen<br />

<strong>Humboldt</strong>-Forschungsstipendiaten Professor Robert<br />

H. Grubbs und den <strong>Humboldt</strong>-Forschungspreisträger<br />

Professor Richard R. Schrock sowie an ihren Kollegen<br />

Professor Yves Chauvin. Sie wurden für die Entwicklung<br />

<strong>von</strong> Methoden auf dem Gebiet der organischen<br />

Syntheseverfahren ausgezeichnet.<br />

Der Nobelpreis für Physik wurde an die <strong>Humboldt</strong>ianer<br />

Professor Roy J. Glauber, Professor Theodor<br />

W. Hänsch und Professor John L. Hall vergeben.<br />

Hänsch und Hall teilen sich eine Hälfte der Auszeichnung<br />

für Beiträge zur Entwicklung der laserbasierten<br />

Präzisionsspektrographie. Glauber bekommt die andere<br />

Hälfte des Preises für Beiträge zur Quantentheorie<br />

der optischen Kohärenz.<br />

Damit gehören insgesamt 40 Nobelpreisträger<br />

zum weltweiten Netz der Forschungsstipendiaten und<br />

Forschungspreisträger der <strong>Alexander</strong> <strong>von</strong> <strong>Humboldt</strong>-<br />

<strong>Stiftung</strong>. Die <strong>Stiftung</strong> gratuliert herzlich und ist stolz<br />

auf ihre <strong>Humboldt</strong>ianer. „Dass die Förderung <strong>von</strong><br />

<strong>Humboldt</strong>ianern, seien sie junge Stipendiaten oder<br />

bereits vielfach anerkannte Preisträger, immer auch<br />

Investitionen in die Zukunft sind, beweisen die diesjährigen<br />

Nobelpreisträger aus der <strong>Humboldt</strong>-Familie<br />

stellvertretend für viele <strong>Humboldt</strong>ianer weltweit“,<br />

sagte Generalsekretär Dr. Georg Schütte.<br />

Robert Grubbs, geboren 1942, hatte 1975 als<br />

<strong>Humboldt</strong>-Forschungsstipendiat in Deutschland gearbeitet.<br />

Der damals 33-Jährige forschte ein halbes Jahr<br />

am Institut für Strahlenchemie (heute Max-Planck-<br />

Institut (MPI) für Bioanorganische Chemie) in Mülheim<br />

an der Ruhr. Er etablierte sich schon zu dieser<br />

Zeit als einer der führenden amerikanischen Wissenschaftler<br />

in der organometallischen Chemie. Heute<br />

forscht er am California Institute of Technology (Caltech)<br />

in Pasadena, California, USA.<br />

Richard Schrock, Jahrgang 1945, hatte 1994 den<br />

<strong>Humboldt</strong>-Forschungspreis erhalten und im Anschluss<br />

mit Mitteln des Preises in Deutschland geforscht.<br />

Hierzu war er bis 2004 zu wiederholten<br />

Forschungsaufenthalten Gast am Anorganisch-<br />

Chemischen Institut der TU München in Garching<br />

und hatte am MPI für Kohlenforschung in Mülheim<br />

56 >> <strong>Humboldt</strong> kosmos 86/2005<br />

Five <strong>Humboldt</strong>ians receive Nobel Prize<br />

At this year’s presentation of the Nobel Prize, five <strong>Humboldt</strong>ians<br />

were distinguished with awards. The Nobel<br />

Prize for Chemistry went to erstwhile <strong>Humboldt</strong> Research<br />

Fellow Professor Robert H. Grubbs and <strong>Humboldt</strong><br />

Research Award Winner Professor Richard R.<br />

Schrock as well as their colleague Professor Yves Chauvin.<br />

They were rewarded for developing methods in the<br />

field of organic synthesis processes.<br />

The Nobel Prize for Physics was awarded to <strong>Humboldt</strong>ians<br />

Professor Roy J. Glauber, Professor Theodor<br />

W. Hänsch and Professor John L. Hall. Hänsch<br />

and Hall share half of the reward for their contributions<br />

to developing laser-based precision spectroscopy, while<br />

Glauber has received the other half of the prize for<br />

his contributions to the quantum theory of optical<br />

coherence.<br />

This means that a total of 40 Nobel Prize Winners<br />

now belong to the <strong>Alexander</strong> <strong>von</strong> <strong>Humboldt</strong> Foundation’s<br />

world-wide network of research fellows and research<br />

award winners. The Foundation wishes to extend<br />

its sincere congratulations and is proud of its <strong>Humboldt</strong>ians.<br />

“That promoting <strong>Humboldt</strong>ians, whether<br />

they be young research fellows or award winners who<br />

have already earned several distinctions, always also<br />

means investing in the future is proven by this year’s<br />

Nobel Prize Winners of the <strong>Humboldt</strong> Family, representing<br />

many <strong>Humboldt</strong>ians world-wide”, said<br />

Secretary General Dr. Georg Schütte.<br />

Born in 1942, Robert Grubbs worked as a <strong>Humboldt</strong><br />

Research Fellow in Germany in 1975. Grubbs, who was<br />

33 at the time, was involved in research at the Institute<br />

for Radiation Chemistry (now Max Planck Institute<br />

(MPI) for Bioinorganic Chemistry) in Mülheim an der<br />

Ruhr for half a year. At the time, he had already established<br />

himself as one of America’s leading scientists in<br />

the field of organometallic chemistry. Today, he conducts<br />

research at the California Institute of Technology<br />

(Caltech) in Pasadena, California, USA.<br />

Richard Schrock was born in 1945 and received the<br />

<strong>Humboldt</strong> Research Award in 1994. With the prize<br />

money, he subsequently financed his research in Germany,<br />

where he had several research stays as a visiting<br />

academic at TU Munich’s Institute of Anorganic Chemistry<br />

in Garching up to 2004. Also he worked at the MPI<br />

of Coal Research in Mülheim an der Ruhr. In the 90s, he<br />

Professor Robert H. Grubbs<br />

Professor Richard R.<br />

Schrock<br />

Professor Roy J. Glauber


an der Ruhr gearbeitet. In den 90er Jahren wurde er<br />

zum Namensgeber der Forschung zu Übergangsmetallen,<br />

der „Schrock Chemistry“. Schrock arbeitet am<br />

Massachusetts Institute of Technology (MIT),<br />

Cambridge, Massachusetts, USA.<br />

Roy Glauber, der im September seinen 80. Geburtstag<br />

feierte, war mit dem <strong>Humboldt</strong>-Forschungspreis<br />

für seine Verdienste auf dem Gebiet der Quantenoptik,<br />

speziell der Laserforschung, ausgezeichnet<br />

worden und hatte mit Mitteln des Preises insgesamt<br />

für ein Jahr am MPI für Quantenoptik in Garching<br />

geforscht.<br />

Theodor Hänsch, Jahrgang 1941, hatte im Alter<br />

<strong>von</strong> 35 Jahren den <strong>Humboldt</strong>-Forschungspreis für die<br />

Anwendung des Lasers in der Spektroskopie erhalten.<br />

Er war einer der Ersten, die die Methode der Zweiphotonen-Spektroskopie<br />

experimentell einsetzten. Im<br />

Rahmen dieser Auszeichnung war er insgesamt neun<br />

Monate am MPI für Quantenoptik in Garching und<br />

an der Universität Frankfurt tätig.<br />

John Hall, Jahrgang 1934, hatte die Auszeichnung<br />

der <strong>Humboldt</strong>-<strong>Stiftung</strong> für seine Pionierarbeiten auf<br />

dem Gebiet optischer Frequenzstandards und ultrastabiler<br />

Laser für die höchstauflösende Spektroskopie<br />

und Interferometrie erhalten. Sein damaliger Gastgeber<br />

war der heute gemeinsam mit ihm ausgezeichnete<br />

Theodor Hänsch, mit dem er als Forschungspreisträger<br />

vier Monate am MPI für Quantenoptik in Garching<br />

zusammenarbeitete.<br />

Weitere Informationen unter:<br />

www.humboldt-foundation.de/presse/nobel<br />

Further information at:<br />

www.humboldt-foundation.de/presse/nobel<br />

57 >> <strong>Humboldt</strong> kosmos 86/2005<br />

gave his name to research into transition metals,<br />

“Schrock Chemistry”. Schrock works at the Massachusetts<br />

Institute of Technology (MIT), Cambridge, Massachusetts,<br />

USA.<br />

Roy Glauber, who celebrated his 80 th birthday in<br />

September, had been distinguished with the <strong>Humboldt</strong><br />

Research Award for his achievements in the field of<br />

quantum optics, especially laser research, and, with the<br />

prize’s funding, had done research at the MPI of Quantum<br />

Optics in Garching for one year in all.<br />

At the age of 35, Theodor Hänsch, who was born in<br />

1941, had received the <strong>Humboldt</strong> Research Award for<br />

the application of the laser in spectroscopy. He was one<br />

of the first to use the method of two-photon spectroscopy<br />

experimentally. In the framework of this award, he<br />

spent a total of nine months at the MPI of Quantum<br />

Optics in Garching and at the University of Frankfurt.<br />

Born in 1934, John Hall had received the <strong>Humboldt</strong><br />

Foundation’s award for his pioneering work in the field<br />

of optical frequency standards and ultra-stable lasers for<br />

maximum-resolution spectroscopy and interferometry.<br />

His then host was Theodor Hänsch, with whom he<br />

worked together as a research award winner at the MPI<br />

of Quantum Optics in Garching for four months and<br />

with whom he was now jointly honoured.<br />

Neues aus der <strong>Stiftung</strong> News from the Foundation<br />

Professor Theodor W.<br />

Hänsch<br />

Professor John L. Hall


Rechtsexpertentreffen in Tokio<br />

Vom 29. September bis zum 1. Oktober 2005 fand in<br />

Tokio der Kongress „Globalisierung und Recht –<br />

Beiträge Japans und Deutschlands zu einer internationalen<br />

Rechtsordnung im 21. Jahrhundert“ statt. Im<br />

deutsch-japanischen und internationalen Rechtsvergleich<br />

wurden Vereinheitlichungen im Wirtschaftsund<br />

Zivilrecht und der Einfluss und die Grenzen des<br />

Völkerrechts diskutiert sowie Lösungen für die rechtlichen<br />

Folgen der Globalisierung gesucht. Teilnehmer<br />

waren neben rund 2<strong>50</strong> Rechtsexperten und Nachwuchswissenschaftlern<br />

aus beiden Ländern die deutsche<br />

Justizministerin Brigitte Zypries, der japanische<br />

Vizejustizminister Shigeyuki Tomita, der Präsident des<br />

Europäischen Gerichtshofs Professor Vassilios Skouris<br />

sowie der Vizepräsident des deutschen Bundesverfassungsgerichts<br />

Professor Winfried Hassemer. Der Kongress<br />

fand als Teil des Deutschlandjahres in Japan statt<br />

und war eine gemeinsame Veranstaltung der <strong>Humboldt</strong>-<strong>Stiftung</strong><br />

und des Deutschen Akademischen Austauschdienstes<br />

in Zusammenarbeit mit der Japan<br />

Society for the Promotion of Science.<br />

Weltkongress der Germanistik in Paris<br />

Mehr als 1.200 Teilnehmer folgten der Einladung <strong>von</strong><br />

Professor Jean-Marie Valentin, <strong>Humboldt</strong>-Forschungspreisträger<br />

und Präsident der Internationalen<br />

Vereinigung für Germanistik (IVG), zum Weltkongress<br />

der IVG in Paris vom 26. August bis 3. September<br />

2005. Die weltweit wichtigste Germanistentagung findet<br />

alle fünf Jahre statt, diesmal zum Thema „Germanistik<br />

im Konflikt der Kulturen“. Die <strong>Humboldt</strong>ianer<br />

Professor Theodore Ziolkowski aus Princeton, Professor<br />

Anil Bhatti aus Neu Delhi und Professor Yushu<br />

Zhang aus Peking eröffneten jeweils einen Tag des<br />

Kongresses. Neu gewählter IVG-Präsident und vierter<br />

<strong>Humboldt</strong>ianer in diesem Amt ist der <strong>Humboldt</strong>-Forschungspreisträger<br />

Professor Franciszek Krysztof<br />

Grucza aus Polen. Professor Dimitrij Dobrovolskij,<br />

ebenfalls <strong>Humboldt</strong>ianer, wurde mit dem Grimm-<br />

Preis des Deutschen Akademischen Austauschdienstes<br />

ausgezeichnet.<br />

58 >> <strong>Humboldt</strong> kosmos 86/2005<br />

Legal experts meet in Tokyo<br />

The Congress “Globalisation and law – Japanese and<br />

German contributions to an international system of<br />

laws in the 21 st century” took place in Tokyo from the<br />

29 th September to the 1 st October. In a comparison of<br />

German-Japanese and international law, standardisations<br />

in commercial and civil law and the influence and<br />

limits of international law were discussed and solutions<br />

were sought for the urgent legal consequences of globalisation.<br />

In addition to around 2<strong>50</strong> legal experts and junior<br />

scientists from both countries, the congress was<br />

attended by German Minister of Justice Brigitte Zypries,<br />

Japanese Vice-Minister of Justice Shigeyuki Tomita, the<br />

President of the European Court of Justice, Professor<br />

Vassilios Skouris, and the German Federal Constitutional<br />

Court’s Vice-President Professor Winfried Hassemer.<br />

The Congress was part of the German Year in<br />

Japan and was jointly run by the <strong>Humboldt</strong> Foundation<br />

and the German Academic Exchange Service in cooperation<br />

with the Japan Society for the Promotion of<br />

Science.<br />

World congress of German language<br />

and literature in Paris<br />

More than 1,200 participants accepted the invitation by<br />

Professor Jean-Marie Valentin, <strong>Humboldt</strong> Research<br />

Award Winner and President of the “International<br />

Association for Germanic Studies” (IVG), to the IVG<br />

World Congress in Paris from the 26 th August to the 3 rd<br />

September 2005. This congress, the most important<br />

meeting of the subject’s scholars world-wide, takes place<br />

every five years, and this time, it focused on the topic of<br />

“German language and literature in a field of tension<br />

between cultures”. <strong>Humboldt</strong>ians Professor Theodore<br />

Ziolkowski from Princeton, Professor Anil Bhatti from<br />

New Delhi and Professor Yushu Zhang from Beijing<br />

each opened one day of the congress. The newly elected<br />

IVG President, and the fourth <strong>Humboldt</strong>ian to hold this<br />

office, is <strong>Humboldt</strong> Research Award Winner Professor<br />

Franciszek Krysztof Grucza from Poland. <strong>Humboldt</strong><br />

Fellow Professor Dimitrij Dobrovolskij was honoured<br />

with the Grimm Prize of the German Academic<br />

Exchange Service.<br />

Neues aus der <strong>Stiftung</strong> News from the Foundation


Weiterführung des Japanese-German<br />

Frontiers of Science Symposiums<br />

Am 26. September 2005 unterzeichneten der Präsident<br />

der Japan Society for the Promotion of Science Professor<br />

Motoyuki Ono und der Generalsekretär der <strong>Alexander</strong><br />

<strong>von</strong> <strong>Humboldt</strong>-<strong>Stiftung</strong> Dr. Georg Schütte ein<br />

„Memorandum of Understanding“ zur Weiterführung<br />

des Japanese-German Frontiers of Science Symposiums<br />

bis 2007. Dem ersten Symposium im Januar 2005 in<br />

Mainz folgte bereits im November die zweite Konferenz<br />

in Kanagawa, Japan. Die Symposien bieten jungen<br />

Natur- und Sozialwissenschaftlern aus Japan und<br />

Deutschland die Gelegenheit, sich fachübergreifend<br />

auszutauschen und gemeinsame Forschungsinteressen<br />

zu entdecken. Die Treffen sollen den Dialog zwischen<br />

japanischen und deutschen Nachwuchswissenschaftlern<br />

fördern sowie bilaterale Wissenschaftskooperationen<br />

und Kontakte unter den Wissenschaftlern beider<br />

Nationen stärken.<br />

Organisationsreform der<br />

<strong>Alexander</strong> <strong>von</strong> <strong>Humboldt</strong>-<strong>Stiftung</strong><br />

Seit dem 1. September hat die Geschäftsstelle der<br />

<strong>Alexander</strong> <strong>von</strong> <strong>Humboldt</strong>-<strong>Stiftung</strong> in Bonn eine<br />

neue Organisationsstruktur. Mit dem neuen Zuschnitt<br />

vieler Arbeitsbereiche und Abläufe will die <strong>Stiftung</strong><br />

die Wirksamkeit ihrer Arbeit sichern und die in den<br />

letzten Jahren kontinuierlichen Einschnitte in ihren<br />

Etat so weit es geht ausgleichen. Dies bedeutet große<br />

Umstellungen und Anstrengungen vor allem für die<br />

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Aber auch die<br />

<strong>Humboldt</strong>ianerinnen und <strong>Humboldt</strong>ianer sowie die<br />

Förderer und Partner werden die Veränderungen<br />

bemerken. Anfangs vielleicht noch durch Ungewohntes,<br />

etwa wenn langjährige Ansprechpartner nun<br />

andere Aufgaben haben und neue Verfahren alte Routinen<br />

ersetzen. Danach aber sollen <strong>Humboldt</strong>ianer<br />

sowie Förderer und Partner <strong>von</strong> den Veränderungen<br />

profitieren: durch den Erhalt gewohnter Stärken und<br />

einen weiter verbesserten Service.<br />

Im Kern gibt es folgende Änderungen:<br />

• Die verschiedenen Beratungsleistungen sind in einem<br />

neuen Referat „Marketing und Mobilitätszen-<br />

59 >> <strong>Humboldt</strong> kosmos 86/2005<br />

Dr. Georg Schütte, Generalsekretär<br />

der <strong>Humboldt</strong>-<strong>Stiftung</strong>,<br />

und Professor Motoyuki Ono,<br />

Präsident der Japan Society for<br />

the Promotion of Science<br />

Dr. Georg Schütte, Secretary<br />

General of the <strong>Humboldt</strong><br />

Foundation, and Professor<br />

Motoyuki Ono, President of the<br />

Japan Society for the Promotion<br />

of Science<br />

Continuation of the Japanese-German<br />

Frontiers of Science Symposium<br />

On the 26 th September 2005, the President of the<br />

Japan Society for the Promotion of Science, Professor<br />

Motoyuki Ono, and the <strong>Alexander</strong> <strong>von</strong> <strong>Humboldt</strong><br />

Foundation’s Secretary General, Dr. Georg Schütte,<br />

signed a “Memorandum of Understanding” on a continuation<br />

of the Japanese-German Frontiers of Science<br />

Symposium up to 2007. The first Symposium, which<br />

took place in Mainz in January 2005, was already<br />

followed in November by the second conference in<br />

Kanagawa, Japan. The symposia offer junior natural<br />

and social scientists from Japan and Germany the<br />

opportunity to engage in interdisciplinary exchange<br />

and discover common research interests. The meetings<br />

are to promote dialogue between Japanese and German<br />

junior scientists and boost bilateral academic co-operation<br />

and links among the scientists of both nations.<br />

Organisational reform of the<br />

<strong>Alexander</strong> <strong>von</strong> <strong>Humboldt</strong> Foundation<br />

A new organisational structure was introduced for<br />

the Headquarters of the <strong>Alexander</strong> <strong>von</strong> <strong>Humboldt</strong><br />

Foundation in Bonn on September 1 st . The reorganisation<br />

of several activity areas and procedures is to<br />

ensure the effectiveness of the Foundation’s work and<br />

compensate, wherever this is possible, for the continuous<br />

cuts in its budget over the last few years. This means big<br />

changes and efforts on the part of the staff in particular.<br />

But the <strong>Humboldt</strong>ians as well as the sponsors and partners<br />

are going to notice the changes, too. Initially, some<br />

aspects might be unfamiliar, for example if long-standing<br />

contacts happen to have new responsibilities or<br />

when new procedures replace old routines. But afterwards,<br />

<strong>Humboldt</strong>ians as well as sponsors and partners<br />

are expected to benefit from the changes: by retaining<br />

strengths they are accustomed to and by even better<br />

service standards.<br />

The major changes are:<br />

• The various advisory services have been combined in the<br />

new “Marketing and Mobility Centre”. In this way, academics<br />

interested in the funding programmes who are seek-<br />

Neues aus der <strong>Stiftung</strong> News from the Foundation<br />

Weitere Informationen<br />

unter: www.humboldtfoundation.de/en/<br />

netzwerk/frontiers<br />

Further information at:<br />

www.humboldt-foundation.de/en/netzwerk/<br />

frontiers


trum“ zusammengefasst worden. Dadurch können<br />

die Erstberatung <strong>von</strong> Interessenten an den Förderprogrammen<br />

und die allgemeine Beratung im Rahmen<br />

des deutschen Mobilitätszentrums für Forscher<br />

aus einer Hand erfolgen.<br />

• Innerhalb der Auswahlabteilung sind die Zuständigkeiten<br />

nicht mehr nach dem Förderprogramm und<br />

dem Namen des Bewerbers, sondern nach Fächern<br />

gegliedert. Auf diese Weise hat in Zukunft jeder wissenschaftliche<br />

Gastgeber und jeder Gutachter dauerhaft<br />

die gleichen Ansprechpartner in der <strong>Stiftung</strong>.<br />

• Die zwei bisherigen Abteilungen für die Betreuung<br />

der <strong>Humboldt</strong>ianer während des Erstaufenthaltes<br />

in Deutschland und während des Nachkontaktes<br />

sind zusammengelegt worden. Die daraus neu entstandene<br />

Abteilung „Förderung und Netzwerk“ ist<br />

nach geografischen Gesichtspunkten in vier Regionalreferate<br />

gegliedert, so dass nun jeder <strong>Humboldt</strong>ianer<br />

möglichst auch über die Erstförderung hinaus<br />

die gleichen Ansprechpartner in der <strong>Stiftung</strong> hat.<br />

Parallel zu der neuen Organisationsstruktur werden<br />

zahlreiche Verwaltungsverfahren gestrafft und<br />

vereinheitlicht.<br />

Präsident Wolfgang Frühwald<br />

feiert 70. Geburtstag<br />

Rund 130 Gäste waren am 5. Oktober auf Einladung<br />

der <strong>Alexander</strong> <strong>von</strong> <strong>Humboldt</strong>-<strong>Stiftung</strong> in die Bad<br />

Godesberger Redoute gekommen, um den 70.<br />

Geburtstag ihres Präsidenten, Professor Dr. Wolfgang<br />

Frühwald, und seiner Frau Viktoria Frühwald in einem<br />

feierlichen Festkolloquium zu begehen. <strong>Humboldt</strong>ianer,<br />

Freunde und langjährige Weggefährten aus Kultur,<br />

Politik und Wissenschaft sowie Mitarbeiter der<br />

<strong>Humboldt</strong>-<strong>Stiftung</strong> trafen sich zu einer „Literarischen<br />

Weltreise“.<br />

Die Stationen der <strong>von</strong> Generalsekretär Dr. Georg<br />

Schütte moderierten Reise markierten die Auftritte<br />

<strong>von</strong> <strong>Humboldt</strong>ianern: Professor Dr. Naoji Kimura aus<br />

Japan, Professor Dr. Luigi Forte aus Italien und Dr.<br />

Sorin Gadeanu aus Rumänien berichteten über ihre<br />

60 >> <strong>Humboldt</strong> kosmos 86/2005<br />

ing advice for the first time as well as researchers<br />

looking for general advice in the context of the German<br />

Mobility Centre can be offered services all in one.<br />

• Within the Selection Division, the responsibilities are<br />

not distributed according to the funding programme<br />

and the applicant’s name but according to subjects. In<br />

this way, every academic host and every reviewer will<br />

permanently have the same contacts in the<br />

Foundation in future.<br />

• The two divisions handling support for the <strong>Humboldt</strong>ians<br />

during their first stay in Germany and<br />

during follow-up contact have been merged. The resulting<br />

“Funding and Networking” division is subdivided<br />

into four regional units along geographical<br />

lines, so that each <strong>Humboldt</strong>ian has the same contacts<br />

in the Foundation, starting with initial sponsorship.<br />

In parallel with the new organisational structure,<br />

numerous administrative procedures are going to be<br />

streamlined and standardised as well.<br />

President Wolfgang Frühwald<br />

celebrates his 70 th birthday<br />

On the 5 th October, around 130 guests came to Bad<br />

Godesberg’s Redoute at the invitation of the <strong>Alexander</strong><br />

<strong>von</strong> <strong>Humboldt</strong> Foundation to celebrate the 70 th birthdays<br />

of its President, Professor Dr. Wolfgang Frühwald,<br />

and his wife Viktoria Frühwald with a ceremonial festive<br />

colloquium. <strong>Humboldt</strong>ians, friends and longstanding<br />

companions from culture, politics and the academic<br />

world as well as <strong>Humboldt</strong> Foundation staff met<br />

to embark on a “literary tour of the world”.<br />

The stops of the trip, moderated by Secretary General<br />

Dr. Georg Schütte, were marked by presentations<br />

given by <strong>Humboldt</strong>ians Professor Dr. Naoji Kimura<br />

from Japan, Professor Dr. Luigi Forte from Italy and<br />

Dr. Sorin Gadeanu from Romania, who gave accounts<br />

of their meetings with Wolfgang Frühwald.<br />

Neues aus der <strong>Stiftung</strong> News from the Foundation<br />

Das neue Organigramm<br />

im Internet:<br />

www.humboldt-foundation.de/de/stiftung/<br />

organigramm<br />

The new organisation<br />

chart in the Internet:<br />

www.humboldt-foundation.de/en/stiftung/<br />

organigramm


Begegnungen mit Wolfgang Frühwald. Die amerikanische<br />

Bundeskanzler-Stipendiatin Sommer Noel<br />

Ulrickson interpretierte in einer Tanzperformance<br />

Texte des deutschen Dramatikers Heiner Müller. Den<br />

musikalischen Höhepunkt setzte Barbara Frühwald,<br />

die Tochter des Geburtstagskinds, mit Interpretationen<br />

<strong>von</strong> Chansons, Liedern aus Israel und Italien<br />

sowie internationalen Jazzklassikern.<br />

Ein besonderes Geschenk erhielt der Präsident der<br />

<strong>Humboldt</strong>-<strong>Stiftung</strong> <strong>von</strong> der Marga und Kurt Möllgaard-<strong>Stiftung</strong><br />

im Stifterverband für die Deutsche<br />

Wissenschaft. Die <strong>Stiftung</strong> würdigt Wolfgang Frühwalds<br />

Verdienste in der Wissenschaftsförderung mit<br />

dem 2005 erstmals verliehenen Marga und Kurt Möllgaard-Preis.<br />

Mit dem Preis soll die wissenschaftliche<br />

Leistung eines Nachwuchswissenschaftlers aus Osteuropa<br />

ausgezeichnet werden. Wolfgang Frühwald wird<br />

die Forscherin oder den Forscher selbst auswählen<br />

und das Stipendium verleihen.<br />

Wolfgang Frühwald genießt den Ruf eines der<br />

renommiertesten deutschen Experten in der internationalen<br />

Wissenschaftsförderung und Bildungspolitik<br />

und eines bedeutenden Literaturwissenschaftlers. Als<br />

langjähriger Präsident zunächst der Deutschen Forschungsgemeinschaft<br />

und seit 1999 der <strong>Humboldt</strong>-<br />

<strong>Stiftung</strong> ist er ein erfahrener und leidenschaftlicher<br />

Wissenschaftsmanager, der immer auch die Brücke<br />

schlug zwischen der Kunst, den Geistes- und den<br />

Naturwissenschaften. Er ist der erste Geisteswissenschaftler<br />

im Amt des Präsidenten der <strong>Humboldt</strong>-<strong>Stiftung</strong>.<br />

Im Laufe seiner Karriere wurde er mit zahlreichen<br />

wissenschaftlichen Auszeichnungen geehrt.<br />

Zuletzt erhielt er am 17. November dieses Jahres einen<br />

der höchsten deutschen Orden, das Große Verdienstkreuz<br />

mit Stern des Verdienstordens der Bundesrepublik<br />

Deutschland.<br />

Weitere Informationen zu Vita und Ehrungen Wolfgang Frühwalds unter:<br />

www.humboldt-foundation.de/de/stiftung/praesidenten/fruehwald.htm<br />

Further information on Wolfgang Frühwald’s life and honours at:<br />

www.humboldt-foundation.de/en/stiftung/praesidenten/fruehwald.htm<br />

61 >> <strong>Humboldt</strong> kosmos 86/2005<br />

Professor Dr. Wolfgang<br />

Frühwald und Ehefrau<br />

Viktoria Frühwald im Kreise<br />

<strong>von</strong> Familie und Freunden.<br />

Professor Dr. Wolfgang<br />

Frühwald and his wife<br />

Viktoria Frühwald with<br />

family and friends.<br />

In a dance performance, Sommer Noel Ulrickson, an<br />

American Federal Chancellor Fellow, interpreted texts<br />

written by German dramatist Heiner Müller. The musical<br />

climax was provided by Barbara Frühwald, the<br />

birthday boy’s daughter, with versions of chansons,<br />

songs from Israel and Italy and international jazz classics.<br />

The <strong>Humboldt</strong> Foundation’s President received a<br />

special present from the Marga and Kurt Möllgaard<br />

Foundation in the Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft<br />

(Donors' Association for the Promotion of Sciences<br />

and Humanities in Germany). This foundation is<br />

paying tribute to Wolfgang Frühwald’s achievements in<br />

the promotion of science with the Marga and Kurt<br />

Möllgaard Prize, awarded for the first time in 2005 and<br />

intended to distinguish a junior scientist from Eastern<br />

Europe for his or her academic performance. Wolfgang<br />

Frühwald is to choose the researcher himself and award<br />

the fellowship.<br />

Wolfgang Frühwald enjoys the reputation of being<br />

one of Germany’s most senior experts in international<br />

science promotion and education policy as well that of a<br />

renowned literary scholar. As long-standing President<br />

of, initially, the Deutsche Forschungsgemeinschaft<br />

(German Research Foundation) and, since 1999, the<br />

<strong>Humboldt</strong> Foundation, he is an experienced and passionate<br />

science manager who has always succeeded in<br />

forging links between art, the humanities and the sciences.<br />

He is the first humanities scholar to have taken<br />

office as President of the <strong>Humboldt</strong> Foundation. He has<br />

been honoured with numerous academic awards in the<br />

course of his career. Recently, on the 17 th November of<br />

this year, he received one of the highest German decorations,<br />

the Große Verdienstkreuz mit Stern des Verdienstordens<br />

(Knight Commander’s Cross of the Order<br />

of Merit) of the Federal Republic of Germany.


Vom Zyklopen bis zum Alien – die mythischen Ungeheuer<br />

sind bis heute nicht ausgestorben. Die Faszination<br />

der Menschen <strong>von</strong> unbezwingbaren Monstern<br />

hält sie am Leben.<br />

Beim Stichwort „Mythologie“ denkt man zunächst an<br />

die <strong>von</strong> Ovid, Hesoid, Homer und Vergil geschaffene<br />

antike Sagenwelt. Der Mythos ist eine Erzählung vom<br />

Anfang der Zeit, der Götter und der Menschen. Die<br />

Monster lassen sich in eine Welt der Geschichten hineinholen,<br />

die die reale Welt lebbar machen und die<br />

Menschen handlungsfähig erscheinen lassen. Gegenüber<br />

einem riesigen Kosmos, einer unendlichen Zeit<br />

und einer gefährlichen Natur, erscheint der Mensch<br />

klein und ohnmächtig. Im Mythos aber kann er das<br />

Fremde und Übermächtige zähmen, indem er ihm einen<br />

Sinn und eine eigene Geschichte gibt.<br />

Diese mit dem Mythos verbundene Archaik widerspricht<br />

scheinbar der Moderne, deren Selbstverständnis<br />

sich aus dem rationalen Handeln der Individuen<br />

ableiten soll. Der Moderne wird eine übermäßige Betonung<br />

der Rationalität vorgeworfen, die sich gegen alles<br />

richtet, was fremd, unbekannt und nicht vernünftig ist.<br />

Wie kommt es dann, dass nach wie vor eine Faszination<br />

<strong>von</strong> Ungeheuern und Monstern ausgeht?<br />

Moderne Mythen<br />

Nicht nur, dass die Monster noch immer nicht ausgestorben<br />

sind. Das Unheimliche ist monströser denn je.<br />

Weil man es nicht mehr in Gestalt übermenschlicher<br />

Mächte auftreten lassen kann, bleibt nur mehr das Erschrecken<br />

der Menschen über sich selbst. Denn mit den<br />

mythischen Geschichten verschwindet weder die Gewalt<br />

noch sind die modernen technischen Errungenschaften<br />

per se harmlos.<br />

Für die Erzählung moderner Mythen ist der Film<br />

das brauchbarste Medium, weil er jung genug ist, um<br />

gegenüber dem klassischen Medium Buch etwas Eigenständiges<br />

darzustellen, gleichzeitig aber konventionell<br />

genug, um in der Mitte der Kultur platziert zu sein.<br />

Schließlich existiert mit der Science Fiction ein spezielles<br />

Genre, das sich besonders gut für mythologische Erzählungen<br />

eignet, die eigens für die Moderne gemacht<br />

sind.<br />

Konsequent wird dort die Erzählung mythischer<br />

Taten in den Kosmos verlegt. In den unendlichen Wei-<br />

62 >> <strong>Humboldt</strong> kosmos 86/2005<br />

Wissenschaft und Kultur Science and Culture<br />

Jörn Ahrens<br />

Von der Antike ins Weltall<br />

From the antique to outer space<br />

Whether it be the Cyclops or the alien – mythological<br />

monsters still aren’t extinct. What keeps them<br />

alive is that unbeatable beasts seem to fascinate<br />

people.<br />

When mention is made of “mythology”, one will first of<br />

all think of the antique legends created by Ovid, Hesoid,<br />

Homer and Vergil. A myth is a tale from the beginnings<br />

of time, the gods and humankind. The monsters can be<br />

integrated into a world of stories that help people to cope<br />

with the real world and seemingly give their characters<br />

the ability to act. Faced with a gigantic cosmos, infinite<br />

time and nature which is full of dangers, the human<br />

being appears to be small and helpless. But in the myth,<br />

he can tame alien and overpowering forces by giving<br />

them a meaning and a tale of their own.<br />

This archaic concept related to myths appears to<br />

clash with modernity, whose self-understanding is supposed<br />

to be deduced from the rational action of individuals.<br />

Modernity is accused of overemphasising a rationality<br />

which opposes everything that is strange, unknown<br />

and unreasonable. So how come ogres and monsters<br />

still tend to fascinate us?<br />

Modern myths<br />

Not only have monsters still not died out, the uncanny<br />

tends to be more monstrous than ever. Because one can<br />

no longer have it appear in the shape of superhuman<br />

forces, all that is left is for people to become scared of<br />

themselves. For just because the mythical tales are a thing<br />

of the past, this does not mean that overwhelming forces<br />

have ceased to exist or that the modern technological<br />

achievements are per se harmless.<br />

Films are the best medium to narrate modern myths<br />

because they are still young enough to represent something<br />

independent vis-à-vis the traditional medium of<br />

the book while still being conventional enough to assume<br />

a central role in culture. Finally, science fiction constitutes<br />

a special genre that is particularly suitable for<br />

mythological tales written explicitly for modernity.<br />

There, tales of mythical acts are consistently transferred<br />

to the cosmos. In the infinite depths of space travelled<br />

in the past only by Elohim and sun chariots, spaceships<br />

meet each other in science fiction on optimally<br />

charted routes. Nevertheless, they keep surrounded by<br />

the blackness of space that science fiction continues to<br />

*******<br />

Dr. Jörn Ahrens ist Kulturwissenschaftler<br />

an<br />

der <strong>Humboldt</strong>-Universität<br />

Berlin. Zurzeit forscht er<br />

als Feodor Lynen-Forschungsstipendiat<br />

am<br />

Massachusetts Institute<br />

of Technology in Cambridge,<br />

USA.<br />

*******<br />

Dr. Jörn Ahrens is a<br />

scholar of cultural<br />

studies at Berlin’s <strong>Humboldt</strong><br />

University. He is<br />

currently doing research<br />

as a Feodor Lynen<br />

Research Fellow at the<br />

Massachusetts Institute<br />

of Technology in Cambridge,<br />

USA.


Das Biest und die Schöne: Szenen aus „Alien – Director’s Cut“<br />

The Beast and the beauty. Scenes from “Alien – Director's Cut”<br />

ten des Weltraums, in denen einst nur Elohim und Sonnenwagen<br />

kreuzten, treffen in der Science Fiction Raumschiffe auf bestens kartographierten<br />

Routen aufeinander. Trotzdem bleibt drumherum die<br />

Schwärze des Weltraums, die die Science Fiction weiterhin in das Licht<br />

des Unheimlichen taucht. Weitab im Nichts des Alls lauern unaufhörlich<br />

diverse Monstren und dunkle Mächte, die im Zweifelsfall größer,<br />

mächtiger und schrecklicher sind, als die Schar kosmischer Argonauten.<br />

Über diese Form der medialen Inszenierung kann sich auch die<br />

Moderne noch ihres Selbstverständnisses vergewissern. Im Film werden<br />

mythologische Motive aufgenommen und für die zeitgenössische<br />

Konsumentenkultur transformiert. Die Mythologie der Moderne besitzt<br />

die Besonderheit, dass sie sich nicht zurückphantasiert, sondern<br />

nach vorn in einen unbekannten Zeit-Raum vorstößt. Trotzdem erzählt<br />

auch diese Mythologie <strong>von</strong> einem Ursprung, wenn die in den<br />

Weltraum katapultierten Helden auf fremde Wesen treffen und zeigen<br />

müssen, dass sie trotz all der Armaturen, mit denen sie sich umgeben<br />

haben, selbst überleben können. Dieses Muster lässt sich natürlich in<br />

zahllosen Science Fiction-Filmen antreffen, aber in „Alien“, einem heute<br />

als Klassiker des Genres verehrten Film des Briten Ridley Scott aus<br />

dem Jahr 1979, verdichtet es sich besonders stark.<br />

Gefährliche Neugier<br />

Neugierde zeichnet die Menschen in der Moderne aus. Nur durch eine<br />

uferlose, zuweilen abenteuerliche Neugier entsteht Wissen, das sich<br />

anhäuft und vermehrt und schließlich sogar die Eroberung des Weltraums<br />

ermöglicht. Das kann auch gefährlich sein und geht nicht ohne<br />

Abenteuer und Konflikte ab. So steht auch in dem Film „Alien“ am<br />

Beginn allen Unheils die Neugierde eines Besatzungsmitglieds des<br />

Raumfrachters „Nostromo“, durch die er die Aufmerksamkeit eines<br />

fremden, aggressiven Organismus auf sich zieht und diesen so mit an<br />

Bord schleppt. Dieser Organismus stammt aus einer wenig einladenden<br />

Höhle im Inneren eines gestrandeten Raumschiffs einer offenbar<br />

fremden Zivilisation. Höhlen fungieren als Reich der Toten ebenso wie<br />

als Ort des Ursprungs menschlicher Kultur, und im Schutz <strong>von</strong> Höhlen<br />

leben sowohl diverse Heroen als auch Ungeheuer im Verborgenen<br />

und warten auf ihre Gelegenheit. Auf diese Weise werden archaisierende<br />

Ursprungsphantasien und der ungezähmte neuzeitliche Wissensdurst<br />

geschickt miteinander verbunden.<br />

63 >> <strong>Humboldt</strong> kosmos 86/2005<br />

cast the light of the uncanny into. A multitude of monsters and dark<br />

forces are constantly lurking far away in the nothingness of space that<br />

might well be bigger, more powerful and also more terrible than the host<br />

of cosmic argonauts. This kind of medial stage management is also a way<br />

for modernity to reassure itself of its self-understanding. A film adopts<br />

mythological motives, transforming them for contemporary consumer<br />

culture. What is special about the mythology of modernity is that it does<br />

not fantasise into the past but ventures forwards, into a new time and<br />

space. Even so, this mythology also relates to an origin when the heroes<br />

catapulted into outer space encounter alien beings and have to demonstrate<br />

that they can survive in spite of all the instruments they have surrounded<br />

themselves with. Of course this pattern can be found in countless<br />

science fiction films, but in “Alien”, created by the British film director<br />

Ridley Scott in 1979 and praised nowadays as a classic of this genre,<br />

it appears in a particularly condensed form.<br />

Dangerous inquisitiveness<br />

People living in the modern world are distinguished by curiosity. Knowledge<br />

that accumulates and multiplies to eventually enable the conquest<br />

of space can only develop thanks to a boundless, perhaps even adventurous<br />

inquisitiveness. This can also be dangerous and does not progress<br />

without adventures and conflicts. In the film "Alien", too, disaster is preceded<br />

by the curiosity of a crew member on board the space cargo ship<br />

"Nostromo" because of which he attracts the attention of an alien,<br />

aggressive organism that he then carries on board. This organism comes<br />

from a hardly inviting cave inside a stranded spaceship of a clearly hitherto<br />

unknown civilisation. Caves serve as the realm of the dead as well as<br />

providing human culture’s location of origin, and both a multitude of<br />

heroes and monsters live in caves, waiting for their opportunity to come.<br />

This is a clever way of linking fantasies about the origin of life and the<br />

world that relate to archaic concepts and modernity’s unfettered thirst<br />

for knowledge.<br />

However, embarking on a successive decimation of the cargo ship’s<br />

crew, the alien itself soon proves to be even more dangerous than curiosity.<br />

Ultimately, it transpires that its getting there is by no means a coincidence<br />

but that the power of curiosity has long in advance, and in the<br />

dark, drawn its plans to see to this. The corporation that owns the space<br />

cargo ship carefully set up this coup in order to use the extremely resis-


*****************<br />

„In den unendlichen Weiten des Weltraums, in denen<br />

einst nur Elohim und Sonnenwagen kreuzten, treffen<br />

in der Science Fiction Raumschiffe auf bestens kartographierten<br />

Routen aufeinander.“<br />

*****************<br />

“In the infinite depths of space travelled in the past<br />

only by Elohim and sun chariots, spaceships meet each<br />

other in science fiction on optimally charted routes.”<br />

Als noch gefährlicher als die Neugierde erweist sich jedoch schnell<br />

das Alien selbst, das sukzessive die Besatzung des Frachters dezimiert.<br />

Schließlich stellt sich heraus, dass es keinesfalls zufällig dorthin gelangt<br />

ist, sondern jene Macht der Neugierde <strong>von</strong> langer Hand und im Verborgenen<br />

genau dafür gesorgt hat. Der Konzern, der Besitzer des Raumfrachters<br />

ist, hat diesen Coup sorgfältig eingefädelt, um die äußerst<br />

widerstandsfähige und aggressive Lebensform wissenschaftlich für die<br />

Entwicklung <strong>von</strong> Biowaffen zu nutzen. Aus diesem Grund wurde<br />

unter die Besatzung mit dem Wissenschaftsoffizier Ash auch ein<br />

Androide gemischt, der das Alien indirekt durch Unterlassung essentieller<br />

Hilfe schützt. Als <strong>von</strong> Menschen geschaffener Roboter kennt der<br />

Androide keine Gefühle, was ihn mit dem Alien verbindet. Es stellt für<br />

ihn gerade deshalb den perfekten Organismus dar, weil es vollkommen<br />

frei <strong>von</strong> Moral und Gewissen ist. Denn es sind genau diese Eigenschaften,<br />

die den Menschen verletzbar machen und damit ein mögliches<br />

menschliches Defizit darstellen. Wenn es darum geht, menschliche<br />

Moral gegen das Alien und den Androiden überlebensfähig zu<br />

machen, thematisiert der Film eine entscheidende Eigenschaft, die den<br />

Menschen sowohl <strong>von</strong> animalischen Organismen als auch <strong>von</strong> Göttern<br />

unterscheidet und nicht in technischer Kompetenz aufgeht.<br />

Letztlich handelt der Film <strong>von</strong> einem immerwährenden Kampf –<br />

nicht so sehr des Guten gegen das Böse. Denn obwohl mit dem Alien<br />

das denkbar Böse auf den Plan tritt, ist unter der Besatzung des Raumfrachters<br />

niemand ohne Abstriche „gut“. Geschildert wird ein Kampf<br />

um die menschliche Selbsterhaltung und das Überleben trotz des<br />

moralischen Makels. Begleitet werden die Menschen im Film dabei<br />

<strong>von</strong> einer fortwährenden Angst vor der Übermacht der Phänomene,<br />

denen sie ausgeliefert sind – ganz gleich ob es Natur oder Technik ist.<br />

Zwar wird mit dem Alien das Monströse wieder an ein Monster delegiert,<br />

aber zudem sind im ganzen Film weder die Kollegen noch die<br />

technischen Instrumentarien wirklich verlässlich. So zeigt sich, dass<br />

die in der mythischen Erzählung transportierten Motive <strong>von</strong> den Taten<br />

des Helden gegen Übermächte und für den Erhalt der Menschen<br />

noch immer als Misstrauen gegen die eigenen Produkte wie auch<br />

gegen Umweltbedingungen wirksam sind. Filme wie „Alien“ erzählen<br />

da<strong>von</strong>, dass dieses Misstrauen berechtigt ist und die Dämonen anwesend<br />

bleiben sowie dass es immer noch heroischer Anstrengungen<br />

bedarf, um die „conditio humana“ zu behaupten. Was Wunder, wenn<br />

der Bedarf an Erzählungen über mythologische Ungeheuer nach wie<br />

vor nicht gedeckt ist.<br />

64 >> <strong>Humboldt</strong> kosmos 86/2005<br />

tant and aggressive organism in the scientific development of bioweapons.<br />

This is why the crew also includes science officer Ash, an android<br />

that indirectly protects the alien by failing to provide essential<br />

help. As a robot created by humans, the android has no feelings, which<br />

affiliates him to the alien. To him, it represents the perfect organism precisely<br />

because it is completely free of morals and conscience. For exactly<br />

these properties make human beings vulnerable, representing a possible<br />

human deficit. When it comes to making human morals able to survive<br />

vis-à-vis the alien and the android, the film focuses on a crucial property<br />

distinguishing humans both from animal organisms and gods that has<br />

not become an element of technical competence.<br />

Ultimately, the film is about a continuous struggle – although not so<br />

much between good and evil. For while all conceivable evil enters the<br />

stage with the alien, none of the crew members are flawlessly “good”.<br />

Rather, the film shows a struggle for human self-preservation and survival<br />

in spite of moral blemishes, with the characters being accompanied<br />

by a continuous fear of the phenomena they have been exposed to gaining<br />

the upper hand – irrespective of whether they are natural or technical.<br />

Although monstrosities are once again allocated to a monster,<br />

throughout the entire film, neither the crew members nor the technical<br />

instruments are truly reliable. Thus it emerges that the motives for the<br />

deeds of the heroes against superior forces and for people’s self-preservation<br />

that are transported in the mythical tale are still effective in the<br />

shape of mistrust of one’s own products and of the environmental conditions.<br />

Films like “Alien” demonstrate that this mistrust is justified and<br />

that heroic efforts are still required to assert the “conditio humana”. Little<br />

wonder that the demand for tales of mythological monsters still exists.


>><br />

>><br />

>><br />

>><br />

>><br />

>><br />

>><br />

>><br />

Förderprogramme im Überblick Survey of sponsorship programmes<br />

Die <strong>Alexander</strong> <strong>von</strong> <strong>Humboldt</strong>-<strong>Stiftung</strong><br />

verleiht jedes Jahr:<br />

bis zu 600 Forschungsstipendien an hoch qualifizierte,<br />

promovierte Wissenschaftler aus dem Ausland im Alter<br />

<strong>von</strong> bis zu 40 Jahren für langfristige Forschungsaufenthalte<br />

in Deutschland<br />

bis zu <strong>50</strong> Georg Forster-Forschungsstipendien an hoch<br />

qualifizierte Wissenschaftler aus Entwicklungsländern<br />

im Alter <strong>von</strong> bis zu 45 Jahren für langfristige<br />

Forschungsaufenthalte in Deutschland<br />

bis zu 100 Forschungspreise an international anerkannte<br />

Wissenschaftler aus dem Ausland<br />

ungefähr 20 Friedrich Wilhelm Bessel-Forschungspreise<br />

an Spitzenwissenschaftler aus dem Ausland<br />

im Alter <strong>von</strong> bis zu 45 Jahren<br />

Sofja Kovalevskaja-Forschungspreise an erfolgreiche<br />

Spitzenwissenschaftler aus dem Ausland im Alter <strong>von</strong><br />

bis zu 35 Jahren zum Aufbau eigener Arbeitsgruppen<br />

für langfristige Forschungsaufenthalte in Deutschland<br />

(Verleihung alle zwei Jahre)<br />

bis zu 1<strong>50</strong> Feodor Lynen-Forschungsstipendien<br />

an hoch qualifizierte, promovierte, deutsche Wissenschaftler,<br />

die jünger als 38 Jahre sind, für langfristige<br />

Forschungsaufenthalte im Ausland<br />

2 Max-Planck-Forschungspreise an je einen in<br />

Deutschland und einen im Ausland tätigen Wissenschaftler<br />

zur Förderung der internationalen Zusammenarbeit<br />

je 10 Bundeskanzler-Stipendien für künftige Führungskräfte<br />

aus der Russischen Föderation und den USA<br />

Zuschüsse zu deutsch-amerikanischen und/oder -kanadischen<br />

Wissenschaftskooperationen in den Geistes-,<br />

Sozial-, Wirtschafts- und Rechtswissenschaften im<br />

Rahmen des TransCoop-Programms<br />

The <strong>Alexander</strong> <strong>von</strong> <strong>Humboldt</strong> Foundation<br />

grants annually:<br />

up to 600 research fellowships to highly qualified foreign<br />

scientists and scholars holding doctorates and aged up to<br />

40 years for long-term research stays in Germany<br />

up to <strong>50</strong> Georg Forster Research Fellowships to highly<br />

qualified scientists and scholars from developing countries,<br />

aged up to 45 years, for long-term research stays in<br />

Germany<br />

up to 100 research awards to internationally recognised<br />

scientists and scholars<br />

approximately 20 Friedrich Wilhelm Bessel Research<br />

Awards to outstanding scientists and scholars resident<br />

outside Germany and aged up to 45 years<br />

Sofja Kovalevskaja Research Awards to scientists and<br />

scholars from abroad with outstanding research records,<br />

aged up to 35 years, for establishing their own working<br />

groups for long-term research stays in Germany<br />

(awarded every two years)<br />

up to 1<strong>50</strong> Feodor Lynen Research Fellowships to highly<br />

qualified German scientists and scholars holding<br />

doctorates and aged up to 38 years, for long-term<br />

research stays abroad<br />

2 Max Planck Research Awards to a German and a<br />

foreign academic for international co-operation<br />

10 German Chancellor Scholarships each for prospective<br />

leaders from the Russian Federation and the USA<br />

Subsidies towards German-American and/or -Canadian<br />

academic research co-operations in the humanities, social<br />

sciences, economics and law under the TransCoop<br />

Programme

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!