Berichte über Landwirtschaft - BMELV
Berichte über Landwirtschaft - BMELV
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Band 84 (2) · 161–320 · August 2006 ISSN 0005-9080<br />
<strong>Berichte</strong> <strong>über</strong><br />
<strong>Landwirtschaft</strong><br />
Zeitschrift für Agrarpolitik und <strong>Landwirtschaft</strong><br />
Herausgegeben vom Bundesministerium für Ernährung,<br />
<strong>Landwirtschaft</strong> und Verbraucherschutz
Herausgeber: Die „<strong>Berichte</strong> <strong>über</strong> <strong>Landwirtschaft</strong>“ und „Sonderhefte der <strong>Berichte</strong> <strong>über</strong> <strong>Landwirtschaft</strong>“<br />
werden vom Bundesministerium für Ernährung, <strong>Landwirtschaft</strong> und Verbraucherschutz, Postfach<br />
14 02 70, D-53107 Bonn, Deutschland (Tel.: 0 30/20 06-32 06 oder -32 29), herausgegeben. Die Beiträge<br />
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Pflanzliche Erzeugung, Forst- und Holzwirtschaft“. Verantwortlicher Schriftleiter: Regdir Dr. Ulrich<br />
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Geschäftsführung: dr. Jürgen gUtbrod, leopold Freiherr von Und zU Weiler.<br />
Objektleiterin: JUtta vaihinger.<br />
Erscheinungsweise und Bezugspreis 2006: Es erscheint Band 84 mit 3 Heften. Jahresabonnement 204,30 €/<br />
SFr 399,60 einschl. 7 % Mehrwertsteuer und Versandkosten.<br />
Das Abonnement wird zum Jahresanfang berechnet und zur Zahlung fällig. Es verlängert sich stillschweigend,<br />
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This journal is covered by Biosciences Information Service of Biological Abstracts, by Current Contents (Series<br />
Agriculture, Biology and Environmental Sciences) of Institute for Scientific Information, and by World Agricultural<br />
Economics and Rural Sociology Abstracts (WAERSA) Bureau of the Commonwealth of Agriculture Economics.<br />
© 2006 W. Kohlhammer GmbH Stuttgart<br />
Gesamtherstellung: Druckerei W. Kohlhammer GmbH & Co. KG, Stuttgart<br />
Printed in Germany<br />
Ber. Ldw. 84 (2006), H. 1, S. 161–320<br />
ISSN 0005-9080
Inhalt<br />
Die energetische Nutzung von Mais in Biogasanlagen – Hinkt die Forschung der Praxis<br />
hinterher ?<br />
Von antJe herrmann und Friedhelm taUbe, Kiel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165<br />
Bedeutung der Pflanzenzüchtung für die Welternährung<br />
Von matin Qaim, Stuttgart-Hohenheim . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198<br />
Der Vorschlag für eine Richtlinie des Rates und Europäischen Parlaments <strong>über</strong><br />
Dienstleistungen im Binnenmarkt vom 10. Januar 2005 –Rechtsfolgenabschätzung für<br />
das <strong>BMELV</strong><br />
Von thomas pFeiFFer, bUrkhard hess, boris schinkels, matthias Weller,<br />
dennis blechinger, steFFen ganninger und benJamin gündling, Heidelberg . . . . . . . . . . . . . . 213<br />
Arbeitseinsatz in der deutschen <strong>Landwirtschaft</strong> und Beschäftigungseffekte politischer<br />
Maßnahmen<br />
Von Ferdinand Fasterding und daniela rixen, Braunschweig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243<br />
Jenseits des Rubikon? Der mögliche Beitrag von Systemaufstellungen und<br />
Lösungsorientierung zur Beratungsarbeit in der <strong>Landwirtschaft</strong><br />
Von hermann boland und thorsten michaelis, Gießen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264<br />
Unternehmen im Agrarbereich vor neuen Herausforderungen – Bericht <strong>über</strong><br />
die 45. Jahrestagung der Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften<br />
des Landbaues e. V. (GEWISOLA) 2005 in Göttingen –<br />
Von enno bahrs, stephan von cramon-taUbadel, achim spiller, lUdWig theUvsen,<br />
bernhard voget, Göttingen und ManFred zeller, Stuttgart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289<br />
Bücherschau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314
Die energetische Nutzung von Mais in Biogasanlagen –<br />
Hinkt die Forschung der Praxis hinterher ?<br />
Von antJe herrmann und Friedhelm taUbe, Kiel<br />
1 Einleitung<br />
U.S. Copyright Clearance Center Code Statement: 0005-9080/06/8402-165 $ 2.50/0<br />
165<br />
Im letzten Jahrhundert ist die globale Mitteltemperatur um 0,6 °C (+/-0,2 °C) angestiegen<br />
(40). Dabei handelt es sich um die stärkste Temperaturerhöhung während der letzten<br />
1000 Jahre auf der nördlichen Erdhalbkugel. Dar<strong>über</strong> hinaus waren die 90er-Jahre des<br />
20. Jahrhunderts weltweit das wärmste Jahrzehnt. Diese Erwärmung ist zu einem großen<br />
Teil menschlichen Aktivitäten zuzuordnen, die zu einer Konzentrationserhöhung von<br />
Treibhausgasen durch Verbrennung fossiler Rohstoffe, das Abholzen von Wäldern und bestimmte<br />
landwirtschaftliche Praktiken geführt haben. Ohne entsprechende Klimaschutzmaßnahmen<br />
im 21. Jahrhundert wird ein weiterer Anstieg der Temperatur prognostiziert.<br />
Der erste Schritt in Richtung einer weltweiten Klimaschutzpolitik erfolgte 1992. In<br />
der Klimarahmenkonvention verpflichteten sich die Industrieländer zu einer langfristigen<br />
Senkung der Treibhausgasemissionen. Auf der Klimakonferenz in Kyoto 1997 haben die<br />
Vertragsstaaten das so genannte „Kyoto-Protokoll“ verabschiedet mit der Verpflichtung,<br />
ihre gemeinsamen Emissionen der sechs wichtigsten Treibhausgase (u. a. CO 2 , CH 4 , Fluorchlorkohlenwasserstoffe)<br />
verbindlich im Zeitraum von 2008 bis 2012 um mindestens<br />
5 % unter das Niveau von 1990 zu senken. Die entsprechende EG-Richtlinie 2001/77/EG<br />
musste von den Mitgliedsstaaten bis zum 27.10.2003 in nationales Recht umgesetzt werden.<br />
Sie sieht die Erhöhung des Anteils der Erneuerbaren Energien am Gesamtstromverbrauch<br />
der EU von 13,9 % (1997) auf 22 % im Jahr 2010 vor (bzw. 12 % des Bruttoinlandsenergieverbrauchs<br />
bis 2010). Dar<strong>über</strong> hinaus zielt die Klimapolitik auf nationaler Ebene<br />
darauf hin, die CO 2 Emissionen bis 2005 um 25 % gegen<strong>über</strong> 1990 zu senken. Um die<br />
angestrebten Ziele zu erreichen sollen erneuerbare Energien längerfristig zu einer maßgeblichen<br />
Quelle der Energieversorgung werden. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG)<br />
trat am 01.04.2000 in Kraft und regelt die Abnahme und die Vergütung von ausschließlich<br />
aus erneuerbaren Energien gewonnenem Strom. Ziel der Novellierung dieses Gesetzes ist<br />
es, den Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromversorgung auf mindestens 12,5 %<br />
bis 2010 und auf mindestens 20 % bis 2020 zu steigern. Dies soll insbesondere durch die<br />
verstärkte Nutzung von Biomasse erzielt werden.<br />
Die Vorteile der Biomassenutzung liegen in einer Reduktion des klimawirksamen CO 2 -<br />
Ausstoßes, einer nachhaltigen Produktion, sowie der Schonung sich verknappender fossiler<br />
Ressourcen. Biomasse kann durch die Land- und Forstwirtschaft in großer Menge<br />
bereitgestellt werden, insbesondere da eine Freisetzung von Flächen für die Non-Food<br />
Produktion in den nächsten Jahrzehnten zu erwarten ist. Die Biogasproduktion als eine<br />
mögliche Form der Biomassenutzung soll weitgehend geschlossene Nährstoffkreisläufe<br />
ermöglichen, eine Produktion in räumlicher Nähe zur Nutzung, und somit einen Beitrag<br />
zur Entwicklung ländlicher Räume leisten. Der Anteil erneuerbarer Energien am Primärenergieverbrauch<br />
Deutschlands betrug 2004 ca. 3,6 Prozent (14). Der Anbau von Mais<br />
zur Strom- und Wärmegewinnung <strong>über</strong> Biogas ist von rund 10 500 ha im Jahr 2004 auf<br />
ca. 70 000 ha im Jahr 2005 gestiegen (18) und verdeutlicht die rasche Entwicklung in<br />
diesem Bereich. Gleichermaßen hat die Anzahl Biogasanlagen zugenommen, mit einem
166 Antje Herrmann und Friedhelm Taube<br />
geschätzten Bestand von 4000 Anlagen für das Jahr 2005. Der Anteil von Biogas am Endenergieverbrauch<br />
liegt aber noch deutlich unter einem Prozent (14). Die vielerorts anfangs<br />
herrschende „Goldgräberstimmung“ scheint jedoch teilweise Ernüchterung gewichen zu<br />
sein angesichts von Problemen im Hinblick auf die Wirtschaftlichkeit von Biogasanlagen<br />
(9).<br />
Das Ziel dieses Beitrages ist es, den Status quo der pflanzenbaulichen Forschung zur<br />
energetischen Nutzung von Mais in Biogasanlagen darzustellen und potenziellen Forschungsbedarf<br />
aufzuzeigen. Um die vorhandenen Ergebnisse zur Biogasproduktion von<br />
Mais kritisch würdigen zu können, wird zunächst eine kurze Übersicht zum anaeroben<br />
Abbau von Biomasse und zu Schätzmethoden des Methanbildungsvermögens gegeben.<br />
2 Anaerober Abbau<br />
Der anaerobe Abbau organischer Substanz, d. h. hochmolekularer Verbindungen wie Polysaccharide,<br />
Proteine und Fette, geschieht durch das Zusammenwirken verschiedener Prokaryontengruppen.<br />
Der erste Schritt umfasst dabei die Hydrolyse organischer Polymere<br />
in niedermolekulare Verbindungen wie Zucker, Aminosäuren und langkettige Fettsäuren<br />
durch obligat oder fakultativ anaerobe Mikroorganismen (Abb. 1). Liegt das Gärsubstrat<br />
in Partikelform vor, kann die Hydrolyse limitierend auf den weiteren anaeroben Abbau<br />
wirken (89). Im nächsten Schritt, der Azidogenese, werden die aus der Hydrolyse resultierenden<br />
Zucker, Aminosäuren und langkettigen Fettsäuren durch fermentativ (Abb. 1)<br />
ACETATE<br />
ORGANIC POLYMERS<br />
1<br />
SUGARS AMINO ACIDS LONG-CHAIN FATTY ACIDS<br />
2 3<br />
5<br />
ELECTRON SINKS<br />
e.g.<br />
LACTATE, ETHANOL<br />
BUTYRATE, PROPIONATE<br />
4<br />
METHANE<br />
CARBON DIOXIDE<br />
Abb. 1. Der anaerobe Abbau organischer Substanz zu Methan<br />
Quelle: (13)<br />
HYDROGEN<br />
CARBON DIOXIDE<br />
6
Die energetische Nutzung von Mais in Biogasanlagen<br />
167<br />
oder oxidierend wirkende Organismen (Abb. 1) zu einer Vielzahl von Produkten weiter<br />
abgebaut. Am häufigsten zu finden sind Azetat, Propionat, Butyrat, Succinat, Alkohole, H 2<br />
und CO 2 . Diese Substanzen können nicht direkt von methanbildenden Bakterien verstoffwechselt<br />
werden, sondern müssen zunächst von obligat H 2 -synthetisierenden Bakterien<br />
<strong>über</strong> die Azetogenese zu Azetat, CO 2 und H 2 konvertiert werden (Abb. 1). Die Methanbildung<br />
erfolgt dann <strong>über</strong> azetoclastische (Abb. 1) oder H 2 -reduzierende Mikroorganismen<br />
(Abb. 1), wobei der Azetat-Reaktionsweg eine größere Bedeutung haben soll (79). Den<br />
H 2 -reduzierenden methanogenen Bakterien kommt jedoch eine Schlüsselrolle zu im Hinblick<br />
auf die Aufrechterhaltung eines niedrigen H 2 -Partialdrucks, auf den azetogene Mikroorganismen<br />
angewiesen sind. Der limitierende Schritt bei der Methanbildung scheint<br />
nicht die Methanogenese selbst zu sein, sondern die Produktion von Azetat und H 2 , d. h.<br />
die Azetogenese (58).<br />
Als wichtige Steuergrößen des anaeroben Abbaus sind neben der Temperatur, der pH-<br />
Wert, die Struktur des Substrates bzw. Zugänglichkeit für die Hydrolyse, die Art und<br />
Menge des Inokulums, das C:N:P-Verhältnis und Betriebsparameter wie die Raumbelastung<br />
und Verweildauer des Substrates im Fermenter zu nennen (44; 8).<br />
Die Temperatur beeinflusst in starkem Maße die Rate des mikrobiellen Stoffwechsels<br />
und die Löslichkeit der Substrate. Anaerober Abbau wird grundsätzlich in drei unterschiedlichen<br />
Temperaturbereichen durchgeführt, dem psychrophilen (< 20 °C), dem mesophilen<br />
(25–40 °C) und dem thermophilen (45–60 °C) Bereich, was zu einer Verschiebung<br />
in der Zusammensetzung der Mikrobenpopulation führen kann. In der Praxis <strong>über</strong>wiegen<br />
mesophil betriebene Anlagen (92). Der anaerobe Abbau findet in einem pH-Bereich von<br />
6,0 bis 8,3 statt, wobei der pH-Wert die hydrolytisch aktiven Enzyme und Mikroorganismen<br />
beeinflusst. Während methanogene und azetogene Organismen ein Optimum um pH<br />
7 aufweisen, liegt der optimale pH für Azidogene bei pH 6. Da Methanogene sensitiver<br />
auf pH-Änderungen reagieren als Azidogene, sollte in einphasigen Anlagen ein neutraler<br />
pH-Wert angestrebt werden. Eine puffernde Wirkung geht insbesondere von Bikarbonat,<br />
Schwefelwasserstoff, Dihydrogenphosphat und Ammoniak aus. Die Zusammensetzung<br />
des abzubauenden Substrates muss bestimmten Anforderungen genügen was die Makro-<br />
als auch Mikronährstoffe betrifft (1; 24). So wird für das C:N:P-Verhältnis ein Minimum<br />
von 100 : 28 : 6 angegeben. Die Vergärung spezieller Substrate erfordert dar<strong>über</strong> hinaus<br />
ein Inokulum, welches an die Substratzusammensetzung und Umweltbedingungen adaptiert<br />
ist. Dies trifft z. B. auf den Abbau fettreicher organischer Masse zu (7).<br />
Gewisse Substanzen können in Abhängigkeit ihrer Konzentration hemmend auf den<br />
anaeroben Abbau wirken. Zu nennen sind hier Nitrat und schwefelhaltige Verbindungen<br />
wie Sulfat, Sulfid und Schwefelwasserstoff. Auch Ammoniak, Lipide, flüchtige und langkettige<br />
Fettsäuren, Schwermetalle, Desinfektionsmittel, Antibiotika, sowie bestimmte<br />
Kationen wie K + Ca 2+ und Na + , können sich störend auf die Vergärung auswirken. Für<br />
nähere Angaben zu kritischen Konzentrationsbereichen siehe kaltschmidt und hartmann<br />
(44). Lipide beispielsweise können <strong>über</strong> einen rein physikalischen Effekt durch eine Umhüllung<br />
der Partikel die cellulolytische Aktivität reduzieren. Dar<strong>über</strong> hinaus können sich<br />
langkettige Fettsäuren, die aus der Hydrolyse von Triglyzeriden resultieren, auch schon<br />
bei geringen Konzentrationen hemmend auf azetogene, azetoclastische und H 2 -oxidierende<br />
Bakterien und damit auf die Methanproduktion auswirken (4; 7; 39). Dies scheint<br />
u. a. durch die Membrangängigkeit dieser Fettsäuren verursacht zu werden, welche die<br />
Integrität von Zellmembranen modifiziert, aber auch <strong>über</strong> eine Substrathemmung auf die<br />
β-Oxidation der Fettsäuren (48). Aus diesen Gründen werden pflanzliche Fette auch zur<br />
Reduktion der Methanoutputs in der Wiederkäuerernährung eingesetzt (61). Neben der<br />
Konzentration der langkettigen Fettsäuren im Fermenter ist auch deren Sättigungsgrad<br />
von Bedeutung. So geht von ungesättigten Fettsäuren wie Ölsäure oder Linolsäure ein
168 Antje Herrmann und Friedhelm Taube<br />
stärker hemmender Effekt auf die Methanbildung aus als von gesättigten Fettsäuren (48).<br />
Die Toxizität kann jedoch durch Absorption an Partikel herabgesetzt werden (6)<br />
3 Ermittlung der Methanausbeute<br />
3.1 Verfahrensvarianten<br />
Die Anlagentechnik zur Biogaserzeugung weist eine große Bandbreite auf. So kann bei<br />
der Art der Beschickung von Biogasanlagen zwischen kontinuierlichen und diskontinuierlichen<br />
Verfahren differenziert werden (53). Letztere werden auch als Batchverfahren bezeichnet.<br />
Auch bei der experimentellen Ermittlung der Methanausbeute in Laboranlagen<br />
findet man beide Beschickungsformen, deren Einsatzbereich von der jeweiligen Fragestellung<br />
abhängt. Als Batchverfahren sind beispielsweise der Hohenheimer Biogasertragstest<br />
(33) zu nennen, der aus dem Hohenheimer-Futterwerttest abgewandelt wurde und das Eudiometer<br />
(DIN 38 414-8), welches in der Faulschlammanalytik eingesetzt wird. Letzteres<br />
Verfahren wurde jedoch für dünnflüssige Substrate entwickelt und ist daher kaum geeignet<br />
für Gärsubstrate, die einen höheren Trockensubstanzgehalten aufweisen (34). Kontinuierliche<br />
Anlagen werden bisher meist von Versuchsanstellern in Eigenregie entworfen<br />
und gebaut und können daher in Bau- und Funktionsweise variieren. Sie weisen oft ein<br />
größeres Fermentervolumen auf als diskontinuierliche Anlagen und sind daher meist mit<br />
einem Rührwerk versehen. Der Vorteil von Batchverfahren liegt in den vergleichsweise<br />
niedrigen Kosten und der verhältnismäßig einfachen Durchführbarkeit. Praxis-Biogasanlagen<br />
werden jedoch meist im kontinuierlichen Betrieb gefahren (22). Durch stabilere<br />
Abbaubedingungen und eine verhältnismäßig stabilere Mikroorganismenpopulation von<br />
kontinuierlichen im Vergleich zu Batchverfahren sind von ersteren höhere Biogaserträge<br />
zu erwarten. Es ist daher kritisch zu hinterfragen, mit welcher Präzision diskontinuierliche<br />
Verfahren die Biogas- oder Methanausbeute von kontinuierlichen Anlagen abzuschätzen<br />
vermögen. Auch weitere Verfahrensvarianten wie die Prozesstemperatur, Nass-versus Trockenvergärung<br />
und Vergärung mit bzw. ohne Gülle können variierend auf die Gasausbeute<br />
wirken und sind daher zu berücksichtigen.<br />
In einem Methodenvergleich von steWart et al. (85) traten deutliche Abweichungen<br />
in der Biogasausbeute zwischen einem kontinuierlichen und einem diskontinuierlichen<br />
Verfahren zu Tage, mit einer Unterschätzung der kontinuierlich ermittelten Werte durch<br />
Batchversuche im unteren und einer Überschätzung im oberen Wertebereich. grUber et al.<br />
(25) fanden generell höhere Gasausbeuten in Labor-Batchversuchen im Vergleich zu einer<br />
Praxis-Biogasanlage. kaiser et al. (43) stellten eine höhere Ausbeute von Batchanlagen<br />
im Vergleich zu kontinuierlichem Betrieb fest, während linke und vollmer (56) einen<br />
gegenteiligen Effekt ausmachten. Untersuchungen zum Einfluss des Fermentervolumens<br />
auf die spezifische Gasausbeute lassen auch noch keine eindeutigen Schlüsse zu. Während<br />
Ergebnisse von helFrich und oechsner (34) auf einen tendenziell höheren Gasertrag<br />
für den Hohenheimer Biogasertragstest im Vergleich zu größeren Fermentern hindeuten,<br />
konnten kaiser et al. (43) keinen signifikanten Einfluss der Fermentergröße feststellen.<br />
In der landwirtschaftlichen Praxis ist ein Trend zu mehrphasigen Anlagen feststellbar.<br />
Solche Anlagen trennen die vier Schritte der anaeroben Vergärung, d. h. Hydrolyse, Azidogenese,<br />
Azetogenese und Methanogenese, räumlich, um den unterschiedlichen Umweltansprüchen<br />
der jeweiligen Mikroorganismengruppen besser gerecht zu werden und<br />
somit den Methanoutput steigern zu können. Auch hier ist zu prüfen, ob <strong>über</strong> einphasige<br />
Labormethoden eine Schätzung des Gasbildungsvermögens solcher Anlagen möglich ist.<br />
Eine Standardmethode zur Ermittlung des Biogasbildungspotenzials nachwachsender<br />
Rohstoffe, vergleichbar zum Hohenheimer Futterwerttest in der Futtermittelanalytik, ist
Die energetische Nutzung von Mais in Biogasanlagen<br />
169<br />
zur Zeit noch nicht verfügbar. Ebenso wenig gibt es Standards bzgl. des zu verwendenden<br />
Inokulums. Der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) hat jedoch mit der Richtlinie „Vergärung<br />
organischer Stoffe (VDI 4630)“ erstmals Regeln zur Beurteilung der Vergärbarkeit<br />
organischer Substanzen und der notwendigen Ausrüstung der entsprechenden Versuchsanordnungen<br />
erlassen.<br />
3.2 Schätzung des Biogas- bzw. Methanertragspotenzials<br />
Im Verlauf der anaeroben Gärung wird organische Masse zu CO 2 und CH 4 abgebaut. Ist die<br />
Zusammensetzung der organischen Substanz bekannt und verläuft der Abbau vollständig<br />
zu Biogas, kann das theoretische Methanertragsbildungspotenzial nach der Gleichung von<br />
symons und bUsWell (86) berechnet werden:<br />
b c 3d<br />
e<br />
CaH bOc<br />
NcSe<br />
+ ( a − − + + ) ⋅ H2O<br />
→<br />
4 2 4 4<br />
� a b c 3d<br />
e � � a b c 3d<br />
e �<br />
� + − − − �⋅<br />
CH 4 + � − + + + �⋅<br />
CO2<br />
+ dNH3<br />
+ eH2S<br />
� 2 8 4 8 4 � � 2 8 4 8 4 �<br />
Der spezifische Methanertrag und Methangehalt einer definierten Substanz kann dann<br />
entsprechend abgeleitet werden. Die Angabe des spezifischen Methanertrages sollte im<br />
Interesse der Vergleichbarkeit immer in Normliter (Nl) erfolgen, d. h. bei einem Druck<br />
von 1 atm und einer Temperatur von 0 °C, wobei die Bezugsgröße die organische Substanz<br />
und nicht die Trockenmasse darstellt. Üblicherweise liegen detaillierte Angaben <strong>über</strong> die<br />
Zusammensetzung der zu vergärbaren Substanzen jedoch nicht vor bzw. sind nur mit<br />
erheblichem Aufwand zu beschaffen. Für einzelne Substratkomponenten, wie beispielsweise<br />
Kohlenhydrate, Protein und Lipide ergeben sich nach obiger Formel theoretisch<br />
folgende spezifischen Methanerträge und -gehalte:<br />
Tabelle 1. Theoretischer spezifischer Methanertrag und Methangehalt definierter<br />
organischer Substanzen<br />
Substrat CH 4 -Ertrag (Nl/g OS) 1) CH 4 -Gehalt (%)<br />
Kohlenhydrate 0,415 50<br />
Protein 0,496 50<br />
Lipide 1,014 70<br />
Äthanol 0,730 75<br />
Azetat 0,373 50<br />
Propionat 0,530 58<br />
1) Angabe in Normliter (Nl) (bei 1 atm Druck und 0 °C) pro g organischer Substanz<br />
Quelle: (8)<br />
Lipide erzielen aufgrund ihres hohen Energiegehaltes einen besonders hohen theoretischen<br />
Methanertrag. Angesichts von Studien, die einen negativen Einfluss langkettiger<br />
Fettsäuren, d. h. den Abbauprodukten der Lipide, auf die Methanbildung nachweisen<br />
konnten (4; 7; 39), sollte die Anwendung solch theoretischer Werte in der Praxis kritisch<br />
hinterfragt werden. Das theoretische Gasbildungspotenzial kann zwar einen Anhaltspunkt<br />
bieten, die in der Praxis erzielten Werte liegen jedoch stets niedriger, was durch eine Reihe<br />
von Faktoren verursacht wird. So wird ca. 5 bis 10 % der organischen Substanz für den
170 Antje Herrmann und Friedhelm Taube<br />
Aufbau mikrobieller Biomasse genutzt. Ein Anteil des organischen Materials geht mit<br />
dem Abfluss verloren, wofür realistischerweise 10 % anzusetzen sind. Mit zunehmendem<br />
Lignifizierungsgrad pflanzlichen Materials sinkt die Fermentationseignung, da Lignin in<br />
der anaeroben Vergärung nicht abgebaut wird. Auch die Struktur des Gärsubstrates, wie<br />
z. B. die Partikelgröße, kann den anaeroben Abbau behindern. Dar<strong>über</strong> hinaus stellen die<br />
Mikroorganismen, wie bereits erwähnt, bestimmte Anforderungen an die Konzentration<br />
von Mikro- und Makronährstoffen, und können durch eine Reihe von Substanzen in ihrer<br />
Entwicklung gehemmt werden. Unter günstigen Bedingungen, d. h. bei vorwiegend wasserlöslichen<br />
Substanzen, sind Umsetzungen von 90 bis 95 % möglich. Liegt die organische<br />
Substanz hingegen in Partikelform vor oder weist eine ausgeprägte Struktur auf, wie beispielsweise<br />
bei Wirtschaftsdüngern, sind Umsetzungen von 30 bis 60 % anzusetzen (8).<br />
Um eine Abschätzung des tatsächlichen Methanertrags von Futterpflanzen zu erhalten,<br />
wird von einigen Arbeitsgruppen vorgeschlagen, die Rohnährstofffraktionen Protein, Fett,<br />
Faser und Kohlenhydrate mit empirischen Verdaulichkeitsquotienten zu multiplizieren<br />
und aus verdaulichem Protein, Fett und Kohlenhydraten dann mittels der in Tabelle 1 angegebenen<br />
theoretischen spezifischen Methanerträge den Methanertrag der Gärsubstrate<br />
zu berechnen:<br />
Rohprotein ð verdauliches Rohprotein ð CH 4 aus verdaulichem<br />
Rohprotein<br />
Rohfett ð verdauliches Rohfett ð CH 4 aus verdaulichem<br />
Rohfett<br />
Rohfaser + N-freie<br />
Extraktstoffe<br />
ð verdauliche Kohlenhydrate ð CH 4 aus verdaulichen<br />
Kohlenhydraten<br />
Die Valididität einer solchen Vorgehensweise ist jedoch aufgrund der obigen Ausführungen<br />
kritisch zu hinterfragen, insbesondere wenn die Daten als Basis für Wirtschaftlichkeitsberechnungen<br />
in der Beratung eingesetzt werden. Methoden zur Verdaulichkeitsermittlung<br />
werden generell an in-vivo Verfahren geeicht, eine Biogasanlage ist aber nur in sehr eingeschränkten<br />
Umfang mit dem Verdauungstrakt des Wiederkäuers vergleichbar, siehe auch<br />
Abschnitt 4.5. Die Fachagentur für Nachwachsende Rohstoffe empfiehlt daher, solche Zahlen<br />
nicht für betriebliche oder ökonomische Kalkulationen heranzuziehen (22). Ein systematischer<br />
Methodenvergleich von berechneten und tatsächlich gemessenen Werten wurde<br />
bislang nicht durchgeführt. Erste Untersuchungen von grUber et al. (25) an einer limitierten<br />
Anzahl von Gärsubstraten zeigen Abweichungen von +/-5 % zwischen geschätzten<br />
und gemessenen Gaserträgen. Nichtsdestoweniger basieren viele der publizierten Zahlen<br />
zu Biogas- oder Methanerträgen von Gärsubstraten, mangels der Verfügbarkeit tatsächlich<br />
gemessener, zuverlässiger Daten, auf der Schätzung <strong>über</strong> die Rohnährstoffe, siehe Abbildung<br />
2. Wie aus der Abbildung zu erkennen ist, zeichnet sich Gülle durch ein insgesamt<br />
niedriges Biogaspotenzial aus, während Maissilage und andere Futterpflanzen wie Gras<br />
oder Roggen deutlich höhere Werte erzielen und Fette die höchsten, <strong>über</strong> Rohnährstoffe<br />
berechneten, Ausbeuten liefern.<br />
Der Einsatz der Nah-Infrarot-Reflexions-Spektroskopie (NIRS) zur Schätzung des<br />
Methanbildungspotenzial von Energiepflanzen ist noch in der Entwicklungsphase. Erste<br />
Ergebnisse lassen noch keine zufrieden stellenden Ergebnisse erkennen, zumal auch noch<br />
eine Validation aussteht (52). Für die Abschätzung des Biogas- bzw. Methanbildungsvermögens<br />
von Energiepflanzen erscheint auch der Einsatz von Modellen prädestiniert.
Rindergülle<br />
Schweinegülle<br />
Labmolke<br />
Kartoffelschlempe<br />
Rindermist<br />
Schweinmist<br />
Rübenblatt<br />
Kartoffelschälabfall<br />
Hühnermist<br />
Zuckerrübe<br />
Biertreber<br />
Grünschnitt<br />
Grassilage<br />
Maissilage<br />
Roggen GPS<br />
Fette aus Fettabscheidern<br />
Speiseabfälle<br />
Melasse<br />
Altbrot<br />
Rapskuchen<br />
Backabfälle<br />
Altfette<br />
Die energetische Nutzung von Mais in Biogasanlagen<br />
25<br />
30<br />
35<br />
39<br />
45<br />
60<br />
70<br />
74<br />
80<br />
90<br />
120<br />
175<br />
185<br />
190<br />
195<br />
250<br />
265<br />
315<br />
171<br />
Geeignete Modelle würden nicht nur eine Abbildung und Analyse der Fermentationseigenschaften<br />
von Energiepflanzen als Monosubstrat bzw. in Kovergärung mit Gülle<br />
ermöglichen, sondern auch die Entwicklung geeigneter Kombinationen verschiedener<br />
Gärsubstrate zur Steigerung des Methanertrages erleichtern. Aus dem Bereich der anaeroben<br />
Abwasserbehandlung wurden verschiedene Modelle entwickelt (5; 11; 12), deren Anwendung<br />
im Allgemeinen auch für landwirtschaftliche Gärsubstrate denkbar wäre. Diese<br />
Modelle benötigen jedoch meist eine Vielzahl an Eingangsparametern, die in der landwirtschaftlichen<br />
Praxis auch im Rahmen einer routinemäßig durchgeführte Futterqualitätsanalyse<br />
nicht zur Verfügung stehen. Ein weiterer Nachteil vieler Modelle besteht darin, dass<br />
eine komplette Durchmischung des Reaktorinhaltes unterstellt wird, was in der Praxis<br />
aber nur selten der Fall ist (47). Dar<strong>über</strong> sind die verfügbaren Modelle bisher nicht an einer<br />
ausreichend großen Datenbasis landwirtschaftlicher Gärsubsubstrate validiert worden.<br />
Auch aus dem Bereich der Wiederkäuerernährung ist bislang kein geeignetes Modell zur<br />
Prognose des Methanoutputs verfügbar. Verschiedene Untersuchungen konnten zeigen,<br />
dass der Methanausstoß <strong>über</strong> das Azetat:Propionat-Verhältnis im Pansen beeinflusst wird,<br />
welches durch die Zusammensetzung der Futterration gesteuert werden kann, d. h. insbe-<br />
500<br />
600<br />
714<br />
961<br />
0 200 400 600 800 1000 1200<br />
m³ Biogas pro t Substrat FM<br />
Abb. 2. Biogasausbeute (m³ Biogas pro t Substrat Frischmasse) ausgewählter Gärsubstrate, berechnet<br />
auf Basis verdaulicher Rohnährstoffe<br />
Quelle: (22; 23)
172 Antje Herrmann und Friedhelm Taube<br />
sondere durch das Verhältnis von Rauhfutter zu Konzentrat (76). Bisherige Versuche, den<br />
Methanoutput modellmäßig aus der Rohnährstoffzusammensetzung der Ration ableiten zu<br />
können, waren nur mäßig erfolgreich (49; 64).<br />
4 Experimentelle Daten zum Gasbildungsvermögen von Mais<br />
Grundsätzlich ist zu bemerken, dass die vorhandene Datenbasis zum Gasbildungsvermögen<br />
von Mais im speziellen, aber auch von anderen Futterpflanzen, die in der anaeroben<br />
Vergärung zur Biogaserzeugung eingesetzt werden, sehr begrenzt ist. Es liegen nur wenige<br />
umfassende, systematische Untersuchungen vor. Diese basieren meist nur auf einjährigen<br />
Versuchen oder Erhebungen, und eine angemessene statistische Auswertung wurde oftmals<br />
nicht durchgeführt. Auch die Angaben zur verwendeten Methodik (Verfahren, Temperatur,<br />
Inokulum, etc.) gestatten es nicht immer, die Versuchsanstellung nachzuvollziehen. Was<br />
das Biogas- oder Methanbildungsvermögen von Mais betrifft, lag der Schwerpunkt der<br />
Studien darin, den Einfluss von Sorte und Entwicklungsstadium zu quantifizieren.<br />
Nl CH4 CH4 / kg oTS<br />
350<br />
300<br />
250<br />
200<br />
150<br />
100<br />
50<br />
0<br />
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���� ����<br />
M T V M T V M T V M T V M T V<br />
Benicia Ribera Phönix Atalante Saxxo<br />
������� ������� ������� ������� ������� ������� ������� ������� ������� �������<br />
Abb. 3. Spezifischer Methanertrag von Maissilage in Abhängigkeit des Erntetermins, mit M: Milchreife,<br />
T: Teigreife, V: Vollreife; Vergärung: Batchsystem (Eudiometer), 1 l Fermentergröße, 58<br />
Gärtage bei 38 °C. Die Zahlen in den Säulen bezeichnen den TS-Gehalt zum Zeitpunkt der Ernte<br />
Quelle: (nach 2)<br />
4.1 Einflussfaktor Sorte<br />
Zwei Kriterien sind wesentlich bei der Beurteilung der Produktivität von Energiepflanzen,<br />
zum einen der spezifische Methanertrag pro kg organischer Trockensubstanz (TS) und zum<br />
anderen der Trockenmasse (TM)-Ertrag pro Hektar. Ergebnisse eines einjährigen Feldversuches<br />
von amon et al. (2), der in der Steiermark in Österreich durchgeführt wurde,<br />
lassen Sortenunterschiede bezüglich des spezifischen Methanertrages von bis zu 40 m³<br />
pro t organischer Trockenmasse erkennen. Diese Unterschiede können aber auch durch die<br />
unterschiedlichen TS-Gehalte, d. h. die Abreife bedingt sein, die im Stadium der Teigreife<br />
im Bereich zwischen 34,8 und 40,2 % lagen, wie in Abbildung 3 erkennbar. Eine Aussage<br />
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Die energetische Nutzung von Mais in Biogasanlagen<br />
173<br />
<strong>über</strong> die Signifikanz der Sortenunterschiede ist mangels statistischer Auswertung nicht<br />
möglich. Für den Methanertrag auf Hektar-Basis ist der TM-Ertrag wichtiger als der spezifische<br />
Methanertrag. In dem Versuch von amon et al. (2) führten daher die verhältnismäßig<br />
großen Ertragsunterschiede von bis zu 10 t TM/ha zwischen den ertragsstarken Sorten<br />
Benicia und Saxxo und den ertragsschwächeren Sorten Ribera, Phönix und Atalante zu<br />
einer stärkeren Differenzierung, s. Abbildung 4. Hierbei ist allerdings anzumerken, dass<br />
das Ertragspotenzial von 25 bis 35 t TM/ha zum Zeitpunkt der Teigreife und damit der<br />
Methanhektarertrag insgesamt als vergleichsweise hoch einzustufen ist.<br />
Nm³ CH4 CH4 /ha<br />
9000<br />
8000<br />
7000<br />
6000<br />
5000<br />
4000<br />
3000<br />
2000<br />
1000<br />
0<br />
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M T V M T V M T V M T V M T V<br />
Benicia Ribera Phönix Atalante Saxxo<br />
Vergleichbare Methanhektarerträge für unterschiedliche Maissorten wurden auch von<br />
oechsner et al. (66) für Süddeutschland berichtet. In dieser einjährigen Studie schwankten<br />
die Methanerträge zwischen 5000 und fast 10 000 m³ pro Hektar. Allerdings erfolgte die<br />
Untersuchung nicht mit dem Eudiometer, sondern dem Hohenheimer Biogasertragstest.<br />
Zudem erfolgte die Ernte nicht zu definierten TS-Gehalten und die N-Düngung wurde<br />
nicht einheitlich appliziert. Die von kaiser et al. (42) für Bayern berichteten Methanhektarerträge<br />
liegen in einem Bereich von 4000 bis 8000 m³. Die spezifischen Methanerträge<br />
lagen jedoch auf einem deutlich höheren Niveau im Vergleich zur Studie von amon et al.<br />
(2) mit Werten bis <strong>über</strong> 350 Nl Methan pro kg Trockensubstanz, was in der unterschiedlichen<br />
Labormethodik begründet sein kann.<br />
4.2 Einflussfaktor Entwicklungsstadium<br />
Bei der Silomaisproduktion kommt neben der Sorte dem Entwicklungsstadium eine große<br />
Bedeutung im Hinblick auf den Ertrag und die Futterqualität zu. So setzt nach der Blüte<br />
mit Beginn der Kornfüllung eine intensive Assimilattranslokation von der Restpflanze in<br />
���� ����<br />
������� ������� ������� ������� ������� ������� ������� ������� ������� �������<br />
Abb. 4. Methanhektarertrag von Maissilage in Abhängigkeit von Sorte und Erntetermin, mit M:<br />
Milchreife, T: Teigreife, V: Vollreife; Vergärung: Batchsystem (Eudiometer), 1 l Fermentergröße,<br />
58 Gärtage bei 38 °C. Die Zahlen in den Säulen bezeichnen den TS-Gehalt zum Zeitpunkt der<br />
Ernte<br />
Quelle: (nach 2)<br />
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174 Antje Herrmann und Friedhelm Taube<br />
den Kolben ein, in deren Verlauf der Gehalt wasserlöslicher Kohlenhydrate stark abnimmt<br />
und der Stärkegehalt stark zunimmt (50). Der ADF-Gehalt, d. h. der Anteil schlechter<br />
verdaulicher Zellwandbestandteile sinkt zunächst auch, bleibt aber dann verhältnismäßig<br />
konstant (51). Dies gilt auch für den Rohproteingehalt. Der Fettgehalt zeigt ebenfalls eine<br />
sehr geringe Variation. Alles in allem führen die Umlagerungsprozesse zu einem leichten<br />
Anstieg der Verdaulichkeit nach der Blüte. Gegenstand einiger Untersuchungen war es<br />
daher auch, den Einfluss des Entwicklungsstadiums auf das Methanbildungspotenzials<br />
zu prüfen. Untersuchungen von amon et al. (2) fanden für nahezu alle Sorten eine Abnahme<br />
der spezifisches Methanertrags von der Milchreife <strong>über</strong> die Teigreife zur Vollreife<br />
(Abb. 3). Die fehlende statistische Auswertung lässt allerdings keine sichere Bewertung<br />
dieser Ergebnisse zu. Zumal auch die TS-Gehalte eine starke Schwankung zwischen den<br />
Sorten aufweisen und die Sorte Atalante beispielsweise mit 40 % TS vermutlich nicht<br />
mehr dem Stadium Teigreife zuzuordnen ist. Die spezifische Methanausbeute und die<br />
Biomasseproduktion entwickelten sich in dieser Untersuchung gegenläufig, so dass die<br />
höchsten Methanhektarerträge bei einigen Sorten bereits im Stadium der Milchreife beobachtet<br />
wurden, wie beispielsweise bei Phönix und Ribeira, während Sorten wie Benicia<br />
und Saxxo durch den starken Ertragszuwachs die höchsten Methanhektarerträge erst zur<br />
Teigreife erreichten (Abb. 4).<br />
Während amon et al. (2) also eine Abnahme des spezifischen Methanertrags feststellten,<br />
kommen oechsner et al. (66) zu einem gegensätzlichen Schluss. In einem einjährigen<br />
Versuch wurde die Sorte Doge, eine extrem spätreife Hybride mit einer Siloreifezahl von<br />
ca. 700, in einem frühen Stadium bei einem Trockensubstanzgehalt von 19,8 % und zur<br />
Siloreife (35,4 % TS) geerntet. Wie aus der Abb. 5 ersichtlich wird, liegt der spezifische<br />
Methanertrag von Doge zur Siloreife deutlich höher als zur frühen Ernte. Bemerkenswert<br />
ist auch das im Vergleich zu amon et al. (2) um ca. 100 Normliter höhere Methanbildungspotenzial.<br />
Dies kann unter anderem durch die unterschiedliche Methodik, d. h. das<br />
Fermentationsverfahren und das verwendete Inokulum, bedingt sein.<br />
Nl CH4/kg oTS<br />
400<br />
350<br />
300<br />
250<br />
200<br />
Banguy<br />
GIXXAC<br />
Chamboro<br />
Laureat<br />
Moissac<br />
DK 604<br />
Doge<br />
Doge früh<br />
Abb. 5. Spezifischer Methanertrag von Maissilage in Abhängigkeit von Sorte und<br />
Erntetermin; Vergärung: Hohenheimer Biogasertragstest, 36 Gärtage bei 37 °C<br />
Quelle: (nach 66)
Die energetische Nutzung von Mais in Biogasanlagen<br />
175<br />
Übereinstimmend mit oechsner et al. (66) stellten auch heiermann und plöchl (30) eine<br />
Zunahme des spezifischen Methanertrags im Verlauf der Abreife fest (Abb. 6). Das Methanbildungspotenzial<br />
ist mit 489 bis 756 Nl CH 4 /oTS jedoch insgesamt als sehr hoch<br />
einzustufen. Die Ursache hierfür kann in der Messung des Methangehaltes liegen, die<br />
nur während der linearen Gasbildungsphase vorgenommen wurde. Die Methangehalte<br />
variierten hierbei zwischen 60 und 70 %. Die Untersuchung von kaiser et al. (42) lässt<br />
im ernterelevanten TS-Bereich keinen eindeutigen Trend des spezifischen Methanertrages<br />
Nl CH4/kg oTS<br />
800<br />
700<br />
600<br />
500<br />
400<br />
300<br />
200<br />
100<br />
0<br />
25.1<br />
32.6<br />
32.8<br />
28.8<br />
35.5<br />
E1 E2 E3 E1 E2 E3 E1 E2 E3<br />
34.2<br />
29.2<br />
37.0<br />
Santiago Banguy Mondeo<br />
Abb. 6. Spezifischer Methanertrag von Maissilage in Abhängigkeit von Sorte und Erntetermin (E);<br />
Vergärung: Batchsystem, 28 Gärtage bei 35 °C. Die Zahlen in den Säulen bezeichnen den TS-Gehalt<br />
zum Zeitpunkt der Ernte<br />
Quelle: (nach 30)<br />
Methangehalt (%)<br />
60<br />
58<br />
56<br />
54<br />
52<br />
50<br />
48<br />
46<br />
37.0<br />
M T V M T V M T V M T V M T V<br />
Benicia Ribera Phönix Atalante Saxxo<br />
Abb. 7. Methangehalt von Maissilage in Abhängigkeit von Sorte und Erntetermin mit M: Milchreife,<br />
T: Teigreife, V: Vollreife; Vergärung: Batchsystem (Eudiometer), 1 l Fermentergröße, 58<br />
Gärtage bei 38 °C<br />
Quelle: (2)
176 Antje Herrmann und Friedhelm Taube<br />
erkennen. Nach degenhardt (17) liegt der optimale TS-Gehalt im Hinblick auf die spezifische<br />
Methanausbeute und den Methanhektarertrag im Bereich von 28 bis maximal<br />
35 %, wobei die der Auswertung zugrunde liegenden Daten aber eine große Variation<br />
aufwiesen.<br />
Was den Methangehalt im Biogas betrifft, konnte kein Einfluss des Entwicklungsstadiums<br />
festgestellt werden. So variierten die Gehalte in der Untersuchung von amon et al.<br />
(2) zwischen 48,7 % bei der Sorte Phönix zur Vollreife und 56,2 % bei Benicia in der<br />
Teigreife, S. Abbildung 7. Die Messwerte wiesen allerdings eine erhebliche Streuung auf,<br />
wie anhand der Standardfehler ersichtlich wird. Die gemessenen Methangehalte zeigen<br />
eine gute Übereinstimmung zu den von zaUner und küntzel (96) ermittelten Werten, die<br />
ebenfalls im Bereich von 50 bis 55 % variierten. Im Gegensatz dazu fanden heiermann<br />
und plöchl (30) deutlich höhere Methangehalte von 60–70 %. Wie bereits erwähnt kann<br />
dies in der Art der Messung begründet sein.<br />
4.3 Alternative Gärsubstrate<br />
<strong>Landwirtschaft</strong>liche Biogasanlagen werden zu <strong>über</strong> 93 % als Kofermentationsanlagen betrieben,<br />
wobei nachwachsende Rohstoffe bezogen auf die Einsatzhäufigkeit eine Vorrangstellung<br />
unter den Kosubstraten einnehmen (93). <strong>Landwirtschaft</strong>lich erzeugte Biomasse<br />
weist meist eine gute Vergärbarkeit auf (2; 31; 42; 53; 59; 66). Das Biogas- bzw. Methanbildungspotenzial<br />
der verschiedenen Pflanzenarten unterscheidet sich jedoch deutlich, wie<br />
die Zusammenstellung in Tabelle 2 deutlich macht. Ausschlaggebend für die Wahl der<br />
Pflanzenart zum Anbau als nachwachsender Rohstoff sind neben dem spezifischen Methanertrag<br />
insbesondere die Biomasseproduktion und die Bereitstellungskosten. Die größte<br />
Bedeutung als Kosubstrat kommt Mais, Getreide und Gras zu (72; 93). Mais zeichnet<br />
sich durch einen hohen Methanhektarertrag aus, wie in Abschnitt 4.1 und 4.2 dargestellt,<br />
weist jedoch verhältnismäßig hohe Produktionskosten und hohe Nutzungskosten für die<br />
Fläche auf. Die energetische Nutzung von Grünlandaufwüchsen bietet sich an, weil durch<br />
zukünftig sinkende Tierzahlen aufgrund des Strukturwandels in der <strong>Landwirtschaft</strong> Grünlandflächen<br />
nicht mehr flächendeckend <strong>über</strong> Futternutzung in Bewirtschaftung bleiben<br />
werden. Es ist davon auszugehen, dass es sich bei solchen aus der Nutzung <strong>über</strong> den Wiederkäuer<br />
fallenden Flächen um eher extensiv genutztes und nicht ackerwürdiges Grünland<br />
handelt. Die auf diesen Flächen erzeugte Biomasse zeichnet sich jedoch in aller Regel<br />
durch eine geringe Futterqualität aus, was sich auch in einem geringeren Methanbildungspotenzial<br />
niederschlagen dürfte. So weisen nach einer Untersuchung von kaiser et al.<br />
(42) intensiv genutzte, Deutsch Weidelgras-dominierte Grünlandbestände den höchsten<br />
Methanhektarertrag auf bei gleichzeitig verhältnismäßig hohen spezifischen Methanerträgen,<br />
s. Abbildung 8 und Tabelle 3. Inwieweit sich extensiv genutztes Grünland trotz<br />
geringer Nutzungskosten für die Fläche ökonomisch sinnvoll in Biogasanlagen verwerten<br />
lässt, müssen Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen zeigen. Berechnungen von grUndmann<br />
et al. (26) auf Basis von Daten zu Produktionsverfahren des Landes Brandenburg weisen<br />
sowohl für intensiv als extensiv genutztes Weidelgras sowie Maissilage, Luzernesilage<br />
und Ganzpflanzensilage aus Gerste wirtschaftlich positive Ergebnisse aus, eine alleinige<br />
Nutzung von elektrischer Energie unterstellt, während sich die Spannweiten für Raps,<br />
Hanf und Topinambur im negativen Bereich bewegen. Nach stark (84) hingegen ist die<br />
Biogaserzeugung von Grassilage und Ganzpflanzensilage bei einer Vollkostenbetrachtung<br />
nur dann rentabel, wenn der Düngerwert des Gärrückstandes einbezogen wird und ist dem<br />
Einsatz von Maissilage unter süddeutschen Klimaverhältnissen deutlich unterlegen.
Tabelle 2. Spezifischer Methanertrag, Methanhektarertrag und Methangehalt landwirtschaftlich produzierter Biomasse nach<br />
Literaturangaben<br />
Methode Quelle<br />
Methangehalt<br />
(%)<br />
Methanhektarertrag<br />
(m³ CH /ha) 4<br />
Pflanzenart Konservierung Spezifischer<br />
Methanertrag<br />
(l CH /kg oTS)<br />
4<br />
Die energetische Nutzung von Mais in Biogasanlagen<br />
177<br />
Ackerbohne Silage 356 Batchversuch 96<br />
Futtergräser Frisch 280 – 460 Batchversuch 59<br />
Futtergräser Frisch und 277 – 442 Batchversuch 32<br />
angewelkt<br />
Futterrüben Silage 400 5 123 Batchversuch 66<br />
(Hohenheimer<br />
Biogasertragstest)<br />
Gerste Frisch und 425 – 691 61 – 70 Batchversuch 30<br />
Silage<br />
Grünland Frisch, Silage 220 – 440 1 070 – 4 633 Batchversuch 42<br />
und Heu<br />
Grünland, extensiv Silage 220 Kontinuierlich 65<br />
Grünland, Mähgut aus Silage 80 Kontinuierlich 65<br />
Naturschutzgebiet<br />
Grünland, Mähgut aus Silage 250 Kontinuierlich 88<br />
Naturschutzgebiet<br />
Grünland, intensiv Silage 390 Kontinuierlich 65<br />
Hanf Silage ca. 160 ca. 1 500 Batchversuch 42<br />
Hanf Frisch und 290 – 360 68 Batchversuch 31<br />
Silage<br />
Hirse Silage 310 879 – 955 Batchversuch 66<br />
(Hohenheimer<br />
Biogasertragstest)
178 Antje Herrmann und Friedhelm Taube<br />
Methode Quelle<br />
Methangehalt<br />
(%)<br />
Methanhektarertrag<br />
(m³ CH /ha) 4<br />
Pflanzenart Konservierung Spezifischer<br />
Methanertrag<br />
(l CH /kg oTS)<br />
4<br />
Klee 140 – 210 Batchversuch 45<br />
Kleegras Silage 290 – 390 1 740 – 5 460 Batchversuch 2<br />
(Eudiometer)<br />
Luzerne Silage 181 – 209 55 – 56 Semi-kontinu- 96<br />
ierlich<br />
Luzerne Frisch und 340 – 498 63 – 68 Batchversuch 30<br />
Silage<br />
Luzerne Frisch ca. 230 – 255 Batchversuch 42<br />
Miscanthus Frisch und ca. 175 – 220 ca. 3 400 – 4 100 Batchversuch 42<br />
Silage<br />
Raps < 200 Batchversuch 69<br />
Rindergülle 170 Kontinuierlich 65<br />
Roggen Frisch und 399 – 543 62 – 69 Batchversuch 30<br />
Silage<br />
Roggen Silage 140 – 275 Batchversuch 3<br />
(Eudiometer)<br />
Rüben Frisch 360 ca. 5 050 Batchversuch 42<br />
Rüben Frisch 840 Batchversuch 32<br />
Rübenblatt Silage 290 597 Batchversuch 66<br />
(Hohenheimer<br />
Biogasertragstest)<br />
Rübenblatt Frisch und 240 – 340 ca. 920 – 1 360 Batchversuch 42<br />
Silage
Die energetische Nutzung von Mais in Biogasanlagen<br />
Sudangras Silage 310 ca. 2 500 Batchversuch 42<br />
Sonnenblume Silage 230 1 125 Batchversuch 66<br />
(Hohenheimer<br />
Biogasertragstest)<br />
Sonnenblume Silage 243 Batchversuch 3<br />
(Eudiometer)<br />
Topinambur, Knolle Frisch 523,5 75 Batchversuch 31<br />
Topinambur, Spross Frisch und ca. 430 – 470 70 Batchversuch 31<br />
Silage<br />
Triticale Frisch und 503 – 606 67 – 71 Batchversuch 30<br />
Silage<br />
Triticale Silage 212 – 265 Batchversuch 3<br />
(Eudiometer)<br />
Weizen Silage 229 – 343 Batchversuch 3<br />
(Eudiometer)<br />
Wiesengras Silage 309 Batchversuch 3<br />
(Eudiometer)<br />
179
180 Antje Herrmann und Friedhelm Taube<br />
Abb. 8. Methanhektarertrag und Stromerlös verschiedener Grünlandnutzungsvarianten<br />
Quelle: (42)<br />
Tabelle 3. Grünlandnutzungsvarianten der Abbildung 8<br />
Bezeichnung Standort<br />
Schnitte<br />
pro Jahr<br />
Düngungsart<br />
Applizierte<br />
N-Menge<br />
(kg/ha bzw.<br />
m³/ha)<br />
G1 Allgäuer 5 mineralisch 300<br />
G2 Alpenvorland 5 mineralisch 200<br />
G3 4 mineralisch 300<br />
G4 4 mineralisch 200<br />
G5 4 mineralisch 120<br />
G6 Allgäuer 4 Gülle 4 x 20<br />
G4 Alpenvorland 4 ohne Ohne<br />
G8 3 Gülle 3 x 20<br />
G9 Bayerischer 5 Gülle 3 x 20<br />
G10 Wald<br />
4 Gülle 3 x 20<br />
G11 3 Gülle 2 x 25<br />
G12 Vorwald des 3 ohne ohne<br />
Quelle: (nach 42)<br />
Bayer. Waldes
Die energetische Nutzung von Mais in Biogasanlagen<br />
4.4 Aufbereitung der Gärsubstrate<br />
181<br />
<strong>Landwirtschaft</strong>lich erzeugte pflanzliche Biomasse, die als Gärsubstrat in Biogasanlagen<br />
Verwendung findet, wird der Vergärung meist in Form von Silage zugeführt. In experimentellen<br />
Ansätzen zur Quantifizierung der Gas- bzw. Methanausbeute pflanzlicher Substrate<br />
werden sowohl Silagen als auch getrocknete Proben oder Frischmaterial eingesetzt. Die<br />
Konservierungsform scheint aber einen signifikanten Einfluss auf die Gas- bzw. Methanausbeute<br />
zu haben. Sowohl heiermann und plöchl (30) als auch amon et al. (2) kommen<br />
zu dem Schluss, dass silierte Proben eine durchgehend höhere Gasausbeute aufweisen als<br />
Frischmaterial, s. Abbildung 8 und 9.<br />
Biogasausbeute (m³/kg oTS)<br />
1.2<br />
1<br />
0.8<br />
0.6<br />
0.4<br />
0.2<br />
0<br />
Blüte<br />
Milchreife<br />
Blüte<br />
Milchreife<br />
Für die Bewertung von experimentell ermittelten Gas- bzw. Methanausbeuten sind daher<br />
explizite Angaben zur Probenaufbereitung unabdingbar. Dies sollte auch Angaben zum<br />
Zerkleinerungsgrad des Probenmaterials einschließen, der einen Einfluss auf die Biogas-<br />
und Methanausbeute ausüben kann. Systematische Untersuchungen, die eine Ableitung<br />
des optimalen Zerkleinerungsgrades von Gärsubstraten ermöglichen, liegen unseres Wissens<br />
liegen nur in sehr begrenztem Umfang vor (45; 78). Ein möglichst hoher Zerkleinerungsgrad<br />
erscheint im Hinblick auf einen schnellen anaeroben Abbau und damit eine<br />
kurze Verweildauer im Fermenter als wünschenswert. Dem steht andererseits ein mit sinkender<br />
Häcksellänge wachsender Energieaufwand gegen<strong>über</strong>. Untersuchungen von kaparaJU<br />
et al. (45) belegen eine höhere Methanausbeute für 1 cm Partikelgröße verglichen mit<br />
0,5 und 2 cm für Heu und Klee, während bei Hafer die Partikelgröße keinen Effekt zeigte.<br />
Der optimale Zerkleinerungsgrad wird jedoch auch von der eingesetzten Anlagentechnik<br />
beeinflusst. So erfordern Perkolationsverfahren eine verhältnismäßig grobe Struktur des<br />
Gärsubstrates um eine Aufstauung des Prozesswassers im Substratkörper zu vermeiden<br />
(20).<br />
Blüte<br />
Milchreife<br />
Frischmaterial<br />
Silage<br />
1. Schnitt<br />
Gerste Roggen Triticale Luzerne<br />
Abb. 9. Biogasausbeute von Gerste, Roggen, Triticale und Luzerne in Abhängigkeit des Konservierungsverfahrens;<br />
Vergärung: Batchsystem, 28 Gärtage bei 35 °C<br />
Quelle: (nach 30)<br />
2. Schnitt
182 Antje Herrmann und Friedhelm Taube<br />
4.5 Beziehung Futterqualität – Methanausbeute?<br />
Bei der Bewertung des Methanbildungspotenzials von Futterpflanzen stellt sich die Frage,<br />
ob nicht aus der Futterqualität Rückschlüsse auf die Methanausbeute gezogen werden können.<br />
Landläufig wird davon ausgegangen, dass die anaeroben Abbauprozesse in Biogasanlagen<br />
mit den Verdauungsprozessen eines Wiederkäuers vergleichbar seien, was allerdings<br />
nur bedingt zutrifft. Die Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede der anaeroben Fermentation<br />
in der Biogasanlage und der Verdauung des Wiederkäuers sind daher in Tabelle 4 grob<br />
skizziert. Der grundsätzliche Unterschied besteht zunächst darin, dass Wiederkäuer <strong>über</strong><br />
einen mehrhöhligen Magen und Darm verfügen. Die Funktionsweise einer Biogasanlage<br />
ist daher nur bedingt mit dem Pansen vergleichbar, da die Pansenwand beispielsweise auch<br />
aktiv an der Absorption und dem Transport von Substanzen wie flüchtigen Fettsäuren,<br />
Chlorid, Natrium, Wasser, etc. beteiligt ist. So erfolgt etwa der Fettabbau im Pansen nur<br />
bis zu Fettsäuren und deren Hydrogenierung und die weitere Verstoffwechselung findet<br />
im Darm statt, während in Biogasanlagen der Fettabbau komplett in einem meist einstufigen<br />
Fermenter abläuft. Besonders auffällig ist die schnelle Passage des Futters im<br />
Verdauungstrakt des Wiederkäuers im Vergleich zur Verweildauer des Gärsubstrates in<br />
einer Biogasanlage. Schlussendlich werden nur 10 % der aufgenommenen Energie durch<br />
den Wiederkäuer in Form von Methan abgegeben, während der Methangehalt im Biogas<br />
im Bereich von 50 bis 80 % variiert.<br />
Tabelle 4. Kenngrößen des Abbaus organischer Substanz im Verdauungstrakt des<br />
Wiederkäuers und in Biogasanlagen<br />
Prozess Wiederkäuer Biogasanlage<br />
Abbau Pansen und Darm; aktive<br />
Zerkleinerung (Wiederkäuen);<br />
Verdaulichkeit bis > 80 %<br />
Im ein- oder mehrstufigen<br />
Fermenter; Abbaubarkeit der<br />
oTS: 25–80 %<br />
Temperatur 39 °C psychrophil: 15–20 °C<br />
mesophil: 30–37 °C<br />
thermophil: 55–65 °C<br />
pH-Wert 6,8 je nach Bauart (ein/-mehrstufig);<br />
in einstufigen Anlagen:<br />
6,7–7,2<br />
Verweildauer je nach Passagerate, ca. 24 h abh. von Fermentertemperatur,<br />
Bauart und Substrat,<br />
∅ 60–90 Tage<br />
Fettabbau im Pansen bis zu Fettsäuren<br />
und deren Hydrogenierung;<br />
weiterer Abbau im Darm<br />
Abbau bis zu CO 2 , H 2 und<br />
CH 4<br />
Flüchtige Fettsäuren Aufnahme <strong>über</strong> Pansenwand Abbau bis zu CO , H und<br />
2 2<br />
CH4 Methan ca. 10 % der aufgenommenen<br />
Energie<br />
50–80 % Methan im Biogas<br />
Verschiedene Arbeitsgruppen, die sich mit der Beziehung zwischen Futterqualität und<br />
Methanausbeute befasst haben, kommen zu folgenden, teils widersprüchlichen Schlüssen:<br />
eder et al. (19) postulieren eine signifikante Beziehung zwischen der Gasausbeute und der<br />
in-vitro Verdaulichkeit (IVDOM) nach Tilley und Terry, mit einer erhöhten Gasproduktion
Die energetische Nutzung von Mais in Biogasanlagen<br />
183<br />
von 5–10 l/kg oTS je Prozentpunkt IVDOM. Mit Qualitätseigenschaften wie der enzymlöslichen<br />
organischen Substanz und dem Stärkegehalt sollen jedoch keine so deutlichen<br />
Beziehungen bestehen. amon et al. (2) hingegen fanden eine gegenläufige Entwicklung<br />
von Verdaulichkeit (Tilley und Terry) und Methanausbeute bei der Abreife von Mais und<br />
Kleegrasaufwüchsen; sie bewerten eine hohen Protein- und Fettgehalt günstig. Der Rohfasergehalt<br />
sei für die Methanbildung aus Mais nur von geringem Wert, für Kleegras hingegen<br />
wurde der Beitrag des Rohfasergehaltes noch etwas höher eingeschätzt als der von Rohfett.<br />
N-freie Extraktstoffe sollen bei Mais und Kleegras das Methanbildungsvermögen leicht<br />
mindern. steWart et al. (85) und lack (54) hingegen sehen den Anteil leicht vergärbarer<br />
Inhaltsstoffe als ein Zuchtziel an, und nach Weiland (93) schränken insbesondere hohe<br />
Lignin- und Hemizelluloseanteile die Fermentationseignung ein. Wie bereits in Abschnitt<br />
3.2 erwähnt, konnte auch in keiner Studie aus dem Bereich der Wiederkäuerernährung<br />
ein enger Zusammenhang zwischen Rohnährstoffzusammensetzung und Methanausstoß<br />
dokumentiert werden (49; 64).<br />
4.6 Fazit zur vorhandenen Datenbasis<br />
Zusammenfassend können folgende Schlussfolgerungen zur derzeit vorhandenen Datenbasis<br />
gezogen werden:<br />
● Daten <strong>über</strong> zu erwartende Methanerträge unterschiedlicher Pflanzenarten stellen für<br />
Anlagenbetreiber als auch Berater eine wichtige Planungsgröße; die vorhandene Datengrundlage<br />
hierfür ist noch ungenügend.<br />
● Die gängige Vorgehensweise, <strong>über</strong> Laborversuche Aufschluss zu erlagen, hat bisher<br />
zu keinen akzeptablen Ergebnissen geführt: die Laboruntersuchungen werden mit unterschiedlichen<br />
Methoden und Anlagen durchgeführt, da noch kein Standardverfahren<br />
existiert; zum Teil unterbleibt eine Korrektur der angegebenen Methanausbeuten auf<br />
Normbedingungen; dar<strong>über</strong> hinaus beruhen die vorhandenen Daten meist nur auf einjährigen<br />
Ergebnissen, die oft nicht einmal statistisch ausgewertet wurden.<br />
● Bereits veröffentliche Ergebnisse verschiedener Quellen weisen häufig große Abweichungen<br />
auf, die keine eindeutigen Schlüsse zulassen.<br />
● Eine Validierung der Laborergebnisse unter Praxisbedingungen ist bisher nur unzureichend<br />
erfolgt.<br />
●<br />
Vorhandene Methoden zur Schätzung des Methanertrags wurden nicht ausreichend<br />
<strong>über</strong>prüft.<br />
5 Züchterische Ansätze<br />
In der Züchtung wird intensiv an der Steigerung der Energieleistung von Mais gearbeitet.<br />
Dabei liegt der Schwerpunkt zurzeit noch einseitig auf der Steigerung der Biomasse, während<br />
die Qualität, also das spezifische Methanbildungspotenzial zunächst im Hintergrund<br />
steht. Um die Ertragsleistung zu steigern verfolgt man z. B. bei der KWS Saat AG, die führend<br />
im Bereich der Energiemaiszüchtung ist, folgende Ansätze (Abb. 10): Ausgangsbasis<br />
der Züchtung bilden der extrem leistungsfähige italienische Stiff-Stalk und Lancaster-<br />
Pool. In dieses Material wird zur Verbesserung der Kältetoleranz Material aus dem Deutschen<br />
Dent- und Flintpool eingekreuzt. Weiterhin wird eine extreme Verschiebung der<br />
Reife vorgenommen. Dies wird erreicht durch die Nutzung von Kurztagsgenen exotischer<br />
Populationen aus Peru und Mexiko. Weitere Zuchtziele bestehen in der Verbesserung der<br />
Trockenstresstoleranz durch die Integration von Genen für Low-Input-Eignung gezüchtet<br />
und die Adaptation des Maises an eine C3/C4-Energiepflanzen-Fruchtfolge.
184 Antje Herrmann und Friedhelm Taube<br />
Für diese neuen Energiemaissorten wird ein Ertragspotenzial von 30 t TM/ha oder<br />
dar<strong>über</strong> prognostiziert. Dass dieses Potenzial nicht auf allen Standorten ausgeschöpft<br />
werden kann, wird deutlich, wenn man sich die Umweltansprüche solcher Maishybriden<br />
vergegenwärtigt. Spätreife, massenwüchsige Typen erfordern hohe Temperatursummen<br />
und ausreichende Niederschlagsmengen. Solche günstigen Temperaturverhältnisse findet<br />
man vor allem im Süden und Osten Deutschlands. In Norddeutschland besteht jedoch<br />
bereits für Sorten der mittelfrühen Reifegruppe ein erhebliches Risiko, dass der für eine<br />
erfolgreiche Silierung notwendige TS-Gehalt erreicht wird (35). Im Osten werden sich<br />
die geringen Niederschlagsmengen von 500 mm oder darunter limitierend auf den Ertrag<br />
auswirken, da davon auszugehen ist, dass hochertragreiche Energiemaissorten auch bei<br />
verbesserter Trockenstresstoleranz einen verhältnismäßig hohen Wasserbedarf aufweisen<br />
werden. Daraus folgt, dass sich die Gunstlagen für den Anbau der Energiemaissorten<br />
hauptsächlich in im südwestlichen Teil von Deutschland konzentrieren werden. Der mit<br />
dem Klimawandel vorhergesagte Temperaturanstieg kann jedoch zu einer Verschiebung<br />
der Anbaugrenzen führen. So belegen Simulationen mit dem Modell MAISPROQ für den<br />
Anbau mittelfrüher Sorten in Schleswig-Holstein, dass sowohl der TS-Gehalt als auch der<br />
TM-Ertrag bereits stark auf den Temperaturanstieg der letzten 20 Jahre reagiert haben und<br />
zu einer Reduzierung des Anbaurisikos führten (36). Es ist also davon auszugehen, dass<br />
ein zukünftiger Temperaturanstieg in einer Ausdehnung des Anbaus von Energiemaissorten<br />
nach Norden resultieren wird.<br />
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Abb. 10. Genetische Basis der Energiemais-Hybriden<br />
Quelle: (nach 55)<br />
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6 Biogasgülle: Effekte auf C- und N-Flüsse<br />
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Neben der Produktion von Biogas entsteht im Rahmen der anaeroben Vergärung ein stoffliches<br />
Endprodukt, der Gärrückstand oder die Biogasgülle. Während sich vergleichsweise<br />
viele Forschungsprojekte mit der Gärbiologie und Verfahrenstechnik befasst haben, gibt<br />
es nur wenige aktuelle Studien, welche die langfristigen Effekte des Einsatzes von Biogasgülle<br />
auf die C- und N-Flüsse auf Betriebssystemebene analysieren. Zu potenziellen
Die energetische Nutzung von Mais in Biogasanlagen<br />
Effekten der verwendeten Pflanzenart auf die Eigenschaften des Gärsubstrates und den<br />
C- und N-Haushalt liegen bislang keine belastbaren Untersuchungen vor.<br />
6.1 C- und N-Verfügbarkeit<br />
185<br />
Im Verlauf der anaeroben Abbauprozesse erfährt das Gärsubstrat eine starke Veränderung<br />
sowohl was die chemische Zusammensetzung als auch die physikalischen Eigenschaften<br />
betrifft. In der Biogasgülle wird durch die Methanausgasung das C : N-Verhältnis redu-<br />
+ ziert, während der NH -Gehalt und der pH-Wert stark ansteigen. Es kommt weiterhin zu<br />
4<br />
einer Abnahme des Gehaltes an organischer Substanz bei einer gleichzeitigen Erhöhung<br />
deren Stabilität, was sich positiv auf die Humusreproduktionsleistung auswirken soll (10;<br />
28). Die erhöhte Stabilität der organischen Substanz verhindert auch in starkem Umfang<br />
eine Immobilisierung des mineralischen Stickstoffs (27; 63). Weiterhin verfügt Biogasgülle<br />
aufgrund des geringeren organischen Trockensubstanzgehaltes <strong>über</strong> eine reduzierte<br />
Viskosität und damit <strong>über</strong> verbesserte Infiltrationseigenschaften. Letzteres, sowie der er-<br />
+ höhte NH -Gehalt, das reduzierte C : N-Verhältnis und die verminderte Immobilisierung<br />
4<br />
mineralischen Stickstoffs beeinflusst die N-Verfügbarkeit für die Pflanze. Nach gUtser<br />
et al. (28) schwankt die kurzfristige N-Wirkung von Biogasgülle zwischen 40 und 60 %<br />
Mineraldünger-Äquivalenten (MFE) und weist damit eine bessere N-Verfügbarkeit auf<br />
als unvergorene Rindergülle (35–45 MFE %). Die N-Verfügbarkeit von Biogasgülle kann<br />
allerdings durch die Kofermentation pflanzlicher Biomasse noch gesteigert werden und<br />
dann im Bereich von 50–70 MFE % variieren. Langjährige Applikation soll die N-Wirkung<br />
von Gärrückständen auf Werte <strong>über</strong> 60 bis 70 % steigern. Für die P-Wirkung wurden<br />
nur geringe Effekte dokumentiert (63). Untersuchungen von loria and saWyer (57) an<br />
mit Schweinegülle gedüngtem und inkubiertem Boden, zeigten keine signifikanten Effekte<br />
+ der anaeroben Fermentation auf die Gehalte an NH -N, NO3-N, mineralischem N und die<br />
4<br />
Verfügbarkeit von Phosphor.<br />
6.2 N-Verlustpotenzial<br />
Stickstoffverluste entstehen durch Ammoniakemissionen während Lagerung und Ausbringung,<br />
Denitrifikation, N-Auswaschung und N-Immobilisierung im Boden. Da der<br />
pH-Wert von Gärrückständen um bis zu 0,5 Einheiten gegen<strong>über</strong> dem Ausgangssubstrat<br />
erhöht ist, muss von einem gesteigerten NH -Emissionsrisiko ausgegangen werden. Ver-<br />
3<br />
luststeigernd kann sich auch der reduzierte TS-Gehalt von Gärrückständen auswirken, der<br />
eine emissionsmindernde Schwimmdeckenbildung verhindert (80; 82). Das aufgrund des<br />
+ pH-Wertes und NH -Gehaltes erhöhte NH3-Verlustpotenzial von Biogasgülle muss nach<br />
4<br />
Ausbringung jedoch nicht zwangsläufig auch zu gesteigerten gasförmigen Verlusten führen,<br />
da das Substrat, bedingt durch einen geringeren Trockensubstanzgehalt und reduzierte<br />
Viskosität, <strong>über</strong> bessere Infiltrationseigenschaften verfügt. So stellten WUlF et al. (94)<br />
reduzierte gasförmige NH 3 -Verluste nach Schleppschlauch-Ausbringung von Biogasgülle<br />
im Vergleich zu Rohgülle fest, mit einem deutlich ausgeprägteren Effekt auf Grünland als<br />
auf Ackerland. Der positive Effekt auf die NH 3 -Emissionen wird von rUbaeck et al. (75)<br />
bestätigt. Was das Potenzial für Denitrifikation und gasförmige N 2 O-Verluste von Biogasgülle<br />
betrifft, sind im Vergleich zu unvergorener Gülle geringere Verluste zu erwarten<br />
aufgrund des reduzierten Gehaltes und der geringeren Abbaubarkeit der im Gärrückstand<br />
verbliebenen organischen Masse. Dies wird von einigen Studien belegt (16; 67; 75), während<br />
WUlF et al. (95) auch gegenteilige Effekte nach Applikation von Biogasgülle auf<br />
Grünland feststellten, was auf die geringere Bedeutung der C-Verfügbarkeit auf Grünland<br />
zurückgeführt wird.
186 Antje Herrmann und Friedhelm Taube<br />
Im Hinblick auf das Nitrat-Auswaschungspotenzial wird für Biogasgülle ein geringeres<br />
Risiko postuliert aufgrund des höheren Gehaltes an pflanzenverfügbarem Stickstoff.<br />
Experimentelle Untersuchungen hierzu sind nur begrenzt vorhanden. Ergebnisse einer<br />
5-jährigen Studie auf Dauergrünland aus Österreich belegen einen signifikant geringeren<br />
mittleren Nitratgehalt im Sickerwasser der Variante Biogasgülle im Vergleich zur mineralischen<br />
Volldüngung, was sicherlich auch in den nicht erfassten gasförmigen Verlusten<br />
und dem verhältnismäßig hohen Jahresniederschlag begründet ist (71). Verglichen mit<br />
den traditionellen Wirtschaftsdüngern bestand bei dem untersuchten Düngungsniveau von<br />
120 kg N/ha kein höheres Risiko einer Nitratauswaschung. Auch merz und trösch (62)<br />
konnten keinen auswaschungsmindernden Effekt durch Güllefermentation aufzeigen.<br />
6.3 Methanemissionen<br />
Für Methanemissionen, die kurzfristig nach Ausbringung auftreten können, sind zwei Verlustpfade<br />
zu nennen (95). Zum einen kann während der Lagerung von unfermentierter<br />
oder Biogasgülle Methan in Lösung gehen, welches nach Ausbringung freigesetzt wird<br />
(83). Zum anderen können durch entsprechende Applikationstechniken, wie beispielsweise<br />
Gülleinjektion, anaerobe Bedingungen im Boden gefördert werden, die zur Methanbildung<br />
und -emission führen (21). Verbesserte Infiltrationseigenschaften und eine geringere<br />
C-Verfügbarkeit werden von WUlF et al. (95) als primäre Ursache für geringere Methanemissionen<br />
von schleppschlauch-applizierter Biogasgülle verglichen zu unfermentierter<br />
Gülle sowohl auf Grünland als auch auf Ackerland gesehen. Der nach Ausbringung dokumentierte<br />
Fermentationseffekt auf das Treibhausgasverlustpotenzial wurde eher gering<br />
eingeschätzt, während die Applikationstechnik deutlichere Effekte zeigte. Simulationen<br />
auf Systemebene, die auch die Treibhausgasemissionen im Stall und Lager berücksichtigen,<br />
lassen jedoch ein deutlicheres Reduktionspotenzial erkennen (81; 87).<br />
7 Energiemaisanbau und Cross-Compliance<br />
Nach der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik vom Juni 2003 und April 2004 ist der<br />
Erhalt von Direktzahlungen an die Einhaltung von Bewirtschaftungsauflagen geknüpft<br />
(Cross-Compliance). Die einzuhaltenden Verpflichtungen umfassen Standards aus (i) bereits<br />
existierenden EG-Regelungen der Bereiche Umweltschutz, Lebens- und Futtermittelsicherheit<br />
und tierische Gesundheit und Tierschutz, (ii) Regelungen zum Bodenschutz<br />
und zur Mindestinstandhaltung landwirtschaftlicher Flächen, sowie (iii) Regelungen zur<br />
Erhaltung von Dauergrünland (15). Ein Novum ist, dass bei Verstößen gegen Cross-Compliance-Auflagen<br />
Sanktionen in Form von Kürzungen der Direktzahlungen erfolgen. Potenzielle<br />
Konflikte des Energiemaisanbaus mit Cross-Compliance-Auflagen sehen wir<br />
primär in der „Verordnung <strong>über</strong> die Anwendung von Düngemitteln, Bodenhilfsstoffen,<br />
Kultursubstraten und Pflanzenhilfsmitteln nach den Grundsätzen der guten fachlichen<br />
Praxis bei Düngen (Düngeverordnung)“, sowie in der Verpflichtung zur Erhaltung der<br />
Flächen in gutem landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand.<br />
7.1 Düngeverordnung<br />
Die Düngeverordnung limitiert die Ausbringung von Wirtschaftsdüngern tierischer Herkunft<br />
und Sekundärrohstoffdünger auf maximal 170 kg N ha -1 und die N-Applikation nach<br />
der Hauptfruchternte auf maximal 40 kg ha -1 NH 4 -N oder 80 kg ha -1 Gesamt-N. Dar<strong>über</strong><br />
hinaus wird die Obergrenze für maximal zulässige N-Überschüsse im Verlauf nächsten<br />
Jahre sukzessive von 90 auf 60 kg N ha -1 reduziert. Für Silomais konnten herrmann und
Die energetische Nutzung von Mais in Biogasanlagen<br />
187<br />
taUbe (37; 38) dokumentieren, dass die N-Konzentration der Pflanze einen zuverlässigen<br />
Indikator des N-Status darstellt, und eine N-Konzentration von 10,5 g N kg -1 Trockenmasse<br />
zur Siloreife ausreichend für die Erzielung maximaler Erträge ist, s. Abbildung 11.<br />
Nimmt man an, dass (i) eine Übertragbarkeit dieser kritischen N-Konzentration auch auf<br />
die hochertragreichen neuen Energiemaissorten gegeben ist, (ii) keine wesentlichen N-<br />
Verluste bei der Vergärung, Lagerung und Ausbringung auftreten, und (iii) eine für die<br />
Ertragsmaximierung ausreichende N-Versorgung der Maisbestände erfolgt, lässt sich<br />
ausgehend von dem Ertragspotenzial die mit dem Gärrückstand wieder auszubringende<br />
N-Menge abschätzen (Tab. 5). Die von der Düngeverordnung gesetzte Obergrenze von<br />
170 kg N ha -1 wird also schon bei Erträgen <strong>über</strong> 16,2 t ha -1 <strong>über</strong>schritten. Der Anbau sehr<br />
ertragreicher Sorten – für Energiemais werden Erträge von 30 t ha -1 in Aussicht gestellt<br />
(55) – erfordert also zum einen den Einsatz von mineralischen Düngemitteln, da der N-Bedarf<br />
nicht alleine <strong>über</strong> organische N-Düngung abgedeckt werden kann. Zum anderen kann<br />
langfristig ein N-Überschuss entstehen, der bei hohen Anteilen von Energiemais in der<br />
Fruchtfolge nur noch auf Fremdflächen untergebracht werden kann. Der Nährstoffexport<br />
betrifft dann natürlich auch die Phosphor- und Kaliumflüsse im System. Im Hinblick auf<br />
die Nährstoffbilanzierung ist die Biogaserzeugung aus Mais also als kritisch zu betrachten.<br />
Die Problematik wird noch verstärkt im Falle von Energiepflanzenfruchtfolgen mit Zweit-<br />
oder Zwischenfruchtanbau, die zurzeit intensiv diskutiert werden (19). Dar<strong>über</strong> hinaus ist<br />
in der landwirtschaftlichen Praxis eher von einer Stickstoff<strong>über</strong>- als Unterversorgung der<br />
Maisbestände auszugehen, wie anhand eines Monitorings belegt werden konnte (38). Die<br />
in Tabelle 5 berechneten N-Mengen werden in der Praxis also mit hoher Wahrscheinlichkeit<br />
eher noch <strong>über</strong>schritten werden. Bleibt dann aufgrund von ungünstigen Witterungsbedingungen<br />
wie temporärer Trockenheit der Ertrag deutlich unter den Ertragserwartungen,<br />
verbleiben größere Mengen Reststickstoff im Boden, die das Nitratauswaschungspotenzial<br />
steigern. Das Argument geschlossener Nährstoffkreisläufe, welches häufig im Zusammen-<br />
TM]<br />
N-Gehalt [g N kg -1<br />
12<br />
10<br />
8<br />
6<br />
4<br />
2<br />
0<br />
y = 4.4162*exp(0.0086*x)<br />
n = 102<br />
SE(100) = 1.03<br />
0 20 40 60 80 100<br />
Relativertrag [%]<br />
Abb. 11. Beziehung zwischen Relativertrag (%) und N-Gehalt von<br />
Silomais (g N kg-1 TM) zur Siloreife. Die gepunkteten Linien geben<br />
das 95 %-Konfidenzintervall an<br />
Quelle: (nach 38)
188 Antje Herrmann und Friedhelm Taube<br />
hang mit dem Anbau nachwachsender Rohstoffe als ein großer Vorteil angeführt wird,<br />
kann man im Falle ertragreicher Maissorten nicht gelten lassen.<br />
Tabelle 5. Mit dem Gärrest anfallende N-Menge von Mais bei einem N-Gehalt des<br />
Ausgangssubstrates von 10,5 g N kg -1 Trockenmasse<br />
Trockenmasseertrag (t ha -1 ) N-Menge (kg N ha -1 )<br />
10 105<br />
14<br />
18<br />
22<br />
26<br />
30<br />
147<br />
189<br />
231<br />
273<br />
315<br />
Grau hinterlegte Zahlen zeigen eine Überschreitung der zulässigen organischen N-Düngung/ha<br />
an.<br />
7.2 Verpflichtung zur Erhaltung der Flächen in gutem landwirtschaftlichen<br />
und ökologischen Zustand<br />
In dieser Verpflichtung werden Anforderungen zu den Bereichen „Bodenschutz“, „Instandhaltung<br />
von Flächen“ und „Landschaftselemente“ formuliert. Was den Bodenschutz<br />
betrifft, wird neben der Erosionsvermeidung der Erhaltung der organischen Substanz im<br />
Boden und der Bodenstruktur große Bedeutung zugemessen. Um letzteren Anforderungen<br />
nachzukommen ist ein dreigliedriges Anbauverhältnis einzuhalten oder alternativ eine<br />
jährliche Humusbilanzierung bzw. eine Untersuchung des Bodenhumusgehaltes in mindestens<br />
6-jährigem Turnus durchzuführen. Die Humusbilanz darf im Mittel dreier Jahre<br />
nicht unter einen Grenzwert von -75 kg Humus-C ha -1 a -1 absinken bzw. der Humusgehalt<br />
darf in Abhängigkeit des Tongehaltes einen bestimmten Wert nicht unterschreiten (15).<br />
Aufgrund des im Vergleich zu anderen Pflanzenarten hohen Methanertragspotenzials von<br />
Mais werden Betriebe, die Biogasanlagen betreiben, einen möglichst hohen Maisanteil in<br />
der Fruchtfolge bzw. Maismonokultur anstreben. Anhand der Humusbilanzierung möchten<br />
wir aufzeigen, dass der Energiemaisanbau zu Konflikten im Hinblick auf die „Verpflichtung<br />
zur Erhaltung von Flächen in gutem landwirtschaftlichen und ökologischen<br />
Zustand“ führen kann. Die hier durchgeführte Bilanzierung basiert auf den in der Direktzahlungen-Verpflichtungenverordnung<br />
vom 4. Nov. 2004 aufgeführten Kennzahlen.<br />
Dar<strong>über</strong> hinaus wurde unterstellt, dass der von der Fläche produzierte Mais in Form von<br />
Gärsubstrat zurückgeführt wird und es wurde ein Aschegehalt von 5 % angenommen. Wie<br />
aus Tabelle 6 ersichtlich, sinkt erwartungsgemäß die Humusreproduktionsleistung mit<br />
steigender Abbaurate der organischen Substanz im Fermenter, während sie mit steigender<br />
Humusreproduktion des Gärrestes zunimmt. Der für ausgeglichene Humusbilanzen erforderliche<br />
TM-Ertrag variiert somit zwischen 13 bis 24 t ha -1 , wenn man für Mais einen<br />
Humusbedarf von 560 kg Humus-C ha -1 annimmt wie in der oben angeführten Verpflichtung.<br />
Dieser Wert ist nach VDLUFA (90) jedoch nur als unterer Grenzwert für Böden in<br />
gutem Kulturzustand mit optimaler mineralischer N-Düngung anzusehen, wohingegen für<br />
seit längerem mit Humus unterversorgte Böden ein Grenzwert von 800 kg Humus-C anzuwenden<br />
ist. Hierbei wird das Ertragspotenzial nicht näher spezifiziert. Es ist aber davon<br />
auszugehen, dass der Humusbedarf in Beziehung zum Produktionsniveau steht. Auch die<br />
in der gesetzlichen Verpflichtung angegebenen Werte zur Humusreproduktion von Gär-
Tabelle 6. Humusreproduktionsleistung von Mais-Gärresten (kg Humus-C ha-1 ) in Abhängigkeit des Ertragspotenzials (t TM ha-1 ),<br />
der Abbaurate der organischen Substanz im Fermenter (%) und der Humusreproduktion des Gärrestes (kg Humus-C kg-1 Gärrest-TM)<br />
Abbaurate der organischen Substanz im Fermenter<br />
75 % 80 % 85 %<br />
Humusreproduktion (kg Humus-C kg-1 Humusreproduktion (kg Humus-C kg<br />
Gärrest-TM)<br />
-1 Humusreproduktion (kg Humus-C kg<br />
Gärrest-TM)<br />
-1<br />
Gärrest-TM)<br />
0,12 0,13 0,14 0,15 0,12 0,13 0,14 0,15 0,12 0,13 0,14 0.15<br />
Die energetische Nutzung von Mais in Biogasanlagen<br />
10 345 374 403 431 288 312 336 360 231 250 270 289<br />
12 414 449 483 518 346 374 403 432 277 300 323 347<br />
14 483 523 564 604 403 437 470 504 323 350 377 404<br />
16 552 598 644 690 461 499 538 576 370 400 431 462<br />
18 621 673 725 776 518 562 605 648 416 450 485 520<br />
20 690 748 805 863 576 624 672 720 462 501 539 578<br />
22 759 822 886 949 634 686 739 792 508 551 593 635<br />
24 828 897 966 1 035 691 749 806 864 554 601 647 693<br />
Ertrag (t TM ha -1 )<br />
26 897 972 1 047 1 121 749 811 874 936 601 651 701 751<br />
28 966 1 047 1 127 1 208 806 874 941 1 008 647 701 755 809<br />
30 1 035 1 121 1 208 1 294 864 936 1 008 1 080 693 751 809 866<br />
189
190 Antje Herrmann und Friedhelm Taube<br />
resten sind unspezifisch, d. h. sie berücksichtigen weder das vergorene Substrat bzw. die<br />
Pflanzenart noch das Entwicklungsstadium, welches entscheidend den Lignifizierungsgrad<br />
beeinflusst. Dar<strong>über</strong> hinaus wird für Gärreste eine höhere Humusreproduktion im<br />
Vergleich zu Schweinegülle angenommen, jedoch identische Werte wie für Rindergülle.<br />
Experimentelle Untersuchungen hierzu sind nur in geringem Umfang vorhanden. So fanden<br />
asmUs und linke (10) eine höhere Humusreproduktion der organischen Substanz von<br />
Schweinegülle nach Fermentation, während reinhold et al. (73) gleiche Kohlenstoffanteile<br />
zur Humusreproduktion für unvergorene und anaerob vergorene Mischgülle feststellten.<br />
Verluste, die während der Silierung und Entnahme der Silage in Form von Atmung<br />
bzw. Sickersaft auftreten und je nach eingesetzter Siliertechnik eine Höhe von 6 bis 16 %<br />
aufweisen können (77), wurden in den Berechnungen zu Tabelle 6 nicht berücksichtigt.<br />
Diese Verluste betreffen jedoch eher die verhältnismäßig leicht verfügbare organische<br />
Substanz, welche vermutlich auch nicht entscheidend zur Humusbildung beiträgt.<br />
Schlussfolgernd ist festzuhalten, dass Konflikte im Hinblick auf die Verpflichtung<br />
zur Erhaltung der Flächen in gutem landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand auf<br />
Standorten bzw. unter klimatischen Bedingungen zu erwarten sind, die ein geringes Maisertragspotenzial<br />
bedingen. Die Humusbilanzierung stellt zwar einen integralen Indikator<br />
zur Bewertung der Nachhaltigkeit von Produktionssystemen dar, es besteht jedoch noch<br />
erheblicher Forschungsbedarf im Bereich des standort- und bewirtschaftungsspezifischen<br />
Humusbedarfes und der Humusreproduktionsleistung (90).<br />
8 Ökobilanz<br />
Grundsätzlich kann der Ersatz fossiler Energien durch Biomasse zu einer Reduktion der<br />
Treibhausgasemissionen beitragen (41). Für eine differenziertere Bewertung sollten die<br />
unterschiedlichen Verfahren zur Energieerzeugung aus Biomasse jedoch nicht nur hinsichtlich<br />
ihrer Produktivität und Wirtschaftlichkeit, sondern auch im Hinblick auf ihre<br />
ökologischen Effekte analysiert werden. Hierzu bietet sich die Ökobilanzierung an. Ein<br />
Vergleich verschiedener Produktionssysteme für Bioenergie zeigt, dass Unterschiede im<br />
Hinblick auf die Treibhausgasemission zwischen den Systemen bestehen (41). Für einige<br />
Systeme, wie beispielsweise Biogas und Sonnenblumen-Methylester, werden keinerlei<br />
bzw. negative Emissionen ausgewiesen (41). Im Falle von Biogas wird dies unter anderem<br />
auf die verhinderten Emissionen bei der Referenznutzung, d. h. Güllelagerung, zurückgeführt.<br />
Dabei ist nach JUngmeier und spitzer (41) die alleinige Vergärung von Gülle besser<br />
zu bewerten als die Kovergärung von Gülle mit weiteren Substraten, wohingegen nach<br />
vogt et al. (91) Kovergärungsverfahren aufgrund der höheren Stromerzeugung oft günstigere<br />
Ökobilanzen aufweisen sollen. Stark variierend auf die Höhe der Bilanzen wirkt die<br />
Anlagengröße ein. So sollen, was die Stromerzeugung betrifft, Großanlagen ökologisch<br />
besser zu bewerten sein als Kleinanlagen (70). Entscheidend bei der Verfahrensgestaltung<br />
ist weiterhin, dass die Substratproduktion in räumlicher Nähe zur Biogasanlage erfolgt.<br />
matthes (60) konnte etwa zeigen, dass die Transportwege von der Biomasseerzeugung zur<br />
Biogasanlage unter 20 km betragen sollten. Mit zunehmenden Distanzen werden die Ökobilanzen<br />
deutlich ungünstiger und sind unter bestimmten Bedingungen sogar schlechter zu<br />
beurteilen als für fossile Energieträger, wenn beispielsweise Gülle <strong>über</strong> eine Entfernung<br />
von 100 km transportiert wird.<br />
Studien zur relativen Vorzüglichkeit von Kulturpflanzen für die Vergärung in Biogasanlagen<br />
legen merkliche Unterschiede in Abhängigkeit des Ertragspotenzials und der<br />
eingesetzten Produktionsmittel dar. Nach plöchl und heiermann (68) verursacht die Produktion<br />
von Luzerne, Mais und Gras mit Treibhausgasemissionen von 80 bis 100 g CO 2<br />
eq. kWh -1 geringere Belastungen als der Anbau von Triticale, Roggen, Hanf oder Raps.
Die energetische Nutzung von Mais in Biogasanlagen<br />
191<br />
Die dieser Studie zugrunde liegenden Zahlen beruhen jedoch auf Anbaubedingungen und<br />
Ertragspotenzialen des Landes Brandenburg. Da das Ertragsniveau die Ökobilanz entscheidend<br />
beeinflusst, ist kritisch zu hinterfragen, ob diese Ergebnisse auf andere Regionen<br />
<strong>über</strong>tragbar sind. Für Norddeutsche Verhältnisse konnte eine deutliche Überlegenheit<br />
von Silomais gegen<strong>über</strong> schnittgenutztem Grünland bezüglich der Energieeffizienz der<br />
Futterproduktion dokumentiert werden (46).<br />
9 Weitere kritische Aspekte<br />
Seit Inkrafttreten des EEG ist ein rascher Anstieg der Anzahl Biogasanlagen und des<br />
Anbaus von Energiepflanzen erfolgt, wobei ein Trend zu einer <strong>über</strong>wiegenden Verwendung<br />
von Mais in Kofermentation mit Gülle bzw. in Monovergärung zu beobachten war,<br />
begründet auf dem hohen Methanertragspotenzial, der guten Mechanisierbarkeit und Verfügbarkeit<br />
der Anbautechnik. So wurden im Jahr 2005 bundesweit rund 70 000 ha Mais<br />
für die Biogaserzeugung angebaut, was ca. 4 % der gesamten Maisanbaufläche entspricht<br />
(18). Von einer weiteren Ausdehnung des Anbaus ist auszugehen.<br />
Welche Auswirkungen die forcierte künftige Biomassenutzung auf die Entwicklung der<br />
Kulturlandschaft hat ist schwer abschätzbar, da entsprechende Analysen fehlen. Es ist aber<br />
von potenziell erheblichen Effekten auf die Biodiversität und das räumliche Muster der<br />
Landnutzung auszugehen (29). Auch die Flächenanforderungen des Naturschutzes müssten<br />
erheblich eingeschränkt werden, sollten die in den Biomasseszenarien vorgesehenen<br />
Anbauflächen realisiert werden. Konfliktpotenzial bzgl. der Ausweitung des Maisanbaus<br />
sieht eine Studie zur naturschutzverträglichen Erzeugung und Nutzung von Biomasse zur<br />
Wärme- und Stromgewinnung (74) zum einen in Risiken der Bodenverdichtung und Erosion,<br />
der Ausbreitung von Krankheiten und Schädlingen, sowie in der Einschränkung<br />
der Biodiversität in Agrarlandschaften. Dies kommt insbesondere zum Tragen, wenn<br />
aufgrund des Anbaus für Futterzwecke und der Nutzung in Biogasanlagen der Mais zur<br />
dominierenden Frucht wird, was beispielsweise in einigen Regionen Niedersachsens zu<br />
erwarten ist. Dar<strong>über</strong> hinaus kann das Landschaftsbild negativ verändert werden („Homogenisierung<br />
der Landschaft“), wenn Energiepflanzen zum Anbau kommen, die ein großes<br />
Höhenwachstum aufweisen, was insbesondere für die neuen Energiemaissorten zutrifft.<br />
Durch Einschränkung der Sicht können in Abhängigkeit des Reliefs wichtige Blickbeziehungen<br />
der Landschaft verstellt werden, was auch dem Tourismus abträglich sein könnte.<br />
Desgleichen werden olfaktorische Beeinträchtigungen durch Biogasanlagen und die Möglichkeit<br />
der Zunahme von Wildschäden angeführt. Der Naturschutzbund lehnt daher den<br />
intensiven Anbau von Kofermenten wie Mais aus ökologischen Gründen ab. Die Analyse<br />
der Effekte einer Ausdehnung des Energiemaisanbaus auf die abiotische und biotische<br />
Umwelt im kleinräumigen Maßstab (Schlagniveau) als auch auf regionaler Ebene ist daher<br />
dringend erforderlich (74).<br />
10 Forschungsbedarf<br />
Abschließend lässt sich folgender Forschungsbedarf formulieren:<br />
●<br />
Im Bereich der Methodenentwicklung ist die Erarbeitung von Standards zur Durchführung<br />
von Gärversuchen dringend erforderlich, ebenso wie die Ermittlung der qualitätsrelevanten<br />
Parameter und optimalen Inhaltsstoffzusammensetzung für die Methanbildung,<br />
um dann effiziente Analysemethoden, wenn möglich unter Nutzung von NIRS,<br />
zur Bewertung qualitätsrelevanter Parameter entwickeln zu können.
192 Antje Herrmann und Friedhelm Taube<br />
●<br />
●<br />
●<br />
●<br />
●<br />
●<br />
●<br />
Die züchterische Tätigkeit erfordert das Herausarbeiten eines Ideotypen was das Abreifeverhalten<br />
und den Kolbenanteil betrifft, um dann gezielt wertgebende Inhaltstoffe<br />
steigern bzw. unerwünschte Substanzen reduzieren zu können.<br />
Im Hinblick auf die Anbauverfahren hat eine Optimierung der Fruchtfolgesysteme<br />
unter Berücksichtigung von ökonomischen und ökologischen Aspekten zu erfolgen.<br />
Zur Optimierung der N-Versorgung von Energiemais bietet sich nach einer entsprechenden<br />
Validierung der von uns entwickelte kritische N-Gehalt als Indikator des N-<br />
Status des Bestandes an.<br />
Die Optimierung von Aussaat und Ernteterminen kann durch den Einsatz geeigneter<br />
Modelle unterstützt werden. So könnte das Modell MAISPROG, welches für die Erntezeitprognose<br />
von Silomais entwickelt wurde, nach einer entsprechenden Kalibration<br />
auch für Energiemais eingesetzt werden.<br />
Auch für die Bewertung des Energiemaisanbaus auf Systemebene hinsichtlich der<br />
Nährstoffwirksamkeit von Gärrückständen, des N-Verlustpotenzials, der Humusbilanz,<br />
der Energieeffizienz und der Naturschutzverträglichkeit erscheint der Einsatz von<br />
Modellen geradezu prädestiniert.<br />
Hinsichtlich der ökonomischen Effekte sind Möglichkeiten zur Kostensenkung bei Anbau-,<br />
Ernte-, und Silierverfahren zu ermitteln, sowie<br />
Wirtschaftlichkeitsvergleiche des Systems ‚Energiemaisanbau’ mit anderen alternativen,<br />
praxisrelevanten Produktionssystemen durchzuführen.<br />
Zusammenfassung<br />
Mit Inkrafttreten des Erneuerbare Energien Gesetzes und insbesondere seit dessen Novellierung<br />
im Jahr 2004 besteht ein verstärkter Trend zur Installation von Biogasanlagen. Im Zuge dessen ist<br />
eine Ausweitung des Maisanbaus zur Nutzung in Kovergärung mit Gülle oder in Monovergärung zu<br />
beobachten, was unter anderem auf der hohen Methanhektarleistung, der guten Mechanisierbarkeit<br />
und Lagerfähigkeit von Maissilage beruht. Das Ziel dieses Beitrages war es, den Stand der pflanzenbaulichen<br />
Forschung zur Nutzung von Mais in Biogasanlagen darzustellen und kritisch zu würdigen,<br />
sowie potenziellen Forschungsbedarf aufzuzeigen. In den Bereichen Erntezeitoptimierung, Schätzmethodik<br />
zur Ermittlung des Methanertrags, Züchtung, Bewertung des Energiemaisanbaus hinsichtlich<br />
der C/N-Flüsse auf Systemebene und Ökobilanzierung konnten viele offene Fragen aufgezeigt<br />
werden. So liegen beispielsweise bis dato keine systematischen, mehrjährigen Untersuchungen vor,<br />
die eine sichere Ableitung des optimalen Entwicklungsstadiums zur Maximierung der Methanausbeute<br />
oder eine Aussage <strong>über</strong> Effekte der Gärrest-Applikation auf das N-Verlustpotenzial ermöglichen.<br />
Potenzielle Konflikte des Energiemaisanbaus mit Cross-Compliance Auflagen werden in der<br />
Düngeverordnung und der Verpflichtung zur Erhaltung der Flächen in gutem landwirtschaftlichen<br />
und ökologischen Zustand gesehen. Dar<strong>über</strong> hinaus bestehen auch von Seiten des Naturschutzes<br />
Bedenken gegen eine Ausweitung des intensiven Anbaus von Energiemais. Der Einsatz geeigneter<br />
Modelle zur Bewertung des Energiemaisanbaus sowohl auf Schlag-, Betriebs-, als auch regionaler<br />
Ebene erscheint geradezu prädestiniert.<br />
Schlagworte: Biogas, Mais, Methanbildungspotenzial, Züchtung, Futterqualität, C/N-Flüsse,<br />
Cross-Compliance, Ökobilanz, Naturschutz<br />
Summary<br />
The use of maize for energy production in biogas plants – is research up to date with<br />
agricultural practice ?<br />
An increased trend towards the construction of biogas plants can be observed in Germany since the<br />
entry into force of the Renewable Energies Act (EEG) in 2000 and, in particular, since its amendment<br />
in 2004. Consequently, the acreage of maize for co-digestion with slurry or mono-digestion has been<br />
expanded which is mainly due to its high methane yields per hectare and the easy mechanisability<br />
and storability of maize silage. The objective of this contribution was to review and critically assess<br />
the state-of-the-art in agronomic research on maize grown for use in biogas plants and to indicate<br />
the potential need for research. Many problems that are still unresolved are pointed out in the fields<br />
of harvest time optimization, methods for estimating the methane yield, breeding, assessment of energy<br />
maize production with respect to C and N flows at system level and ecological assessment. To
Die energetische Nutzung von Mais in Biogasanlagen<br />
193<br />
date, for instance, no systematic, multi-annual experiments are available which allow a substantiated<br />
derivation of the optimal development stage for maximizing methane yield or a quantification of<br />
the impact of biogas slurry application on N loss potential. The authors identify potential conflicts<br />
between energy maize production and cross-compliance standards, in particular, with regard to the<br />
Fertilizer Ordinance and the obligation to maintain all agricultural land in good agricultural and ecological<br />
condition. Furthermore, the contribution addresses reservations about an increase of energy<br />
maize production from the perspective of nature conservation. The study draws the conclusion that<br />
an application of suitable models might facilitate the assessment of energy maize production at field,<br />
farm, and regional levels.<br />
Keywords: Biogas, maize, methane yield, breeding, forage quality, C and N dynamics, crosscompliance,<br />
energy balance, nature conservation<br />
Résumé<br />
L’utilisation énergétique du maïs dans des installations à biogaz – La recherche marque-t-elle<br />
un retard sur la pratique ?<br />
La Loi sur les énergies renouvelables, et en particulier son amendement de 2004, ont de plus en<br />
plus influencé la mise en place d’installations à biogaz. Ceci permit d’observer une expansion de<br />
la culture du maïs pour une utilisation sous forme de fermentation avec engrais semi-liquide ou<br />
sous forme de monofermentation, ce qui, entre autres, repose sur le rendement élevé en méthane<br />
par ha, sur la bonne mécanisation et la bonne faculté de conservation de silage de maïs. Cette étude<br />
avait pour objectif d’exposer le niveau de la recherche concernant la culture des plantes dans le but<br />
d’utiliser le maïs dans les installations à biogaz, de donner une appréciation critique et de mettre en<br />
évidence les besoins potentiels de la recherche. Dans les domaines de l’optimisation de l’époque<br />
de la moisson, de la méthode d’estimation dans le but de déterminer le rendement en méthane, la<br />
sélection, l’évaluation de la culture du maïs énergétique eu égard aux courants C/N sur le niveau des<br />
systèmes et de l’établissement du bilan écologique, de nombreuses questions restées en suspens ont<br />
été mises en évidence. Par exemple, à ce jour, on ne dispose d’aucun examen systématique d’une<br />
durée de plusieurs années qui permettrait d’obtenir une déduction sûre du stade de développement<br />
optimal en ce qui concerne la maximisation de l’exploitation de méthane ou un rapport sur les effets<br />
de l’application des restes de fermentation sur le potentiel en pertes d’azote (N). Les conflits<br />
potentiels de la culture du maïs énergétique avec les obligations de Cross-Compliance sont exposés<br />
dans le règlement sur les engrais et sur l’obligation de maintenir en bon état les superficies rurales et<br />
écologiques. En outre, la culture intensive du maïs énergétique du point de vue de la protection de<br />
la nature a fait l’objet de maintes préoccupations. Des modèles appropriés destinés à l’appréciation<br />
de la culture du maïs énergétique dans les champs labourés, les fermes, mais également à l’échelon<br />
régional, semble prédestiné.<br />
Mots clés : biogaz, maïs, potentiel de formation de méthane, sélection, qualité du fourrage, courants<br />
C/N, Cross-Compliance, bilan écologique, protection de la nature<br />
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Autorenanschrift: Dr. habil. antJe herrmann, Prof. Dr. Friedhelm taUbe, Institut für Pflanzen-<br />
bau und Pflanzenzüchtung, Grünland und Futterbau/Ökologischer Landbau,<br />
Olshausenstr. 40, 24098 Kiel, Deutschland<br />
aherrmann@email.uni-kiel.de
198<br />
Bedeutung der Pflanzenzüchtung für die Welternährung<br />
Von matin Qaim, Stuttgart-Hohenheim<br />
1 Einführung<br />
In diesem Beitrag soll der Frage nachgegangen werden, welche Rolle die Pflanzenzüchtung<br />
für die Welternährungssicherung spielen kann und tatsächlich spielt. Bereits vor <strong>über</strong> 200<br />
Jahren erkannte der Engländer thomas robert malthUs den wichtigen Zusammenhang<br />
zwischen Bevölkerungswachstum und Nahrungsproduktion, um Wohlstand zu wahren und<br />
zu mehren. Er prognostizierte, dass die rasche Bevölkerungsentwicklung langfristig unweigerlich<br />
zu weit verbreitetem Hunger und Elend führen müsse, weil die Nahrungsproduktion<br />
proportional von der verfügbaren Fläche abhängig sei, und diese sich nur begrenzt<br />
vermehren ließe. Ende des 18. Jahrhunderts gab es jedoch noch keine Pflanzenzüchtung<br />
im engeren Sinne. Auch andere Erfolge des agrartechnischen Fortschritts waren zur damaligen<br />
Zeit noch nicht absehbar, und das war auch der Hauptgrund dafür, dass malthUs<br />
mit seinen Prognosen Unrecht behielt. Das weltweite Elend blieb aus. Stattdessen kam<br />
es vor allem in Europa und Nordamerika zu beträchtlichen Wohlstandssteigerungen, und<br />
Probleme von Unterernährung konnten weitgehend <strong>über</strong>wunden werden.<br />
Tabelle 1. Hunger in Entwicklungsländern<br />
Anzahl der Hungernden<br />
(Mio.)<br />
Anteil Hungernder an der<br />
Gesamtbevölkerung (%)<br />
1990 - 92 1995 - 97 2000 - 02 1990 - 92 1995 - 97 2000 - 02<br />
Asien und Pazifik 569,2 509,5 519,0 20 17 16<br />
Lateinamerika 59,5 54,8 52,9 13 11 10<br />
Naher Osten und<br />
Nordafrika<br />
24,8 34,9 39,2 8 10 10<br />
Sub-Sahara-Afrika 170,4 197,4 203,5 36 36 33<br />
Entwicklungsländer<br />
gesamt<br />
823,8 796,7 814,6 20 18 17<br />
Quelle: (8)<br />
Dennoch gibt es nach wie vor Hunger auf der Welt – vor allem in den heutigen Entwicklungsländern<br />
(Tab. 1). Die meisten hungernden Menschen leben derzeit in Asien, insbesondere<br />
in China und Indien. Vergleichsweise gesehen ist das Problem von Unterernährung<br />
jedoch in Sub-Sahara-Afrika am größten; dort ist jeder Dritte nicht ausreichend mit Nahrungsmitteln<br />
versorgt. Obwohl der Anteil der Hungernden in den Entwicklungsländern<br />
in den vergangenen 15 Jahren kontinuierlich zurückgegangen ist, steigen die absoluten<br />
Hungerzahlen seit Mitte der 1990er-Jahre wieder an. Dies ist besorgniserregend: Vom Ziel<br />
des Welternährungsgipfels, den Hunger bis 2015 zu halbieren, sind viele Länder nicht nur<br />
U.S. Copyright Clearance Center Code Statement: 0005-9080/06/8402-198 $ 2.50/0
Bedeutung der Pflanzenzüchtung für die Welternährung<br />
199<br />
weit entfernt, sondern der Trend geht sogar in die falsche Richtung. Was sind die Ursachen<br />
für diesen untragbaren Zustand, und welches sind geeignete Bekämpfungsstrategien?<br />
Eine vor allem in der breiteren Öffentlichkeit vielfach gestellte Frage ist die, ob der<br />
Hunger eher ein Produktions- oder ein Verteilungsproblem sei. Entsprechend müssten<br />
dann Maßnahmen entweder zur Produktionssteigerung oder zur Verbesserung der Verteilungsgerechtigkeit<br />
ergriffen werden. Abbildung 1 verdeutlicht jedoch, dass eine solche<br />
Entweder-oder-Betrachtung der Komplexität des Problems nicht ausreichend gerecht wird.<br />
Im linken Teil der Abbildung wurden alle Nahrungsmittel, die heute weltweit produziert<br />
werden, in Kalorien umgerechnet und durch die Weltbevölkerung geteilt. Der menschliche<br />
Kalorienbedarf variiert nach Geschlecht, Alter und einer Reihe anderer Einflussfaktoren.<br />
Als grober Durchschnittswert mag eine Ernährungsempfehlung von rund 2300 kcal<br />
pro Kopf und Tag gelten. Die derzeitige Pro-Kopf-Verfügbarkeit von 2804 kcal würde<br />
also prinzipiell ausreichen, damit niemand hungern müsste. Dass dennoch <strong>über</strong> 800 Mio.<br />
Menschen hungern, ist ein klares Zeichen dafür, dass es tatsächlich ein gravierendes Verteilungsproblem<br />
gibt. Aber ist der Hunger deswegen nur ein Verteilungsproblem? Nein,<br />
denn dass die Nahrungsverfügbarkeit heute ausreicht, verdanken wir den beträchtlichen<br />
Produktionssteigerungen in der Vergangenheit, und wenn solche Steigerungen in Zukunft<br />
ausblieben, dann würde die Pro-Kopf-Verfügbarkeit im Jahre 2030 nur noch rund 2200<br />
kcal betragen. Dies würde vermutlich eine Verdopplung der Zahl der Hungernden nach<br />
sich ziehen.<br />
Abb. 1. Tägliche Pro-Kopf-Kalorienverfügbarkeit ohne Produktionssteigerung (weltweit)<br />
Quelle: Berechnungen des Autors auf Basis von (7; 24)<br />
In einer dynamischen Betrachtung ist der Hunger also sowohl ein Produktions- als auch<br />
ein Verteilungsproblem. Pflanzenzüchtung allein wird den Hunger nicht besiegen können.<br />
Dennoch kann sie eine wichtige Rolle spielen. Während ihr Beitrag für die globale<br />
Produktionssteigerung weitgehend anerkannt ist, wird die Bedeutung von Züchtung und<br />
angepassten neuen Pflanzensorten zur Linderung des Verteilungsproblems in der öffentlichen<br />
Debatte häufig nicht ausreichend wahrgenommen. Diese Aspekte werden in den<br />
folgenden zwei Kapiteln näher erläutert. In Kapitel 4 wird dann kurz die potenzielle Rolle<br />
wertsteigernder Züchtungsziele für das Welternährungsproblem aufgezeigt, bevor in Kapitel<br />
5 einige Schlussfolgerungen gezogen werden.
200<br />
2 Bedeutung der Züchtung für die globale Produktionssteigerung<br />
2.1 Erfolge in der Vergangenheit<br />
Um den Beitrag der Pflanzenzüchtung zur Linderung des Produktionsproblems zu analysieren,<br />
erscheint zunächst eine historische Perspektive angebracht. Abbildung 2 zeigt,<br />
dass die Weltbevölkerung sich in den letzten 40 Jahren etwa verdoppelt hat. Die Nahrungsproduktion<br />
ist aber fast um das Dreifache gestiegen, sodass sich die Pro-Kopf-Verfügbarkeit<br />
deutlich verbessert hat. Und das ist nicht etwa auf eine starke Ausdehnung der<br />
Ackerfläche zurückzuführen. Diese ist nur um etwa 10 % gestiegen und stagniert seit Mitte<br />
der 1980er-Jahre. Hauptgrund war vielmehr technischer Fortschritt, und hier vor allem<br />
Abb. 2. Entwicklung der globalen Bevölkerung, Nahrungsproduktion und Ackerfläche<br />
Quelle: (7)<br />
Abb. 3. Entwicklung der Getreideerträge in Asien<br />
Quelle: (7)
Bedeutung der Pflanzenzüchtung für die Welternährung<br />
201<br />
die so genannte Grüne Revolution, also die Entwicklung von Hochertragsleistungssorten<br />
für Weizen, Reis und andere Nahrungspflanzen, die seit den 1960er-Jahren in Asien und<br />
Lateinamerika weite Verbreitung fanden. Abbildung 3 verdeutlicht, dass sich die Reiserträge<br />
in Asien in den vergangenen Jahrzehnten mehr als verdoppelten. Die Weizenerträge<br />
vervierfachten sich sogar fast. Obwohl parallel auch der Einsatz von Bewässerung, Dünger<br />
und chemischem Pflanzenschutz ausgedehnt wurde, ist ein Großteil dieser Zuwächse<br />
auf das höhere Ertragspotenzial der neuen Sorten zurückzuführen – also ein Erfolg der<br />
Pflanzenzüchtung.<br />
Von Technologiekritikern wird häufig argumentiert, dass die Grüne Revolution im<br />
Hinblick auf die Welternährungssicherung ein Misserfolg war, weil die Zahl der hungernden<br />
Menschen heute höher ist als in den 1960er-Jahren. Eine solche Betrachtung,<br />
die lediglich die Hungerzahlen vor und nach der Grünen Revolution vergleicht, legt aber<br />
ein falsches Referenzsystem zugrunde. Um den tatsächlichen Effekt bewerten zu können,<br />
muss analysiert werden, was gewesen wäre, wenn die Grüne Revolution nicht stattgefunden<br />
hätte. Dies tut eine aktuelle Studie (4). Auf Basis umfangreicher Modellsimulationen<br />
wird aufgezeigt, dass ohne die Hochertragsleistungssorten die Nahrungsproduktion in<br />
den Entwicklungsländern um ein Viertel niedriger gewesen wäre als sie es heute tatsächlich<br />
ist. Obwohl ein Teil durch zusätzliche Importe ausgeglichen worden wäre, läge der<br />
durchschnittliche Pro-Kopf-Konsum deutlich unterhalb des heute beobachteten. Insgesamt<br />
wären 37 Mio. mehr Kinder von Unterernährung betroffen, und die Zahl der weltweit<br />
Hungernden wäre um 187 Mio. höher – sie würde also die 1 Mrd. Grenze <strong>über</strong>steigen.<br />
Diese Ergebnisse verdeutlichen, dass die Grüne Revolution den Hunger nicht hat beseitigen<br />
können, dass sie aber dennoch einen deutlichen Beitrag zur Welternährungssicherung<br />
geleistet hat. Auch andere Erfolge der Pflanzenzüchtung – wie etwa Ertragssteigerungen<br />
durch die Einführung von Hybriden zunächst in den USA und Europa aber zunehmend<br />
auch in den Entwicklungsländern – haben in den vergangenen Jahrzehnten entscheidend<br />
zu einer Verbesserung der Versorgungslage beigetragen (13).<br />
2.2 Zukünftige Herausforderungen<br />
Wie sehen nun die zukünftigen Herausforderungen für die Nahrungsproduktion aus? Das<br />
weltweite Bevölkerungswachstum geht zurück von heute rund 1,2 % pro Jahr auf deutlich<br />
unter 1 % im Jahr 2030 (24). Aber dennoch bedeutet dies derzeit einen jährlichen Zuwachs<br />
von 76 Mio. Menschen, also jedes Jahr fast einmal die Bevölkerung Deutschlands mehr.<br />
Auch im Jahr 2030 werden jährlich noch <strong>über</strong> 50 Mio. Menschen hinzukommen, und das<br />
fast ausschließlich in den Entwicklungsländern. Die Weltbevölkerung wird in den nächsten<br />
25 Jahren um <strong>über</strong> 25 % auf etwa 8,2 Mrd. ansteigen. Im Jahr 2050 wird sie vermutlich<br />
bei <strong>über</strong> 9 Mrd. liegen (24). Dar<strong>über</strong> hinaus steigen die Einkommen im Schnitt um 3 %<br />
jährlich. Vor allem in den Entwicklungsländern, wo derzeit noch eine Unterversorgung<br />
herrscht, heißt das, dass in Zukunft auch pro Kopf mehr Nahrung nachgefragt werden<br />
wird.
202 Matin Qaim<br />
Tabelle 2. Prognosen für die Pro-Kopf-Nahrungsnachfrage in Entwicklungsländern<br />
2002 2015 2030<br />
kg/Jahr<br />
Getreide als direkte Nahrung 173 173 172<br />
Getreide gesamt 250 265 279<br />
Obst und Gemüse 169 195 219<br />
Pflanzliche Öle 9 13 15<br />
Fleisch 29 32 37<br />
Milch und Milchprodukte 46 55 66<br />
Quelle: (7; 9)<br />
Tabelle 2 zeigt Prognosen für die Pro-Kopf-Nahrungsnachfrage in Entwicklungsländern<br />
bis 2030. Während die Pro-Kopf-Nachfrage nach Grundnahrungsmitteln für den direkten<br />
Konsum etwa konstant bleiben wird, kommt es aufgrund des steigenden Einsatzes von<br />
Getreide in der Viehfütterung zu einem deutlichen Anstieg im Gesamtverbrauch. Für den<br />
direkten menschlichen Konsum werden zukünftig vor allem höherwertige Nahrungsmittel<br />
verstärkt nachgefragt werden.<br />
Bevölkerungs- und Einkommenswachstum zusammen führen dazu, dass die weltweite<br />
Nahrungsproduktion um mindestens 50 % gesteigert werden muss, um auch im Jahr 2030<br />
noch eine ausreichende Verfügbarkeit zu gewährleisten. Hinzu kommt, dass die Nahrungsproduktion<br />
zunehmend Flächenkonkurrenz durch den Anbau von Bioenergiepflanzen bekommt.<br />
Derzeit werden weltweit jährlich 420 Exajoule Energie verbraucht. Rund 14 %<br />
davon entfallen auf Bioenergie. Heutzutage bedeutet Bioenergie aber vor allen Dingen die<br />
Nutzung von Brennholz und Abfallprodukten in Entwicklungsländern, sodass die hierfür<br />
beanspruchte Ackerfläche noch verhältnismäßig gering ist. Dies könnte sich in Zukunft<br />
drastisch ändern. Bis 2030 wird der weltweite Energiebedarf um etwa 60 % steigen (14).<br />
Die Nutzung von Biokraftstoffen – wie Biodiesel und Bioethanol – wird vielerorts propagiert<br />
und gewinnt durch hohe Erdölpreise wirtschaftlich an Bedeutung. Insbesondere für<br />
den Transportsektor sind jüngst konkrete Ziele festgesetzt worden: Bis 2010 sollen in der<br />
Europäischen Union 5, 75 % des Kraftstoffverbrauchs durch Bioenergie gedeckt werden.<br />
Der Anteil könnte längerfristig weiter steigen. Das amerikanische Energieministerium will<br />
in den kommenden Jahrzehnten sogar 30 % der Transportenergie durch Biokraftstoffe decken<br />
(18). Welchen Stellenwert Bioenergie in Zukunft tatsächlich haben wird, hängt von<br />
vielen Faktoren ab und lässt sich schlecht genau prognostizieren.
Bedeutung der Pflanzenzüchtung für die Welternährung<br />
Tabelle 3. Benötigte Ackerfläche für die Deckung von Transportenergie durch<br />
Biokraftstoffe: Globale Szenarien für 2030<br />
Energieträger Substitution<br />
von 5,75 % der<br />
Energie im<br />
Transport-<br />
sektor<br />
Substitution<br />
von 10 % der<br />
Energie im<br />
Transport-<br />
sektor<br />
203<br />
Substitution<br />
von 30 % der<br />
Energie im<br />
Transport-<br />
sektor<br />
In Prozent der global verfügbaren Ackerfläche<br />
Bioethanol aus Getreidestärke 11,3 19,6 58,8<br />
Bioethanol aus Zuckerrohr 4,8 8,4 25,1<br />
Biodiesel aus Ölsaaten 13,8 24,1 72,2<br />
Anmerkung: Die Berechnungen nehmen an, dass der globale Energieverbrauch bis 2030 um 60 %<br />
ansteigt, und dass der auf den Transportsektor entfallende Anteil konstant bleibt. Für die Energieausbeute<br />
der unterschiedlichen Varianten wurden heutige Durchschnittswerte zugrunde gelegt. Die<br />
global verfügbare Ackerfläche wurde konstant gehalten.<br />
Quelle: Berechnungen des Autors auf Basis von (7; 11; 14; 23)<br />
Tabelle 3 zeigt anhand von Beispielszenarien, wie viel Ackerfläche benötigt würde, wenn<br />
die genannten Ziele globale Anwendung fänden – und zwar nur bezogen auf den Transportsektor.<br />
Bei den Berechnungen wurde technischer Fortschritt bei der Energieausbeute<br />
vernachlässigt. Ebenso blieb unberücksichtigt, dass Biokraftstoffe zukünftig zum Teil aus<br />
Pflanzen gewonnen werden könnten, die auf Marginalstandorten wachsen, welche für die<br />
Nahrungsproduktion ohnehin ungeeignet sind. Dennoch verdeutlichen die Ergebnisse,<br />
dass eine verstärkte Nutzung von Biokraftstoffen in Zukunft erhebliche landwirtschaftliche<br />
Flächen beanspruchen könnte. Während dies für die potenzielle Wertschöpfung im<br />
Agrarsektor sicher positiv zu beurteilen ist, bedeutet es für die Welternährungssicherung<br />
eine ernst zu nehmende zusätzliche Herausforderung.<br />
Die globale Ackerfläche wird in Zukunft kaum weiter zu steigern sein, ohne dass die<br />
ökologischen Kosten immens wären. Obwohl in einigen Regionen durchaus noch zusätz-<br />
Abb. 4. Weltweite Wachstumsraten für Getreideerträge<br />
Quelle: (7)
204 Matin Qaim<br />
liches Land in Kultur genommen werden kann, fallen anderswo Flächen durch Bodendegradation<br />
und Urbanisierungstendenzen weg. Insgesamt ist davon auszugehen, dass die<br />
globale Ackerfläche in Zukunft etwa konstant bleiben wird, und dass der für die Produktion<br />
von Nahrungsmitteln verfügbare Anteil sinkt. Züchtungserfolge werden also für die<br />
Ernährungssicherung in Zukunft ebenso wichtig bleiben wie in der Vergangenheit. Dies<br />
gilt für die Produktivität von Nahrungsmitteln und Bioenergiepflanzen gleichermaßen. Vor<br />
diesem Hintergrund ist der weltweite Rückgang im Ertragswachstum wichtiger Grundnahrungsmittel<br />
mit Sorge zu betrachten. Abbildung 4 zeigt, dass das durchschnittliche jährliche<br />
Ertragswachstum für Reis und Weizen bis zu den 1980er-Jahren deutlich höher war<br />
als in den letzten 15 Jahren. In einigen Regionen der Welt gehen Wissenschaftler sogar davon<br />
aus, dass ein Ertragsplateau erreicht ist, welches ohne neue Züchtungsmethoden kaum<br />
weiter zu steigern sein wird (13). Verbesserte Verfahren der Hybridisierung zur weiteren<br />
Ausnutzung von Heterosiseffekten könnten zukünftig zu wichtigen Produktivitätsschüben<br />
beitragen. Aber auch die grüne Gentechnik sollte in diesem Kontext nicht leichtfertig<br />
ignoriert werden. Gentechnische Verfahren werden konventionelle Züchtungsmethoden<br />
nicht ersetzen, aber sie können dazu beitragen, standörtlich angepasste Sorten zusätzlich<br />
mit erwünschten Merkmalen wie Toleranz gegen bestimmte Stressfaktoren oder höhere<br />
Nährstoffeffizienz auszustatten. Auch höherwertige Nahrungspflanzen, die bei der Grünen<br />
Revolution weitgehend vernachlässigt wurden, könnten von gentechnischen Verbesserungen<br />
profitieren. Laufende Forschungs- und Entwicklungsarbeiten zu gentechnisch<br />
veränderten Obst- und Gemüsekulturen mit eingebauten Resistenzen gegen Insekten und<br />
andere Schaderreger sind vor diesem Hintergrund viel versprechend.<br />
Freilandversuche mit gentechnisch veränderten Pflanzen werden seit Ende der 1980er-<br />
Jahre in verschiedenen Ländern durchgeführt. Seit Mitte der 1990er-Jahre werden einige<br />
dieser Pflanzen auch kommerziell verwendet. Abbildung 5 zeigt die Entwicklung<br />
der kommerziell angebauten Fläche. Im Jahr 2005 waren dies bereits 90 Mio. Hektar.<br />
60 % entfallen auf gentechnisch veränderte Sojabohnen, gefolgt von Mais, Baumwolle<br />
und Raps. Hinsichtlich der veränderten Merkmale dominieren die Herbizidtoleranz und<br />
die Insektenresistenz auf Basis verschiedener Bt (Bacillus thuringiensis) Gene. Insgesamt<br />
ist das Portfolio gentechnisch veränderter Pflanzen im kommerziellen Anbau derzeit noch<br />
Abb. 5. Entwicklung der weltweit mit gentechnisch veränderten Pflanzen angebauten Fläche<br />
Quelle: (15)
Bedeutung der Pflanzenzüchtung für die Welternährung<br />
205<br />
begrenzt, und es bleibt weit hinter dem zurück, was eigentlich technisch möglich wäre.<br />
Hauptgrund hierfür ist, dass die Entwicklung gentechnischer Sorten stark von multinationalen<br />
Firmen dominiert wird, die sich zunächst auf große lukrative Märkte konzentrieren.<br />
Die grüne Gentechnik ist aber noch ein recht junger Technologiebereich, sodass zu hoffen<br />
bleibt, dass in Zukunft weitere interessante Einzeltechnologien entwickelt werden – vor<br />
allem auch solche, die für Entwicklungsländer relevant sein könnten. Hierzu wird eine<br />
stärkere Beteiligung öffentlicher Forschungseinrichtungen nötig sein. Zwar zeigt Abbildung<br />
5, dass rund ein Drittel der Fläche mit gentechnisch veränderten Pflanzen bereits<br />
heute auf die Entwicklungsländer entfällt. Dennoch darf nicht <strong>über</strong>sehen werden, dass<br />
dies vor allem relativ fortschrittliche Länder wie Argentinien, Brasilien, China und Indien<br />
sind. Für die am wenigsten entwickelten Länder fehlt es oftmals an technologischen und<br />
institutionellen Kapazitäten für die Entwicklung und sichere Anwendung der grünen Gentechnik.<br />
Solche Engpässe sollten durch gezielte Förderung <strong>über</strong>wunden werden. Bezeichnend<br />
ist aber, dass auch in Europa – wo die Kapazitäten durchaus vorhanden sind – bisher<br />
kaum gentechnisch veränderte Pflanzen zur kommerziellen Anwendung kommen. Dies<br />
ist in erster Linie auf die geringe öffentliche Akzeptanz und die damit einhergehenden<br />
schwierigen gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen zurückzuführen. Da<br />
sich ein Großteil der Abneigung in der europäischen Bevölkerung offensichtlich gegen<br />
die Dominanz multinationaler Firmen richtet, könnte mehr öffentliche Forschung zu einer<br />
größeren Akzeptanz beitragen.<br />
3 Bedeutung der Züchtung für das Verteilungsproblem<br />
In der öffentlichen Debatte wird häufig angenommen, dass Pflanzenzüchtung zwar zur<br />
Ertragssteigerung und so zur Linderung des Produktionsproblems im Welternährunskontext<br />
beitragen kann, dass Technologie aber für die Lösung des Verteilungsproblems keine<br />
bedeutende Rolle spielt. Diese Annahme ist falsch. Natürlich bedarf es zur Verbesserung<br />
der Verteilungsgerechtigkeit auch anderer wirtschaftlicher und sozialer Maßnahmen.<br />
Dennoch kann die Pflanzenzüchtung hier ebenfalls einen wichtigen Beitrag leisten. Das<br />
Verteilungsproblem ist letztlich ein Armutsproblem und bedeutet, dass sich hungernde<br />
Abb. 6. Wer sind die Hungernden?<br />
Quelle: (20)
206 Matin Qaim<br />
Menschen keine ausreichenden Mengen an Nahrungsmitteln leisten können. Durch die<br />
entstehenden Produktionssteigerungen trägt Züchtung zu sinkenden Verbraucherpreisen<br />
bei. So ist es im Wesentlichen dem agrartechnischen Fortschritt zu verdanken, dass sich<br />
die Realpreise für Grundnahrungsmittel auf dem Weltmarkt seit 1960 etwa halbiert haben.<br />
Für arme Haushalte, die oftmals 70 – 80 % ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben,<br />
bedeutet dieser Preisrückgang eine signifikante Steigerung der Kaufkraft und damit<br />
einen verbesserten Zugang zu Nahrung.<br />
Auch für die Einkommensentstehung in unterernährten Bevölkerungsschichten kann<br />
Züchtung äußerst bedeutsam sein. Abbildung 6 zeigt, dass der Großteil der weltweit Hungernden<br />
in ländlichen Regionen lebt. 50 % sind Kleinbauern, die von angepassten neuen<br />
Saatguttechnologien enorm profitieren können, wenn Input- und Outputmärkte gut funktionieren.<br />
Studien zu den Auswirkungen der Grünen Revolution zeigen, dass Bauern, die<br />
die neuen Hochleistungssorten mit entsprechenden Komplementärinputs verwenden, ihre<br />
landwirtschaftlichen Einkommen oftmals verdoppelten. Auch landlose Familien profitierten<br />
häufig durch die steigende Nachfrage nach Arbeitskräften für Ernte- und Pflegearbeiten.<br />
In Bangladesch ging durch weit verbreitete Adoption neuer Reissorten die<br />
ländliche Armutsrate von rund 50 % auf 32 % zurück (12). Ähnliche Ergebnisse wurden<br />
auch für Indien gezeigt (10). Ein Großteil dieser Erfolge ist den öffentlichen Züchtungsprogrammen<br />
der internationalen Agrarforschungszentren zuzuschreiben. Eine aktuelle<br />
Studie belegt beispielsweise, dass für jede Million Dollar, die am internationalen Reisforschungsinstitut<br />
(IRRI) in den 1990er-Jahren investiert wurde, in Indien rund 35 000 Menschen<br />
und in China 3700 Menschen aus der Armut befreit werden konnten (6). In Afrika<br />
war der Erfolg der Grünen Revolution bisher weniger stark ausgeprägt, weil teilweise die<br />
institutionellen Voraussetzungen für die Technologieadoption nicht gegeben sind. Aber<br />
auch dort profitieren Bauern inzwischen von modernen Sorten, die von den internationalen<br />
Zentren entwickelt und von nationalen Programmen angepasst wurden. Insgesamt machen<br />
Hochertragsleistungssorten in Afrika derzeit 20 – 50 % der Fläche für wichtige Grundnahrungsmittel<br />
aus, während der Anteil in Asien und Lateinamerika bei 50 – 90 % liegt (4).<br />
Auch Hybride tragen inzwischen signifikant zu Einkommenssteigerungen im Kleinbauernsektor<br />
bei. Seit den 1980er-Jahren hat Hybridmais in vielen Ländern Afrikas, Asiens<br />
und Lateinamerikas Verbreitung gefunden (5). Hybridreis spielt in China eine bedeutende<br />
Rolle, und in Indien machen Hybride rund ein Drittel der Anbaufläche für Sorghum<br />
und Hirse aus (19). Selbst Subsistenzbauern nutzen in Indien häufig Hybridsaatgut, weil<br />
sie die Vorteile der höheren Erträge nicht missen möchten. Neben öffentlichen Züchtungsprogrammen<br />
sind im Zuge der weiteren Verbreitung von Hybridsaatgut in Entwicklungsländern<br />
auch zunehmend private Firmen als Anbieter aufgetreten, vor allem dort, wo in<br />
ländlichen Regionen eine gute Marktinfrastruktur gegeben ist. In den meisten Ländern<br />
Afrikas sind Saatgutmärkte allerdings noch verhältnismäßig wenig entwickelt.<br />
Inwieweit auch gentechnisch veränderte Pflanzen zu Einkommenssteigerungen im<br />
Kleinbauernsektor beitragen können, wird nach wie vor kontrovers diskutiert. Insektenresistente<br />
Bt Baumwolle wird inzwischen in einer Reihe von Entwicklungsländern verwendet.<br />
Vor allem in China, Indien und Südafrika wird Baumwolle <strong>über</strong>wiegend von Kleinbauern<br />
mit Betriebsflächen unter fünf Hektar angebaut, von denen inzwischen viele auf<br />
gentechnisch veränderte Sorten umgestiegen sind. Die Bt Technologie macht die Pflanze<br />
resistent gegen den Baumwollkapselbohrer, der weltweit ein bedeutender Schädling ist.<br />
Eine Reihe von Untersuchungen auf Basis repräsentativer Daten zeigt, dass die Bauern<br />
von dieser Innovation erheblich profitieren.
Bedeutung der Pflanzenzüchtung für die Welternährung<br />
Tabelle 4. Durchschnittliche Effekte von Bt Baumwolle in Entwicklungsländern<br />
Argentinien China Indien Mexiko Südafrika<br />
Insektizideinsparung (%) 47 65 41 77 33<br />
Ertragsvorteil (%) 33 24 34 9 22<br />
Gewinnzuwachs (US$/ha) 23 470 111 295 18<br />
Quelle: (16)<br />
207<br />
Tabelle 4 verdeutlicht, dass mit Bt Baumwolle 33 – 77 % Insektizide eingespart werden<br />
können und gleichzeitig Schädlingsverluste reduziert werden, was deutliche Ertragsvorteile<br />
nach sich zieht. Obwohl das von privaten Firmen verkaufte Bt Saatgut deutlich teurer<br />
ist als konventionelles, realisieren die Bauern im Durchschnitt einen beachtlichen Gewinnzuwachs.<br />
Interessanterweise profitieren Kleinbauern sogar noch etwas stärker als größere<br />
Betriebe. Für Kleinbauernfamilien in Indien und China liegt das Pro-Kopf-Einkommen in<br />
der Regel unter 200 US$ pro Jahr. Bt Baumwolle kann das Familieneinkommen erheblich<br />
steigern und trägt somit zu einem besseren Zugang zu Nahrungsmitteln bei. Der positive<br />
Einfluss von Agrartechnologie auf die Ernährungssituation gilt deswegen auch für Nicht-<br />
Nahrungspflanzen, wenn diese von Kleinbauern angebaut werden.<br />
Insbesondere in Indien gab es auch immer wieder <strong>Berichte</strong>, dass Bauern durch die Bt<br />
Technologie Verluste erlitten und in den Ruin getrieben wurden. Tatsächlich verbergen<br />
nationale Durchschnittswerte auftretende Variabilität in den Effekten. Die Technologie<br />
ist nicht für alle Standorte gleichermaßen geeignet, weil der Schädlingsbefall und auch<br />
andere Faktoren sich regional unterscheiden können. Tabelle 5 zeigt für Daten aus der Anbausaison<br />
2002/03, dass Bt Bauern im Staat Andhra Pradesh Gewinneinbußen hinnehmen<br />
mussten, während in den anderen Staaten deutliche Vorteile realisiert wurden. Unzufriedene<br />
Bauern stiegen im Folgejahr wieder auf konventionelles Saatgut um. Dies ist ein<br />
normaler Lernprozess, wie er auch für andere Technologien zu beobachten ist. Insgesamt<br />
zeigen die stark ansteigenden Adoptionsraten für Bt Baumwolle in Indien und anderen<br />
Entwicklungsländern aber, dass die Mehrzahl der Kleinbauern von der Technologie profitiert.<br />
Dennoch sind die Beispiele für die Nutzung gentechnisch veränderter Pflanzen im<br />
Kleinbauernsektor noch begrenzt. Um erwünschte Effekte auf breiterer Ebene zu erzielen,<br />
sollte die privat dominierte Forschung und Kommerzialisierung in diesem Bereich durch<br />
mehr öffentliche Anstrengungen ergänzt und erweitert werden.<br />
Tabelle 5. Effekte von Bt Baumwolle in vier Staaten Indiens (2002/03)<br />
Maharashtra Karnataka Tamil Nadu Andhra<br />
Pradesh<br />
Insektizideinsparung (%) 46 62 78 34<br />
Ertragsvorteil (%) 32 73 43 -3<br />
Gewinnzuwachs (US$/ha) 92 270 247 -69<br />
Quelle: (17)<br />
Die Prioritäten nur auf die Gentechnik oder auf andere spezielle Techniken der Züchtungsforschung<br />
zu setzen, wäre falsch. Züchtungsziele sollten im Vordergrund stehen,<br />
und für diese muss im Einzelfall geprüft werden, welche Methoden am effizientesten<br />
zur Erreichung beitragen können. Auch zeigen die Erfahrungen in Entwicklungsländern
208 Matin Qaim<br />
deutlich, dass Technologie alleine nicht ausreicht, um Entwicklung voranzutreiben. Pflanzenzüchtung<br />
sollte deswegen nicht als Wunderwaffe, sondern als ein wichtiger Bestandteil<br />
einer ländlichen Entwicklungsstrategie gesehen werden. Zusammen mit anderen Maßnahmen<br />
– wie ländliche Infrastruktur, Verbesserung von Marktinstitutionen, Gesundheitsprogramme<br />
und Ausbildung – können geeignete neue Pflanzensorten nicht nur Hunger und<br />
Armut bekämpfen, sondern auch gesamtwirtschaftliches Wachstum induzieren. Da in den<br />
meisten Entwicklungsländern die <strong>Landwirtschaft</strong> nach wie vor eine zentrale Rolle spielt,<br />
führen Einkommenssteigerungen im Kleinbauernsektor <strong>über</strong> Produktions- und Nachfrageverflechtungen<br />
auch zu signifikantem Wachstum in anderen Wirtschaftssektoren. Studien<br />
in verschiedenen Entwicklungsländern zeigen, dass jeder Dollar an Einkommenszuwachs,<br />
der durch Technologie im Kleinbauernsektor entsteht, ein bis zwei zusätzliche Dollar an<br />
Wachstum in anderen lokalen Sektoren nach sich zieht (3). Entsprechend hoch ist auch die<br />
soziale Verzinsung von Investitionen in die Züchtungsforschung, die <strong>über</strong> die vergangenen<br />
Jahrzehnte in Entwicklungsländern im Schnitt bei 40 – 60 % lag (2). Aufgrund der geringeren<br />
Bedeutung des Agrarsektors und dem höheren technologischen Ausgangsniveau ist<br />
die soziale Rentabilität in den Industrieländern etwas niedriger. Eine aktuelle Studie für<br />
Deutschland ergab für den Zeitraum 1980 – 2000 eine Verzinsung von 22 % (25), was aber<br />
immer noch deutlich <strong>über</strong> den Opportunitätskosten für Finanzressourcen liegt, und damit<br />
tendenziell eine Unterfinanzierung der Pflanzenzüchtung anzeigt. Dabei wurden positive<br />
Wirkungen deutscher Forschung in anderen Ländern noch nicht einmal berücksichtigt. Aus<br />
volkswirtschaftlicher Sicht sind also Investitionen in die Pflanzenzüchtung hochrentabel,<br />
insbesondere für Forschungsbereiche mit spezieller Relevanz für Entwicklungsländer.<br />
4 Züchtung auf wertsteigernde Pflanzeneigenschaften<br />
Neben dem Züchtungsziel der Ertragssteigerung oder der Verbesserung anderer agronomisch<br />
relevanter Pflanzeneigenschaften arbeiten Forscher auch daran, Nahrungsmittel<br />
qualitativ zu verbessern oder Pflanzen mit sonstigen wertsteigernden Eigenschaften auszustatten.<br />
Beispiele reichen von veränderten Nährstoffstrukturen, verbesserten Gesundheits-<br />
und Verarbeitungsmerkmalen, bis hin zur Produktion von Stoffen in der Pflanze für die<br />
pharmazeutische und industrielle Anwendung. An solchen wertsteigernden Eigenschaften<br />
wird sowohl mit Hilfe der Gentechnik als auch auf konventionellem Wege gearbeitet. Für<br />
die Welternährung erscheint vor allem die Züchtung auf erhöhte Mikronährstoffgehalte in<br />
Grundnahrungsmitteln interessant, denn der Mangel an speziellen Spurenelementen und<br />
Vitaminen in der menschlichen Ernährung ist noch weiter verbreitet als reiner Kalorienmangel.<br />
Weltweit leiden 3,7 Mrd. Menschen an Eisenmangel, 2,7 Mrd. an Zinkmangel,<br />
rund 2 Mrd. sind von Jodmangel betroffen, und 150 Mio. Menschen leiden an Vitamin<br />
A Mangel (1). Vor allem Frauen und Kinder aus armen Bevölkerungsschichten gehören<br />
zu den Risikogruppen. Da sich Mikronährstoffmangel nicht als Hungergefühl bemerkbar<br />
macht, spricht man in diesem Zusammenhang auch von so genanntem „verstecktem Hunger“.<br />
Die negativen Gesundheitsfolgen können gravierend sein. Sie reichen von Schwäche<br />
und erhöhter Infektionsanfälligkeit, <strong>über</strong> körperliche und geistige Entwicklungsstörungen,<br />
bis hin zu Erblindung sowie Kinder- und Müttersterblichkeit.<br />
Da eine Steigerung der Nahrungsmenge nicht unbedingt zur Lösung des Problems<br />
beiträgt, wurde lange Zeit angenommen, dass Agrarforschung in dieser Hinsicht keinen<br />
unmittelbaren Beitrag leisten kann. Vielmehr setzte man neben Initiativen zur Ernährungsdiversifizierung<br />
auf Nahrungsergänzung und industrielle Anreicherung von Lebensmitteln<br />
mit Mikronährstoffen. Inzwischen gibt es aber auch eine Reihe von Projekten der<br />
Züchtungsforschung, die sich mit speziell diesem Problem befassen. Das HarvestPlus<br />
Challenge Programm der internationalen Agrarforschungszentren hat in diesem Zusam-
Bedeutung der Pflanzenzüchtung für die Welternährung<br />
209<br />
menhang den Begriff „Biofortifizierung“ geprägt. Im HarvestPlus Programm wird mit<br />
Hilfe konventioneller Züchtungsmethoden daran gearbeitet, sechs Grundnahrungsmittelpflanzen<br />
(Reis, Weizen, Mais, Maniok, Süßkartoffeln und Bohnen) mit höheren Gehalten<br />
an Eisen, Zink und Provitamin A auszustatten. Das Africa Biofortified Sorghum Projekt<br />
hat ähnliche Ziele für Sorghum und verwendet sowohl konventionelle als auch gentechnische<br />
Methoden. Das Golden Rice Projekt, bei dem Reissorten auf gentechnischem Wege<br />
mit Provitamin A ausgestattet werden, ist vermutlich das in der Öffentlichkeit bekannteste<br />
Forschungsprogramm mit dieser Zielrichtung.<br />
Theoretisch liegt der Nutzen solch biofortifizierter Sorten auf der Hand: Wenn arme<br />
Menschen, die sich häufig nicht ausreichend höherwertige Nahrungsmittel leisten können,<br />
mikronährstoffreiche Grundnahrungsmittel konsumieren, reduziert dies den Mangel und<br />
führt zu positiven Ernährungs- und Gesundheitseffekten. Bisher befinden sich all diese<br />
Sorten aber noch im Stadium von Forschung und Entwicklung, sodass sich tatsächliche<br />
Effekte noch nicht in größerem Maßstab beobachten lassen. Innerhalb einer interdisziplinär<br />
zusammengesetzten Forschergruppe wurden deshalb Methoden entwickelt, um die<br />
Effekte biofortifizierter Pflanzen für die Zukunft zu simulieren (22; 26). Hierzu werden<br />
zunächst die derzeitigen Gesundheitskosten mikronährstoffmangelbedingter Krankheiten<br />
und Todesfälle erfasst und mit Hilfe eines speziellen Indexes quantifiziert. Der Index wird<br />
ausgedrückt in einem Gesamtverlust an gesunden Lebensjahren. Durch den zukünftigen<br />
Konsum biofortifizierter Sorten wird sich die Mikronährstoffaufnahme erhöhen, und die<br />
Gesundheitskosten werden sinken. Der Nutzen von Biofortifizierung ist dann die Einsparung<br />
eines bestimmten Teils der Gesundheitskosten.<br />
Diese Bewertungsmethode wurde für das Beispiel von biofortifiziertem Reis und Weizen<br />
in Indien angewendet (21). Abbildung 7 zeigt, dass derzeitig allein durch Eisenmangel<br />
in Indien jährlich ein Verlust von 4 Mio. gesunden Lebensjahren entsteht. Für Zink- und<br />
Vitamin A Mangel sind die Verluste ähnlich hoch. Mikronährstoffreiche Reis- und Weizensorten<br />
werden diese Gesundheitskosten nicht gänzlich beseitigen, aber sie könnten sie<br />
– unter optimistischen Annahmen hinsichtlich des zukünftigen Verbreitungsgrads – um<br />
mehr als 50 % reduzieren. Wenn man die Forschungs- und Entwicklungsausgaben in Relation<br />
zum Nutzen setzt, dann kostet es nur weniger als vier Dollar, um ein gesundes Lebensjahr<br />
durch Biofortifizierung zu retten. Entsprechend hoch ist auch die soziale Verzinsung<br />
der Investitionen, die je nach Mikronährstoff bei deutlich <strong>über</strong> 70 % liegt.<br />
Abb. 7. Gesundheitskosten von Mikronährstoffmangel in Indien mit und ohne Biofortifizierung<br />
Quelle: (21)
210 Matin Qaim<br />
Diese Zahlen verdeutlichen, dass nicht nur höhere Erträge, sondern auch die Züchtung<br />
auf wertsteigernde Pflanzeneigenschaften in effizienter Weise zur Verbesserung der Welternährung<br />
beitragen kann. Optimalerweise sollten beide Eigenschaften miteinander kombiniert<br />
werden, um eine weite Verbreitung zu gewährleisten. Biofortifizierte Sorten allein<br />
werden das Problem des versteckten Hungers nicht beseitigen, aber sie können andere<br />
Maßnahmen in sinnvoller Weise ergänzen. Insbesondere für entlegene ländliche Regionen<br />
könnte das Potenzial erheblich sein. Während der Erfolg anderer Mikronährstoffprogramme<br />
aufgrund der hohen institutionellen Kosten in solchen Gegenden <strong>über</strong>wiegend<br />
begrenzt ist, können biofortifizierte Sorten sich <strong>über</strong> informelle Saatgutkanäle verbreiten<br />
und von den Bauern selbst nachgebaut werden.<br />
5 Schlussfolgerungen<br />
In dynamischer Betrachtung ist der Hunger sowohl ein Produktions- als auch ein Verteilungsproblem.<br />
Pflanzenzüchtung sollte nicht als Allheilmittel betrachtet werden, aber<br />
dennoch ist ihr Beitrag zur Welternährungssicherung in der Vergangenheit beträchtlich<br />
gewesen, und auch in Zukunft wird Agrartechnologie eine wichtige Rolle in der Hungerbekämpfung<br />
spielen müssen. Züchtung kann die Produktion sowohl global als auch lokal<br />
weiter steigern und so die Nahrungsverfügbarkeit verbessern. Dieser Beitrag wird in der<br />
Öffentlichkeit weitgehend anerkannt. Weniger deutlich wird aber teilweise gesehen, dass<br />
Züchtung auch den Zugang zu Nahrung und damit die Verteilung maßgeblich verbessern<br />
kann. 50 % der weltweit Hungernden sind in Armut lebende Kleinbauern, die ihr Einkommen<br />
durch die Adoption geeigneter neuer Sorten enorm steigern können. Dies gilt<br />
sowohl für konventionelle als auch für gentechnisch veränderte Sorten, die auf die Bedürfnisse<br />
von Kleinbauern zugeschnitten sind. Auch Subsistenzbauern sind an züchterischen<br />
Innovationen interessiert, wenn die institutionellen Rahmenbedingungen stimmen. Einkommenssteigerungen<br />
im Kleinbauernsektor führen auch zu positiven Spillover-Effekten<br />
in anderen Sektoren, sodass gesamtwirtschaftliches Wachstum in Entwicklungsländern<br />
ausgelöst wird. Zunehmend arbeiten Züchter auch daran, Pflanzen mit wertsteigernden<br />
Merkmalen auszustatten, die zu positiven Gesundheitswirkungen führen können. Biofortifizierte<br />
Grundnahrungsmittel können beispielsweise zur Bekämpfung von Mikronährstoffmangel<br />
beitragen, der vor allem bei Frauen und Kindern weit verbreitet ist. Zahlreiche<br />
Studien belegen, dass sowohl die Züchtung auf agronomische als auch auf wertsteigernde<br />
Eigenschaften aus volkswirtschaftlicher Sicht hochrentabel ist. Trotzdem werden öffentliche<br />
Investitionen in Züchtungsforschung immer weiter zurück gefahren. Dieser Trend<br />
sollte gestoppt und umgekehrt werden. Eine Verdoppelung der entwicklungsorientierten<br />
Agrarforschungsausgaben könnte einen entscheidenden Schritt zur Erreichung der Millenniums-Entwicklungsziele<br />
bedeuten. Gleichzeitig ist aber auch der private Sektor aufgefordert,<br />
Entwicklungsländer stärker als Zielgruppe für Züchtungsforschung zu betrachten.<br />
Empirische Beispiele belegen, dass private Forschung ebenfalls zur Ernährungssicherung<br />
und zu nachhaltiger Entwicklung beitragen kann.<br />
Zusammenfassung<br />
Der Hunger ist sowohl ein Produktions- als auch ein Verteilungsproblem. Pflanzenzüchtung sollte<br />
nicht als Allheilmittel betrachtet werden, aber dennoch kann sie einen entscheidenden Beitrag zur<br />
Ernährungssicherung leisten. Vor dem Hintergrund einer weiter wachsenden Weltbevölkerung und<br />
knapper werdender natürlicher Ressourcen ist die Rolle der Pflanzenzüchtung für die Produktionssteigerung<br />
weitgehend anerkannt. Weniger deutlich wahrgenommen wird vielfach, dass Züchtung<br />
auch eine wesentliche Bedeutung zur Linderung des Verteilungsproblems zukommt. Ein Großteil<br />
der weltweit Hungernden lebt in ländlichen Regionen und ist dort direkt oder indirekt von der klein-
Bedeutung der Pflanzenzüchtung für die Welternährung<br />
211<br />
bäuerlichen <strong>Landwirtschaft</strong> abhängig. Geeignete neue Sorten – sowohl konventionelle als auch<br />
gentechnisch veränderte – können kleinbäuerliche Einkommen steigern, Armut reduzieren und gesamtwirtschaftliches<br />
Wachstum auslösen. Biofortifizierte Sorten können dar<strong>über</strong> hinaus Mikronährstoffmangel<br />
verringern, der speziell bei Frauen und Kindern weit verbreitet ist. Trotzdem werden<br />
öffentliche Investitionen in Züchtungsforschung immer weiter zurück gefahren. Dieser Trend sollte<br />
gestoppt und umgekehrt werden. Dar<strong>über</strong> hinaus sollte auch der private Sektor bestimmte Bereiche<br />
seiner Züchtungsforschung stärker auf die Belange von Entwicklungsländern ausrichten.<br />
Summary<br />
The Role of Plant Breeding for Global Food Security<br />
Hunger is both a problem of production and distribution. Plant breeding should not be regarded as<br />
a silver bullet, but its contribution to global food security can be substantial. Given the continued<br />
growth of the world population and an increasing scarcity of natural resources, the important role<br />
of plant breeding in increasing production is widely acknowledged. Less appreciated is the fact<br />
that plant breeding can also be instrumental in easing the distribution problem. The majority of<br />
the undernourished people worldwide lives in rural areas, where they directly or indirectly depend<br />
on small-scale farming. Suitable new crop varieties – both conventional and genetically modified<br />
ones – can increase small farm incomes, alleviate poverty, and stimulate economy-wide growth.<br />
Furthermore, biofortified crop varieties can reduce micronutrient deficiencies which are particularly<br />
widespread among women and children. These positive impacts notwithstanding, public investments<br />
into breeding research programs are being increasingly scaled down. This trend should be stopped<br />
and reversed. In addition, the private sector, too, should put a stronger emphasis on the interests of<br />
developing countries in specific fields of its breeding research.<br />
Résumé<br />
L’importance de la sélection végétale pour l’alimentation mondiale<br />
La faim est un problème de la production et de la distribution. La sélection végétale ne devrait pas<br />
être considérée en tant que panacée mais elle peut apporter une contribution capitale à la sécurité de<br />
l’approvisionnement alimentaire. Dans le contexte d’une population mondiale en croissance continue<br />
et de ressources naturelles qui commencent à manquer, le rôle de la sélection végétale pour augmenter<br />
la production est largement reconnu. Ce qui est souvent moins évident c’est que la sélection<br />
végétale est aussi d’une grande importance pour atténuer le problème de la distribution. La majorité<br />
des personnes qui souffrent de la faim vivent dans des régions rurales et dépendent directement ou<br />
indirectement de l’agriculture des petits paysans. De nouvelles variétés spécifiques – tant des variétés<br />
traditionnelles que des variétés génétiquement modifiées – peuvent faire augmenter les revenus<br />
des petits paysans, réduire la pauvreté et créer de la croissance économique générale. En plus, des<br />
variétés à valeur nutritionnelle améliorée (biofortification) permettent d’atténuer les carences en<br />
micronutriments très répandues notamment chez les femmes et les enfants. Malgré ces effets positifs,<br />
les investissements publics dans la recherche concernant la sélection végétale sont de plus en plus<br />
diminués. Cette tendance doit être arrêtée et inversée. En même temps, le secteur privé devraient<br />
mieux orienter certains domaines de sa sélection végétale aux besoins des pays en développement.<br />
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19. ramasWami, b.; pray, c. e.; kelley, t., 2002: Dissemination of Private Hybrids and Crop Yields in<br />
the Semi-Arid Tropics of India. Indian Journal of Agricultural Economics 57, S. 39–51.<br />
20. sanchez, p. a.; sWaminathan, m. s., 2005: Cutting World Hunger in Half. Science 307, S. 357–359.<br />
21. stein, a. J., 2006: Micronutrient Malnutrition and the Impact of Modern Plant Breeding on Public<br />
Health in India: How Cost-Effective is Biofortification? Doktorarbeit, Universität Hohenheim, Stuttgart.<br />
22. –; meenakshi, J. v.; Qaim, m.; nestel, p.; sachdev, h. p.s.; bhUtta, z. a., 2005: Analyzing the Health<br />
Benefits of Biofortified Staple Crops by Means of the Disability-Adjusted Life Years Approach: A<br />
Handbook Focusing on Iron, Zinc and Vitamin A. HarvestPlus Technical Monograph Series 4, International<br />
Food Policy Research Institute, Washington, DC.<br />
23. strieWe, l., 2005: Persönliche Kommunikation. Toepfer International, Volkswirtschaftliche Abteilung,<br />
Hamburg.<br />
24. UN – United Nations, 2005: World Population Prospects: The 2004 Revision (Medium Variant). Population<br />
Division, New York.<br />
25. von Witzke, h.; Jechlitschka, k.; kirschke, d.; lotze-campen, h.; noleppa, S., 2004: Social Rate of<br />
Return to Plant Breeding Research in Germany. Agrarwirtschaft 53, S. 206–210.<br />
26. zimmermann, r.; stein, a.; Qaim, m., 2004: Agrartechnologie zur Bekämpfung von Mikronährstoffmangel?<br />
Ein gesundheitsökonomischer Bewertungsansatz. Agrarwirtschaft Bd. 53, Nr. 2, S. 67–76.<br />
Dank<br />
Dieser Artikel beruht auf einem Vortrag, den der Autor im November 2005 anlässlich der Jahrestagung<br />
der Gemeinschaft zur Förderung der privaten deutschen Pflanzenzüchtung e. V. (GFP) in<br />
Bonn gehalten hat. Die zugrunde liegende Forschungsarbeit wurde finanziell durch die Deutsche<br />
Forschungsgemeinschaft (DFG) unterstützt.<br />
Autorenanschrift: Prof. Dr. matin Qaim, Lehrstuhl für Internationalen Agrarhandel und Welternährungswirtschaft,<br />
Universität Hohenheim (490b), 70593 Stuttgart, Deutschland<br />
qaim@uni-hohenheim.de
Der Vorschlag für eine Richtlinie des Rates und<br />
Europäischen Parlaments <strong>über</strong> Dienstleistungen im<br />
Binnenmarkt vom 10. Januar 2005 –<br />
Rechtsfolgenabschätzung für das <strong>BMELV</strong><br />
Von thomas pFeiFFer, bUrkhard hess, boris schinkels, matthias Weller,<br />
dennis blechinger, steFFen ganninger und benJamin gündling, Heidelberg<br />
1 Untersuchungsgegenstand, -material und -struktur<br />
1.1 Untersuchungsgegenstand und Kerngehalte<br />
U.S. Copyright Clearance Center Code Statement: 0005-9080/06/8402-213 $ 2.50/0<br />
213<br />
Der nachfolgende Bericht gibt die wesentlichen Untersuchungsschritte und Ergebnisse<br />
der von Mai bis Dezember 2005 an der Universität Heidelberg im Auftrag des <strong>BMELV</strong>/<br />
BMVEL 1) – durchgeführten Untersuchung zu den „Auswirkungen der EU-Dienstleistungsrichtlinie<br />
auf die Regelungen im Geschäftsbereich des BMVEL“ wider. 2) Den<br />
konkreten Gegenstand der Untersuchung bildet der „Vorschlag für eine Richtlinie des<br />
Europäischen Parlaments und des Rates <strong>über</strong> Dienstleistungen im Binnenmarkt“, Ratsdokument<br />
Nr. 5161/05 vom 10. Januar 2005, nachfolgend DLRL-E (32). Die folgenden<br />
Ausführungen beziehen sich also nicht auf den geänderten Vorschlag der Kommision vom<br />
4. April 2006, KOM 2006/160 endg., <strong>über</strong> den am 29. Mai 2006 die politische Einigung<br />
erzielt wurde. Zwischen beiden Entwürfen bestehen substantielle Unterschiede; insbesondere<br />
sieht Art. 16 des Ratsdokuments ein Herkunftslandprinzip vor, während Art. 16 des<br />
Kommissionsdokuments einen Katalog verbotener Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit<br />
aufweist.<br />
Ausgehend von der Erörterung grundsätzlicher Fragen (nachfolgend 2.) galt es, die<br />
zivilrechtlichen (unter 3.) und öffentlich-rechtlichen Implikationen des DLRL-E (dazu 4.),<br />
zu eruieren, wobei vielfach auf Wunsch des BMVEL Einzelaspekte vertieft untersucht<br />
wurden.<br />
Im privatrechtlichen Teil des Gutachtens waren dies etwa das Lauterkeitsrecht sowie<br />
die Ausnahme vom Herkunftslandprinzip in Art. 17 Nr. 21 DLRL-E. Bei der Untersuchung<br />
der öffentlich-rechtlichen Konsequenzen der Richtlinie wurden vertieft die Referenzbereiche<br />
des Tierschutzrechts und des Pflanzenschutzrechts untersucht. Besondere Beachtung<br />
fanden daneben das Lebensmittelrecht und ausgewählte Bereiche des Gesetzes zur<br />
Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (IfSG).<br />
Im Hinblick auf die Verwaltungspraxis lag ein weiterer Schwerpunkt der Untersuchungen<br />
in der Darstellung der durch die Richtlinie besonders betroffenen Thematik der<br />
Amtshilfe. Schließlich wurden in Reaktion auf die Rückmeldung zum Zwischenbericht<br />
vertiefte Überlegungen zur grundsätzlichen Vereinbarkeit des Herkunftslandprinzips mit<br />
Art. 50 III EG-Vertrag angestellt und in den allgemeinen Teil des Gutachtens integriert.<br />
1.2 Material<br />
Neben dem als Ausgangspunkt und Untersuchungsgrundlage dienenden Ratsdokument<br />
konnten sowohl Entwicklungen in den Organen der Europäischen Union als auch den<br />
nationalen deutschen (Rechtssetzungs-)Organen berücksichtigt werden. Hierzu gehören<br />
insbesondere die Stellungnahme des Ausschusses der Regionen (1) und die Stellungnahme
214 T. Pfeiffer, B. Hess, B. Schinkels, M. Weller, D. Blechinger, S. Ganninger und B. Gündling<br />
des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses der Gemeinschaften (52), ferner<br />
das Wortprotokoll der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung<br />
und <strong>Landwirtschaft</strong> des Deutschen Bundestags am 30. Mai 2005 (11). Hinzu<br />
kommen zahlreiche Stellungnahmen von nationalen und internationalen Gewerkschaften,<br />
Verbänden und sonstigen Einrichtungen (vgl. insbesondere 3).<br />
1.3 Problemstellung und Untersuchungsstruktur<br />
Den Ausgangspunkt der Untersuchungen markierte der Geschäftsbereich des BMVEL.<br />
Weichenstellend war hierbei, dass das BMVEL die Querschnittsaufgabe des Verbraucherschutzes<br />
fachgebiets<strong>über</strong>greifend verfolgt (vgl. 4). So gehen die Bundesregierung und mit<br />
ihr das BMVEL von einem doppelten Ansatz aus, um ihrer Verantwortung für den Verbraucherschutz<br />
gerecht zu werden:<br />
Zum einen ist es Aufgabe des BMVEL, den Schutz der wirtschaftlichen Interessen der<br />
Verbraucher zu gewährleisten. Dieser wird <strong>über</strong>wiegend durch zivilrechtliche Regelungen<br />
<strong>über</strong> die Anbahnung, den Abschluss und die Erfüllung von Verbraucherverträgen <strong>über</strong> Waren<br />
und Dienstleistungen sowie die Durchsetzung von Ansprüchen sichergestellt, wobei<br />
dem Schutz des Verbrauchers vor unlauteren Wettbewerbsmethoden besondere Bedeutung<br />
zukommt. Den Verbrauchern soll eine eigenverantwortliche und effektive Durchsetzung<br />
ihrer Interessen möglich sein. Beim Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher<br />
ist somit das Privatrecht im Kernbereich betroffen (nachfolgend sub 3.).<br />
Zum anderen geht es darum, den Schutz von Gesundheit, Sicherheit und Umwelt für<br />
die Verbraucher sicherzustellen, sog. vorsorgender, gesundheitlicher Verbraucherschutz.<br />
Angesichts des DLRL-E stellt sich insbesondere die Frage, inwieweit es in diesem Bereich<br />
bei den im europäischen Vergleich oft hohen öffentlich-rechtlichen materiellen Standards<br />
und restriktiven Zulassungs- und Kontrollverfahren bleiben kann. Aus verwaltungspraktischer<br />
Sicht berührt der Richtlinienvorschlag hier in vielerlei Weise Fragen des allgemeinen<br />
Verwaltungsverfahrensrechts (nachfolgend 4.).<br />
2 Grundsatzfragen zum DLRL-E<br />
Um die Auswirkungen des DLRL-E auf das private und öffentliche Recht durchdringen<br />
zu können, mussten zunächst grundlegende Fragen der inhaltlichen Konzeption und Systematik<br />
der geplanten Richtlinie geklärt werden:<br />
2.1 Europäisch-autonome Regelungsperspektive und Auslegungsmethodik<br />
Ausgehend von der sog. Lissabon-Strategie (28, S. 84) will die Kommission durch den<br />
DLRL-E einen grundlegenden Beitrag zur Verwirklichung der Dienstleistungsfreiheit leisten<br />
(51, S. 1211). Im Bereich der Niederlassungsfreiheit sollen Verwaltungsverfahren,<br />
welche den grenz<strong>über</strong>schreitenden Dienstleistungsverkehr bremsen könnten, vereinfacht<br />
werden. Für den Dienstleistungsverkehr im Binnenmarkt ohne Niederlassung im Zielstaat<br />
soll ein weitreichendes Herkunftslandprinzip Hemmnisse, die aus der Grenz<strong>über</strong>schreitung<br />
resultieren, abbauen (26, S. 577; 31, S. 8 ff.; 5, S. 12 ff. und 51, S. 1210).<br />
Auf supranationaler Ebene stehen für den europäischen Normgeber hierbei funktionale<br />
Erwägungen, insbesondere eine möglichst tiefe Binnenmarktintegration und, als Mittel<br />
hierzu, die Effektivität des Gemeinschaftsrechts („effet utile“) im Vordergrund (10, unter<br />
B.I., Rn. 56 und 58). Die gerade für das deutsche Recht sowie andere kontinentaleuropäische<br />
Rechtsordnungen prägende, je nach Mitgliedstaat aber sehr unterschiedlich<br />
verlaufende Trennung zwischen öffentlichem und privatem Recht bzw. die sich daran
EU-Dienstleistungsrichtlinie – Rechtsfolgenabschätzung<br />
215<br />
anschließende Zuordnung zur privaten oder öffentlichen Teilrechtsordnung spielt keine<br />
entscheidende Rolle (18, Bd. III., RL 93/13/EWG, Vorbem., Rn. 20). Bei dem Vorschlag<br />
für die Dienstleistungsrichtlinie tritt diese Regelungsperspektive besonders deutlich zu<br />
Tage: Während der Richtliniengeber auf supranationaler Ebene ein aus seiner funktionalen<br />
Sicht heraus einheitliches Instrument zum Abbau von Binnenmarkthemmnissen zu modellieren<br />
sucht, ist aus nationaler Sicht eine Vielzahl von Gesetzen betroffen, die wie im<br />
Falle der Querschnittsaufgabe Verbraucherschutz teils dem öffentlichen, teils dem privaten<br />
Recht zuzuordnen sind. Aus nationaler Sicht berührt der DLRL-E Fragen des privaten<br />
Vertragsrechts ebenso wie solche des Verwaltungsverfahrens und durchzieht so praktisch<br />
die ganze Rechtsordnung.<br />
Bezeichnend spricht die Kommission von einer „Rahmenrichtlinie“ (24, S. 9 ff.). Ziel<br />
ist es, den Dienstleistungssektor möglichst umfassend zu regeln (39, S. 238). „Durch<br />
die Richtlinie soll ein allgemeiner Rechtsrahmen geschaffen werden, der, von einigen<br />
Ausnahmen abgesehen, für alle Dienstleistungstätigkeiten gilt. Ein horizontaler Ansatz<br />
ist deshalb gerechtfertigt, weil […] die rechtlichen Schranken, die einem wirklichen Binnenmarkt<br />
für Dienstleistungen im Wege stehen, oft zahlreiche unterschiedliche Tätigkeitsbereiche<br />
gleichzeitig betreffen und viele gemeinsame Merkmale besitzen.“ (24, S. 9). Es<br />
sollen nicht detaillierte Regelungen festgelegt bzw. die Gesamtheit der Vorschriften der<br />
Mitgliedstaaten für den Dienstleistungssektor harmonisiert werden. Denn dies würde zu<br />
einer Überregulierung und zur Uniformierung der nationalen Regulierungssysteme für den<br />
Dienstleistungssektor führen. Entsprechend dem Rahmencharakter werden nur die Fragen<br />
behandelt, die für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes für Dienstleistungen<br />
wesentlich sind, wobei solchen Regelungen der Vorzug gegeben wird, die eine gezielte<br />
Harmonisierung genau definierter Punkte bewirken bzw. die eindeutige Zielvorgaben festlegen,<br />
ohne die konkrete Art der Regelung zu deren Erreichung vorzuschreiben.<br />
Rechtlich erweist sich der Rahmencharakter <strong>über</strong>all dort als problematisch, wo an<br />
zentralen Stellen unbestimmte Rechtsbegriffe verwandt werden.<br />
So findet sich beispielsweise in Art. 5 II 1 DLRL-E die Pflicht zur Anerkennung solcher<br />
Dokumente eines anderen Mitgliedstaates, die eine „gleichwertige Funktion“ haben.<br />
Von praktisch entscheidender Bedeutung ist zudem die Auslegung der Ausnahmen<br />
vom Herkunftslandprinzip. So kann es zum Schutz bestimmter Allgemeininteressen nach<br />
Art. 17 Nr. 16 DLRL-E entgegen dem Herkunftslandprinzip bei Anwendung einzelner nationaler<br />
Regelungen des Zielstaates bleiben. Voraussetzung ist, dass dies zum Schutz der<br />
genannten Rechtsgüter „gerechtfertigt“ ist. Art. 17 Nr. 17 DLRL-E lässt Ausnahmen zu,<br />
wenn sie der Vermeidung lokaler „Risiken“ dienen und diese „zur Aufrechterhaltung der<br />
öffentlichen Ordnung (...) unerlässlich“ sind.<br />
Bei der Auslegung europäischer Rechtsakte kann nicht schlicht auf die aus dem nationalen<br />
Recht bekannten Auslegungsmethoden (dazu 27, S. 320 ff.) zurückgegriffen werden.<br />
Als EG-Norm ist die geplante Richtlinie dem internationalen Einheitsrecht zuzuordnen<br />
und unterliegt besonderen Auslegungsgrundsätzen. Da sie Ziele weitgehend nur durch<br />
Rahmenvorgaben umschreibt, ist sie als Internationales Einheits-Rahmenrecht zu qualifizieren<br />
(grundlegend 25, S. 1 und 291). Die allgemeinen methodischen Grundlagen der<br />
Rechtsauslegung gelten in den besonderen Ausprägungen, die es bei allen Regelungen des<br />
internationalen Einheitsrechts im Allgemeinen und des EG-Rechts im Besonderen zu beachten<br />
gilt (18, Bd. III, RL 93/13/EWG, Vorbem., Rn. 19). Insbesondere ist dem Gedanken<br />
der Einheit der Europäischen Rechtsordnung Rechung zu tragen (10, Bd. I, B. I, Rn. 53).<br />
Als autonome Rechtsordnung verfolgt sie selbständige Ziele und Systemgedanken, deren<br />
Eigencharakter es zu berücksichtigen gilt. Hinsichtlich Wortlaut, Entstehungsgeschichte,<br />
Systematik und Teleologie sind daher die Grundsätze einer europäisch-autonomen Auslegung<br />
zu beachten (statt aller 10, Bd. I, B. I, Rn. 5 ff. und 18, Bd. III, RL 93/13/EWG,<br />
Vorbem., Rn. 20).
216 T. Pfeiffer, B. Hess, B. Schinkels, M. Weller, D. Blechinger, S. Ganninger und B. Gündling<br />
2.2 Das Herkunftslandprinzip nach Art. 16 DLRL-E<br />
– Regelungsgehalt und Diskussionspunkte<br />
In der Debatte um die Dienstleistungsrichtlinie wurde die Einführung eines umfassenden<br />
Herkunftslandprinzips (HLP) durch Art. 16 I DLRL-E (43, S. 407) am intensivsten diskutiert.<br />
Dabei stellt sich die Frage, ob dieses <strong>über</strong>haupt primärrechtlich mit Art. 50 III a.<br />
E. EGV vereinbar ist.<br />
Vorläufer des HLP finden sich in der E-Commerce-Richtlinie (näher 20, S. 484; 30,<br />
S. 385) und der Rechtsprechung des EuGH zur Warenverkehrsfreiheit (dazu 28, S. 86; 40,<br />
S. 888 ff.; 51, S. 1212).<br />
Nach der hier zugrunde gelegten Konzeption der Richtlinie in der Fassung des Ratsdokuments<br />
bildet das HLP das „Herzstück“ (31, S. 9) der Richtlinie:<br />
Art. 16 I DLRL-E verweist für die auf Dienstleistungstätigkeiten ohne Niederlassung<br />
im Bestimmungsland anzuwendenden Rechtsvorschriften auf diejenigen des Herkunftslands.<br />
Das Herkunftslandprinzip ist wohl nicht nur der inhaltlich zentrale Steuerungsmechanismus<br />
der geplanten Richtlinie, sondern zugleich auch Kristallisationspunkt für Kritik:<br />
Abgelehnt wurde insbesondere die Erstreckung des Herkunftslandprinzips auch auf die<br />
privatrechtlichen Rechtsbeziehungen. Hier solle es bei den Regelungen des Internationalen<br />
Privatrechts, konkret der Rom-II-Verordnung 3) bleiben (eingehend zur Problematik<br />
unter 2, S. 423; 20, S. 484 oder 30, S. 395).<br />
Weiter wird befürchtet, dass das Herkunftslandprinzip zu einem „radikalen Unterbietungswettlauf“<br />
um die niedrigsten Qualitäts- und Sicherheitsstandards, etwa im Umwelt-,<br />
Tierschutz- oder Gesundheitsschutzbereich, führen wird (siehe 31, S. 10; 40, S. 888 oder<br />
51, S. 1210).<br />
Soweit jeder Dienstleister sein eigenes Rechtssystem in Ausschnitten „mitbringt“,<br />
könnte dies dazu führen, dass auf gleich gelagerte Sachverhalte je nach Beteiligten ein<br />
„Patchwork“ von bis zu 25 Rechtsordnungen gleichzeitig Anwendung findet (28, S. 83 ff.;<br />
vgl. auch 40, S. 888). Jedenfalls so lange die Niveaus des sozialen Schutzes, des Verbraucher-<br />
und Umweltschutzes sowie die Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union so<br />
unterschiedlich seien, drohe eine aus Sicht der Verbraucher rechtsstaatlich problematische<br />
Rechtsunsicherheit (31, S. 10).<br />
Nachhaltige Kritik erfährt Art. 16 II DLRL-E, wonach auch für die Kontrolle der Standards<br />
grundsätzlich das Herkunftsland zuständig ist. Vor allem aufgrund der räumlichen<br />
Distanz und der Finanzschwäche der Beitrittsstaaten sei ein effektiver Vollzug kaum möglich<br />
(40, S. 888 f.).<br />
Teilweise wird ganz grundsätzlich in Frage gestellt, ob der EG zur Einführung eines<br />
derart weitreichenden Herkunftslandprinzips eine Kompetenz laut dem EG-Vertrag zusteht<br />
(vgl. 31, S. 10).<br />
2.3 Primärrechtskonformität – Vereinbarkeit insbesondere des<br />
Herkunftslandprinzips mit Art. 50 III EG-Vertrag<br />
Nach Art. 50 III a.E. EG-Vertrag kann der Leistende „[…] zwecks Erbringung seiner Leistungen<br />
seine Tätigkeit vor<strong>über</strong>gehend in dem Staat ausüben, in dem die Leistung erbracht<br />
wird, und zwar unter den Voraussetzungen, welcher dieser Staat für seine eigenen Angehörigen<br />
vorschreibt.“<br />
Entgegen dem HLP des Art. 16 I DLRL-E scheint das Primärrecht damit für grenz<strong>über</strong>schreitende<br />
Dienstleistungen gar ein „Bestimmungslandprinzip“ zu statuieren; ein<br />
Widerspruch?
EU-Dienstleistungsrichtlinie – Rechtsfolgenabschätzung<br />
217<br />
Bei sorgfältiger Berücksichtigung des Telos von Art. 50 III EG-Vertrag entpuppt sich<br />
die Frage als Scheinproblem: Art. 50 EG-Vertrag stellt u. a. den Anwendungsbereich der<br />
Grundfreiheit des freien Dienstleistungsverkehrs dar. Er will eine Verwirklichung der<br />
Dienstleistungsfreiheit sicherstellen und verbietet zu diesem Zweck im Anwendungsbereich<br />
der Dienstleistungsfreiheit direkte und indirekte Diskriminierungen sowie Beschränkungen<br />
(18, Bd. I, Art. 49/50 EG-Vertrag, Rn. 54). Damit sollen Benachteiligungen von<br />
ausländischen Dienstleistungsanbietern im europäischen Ausland verhindert werden. In<br />
diese Richtung äußerte sich auch der EuGH, der Art. 50 III a.E. EG-Vertrag als ein Diskriminierungsverbot<br />
betrachtet, darin aber keine Verpflichtung zur Anwendung sämtlicher<br />
nationaler Rechte erblickt (vgl. 13). Es soll also eine Diskriminierung durch das Recht<br />
des Bestimmungslandes vermieden, nicht aber die Anwendung des für den Dienstleister<br />
günstigen Rechtes des Herkunftslandes verboten werden. Ein Konflikt zwischen Art. 50<br />
III EG-Vertrag und Art. 16 I DLRL-E besteht mithin nicht.<br />
2.4 Systematik des DLRL-E<br />
Die geplante Dienstleistungsrichtlinie erfasst nicht generell alle Formen des Erbringens<br />
von Dienstleistungen. Vielmehr muss zwischen Dienstleistungen, die in Ausübung der<br />
Niederlassungsfreiheit i. S.d. EG-Vertrags und Dienstleistungen, die in Ausübung der<br />
Dienstleistungsfreiheit i. S.d. EG-Vertrags erbracht werden, unterschieden werden. Die<br />
unterschiedlichen Kapitel des DLRL-E nehmen teils nur die Niederlassungsfreiheit, teils<br />
nur die Dienstleistungsfreiheit und manchmal beide Grundfreiheiten in Bezug:<br />
Kapitel I Beide Formen des Erbringens von Dienstleistungen<br />
Kapitel II Dienstleistungen in Ausübung der Niederlassungsfreiheit<br />
i. S.d. EG-Vertrags<br />
Kapitel III Dienstleistungen in Ausübung der Dienstleistungsfreiheit<br />
i. S.d. EG-Vertrags<br />
Kapitel IV Beide Formen des Erbringens von Dienstleistungen<br />
Kapitel V Dienstleistungen in Ausübung der Dienstleistungsfreiheit<br />
i. S.d. EG-Vertrags<br />
Kapitel VI bis VII Beide Formen des Erbringens von Dienstleistungen<br />
Diese systematischen Zäsuren sind bei der Auslegung und Anwendung der Bestimmungen<br />
der unterschiedlichen Kapitel jeweils sorgsam zu beachten.<br />
2.5 Dienstleistungsbegriff des Vorschlags<br />
Der Dienstleistungsbegriff der geplanten Richtlinie entspricht im Wesentlichen dem des<br />
Art. 50 EG-Vertrag (eingehend dazu 18, Bd. I, Art. 49/50 EG-Vertrag, Rn. 24 und 44,<br />
Art. 50 EG-Vertrag, Rn. 5). Allerdings ist sorgsam darauf zu achten, ob im jeweiligen Fall<br />
Ausnahmen, wie sie der Entwurf etwa in Art. 2 I DLRL-E statuiert, greifen. Zudem ist,<br />
wie eben unter 2.4 ausgeführt, zu beachten, dass der Entwurf an vielen Stellen auf die Niederlassungsfreiheit<br />
Bezug nimmt, der Dienstleister also dauerhaft im Bestimmungsland<br />
niedergelassen sein muss. Insoweit ist auf Systematik und Begrifflichkeit des EG-Vertrags<br />
zur Niederlassungsfreiheit zurückzugreifen.
218 T. Pfeiffer, B. Hess, B. Schinkels, M. Weller, D. Blechinger, S. Ganninger und B. Gündling<br />
3 Privatrechtliche Auswirkungen des DLRL-E<br />
Mögliche privatrechtliche Auswirkungen der geplanten Dienstleistungsrichtlinie sind für<br />
den Geschäftsbereich des BMVEL vor dem Hintergrund von besonderer Bedeutung, dass<br />
die Querschnittsaufgabe Verbraucherschutz neben dem sog. vorsorgenden Gesundheitsschutz<br />
auch den Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher umfasst. Dieser<br />
wird gerade durch das Privatrecht gewährleistet.<br />
3.1 Die wesentlichen, von dem Vorschlag berührten verbraucherschützenden<br />
Vorschriften des deutschen Privatrechts<br />
Die geplante Dienstleistungsrichtlinie kann nur auf solche verbraucherschützenden Vorschriften<br />
des deutschen Privatrechts Auswirkungen haben, die Regelungen <strong>über</strong> „Dienstleistungen“<br />
im Sinne der Richtlinie enthalten und die vom Anwendungsbereich des DLRL-<br />
E nicht schon generell ausdrücklich ausgeschlossen sind (vgl. zum Dienstleistungsbegriff<br />
nach dem DLRL-E ausführlich oben unter 2.5). So findet die Richtlinie nach Art. 2 II lit.<br />
a DLRL-E keine Anwendung auf „Bankdienstleistungen sowie Dienstleistungen im Zusammenhang<br />
mit einer Kreditgewährung, Versicherung, betrieblichen oder individuellen<br />
Altersversorgung, Geldanlage oder Zahlung“. Erwägungsgrund 9 ergänzt dies dahingehend,<br />
dass vom Ausschluss „jede“ Bankdienstleistung und „jede“ Dienstleistung im oben<br />
genannten Zusammenhang erfasst wird. Vor diesem Hintergrund sind die bedeutenden<br />
Verbraucherschutzvorschriften in den §§ 491 ff. BGB und 499 ff. BGB <strong>über</strong> Verbraucherkreditverträge,<br />
Finanzierungshilfen und Ratenlieferungsverträge von dem Ausschluss<br />
in Art. 2 II lit. a DLRL-E erfasst, sodass die geplante Dienstleistungsrichtlinie auf diese<br />
Arten von Dienstleistungen keine Anwendung finden würde. Ferner werden die in den<br />
§§ 474 – 479 BGB enthaltenen besonderen Vorschriften zum Verbrauchsgüterkauf durch<br />
den DLRL-E nicht berührt. Denn Gegenstand des Verbrauchsgüterkaufs ist nach § 474<br />
BGB eine bewegliche Sache, im Vordergrund steht also ein körperlicher Gegenstand.<br />
Demgegen<strong>über</strong> bezieht sich der im DLRL-E zugrunde gelegte Dienstleistungsbegriff der<br />
Richtlinie in Anlehnung an die primärrechtliche Dienstleistungsfreiheit auf den Austausch<br />
nicht-körperlicher Leistungen, es steht also die „Zur-Verfügung-Stellung“ von Fähigkeiten<br />
im Vordergrund. Zwar werden bei grenz<strong>über</strong>schreitenden Sachkäufen die körperlichen<br />
Gegenstände auch <strong>über</strong> die Grenze verbracht, dieses nichtkörperliche Dienstleistungselement<br />
stellt jedoch nur eine Begleiterscheinung neben der Ware an sich dar (46, Art. 49<br />
EG-Vertrag, Rn. 25).<br />
Dennoch verbleiben wesentliche Verbraucherschutzvorschriften des deutschen Rechts,<br />
die vom Anwendungsbereich des DLRL-E erfasst werden. Insbesondere das Lauterkeitsrecht<br />
und das Verbrauchervertragsrecht – das Deliktsrecht und das Recht der verbrauchervertraglichen<br />
Verbandsklagen sollen an dieser Stelle ausgeblendet werden – verdienen<br />
herausragende Beachtung. Die (kollektiv) verbraucherschützende Funktion des deutschen<br />
Lauterkeitsrechts – geregelt im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) – wird<br />
bereits in § 1 UWG deutlich, wonach das Gesetz neben den Interessen der Allgemeinheit<br />
an einem unverfälschten Wettbewerb insbesondere dem „Schutz der Mitbewerber, der<br />
Verbraucherinnen und Verbraucher sowie der sonstigen Marktteilnehmer vor unlauterem<br />
Wettbewerb“ dient (sog. Schutzzwecktrias). Dass das UWG Wettbewerbshandlungen zugunsten<br />
von allen Arten von Dienstleistungen erfasst, wird schon aus § 2 Nr. 1 UWG deutlich,<br />
der den Kernbegriff des UWG, „Wettbewerbshandlung“, definiert als „jede Handlung<br />
einer Person mit dem Ziel, zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens den<br />
Absatz oder den Bezug von Waren oder die Erbringung oder den Bezug von Dienstleistungen<br />
[…] zu fördern“. Im Verbrauchervertragsrecht stechen insbesondere die Vorschriften
EU-Dienstleistungsrichtlinie – Rechtsfolgenabschätzung<br />
219<br />
<strong>über</strong> allgemeine Geschäftsbedingungen und vorformulierte Vertragsklauseln in den §§ 305<br />
– 310 BGB, die §§ 312b – 312f BGB <strong>über</strong> Verträge im Fernabsatz (einschließlich E-Commerce)<br />
sowie die Bestimmungen <strong>über</strong> Haustürgeschäfte (§§ 312 – 312a BGB) hervor, die<br />
ebenfalls in den Anwendungsbereich des Richtlinienentwurfs fallen.<br />
3.2 Der rechtliche Gehalt des Herkunftslandprinzips<br />
aus privatrechtlicher Sicht<br />
Art. 16 I DLRL-E verweist auf die „Bestimmungen des Herkunftsmitgliedstaates“, denen<br />
die Dienstleistungserbringer lediglich unterstehen sollen. Hier stellt sich aus privatrechtlicher<br />
Sicht die grundlegende Frage, ob die Regelung als Kollisionsvorschrift zu qualifizieren<br />
ist oder vielmehr sachrechtlich eingeordnet werden muss. Der DLRL-E bleibt<br />
hinsichtlich der Natur des Herkunftslandprinzips in Art. 16 I DLRL-E vage und steht damit<br />
in Tradition zur E-Commerce-Richtlinie 2000/31/EG, die in Art. 3 I, II das Herkunftslandprinzip<br />
statuiert. Während sich nach zutreffendem Verständnis der Richtliniengeber<br />
in der E-Commerce-Richtlinie bewusst gegen einen kollisionsrechtlichen Gehalt und für<br />
ein sachrechtliches Konzept des Herkunftslandprinzips entschieden hat (17, § 12, Rn. 11,<br />
m. w. N.), sprechen beim DLRL-E insbesondere Wortlaut und Systematik für ein kollisionsrechtliches<br />
Verständnis des Herkunftslandprinzips. So heißt es in Art. 16 DLRL-E, dass<br />
die Dienstleistungserbringer den „Bestimmungen“ ihres Herkunftsmitgliedstaats unterstehen.<br />
Die Vorschrift ist somit als einseitige Kollisionsnorm mit Anknüpfungsgegenstand<br />
(Erbringung von Dienstleistungen als Dienstleistungserbringer i. S.d. Norm) und Anknüpfungsmoment<br />
(Bestimmungen ihres Herkunftsmitgliedstaates) formuliert. Klargestellt wird<br />
das kollisionsrechtliche Verständnis des Richtliniengebers vom Herkunftslandprinzip der<br />
geplanten Dienstleistungsrichtlinie in Erwägungsgrund 40a, der ausdrücklich auf die „Instrumente<br />
des Internationalen Privatrechts“ Bezug nimmt. Als Kollisionsregel bestimmt<br />
das Herkunftslandprinzip also das im Einzelfall anwendbare Recht zugunsten des Rechts<br />
des Herkunftsmitgliedstaats. Es ist dabei von einer Sachnormverweisung auszugehen; die<br />
Bestimmungen des Internationalen Privatrechts des Herkunftsmitgliedstaats werden von<br />
dem Verweis also nicht erfasst. Denn anderenfalls müssten sich Dienstleistungserbringer<br />
wie -empfänger zunächst mit dem Kollisionsrecht des Herkunftsmitgliedstaates und<br />
dann unter Umständen mit dem Sachrecht eines anderen Mitgliedstaats auseinandersetzen,<br />
wodurch das erklärte Ziel der Richtlinie (Rechtssicherheit, Einsparung von Rechtsermittlungskosten)<br />
vereitelt würde.<br />
3.3 Auswirkungen des Vorschlags auf das Lauterkeitsrecht<br />
Analysiert man die Auswirkungen des DLRL-E, so ist stets zu berücksichtigen, dass die<br />
geplante Dienstleistungsrichtlinie im Hinblick auf die Grundfreiheiten des EG-Vertrags<br />
zwei „Modalitäten von Dienstleistungen“ erfasst. Entsprechend der Systematik des Entwurfes<br />
(oben sub 2.4) lassen sich Dienstleistungen in Ausübung der Niederlassungsfreiheit<br />
und Dienstleistungen in Ausübung der Dienstleistungsfreiheit unterscheiden. Da der<br />
DLRL-E für beide Modalitäten von Dienstleistungen unterschiedliche Regelungen enthält,<br />
ergeben sich auch unterschiedliche Auswirkungen.<br />
Im Hinblick auf das Lauterkeitsrecht sieht der Entwurf für Dienstleistungen, die von<br />
einer Niederlassung im Empfangsmitgliedstaat erbracht werden, in Art. 15 II lit. g und<br />
h DLRL-E sachrechtliche Wettbewerbsvorschriften vor. Nach Art. 15 DLRL-E müssen<br />
die Mitgliedstaaten ihre Rechtsordnungen dahingehend <strong>über</strong>prüfen, ob an die Aufnahme<br />
oder Ausübung einer Dienstleistung Anforderungen gestellt werden, die mit den Kriterien<br />
des Art. 15 III DLRL-E – Diskriminierungsverbot, Notwendigkeit, Verhältnismäßigkeit<br />
– vereinbar sind. Zu diesen zu prüfenden Anforderungen an die Aufnahme oder Ausübung
220 T. Pfeiffer, B. Hess, B. Schinkels, M. Weller, D. Blechinger, S. Ganninger und B. Gündling<br />
einer Dienstleistungstätigkeit gehören auch Vorschriften <strong>über</strong> „die Beachtung von festgelegten<br />
Mindest- und /oder Höchstpreisen durch den Dienstleistungserbringer“ (Art. 15<br />
II lit. g DLRL-E) und „Verbote und Verpflichtungen im Hinblick auf den Verkauf unter<br />
dem Einstandspreis und Sonderverkäufe“ (Art. 15 II lit. h DLRL-E). Das reformierte<br />
deutsche UWG entspricht bereits heute diesen Anforderungen. Zwar erwähnt es in § 4<br />
Nr. 4 Verkaufsförderungsmaßnahmen wie Preisnachlässe, Zugaben oder Geschenke. Diese<br />
sind jedoch nicht per se verboten. Vielmehr liegt eine unlautere Wettbewerbsmethode nur<br />
dann vor, wenn die Bedingungen für ihre Inanspruchnahme nicht klar und eindeutig angegeben<br />
sind. Dies betrifft nicht die Regelungen in Art. 15 II lit. g, h DLRL-E. Auch § 5<br />
IV UWG wird von den wettbewerbsrechtlichen Vorschriften des DLRL-E nicht erfasst.<br />
Denn danach ist die Werbung mit der Herabsetzung eines Preises nur dann regelmäßig<br />
irreführend und damit unlauter, „sofern der Preis nur für eine unangemessen kurze Zeit<br />
gefordert worden ist“. Problematisch könnten die Bestimmungen des DLRL-E jedoch<br />
hinsichtlich grenz<strong>über</strong>schreitender Dienstleistungen in Ausübung der primärrechtlichen<br />
Dienstleistungsfreiheit sein. Der DLRL-E enthält für diese Modalität von Dienstleistungen<br />
zwar keine sachrechtlichen Vorschriften, setzt jedoch mit dem Herkunftslandprinzip<br />
als Kollisionsregel einen Schritt vorher an, indem dieses bei vor<strong>über</strong>gehenden grenz<strong>über</strong>schreitenden<br />
Dienstleistungen im Grundsatz stets zur Anwendung des Rechts des<br />
Herkunftsmitgliedstaates führt. Das Lauterkeitsrecht wird vom Herkunftslandprinzip in<br />
Art. 16 I DLRL-E erfasst. Dies wird schon daraus deutlich, dass Art. 16 I 2 DLRL-E<br />
ausdrücklich die nationalen Bestimmungen zur „Werbung“ erwähnt. Die Beurteilung der<br />
rechtlichen Zulässigkeit von Werbemaßnahmen ist jedoch gerade originäre Aufgabe des<br />
Lauterkeitsrechts. Überlegenswert wäre allenfalls, durch eine extensive Auslegung der<br />
in Art. 17 Nr. 21 DLRL-E statuierten Ausnahme vom Herkunftslandprinzip die Anwendung<br />
ausländischen Lauterkeitsrechts zu vermeiden. Nach dieser Vorschrift findet das<br />
Herkunftslandprinzip grds. keine Anwendung auf die von Verbrauchern geschlossenen<br />
Verträge. Vor diesem Hintergrund könnte man argumentieren, die vom UWG erfassten<br />
Wettbewerbshandlungen sollen nach der Legaldefinition in § 2 Nr. 1 UWG unter anderem<br />
die Erbringung und den Bezug von Dienstleistungen fördern, sind also gerade auf den Abschluss<br />
eines Vertrags gerichtet. Letztlich ist dies jedoch abzulehnen. Denn für die Frage,<br />
ob eine Wettbewerbshandlung „unlauter“ im Sinne des Lauterkeitsrechts ist, kommt es<br />
<strong>über</strong>haupt nicht auf einen späteren Vertragsschluss an. Die Beurteilung der Unlauterkeit<br />
einer Wettbewerbshandlung ist einem möglichen Vertragsschluss zeitlich vorgelagert.<br />
Mit anderen Worten: Eine nach dem Lauterkeitsrecht unlautere Wettbewerbshandlung ist<br />
schon dann unlauter, wenn es noch gar nicht zu einem Vertragsschluss gekommen ist.<br />
Auch die Anwendung der generalklauselartig formulierten Ausnahme vom Herkunftslandprinzip<br />
in Art. 17 Nr. 16 DLRL-E scheidet aus. Denn Art. 17 Nr. 16 DLRL-E, der eine<br />
Rechtfertigungsmöglichkeit für im Empfangsmitgliedstaat verbotene Dienstleistungen<br />
„aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit“ vorsieht, ist auf<br />
generelle Verbote beschränkt, wie sich aus Erwägungsgrund 42 ergibt. Das UWG verbietet<br />
jedoch nicht generell die Ausübung bestimmter Dienstleistungstätigkeiten. Vielmehr werden<br />
nur bestimmte Wettbewerbshandlungen untersagt. Mangels einschlägiger Ausnahmen<br />
bleibt es dabei: das Lauterkeitsrecht wird umfassend vom Herkunftslandprinzip erfasst.<br />
Dies bedeutet, dass Wettbewerbshandlungen von Unternehmern, die vom EG-Ausland<br />
aus ihre Dienstleistungen vor<strong>über</strong>gehend in Deutschland erbringen, nicht nach dem UWG<br />
beurteilt werden, das <strong>über</strong>haupt nicht zur Anwendung gelangt. Vielmehr führt das Herkunftslandprinzip<br />
zur Anwendung des ausländischen Lauterkeitsrechts.
EU-Dienstleistungsrichtlinie – Rechtsfolgenabschätzung<br />
3.4 Auswirkungen des Vorschlags auf Verbraucherschutzgesetze<br />
im Vertragsrecht<br />
221<br />
Die meisten deutschen Verbraucherschutzgesetze aus dem Vertragsrecht werden – wie<br />
oben gezeigt – im Grundsatz vom Anwendungsbereich der Richtlinie erfasst. Im Hinblick<br />
auf Dienstleistungen, die von einer deutschen Niederlassung im deutschen Markt, also in<br />
Ausübung der primärrechtlichen Niederlassungsfreiheit erbracht werden, könnten sich aus<br />
Art. 26 I lit. f und g DLRL-E Auswirkungen auf das deutsche Verbrauchervertragsrecht,<br />
namentlich auf das Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen ergeben. Danach sind<br />
die Dienstleistungserbringer verpflichtet, den Dienstleistungsempfängern Informationen<br />
<strong>über</strong> die „gegebenenfalls […] verwendeten allgemeinen Geschäftsbedingungen und Generalklauseln“<br />
(lit. f) und „die Vertragsklauseln <strong>über</strong> das auf den Vertrag anzuwendende<br />
Recht und/oder den Gerichtsstand“ (lit. g) zur Verfügung zu stellen. Art. 26 II und IV<br />
DLRL-E bestimmen dann konkret, auf welche Weise diese Informationspflichten erfüllt<br />
werden können. Angesichts dieser ausführlichen Bestimmungen <strong>über</strong> die Mitteilung allgemeiner<br />
Geschäftsbedingungen stellt sich die Frage, ob damit die Einbeziehung allgemeiner<br />
Geschäftsbedingungen im Dienstleistungsrecht eine abschließende Normierung<br />
gefunden hat. Die deutschen Vorschriften in den §§ 305 ff. BGB <strong>über</strong> die Einbeziehung<br />
solcher Vertragsklauseln wären dann durch die in deutsches Recht umgesetzten Richtlinienbestimmungen<br />
ausgeschlossen. Einer solchen Sichtweise muss jedoch entgegen<br />
gehalten werden, dass sich die in Art. 26 DLRL-E statuierten Informationspflichten der<br />
Dienstleistungserbringer qualitativ von den Voraussetzungen der Einbeziehung von AGB<br />
unterscheiden und parallel – ohne gegenseitige Einflüsse – neben diesen stehen. Die Einhaltung<br />
der Informationspflichten ist zur Einbeziehung in den Vertrag weder erforderlich<br />
noch ausreichend. Entscheidend spricht hierfür die unterschiedliche Schutzrichtung der<br />
Vorschriften <strong>über</strong> Informationspflichten und der Regelungen des AGB-Rechts. Die AGBrechtlichen<br />
Vorschriften wollen sicherstellen, dass der Vertragspartner des Verwenders<br />
Kenntnis vom konkreten Inhalt des Vertrags, also vom vertraglichen Pflichtenprogramm,<br />
erhält bzw. vor unangemessen benachteiligenden Klauseln geschützt wird. Demgegen<strong>über</strong><br />
sollen die besonderen Informationspflichten die Willensbildung und Rechtsverfolgung<br />
durch den Verbraucher erleichtern, knüpfen also im Vorfeld des bzw. im Anschluss<br />
an den eigentlichen Vertragsschluss an (19, S. 1155). Damit bleibt eine Anwendung der<br />
deutschen Vorschriften des AGB-Rechts und insbesondere der Einbeziehungsvoraussetzungen<br />
in § 305 II BGB neben den Bestimmungen in Art. 26 DLRL-E uneingeschränkt<br />
möglich, das deutsche Verbrauchervertragsrecht wird insoweit also vom DLRL-E nicht<br />
berührt.<br />
Angemerkt sei jedoch an dieser Stelle, dass der Entwurf neben zahlreichen Informationspflichten<br />
der Dienstleistungserbringer (etwa Art. 26, 27 II, 28 I und 30 III DLRL-E)<br />
u. a. auch ein Diskriminierungsverbot (Art. 21 DLRL-E) und die Pflicht zum Abschluss<br />
von Berufshaftpflichtversicherungen vorsieht (Art. 27 DLRL-E). Zwar steht es dem deutschen<br />
Gesetzgeber in den Grenzen von Art. 10 EG-Vertrag frei, wie er diese Vorschriften<br />
in nationales Recht umsetzt. Denkbar ist hier sowohl eine strafrechtliche als auch eine öffentlich-rechtliche<br />
oder zivilrechtliche Umsetzung. Gerade hinsichtlich der Informationspflichten<br />
bietet sich jedoch eine zivilrechtliche Umsetzung in der BGB-Infoverordnung<br />
an. Auf diese Weise könnte eine Kongruenz zu der bisherigen Umsetzung von Richtlinien<br />
des Verbrauchervertragsrechts erreicht werden.<br />
Im Hinblick auf grenz<strong>über</strong>schreitende Dienstleistungen in Ausübung der primärrechtlichen<br />
Dienstleistungsfreiheit führt das Herkunftslandprinzip als Kollisionsregel im<br />
Grundsatz zur Anwendung ausländischen Vertragsrechts. Schon in Art. 16 I DLRL-E, der<br />
ausdrücklich die „Verträge“ als vom Herkunftslandprinzip erfasst nennt, wird deutlich,<br />
dass sowohl die vertraglichen Primärpflichten als auch die vertragliche Sekundärhaftung,
222 T. Pfeiffer, B. Hess, B. Schinkels, M. Weller, D. Blechinger, S. Ganninger und B. Gündling<br />
insbesondere einschließlich der Gewährleistung, vom Herkunftslandprinzip erfasst werden<br />
(vgl. 38, S. 245). Allerdings stellt Art. 17 Nr. 20 DLRL-E als Ausdruck der Parteiautonomie<br />
klar, dass im Falle einer Rechtswahl das Herkunftslandprinzip auf den Vertrag keine<br />
Anwendung findet. Im Hinblick auf das Verbrauchervertragsrecht besonders bedeutsam<br />
ist die Ausnahme in Art. 17 Nr. 21 DLRL-E. Danach ist die Anwendung des Herkunftslandprinzips<br />
auf „von Verbrauchern geschlossene Verträge ausgeschlossen, sofern die auf<br />
diese Verträge anwendbaren Bestimmungen auf Gemeinschaftsebene nicht vollständig<br />
harmonisiert sind“. In diesen Fällen bestimmt sich das anwendbare Recht somit nicht<br />
nach dem Herkunftsmitgliedstaat. Vielmehr – stellt Erwägungsgrund 40a klar – ist das<br />
anwendbare Recht „gemäß den Instrumenten des Internationalen Privatrechts“ zu bestimmen,<br />
also durch das Übereinkommen von Rom und insbesondere durch dessen verbraucherschützenden<br />
Art. 5 EVÜ (Art. 29 EGBGB). Dennoch verbleibt in der Anwendung der<br />
Ausnahme des Art. 17 Nr. 21 DLRL-E insbesondere die Frage, ob auch die vorvertragliche<br />
Haftung bei Verbraucherverträgen – früher durch das Rechtsinstitut der culpa in contrahendo<br />
(c.i.c.) erfasst, heute durch §§ 280 I, 311 II, III BGB – unter Art. 17 Nr. 21 DLRL-E<br />
fällt, d. h. ob sich auch das auf die vorvertragliche Haftung anwendbare Recht bei Verbraucherverträgen<br />
nicht nach dem Herkunftslandprinzip bestimmt. Dagegen spricht, dass die<br />
Norm nur die von Verbrauchern „geschlossenen Verträge“ vom Anwendungsbereich des<br />
Herkunftslandprinzips ausnimmt. Dies legt es nahe, die zeitlich vor dem Vertragsschluss,<br />
also vor dem geschlossenen Vertrag, anknüpfende vorvertragliche Haftung als nicht von<br />
der Ausnahme erfasst anzusehen. Dies entspräche auch der Rechtsprechung des EuGH<br />
zu der Frage der internationalen (Entscheidungs-) Zuständigkeit nach der EuGVÜ. In<br />
der Rechtssache Tacconi hat der EuGH die vorvertragliche Haftung – es ging um den<br />
Abbruch von Vertragsverhandlungen – pauschal als deliktisch qualifiziert und unter Art. 5<br />
Nr. 3 EuGVÜ (entspricht i.W. Art 5 Nr. 3 EuGVVO) subsumiert (vgl. 12). Außerdem ist zu<br />
berücksichtigen, dass die vorvertragliche Haftung in Form der c.i.c. und damit als vertragliche<br />
Haftung in den Rechtsordnungen zahlreicher Mitgliedstaaten der EU unbekannt ist<br />
– dort werden die in Deutschland unter die c.i.c. subsumierten Fälle regelmäßig nach Deliktsrecht<br />
gelöst. Würde man nun die vorvertragliche Haftung gemeinschaftsweit unter die<br />
Ausnahme vom Herkunftslandprinzip für Verbraucherverträge subsumieren, so würde dies<br />
für diese Staaten letztlich bedeuten, dass sie ihre vorvertragliche Haftung – obwohl der<br />
Rechtsnatur im Sinne ihrer nationalen Dogmatik nach deliktisch – unter die vertragliche<br />
Haftung in Art. 17 Nr. 21 DLRL-E subsumieren müssten. Dies würde dem angestrebten<br />
Ziel einer allmählichen Harmonisierung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen zuwiderlaufen.<br />
Aus einer gemeinschaftsrechtlichen Sicht, die bei der Auslegung der Richtlinie<br />
als Gemeinschaftsrechtsakt geboten ist, erscheint es daher <strong>über</strong>zeugend, die vorvertragliche<br />
Haftung der außervertraglichen deliktischen Haftung zuzuordnen. Die c.i.c. fällt<br />
damit nicht unter die Ausnahme für Verbraucherverträge in Art. 17 Nr. 21 DLRL-E.<br />
Zusammenfassend lässt sich damit im Hinblick auf Art. 17 Nr. 21 DLRL-E sagen, dass<br />
bei Verbraucherverträgen derzeit alle mit dem Vertrag in Verbindung stehenden Rechtsfragen<br />
– mit Ausnahme wohl der vorvertraglichen Haftung – grundsätzlich nicht vom Herkunftslandprinzip<br />
erfasst werden. Maßgeblich ist vielmehr die nach den allgemeinen Kollisionsvorschriften<br />
in den Art. 27 ff. EGBGB zu bestimmende Rechtsordnung. Allerdings findet<br />
das Herkunftslandprinzip in Bereichen Anwendung, in denen die auf Verbraucher anwendbaren<br />
Bestimmungen in Minimal- und Maximalstandards harmonisiert sind. Bei den hier zu<br />
untersuchenden Verbraucherschutzgesetzen des Vertragsrechts ist dies zwar noch nicht der<br />
Fall. Die den deutschen Verbraucherschutzvorschriften des Vertragsrechts zugrunde liegenden<br />
Richtlinien schreiben stets nur eine Mindestharmonisierung vor, die Statuierung eines<br />
höheren Schutzstandards bleibt den Mitgliedstaaten <strong>über</strong>lassen. Allerdings gibt es derzeit<br />
ernste Bestrebungen der Kommission, ein kohärentes europäisches Vertragsrecht, also eine<br />
Harmonisierung in Minimal- und Maximalstandards – zu schaffen.
EU-Dienstleistungsrichtlinie – Rechtsfolgenabschätzung<br />
3.5 Verbraucherschutzrechtliche Bewertung<br />
223<br />
Bei Dienstleistungen in Ausübung der Niederlassungsfreiheit, die also von einer deutschen<br />
Niederlassung aus im deutschen Markt erbracht werden, sind durch die Richtlinie<br />
nur geringe Modifikationen im Privatrecht zu erwarten. Der Entwurf zur Richtlinie begegnet<br />
insoweit auch keinen verbraucherrechtlichen Bedenken. Weitaus problematischer<br />
sind die Auswirkungen auf Dienstleistungen in Ausübung der Dienstleistungsfreiheit zu<br />
beurteilen. Das Herkunftslandprinzip wird bei grenz<strong>über</strong>schreitenden, vor<strong>über</strong>gehenden<br />
Dienstleistungen im deutschen Markt regelmäßig – im Verbrauchervertragsrecht jedenfalls<br />
in Zukunft – zur Anwendung ausländischen Privatrechts führen. Zwar ist im Lauterkeitsrecht<br />
und eben im Verbrauchervertragsrecht eine zunehmende Harmonisierung<br />
der Rechtsvorschriften im Gange bzw. geplant, so dass die Verbraucherschutzstandards<br />
grds. in der EU identisch sein werden. Die Gefahr unterschiedlicher Schutzniveaus in<br />
den einzelnen Mitgliedstaaten und eines System- oder Institutionenwettbewerbs um die<br />
niedrigsten Verbraucherschutzstandards besteht also nicht in gleichem Maße wie etwa im<br />
Deliktsrecht und im Recht der verbrauchervertraglichen Verbandsklagen, wo keine oder<br />
allenfalls mindestharmonisierende Regelungen bestehen. Dennoch werden die Verbraucher<br />
mit Kosten und Mühen zur Ermittlung des konkreten ausländischen Rechts belastet<br />
sein. Außerdem wird das neue Konzept der Vollharmonisierung bei Richtlinien insbesondere<br />
im Verbrauchervertragsrecht zu erheblichen, bislang nur in Umrissen absehbaren<br />
Schwierigkeiten bei der Umsetzung ins nationale deutsche Recht führen. Denn notwendige<br />
rechtliche Folge des Konzeptes der Vollharmonisierung als Harmonisierung in Minimal-<br />
und Maximalstandards ist es ja, dass die Mitgliedstaaten keine <strong>über</strong> das Schutzniveau<br />
der Richtlinie hinausgehenden Schutzvorschriften zugunsten der Verbraucher erlassen<br />
dürfen. Dieser Aussagegehalt des Vollharmonisierungskonzepts ist jedoch nur auf den<br />
ersten Blick eindeutig – bei näherer Betrachtung ergeben sich erhebliche Schwierigkeiten.<br />
Denn es bleibt offen, wie weit der abschließende Charakter von Vorschriften in zukünftig<br />
vollharmonisierenden Richtlinien reicht. Insbesondere ist völlig unklar, ob zukünftig<br />
eine Bestimmung in einer vollharmonisierenden Richtlinie dazu führt, dass generell etwa<br />
strengere nationale Beweisregeln, Widerrufsfristen oder Formvorschriften für die Ausübung<br />
des Widerrufsrechts unzulässig sind. Für die Fristen hinsichtlich der Ausübung<br />
eines verbraucherschützenden Widerrufs – ein vielfach genutztes Rechtsinstrument im<br />
europäischen Verbrauchervertragsrecht – hätte dies etwa erhebliche Auswirkungen auf die<br />
deutsche Vorschrift in § 355 BGB, die pauschal für alle Arten von Verbraucherwiderrufen<br />
die Frist auf höchstem Niveau harmonisiert hat. Sie wäre dann bei Überschreitung der in<br />
der Richtlinie angegebenen Frist richtlinienwidrig (ausführlich 37, S. 109).<br />
In Anschauung des Privatrechts ergibt sich damit für das Herkunftslandprinzip die<br />
Bewertung, dass es teils – nämlich dort, wo die Anbieterinteressen den Vorrang verdienen<br />
und nach geltendem Internationalem Privatrecht bereits genießen – <strong>über</strong>flüssig ist, teils als<br />
Fremdkörper wirkt. Als generelles und weitgehend pauschal wirkendes Anknüpfungsprinzip<br />
ist es zur sachgerechten Bewältigung kollisionsrechtlicher Interessenkonflikte wenig<br />
tauglich. Als generelles Prinzip sollte es im Privatrecht ausscheiden.<br />
4 Auswirkungen des DLRL-E auf das öffentliche Recht<br />
Die Auswirkungen auf das öffentliche Recht wurden ausgehend von der systematischen<br />
Zäsur zwischen Regelungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensrechts und Regeln<br />
des Besonderen Verwaltungsrechts untersucht.<br />
Inhaltlicher Schwerpunkt der Untersuchungen zum Allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht<br />
bildet die Verwaltungspraxis nach dem Bundesverwaltungsverfahrensgesetz
224 T. Pfeiffer, B. Hess, B. Schinkels, M. Weller, D. Blechinger, S. Ganninger und B. Gündling<br />
(BVwVfG) im Lichte der Vorgaben des Entwurfes. Besondere Beachtung fand dabei der<br />
praktisch voraussichtlich besonders bedeutsame Themenkomplex der grenz<strong>über</strong>schreitenden<br />
Amtshilfe.<br />
Die Untersuchung der Normen des Besonderen Verwaltungsrechts im Geschäftsbereich<br />
des BMVEL erfolgte untergliedert nach ausgewählten thematischen Referenzbereichen.<br />
Ausgehend von den Wünschen des BMVEL lag der Schwerpunkt der Untersuchungen in<br />
den Referenzbereichen Tierschutzrecht, Pflanzenschutzrecht, Lebensmittelrecht und dem<br />
Recht zum Schutz vor Infektionskrankheiten.<br />
4.1 Allgemeines Verwaltungsrecht: Auswirkungen auf Verwaltungsverfahren<br />
nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz<br />
Entgegen den Assoziationen zu ihrem Namen und entgegen den politischen Diskussionen<br />
zieht der Entwurf der Dienstleistungsrichtlinie auch weitreichende Auswirkungen für das<br />
allgemeine Verwaltungsrecht nach sich.<br />
Schon die Gliederung benennt mit den Überschriften „Amtshilfe“, „Einheitlicher Ansprechpartner“<br />
oder „elektronische Verfahrensabwicklung“ Rechtsfiguren, die ihrer Bezeichnung<br />
und ihrer herkömmlichen Systematik nach dem Verwaltungsrecht zuzuordnen<br />
sind. Disharmonien der geplanten Dienstleistungsrichtlinie zum geltenden Verwaltungsrecht<br />
ergeben sich dabei vornehmlich in solchen Rechtsbereichen, in denen die aufgezählten<br />
Figuren ebenso wie die übrigen verwaltungsrechtlichen Anordnungen des DLRL-E<br />
dem bestehenden Recht zuwiderlaufende Anordnungen treffen. Zur Illustration dessen<br />
sollen nachfolgend anhand ausgewählter Normen die Divergenzen zwischen den diesbezüglichen<br />
Vorgaben des DLRL-E und den Anordnungen des allgemeinen Verwaltungsrechts<br />
aufgezeigt werden.<br />
Die in diesem Zusammenhang einschlägigen Normen finden sich im BVwVfG. Denn<br />
das für den Untersuchungsgegenstand dieses Aufsatzes maßgebliche BMVEL ist als Bundesbehörde<br />
im Rahmen seiner Entscheidungsfindung, seiner Entscheidungskundgabe und<br />
seiner verwaltungsinternen Abläufe an dieses Gesetz gebunden. Nur dann, wenn die Anordnungen<br />
des DLRL-E mit diesem Gesetz disharmonieren, ergeben sich für das Ministerium<br />
zumindest notwendige Änderungen an tradierten Entscheidungsmechanismen, die<br />
gegebenenfalls zu positivrechtlichen Veränderungen führen können; insbesondere die zu<br />
jenem Thema bisher ergangenen wissenschaftlichen Stimmen sehen in diesem Bereich<br />
einen großen Kodifikationsbedarf, der zu einer grundsätzlichen Neuausrichtung des deutschen<br />
Verwaltungsverfahrensrechts führen werde (40, S. 887).<br />
Ergänzend sei an dieser Stelle noch hinzugefügt, dass sich Auswirkungen auf die Verwaltungspraxis<br />
des BMVEL und damit auf das der Verwaltungspraxis zugrunde liegende<br />
BVwVfG unabhängig von der Art der Umsetzung der Richtlinienvorgaben innerhalb des<br />
deutschen Rechts ergeben, weil die in diesen Bereichen sehr konkreten Vorgaben jedenfalls<br />
Eingang in das deutsche Recht finden und damit jedenfalls verbindlich werden.<br />
4.1.1.1 Grundsätzliche Bedeutung<br />
4.1.1 Amtshilfe<br />
Beginnen soll die folgende Darstellung der sich widersprechenden Regelungen des<br />
BVwVfG und der geplanten Richtlinie mit einigen Überlegungen zur Amtshilfe. Diese<br />
kann dahingehend als exemplarisch betrachtet werden, dass sie sowohl eine national<br />
ausdifferenziert kodifizierte Rechtsfigur darstellt, sie aber gleichzeitig im Entwurf zur<br />
Dienstleistungsrichtlinie konkrete, umfassend neue Regelungsaspekte erfährt. Die gleiche<br />
Ausgangslage findet sich in Ansehung des BVwVfGes und des DLRL-E auch bei anderen<br />
verwaltungsrechtlichen Instituten, jedoch nicht in einer derartigen Regelungsdichte.
EU-Dienstleistungsrichtlinie – Rechtsfolgenabschätzung<br />
225<br />
Dar<strong>über</strong> hinaus hat die Amtshilfe historisch den Grundsatz der Einheit der Verwaltung<br />
erst herausgebildet, indem sie zu einheitlichen Stellungnahmen der Behörden gegen<strong>über</strong><br />
dem Bürger führte (23, Vor § 4, Rz. 2). Es ist demnach zu erwarten und von der Richtlinie<br />
wohl auch intendiert, dass durch europaweit einheitliche Regelungen zur Amtshilfe dieselbe<br />
den Weg zu einer gesamteuropäischen Informations- und Handlungseinheit weist<br />
(dazu grundlegend 50, passim). Insoweit gibt der DLRL-E vielleicht – es mag dies einer<br />
seiner wesentlichen, in der Öffentlichkeit kaum diskutierten Kerne sein – ergänzend zum<br />
Verfassungsvertrag, den Weg zu einem einheitlichen europäischen Verwaltungsrecht vor.<br />
Die geplante Richtlinie würde dann dem Artikel III – 285 EU-Verfassung gerecht, der<br />
die Verwaltungszusammenarbeit zwischen den jeweiligen nationalen Behörden auf eine<br />
verfassungsvertragliche Grundlage stellt, um so ihre Wichtigkeit widerzuspiegeln.<br />
4.1.1.2 Ausgangslage<br />
Bereits das bestehende Gemeinschaftsrecht kennt so genannte Netzwerke als wesentliche<br />
Bestandteile eines sich herausbildenden Verwaltungskooperationsrechts, bei dem Hoheitsträger<br />
verschiedenere Staaten vertikal (gegen<strong>über</strong> den EG-Verwaltungsstellen) und horizontal<br />
(untereinander) zusammenarbeiten (41, Kapitel 7, Rn. 18; 47, S. 78 ff.).<br />
Die dabei entstehende, sich zunehmend verdichtende Kooperation wird durch elektronische<br />
Kommunikations- und Zusammenarbeitsmedien noch begünstigt. Daneben will<br />
man nach dem Entwurf ein eigenes, neues Regelungswerk stellen, das Amtshilfevorgänge<br />
und Netzwerkverbindungen verdichtet, systematisiert und letztlich in ein (dogmatisches)<br />
Regelungssystem <strong>über</strong>führt. Dazu kodifiziert der Richtliniengeber in Artikel 35 I DLRL-E<br />
die Zusammenarbeit von Behörden zum Zwecke der „Kontrolle der Dienstleistungserbringer<br />
und ihrer Dienstleistungen“, wobei diese Anordnung vornehmlich an Dienstleistungserbringer<br />
gerichtet ist, die die Dienstleistungsfreiheit in Anspruch nehmen, denn<br />
nur in dieser Konstellation unterliegen Anbieter dem Rechtsregime ihres Herkunftslandes<br />
und dieser Herkunftsstaat ist auf Informationen aus dem Bestimmungsstaat angewiesen.<br />
Schon aus diesem ersten Zusammenhang wird deutlich, dass die grenz<strong>über</strong>schreitenden<br />
Amtshilferegelungen durch den EG-Gesetzgeber eine Notwendigkeit darstellen, die sich<br />
aus der Umsetzung der geplanten Dienstleistungsrichtlinie selbst ergibt – das Herkunftslandprinzip<br />
kann allein für rechtlich gesicherte Standards sorgen, wenn es sich auf eine<br />
effektive und schnelle Amtshilfe stützen kann.<br />
4.1.1.3 Einzelne Widersprüche zu geltenden Normen des BVwVfGes<br />
Beispielhaft sollen nachfolgend einige Regelungswidersprüche aufgezeigt werden, die<br />
durch unterschiedliche rechtliche Vorgehensweise (z. B. Auslegung oder Neukodifikation)<br />
zu bewältigen sind.<br />
●<br />
Behördenbegriff<br />
Gemäß §§ 4 i. V. m. 1 IV kennt das BVwVfG allein Amtshilfe zwischen deutschen<br />
Bundesbehörden; nur diese unterfallen dem dort genannten Behördenbegriff. Allerdings<br />
können auch die amtshilfetechnisch zu erlangenden Auskünfte ausländischer<br />
Behörden unmittelbare Auswirkungen auf Verfahrenspositionen von Beteiligten haben,<br />
wenn beispielsweise die Stellung des Antragsstellers als juristische Person in<br />
seinem Heimatland für Konzessionen betreffend seine Dienstleistungstätigkeit innerhalb<br />
Deutschlands zwingend vorgeschrieben ist. Die erteilte ausländische Auskunft<br />
mit ihrer unmittelbar verfahrensgestaltenden Wirkung muss deshalb als behördliche<br />
Tätigkeit begriffen werden. Es wäre in einem zusammenwachsenden, mobilitätsorientierten<br />
Europa, das zeitgemäßer rechtlicher Ausgestaltung bedarf, sinnwidrig, die auf<br />
die aufgezeigte Weise zumindest mittelbar nach außen tätigen ausländischen Behörden<br />
nicht als beteiligungsfähig nach § 11 BVwVfG anzusehen. Schließlich kann der so<br />
ermittelte Behördenbegriff des § 11 BVwVfG nicht anders zu verstehen sein als derje-
226 T. Pfeiffer, B. Hess, B. Schinkels, M. Weller, D. Blechinger, S. Ganninger und B. Gündling<br />
●<br />
nige der §§ 1 IV, 4 und 9 – nur diese Auslegung kann als richtlinienkonform betrachtet<br />
werden, weil nur sie die Anwendung von Amtshilferegeln auf denkbare europäische<br />
Amtshilfekonstellationen ermöglicht.<br />
Die Kehrseite dessen stellen ausländische Anfragen um Amtshilfe dar, die nach dem<br />
Herkunftslandprinzip für die Kontrolle in Deutschland tätiger ausländischer Dienstleistungsanbieter<br />
notwendig werden können. Aufgrund fehlender anderer Anhaltspunkte<br />
kann für eine mögliche Auskunftspflicht gegen<strong>über</strong> ausländischen Behörden<br />
nur auf die geltende höchstrichterliche Rechtsprechung Bezug genommen werden, die<br />
Auskunftspflichten allein aus dem Recht der ersuchten Behörde ableitet (6, S. 467).<br />
Das deutsche Recht verlangt dar<strong>über</strong> hinaus in § 4 i. V. m. § 1 IV BVwVfG, dass es<br />
sich bei der ersuchenden Behörde um eine „andere Behörde“ handelt. Zwar ergibt sich<br />
nicht bereits aus einer Analogie zu der vorstehend geschilderten Konstellation, dass<br />
ersuchende ausländische Behörden als andere Behörden i. S.d. BVwVfGes angesehen<br />
werden können, weil die denkbaren Sachverhaltskonstellationen zu unterschiedlich<br />
sein können und bereits im geltenden Verwaltungsverfahrensrecht unterschiedliche Regelungen<br />
erfahren haben. Jedoch lässt sich eine Nichtdiskriminierung ausländischer<br />
Dienstleistungsanbieter (Art. 12 i. V. m. 10 EG-Vertrag) nur dann verwirklichen, wenn<br />
die jeweiligen nationalen Behörden so schnell und effektiv zusammenarbeiten, wie es<br />
bereits derzeit innerhalb der Nationalstaaten der Fall ist. Nur in dieser letztgenannten<br />
Auslegung sind die Markteintrittschancen im gesamten Binnenmarkt denen der jeweiligen<br />
nationalen Märkte vergleichbar. Deshalb ist eine um Amtshilfe ersuchende ausländische<br />
Behörde durch richtlinienkonforme Auslegung des § 4 BVwVfG als „andere<br />
Behörde“ eben dieser Norm zu betrachten, ebenso wie es nach obigen Ausführungen<br />
die um Amtshilfe ersuchten ausländischen Behörden sind.<br />
Insgesamt formt die Richtlinie in der Fassung des DLRL-E einen erweiterten Behördenkreis,<br />
der alle national unterschiedlichen Behörden umfasst, und schreibt innerhalb<br />
dessen Amtshilfe verbindlich vor, um die Dienstleistungsfreiheit zu verwirklichen.<br />
Darauf haben sich deutsche Behörden einzustellen.<br />
Zulässigkeitsvoraussetzung, Erschwernisgrund, Aufsichtsbehörde<br />
Nach dem Wortlaut, „die Mitgliedsstaaten leisten einander Amtshilfe“, wird die Leistung<br />
von Amtshilfe durch die ersuchte Behörde an keine Bedingungen geknüpft. Zwar<br />
knüpft das BVwVfG in § 5 die Amtshilfeleistung an Voraussetzungen; eine generalklauselartige<br />
Voraussetzung darunter ist aber der so genannte „Erschwernisgrund“. Amtshilfe<br />
kann danach zulässig geleistet werden, wenn eigene Auskünfte der ersuchenden<br />
Behörde nur mit wesentlich größerem Aufwand möglich sind als eigene Tätigkeiten<br />
der ersuchenden Behörde (vgl. den Wortlaut des § 5 I Nr. 5 VwVfG: „die Amtshandlung<br />
nur mit wesentlich größerem Aufwand vornehmen könnte als die ersuchte Behörde“).<br />
Dieser Aufwand wird bei innerhalb<br />
Deutschlands tätigen ausländischen Dienstleistungsanbietern für die Behörden deren<br />
Heimatlandes regelmäßig zu bejahen sein, weshalb in diesem Bereich trotz der Statuierung<br />
von Voraussetzungen materiell keine anpassungsbedürftigen Widersprüche zu<br />
finden sind.<br />
Anders verhält es sich bei denkbaren Konstellationen von divergierenden Auffassungen<br />
<strong>über</strong> die rechtliche Zulässigkeit von Amtshilfetätigkeiten zwischen ersuchender und ersuchter<br />
Behörde. Während das geltende deutsche Recht in § 5 V BVwVfG in derartigen<br />
Widersprüchen die gemeinsam fachlich zuständige Aufsichtsbehörde zur Entscheidung<br />
beruft, sind im Richtlinienvorschlag keine diesbezüglichen Anordnungen vorgesehen.<br />
Auch das geltende europäische Recht kennt keine gemeinsam zuständige fachliche<br />
Aufsichtsbehörde, die als Entscheidungsinstanz in Frage käme. Eine Klärung dieser<br />
Unwägbarkeiten durch eine Anlehnung an den § 5 V, 2. Alt. BVwVfG scheint ausge-
●<br />
●<br />
EU-Dienstleistungsrichtlinie – Rechtsfolgenabschätzung<br />
227<br />
schlossen, weil eine Entscheidung der „für die ersuchte Behörde fachlich zuständige[n]<br />
Aufsichtsbehörde“ durch eine nationale Behörde erginge, die aus Sicht der ersuchenden<br />
eine ausländische, also nicht kompetenziell <strong>über</strong>geordnete, wäre.<br />
Im Ergebnis besteht in diesem Bereich Kodifikationsbedarf auf europäischer Ebene.<br />
Behördenauswahl<br />
Die sich am BVwVfG orientierende behördliche Praxis entnimmt dem § 6 die Vorgabe,<br />
das Amtshilfeersuchen an die unterste Verwaltungsstufe des Verwaltungszweiges der<br />
ersuchten Behörde zu stellen. Sollte sich die in der Norm angeordnete Sollvorschrift,<br />
in Anlehnung an den oben erörterten erweiterten Anwendungsbereich des BVwVfG,<br />
auch an ausländische Amtshilfeersuchen richten, entstehen aufgrund von Unkenntnissen<br />
problematische Situationen: So können deutsche Behörden bei Anfragen an<br />
ausländische Verwaltungen diesen Anforderungen ebenso wenig nachkommen wie<br />
ausländische Behörden, die sich an ein deutsches Amt wenden. Es fehlt jeweils die<br />
dafür notwendige Kenntnis von behördeninternen Zuständigkeiten und Hierarchien. Im<br />
DLRL-E findet sich diesbezüglich die schlichte Regelung, ersuchte Behörden würden<br />
im Rahmen ihrer nationalen Zuständigkeiten tätig. Um dem Sinn der Richtlinie Rechnung<br />
zu tragen und eine effektive, grenz<strong>über</strong>greifende Inanspruchnahme der Dienstleistungsfreiheit<br />
zu ermöglichen, kann die tradierte, an § 6 VwVfG orientierte Praxis<br />
nicht beibehalten werden. Welcher Art die notwendigen Modifikationen sein können,<br />
kann dem Entwurf nicht entnommen werden. Sollte dem Wortlaut des Vorschlags in<br />
den Artikeln 35 IV 3 und 36 II 2 genügt werden, ohne dass nationale Behörden sich umfangreich<br />
in behördliche Zuständigkeiten anderer Staaten einarbeiten, um die dortigen<br />
zuständigen Stellen zu ermitteln, kann seitens der Untersuchenden nur eine ergänzende<br />
Auslegung aus der Systematik der gesamten Richtlinie getroffen werden: Ebenso wie<br />
die geplante Dienstleistungsrichtlinie den ins Ausland strebenden Dienstleistungsanbietern<br />
in Form des einheitlichen Ansprechpartners („OSS“) einen Lotsen durch den jeweils<br />
nationalen „Behördendschungel“ an die Hand gibt, scheint derartiges für die um<br />
Amtshilfe ersuchenden ausländischen Behörden notwendig. Ein solcher Lotse könnte<br />
die Anfragen so koordinieren, dass sie immer die national zuständige Stelle erreichen<br />
würden; die nationalen Zuständigkeiten blieben unangetastet, effektive und schnelle<br />
Amtshilfe wäre ermöglicht.<br />
Zulässigkeiten: angestrebte Maßnahme und durchzuführende Amtshilfe<br />
Die Umsetzung des Herkunftslandprinzips fordert, wie oben ausgeführt, eine effektive<br />
Amtshilfe, die die Durchführung von Kontrollbefugnissen seitens des ausländischen<br />
Heimatstaates ermöglicht, sofern Dienstleister im Bestimmungsstaat Deutschland ohne<br />
Niederlassung tätig sind. Damit unterliegt die Maßnahme, zu deren Durchführung die<br />
Amtshilfe seitens des Herkunftsstaates angestrebt wird, dem Recht des Herkunftsstaates.<br />
Diese aus der Systematik des Entwurfes folgende rechtliche Beurteilung ist bereits<br />
gängige behördliche Praxis, da § 7 I, 1. HS i. V. m. II, 1. HS BVwVfG eben diese<br />
Maßgeblichkeit des Rechts der ersuchenden Behörde für die Zulässigkeit der endlich<br />
angestrebten Maßnahme anordnet.<br />
Dagegen unterstellt das deutsche Recht gemäß § 7 I 2 BVwVfG die Durchführung der<br />
Amtshilfe dem für die ersuchte Behörde geltenden Recht (näher 23, § 4, Rn. 21). Diese<br />
nationale Regelung deckt unter mehreren Gesichtpunkten im Vergleich zum DLRL-E<br />
Unklarheiten auf: Zum einen ist fraglich, ob diese Anordnung mit der zuvor erörterten<br />
Rechtmäßigkeitsorientierung der angestrebten Maßnahme harmoniert. Zum anderen<br />
scheint eine umfängliche Verwirklichung des Herkunftslandprinzips für eine umfassende<br />
Geltung des Rechts des Herkunftsstaates zu streiten – gerade die ihm bekannte<br />
Durchführung von kontrollrechtlich relevanten Amtshilfeersuchen schafft Rechtssi-
228 T. Pfeiffer, B. Hess, B. Schinkels, M. Weller, D. Blechinger, S. Ganninger und B. Gündling<br />
cherheit für den ins Ausland strebenden Dienstleistungsanbieter. Dar<strong>über</strong> hinaus will<br />
der Entwurf gemäß Artikel 35 IV 3 DLRL-E nationale Zuständigkeiten unangetastet<br />
belassen – die Bearbeitung von Amtshilfeersuchen unter Anwendung ausländischen<br />
Rechts des Bestimmungsstaates würde aber nationale Zuständigkeiten nicht berücksichtigen.<br />
Innerhalb Deutschlands würde behördliches Handeln entgegen dem Artikel<br />
20 III GG ausländischem Recht unterstellt.<br />
Mithin besteht in diesem letztgenannten Bereich noch ein Konkretisierungsbedarf.<br />
Man wird die Frage des anwendbaren Rechts bei der Beantwortung von Amtshilfeersuchen<br />
genauer regeln müssen.<br />
4.1.1.4 Zwischenergebnis<br />
Insgesamt ergeben sich bereits nach den bisherigen Darstellungen erhebliche Anpassungsnotwendigkeiten<br />
für die behördliche Praxis, sowohl im Rahmen der Bearbeitung<br />
von fremden Amtshilfeersuchen, als auch in der eigenen Nutzung des Amtshilfeinstituts.<br />
Über bloße Veränderungen innerhalb der behördeninternen Praxis hinaus können diese<br />
Veränderungen bis zu Modifikationen im BVwVfG resp. der Schaffung eines neuen Amtshilfegesetzes<br />
reichen.<br />
4.1.2 Rechtsschutz<br />
Neben der Amtshilfe wirft auch die geltende Regelung des Rechtsschutzes gegen behördliche<br />
Verfahrenshandlungen Fragen in Ansehung des DLRL-E auf. Die Amtshilfe ist nach<br />
der Systematik der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) als nicht nach außen wirkender<br />
Rechtsakt durch keinen Rechtsbehelf angreifbar (statt aller 45, § 5 Rn. 41). Der ausländische<br />
Dienstleistungsanbieter, dessen Kontrolle durch Amtshilfe ermöglicht werden<br />
sollte, müsste sich gegen die endliche Maßnahme seines Heimatlandes vor einem dortigen<br />
Gericht wehren. Im Rahmen der Prüfung durch das dortige Gericht wäre auch die Rechtmäßigkeit<br />
der Amtshilfe zu prüfen. Ein ausländisches Gericht hätte dann nach einem aus<br />
seiner Sicht ausländischen Recht die Rechtmäßigkeit einer ausländischen behördlichen<br />
Amtshilfe zu <strong>über</strong>prüfen. Eine derartige Jurisdiktion <strong>über</strong> exekutive Maßnahmen anderer<br />
Staaten erkennt das Europarecht nationalen Gerichten bisher nicht zu und auch aus dem<br />
Entwurf lassen sich keine Ansätze in diese Richtung erkennen.<br />
Sollen die Rechtsschutzmöglichkeiten ausländischer Dienstleistungsanbieter gegen<strong>über</strong><br />
behördlichen deutschen Amtshilfemaßnahmen nicht verkürzt werden, müssen demnach<br />
Modifikationen des § 44a VwGO <strong>über</strong>dacht werden. Dar<strong>über</strong> hinaus besteht Konkretisierungsbedarf<br />
innerhalb der Richtlinie selbst.<br />
4.1.3 Einheitlicher Ansprechpartner – OSS<br />
Eine Kodifikation innerhalb des deutschen Rechts machen auch die Artikel 6 und 7 DLRL-<br />
E notwendig. Diese schreiben die Schaffung eines einheitlichen Ansprechpartners für ausländische<br />
Dienstleistungsanbieter vor. Ansätze in eine ähnliche Richtung, ebenfalls zu<br />
einem einheitlichen Auftreten der Exekutive gegen<strong>über</strong> dem Bürger, finden sich bereits in<br />
der deutschen Umsetzung der Aarhauskonvention (48, S. 273 ff.), sind aber <strong>über</strong> Ansätze<br />
im Informationsfreiheitsgesetz (vgl. BT-Drs. 15/4493 und BR-Drs. 450/05) nicht hinausgekommen<br />
(zum Themenkreis weiterführend 49, S. 380 ff.) und stellen keine umfassende,<br />
der geplanten Richtlinie vergleichbare Regelung dar. Deren Vorgabe betreffend den<br />
einheitlichen Ansprechpartner richtet sich im Vergleich zu den obigen Anordnungen des<br />
DLRL-E erstmals an Dienstleistungsanbieter, die sich der Niederlassungsfreiheit bedienen<br />
und im Bestimmungsstaat eine Niederlassung gründen. Nur in diesem Fall unterstehen<br />
sie dem Rechtsregime des Bestimmungsstaates und müssen sich mit seinen Behörden<br />
auseinander setzen. Der ihnen dann zur Seite gestellte, oben schon kurz erwähnte „behördliche<br />
Lotse“ soll den grenz<strong>über</strong>schreitend tätigen, oft kleinen und mittleren Unter-
EU-Dienstleistungsrichtlinie – Rechtsfolgenabschätzung<br />
229<br />
nehmen die Zusammenarbeit mit den ausländischen Behörden erleichtern. Dem Wortlaut<br />
nach schwebt den Verfassern des Entwurfes eine umfassende Tätigkeit der einheitlichen<br />
Ansprechpartner vor, spricht doch der Artikel 6 DLRL-E von Kommunikationen mit Behörden<br />
betreffend die „Aufnahme“, „Ausübung“ und „Genehmigung“ einer Tätigkeit. Aus<br />
dem DLRL-E ist allerdings nicht eindeutig erkennbar, ob der europäische Gesetzgeber hier<br />
eine Konzentration allein im Hinblick auf die Außenkommunikation anstrebt oder ob ihm<br />
auch eine konzentrierte Sachentscheidungsbefugnis vorschwebt – auch der maßgebliche<br />
Erwägungsgrund 25 läßt dies expressis verbis offen. Letzteres würde weitreichende Behördenumstrukturierungen<br />
nach sich ziehen, ersteres würde allein eine zusätzliche Stelle<br />
schaffen, die anderenorts getroffenen behördlichen Entscheidungen kommuniziert.<br />
Eine umfassende Behördenumstrukturierung würde das tradierte deutsche Fachbehördenprinzip<br />
in weiten Teilen auflösen. Es könnte zu einem Verlust des hohen Standards<br />
an Sachverstand und Qualität kommen, wenn die institutionelle Verselbständigung konfligierender<br />
Interessen zu Lasten einer einheitlichen Entscheidungsinstanz aufgehoben<br />
würde. Weil nach den Ergebnissen der diesem Aufsatz zugrunde liegenden Untersuchung<br />
eine Einrichtung von Kommunikationszentren keine Reibungsverluste nach sich ziehen,<br />
dar<strong>über</strong> hinaus das auch aus Sicht des Antragenden wünschenswerte behördliche Fachwissen<br />
bereichspezifisch weiterentwickelt würde, spricht die Mehrzahl der Argumente<br />
für die Schaffung einer konzentrierten Außenkommunikation gegen<strong>über</strong> den antragenden<br />
Dienstleistern (ebenso 22, S. 100 f.). Schon auf diesem Wege würde eine europäische Einheitlichkeit<br />
gegen<strong>über</strong> den Antragenden erreicht, die nun in jedem Staat einen gleichfalls<br />
auf ihre Bedürfnisse ausgerichteten Ansprechpartner vorfänden. Ebenso wie die Amtshilfe<br />
weist deshalb die Einrichtung eines einheitlichen Ansprechpartners weit <strong>über</strong> die bloße<br />
verwaltungstechnische Umsetzung hinaus: Sie ebnet den Weg zu einem ergebnis- und nutzerorientierten<br />
Zuständigkeitsdenken, eine neue „Ordnungsidee“ des Verwaltungsrechts<br />
im Bereich des Dienstleistungsrechts (Formulierung angelehnt an E. Schmidt-Aßmann,<br />
41, passim).<br />
Zumindest auf den ersten Blick scheint eine solche Außenkommunikation durch das<br />
Institut des Sternverfahrens, § 71d BVwVfG, zu verwirklichen, weil dort ebenfalls sachlich<br />
zuständige Behörden vermittels einer Koordinierungsbehörde beteiligt werden. Allerdings<br />
könnten sich in diesem Zusammenhang Probleme hinsichtlich des im Vergleich zum<br />
DLRL-E unterschiedlichen Anwendungsbereiches des Sternverfahrens ergeben.<br />
4.1.4 Weitere Hinweise<br />
Neben den umfangreichen Neuordnungen im Rahmen der Amtshilfe, des Rechtsschutzes<br />
und der behördlichen Außenkommunikation seien an dieser Stelle noch einige Bereiche<br />
genannt, die ebenfalls bereichsspezifische Neuordnungen erfahren, die aber insgesamt als<br />
nicht so gewichtig und folgenreich wie die oben genannten einzustufen sind. Dazu gehört<br />
die richtlinienrechtliche Vorgabe einer umfassenden elektronischen Verfahrensabwicklung<br />
(Artikel 8 DLRL-E), die das bestehende BVwVfG noch nicht kennt und für die keine<br />
Umsetzungsmechanismen vorhanden sind. Diese Entwicklung wird begleitet von der Vorgabe<br />
einer direkten Kommunikation zwischen Behörde und Antragssteller; letzterem darf<br />
nach den Artikeln 13 II und 14 Nr. 1 DLRL-E nicht mehr vorgegeben werden, dass er einen<br />
Empfangsbevollmächtigten im Bestimmungsstaat angeben müsste. Schließlich muss<br />
das behördliche Verfahren, <strong>über</strong> die diesbezüglichen Straffungsanordnungen der VwVfG<br />
hinaus, schnellstmöglich beginnen und ebenso abgewickelt werden (Artikel 13 III und II<br />
DLRL), Behörden müssen notwendige Informationen dauerhaft leicht zugänglich bereithalten<br />
(Artikel 7 I, II und IV DLRL-E) und den Antragstellern Akteneinsicht gewähren<br />
(Artikel 13 II DLRL-E).
230 T. Pfeiffer, B. Hess, B. Schinkels, M. Weller, D. Blechinger, S. Ganninger und B. Gündling<br />
4.1.5 Zusammenfassung<br />
Insgesamt kommt es damit zu erheblichen und weitreichenden Veränderungen der deutschen<br />
behördlichen Praxis, soweit sie die Genehmigung oder Kontrolle von Dienstleistungen<br />
im Sinne des Entwurfes betrifft. Notwendige normative Veränderungen werden<br />
am Ende des damit angestoßenen Prozesses stehen, geänderte richtlinienkonforme Auslegungen<br />
werden seinen Beginn markieren. Unabhängig von der Art der Umsetzung kann<br />
aber wohl von einer insgesamt anstehenden Neuausrichtung gesprochen werden, die vielleicht<br />
auch die Dogmatik, jedenfalls aber den Telos des gesamten Verwaltungsverfahrens<br />
zu ändern im Begriff ist.<br />
4.2 Besonderes Verwaltungsrecht: Auswirkungen auf ausgewählte<br />
Fachgesetze im Zuständigkeitsbereich des BMVEL<br />
4.2.1 Spezieller Untersuchungsauftrag<br />
Ein Kernanliegen der hier zusammengefassten Studie war die Klärung der Frage, welche<br />
Umsetzungspflichten und welchen Änderungsbedarf der DLRL-E für die inhaltliche Ausgestaltung<br />
und praktische Anwendung konkreter Fachgesetze im Zuständigkeitsbereich<br />
des BMVEL schafft und welche praktischen Probleme und Folgen sich hierbei für die<br />
betroffenen Regelungsbereiche ergeben. Denn die Mitgliedstaaten haben ihre Rechtsordnungen<br />
auf unnötige Genehmigungserfordernisse (Art. 9 ff. DLRL-E), unzulässige<br />
inhaltliche Anforderungen (Art. 14 DLRL-E) sowie auf unerwünschte, aber möglicherweise<br />
gerechtfertigte Anforderungen an Dienstleister (Art. 15 DLRL-E) zu prüfen und der<br />
Kommission zu berichten (Art. 9 II, 15 IV i. V. m. 41 I DLRL-E).<br />
Die Untersuchung der einzelnen Fachgesetze musste dabei der primärrechtlich angelegten<br />
und deswegen in der Systematik des Entwurfes wiederkehrenden Unterscheidung<br />
zwischen in Deutschland niedergelassenen Dienstleistern und solchen ohne Niederlassung<br />
folgen. Für grenz<strong>über</strong>schreitend anbietende Dienstleister mit Niederlassung im Zielstaat<br />
enthält Kapitel II DLRL-E Vorgaben zur Vereinfachung der Verwaltungsverfahren im Zusammenhang<br />
mit der Erbringung ihrer Dienstleistungen. Im Übrigen unterliegen diese<br />
Dienstleister grundsätzlich dem mitgliedstaatlichen Recht des Niederlassungsstaates.<br />
Grenz<strong>über</strong>schreitend anbietenden Dienstleistern ohne Niederlassung im Zielstaat<br />
kommt der Kernpunkt in Kapitel III DLRL-E zugute: das Herkunftslandprinzip. Danach<br />
soll ein Dienstleister grundsätzlich allein der Regulierung des Herkunftslands unterliegen,<br />
um ohne aus der Grenz<strong>über</strong>schreitung resultierende Hemmnisse im Zielstaat anbieten zu<br />
können.<br />
Bei der Folgenabschätzung der künftigen Richtlinie bereitet vor allem die inhaltliche<br />
Dichte und Komplexität des DLRL-E sowie dessen im Ausgangspunkt weit gefasster, aber<br />
in der Grenzziehung häufig unklarer Anwendungsbereich Schwierigkeiten (dazu bereits<br />
oben unter 2.1).<br />
So fallen in den Zuständigkeitsbereich des BMVEL zahlreiche Rechtsakte, welche<br />
komplexe Fragen aufwerfen. Repräsentatives Beispiel ist das Tierschutzrecht: Trotz neuerlicher<br />
Bemühungen der Kommission ist die Gewichtung des Tierschutzes, anders als<br />
in Deutschland (vgl. Art. 20a GG), auf der europäischen Ebene fraglich. Die Standards<br />
in anderen Mitgliedstaaten bleiben hinter denen des deutschen Rechts zurück. Das Herkunftslandprinzip<br />
wirft daher die Frage auf: Wird die Binnenmarktverwirklichung auf<br />
Kosten der in Deutschland errungenen Tierschutz-, aber auch Sozial-, Umwelt- und<br />
Gesundheitsschutzstandards vorangetrieben oder beinhaltet der Entwurf ein gegen<strong>über</strong><br />
mitgliedstaatlichen Allgemeininteressen verhältnismäßig erscheinendes sowie auch und
EU-Dienstleistungsrichtlinie – Rechtsfolgenabschätzung<br />
gerade unter Beachtung der Ausnahmen ausgewogenes Regelungskonzept? (dazu 29, S.<br />
29 ff. und 36, S. 201 f.).<br />
4.2.2 Methodische Untersuchungsschritte<br />
231<br />
Die Bewertung der Qualität des DLRL-E als normatives Steuerungsinstrument hängt entscheidend<br />
davon ab, wie sich die Vorgaben auf der konkreten Ebene der Rechtsanwendung<br />
und Umsetzung in nationales Recht darstellen. Die Komplexität des Untersuchungsgegenstandes<br />
sowie der begrenzte Zeitrahmen verlangten nach einer methodisch geleiteten,<br />
schrittweisen Analyse:<br />
●<br />
●<br />
Bestimmung von Referenzbereichen im Zuständigkeitsbereich des BMVEL<br />
Für eine exemplarisch vertiefende Untersuchung waren zunächst repräsentative Referenzbereiche<br />
zu bestimmen (zum methodischen Ansatz 42, S. 401). Denn methodisch<br />
ermöglicht die vergleichende Analyse der einzelnen Referenzbereiche eine im<br />
Kern verallgemeinerbare Bewertung insbesondere der zentralen Regelungstechniken<br />
des DLRL-E wie etwa der Vereinfachung von Verwaltungsverfahren, der tatsächlichen<br />
Reichweite des Herkunftslandprinzips oder des Gesetzesvollzugs im Wege der wechselseitigen<br />
Amtshilfe zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten.<br />
So ließen sich typische Spannungslagen aufzeigen, welche so oder in modifizierter<br />
Form im Hinblick auf die Umsetzung der geplanten Richtlinie auch bei anderen<br />
Rechtsakten auftreten können. Hier kann künftig auf die im Rahmen der Referenzbereiche<br />
in grundsätzlicher und eingehender Weise entwickelten Lösungen zurückgegriffen<br />
werden. Repräsentative Aussagen waren etwa zu treffen für die Frage, wann der<br />
Anwendungsbereich nach dem DLRL-E <strong>über</strong>haupt eröffnet ist (z. B. in Abgrenzung<br />
zu Sachverhalten, welche die nicht erfasste Warenverkehrsfreiheit betreffen), welche<br />
Bestimmungen des Entwurfes erfahrungsgemäß die meisten Probleme bereiten oder<br />
welchen Ausnahmebestimmungen im Zuständigkeitsbereich des BMVEL die größte<br />
Bedeutung zukommt und wie diese auszulegen sind.<br />
Kurzkommentierung zum DLRL-E und Transformation wesentlicher Umsetzungspflichten<br />
in abstrakte, an das mitgliedstaatliche Recht heranzutragende „Suchfragen“<br />
Auf einer zweiten Stufe war das dichte, nur schwer aufzulösende Geflecht von Normbefehlen<br />
des DLRL-E für die Zwecke der Studie vorzustrukturieren. Dem ersten Zugriff<br />
auf den Regelungsgehalt des DLRL-E dient die so entstandene Kurzkommentierung<br />
ausgewählter Vorschriften. 4)<br />
Die identifizierten Bestimmungen wurden sodann in abstrakte „Suchfragen“ transformiert.<br />
Diese Bündelung der Normenbefehle steuert und vereinfacht die Durchsicht von<br />
Rechtsvorschriften im Zuständigkeitsbereich des BMVEL. Denn die wesentlichen<br />
Inhalte der Richtlinienbestimmungen in Frageform vor Augen zu haben, verschafft<br />
Klarheit dar<strong>über</strong>, wonach das BMVEL zu suchen hat, wenn es nationale Vorschriften<br />
auf Anpassungsbedarf <strong>über</strong>prüft.<br />
Die wesentlichen Regelungsinhalte sowie die sich daraus ableitenden Suchfragen sind<br />
im nachfolgenden tabellarischen Untersuchungsraster zusammengefasst:
232 T. Pfeiffer, B. Hess, B. Schinkels, M. Weller, D. Blechinger, S. Ganninger und B. Gündling<br />
Artikel Suchfragen<br />
1, 2 i. V. m. 4<br />
Allgemeine<br />
Bestimmungen<br />
5<br />
Vereinfachung der<br />
Verfahren<br />
6, 7 i. V. m. 35<br />
Einheitlicher Ansprechpartner<br />
und<br />
Amtshilfe<br />
8<br />
Elektronische Verfahrensabwicklung<br />
9<br />
Genehmigungsregelungen<br />
10<br />
Voraussetzungen<br />
für die Erteilung<br />
von Genehmigungen<br />
11<br />
Geltungsdauer der<br />
Genehmigung<br />
14<br />
Unzulässige<br />
Anforderungen<br />
► Handelt es sich um eine Dienstleistung i. S.d. Art. 2 I, 4 Nr. 1<br />
DLRL-E?; insbesondere: Bedarf es einer Abgrenzung zur<br />
nicht durch die RL erfassten Warenverkehrsfreiheit?<br />
► Ist im Einzelfall das Vorliegen einer Niederlassung i. S.d.<br />
Art. 4 Nr. 5 DLRL-E fraglich?<br />
► Greift eine der Ausnahmen vom Anwendungsbereich in Art. 2<br />
II DLRL-E?<br />
► Finden sich in den zu untersuchenden Rechtsakten im Zusammenhang<br />
mit der Erbringung von Dienstleistungen Vorschriften<br />
zur Anerkennung von in einem anderen Mitgliedstaat<br />
ausgestellten Urkunden?<br />
► Sind diese nach Art. 5 I und II DLRL-E zu vereinfachen?<br />
Oder greifen die Ausnahmen in Art. 5 II 2 und III DLRL-E?<br />
► Finden sich Vorschriften betreffend die ggf. zu schaffenden<br />
Einheitlichen Ansprechpartner (Art. 6 und 7 DLRL-E) oder<br />
betreffend die künftig (u. a.) <strong>über</strong> diese abzuwickelnde Amtshilfe<br />
(Art. 35 DLRL-E)?<br />
► Finden sich Vorschriften, welche nach Art. 8 DLRL-E um<br />
Regelungen zur elektronischen Verfahrensabwicklung bei<br />
der zuständigen Stelle und ggf. um Hinweise auf die elektronischen<br />
Informationsrechte und die (elektronische) Abwicklung<br />
bei den OSS zu erweitern?<br />
► Finden sich Regelungen, welche die Aufnahme oder Ausübung<br />
einer Dienstleistungstätigkeit einem Zulassungserfordernis<br />
unterwerfen?<br />
► Genügen diese den Anforderungen des Art. 9 I DLRL-E<br />
(nicht diskriminierend, durch zwingende Erfordernisse des<br />
Allgemeininteresses gerechtfertigt, verhältnismäßig)?<br />
► Wo finden sich in Fachgesetzen Kriterien für die Ermessensausübung<br />
bei der Erteilung von Genehmigungen, welche nach<br />
den rechtsstaatlichen Kriterien des Art. 10 I und II DLRL-E<br />
oder nach Art. 10 III DLRL-E (unzulässige Doppeltkontrollen)<br />
verboten sind?<br />
► Finden sich befristete Genehmigungen i. S.d. Art. 11 DLRL-E?<br />
► Wenn ja, sind diese ausnahmsweise zulässig sind, weil:<br />
a) die Genehmigung automatisch verlängert wird,<br />
b) die Zahl der erteilbaren Genehmigungen begrenzt ist, oder<br />
c) eine Befristung objektiv durch zwingende Erfordernisse des<br />
Allgemeininteresses gerechtfertigt ist?<br />
► Finden sich in den zu untersuchenden Rechtsakten im<br />
Zusammenhang mit der Erbringung von Dienstleistungen<br />
Vorschriften, welche an die Ausübung oder Aufnahme einer<br />
Dienstleistung „unzulässige“ Anforderungen stellen, wie sie in<br />
Art. 14 DLRL-E genannt sind?
15<br />
Zu prüfende<br />
Anforderungen<br />
16<br />
Herkunftslandprinzip<br />
(HLP)<br />
17<br />
Allgemeine Ausnahmen<br />
vom HLP<br />
●<br />
●<br />
EU-Dienstleistungsrichtlinie – Rechtsfolgenabschätzung<br />
233<br />
► Finden sich in den zu untersuchenden Rechtsakten im<br />
Zusammenhang mit der Erbringung von Dienstleistungen<br />
Vorschriften, welche an die Ausübung oder Aufnahme einer<br />
Dienstleistungstätigkeit zu prüfende Anforderungen stellen,<br />
wie sie in Art. 15 II DLRL-E genannt sind? Entsprechen diese<br />
den Anforderungen in Art. 15 III DLRL-E (nichtdiskriminierend,<br />
notwendig, verhältnismäßig)?<br />
► Wo droht durch das Herkunftslandprinzips nach Art. 16 I<br />
DLRL-E erkennbar eine Herabsetzung der deutschen Standards,<br />
weil konkrete nationale Normen nicht mehr anwendbar<br />
sind?<br />
► Finden sich Fälle des Katalogs in Art. 16 III DLRL-E, welcher<br />
(deklaratorische) Hinweise gibt, in welchen Regelungsbereichen<br />
die Anwendung des Herkunftslandsprinzips geboten ist?<br />
► Sind nach der Nr. 8 (Vorrang der Berufsanerkennungsrichtlinie)<br />
und/oder der Nr. 16 (Schutz der öffentlichen Sicherheit,<br />
Ordnung oder Gesundheit) sowie nach der Nr. 17 (besonderes<br />
Risiko der Dienstleistung für den konkreten Bestimmungsort)<br />
Ausnahmen vom Herkunftslandprinzip möglich?<br />
Strukturierung der Referenzbereiche nach der Systematik des Vorschlages<br />
Auf einer dritten Stufe war ein Rahmen für die konkrete Untersuchung der Referenzbereiche<br />
festzulegen. Ausgehend von der zuvor erarbeiteten Systematik des DLRL-E<br />
(oben unter 2.4) und unter Berücksichtigung der vorstehenden Erörterungen zum Allgemeinen<br />
Verwaltungsrecht (oben 4.1) wurde folgender Rahmen als untersuchungsleitende<br />
Gliederungsstruktur festgelegt:<br />
a. Welche der in den Rechtsakten der Referenzbereiche geregelten Tätigkeiten erfasst<br />
der Dienstleistungsbegriff der DLRL?<br />
b. Handelt es sich bei der erfassten Tätigkeit um die Ausübung der Niederlassungs-<br />
oder Dienstleistungsfreiheit, also um Tätigkeiten, die Kapitel II oder Kapitel III<br />
DLRL-E unterfallen?<br />
c. Inwieweit ergeben sich nach den formulierten Suchfragen Umsetzungspflichten<br />
für die konkret untersuchten Rechtsakte im jeweiligen Referenzbereich?<br />
d. Finden sich Regelungen von Relevanz für das Allgemeinen Verwaltungsrecht,<br />
insbesondere zur von Art. 6 und auch 7 DLRL-E geforderten Einrichtung sog.<br />
„Einheitlicher Ansprechpartner“ oder zur Amtshilfe nach Art. 35 DLRL?<br />
Konkrete Untersuchung der einzelnen Referenzbereiche<br />
Auf der Basis der vorgenannten Stufen wurde schließlich eine ausführliche Untersuchung<br />
der in Abstimmung mit dem BMVEL festgelegten, praktisch besonders relevanten<br />
Referenzbereiche Tierschutzrecht, Pflanzenschutzrecht, Lebensmittelrecht und<br />
des Rechts zum Schutz vor Infektionskrankheiten durchgeführt.<br />
4.2.3 Wesentliche Erkenntnisse aus den Referenzbereichen<br />
4.2.3.1 Referenzbeispiel 1: Tierschutzrecht<br />
Sachlich mitumfasst vom Regelungsabschnitt <strong>über</strong> die „Tierhaltung“ (vgl. § 2 TSchG) im<br />
zweiten Abschnitt des Tierschutzgesetzes (TSchG) ist auch der Bereich der Tiertransporte<br />
(vgl. § 2a TSchG und die korrespondierende Tierschutztransportverordnung; dazu 21, § 2a,<br />
Rn. 6). Diesbezüglich ist die Ausnahme in Art. 2 II lit. c) DLRL-E für „Dienstleistungen
234 T. Pfeiffer, B. Hess, B. Schinkels, M. Weller, D. Blechinger, S. Ganninger und B. Gündling<br />
auf dem Gebiet des Verkehrs“ zu beachten. Unter systematischer Beachtung des Art. 51 I<br />
EG-Vertrag handelt es sich bei europäisch autonomer Auslegung im Falle der Tiertransporte<br />
um „Dienstleistungen auf dem Gebiet des Verkehrs“, die nach Art. 2 II lit. c DLRL-E<br />
vom Anwendungsbereich ausgenommen sind. In Erwägungsgrund 12 Satz 1 nimmt der<br />
Richtliniengeber u. a. Bezug auf Art. 71 EG-Vertrag. In den angesprochenen Art. 70 bis<br />
80 EG-Vertrag finden sich Sondervorschriften, die den für die Verwirklichung des Binnenmarktes<br />
besonders bedeutsamen Bereich der europäischen Verkehrspolitik selbständig<br />
regeln (siehe 15, Art. 70 EG-Vertrag, Rn. 1 f.). Das Verhältnis dieser Sonderregelungen zu<br />
den Bestimmungen der Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 bis 55 EG-Vertrag) ist in Art. 51 I<br />
EG-Vertrag ausdrücklich festgelegt. Danach gelten für den freien Dienstleistungsverkehr<br />
auf dem Gebiet des Verkehrs die Bestimmungen des Titels <strong>über</strong> den Verkehr, also die<br />
Art. 70 bis 80 EG-Vertrag. Offensichtlich wird in Art. 2 II lit. c) DLRL-E dieses Konkurrenzverhältnis<br />
aufgegriffen. Systematisch spricht dafür auch die Ausnahme in Art. 2 II lit.<br />
a) DLRL-E. Dort werden u. a. die Bereiche der Bankdienstleistungen und der Versicherung<br />
ausgenommen. Eine Parallelregelung findet sich mit Art. 51 II EG-Vertrag.<br />
Maßgeblich für die Reichweite der Ausnahme ist der sachliche Geltungsbereich der<br />
Art. 70 ff. EG-Vertrag, auf welche Art. 51 I EG-Vertrag verweist. Nach Art. 80 EG-Vertrag<br />
ist davon der gesamte Sektor der Beförderungen im Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschifffahrtsverkehr<br />
umfasst. Die Art 70 ff. EG-Vertrag regeln <strong>über</strong>greifend sowohl den<br />
Personen- als auch den Warenverkehr (18, Bd. I, Art. 70 EG-Vertrag, Rn. 2). Auch in Erwägungsgrund<br />
12 finden sich sowohl Beispiele für den Personenverkehr (z. B. Nahverkehr,<br />
Taxis und Krankenwagen), als auch für den Warenverkehr (genannt ist insbesondere die<br />
Geldbeförderung). Formal stellt der EG-Vertrag Waren und Tiere gleich (siehe 14, Bd. I,<br />
Rn. 697) In der Sprache des EG-Vertrages sind „Tiertransporte“ also „Warentransporte“,<br />
die mithin insgesamt von der Richtlinie ausgenommen sein sollen.<br />
Angesichts der anhaltenden Brisanz des Themas „Tiertransporte“, sollte erwogen werden,<br />
im Richtlinientext klarzustellen, dass die Ausnahme für den Bereich des Verkehrs<br />
auch für Tiertransporte gilt. Denkbare Probleme oder unnötige rechtspolitische Diskussionen,<br />
insbesondere bez. der Anwendung des Herkunftslandprinzips auf das Tiertransportrecht,<br />
ließen sich somit vermeiden.<br />
Im TSchG findet sich eine Reihe von Regelungen, welche die Ausübung von Dienstleistungen<br />
für niedergelassene Dienstleister an ein Genehmigungserfordernis knüpfen. Insofern<br />
war ein Konflikt mit den Vorgaben im zweiten Kapitel des DLRL-E, insbesondere<br />
mit Art. 9 DLRL-E, näher zu prüfen. Beispielhaft sei auf § 4a I Nr. 1 TSchG verwiesen,<br />
welcher es verbietet, warmblütige Tiere ohne Betäubung zu schlachten, sofern nicht nach<br />
§ 4a II Nr. 2 TSchG eine „Ausnahmegenehmigung“ erteilt worden ist. Ob derartige Genehmigungserfordernisse<br />
den Anforderungen des Art. 9 I DLRL-E entsprechen, erscheint<br />
sehr fraglich.<br />
Insbesondere müsste die Regelung durch ein „zwingendes Erfordernis des Allgemeininteresses<br />
objektiv gerechtfertigt sein (Art. 9 I lit. b) DLRL-E). Der Begriff des zwingenden<br />
Allgemeininteresses wird noch an vielen weiteren Stellen verwendet (vgl. die Ausnahmebestimmungen<br />
etwa in Art. 5 II 2, 10 II lit. b) und IV, 11 I lit. c) und 15 III lit. b) DLRL-<br />
E). Es handelt sich mithin aus Sicht des Tierschutzes um eine Grundsatzfrage, welche<br />
vorliegend anhand des zentralen Tatbestrandes des Art. 9 I lit. b) DLRL-E exemplifiziert<br />
wird. Wie sich Erwägungsgrund 27b entnehmen lässt, knüpft der Richtliniengeber hier an<br />
die durch den EuGH entwickelten Grundsätze zu den immanenten Schranken der Grundfreiheiten,<br />
nach der Systematik des Entwurfes im Rahmen des zweiten Kapitels also der<br />
Niederlassungsfreiheit, an (zur Systematik oben unter 2.4). Entscheidend ist daher, ob die<br />
„Ausnahmegenehmigung“ nach § 4a II Nr. 2 TSchG <strong>über</strong>haupt der Verwirklichung eines<br />
zwingenden Allgemeininteresses im Sinne der geplanten Richtlinie dient. Ziel der Rege-
EU-Dienstleistungsrichtlinie – Rechtsfolgenabschätzung<br />
235<br />
lung im TSchG ist allgemein der Schutz von Wohlbefinden und Leben der betroffenen<br />
Tiere (§ 1 TSchG).<br />
Ob dieses Tierschutzanliegen aus Sicht des Europarechts im Rahmen der Gundfreiheiten<br />
als legitimer Zweck anzuerkennen ist, wurde bisher vorwiegend im Rahmen der<br />
Warenverkehrsfreiheit erörtert (vgl. 8, S. 47 ff.), wo Art. 30 EG-Vertrag ausdrücklich die<br />
Möglichkeit von Ausnahmen nicht-wirtschaftlicher Art „[…] zum Schutze der Gesundheit<br />
und des Lebens von […] Tieren“ eröffnet. Im Rahmen der Niederlassungsfreiheit lässt<br />
Art. 46 EG-Vertrag Einschränkungen lediglich „...aus Gründen der öffentlichen Ordnung,<br />
Sicherheit oder Gesundheit…“ zu. Der Tierschutz ist dort nicht genannt.<br />
Eine europäisch-autonome Auslegung dieser unbestimmten Rechtsbegriffe unter sorgfältiger<br />
Berücksichtigung<br />
● des deutschen Verfassungsrechts im Verhältnis zum europäischen Primärrecht (zu klären<br />
war insbesondere die Bedeutung des deutschen Art. 20a GG, näher 9, passim und<br />
16, S. 26 ff.),<br />
● der Unterscheidung zwischen primärrechtlich fundiertem ökologischem und europarechtlich<br />
bisher kaum ausgeprägtem pathozentrischem Tierschutz (eingehend 7, S. 109<br />
ff.),<br />
● der einen weitergehenden Schutz nicht vorsehenden geplanten Regelung in Art. III-121<br />
des Verfassungsvertrags (abgedruckt in ABl.EG Nr. C 310 vom 16.12.2004, S. 0055<br />
f.),<br />
● der äußerst kompromisshaften Verordnung <strong>über</strong> den Schutz von Tieren beim Transport<br />
(vgl. 34) sowie<br />
●<br />
des den Tierschutz letztlich außerhalb des EG-Vertrag stellenden „Protokolls <strong>über</strong> den<br />
Tierschutz und das Wohlergehen der Tiere“ (abgedruckt in ABl.EG Nr. C 340 vom<br />
10.11.1997, S. 0110; zu dessen Bedeutung für den Tierschutz auf gemeinschaftlicher<br />
Ebene umfassend 8, S. 74 ff.)<br />
ergab, dass der Tierschutz gegenwärtig aus Sicht des Europarechts einen so schwachen<br />
Stand hat, dass er eine Genehmigungspflicht wie die des § 4 TSchG nicht zu rechtfertigen<br />
vermag.<br />
Das für in Ausübung ihrer Dienstleistungsfreiheit kurzfristig im Nachbar-Mitgliedstaat<br />
tätige Dienstleister geltende Herkunftslandprinzip würde sich grundsätzlich sachgegenständlich<br />
auch auf Normen des Tierschutzrechts erstrecken.<br />
Denn jedenfalls wird man in den Regelungen zum Tierschutz nationale Bestimmungen<br />
betreffend das „Verhalten des Dienstleistungserbringers, und der „Qualität oder den Inhalt<br />
der Dienstleistung“ i. S.d. Art. 16 I UAbs. 2 DLRL-E sehen müssen.<br />
Ein Absinken der Tierschutzstandards wäre aber dennoch nicht zu befürchten, wenn<br />
zu Gunsten des Tierschutzes Ausnahmetatbestände einschlägig wären. Im Katalog allgemeiner<br />
Ausnahmen vom Herkunftslandprinzip in Art. 17 DLRL-E ist der Tierschutz<br />
nicht ausdrücklich aufgeführt. Möglicherweise lässt er sich aber unter einen der generalklauselartigen<br />
Ausnahmetatbestände in Art. 17 Nrn. 16 und 17 DLRL-E zu Gunsten<br />
der „öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ fassen. Wie bereits im Falle der europäischautonomen<br />
Auslegung des Begriffs der „zwingenden Erfordernisse des Allgemeininteresses“<br />
i. S.d. Art. 9 I lit. b) DLRL-E bieten die Grundfreiheiten bei der Konkretisierung des<br />
Bedeutungsgehaltes des Art. 17 Nrn. 16 und 17 DLRL-E in systematischer Sicht einen<br />
Orientierungsrahmen, im Rahmen des dritten Kapitels konkret die Art. 49 bis 55 EG-<br />
Vertrag. Art. 55 verweist auf Art. 46 EG-Vertrag. Da der Tierschutz dort nicht genannt ist,<br />
können auch Ausnahmen vom Herkunftslandprinzip nicht durch den Tierschutzgedanken<br />
gerechtfertigt werden. Diese enge Auslegung wird auch durch die Erwägungsgründe zu<br />
Art. 17 DLRL-E gestützt. Vom Herkunftslandprinzip abweichende – d. h. nach dem Recht<br />
des Bestimmungslandes zu beurteilende – Maßnahmen sollen nach Erwägungsgrund 40,<br />
Satz 4 nur „unter strengen materiellen und verfahrensrechtlichen Voraussetzungen“ zu-
236 T. Pfeiffer, B. Hess, B. Schinkels, M. Weller, D. Blechinger, S. Ganninger und B. Gündling<br />
lässig sein. „Um den kmU die Rechtssicherheit zu garantieren, die notwendig ist, um sie<br />
darin zu bestärken, ihre Dienste auch in anderen Mitgliedstaaten anzubieten, sollten diese<br />
Ausnahmen auf das absolut Notwendige beschränkt sein.“<br />
Auch Art. 17 DLRL-E sollte daher um eine Ausnahme zugunsten des Tierschutzes erweitert<br />
werden.<br />
4.2.3.2 Referenzbeispiel 2: Pflanzenschutzrecht<br />
Das Referenzbeispiel des Pflanzenschutzrechts zeigt deutlich, dass die Abgrenzung des<br />
DLRL-E zur Warenverkehrsfreiheit problematisch ist. So fallen große Teile des Pflanzenschutzrechts,<br />
konkret solche, die an die Ware anknüpfend das sog. „Inverkehrbringen“<br />
regeln, bereits nicht in den Anwendungsbereich des DLRL-E. Erfasst sind nur solche<br />
Regelungen des Pflanzenschutzgesetzes (PflSchG), welche die „Anwendung“ von Pflanzenschutzmitteln<br />
betreffen. Es droht also eine erhebliche Zersplitterung der Regelungsbereiche.<br />
Insoweit sollte geklärt werden, ob dies aus Sicht einer effektiven und klaren<br />
Regulierung des Binnenmarktes rechtspolitisch hinnehmbar ist.<br />
Über die in Art. 5 II 1 und 10 III DLRL-E vorgesehenen Anerkennungspflichten bez.<br />
Dokumenten des Herkunftslandes entfalten auch behördliche Bescheide zunehmend eine<br />
transnationale Wirkung. Möglicherweise besteht hier die Gefahr, dass durch die weitreichende<br />
Anerkennungspflicht Standards des Herkunftslandes auch jenseits des eigentlichen<br />
Geltungsbereichs des Herkunftslandprinzips die nationalen Standards verdrängen<br />
(„Herkunftslandprinzip durch die Hintertür“). Als problematisch ist dabei anzusehen,<br />
dass – anders als im direkten Geltungsbereichs des Herkunftslandprinzips durch Art. 17<br />
DLRL-E – keine „allgemeinen Ausnahmen“ von der Anerkennungspflicht vorgesehen<br />
sind. Ob faktisch eine Aushebelung der nationalen Standards droht, hängt wesentlich von<br />
der Auslegung des unbestimmten Tatbestandsmerkmals der sog. „Gleichwertigkeit“ der<br />
anzuerkennenden Dokumente ab. Hier sind Klarstellungen zum Bedeutungsgehalt, evtl.<br />
in den Erwägungsgründen, nötig.<br />
Dauerhaft in Deutschland tätige Dienstleister (Niederlassungsfreiheit) haben bei der<br />
Anwendung von Pflanzenschutzmitteln die Anzeigepflicht nach § 9 PflSchG zu beachten.<br />
Aus Sicht des Art. 9 DLRL-E ist dieses Zulassungserfordernis unproblematisch. Zum einen<br />
dient die Regelung den aus Sicht der Richtlinie unter Berücksichtigung der Rechtsprechung<br />
des EuGH als Allgemeinbelange anerkannten Zielen des Schutzes der menschlichen<br />
Gesundheit und der Umwelt. Zum anderen handelt es sich im Falle des Anzeigeverfahrens<br />
um die für den Dienstleister mildeste Art einer Kontrolle. Da Verschmutzungen des<br />
Grundwassers regelmäßig allenfalls mit exorbitantem Aufwand umkehrbar sind und gravierende<br />
Folgen für Mensch und Umwelt haben können, ist diese Mindestkontrolle aus<br />
Präventiverwägungen unerlässlich und daher gerechtfertigt.<br />
Ob und inwieweit es im Rahmen kurzfristiger Dienstleistungstätigkeit in Deutschland<br />
(Dienstleistungsfreiheit) bei der Anwendung deutscher Pflanzenschutz-Standards bleibt,<br />
hängt in großem Maße von der Auslegung der Ausnahmetatbestände ab. Im Anwendungsbereich<br />
des Herkunftslandprinzips gilt dies auch im Bereich des Pflanzenschutzrechts in<br />
besonderem Maße für die Ausnahmen zum Schutz von Allgemeingütern in Art. 17 Nrn.<br />
16 und 17 DLRL-E. Aus Sicht der Normenbestimmtheit scheint konkretisierungsbedürftig,<br />
wann i. S.d. Art. 17 Nr. 16 DLRL-E eine Ausnahme zum Schutz der genannten<br />
Güter „gerechtfertigt“ bzw. i. S.d. Art. 17 Nr. 17 DLRL-E „unerlässlich“ ist. Auch unter<br />
Berücksichtigung des Wortlautes, der Erwägungsgründe und der hinter den Normen stehenden<br />
Rechtsprechung des EuGH zu den Grundfreiheiten ist nicht klar ersichtlich, wie<br />
diese unbestimmten Rechtsbegriffe genau zu lesen sind. Insbesondere sollte im weiteren<br />
Verfahren daher geklärt und klargestellt werden, inwieweit sich die Prüfung hier an der<br />
Rechtsprechung des EuGH zu orientieren hat. Soweit dies der Fall ist, stellt sich eine<br />
entscheidende Folgefrage: Unter welchen Voraussetzungen kommt eine Ausnahme vom
EU-Dienstleistungsrichtlinie – Rechtsfolgenabschätzung<br />
237<br />
Herkunftslandprinzip in Betracht, wenn ein Sachbereich bereits durch europäisches Sekundärrecht<br />
harmonisiert wurde. Nach der Rspr. des EuGH ist grundsätzlich das Fehlen einer<br />
solchen Harmonisierung Grundvoraussetzung für die Rechtfertigung einer Einschränkung<br />
der einschlägigen Grundfreiheit (hier eben in Form der Beibehaltung der nationalen<br />
Regelung unter Verweis auf die Ausnahme vom HLP nach Art. 17 DLRL-E). Im Falle des<br />
Pflanzenschutzrechts stellt sich diese Frage, weil mit der Pflanzenschutzrichtlinie (vgl.<br />
33) bereits eine europaweit einheitliche Regelung vorhanden ist. Vorliegend wurde insoweit<br />
eine Auslegung gewählt, welche das Bedürfnis der Mitgliedstaaten nach einem<br />
effektiven Schutz der hochrangigen Allgemeininteressen betont. Da die Umsetzung in den<br />
Mitgliedstaaten unterschiedlich ausfallen kann und die Gefahr besteht, dass die Richtlinie<br />
mangels Umsetzung gar nicht zur Anwendung kommt, kommt nach Ansicht der Verfasser<br />
trotz Mindestharmonisierung durch die Richtlinie eine Rechtfertigung von Ausnahmen in<br />
Betracht. Klärungsbedürftig scheint auch, wie die Anforderung einer unmittelbaren Verknüpfung<br />
mit einem „besonderen Risiko“ für den Ort der Dienstleistungserbringung zu<br />
lesen ist. Muss es sich um ein Risiko für einen konkret in Bezug genommenen Ort handeln<br />
oder genügt eine typische/abstrakte Risikosituation?<br />
Inwieweit ein Bedürfnis nach einem Rückgriff auf die Ausnahmetatbestände zum<br />
Herkunftslandprinzip besteht, hängt im Ergebnis auch davon ab, ob eine effektive Kontrolle<br />
der grenz<strong>über</strong>schreitenden Dienstleistungen möglich ist. Nach Einschätzung der<br />
Verfasser ist ein Vollzugsdefizit zu befürchten, weil nicht hinreichend sichergestellt wird,<br />
dass die zuständigen Behörden im Herkunfts- oder Bestimmungsland <strong>über</strong>haupt von der<br />
grenz<strong>über</strong>schreitenden Tätigkeit (im hier untersuchten Beispiel beim Umgang mit Pflanzenschutzmitteln)<br />
Kenntnis erlangen. Im weiteren Verfahren sollte daher erörtert werden,<br />
wie eine kooperative Kontrolle in diesem Bereich nach Ansicht der Mitgliedstaaten ganz<br />
praktisch aussehen soll. Ggf. sind die Vorschriften des Richtlinienentwurfes zur kooperativen<br />
Kontrolle im Wege der Amtshilfe zu präzisieren. Soweit dies erfolgt, dürfte auch<br />
ein Bedürfnis nach Ausnahmen vom Herkunftslandprinzip nach Art. 17 und im Einzelfall<br />
nach Art. 19 DLRL-E sinken.<br />
4.2.3.3 Referenzbeispiel 3: Lebensmittelschutzrecht<br />
Ebenso wie im Bereich des Pflanzenschutzrechts hat sich gezeigt, dass – insbesondere<br />
was Regelungen bez. des sog. „Inverkehrbringens“ von Lebensmitteln betrifft – die Abgrenzung<br />
zur Warenverkehrsfreiheit die Gefahr einer oft zufälligen Zersplitterung der<br />
Regelungsbereiche erwarten lässt. Es ist also im weiteren Verfahren zu <strong>über</strong>legen, ob die<br />
sachliche Ausgrenzung der Warenverkehrsfreiheit aus dem Anwendungsbereich des Entwurfes<br />
sinnvoll ist. Möglicherweise droht hierdurch aus funktionaler Sicht eine erhebliche<br />
Entwertung der Richtlinie als rechtliches Steuerungsinstrument zur Verwirklichung des<br />
Binnenmarktes.<br />
Erneut hat sich die Auslegung der Ausnahmetatbestände – insbesondere des Art. 17<br />
DLRL-E – als Schlüsselfrage hinsichtlich der künftigen Beibehaltung nationaler Standards<br />
erwiesen. Gerade die Nrn. 16 und 17 des Art. 17 DLRL-E werfen dabei allerdings<br />
viele Unklarheiten auf, welche es im weiteren Verfahren noch zu klären gilt (vgl. auch die<br />
obigen Ausführungen zum Pflanzenschutzrecht). Im Falle des Lebensmittelrechts ist dabei<br />
die Besonderheit zu erwähnen, dass eine Harmonisierung in Form einer direkt geltenden<br />
Verordnung erfolgt ist (vgl. 35). Da insoweit aufgrund der grundsätzlich direkten Geltung<br />
keine Umsetzungsspielräume mehr bestehen, bleibt – anders als im Falle der Standardisierung<br />
durch eine Richtlinie – nach Ansicht der Verfasser unter Berücksichtigung der<br />
Grundsätze des EuGH zu ungeschriebenen Ausnahmen vom HLP kein Raum mehr für<br />
mitgliedstaatliche Sonderlösungen in Form von Ausnahmen vom HLP.
238 T. Pfeiffer, B. Hess, B. Schinkels, M. Weller, D. Blechinger, S. Ganninger und B. Gündling<br />
4.2.3.4 Referenzbeispiel 4: Schutz vor Infektionskrankheiten<br />
Hier stellt sich die Frage, wie im europäischen Ausland Bescheinigungen für niederlassungswillige<br />
Dienstleister erstellt werden können, die materiell den Anforderungen des<br />
achten Abschnittes des Gesetzes zum Schutz vor Infektionskrankheiten (IfSG) genügen<br />
und ebenso effektiv zum Schutz vor Infektionskrankheiten beitragen. In dieser Hinsicht<br />
könnte das BMVEL auch im Bereich des Artikels 8 DLRL-E noch auf Modifikationen am<br />
Richtlinientext drängen. Denn der Entwurfsfassung ist nicht hinreichend klar, wie eine<br />
elektronische Abwicklung genau aussehen soll, bei welcher ein hinreichend effektiver<br />
Gesundheitsschutz noch gewährleistet ist.<br />
Im Kern geht es um die Frage der Qualität und Sicherheit elektronischer Zulassungsverfahren/Nachweisführungen<br />
im Bereich hochrangiger Allgemeingüter. Es gilt die Verfahrensstandards<br />
so zu konkretisieren und ggf. mit Ausnahmetatbeständen zu versehen,<br />
dass die Allgemeingüter (hier konkret der Gesundheitsschutz) bereits durch das (internationale,<br />
eine elektronische Abwicklung vorschreibende) Verfahrensrecht hinreichend<br />
gewährleistet werden.<br />
4.2.3.5 Regelungen zu Amtshilfe und Einheitlichem Ansprechpartner<br />
Art. 35 DLRL-E enthält Vorgaben zur grenz<strong>über</strong>schreitenden Amtshilfe, die Art. 6 und 7<br />
DLRL-E zur Einführungen eines sog. Einheitlichen Ansprechpartners (dazu bereits oben<br />
unter 4.1.1 und 4.1.3). Insoweit war bei der Auswertung der speziellen Fachgesetze darauf<br />
zu achten, ob nicht bereits einschlägige Regelungen vorhanden sind.<br />
● Einheitlicher Ansprechpartner<br />
Mit den § 16g TSchG, § 38b PflSchG und § 72 LFGB finden sich Regelungen zur grenz<strong>über</strong>schreitenden<br />
Behördenkooperation. Danach ist für den Kontakt nach außen innerhalb<br />
des europäischen Verwaltungsverbundes zunächst das BMVEL zuständig. Jedoch<br />
sind jeweils Delegationsbefugnisse an nachgeordnete Behörden vorgesehen. Für die<br />
Umsetzung der geplanten Richtlinie ist zu empfehlen, eine ausführlichere Regelung<br />
zum Einheitlichen Ansprechpartner in einem allgemeinen Gesetz wie dem VwVfG zu<br />
verankern. Dabei kann das Muster einer Grundzuständigkeit des BMVEL mit Delegationsbefugnissen<br />
nach unten als Regelungsvorbild dienen.<br />
●<br />
Amtshilfe<br />
Die Amtshilfe betreffende Normen finden sich mit den § 16f TSchG, § 38a PflSchG und<br />
§ 38 IV, VI, VII LFGB. Dabei fällt auf, dass die Vorgaben zur Amtshilfe jeweils sehr<br />
unterschiedlich detailliert ausfallen. Sinnvoll erscheint die Entscheidung, für die Weitergabe<br />
von Datenmaterial an Behörden anderer Mitgliedstaaten die nach inländischem<br />
Recht zuständige Behörde auch im Außenverhältnis für zuständig zu erklären. Im Falle<br />
der Umsetzung der kommenden Richtlinie empfiehlt es sich, die genannten fachgesetzlichen<br />
Vorschriften vollständig zu streichen: zum einen aufgrund der Unterschiedlichkeit<br />
der vorgesehenen Kooperationsstrukturen, zum anderen, weil im Vergleich zu<br />
den detaillierten Vorgaben des Art. 35 DLRL-E immer nur Teile des einzuführenden<br />
Verfahrens bereits vorgesehen sind. Wie im Falle des Einheitlichen Ansprechpartners<br />
sollte die Regelung zur Amtshilfe einheitlich im VwVfG verankert und dort an die<br />
bestehenden Regelungen zur Amtshilfe angefügt werden.<br />
Zusammenfassung<br />
Mit dem untersuchten Richtlinienvorschlag zur Verwirklichung von Grundfreiheiten (Art. 43, 49<br />
EG-Vertrag) und zur Förderung der engeren Zusammengehörigkeit der Staaten und Völker Europas<br />
(Artikel 1 II EUV) hat der europäische Gesetzgeber einen völlig neuen Rechtsrahmen für Dienstleistungen<br />
innerhalb Europas entworfen. Er enthält wegweisende Weichenstellungen in der Behördenzusammenarbeit<br />
und in der Schaffung eines einheitlichen europäischen Verwaltungsverbundes. Die<br />
Auswirkungen dieser Vorgaben verbleiben nicht autonom im europäischen Rechtsraum, sie ziehen
EU-Dienstleistungsrichtlinie – Rechtsfolgenabschätzung<br />
239<br />
für das nationale Recht, in seinen allgemeinen Gesetzen (EGBGB, VwVfG) ebenso wie in den<br />
speziellen Fachgesetzen (z. B. TierschutzG oder PflSchG), weitreichende Konsequenzen nach sich.<br />
Besonders im Tierschutzrecht ist aufgrund fehlender Vorbehalte in den Ausnahmekatalogen zum<br />
Herkunftslandprinzip ein Absinken der Schutzstandards zu befürchten. Am Beispiel des Pflanzenschutzrechts<br />
hat sich gezeigt, dass auch im Bereich der Niederlassungsfreiheit durch die vorgesehenen<br />
Anerkennungspflichten transnational wirkender Behördenentscheidungen einer Art Herkunftslandprinzip<br />
durch die Hintertür droht. Besonders bedenklich erscheint in diesem Bereich, dass von<br />
den Anerkennungspflichten keine allgemeinen Ausnahmen vorgesehen sind.<br />
Die Primärrechtskonformität des umfassenden Herkunftslandprinzips begegnet im Hinblick auf<br />
Artikel 50 III EG-Vertrag a.E. keinen Bedenken. Letzterem widersprechen weder die verwaltungsverfahrensrechtlichen<br />
Anordnungen des DLRL-E in den Kapiteln zwei und fünf, die Modifikationen<br />
am mitgliedsstaatlich tradierten Verwaltungsverfahren (§§ 4 ff. VwVfG) nach sich ziehen werden,<br />
noch widersprechen ihm die Auswirkungen im Rahmen mitgliedsstaatlicher Spezialgesetze.<br />
Vergleichbar diesen grundlegenden Neuerungen samt Modifikationsvorgaben für das nationale<br />
Recht sind auch die Auswirkungen der geplanten Richtlinie auf zivilrechtliche Institute: Unter anderem<br />
beruft das Herkunftslandprinzip im Sinne einer Kollisionsnorm ausländisches Recht zur Anwendung<br />
und deutsche Verbraucherschutznormen werden durch den Regelungsgehalt der Richtlinie nach<br />
der untersuchten Entwurfsfassung teilweise unanwendbar. Diese Unanwendbarkeit ist zwar nicht<br />
zwangsläufig negativ i. S.e. Qualitätsverlustes zu beurteilen; im Rahmen einer Gesamtbetrachtung<br />
muss aber festgestellt werden, dass das Herkunftslandprinzip als generelles und weitgehend pauschal<br />
wirkendes Anknüpfungsprinzip trotz der offenen Generalklauseln in den Ausnahmetatbeständen zur<br />
sachgerechten Bewältigung kollisionsrechtlicher Interessenkonflikte wenig tauglich ist.<br />
Summary<br />
The Proposal for a Directive of the European Parliament and of the Council on Services in the<br />
Internal Market of 10 January 2005 -<br />
Assessment of Legal Implications for the<br />
Federal Ministry for Food, Agriculture and Consumer Protection<br />
With the examined proposal for a Directive on the realisation of fundamental freedoms (Art. 43, 49<br />
of the EC Treaty) and on the promotion of an ever closer union of the states and peoples of Europe<br />
(Article 1, subsection (II) of the Treaty on European Union), the European legislator drew up a completely<br />
new regulatory framework for services within Europe. It contains groundbreaking options for<br />
co-operation between national authorities and for the creation of a single European administrative<br />
network. The impact of these requirements does not only make itself felt in the European judicial<br />
area, it has far-reaching implications for national law, both in general acts (Introductory Act to the Civil<br />
Code, Administrative Procedures Act) as well as in specific specialised acts (e. g. Animal Welfare<br />
Act or Plant Protection Act). There is a danger of standards for protection being lowered in animal<br />
welfare law, in particular, because reservations are missing in the catalogue of exemptions regarding<br />
the country-of-origin principle. The example of phytosanitary legislation has illustrated that a kind<br />
of country-of-origin principle threatens to get in through the back door with regard to freedom of<br />
establishment, too, through the envisaged requirements for recognition of decisions taken by public<br />
authorities that have a transnational impact. The fact that no general exemptions from the recognition<br />
requirements are being envisaged gives cause for particular concern in this field.<br />
There are no reservations about the conformity with primary law of the comprehensive countryof-origin<br />
principle with a view to Article 50, subsection (III) of the EC Treaty. The latter is neither<br />
inconsistent with the orders concerning administrative procedures laid down in chapters two and<br />
five of the EU’s Directive on Services that necessitate modifications of traditional administrative<br />
procedures in Member States (Sections 4 et seqq of the Administrative Procedures Act) nor does it<br />
conflict with the impact within the scope of specialised acts in Member State law.<br />
The impact of the planned Directive on institutions under civil law is comparable to these fundamental<br />
innovations and requirements for modification of national law: the country-of-origin principle<br />
as a choice-of-law rule invokes the application of foreign law, inter alia. German consumer protection<br />
standards cease to be applicable, in part, due to the regulatory content of the Directive according to<br />
the examined draft version. While this inapplicability is not necessarily negative in the sense of a<br />
loss of quality, it must be noted as a result of a general analysis that the country-of-origin principle<br />
is hardly suitable to cope with competing interests related to conflicts of laws in an appropriate manner<br />
as a general connecting principle having a largely sweeping impact in spite of the open general<br />
clauses in the statutory definitions of exemptions.
240 T. Pfeiffer, B. Hess, B. Schinkels, M. Weller, D. Blechinger, S. Ganninger und B. Gündling<br />
Résumé<br />
Proposition de directive du Conseil et du Parlement européen relative aux services dans<br />
le marché intérieur du 10 janvier 2005–évaluation des conséquences juridiques sur ordre du<br />
Ministère fédéral de l’Alimentation, de l’Agriculture et de la Protection des Consommateurs<br />
Par cette proposition de directive sur les services dans le marché intérieur visant à mettre en œuvre les<br />
libertés fondamentales (Art. 43, 49 du Traité CE) et à encourager une cohésion plus étroite entre les<br />
Etats et les peuples de l’Europe (article 1 II TUE), le législateur européen a élaboré un cadre juridique<br />
totalement nouveau pour les prestations de services à l’intérieur de l’Europe. Il contient des choix<br />
décisifs pour la collaboration des autorités publiques et la création d’un réseau administratif européen<br />
harmonisé. Ces dispositions ne touchent pas seulement l’espace juridique européen, mais elles ont<br />
aussi de vastes conséquences sur le droit national tant en ce qui concerne les lois générales (telle que<br />
la loi d’introduction du Code civil) que les lois spécifiques (par exemple la loi sur la protection des<br />
animaux ou la loi sur la protection des plantes). Notamment dans la législation sur la protection des<br />
animaux, le niveau de la protection risque à baisser en raison de l’absence d’une clause restrictive<br />
dans les listes d’exception concernant le principe du pays d’origine. L’exemple de la législation sur<br />
la protection des plantes a montré que dans le domaine de la liberté d’établissement une sorte de<br />
principe du pays d’origine menace de s’introduire à travers la reconnaissance obligatoire prévue de<br />
décisions des autorités publiques ayant un effet transnational. Ce qui est particulièrement inquiétant<br />
c’est le fait qu’aucune exception générale n’est prévue de ces obligations de reconnaissance.<br />
Concernant la conformité du principe du pays d’origine au droit primaire, il n’y pas de réserves<br />
compte tenu de l’article 50 III du Traité CE. Ni les dispositions relatives aux procédures administratives<br />
dans les chapitres 2 et 5 de la directive analysée, qui entraîneront des modifications au<br />
niveau de la procédure administrative traditionnelle des Etats membres (§§ 4 et suivants de la loi<br />
relative aux procédures administratives), ni les effets dans le cadre de lois spécifiques nationales ne<br />
le contredisent.<br />
Les conséquences du projet de la directive sur les instituts de droit civil sont comparables aux<br />
innovations fondamentales et aux conditions de modification pour le droit national : Ainsi, le principe<br />
du pays d’origine en tant que règle pour des conflits de lois désigne la loi étrangère comme l’ordre<br />
juridique compétent. Les dispositions allemandes concernant la protection des consommateurs deviendront<br />
partiellement inapplicables par les règles de la directive relative aux prestations de services<br />
dans sa version prévue. Cette inapplicabilité n’est cependant pas forcement négative dans le sens<br />
d’une perte de qualité ; d’un point de vue global, il faut toutefois constater que malgré les clauses générales<br />
ouvertes contenues dans les clauses dérogatoires de la directive, le principe du pays d’origine<br />
en tant que principe de rattachement général avec des effets surtout globaux est peu approprié à la<br />
maîtrise adéquate de conflits d’intérêts dans le cas de conflits de lois.<br />
Literatur<br />
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12. Europäischer Gerichtshof, 2002: Rs. C-334/00, Tacconi/HWS, Slg. 2002, 7357.<br />
13. –, 1995: Rs. C-384/93, Alpine Investments, Slg. 1995, 1141.<br />
14. Frenz, Walter, 2004: Handbuch Europarecht, Bd. I: Europäische Grundfreiheiten, Heidelberg.
EU-Dienstleistungsrichtlinie – Rechtsfolgenabschätzung<br />
241<br />
15. geiger, rUdolF, 2004: EUV/EG. Vertrag <strong>über</strong> die Europäische Union und Vertrag zur Gründung der<br />
Europäischen Gemeinschaft, 4. Auflage, München.<br />
16. glock, Jana, 2004: Das deutsche Tierschutzrecht und das Staatsziel „Tierschutz“ im Lichte des Völkerrechts<br />
und des Europarechts, Baden-Baden.<br />
17. goUnalakis, georgios, 2003: Rechtshandbuch Electronic Business, München.<br />
18. grabitz, eberhard; hilF, meinhard, 2005: Das Recht der Europäischen Union, Bd. I und III, 27. Lfg.,<br />
München.<br />
19. grigoleit, hans christoph, 2002: Besondere Vertriebsformen im BGB, Neue Juristische Wochenschrift<br />
2002, S. 1151 ff.<br />
20. Jayme, erik; kohler, christian, 2004: Europäisches Kollisionsrecht 2004: Territoriale Erweiterung<br />
und methodische Rückgriffe, Praxis des internationalen Privat- und Verfahrensrechts 2004, S. 481 ff.<br />
21. klUge, hans-georg (hrsg.), 2002: Tierschutzgesetz, StuttgArt.<br />
22. klUth, WinFried, 2004: Die Bedeutung der EU-Dienstleistungsrichtlinie für die Kammern und ihre<br />
Aufgaben, in: Jahrbuch des Kammerrechts Vol. 2003 (2004), S. 94 ff.<br />
23. knack, hans Joachim (u. a.), 2004: Verwaltungsverfahrensgesetz, 8. Auflage, Köln-Berlin-Bonn-München.<br />
24. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, 2004: Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen<br />
Parlaments und des Rates <strong>über</strong> Dienstleistungen im Binnenmarkt, KOM (2004) 2 endg.<br />
25. kropholler, Jan, 1975: Internationales Einheitsrecht, Allgemeine Lehren, Tübingen.<br />
26. lambsdorFF, alexander graF, 2005: Gastkommentar: Die Dienstleistungsrichtlinie in den Beratungen<br />
des Europaparlaments, Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 2005, S. 577 ff.<br />
27. larenz, karl, 1991: Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Auflage, Berlin u. a. 1991.<br />
28. laU, katrin, 2005: Der Entwurf der „Dienstleistungsrichtlinie“ – ein mögliches Patchwork von<br />
Rechtssystemen und Standards, Infrastrukturrecht 2005, S. 83 ff.<br />
29. leUtner, barbara, 2005: „Lohndumping“ oder Chance?–EU-Dienstleistungsrichtlinie, Städtetag<br />
2005, 29 ff.<br />
30. mankoWski, peter, 2004: Wider ein Herkunftslandprinzip für Dienstleistungen im Binnenmarkt, Praxis<br />
des internationalen Privat- und Wirtschaftsrecht 2004, S. 385 ff.<br />
31. moos, christian, 2005: Eine europäische Richtlinie auf dem Prüfstand, GdS Magazin Juni 2005, S. 8<br />
ff.<br />
32. Rat der Europäischen Union, 2005: Ratsdokument Nr. 5161/05 vom 10. Januar 2005.<br />
33. –, 1991: Richtlinie 91/414/EWG <strong>über</strong> das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln, ABl.EG Nr. L<br />
230 vom 19.08.1991, S. 1.<br />
34. –, 2004: Verordnung 1/2005/EG des Rates vom 22.12.2004 <strong>über</strong> den Schutz von Tieren beim Transport<br />
und damit zusammenhängenden Vorgängen sowie zur Änderung der Richtlinie 64/432/EWG und<br />
93/119/EG und der Verordnung 1255/97, ABl.EG Nr. L 3 vom 2005.01.2005, S. 1 ff.<br />
36. Rat der Europäischen Union und Europäisches Parlament, 2002: Verordnung Nr. 178/2002 des Europäischen<br />
Parlaments und des Rates vom 28.01.2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und<br />
Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit<br />
und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit, ABl.EG 2002 Nr. L 31, S. 1.<br />
37. rossbrUch, robert, 2005: Editorial: EU-Dienstleistungsrichtlinie: Das Herkunfts-landprinzip muss im<br />
Gesundheitsbereich Ausnahmen erfahren, Zeitschrift für Rechtsfragen in der stationären und ambulanten<br />
Pflege 2005, S. 201 f.<br />
38. schinkels, boris, 2005: Zu den Auswirkungen des Vollharmonisierungskonzepts der Richtlinie <strong>über</strong><br />
den FernAbsatz von Finanzdienstleistungen auf nationale Umsetzungsspielräume, Zeitschrift für Gemeinschaftsprivatrecht<br />
2005, S. 109 ff.<br />
39. schlachter, monika, 2004: Allgemeines Gemeinschafts- und Gemeinschaftsprivatrecht: Der Kommissionsentwurf<br />
für eine Richtlinie <strong>über</strong> Dienstleistungen im Binnenmarkt, Zeitschrift für Gemeinschaftsprivatrecht<br />
2004, S. 245 ff.<br />
40. schlichting, Jan mUck; spelten, WolFram, 2005: Die Dienstleistungsrichtlinie, Europäische Zeitschrift<br />
für Wirtschaftsrecht 2005, S. 238 ff.<br />
41. schliesky, Utz, 2005: Von der Realisierung des Binnenmarkts <strong>über</strong> die Verwaltungsreform zu einem<br />
gemeineuropäischen Verwaltungsrecht? Die Auswirkungen der geplanten EU-Dienstleistungsrichtlinie<br />
auf das deutsche Verwaltungsrecht, Deutsches Verwaltungsblatt 2005, S. 887 ff.<br />
42. schmidt-assmann, eberhard, 2004: Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee – Grundlagen<br />
und Aufgaben der verwaltungsrechtlichen Systembildung, 2. Auflage, Berlin u. a.<br />
43. –, 2004: Methoden der Verwaltungsrechtswissenschaft – Perspektiven der Systembildung, in: Schmidt-<br />
Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Methoden der Verwaltungsrechtswissenschaft, Baden-Baden,<br />
S. 387 ff.<br />
44. schriever, eva, 2005: Dienstleistungsrichtlinie, quo vadis? Europäisches Parlament denkt <strong>über</strong> Verzicht<br />
auf Herkunftslandprinzip nach, Anwaltsblatt 2005, S. 407 ff.<br />
45. schWarze, Jürgen, 2000: EU-Kommentar, Baden-Baden.
242 T. Pfeiffer, B. Hess, B. Schinkels, M. Weller, D. Blechinger, S. Ganninger und B. Gündling<br />
46. stelkens, paUl; bonk, heinz-Joachim; sachs, michael, 2001: Verwaltungsverfahrensgesetz, 6. Auflage,<br />
München.<br />
47. streinz, rUdolF (hrsg.), 2003: EUV/EG – Vertrag <strong>über</strong> die Europäische Union und Vertrag zur Gründung<br />
der Europäischen Gemeinschaft, München.<br />
48. sydoW, gernot, 2004: Verwaltungskooperation in der Europäischen Union, Tübingen.<br />
49. von danWitz, thomas, 2004: Aarhus-Konvention: Umweltinformation, Öffentlichkeitsbeteiligung,<br />
Zugang zu den Gerichten, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 2004, S. 272 ff.<br />
50. vosskUhle, andreas, 2000: Der Wandel von Verwaltungsrecht und Verwaltungsprozeßrecht in der<br />
Informationsgesellschaft in: hoFFmann-riem, WolFgang und schmidt-assmann, eberhard (Hrsg.),<br />
Verwaltungsrecht in der Informationsgesellschaft, S. 349 ff.<br />
51. Wettner, Florian, 2005: Die Amtshilfe im Europäischen Verwaltungsrecht, Tübingen.<br />
52. Wiesner, peter m.; Wiedmann, daniel, 2005: Die Dienstleistungsrichtlinie – Marktöffnung oder Abschottung?,<br />
Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis 2005, 1210 ff.<br />
53. Wirtschafts- und Sozialausschusses der Gemeinschaften, 2005: Stellungsnahme zur DLRL, ABl.EG<br />
Nr. C 221, S.113 vom 08.09.2005.<br />
Fußnoten<br />
1) Mit dem Kabinettsbeschluss vom 22. November 2005 wurde das Bundesministerium für<br />
Verbraucherschutz, Ernährung und <strong>Landwirtschaft</strong> (BMVEL) zum Bundesministerium für Ernährung,<br />
<strong>Landwirtschaft</strong> und Verbraucherschutz (<strong>BMELV</strong>) umbenannt.<br />
2) Das Gutachten ist in der Vollversion abrufbar unter http://www.bmelv.de.<br />
3) Vgl. zuletzt den geänderten Vorschlag für eine „Verordnung des Europäischen Parlamentes und<br />
des Rates <strong>über</strong> das auf ausservertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom II)“,<br />
KOM (2006) 83 end. vom 21.02.2006.<br />
4) Die Kurzkommentierung kann aufgrund des begrenzten Platzes an dieser Stelle nicht wiedergegeben<br />
werden. An ausgewählten Stellen wird im Rahmen der Zusammenfassung der Referenzbereiche<br />
auf zentrale Fragestellungen hingewiesen. Im Übrigen sei auf die Vollversion des<br />
Gutachtens und die dortige ausführliche Kommentierung der Richtlinie verwiesen.<br />
Autorenanschrift: Prof. Dr. thomas pFeiFFer, Prof. Dr. bUrkhard hess, Dr. boris schinkels, LL.M.;<br />
Dr. matthias Weller, Mag. rer. publ., dennis blechinger, steFFen ganninger und<br />
Dr. benJamin gündling, Institut für ausländisches- und internationales Privat- und<br />
Wirtschaftsrecht, Augustinergasse 9, 69117 Heidelberg, Deutschland<br />
institut@ipr.uni-heidelberg.de
Arbeitseinsatz in der deutschen <strong>Landwirtschaft</strong> und<br />
Beschäftigungseffekte politischer Maßnahmen<br />
Von Ferdinand Fasterding und daniela rixen, Braunschweig<br />
1 Einleitung<br />
U.S. Copyright Clearance Center Code Statement: 0005-9080/06/8402-243 $ 2.50/0<br />
243<br />
Wegen des erheblichen Potenzials nicht beschäftigter Arbeitskräfte von mehr als 7 Millionen<br />
(5) hat die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in Deutschland nach wie vor eine<br />
erhebliche Bedeutung. Vom Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und<br />
<strong>Landwirtschaft</strong> wurde daher eine Analyse der Beschäftigungsmöglichkeiten im Agrarsektor<br />
und der Beschäftigungseffekte agrarpolitischer Maßnahmen (14) angeregt. Wesentliche<br />
Ergebnisse dieser Analyse werden im Folgenden dargestellt. Mit der Untersuchung<br />
wurde dem Anliegen der politischen Entscheidungsträger Rechnung getragen, die Informationsgrundlage<br />
für Weichenstellungen zu verbessern, wenn sich Ungleichgewichte auf<br />
den Märkten für landwirtschaftliche Arbeitskräfte abzeichnen. Die Analyse der Nachfrage<br />
des Agrarsektors nach und des Angebots an solchen Arbeitskräften war daher ein wesentliches<br />
Ziel der Untersuchung. Da zu den Zielen der Politik auch die Überwindung<br />
der Arbeitslosigkeit in ländlichen Räumen gehört (30), galt es außerdem zu untersuchen,<br />
inwieweit es durch agrarpolitische Maßnahmen gelingt, Erwerbsmöglichkeiten in diesen<br />
Räumen zu erhalten oder zu schaffen.<br />
2 Erwerbstätigkeit in der <strong>Landwirtschaft</strong><br />
Um die generelle Bedeutung des Agrarsektors für die Bereitstellung von Arbeitsplätzen<br />
herauszuarbeiten, wird im Folgenden zunächst auf die Stellung der <strong>Landwirtschaft</strong> in<br />
der volkswirtschaftlichen Entwicklung eingegangen. Die mit dem gesamtwirtschaftlichen<br />
Wachstum verbundenen strukturellen Wandlungen sind seit geraumer Zeit bekannt (27)<br />
und haben sich bis in die jüngste Vergangenheit fortgesetzt. Der Strukturwandel geht mit<br />
Steigerungen der Arbeitsproduktivität in der <strong>Landwirtschaft</strong> einher und hängt mit dem als<br />
„Engelsches Gesetz“ beschriebenen Phänomen zusammen. Nach diesem Gesetz halten<br />
die Ausgaben der Haushalte für Nahrungsmittel nicht mit den steigenden Einkommen<br />
Schritt. Bei steigenden Verbrauchereinkommen wird nur ein verhältnismäßig kleiner Anteil<br />
an den Gesamtausgaben für Nahrungsmittel aufgewendet, denn die Nachfrage nach<br />
Grundnahrungsmitteln ist im Allgemeinen unelastisch. Dar<strong>über</strong> hinaus fließt ein Teil der<br />
Verbraucherausgaben nicht in die <strong>Landwirtschaft</strong>, sondern in die Ernährungsindustrie, das<br />
Nahrungsmittelhandwerk, den Handel und das Gaststättengewerbe (18).<br />
Ein Kennzeichen hoch entwickelter Volkswirtschaften ist daher zumeist, dass sich der<br />
Agrarsektor, der so genannte primäre Sektor, einer mit wachsendem Einkommensniveau<br />
der Bevölkerung nicht in gleichem Maße zunehmenden, sondern häufig sogar abnehmenden<br />
Nachfrage gegen<strong>über</strong> sieht und die Nachfrage nach Produkten der Industrie, des<br />
Handwerks sowie des Bergbaus und der Energiewirtschaft, des so genannten sekundären<br />
Sektors, zunächst steigt. In einer weiteren Phase der Entwicklung gewinnt dann die Nachfrage<br />
nach privaten und öffentlichen Dienstleistungen, also des tertiären Sektors, erheblich<br />
an Bedeutung. Da sich die Arbeitsproduktivität in den Sektoren umgekehrt entwickelt,
244<br />
verliert der Agrarsektor zunächst Arbeitskräfte an das produzierende Gewerbe und später<br />
gewinnt der Dienstleistungssektor für die Beschäftigung von Arbeitskräften an Bedeutung<br />
(27). Im Zuge der mit diesem Prozess verbundenen zunehmenden Arbeitsteilung in der<br />
Volkswirtschaft nimmt auch die Verflechtung des Agrarsektors mit anderen Sektoren zu,<br />
weil in zunehmendem Maße Vorleistungen bezogen und Verarbeitung und Vermarktung<br />
der Produkte aus den landwirtschaftlichen Betrieben ausgelagert werden.<br />
In Tabelle 1 wird das Ausmaß der strukturellen Veränderungen im Gebiet des Deutschen<br />
Reiches, dem früheren Bundesgebiet und dem vereinigten Deutschland dargestellt.<br />
Im Jahr 1882 waren in Deutschland noch rund 43 % der Erwerbstätigen in der Land- und<br />
Forstwirtschaft einschließlich Tierhaltung und Fischerei tätig. Im Zeitraum zwischen 1882<br />
und 1907 nahm die Zahl der Erwerbstätigen im Agrarsektor zwar von rund 8,2 auf fast<br />
10 Millionen zu, da die Zahl der Erwerbstätigen insgesamt aber mit einer größeren Rate<br />
wuchs, verminderte sich der Anteil des Agrarsektors an den Erwerbstätigen auf rund 35 %.<br />
Bis zum Ausbruch des zweiten Weltkrieges ging er weiter auf 25 % zurück. 1939 waren<br />
mit rund 8,9 Millionen aber immer noch mehr Personen im Agrarsektor tätig als 60 Jahre<br />
zuvor (27).<br />
Tabelle 1. Erwerbstätige in Deutschland nach Wirtschaftsbereichen<br />
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Ferdinand Fasterding und Daniela Rixen<br />
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1) Einschließlich Tierhaltung und Fischerei<br />
2) Dienstleistungsunternehmen, Gebietskörperschaften, private Haushalte und Organisationen ohne<br />
Erwerbscharakter<br />
Quelle: (35; 36; 37; Eigene Berechnungen)
Arbeitseinsatz in der deutschen <strong>Landwirtschaft</strong><br />
245<br />
Als Folge des Krieges und der durch Flucht und Vertreibung in den Jahren unmittelbar<br />
nach dem Krieg reichlich verfügbaren Arbeitskräfte in vielen ländlichen Gebieten und der<br />
damit zusammenhängenden – im Vergleich zu einigen westeuropäischen Ländern – später<br />
einsetzenden Mechanisierung der Agrarproduktion (19) war der Anteil des Agrarsektors<br />
an den Erwerbstätigen im früheren Bundesgebiet im Jahr 1950 ähnlich hoch wie 1939<br />
im Deutschen Reich. Die Zahl der Erwerbstätigen im Agrarsektor verminderte sich in<br />
der Nachkriegszeit, in der im früheren Bundesgebiet zeitweise ein erheblicher Mangel an<br />
Arbeitskräften bestand, von rund 5 Millionen im Jahr 1950 auf weniger als eine Million<br />
im Jahr 1991. Die Anteile an den Erwerbstätigen nahmen dabei von nahezu 25 % auf rund<br />
3,3 % ab (siehe Tab. 1).<br />
Im Gebiet der ehemaligen DDR verminderte sich der Anteil der Berufstätigen in der<br />
Land- und Forstwirtschaft an den Berufstätigen insgesamt von rund 31 % im Jahr 1949 auf<br />
rund 11 % im Jahr 1980 und verharrte auf diesem Niveau bis zum Beitritt der ostdeutschen<br />
Bundesländer zur Bundesrepublik Deutschland. Die strukturellen Umbrüche, die im Zuge<br />
der Wiedervereinigung in den neuen Bundesländern abgelaufen sind, führten zu einer rapiden<br />
Verminderung der Zahl der im Agrarsektor tätigen Personen. Von den vor der Wende<br />
rund 800 000 beschäftigten Personen waren bereits 1992 drei von vier Arbeitskräften aus<br />
den Betrieben des Betriebsbereichs <strong>Landwirtschaft</strong> ausgeschieden (26).<br />
Eine empirische Untersuchung gibt Auskunft <strong>über</strong> den Verbleib dieser Arbeitskräfte.<br />
Danach waren im Mai 1992 rund 34 % der in der ostdeutschen <strong>Landwirtschaft</strong> beschäftigten<br />
Personen in andere Wirtschaftsbereiche abgewandert, 34 % aus dem Erwerbsleben<br />
ausgeschieden und 32 % im Agrarsektor verblieben (9). Der Anteil der in der <strong>Landwirtschaft</strong><br />
verbliebenen Arbeitskräfte wird also etwas höher eingeschätzt als sich aus den<br />
amtlichen Arbeitskräfteerhebungen in der <strong>Landwirtschaft</strong> ergibt.<br />
In den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung wurden in den neuen Bundesländern<br />
offensichtlich strukturelle Anpassungen des Agrarsektors nachgeholt, die in der früheren<br />
DDR seit 1980 unterblieben waren. Mit rund 3,2 % war der Anteil an den Erwerbstätigen<br />
insgesamt aber auch im Jahr 2003 noch höher als im früheren Bundesgebiet, wo er bei<br />
2,3 % lag.<br />
Überwiegend aufgrund der Umbrüche in den neuen Bundesländern hatte sich der Anteil<br />
der Land- und Forstwirtschaft sowie Fischerei an den Erwerbstätigen insgesamt im<br />
vereinigten Deutschland von rund 4 % im Jahr 1991 schon im Jahr 1993 auf 3,3 % vermindert.<br />
Damit war bereits 1993 der Anteil des früheren Bundesgebietes im Jahr 1991<br />
erreicht. Im Jahr 2003 waren in Deutschland rund 2,5 % der Erwerbstätigen, also etwa<br />
895 000 Personen, im Agrarsektor erwerbstätig (33).<br />
Die Verminderung des Arbeitseinsatzes ist nicht nur durch die Substitution von Arbeit<br />
durch Kapital, sondern auch zum Teil durch die Auslagerung von Verarbeitungs- und<br />
Vermarktungsaktivitäten in den bzw. durch den Bezug von Vorleistungen aus dem gewerblichen<br />
Sektor, also durch partielle Einschränkungen der Produktion, ermöglicht worden.<br />
Auslagerungen von Tätigkeiten aus den landwirtschaftlichen Betrieben waren auch in den<br />
neuen Bundesländern bei der Anpassung der <strong>Landwirtschaft</strong> an die stärkere Arbeitsteilung<br />
im früheren Bundesgebiet von Bedeutung. Die Verminderung der Zahl der Erwerbstätigen<br />
in der <strong>Landwirtschaft</strong> und ihr Anteil an den Erwerbstätigen lassen also keine unmittelbaren<br />
Rückschlüsse auf eine Steigerung der Arbeitsproduktivität im Sektor zu.<br />
Anhand eines Vergleichs der Anteile der Erwerbstätigen im primären Sektor, also dem<br />
Agrarsektor, an den Erwerbstätigen in den Regionen der Europäischen Union (EU) wird<br />
u. a. deutlich, dass diese Anteile in den Regionen mit der größten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit<br />
im Jahr 2000 zumeist unter 3 % lagen, während diese Anteile mit zunehmender<br />
Entfernung von den wirtschaftlichen Kernzonen der EU tendenziell zunehmen.<br />
Innerhalb von Deutschland sind die Anteile im Norden und Osten zumeist höher als im<br />
Westen und Süden. Mit Ausnahme von Niederbayern (6,3 %) lagen sie aber im Jahr 2000
246 Ferdinand Fasterding und Daniela Rixen<br />
in allen Regierungsbezirken bzw. Bundesländern unter 6 %. Der Vergleich von Projektionen<br />
der Anteile der Land- und Forstwirtschaft an den Erwerbstätigen Deutschlands<br />
mit Entwicklungen in anderen Mitgliedstaaten der EU zeigt, dass die erwartete weitere<br />
Verminderung dieses Anteils in Deutschland von 2,4 % im Jahr 2001 auf 1,9 % im Jahr<br />
2015 noch nicht zu einem Niveau führen würde, das bereits Ende der 1990er-Jahre im<br />
Vereinigten Königreich und in Luxemburg realisiert war.<br />
Am Beispiel der Niederlande wird die Ausnahme von der Regel deutlich, dass es in<br />
entwickelten Volkswirtschaften ohne „... Abwanderung von Nachwuchs- und Arbeitskräften<br />
aus der <strong>Landwirtschaft</strong> ... in aller Regel keine kräftige wirtschaftliche Entwicklung und<br />
auch keine Steigerung des Pro-Kopf-Einkommens in der <strong>Landwirtschaft</strong>“ gibt (18, S. 6).<br />
Offensichtlich kann es auch gelingen, durch Steigerung der Wertschöpfung des Agrarsektors<br />
dem Abwanderungsdruck entgegen zu wirken. Das ist ein Hinweis auf die Gültigkeit<br />
der allgemeineren Formulierung von andermann und schmitt (3, S. 4 f.), die darauf<br />
hinweisen, dass die Beschäftigungsmöglichkeiten in der <strong>Landwirtschaft</strong> von der Veränderung<br />
der Wertschöpfung des Sektors abhängen. Eine Steigerung der Wertschöpfung<br />
kann beispielsweise aus Diversifizierungen der Produktion oder aus der Erzeugung von<br />
Qualitätsprodukten resultieren. Das Ausmaß, das diese Steigerung in Deutschland haben<br />
müsste, ist aber so groß, dass in Deutschland ohne Verminderungen des Arbeitseinsatzes<br />
in der <strong>Landwirtschaft</strong> erheblich kleinere Spielräume zur Steigerung der Einkommen in der<br />
<strong>Landwirtschaft</strong> bestanden hätten.<br />
3 Strukturwandel in der deutschen <strong>Landwirtschaft</strong><br />
Um eine Grundlage für Projektionen des Angebots an Arbeit an die <strong>Landwirtschaft</strong> zu<br />
schaffen, wurde im Rahmen der Untersuchung auf die strukturellen Entwicklungen in der<br />
<strong>Landwirtschaft</strong> in Deutschland und die der Zahl und des Arbeitseinsatzes verschiedener<br />
Arbeitskräftekategorien eingegangen. Aus der Vielzahl der Strukturmerkmale wird dazu<br />
im Anschluss an die Darstellung von Bestimmungsgründen für den Agrarstrukturwandel<br />
eine Auswahl getroffen.<br />
3.1 Bestimmungsgründe für den Agrarstrukturwandel<br />
Im Rahmen der Untersuchung konnte keine geschlossene Theorie für den Agrarstrukturwandel<br />
dargestellt werden (zur Theorie: 8; 32; 31; 4; 6), es zeigte sich aber, dass einstiegsorientierte<br />
Ansätze (24), wie beispielsweise die Analyse von Ausbildungs- und Berufswahlentscheidungen,<br />
zur Erklärung der Aufnahme von Tätigkeiten in der <strong>Landwirtschaft</strong><br />
geeignet sind (12). Mit diesen Ansätzen können auch das Arbeitsangebot an den Agrarsektor<br />
und die Übernahme landwirtschaftlicher Betriebe erklärt werden. Zur Erklärung der<br />
Nachfrage nach Arbeit bzw. des Arbeitsbedarfs ergab die Analyse der Literatur (17; 10; 7),<br />
dass die Outputmengen bei gegebener Produktionsfunktion und unveränderten Produkt-<br />
und Faktorpreisen die Faktornachfrage bestimmen, dass die Produkt- und Faktorpreise<br />
sowie die sich ändernden Intensitäten des Faktoreinsatzes den Produktionswert und damit<br />
die Wertschöpfung sowie die Faktorentlohnung beeinflussen und dass Agrarpreisveränderungen<br />
stets auch die relative Vorzüglichkeit alternativer Technologien sowie die Struktur<br />
des Faktoreinsatzes verändern (23). Auch die Politik beeinflusst durch unterschiedliche<br />
Wirkungsketten den Arbeitseinsatz in der <strong>Landwirtschaft</strong>. Sie kann beispielsweise <strong>über</strong><br />
Fördermaßnahmen die Einführung technischer Fortschritte induzieren und dadurch die<br />
relative Vorzüglichkeit des Arbeitseinsatzes verändern, also im Fall der Einführung arbeitssparender<br />
technischer Fortschritte zur Freisetzung von Arbeitskräften beitragen.
Arbeitseinsatz in der deutschen <strong>Landwirtschaft</strong><br />
3.2 <strong>Landwirtschaft</strong>liche Betriebe<br />
247<br />
Anhand von Tabelle 2 kann man berechnen, dass die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe<br />
im früheren Bundesgebiet zwischen 1973 und 2001 nach Zinseszins um rund 3 %<br />
p. a. abnahm. Zwar haben Änderungen der Erhebungsmethodik der amtlichen Statistik,<br />
insbesondere Anhebungen der Erfassungsgrenze, Auswirkungen auf die Veränderungsraten<br />
der Zahl landwirtschaftlicher Betriebe gehabt. Diese Auswirkungen dürften bei einer<br />
langfristigen Betrachtung jedoch zu vernachlässigen sein. Zumindest entspricht die Verminderungsrate<br />
der Zahl der Betriebe zwischen 1999 und 2001 mit 3 % p. a. dem langfristigen<br />
Trend.<br />
Tabelle 2. Größenstruktur landwirtschaftlicher Betriebe 1)<br />
Betriebe insgesamt 1000 966 768 579 536 462 433 407<br />
darunter<br />
unter 5 ha LF % 36,0 33,8 31,4 31,3 25,0 23,7 23,7<br />
5 bis 10 ha LF % 19,9 17,7 15,9 15,1 16,2 15,9 15,6<br />
10 bis 20 ha LF % 23,7 21,5 18,8 18,0 18,8 19,2 19,4<br />
20 bis 30 ha LF % 11,3 12,7 11,8 11,6 12,1 11,4 10,3<br />
30 bis 50 ha LF % 6,7 9,8 12,2 12,4 13,7 14,2 13,8<br />
50 bis 100 ha LF % 2,5 3,9 8,2 9,2 11,1 12,0 12,8<br />
100 und mehr ha LF % 0,6 1,7 2,3 3,0 3,6 4,3<br />
Betriebe insgesamt 1000 27 31 28 30 29<br />
darunter<br />
unter 5 ha LF % 36,9 36,5 27,8 25,8 24,8<br />
5 bis 10 ha LF % 10,8 10,3 11,3 11,9 11,9<br />
10 bis 20 ha LF % 10,8 10,6 12,0 12,5 12,6<br />
20 bis 30 ha LF % 5,2 5,2 5,6 5,8 5,8<br />
30 bis 50 ha LF % 5,2 5,2 6,3 6,4 6,8<br />
50 bis 100 ha LF % 6,7 7,1 8,1 8,1 8,5<br />
100 und mehr ha LF % 24,3 25,2 29,2 29,5 29,6<br />
Betriebe insgesamt 1000 606 567 491 462 436<br />
darunter<br />
unter 5 ha LF % 31,6 31,6 25,2 23,8 23,8<br />
5 bis 10 ha LF % 15,7 14,8 15,9 15,6 15,4<br />
10 bis 20 ha LF % 18,4 17,6 18,4 18,8 19,0<br />
20 bis 30 ha LF % 11,5 11,3 11,7 11,1 10,0<br />
30 bis 50 ha LF % 11,9 12,0 13,3 13,7 13,3<br />
50 bis 100 ha LF % 8,1 9,1 10,9 11,8 12,5<br />
100 und mehr ha LF % 2,7 3,5 4,6 5,3 6,0<br />
Jahr<br />
1973 1983 1993 1995 1997 1999<br />
Früheres Bundesgebiet<br />
Neue Bundesländer<br />
Deutschland<br />
1) Bis 1997 landwirtschaftliche Betriebe mit 1 oder mehr ha LF. Ab 1999 Betriebe mit 2 oder<br />
mehr ha LF. Jeweils auch Betriebe mit Mindestgrößen an ausgewählten Tierbeständen oder Spezialkulturen.<br />
Quelle: (34; Eigene Berechnungen).<br />
2001
248 Ferdinand Fasterding und Daniela Rixen<br />
Während im früheren Bundesgebiet in den 1970er-Jahren die Zahl der Betriebe mit 30<br />
bis unter 50 ha landwirtschaftlich genutzter Fläche (LF) noch stieg, waren in den 1980er-<br />
und 1990er-Jahren lediglich in den Gruppen der Betriebe mit 50 und mehr bzw. 100 und<br />
mehr ha LF noch Zunahmen zu verzeichnen. Wie in Tabelle 2 erkennbar, hat sich durch<br />
die unterschiedlichen Entwicklungen in den Größenklassen die Betriebsgrößenstruktur<br />
verändert. Während 1973 rund 36 % der Betriebe weniger als 5 ha LF und lediglich 2,5 %<br />
50 ha LF oder mehr bewirtschafteten, lagen diese Anteile 2001 bei 24 bzw. 17 %.<br />
Wegen der völlig anderen Strukturen zu DDR-Zeiten und der Umbrüche nach dem<br />
Beitritt der neuen Bundesländer verlief die Entwicklung dort nicht so wie in der früheren<br />
Bundesrepublik. Ein direkter Vergleich struktureller Entwicklungen zwischen Ost- und<br />
Westdeutschland vor 1993 erscheint daher nicht sinnvoll. Zwischen 1993 und 1995 stieg<br />
die Zahl der Betriebe in allen ausgewiesenen Betriebsgrößenklassen stark an. Insbesondere<br />
in Betrieben unter 5 ha LF dürften die genannten methodischen Änderungen der Statistik<br />
dazu beigetragen haben, dass seit 1997 die Zahl der Betriebe niedriger ausgewiesen<br />
wird als 1995. Betrachtet man die Betriebe in den neuen Bundesländern insgesamt im<br />
gesamten Zeitraum zwischen 1993 und 2001, sind nach Zinseszins Zunahmen der Zahl<br />
von 1,2 % p. a. zu verzeichnen. Dagegen stagnierte die Gesamtzahl der Betriebe zwischen<br />
1999 und 2001. Zunahmen von 2,6 bzw. 2,1 % p. a. sind lediglich in den Größenklassen 30<br />
bis 50 ha sowie 50 bis 100 ha LF zu verzeichnen, also Betriebsgrößen, die in den neuen<br />
Bundesländern nur eine geringe Rolle spielen (siehe Tab. 2).<br />
Die strukturellen Wandlungen im Zeitraum zwischen 1993 und 2001 haben auch in den<br />
neuen Bundesländern in der Größenklasse der Betriebe mit 100 und mehr ha LF trotz der<br />
erheblich höheren Anteile, die diese Betriebe bereits zu Beginn der betrachteten Periode<br />
hatten, zur Zunahme der Anteile von rund 24 % im Jahr 1993 auf rund 30 % im Jahr 2001<br />
geführt. Auch die Anteile der Betriebe mit weniger als 5 ha LF an den Betrieben insgesamt<br />
sind vergleichsweise hoch. Im Jahr 2001 gehörten beispielsweise im früheren Bundesgebiet<br />
rund 24 % und in den neuen Bundesländern rund 25 % der Betriebe in diese Größenklasse.<br />
Der Anteil der Nebenerwerbsbetriebe in dieser Größenklasse war dagegen kleiner<br />
als im früheren Bundesgebiet. Zu diesem Ergebnis müssen hohe Anteile flächenarmer<br />
Veredlungs-, Dauerkultur-, landwirtschaftlicher Gemischt- und Gartenbaubetriebe, die als<br />
Juristische Personen, Personengesellschaften oder Haupterwerbsbetriebe organisiert sind,<br />
beigetragen haben. In den Einzelunternehmen mit 20 oder mehr ha LF waren die Anteile<br />
der Betriebe, deren Inhaber oder in den Betrieben tätige Familienangehörige auch außerbetrieblichen<br />
Erwerbstätigkeiten nachgehen, in den neuen Bundesländern dagegen höher<br />
als im früheren Bundesgebiet. Trotz der auf den Arbeitsmärkten bestehenden Probleme<br />
waren Erwerbskombinationen in größeren Einzelunternehmen der neuen Bundesländer<br />
also häufiger anzutreffen als im früheren Bundesgebiet.<br />
Im früheren Bundesgebiet nahmen die Anteile der landwirtschaftlichen Betriebe mit<br />
ständigen Lohnarbeitskräften zwischen 1973 und 1995 kontinuierlich ab. Seit 1997 werden<br />
in der amtlichen Statistik zwar Zunahmen ausgewiesen, die aber zumindest zum Teil<br />
aus den Umstellungen der Erhebungsmethodik resultieren. Im Jahr 2001 betrug der Anteil<br />
der Betriebe mit Lohnarbeitskräften im früheren Bundesgebiet durchschnittlich rund 9 %.<br />
Trotz im Zeitablauf abnehmender Anteile waren aber im Jahr 2001 noch in fast 40 % der<br />
Betriebe mit 100 oder mehr ha LF ständige Lohnarbeitskräfte beschäftigt. Als Folge der<br />
gänzlich anderen Betriebsstrukturen und der Dominanz der Personengesellschaften und<br />
Juristischen Personen, die per Definition Lohnarbeitskräfte beschäftigen, waren die Anteile<br />
der Betriebe, die solche Arbeitskräfte beschäftigten, in den neuen Bundesländern in<br />
allen Betriebsgrößenklassen erheblich höher als im früheren Bundesgebiet. Sie scheinen<br />
sich auf verhältnismäßig hohem Niveau zu stabilisieren. Im Jahr 2001 betrugen sie im<br />
Durchschnitt rund 34 %, waren also mehr als dreimal so hoch wie im früheren Bundesgebiet.<br />
Die Anteile der Betriebe mit Saisonarbeitskräften unterscheiden sich zwischen
Arbeitseinsatz in der deutschen <strong>Landwirtschaft</strong><br />
249<br />
dem früheren Bundesgebiet und den neuen Bundesländern weniger deutlich. Sie lagen in<br />
den neuen Bundesländern mit rund 11 % lediglich um etwa einen Prozentpunkt höher als<br />
im früheren Bundesgebiet. Auffallend sind die höheren Anteile in den kleinen Betrieben<br />
des früheren Bundesgebietes. Das dürfte damit zusammenhängen, dass zu diesen Betrieben<br />
eine große Zahl von Gartenbau- und Dauerkulturbetrieben gehören, die zumeist auf<br />
Saisonarbeitskräfte angewiesen sind. Diese Saisonarbeitskräfte kommen zu einem sehr<br />
großen Teil legal aus einigen europäischen Ländern, insbesondere Polen.<br />
3.3 Arbeitskräfte<br />
Die Zahl der in den landwirtschaftlichen Betrieben beschäftigten Arbeitskräfte hat sich<br />
im früheren Bundesgebiet zwischen 1973 und 2001 mehr als halbiert. Der Arbeitseinsatz<br />
in den Betrieben – gemessen in Arbeitskrafteinheiten (AK-Einheiten) – ist sogar auf rund<br />
37 % des Einsatzes im Jahr 1973 zurückgegangen. Zwischen 1993 und 2001 nahmen die<br />
Zahl der Arbeitskräfte in den neuen Bundesländern lediglich um rund 10 % und der Arbeitseinsatz<br />
um rund 28 % ab. Das hängt damit zusammen, dass als Folge des Strukturwandels<br />
nach der Wiedervereinigung bereits vor 1993 ein erheblicher Beschäftigungsabbau<br />
stattgefunden hatte. Die Anteile der Familienarbeitskräfte sowie der ständigen Lohnarbeitskräfte<br />
an den insgesamt in der <strong>Landwirtschaft</strong> eingesetzten Arbeitskräften waren<br />
in Ost- und Westdeutschland völlig unterschiedlich: Während im Jahr 2001 im früheren<br />
Bundesgebiet rund 71 % der Arbeitskräfte zu den Familienarbeitskräften und rund 9 % zu<br />
den ständigen Lohnarbeitskräften gehörten, betrugen diese Anteile in den neuen Bundesländern<br />
rund 24 % bzw. mehr als 55 %. Der Anteil der Frauen an den insgesamt in landwirtschaftlichen<br />
Betrieben eingesetzten Arbeitskräften nahm im früheren Bundesgebiet von<br />
rund 42 % im Jahr 1973 auf weniger als 38 % im Jahr 2001 ab. Dabei ist bemerkenswert,<br />
dass die Abnahme <strong>über</strong>wiegend vor 1993 stattgefunden hat und zu erheblichen Anteilen<br />
auf in den Betrieben teilbeschäftigte weibliche Familienarbeitskräfte zurückzuführen ist.<br />
Das dürfte damit zusammenhängen, dass die Einführung technischer Fortschritte in der<br />
<strong>Landwirtschaft</strong> den Frauen ermöglicht hat, sich stärker auf Tätigkeiten in den Haushalten<br />
oder auf außerlandwirtschaftliche Erwerbstätigkeiten zu konzentrieren.<br />
In der ehemaligen DDR betrug der Anteil der Frauen an den Beschäftigten in der<br />
<strong>Landwirtschaft</strong> im Jahr 1988 rund 39 %. Der Anteil der weiblichen an den insgesamt in der<br />
<strong>Landwirtschaft</strong> der neuen Bundesländer eingesetzten Arbeitskräfte betrug 1993 nur noch<br />
rund 34 %. Offensichtlich waren vom Beschäftigungsabbau nach der Wiedervereinigung<br />
insbesondere die in den landwirtschaftlichen Betrieben beschäftigten Frauen betroffen.<br />
Bis 1997 hat sich der Anteil der Frauen weiter bis auf rund 33 % vermindert, ist dann<br />
aber wieder bis auf rund 34 % im Jahr 2001 gestiegen. Insgesamt hat sich der Anteil der<br />
Frauen an den Arbeitskräften in der <strong>Landwirtschaft</strong> der neuen Bundesländer seit 1993 also<br />
nicht wesentlich verändert. Der Anteil der Frauen an den ständigen Lohnarbeitskräften hat<br />
dagegen zwischen 1993 und 2001 von rund 33 auf 31 % abgenommen.<br />
Festzuhalten bleibt, dass sich der Arbeitseinsatz sowohl im früheren Bundesgebiet als<br />
auch in den neuen Bundesländern stärker vermindert hat als die Zahl der Arbeitskräfte.<br />
Das ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass der Einsatz von Teilzeit- bzw. Saisonarbeitskräften<br />
im Zeitablauf an Bedeutung gewonnen hat. Während im früheren Bundesgebiet<br />
im Jahr 1973 noch rund 513 AK-Einheiten auf 1000 Arbeitskräfte kamen, also vereinfachend<br />
davon ausgegangen werden kann, dass die Arbeitskräfte im Durchschnitt etwas<br />
mehr als halbtags arbeiteten, waren es im Jahr 2001 nur noch rund 393 AK-Einheiten je<br />
1000 Arbeitskräfte. Der durchschnittliche Arbeitseinsatz einer Person lag also bei weniger<br />
als 40 % des Arbeitseinsatzes einer vollbeschäftigten Person. In den landwirtschaftlichen<br />
Betrieben der neuen Bundesländer war der durchschnittliche Arbeitseinsatz mit mehr als
250 Ferdinand Fasterding und Daniela Rixen<br />
80 % einer vollbeschäftigten Arbeitskraft im Jahr 1993 und mehr als 65 % im Jahr 2001<br />
deutlich höher.<br />
Aus Abbildung 1 kann man ablesen, dass sich der Arbeitseinsatz in der <strong>Landwirtschaft</strong><br />
im früheren Bundesgebiet zwischen 1973 und 2001 nach Zinseszins um rund 3,5 % p. a.<br />
vermindert hat. Die Verminderungsraten des Arbeitseinsatzes der Familienarbeitskräfte<br />
waren größer als die des Durchschnitts aller Arbeitskräfte. Der Anteil der von vollbeschäftigten<br />
Familienarbeitskräften eingesetzten Arbeit ist daher von 1973 bis 2001 von<br />
rund 50 % auf etwa 42 % und der von teilbeschäftigten Familienarbeitskräften von rund<br />
40 % auf 34 % zurückgegangen. Zugenommen hat dagegen der Anteil des Arbeitseinsatzes<br />
von Lohnarbeitskräften. In den neuen Bundesländern waren die Verminderungsraten des<br />
Arbeitseinsatzes der ständigen Lohnarbeitskräfte zwischen 1993 und 2001 deutlich höher<br />
als die der Familienarbeitskräfte. Sowohl der Anteil der Inhaber landwirtschaftlicher<br />
Betriebe und ihrer Familienangehörigen als auch der Anteil von Saisonarbeitskräften am<br />
Arbeitseinsatz hat daher zugenommen. Dennoch dominierte im Jahr 2001 mit rund 80 %<br />
weiterhin der Arbeitseinsatz der ständigen Lohnarbeitskräfte.<br />
Arbeitskrafteinheiten (1.000)<br />
1.400<br />
1.200<br />
1.000<br />
800<br />
600<br />
400<br />
200<br />
0<br />
früheres<br />
Bundesgebiet<br />
1973 1983<br />
nicht ständige familienfremde Arbeitskräfte<br />
ständige familienfremde Arbeitskräfte<br />
teilbeschäftigte Familienarbeitskräfte<br />
vollbeschäftigte Familienarbeitskräfte<br />
Deutsch- früheres Neue Deutsch- früheres Neue Deutsch- früheres Neue Deutsch- früheres Neue Deutsch- früheres Neue<br />
landBundesBundeslandBundesBundeslandBundesBundeslandBundesBundeslandBundesBundesgebietländergebietländergebietländergebietländergebietländer 1993<br />
1995 1997 1999 2001<br />
Abb. 1. Entwicklung des Arbeitseinsatzes in den landwirtschaftlichen Betrieben<br />
Quelle: (34; Eigene Berechnungen).<br />
Bei einer Differenzierung nach der Betriebgröße wird deutlich, dass die Anteile der Familienarbeitskräfte<br />
am Arbeitseinsatz mit zunehmender Größe der landwirtschaftlichen<br />
Betriebe abnehmen. Trotzdem nahmen im früheren Bundesgebiet die Anteile der ständigen<br />
Lohnarbeitskräfte am gesamten betrieblichen Arbeitseinsatz in Betrieben mit 100<br />
oder mehr ha LF zwischen 1983 und 1993 von rund 63 % auf 38 % ab. Bis zum Jahr<br />
2001 blieben sie weitgehend konstant und verminderten sich lediglich auf 37 %. Das ist<br />
ein Hinweis darauf, dass der technische Fortschritt die Freisetzung von Arbeitskräften in<br />
großen Betrieben ermöglicht bzw. dass es häufig gelingt, betriebliches Wachstum ohne<br />
die Einstellung von zusätzlichen Lohnarbeitskräften zu realisieren. Auch in den neuen<br />
Bundesländern ist zwischen 1993 und 2001 in den Betrieben mit 100 oder mehr ha LF<br />
eine Abnahme zu verzeichnen. Die Anteile der Lohnarbeitskräfte am Arbeitseinsatz verminderten<br />
sich aber lediglich von rund 94 % auf 89 %.<br />
Neben dem Umsatz, dem Gewinn usw. wird in der gewerblichen Wirtschaft häufig die<br />
Zahl der Arbeitskräfte zur Beschreibung der Größe der Unternehmen verwendet. Wenn
Arbeitseinsatz in der deutschen <strong>Landwirtschaft</strong><br />
Tabelle 3. Arbeitskräftebesatz landwirtschaftlicher Betriebe 1)<br />
Arbeitseinsatz in AK-Einheiten 2) je 100 ha LF im Jahr<br />
1973 1983 1993 1995 1997 1999 2001<br />
Betriebsgröße<br />
unter 5 ha LF 32,6 29,8 27,8 24,8 27,6 26,9 26,6<br />
5 bis 10 ha LF 15,9 13,1 10,7 10,0 9,8 9,8 9,3<br />
10 bis 20 ha LF 10,8 9,4 7,6 7,2 6,9 6,7 6,3<br />
20 bis 30 ha LF 7,5 6,9 5,9 5,6 5,4 5,4 5,2<br />
30 bis 50 ha LF 5,3 5,0 4,4 4,2 4,0 4,0 3,8<br />
50 bis 100 ha LF 3,8 3)<br />
Früheres Bundesgebiet<br />
3,4 2,9 2,8 2,7 2,7 2,6<br />
100 oder mehr ha LF 2,7 1,9 1,8 1,7 1,7 1,7<br />
insgesamt 10,0 7,8 5,5 4,9 4,5 4,3 4,0<br />
Neue Bundesländer<br />
Betriebsgröße<br />
unter 5 ha LF 62,3 61,5 46,9 52,0 54,7<br />
5 bis 10 ha LF 14,6 12,1 9,6 10,8 8,1<br />
10 bis 20 ha LF 6,9 7,0 5,5 5,5 5,4<br />
20 bis 30 ha LF 5,1 5,1 4,7 4,5 4,2<br />
30 bis 50 ha LF 4,7 3,6 3,7 3,5 3,1<br />
50 bis 100 ha LF 3,2 2,7 2,4 2,8 2,5<br />
100 oder mehr ha LF 2,4 1,9 1,7 1,7 1,6<br />
insgesamt 2,8 2,3 2,1 2,0 1,9<br />
Deutschland<br />
Betriebsgröße<br />
unter 5 ha LF 29,5 26,7 29,0 28,7 28,7<br />
5 bis 10 ha LF 10,8 10,1 9,8 9,8 9,3<br />
10 bis 20 ha LF 7,6 7,2 6,8 6,6 6,3<br />
20 bis 30 ha LF 5,9 5,6 5,4 5,4 5,1<br />
30 bis 50 ha LF 4,4 4,1 4,0 4,0 3,8<br />
50 bis 100 ha LF 2,9 2,7 2,7 2,7 2,6<br />
100 oder mehr ha LF 2,3 1,9 1,7 1,7 1,6<br />
insgesamt 4,7 4,1 3,7 3,6 3,3<br />
1) Bis 1997 landwirtschaftliche Betriebe mit 1 oder mehr ha LF. Ab 1999 Betriebe mit 2 oder<br />
mehr ha LF. Jeweils auch Betriebe mit Mindestgrößen an ausgewählten Tierbeständen oder Spezialkulturen<br />
2) Eine AK-Einheit entspricht dem Arbeitseinsatz einer vollbeschäftigten und nach ihrem Alter<br />
voll leistungsfähigen Person<br />
3) Einschließlich Betriebe mit 100 oder mehr ha LF<br />
Quelle: (2; 34; Eigene Berechnungen)<br />
251<br />
man anstelle der Zahl der Arbeitskräfte, die in der <strong>Landwirtschaft</strong> wegen der Verbreitung<br />
von Teilzeit- und Saisonarbeit nur eingeschränkt aussagekräftig ist, die AK-Einheiten,<br />
die dem Arbeitseinsatz von Vollbeschäftigten entsprechen, je Betrieb verwendet, ergibt<br />
sich, dass die landwirtschaftlichen Betriebe im früheren Bundesgebiet durchschnittlich<br />
kleiner geworden sind, denn der Arbeitseinsatz hat sich zwischen 1973 und 2001 von<br />
durchschnittlich rund 1,3 auf 1,1 AK-Einheiten je Betrieb vermindert. Eine Verminderung<br />
des durchschnittlichen Arbeitseinsatzes je Betrieb ist seit 1993 auch in den neuen<br />
Bundesländern zu beobachten. Dort war allerdings die durchschnittliche Zahl der AK-<br />
Einheiten erheblich höher als im früheren Bundesgebiet. In den Betrieben mit 100 oder<br />
mehr ha LF verminderte sie sich beispielsweise von rund 18 im Jahr 1993 auf 9 AK-Ein-
252 Ferdinand Fasterding und Daniela Rixen<br />
heiten je Betrieb im Jahr 2001. Selbst die großen landwirtschaftlichen Betriebe in den<br />
neuen Bundesländern sind aber gemessen am Arbeitseinsatz im Durchschnitt kleiner als<br />
der Durchschnitt der Handwerksbetriebe, denn bereits in der Handwerkszählung im Jahr<br />
1995 wurden in Deutschland durchschnittlich 11 Beschäftigte je Unternehmen gezählt.<br />
Tabelle 3 weist aus, dass der durchschnittliche Arbeitskräftebesatz landwirtschaftlicher<br />
Betriebe, also die Zahl der AK-Einheiten bezogen auf die LF, in den landwirtschaftlichen<br />
Betrieben sowohl im früheren Bundesgebiet als auch in den neuen Bundesländern im<br />
Zeitablauf und mit zunehmender Betriebsgröße sinkt. Dabei ist er in den Betrieben der<br />
neuen Bundesländer insgesamt deutlich niedriger als im früheren Bundesgebiet. Das resultiert<br />
hauptsächlich aus der unterschiedlichen Betriebsgrößenstruktur, denn innerhalb<br />
der Betriebsgrößenklassen sind die Unterschiede erheblich kleiner.<br />
4 Projektion des Arbeitsangebotes<br />
Im Rahmen der Untersuchung wurden Projektionen des Arbeitsangebots an den Agrarsektor<br />
vorgenommen und mit der erwarteten Nachfrage verglichen. Die Projektionen des<br />
Angebots mit Hilfe demografischer Analysen ergaben, dass im früheren Bundesgebiet<br />
bei unveränderten Zu- und Abgangsraten der ständigen Arbeitskräfte mit einer weiteren<br />
erheblichen Verminderung der Zahl der Familienarbeitskräfte zu rechnen ist. Im Durchschnitt<br />
des früheren Bundesgebietes beträgt diese Verminderung bis zum Jahr 2021 rund<br />
64 %, in den neuen Bundesländern aber nur rund 26 %. Die Ergebnisse wurden auch für<br />
die einzelnen Bundesländer ohne die Stadtstaaten ermittelt. Dabei muss beachtet werden,<br />
dass die Eintrittswahrscheinlichkeit der Fortschreibungen nicht nur durch die sich möglicherweise<br />
ändernden Verhaltensweisen der Familienarbeitskräfte oder ihrer potenziellen<br />
Nachfolger, sondern auch durch Ungenauigkeiten bei der Erfassung der Arbeitskräftebestände<br />
beeinflusst werden kann. Trotzdem deuten die Projektionen darauf hin, dass in nahezu<br />
allen Bundesländern mit einer weiteren Beschleunigung der Verminderung der Zahl<br />
der Familienarbeitskräfte gerechnet werden muss. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen,<br />
dass das auch mit Änderungen der Rechtsform von Einzelunternehmen zusammenhängt,<br />
denn Arbeitskräfte in Personengesellschaften werden nicht zu den Familienarbeitskräften<br />
gerechnet.<br />
Die Ergebnisse der Projektionen auf der Basis der Altersstrukturen deuten darauf hin,<br />
dass die künftig zu erwartende Zahl ständiger familienfremder Arbeitskräfte in landwirtschaftlichen<br />
Betrieben, bei denen es sich um alle Arbeitskräfte in Personengesellschaften<br />
und Juristischen Personen sowie um die nicht zur Familie des Betriebsinhabers gehörenden<br />
Arbeitskräfte in Familienbetrieben handelt, im früheren Bundesgebiet mit einer<br />
geringeren Verminderungsrate abnehmen wird als in den neuen Bundesländern. Zwischen<br />
2001 und 2021 ist im früheren Bundesgebiet c. p. eine Verminderung um rund 27 % und<br />
in den neuen Bundesländern um rund 70 % zu erwarten. Es deutet sich also an, dass im<br />
früheren Bundesgebiet der Einsatz familienfremder Arbeitskräfte auch künftig weiter an<br />
Bedeutung gewinnt, während in den neuen Bundesländern die Zahl der Familienarbeitskräfte<br />
mit geringeren Raten abnimmt und sich die Zahl der familienfremden Arbeitskräfte<br />
deutlich verringert. Die Zahlen der Familienarbeitskräfte und der familienfremden<br />
Arbeitskräfte zusammengenommen weisen für den Zeitraum zwischen den Jahren 2001<br />
und 2021 im früheren Bundesgebiet eine Verminderung von rund 60 % und in den neuen<br />
Bundesländern von lediglich rund 57 % aus.<br />
Anhand der Fortschreibung demografischer Strukturen lässt sich nur die Zahl von Arbeitskräften<br />
projizieren. Angesichts der Verbreitung von Teilzeit- oder Saisonarbeit in der<br />
<strong>Landwirtschaft</strong> sind anhand der Zahlen der Arbeitskräfte noch keine direkten Aussagen<br />
<strong>über</strong> den zu erwartenden Arbeitseinsatz in den landwirtschaftlichen Betrieben möglich.
Arbeitseinsatz in der deutschen <strong>Landwirtschaft</strong><br />
253<br />
Wenn man aber unterstellt, dass sich der Arbeitseinsatz der verschiedenen Personengruppen<br />
im Projektionszeitraum nicht verändert, entspricht die Verminderung des Arbeitseinsatzes<br />
in der <strong>Landwirtschaft</strong> der Verminderung der Zahl der Arbeitskräfte. Im Durchschnitt<br />
des früheren Bundesgebietes ist unter den genannten Bedingungen bei unveränderten<br />
Ein- und Austrittshäufigkeiten von Arbeitskräften bis 2021 also eine Abnahme des<br />
Arbeitseinsatzes um 60 % zu erwarten. Das entspricht einer jährlichen Verminderung um<br />
4,5 %. In den neuen Bundesländern wäre die Abnahme mit rund 57 % oder 4 % p. a. etwas<br />
kleiner (Tab. 4).<br />
Tabelle 4. Projektionen des Arbeitseinsatzes und des Arbeitskräftebesatzes in der<br />
<strong>Landwirtschaft</strong><br />
Früheres Bundesgebiet 1)<br />
40,1 -4,5 3,7 1,5 1,6<br />
Schleswig-Holstein 39,8 -4,5 2,4 1,0 1,4<br />
Niedersachsen 34,3 -5,2 2,7 0,9 1,4<br />
Nordrhein-Westfalen 48,2 -3,6 3,7 1,8 1,4<br />
Hessen 50,9 -3,3 3,3 1,7 1,4<br />
Rheinland-Pfalz 48,9 -3,5 4,2 2,1 1,7<br />
Baden-Württemberg 45,8 -3,8 4,4 2,0 1,9<br />
Bayern 33,7 -5,3 4,5 1,5 1,6<br />
Saarland 43,5 -4,1 2,4 1,1 1,5<br />
Neue Bundesländer 1)<br />
43,4 -4,1 1,8 0,8 1,2<br />
Brandenburg 32,2 -5,5 1,6 0,5 1,3<br />
Mecklenburg-Vorpommern 46,6 -3,7 1,3 0,6 1,1<br />
Sachsen 47,0 -3,7 2,7 1,3 1,3<br />
Sachsen-Anhalt 50,3 -3,4 1,5 0,8 1,1<br />
Thüringen 42,0 -4,2 2,3 0,9 1,2<br />
Deutschland 1)<br />
Index<br />
2001<br />
gleich 100<br />
1) Ohne Stadtstaaten.<br />
Quelle: (34; Eigene Projektionen).<br />
Familienarbeitskräfte und ständige familienfremde Arbeitskräfte<br />
Arbeitskrafteinheiten 2021 Arbeitskrafteinheiten je 100 ha LF<br />
Veränderung "Optimum"<br />
zwischen<br />
landw.<br />
2001 und 2021<br />
% p.a.<br />
2001 2021 Betriebe<br />
40,5 -4,4 3,1 1,2 1,5<br />
Um eine erste Plausibilitätsprüfung der Projektionsergebnisse vornehmen zu können und<br />
zu prüfen, ob die projizierte Verminderung des Arbeitseinsatzes in der <strong>Landwirtschaft</strong><br />
möglich erscheint, bzw. in welchem Ausmaß möglicherweise nicht ständige Lohnarbeitskräfte<br />
angeworben werden müssen, wird in der letzten Spalte von Tabelle 4 ein „optimaler“<br />
Besatz an Arbeitskräften ausgewiesen. Dieser fiktive Besatz ergibt sich aus dem<br />
durchschnittlichen Besatz derjenigen 25 % der Agrarberichtsbetriebe des Wirtschaftsjahres<br />
2002/03 der verschiedenen Betriebsformen, die den jeweils niedrigsten Arbeitskräftebesatz<br />
hatten. Multipliziert wurde dieser Arbeitskräftebesatz mit der von der amtlichen Statistik<br />
erhobenen Fläche dieser Betriebe im Jahr 1999. Für Gartenbaubetriebe und die „übrigen<br />
Betriebe“ wurde keine Änderung des Arbeitsbedarfs pro Flächeneinheit unterstellt.
254 Ferdinand Fasterding und Daniela Rixen<br />
Beim Vergleich ergibt sich, dass der für 2021 projizierte Arbeitseinsatz der ständigen<br />
Arbeitskräfte sowohl im früheren Bundesgebiet als auch in den neuen Bundesländern<br />
selbst dann nicht ausreichen würde, wenn alle Betriebe im Jahr 2021 so wenig Arbeitskräfte<br />
benötigen wie diejenigen mit dem gegenwärtig niedrigsten Bedarf. Der „optimale“<br />
Arbeitskräftebesatz ist nämlich im Durchschnitt höher als das Angebot, das sich aus den<br />
Fortschreibungen ergibt. Die Plausibilitätskontrolle zeigt aber auch, dass die erheblichen<br />
Verminderungen des Arbeitseinsatzes in der <strong>Landwirtschaft</strong>, auf die die Projektionen anhand<br />
der demografischen Strukturen hindeuten, nicht völlig unrealistisch sind.<br />
5 Modellrechnungen zur Nachfrage nach Arbeit<br />
Mittels Modellanalysen wurde der Nachfrage des Agrarsektors nach Arbeit intensiver<br />
nachgegangen. Dazu wurde u. a. das nicht lineare konsistente Agrarsektormodell FAR-<br />
MIS (21) der Modellfamilie der ökonomischen Institute der Bundesforschungsanstalt für<br />
<strong>Landwirtschaft</strong> (FAL) eingesetzt. Mit Hilfe dieses Modells wurden die Wirkungen der<br />
Reform der EU-Agrarpolitik auf den Arbeitsbedarf des Agrarsektors auch regional und<br />
betriebsgruppenspezifisch differenziert untersucht.<br />
Die Modellrechnungen ergaben für das Szenario „Kombimodell“, mit dem die in<br />
Deutschland im Jahr 2005 begonnene Umsetzung der Agrarreform der EU simuliert<br />
wurde, gegen<strong>über</strong> dem Referenzmodell, das von einer Fortsetzung der bisherigen Agrarpolitik<br />
unter „Agendabedingungen“ ausgegangen war, für Deutschland insgesamt im Jahr<br />
2012 einen um 0,7 % niedrigeren Arbeitsbedarf im Agrarsektor. Addiert man zu diesem<br />
Wert die Verminderung von 31,5 % hinzu, die zwischen dem Referenzjahr 1999/2000<br />
und dem Jahr 2012 auch unter Referenzbedingungen zu erwarten gewesen wäre, ergibt<br />
sich eine Verminderung des Arbeitsbedarfs von insgesamt rund 32,2 %. Da das Modell<br />
nicht den gesamten Arbeitseinsatz im Agrarsektor abbildet, wurde die Verminderung des<br />
Arbeitsbedarfs auf den in der amtlichen Statistik ausgewiesenen Arbeitseinsatz bezogen.<br />
In dieser Statistik wird für das Jahr 1999 ein Arbeitseinsatz von 612 000 und für das Jahr<br />
2001 von 561 000 AK-Einheiten in den landwirtschaftlichen Betrieben in Deutschland<br />
ausgewiesen. Mittelt man diesen Wert, ergeben sich rund 587 000 AK-Einheiten. Eine Verminderung<br />
um 32,2 %, also um rund 188 000 AK-Einheiten, die unter den Bedingungen<br />
des Kombimodells zu erwarten ist, führt zu einem Bedarf von rund 399 000 AK-Einheiten<br />
im Jahr 2012. Es zeigt sich also, dass sowohl bei einer Fortsetzung der Agrarpolitik unter<br />
„Agendabedingungen“ als auch bei einer Umsetzung der EU-Agrarpolitik in Deutschland<br />
mit einem deutlich verminderten Arbeitsbedarf im Agrarsektor zu rechnen ist.<br />
Für die verschiedenen Betriebsformen ergaben die Modellrechnungen bei der Umsetzung<br />
des „Kombimodells“ gegen<strong>über</strong> der Referenz, dass der Arbeitseinsatz in den Marktfruchtbetrieben<br />
mit Abstand am deutlichsten zurück geht und die Verminderung in den<br />
Futterbaubetrieben am niedrigsten ist. Letzteres ist damit zu erklären, dass die Milchviehhaltung,<br />
die am meisten Arbeitskräfte bindet, bei Fortbestehen der Quotenregelung<br />
nur geringe Produktionseinschränkungen hinnehmen muss. Betroffen sind lediglich die<br />
arbeitsextensiven Verfahren Bullenmast und Mutterkuhhaltung.<br />
Bei einer regionalen Differenzierung zeigen die Modellrechnungen für das „Kombimodell“,<br />
dass in der Region Nord, zu der die Länder Schleswig-Holstein, Niedersachsen<br />
und Nordrhein-Westfalen zusammengefasst wurden, der Arbeitseinsatz gegen<strong>über</strong> der Referenz<br />
„Agendabedingungen“ insgesamt um rund 2 % zurückgeht. Für die Region Mitte,<br />
zu der Hessen, Rheinland-Pfalz und das Saarland gerechnet wurden, weisen die Modellrechnungen<br />
nur einen um 0,2 % niedrigeren Arbeitseinsatz aus. In der Region Süd, zu<br />
der Bayern und Baden-Württemberg zusammengefasst wurden, ergaben die Modellrechnungen,<br />
dass die Einführung des „Kombimodells“ gegen<strong>über</strong> der Referenz nur zu einer
Arbeitseinsatz in der deutschen <strong>Landwirtschaft</strong><br />
255<br />
unwesentlichen Veränderung des Arbeitseinsatzes führt. Und für die Region Ost – also die<br />
Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen<br />
– ergab sich ein um 0,6 % niedrigerer Arbeitseinsatz. Die Modellrechnungen ergaben<br />
also bei der Umsetzung des „Kombimodells“ gegen<strong>über</strong> der Referenz für die unterschiedlichen<br />
Regionen, dass der Arbeitsbedarf des Agrarsektors in der Region Nord gefolgt von<br />
der Region Ost sowohl absolut als auch relativ am deutlichsten zurück geht.<br />
Um die möglichen Wirkungen alternativer agrarpolitischer Maßnahmen zu simulieren,<br />
wurden Variationsrechnungen vorgenommen. In einem Szenario wurde mit einer Lohnerhöhung<br />
von 4 anstelle der 2 % pro Jahr, die im Szenario „Kombimodell“ unterstellt<br />
wurden, gerechnet. Dabei ergab sich eine Verminderung des Arbeitsbedarfs um insgesamt<br />
38,1 %, also eine um nahezu 6 Prozentpunkte höhere Verminderungsrate als beim Szenario<br />
„Kombimodell“. Ausgehend von rund 587 000 AK-Einheiten ergab sich bei der genannten<br />
Lohnerhöhung für das Jahr 2012 also eine Verminderung des Arbeitseinsatzes auf rund<br />
363 000 AK-Einheiten.<br />
Anhand von Modellrechnungen mit veränderten Raten der Einführung technischer<br />
Fortschritte sowie niedrigeren Lohnsteigerungen sollte simuliert werden, wie groß die<br />
Spielräume für die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze im Agrarsektor sind. Rechnungen<br />
mit einem Szenario, in dem unterstellt wurde, dass sich der Arbeitsbedarf durch die Einführung<br />
technischer Fortschritte in der <strong>Landwirtschaft</strong> lediglich um 0,7 anstelle von<br />
1,75 % p. a. vermindert, ergaben gegen<strong>über</strong> der Referenz „Agendabedingungen“ einen<br />
Mehrbedarf an Arbeit von 13,1 %. Saldiert mit der Verminderung des Arbeitsbedarfs gegen<strong>über</strong><br />
1999/2000 (31,5 %) ergibt sich eine Verminderung um 18,4 % auf rund 479 000<br />
AK-Einheiten. Analog ergab sich für ein Szenario, in dem unterstellt wurde, dass keine<br />
Lohnsteigerungen erfolgen, eine Verminderung um 24,7 % auf rund 442 000. In keiner<br />
Modellrechnung war der Arbeitsbedarf im Jahr 2012 aber höher als 1999/2000. Es wurde<br />
also lediglich eine niedrigere Verminderung als beim Szenario „Kombimodell“ oder dem<br />
Szenario mit höheren Lohnsteigerungen ermittelt.<br />
Die Projektionen des Arbeitsangebots der Familienarbeitskräfte und der ständigen<br />
Lohnarbeitskräfte ergaben für das Jahr 2009 rund 376 000 und für 2013 314 000 AK-Einheiten.<br />
Linear interpoliert ergeben sich daraus für 2012 rund 330 000 AK-Einheiten. Unterstellt<br />
man, dass sich das Arbeitsangebot um den im Jahr 2001 beobachteten Anteil des<br />
Arbeitseinsatzes der Saisonarbeitskräfte, der 6,3 % des gesamten Arbeitseinsatzes betrug,<br />
erhöht, ergibt sich für das Jahr 2012 unter den genannten Bedingungen ein Arbeitsangebot<br />
in der deutschen <strong>Landwirtschaft</strong> von rund 352 000 AK-Einheiten.<br />
Beim Vergleich der Ergebnisse der Modellrechnungen mit den Projektionen auf der<br />
Basis demografischer Analysen deutet sich also bei unveränderten Zu- und Abgängen<br />
von Arbeitskräften in bzw. aus der <strong>Landwirtschaft</strong> sowie einem unveränderten Arbeitseinsatz<br />
der verschiedenen Arbeitskräftekategorien mittel- und längerfristig zumindest auf<br />
den ersten Blick ein zu geringes Arbeitsangebot an. Daraus muss nicht notwendigerweise<br />
ein Arbeitskräftemangel in der <strong>Landwirtschaft</strong> resultieren, denn die Projektionen der Entwicklung<br />
des Arbeitsangebots basieren einerseits auf demografischen Analysen und daraus<br />
abgeleiteten Fortschreibungen der Zahl der Arbeitskräfte in der <strong>Landwirtschaft</strong> und<br />
andererseits auf einem angenommenen konstanten durchschnittlichen Arbeitsvolumen der<br />
Familienarbeitskräfte und der Lohnarbeitskräfte. Durch Verlängerung von Arbeitszeiten<br />
oder Erhöhung der Zahl der Arbeitstage insbesondere der mit betrieblichen Arbeiten teilbeschäftigten<br />
Arbeitskräfte lassen sich vermutlich noch Arbeitsreserven ausschöpfen.<br />
Auch der Einsatz saisonal beschäftigter Lohnarbeitskräfte sowie der Einsatz von Lohnunternehmern,<br />
die dann ihrerseits allerdings wieder Arbeitskräfte – möglicherweise aber mit<br />
anderen Qualifikationsanforderungen – benötigen, kann weiter ausgedehnt werden.<br />
Trotzdem deutet sich an, dass die oben genannten Anpassungsreaktionen nicht ausreichen<br />
werden und ein größerer Teil der zumeist im Zuge des Generationswechsels aus der
256 Ferdinand Fasterding und Daniela Rixen<br />
<strong>Landwirtschaft</strong> ausscheidenden Familien- und Lohnarbeitskräfte ersetzt werden muss als<br />
dies in den letzten Jahren zu beobachten war. Wenn dies nicht gelingt, wird der Mangel<br />
an Fachkräften, der sich anhand von Befragungsergebnissen (13) sowie der <strong>über</strong>schlägigen<br />
Kalkulationen zur Einordnung der Ergebnisse der Projektionen mittels demografischer<br />
Modelle bereits angedeutet hat, künftig voraussichtlich zunehmen. Anhand der<br />
Modellrechnungen wird aber auch deutlich, dass die Spielräume für eine Verbesserung<br />
der Entlohnung der Arbeitskräfte in der <strong>Landwirtschaft</strong> c. p. kleiner werden, wenn sich der<br />
Arbeitseinsatz im Agrarsektor nicht an veränderte Rahmenbedingungen anpasst.<br />
6 Beschäftigungswirkungen ausgewählter politischer Maßnahmen<br />
Wegen der Vielzahl politischer Maßnahmen konnte im Rahmen der Untersuchung nur<br />
eine Auswahl aus den insgesamt möglichen Förderungsmöglichkeiten zur Schaffung und<br />
Erhaltung von Arbeitsplätzen in ländlichen Räumen analysiert werden. Lediglich die möglichen<br />
Folgen einer Ausdehnung der „Ökologischen <strong>Landwirtschaft</strong>“ sowie ausgewählte<br />
agrarstrukturpolitische Maßnahmen werden im Folgenden hinsichtlich ihrer Wirkungen<br />
auf die ländlichen Arbeitsmärkte diskutiert. Dargestellt werden auch Ergebnisse der Evaluation<br />
von Maßnahmen, die im Rahmen der Entwicklungspläne Ländlicher Raum (EPLR)<br />
durchgeführt wurden. Zum Vergleich wird auf die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung<br />
der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GA) in ländlichen Räumen eingegangen.<br />
6.1 Ökologischer Landbau<br />
Befürworter des ökologischen Landbaus verweisen häufig darauf, dass ökologisch wirtschaftende<br />
landwirtschaftliche Betriebe <strong>über</strong> die Umweltaspekte hinaus regionalwirtschaftliche<br />
Vorteile haben. Im Vergleich zur konventionellen <strong>Landwirtschaft</strong> verspricht<br />
man sich größere regionale Beschäftigungseffekte von einem höheren Arbeitsbedarf in<br />
ökologisch wirtschaftenden landwirtschaftlichen Betrieben und von einem zusätzlichen<br />
Arbeitseinsatz im der <strong>Landwirtschaft</strong> vor- und nachgelagerten Bereich (11).<br />
Die Analyse der vorliegenden Literatur ergab, dass der Arbeitseinsatz in ökologisch<br />
wirtschaftenden Ackerbau-, Gemischt- und Gartenbaubetrieben zwar höher ist als in konventionell<br />
bewirtschafteten Betrieben, dass er in ökologisch wirtschaftenden Futterbaubetrieben<br />
dagegen häufig niedriger ist (28; 29). Trotzdem kann man aber davon ausgehen,<br />
dass der Arbeitseinsatz je ha LF in den ökologisch wirtschaftenden Betrieben im<br />
Durchschnitt höher ist als in vergleichbaren konventionell bewirtschafteten Betrieben. Die<br />
für das Wirtschaftsjahr 2002/03 ausgewiesenen Ergebnisse des Ernährungs- und agrarpolitischen<br />
Berichts der Bundesregierung weisen im Durchschnitt einen um rund 36 %<br />
höheren Arbeitseinsatz aus. Anhand der aus den Buchführungen der Betriebe des Testbetriebsnetzes<br />
resultierenden Ergebnisse wird aber auch deutlich, dass der Mehraufwand in<br />
Futterbaubetrieben mit rund 25 % erheblich niedriger war als in den Ackerbaubetrieben,<br />
in denen er rund 51 % betrug, und den Gemischtbetrieben mit rund 46 %.<br />
Eine bundesweite Erhebung in ökologisch wirtschaftenden Betrieben (38) ergab u. a.,<br />
dass der Arbeitskräftebesatz, gemessen in AK-Einheiten je 100 ha LF, in den untersuchten<br />
ökologisch wirtschaftenden Haupterwerbsbetrieben ähnlich wie in den konventionellen<br />
Betrieben mit zunehmender Betriebsgröße abnimmt. Das resultiert in den ökologischen<br />
Betrieben teilweise daraus, dass kleinere Betriebe einen wesentlich größeren Teil ihrer<br />
Arbeitskapazität in der Verarbeitung und Vermarktung einsetzen als die größeren Betriebe.<br />
Anhand der Erhebung ergaben sich hinsichtlich des Arbeitseinsatzes auch Unterschiede<br />
zwischen dem früheren Bundesgebiet und den neuen Bundesländern. In den neuen Bundesländern<br />
wurden in der landwirtschaftlichen „Urproduktion“ im Durchschnitt weniger
Arbeitseinsatz in der deutschen <strong>Landwirtschaft</strong><br />
257<br />
als zwei Arbeitskräfte je 100 ha LF und in den Ländern des früheren Bundesgebiets zwischen<br />
3,7 und 4,2 Arbeitskräfte je 100 ha LF eingesetzt. Da dar<strong>über</strong> hinaus im früheren<br />
Bundesgebiet ein höherer betrieblicher Arbeitseinsatz auf die Vermarktung oder hofeigene<br />
Verarbeitung der Produkte entfiel als in den neuen Bundesländern, ist der Abstand zwischen<br />
dem Arbeitskräftebesatz insgesamt sogar noch größer.<br />
Ein Vergleich des Arbeitskräftebesatzes in ökologischen Betrieben mit dem konventioneller<br />
Betriebe auf der Basis von Kreisdaten (28) ergab, dass der durchschnittliche<br />
Arbeitskräftebesatz in ökologisch bewirtschafteten Betrieben in Deutschland im Jahr 1999<br />
bei rund 3 AK-Einheiten gegen<strong>über</strong> rund 2 AK-Einheiten je 100 ha im konventionellen<br />
Landbau lag. In einer Vielzahl von Kreisen war aber der Arbeitskräftebesatz der ökologisch<br />
wirtschaftenden Betriebe im Durchschnitt niedriger als in konventionellen Betrieben.<br />
Zu diesen Regionen gehören auch Teile der neuen Bundesländer, in denen u. a.<br />
ein geringerer Aufwand bei der Vermarktung der Produkte vorherrscht. Die Regionen,<br />
in denen der durchschnittliche Arbeitskräftebesatz höher als in konventionellen Betrieben<br />
war, finden sich dagegen <strong>über</strong>wiegend in Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen,<br />
Rheinland-Pfalz, Thüringen und Sachsen. In der Untersuchung konnte<br />
aber auch gezeigt werden, dass zumindest ein Teil des höheren Arbeitskräftebesatzes in<br />
ökologischen Betrieben auf die spezielle Bewirtschaftungsweise zurückzuführen ist, also<br />
durch einen erhöhten Arbeitsbedarf der ökologischen Betriebe in der landwirtschaftlichen<br />
Primärproduktion und nicht nur durch strukturelle Unterschiede zwischen den Betriebsgruppen<br />
erklärt werden kann.<br />
Anhand einer Untersuchung inwieweit der ökologische Landbau positive Wirkungen<br />
auf die Regionalentwicklung haben kann, die <strong>über</strong> die der konventionellen <strong>Landwirtschaft</strong><br />
hinausgehen, wurde deutlich, dass der ökologische gegen<strong>über</strong> dem konventionellen Landbau<br />
nicht per se positive Beschäftigungswirkungen in ländlichen Räumen hat, dass die<br />
Beschäftigungsmultiplikatoren sogar niedriger sein können als die der konventionellen<br />
<strong>Landwirtschaft</strong>. Das hängt damit zusammen, dass bei einer Ausweitung des ökologischen<br />
Landbaus in den Öko-Betrieben selbst und in den vor- und nachgelagerten Unternehmen<br />
zwar Arbeitsplätze geschaffen werden, aber gleichzeitig Verluste im Bereich des konventionellen<br />
Landbaus entstehen können, welche die Arbeitsplatzzunahmen <strong>über</strong>kompensieren.<br />
Die Effekte hängen davon ab, inwieweit der der <strong>Landwirtschaft</strong> vor- und nachgelagerte<br />
Bereich in der jeweils betrachteten Region mit der <strong>Landwirtschaft</strong> verflochten ist<br />
und ob es gelingt, auch für Produkte des ökologischen Landbaus entsprechende Be- und<br />
Verarbeitungs- bzw. Vermarktungskapazitäten in den jeweiligen Regionen zu schaffen<br />
(22; 11). Sofern keine ausreichende kaufkräftige Nachfrage nach den Produkten des ökologischen<br />
Landbaus vorliegt, besteht daher die Gefahr, dass eine Subventionierung des<br />
ökologischen Landbaus hinsichtlich der Schaffung oder Erhaltung von Arbeitsplätzen in<br />
ländlichen Räumen beispielsweise Strategien unterlegen ist, die die gewerbliche regionale<br />
Wirtschaft fördern.<br />
6.2 Agrarstrukturpolitik<br />
Beschäftigungswirkungen der Agrarstrukturpolitik werden am Beispiel der Flurbereinigung<br />
und der einzelbetrieblichen Investitionsförderung landwirtschaftlicher Betriebe, auf<br />
die, wenn man den Wegebau einbezieht, im Jahr 2002 zusammengenommen rund 37 %<br />
der im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“<br />
(GAK) eingesetzten Bundesmittel fielen, aufgezeigt.<br />
Mit der Flurbereinigung wird ein breites Zielspektrum angestrebt, das keine ausreichende<br />
Basis für die Ableitung eines in sich geschlossenen Zielsystems bietet. Vor diesem<br />
Hintergrund wird lediglich auf das Ziel der Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen<br />
im Rahmen der Flurbereinigung eingegangen. Beschäftigungswirkungen von Program-
258 Ferdinand Fasterding und Daniela Rixen<br />
men zur Förderung der <strong>Landwirtschaft</strong> und ländlicher Räume lassen sich wie folgt unterscheiden<br />
(16):<br />
● Entstehung von vor<strong>über</strong>gehenden oder befristeten Beschäftigungseffekten, ausgelöst<br />
durch Fördergelder, die für die Erstellung oder die Nachfrage einer Leistung eingesetzt<br />
werden (z. B. in der Bauphase, im Projektmanagement, in der Beratung).<br />
● Entstehung dauerhafter Beschäftigungseffekte in Form neuer oder umgewandelter oder<br />
gesicherter Arbeitsplätze als Folge direkter betrieblicher Investitionen.<br />
●<br />
Entstehung dauerhafter Beschäftigungseffekte in Form neuer oder umgewandelter<br />
bzw. gesicherter Arbeitsplätze als indirekte Folge von Maßnahmen zur Verbesserung<br />
der Standortattraktivität und des Humankapitals.<br />
Da die vor<strong>über</strong>gehenden, quasi mit dem Produktionsprozess verbundenen Wirkungen<br />
auf die Beschäftigung allenfalls im Rahmen von Konjunkturprogrammen zur Beurteilung<br />
der relativen Vorzüglichkeit von alternativen politischen Maßnahmen herangezogen<br />
werden können, werden hier nur mittel- und langfristige Wirkungen der Maßnahmen auf<br />
die Erhaltung oder Schaffung von Arbeitsplätzen berücksichtigt. Empirische Analysen<br />
(20) ergaben deutliche Verbesserungen der Wirtschaftlichkeit des Arbeitseinsatzes in den<br />
landwirtschaftlichen Betrieben flurbereinigter Teilgemeinden. Die für die Verbesserung<br />
der Arbeitsproduktivität ausschlaggebenden Einsparungen an Arbeitszeit wurden durch<br />
eine zweckmäßigere, auf die Bedürfnisse einer modernen Bewirtschaftungstechnik ausgerichtete<br />
Neugestaltung der Feldflur erreicht. Die Flurbereinigung hat also offensichtlich<br />
die Arbeitsproduktivität in den landwirtschaftlichen Betrieben erhöht und damit c. p. einen<br />
Beitrag zur Verminderung des Arbeitseinsatzes in der <strong>Landwirtschaft</strong> geleistet. Das<br />
muss jedoch nicht im Widerspruch zu dem Ziel der Schaffung oder Erhaltung von Arbeitsplätzen<br />
in der <strong>Landwirtschaft</strong> und in ländlichen Räumen stehen, denn die Erleichterung<br />
von Anpassungen an veränderte Rahmenbedingungen kann ein wichtiger Beitrag<br />
zur Existenzsicherung landwirtschaftlicher Betriebe sein und wirkt dadurch auch positiv<br />
auf ländliche Arbeitsmärkte. Angesichts bestehender Alternativen zur Flurbereinigung für<br />
landwirtschaftliche Zwecke, die z. B. durch den Nutzungstausch landwirtschaftlich genutzter<br />
Flächen gegeben sind, dürften die Kosten der Flurbereinigung für diesen Zweck<br />
allerdings zu hoch sein.<br />
Mit der Agrarinvestitionsförderung (15) werden investive Maßnahmen in landwirtschaftlichen<br />
Betrieben u. a. zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit durch Rationalisierung<br />
und Kostensenkung sowie durch Diversifizierung der Unternehmen gefördert. Die<br />
Investitionsförderung soll als „Hilfe zur Selbsthilfe“ einer ausreichenden Zahl landwirtschaftlicher<br />
Betriebe ermöglichen, auch bei einem Abbau von produktgebundenen Subventionen<br />
als wettbewerbsfähige Betriebe weiterzubestehen. Noch stärker als beispielsweise<br />
mit der Flurbereinigung werden mit der Investitionsförderung also agrarpolitische<br />
Ziele im engeren Sinn verfolgt. Sofern es gelingt, landwirtschaftlichen Betrieben mit einer<br />
solchen Förderung Anpassungen an sich verändernde Rahmenbedingungen zu erleichtern<br />
und damit ein Beitrag zur Aufrechterhaltung der Agrarproduktion in bestimmten Regionen<br />
bzw. an „Grenzstandorten“ geleistet wird, können aus der Förderung neben der Sicherung<br />
von Arbeitsplätzen in den geförderten Betrieben auch indirekte Beschäftigungseffekte in<br />
der <strong>Landwirtschaft</strong> vor- und nachgelagerten Betrieben ländlicher Räume resultieren, denn<br />
angesichts der häufig geringen Transportwürdigkeit von Inputs und Outputs der landwirtschaftlichen<br />
Betriebe sind sie mit der gewerblichen Wirtschaft verflochten. Veränderungen<br />
der Agrarproduktion können also auch indirekte Wirkungen auf die Beschäftigung in ländlichen<br />
Räumen haben.<br />
Empirische Analysen (15) deuten darauf hin, dass die Investitionsförderung Beiträge<br />
zum Ziel der Verbesserung der Wettbewerbfähigkeit landwirtschaftlicher Betriebe leisten<br />
kann, denn offensichtlich war mit den Investitionen häufig die Einführung technischer<br />
Fortschritte verbunden, die – wie bei der Flurbereinigung – zur Steigerung der Arbeitspro-
Arbeitseinsatz in der deutschen <strong>Landwirtschaft</strong><br />
259<br />
duktivität führten. Die für die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit nötige Steigerung der<br />
Arbeitsproduktivität in den geförderten Betrieben führt c. p. aber selbst dann zu einer Verminderung<br />
des Arbeitseinsatzes in der <strong>Landwirtschaft</strong>, wenn in den geförderten Betrieben<br />
trotz der Zunahme der Arbeitsproduktivität der Arbeitseinsatz wegen der Ausdehnung der<br />
Produktionskapazität zunimmt, denn diese Zunahme wird durch Abnahmen in schrumpfenden<br />
oder aus der Produktion ausscheidenden Betrieben zumeist <strong>über</strong>kompensiert. Die<br />
sich aus dem Produktionsprozess ergebende Nachfrage des Agrarsektors nach Arbeit vermindert<br />
sich also unter sonst gleichen Bedingungen. Vermutlich ist die Investitionsförderung<br />
aber nicht die Ursache für diesen Prozess, sie beschleunigt ihn lediglich und kann<br />
durch die Förderung der notwendigen Anpassungen als indirekter Beitrag zur Erhaltung<br />
von Arbeitsplätzen in der <strong>Landwirtschaft</strong> angesehen werden.<br />
Ein direkter Beitrag kann durch die Förderung der Diversifizierung der Produktion<br />
erzielt werden. Durch diese Förderung können Einkommenspotenziale für die landwirtschaftlichen<br />
Betriebe erschlossen und dadurch Beiträge zur Schaffung oder Erhaltung von<br />
Arbeitsplätzen in den geförderten Betrieben geleistet werden. Inwieweit dies allerdings<br />
zu einem Arbeitsplatzabbau in den der <strong>Landwirtschaft</strong> vor- oder nachgelagerten Betrieben<br />
führt und wie effizient diese Förderung im Vergleich zu alternativen Maßnahmen zur<br />
Erhaltung oder Schaffung von Arbeitsplätzen in ländlichen Räumen ist, kann noch nicht<br />
abschließend diskutiert werden.<br />
6.3 Ländliche Entwicklungspolitik<br />
Ein wesentliches Ziel der oben genannten Maßnahmen ist die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit<br />
landwirtschaftlicher Betriebe. Die Erhaltung oder Schaffung von Arbeitsplätzen<br />
in ländlichen Räumen steht dabei nicht im Mittelpunkt. Inwieweit dieses<br />
Ziel für Programme gilt, in denen die ganzheitliche Entwicklung ländlicher Räume ein<br />
größeres Gewicht hat, wird anhand der Ergebnisse vorliegender Evaluationen diskutiert.<br />
Diese Evaluationen unterscheiden sich methodisch und haben inhaltlich stark voneinander<br />
abweichende Ergebnisse. Verallgemeinernde abschließende Beurteilungen der Beschäftigungswirkungen<br />
sind daher kaum zu erwarten.<br />
Obwohl Maßnahmen der so genannten ländlichen Entwicklungspolitik häufig nicht<br />
explizit auf die Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen zielen, werden im Folgenden<br />
Beschäftigungswirkungen dieser Politik mit denen von Maßnahmen im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe<br />
„Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GA) verglichen.<br />
Die GA-Maßnahmen werden in Regionen, deren Wirtschaftskraft erheblich unter dem<br />
Bundesdurchschnitt liegt, durchgeführt. Es handelt sich dabei häufig um ländliche Regionen<br />
oder alte Industrieregionen mit erheblichen Strukturproblemen. Zu den strukturschwachen<br />
Regionen werden auch die neuen Länder und Ost-Berlin gezählt, die einen<br />
historischen Umstrukturierungsprozess von einer Plan- zu einer Marktwirtschaft zu bewältigen<br />
haben.<br />
Aus der Analyse vorliegender Untersuchungen (14) ergibt sich, dass ländliche Räume<br />
von der Förderung im Rahmen der regionalen Wirtschaftspolitik erheblich profitieren.<br />
Vermutlich sind die Beiträge dieser Politik zur Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen<br />
auch in diesen Räumen Deutschlands sogar höher als die der ländlichen Entwicklungspolitik.<br />
Wenn man den Fördermitteleinsatz dieser Politik je einem neu geschaffenen oder<br />
gesicherten Arbeitsplatz mit dem Mittelaufwand im Rahmen der GA vergleicht, deutet<br />
sich hinsichtlich der Schaffung von Arbeitsplätzen ein Effizienzvorsprung der Förderung<br />
gewerblicher Betriebe im Rahmen der GA an. Da mit der Förderung nicht nur arbeitsmarktpolitische<br />
Ziele verfolgt werden, reicht der Vergleich allerdings keinesfalls für eine<br />
Evaluation der genannten Politiken aus. Solche Evaluationen lassen sich auf der Basis<br />
der vorliegenden Informationen nicht durchführen und bleiben weiteren Untersuchungen
260 Ferdinand Fasterding und Daniela Rixen<br />
vorbehalten. Um Rückschlüsse auf die Wirksamkeit und Effizienz der unterschiedlichen<br />
Fördermaßnahmen ziehen zu können, sind aber systematische vergleichende Analysen<br />
der Beschäftigungswirkungen von Maßnahmen im Rahmen der Gemeinschaftsaufgaben<br />
bzw. eines Verzichts auf spezielle Fördermaßnahmen zugunsten von Steuersenkungen erforderlich.<br />
Da die im Rahmen der GAK durchgeführte Förderung häufig nicht in erster Linie auf<br />
die Schaffung oder Erhaltung von Arbeitsplätzen zielt, wurde im Rahmen der Analyse<br />
der Beschäftigungsmöglichkeiten im Agrarsektor und der Beschäftigungseffekte agrarpolitischer<br />
Maßnahmen (14) auch untersucht, ob die so genannten Kofinanzierungen im<br />
Rahmen der Gemeinschaftsaufgaben (25) dazu beigetragen haben könnten, dass eine stärkere<br />
Fokussierung der Politik auf das Beschäftigungsziel unterblieben ist. Dabei ergab<br />
sich, dass durch die Zweckbindung von Fördermitteln im Rahmen der GAK Mittel gebunden<br />
werden, die möglicherweise in alternativer Verwendung größere Beiträge zur Beschäftigung<br />
leisten könnten. Die Forderung nach einer Entflechtung der Finanzierung zur<br />
Rückgewinnung eigenständiger politischer Gestaltungsspielräume von Bund und Ländern<br />
dürfte daher auch für die GAK gelten.<br />
Zusammenfassung<br />
Die Untersuchung zeigt, dass sich der Arbeitseinsatz in der deutschen <strong>Landwirtschaft</strong> weiter vermindern<br />
wird. Trotzdem zeichnet sich ein gewisser Mangel an Fachkräften ab. Daraus ergibt sich<br />
für einen Teil der landwirtschaftlichen Betriebe, dass die dort tätigen Personen weiterhin außerbetriebliche<br />
Erwerbstätigkeiten aufnehmen oder ausweiten müssen. Für Betriebe, in denen sich ein<br />
Fachkräftemangel abzeichnet, ist Personalmanagement eine wichtige Führungsaufgabe. Dort sind<br />
Strategien zur Anwerbung und Ausbildung der benötigten Arbeitskräfte mit Unterstützung durch Beratung,<br />
Verbände, Politik usw. erforderlich. Möglicherweise muss das brachliegende „Potenzial der<br />
Arbeitslosen“ erschlossen werden. Für potenzielle Arbeitskräfte ergibt sich, dass sie angesichts des<br />
sich abzeichnenden Mangels an Fachkräften Chancen und Risiken der Aufnahme einer Ausbildung<br />
oder Erwerbstätigkeit in der <strong>Landwirtschaft</strong> abwägen müssen. Das gilt auch für die Familienangehörigen<br />
selbstständiger Landwirte bzw. die potenziellen Hofnachfolger. Für die Politik ergibt sich, dass<br />
Strategien zur Ausbildung bzw. Umschulung von Arbeitskräften für landwirtschaftliche Betriebe<br />
bedarfsgerecht (weiter) gefördert werden sollten. Lohnersatzleistungen können den Einsatz gering<br />
qualifizierter Arbeitskräfte erleichtern und so einem Mangel an Arbeitskräften in der <strong>Landwirtschaft</strong><br />
entgegenwirken.<br />
Sofern kaufkräftige Nachfrage nach den Produkten besteht, kann die Förderung der Umstellung<br />
auf den ökologischen Landbau oder – allgemeiner – der Diversifizierung der Agrarproduktion zur<br />
Schaffung oder Erhaltung von Arbeitsplätzen in der <strong>Landwirtschaft</strong> beitragen. Das führt aber lediglich<br />
zu niedrigeren Abnahmeraten des Arbeitseinsatzes. Die Agrarpolitik wird also auch künftig die<br />
Verminderung der Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe und der in der <strong>Landwirtschaft</strong> beschäftigten<br />
Menschen nicht verhindern können und sollte sie – angesichts der Bedeutung der Verminderung<br />
des Arbeitseinsatzes für die Steigerung der Pro-Kopf-Einkommen – auch nicht anstreben. Es<br />
gilt also nach wie vor, dass es zur Lösung der Einkommensprobleme und damit zur Sicherung von<br />
Arbeitsplätzen in der <strong>Landwirtschaft</strong> „ ... einer Integration der Agrarpolitik in die allgemeine Wirtschaftspolitik<br />
…. (insbesondere der Regionalpolitik) … “ bedarf (1, S. 68).<br />
Summary<br />
Labour Input in German Agriculture and Employment Effects of Policy Measues<br />
The study shows that the labour input in German agriculture will continue to decline. Nevertheless a<br />
certain shortage of qualified workers is emerging. For some of the agricultural holdings this results<br />
in a situation where the persons working there will have to take up or expand non-farming jobs<br />
also in the future. For holdings with an emerging shortage of qualified workers, staff management<br />
is an important managerial task. In this case, strategies to recruit and train the needed workforce<br />
are required, including support by advisory services, associations and policy-makers. Possibly the<br />
potential of the unemployed needs to be tapped. For potential workers this means that with regard to<br />
the emerging shortage of skilled workers they have to weigh up the opportunities and risks of starting<br />
a traineeship or job in the farming sector. This also applies to the family members of self-employed
Arbeitseinsatz in der deutschen <strong>Landwirtschaft</strong><br />
261<br />
farmers or potential farm successors. For policy-makers this means that they should (continue to)<br />
promote strategies to train or retrain workers for agricultural holdings in accordance with their needs.<br />
Substitute wage payments may facilitate the employment of poorly qualified workers and hence<br />
counter a shortage of farm workers.<br />
If there is a demand for the products backed by purchasing power, support to convert farming<br />
operations to an organic system, or–generally speaking–to diversify agricultural production can contribute<br />
to creating or preserving farming jobs. Yet this merely leads to lower reduction rates of the<br />
labour input. In future, too, agricultural policy will not be able to prevent the fall in the number of<br />
agricultural holdings and farm workers, and in view of the importance of the reduction of the labour<br />
input for the increase of per-capita income–, it should also refrain from trying to prevent it. Therefore<br />
it is still true that to solve income problems and hence to secure agricultural jobs an integration of<br />
agricultural policy into the general economic policy (in particular regional policy) is necessary (1,<br />
p. 68).<br />
Résumé<br />
Main d’oeuvre dans le secteur agricole allemand et effets de mesures politiques sur l’emploi<br />
L’étude montre que l’intensité de main d’oeuvre dans le secteur agricole allemand continuera à<br />
diminuer. Tout de même, une certaine pénurie de personnel spécialisé s’annonce. Pour certaines<br />
exploitations agricoles, cela a comme conséquence que les personnes y travaillant doivent accepter<br />
ou renforcer des activités rémunérées hors de l’exploitation. Pour les exploitations qui risquent de<br />
connaître une pénurie de personnel spécialisé, la gestion des ressources humaines est une tâche importante.<br />
Ils ont besoin de stratégies de recrutement et de formation de la main-d’œuvre nécessaire<br />
avec le soutien de services de conseil, d’associations et de responsables politiques. Peut-être, le<br />
« potentiel des chômeurs » laissé en jachère devrait être exploité. Vu la pénurie déjà prévisible de<br />
personnel spécialisé, les travailleurs potentiels devraient comparer les chances et les risques d’une<br />
formation ou d’une activité rémunérée dans le secteur agricole. Il en va de même pour les membres<br />
des familles d’agriculteurs indépendants et les successeurs potentiels sur les fermes. Au niveau<br />
de la politique, cela implique que des stratégies de formation ou de conversion professionnelle de<br />
personnel pour des exploitations agricoles devraient (continuer à) être soutenues conformément aux<br />
besoins. Des allocations en remplacement du salaire peuvent faciliter le recours à des travailleurs peu<br />
qualifiés et agir ainsi contre une pénurie de main-d’œuvre dans le secteur agricole.<br />
Pourvu qu’il existe une demande solvable en ces produits, la promotion de la conversion vers<br />
les méthodes de production biologique ou – plus général – vers une diversification de la production<br />
agricole peut contribuer à créer ou maintenir des emplois dans le secteur agricole. Mais cela ne<br />
mènera qu‘à un taux de réduction plus faible de la main d‘œuvre.<br />
Par conséquent, la politique agricole ne pourra pas empêcher la baisse du nombre des exploitations<br />
agricoles et des personnes travaillant dans le secteur agricole et ne devrait non plus aspirer à<br />
le faire vu l’importance de la réduction de l’intensité de la main d’œuvre pour l’accroissement du<br />
revenu par habitant.<br />
Il est donc toujours vrai que pour résoudre les problèmes de revenu et pour protéger en même<br />
temps les emplois dans le secteur agricole, il faut intégrer la politique agricole dans la politique<br />
économique générale (notamment la politique régionale) (1, page 68).<br />
Literatur<br />
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Bundesweite Erhebung und Analyse der verbreiteten Produktionsverfahren, der realisierten Vermarktungswege<br />
und der wirtschaftlichen sowie sozialen Lage ökologisch wirtschaftender Betriebe und<br />
Aufbau eines bundesweiten Praxis-Forschungs-Netzes. Landbauforschung Völkenrode, Sonderheft<br />
276, S. 153–178.<br />
Autorenanschrift: Dr. Ferdinand Fasterding und Dipl.-Ing. agr. daniela rixen Institut für<br />
Ländliche Räume (LR) und Institut für Betriebswirtschaft (BW) der<br />
Bundesforschungsanstalt für <strong>Landwirtschaft</strong> (FAL), Bundesallee 50,<br />
38116 Braunschweig, Deutschland<br />
lr@fal.de
264<br />
Jenseits des Rubikon?<br />
Der mögliche Beitrag von Systemaufstellungen und Lösungsorientierung<br />
zur Beratungsarbeit in der <strong>Landwirtschaft</strong><br />
Von hermann boland und thorsten michaelis, Gießen<br />
1 Einleitung<br />
In der Beratung geht es darum, in unklaren Situationen durch Hilfestellungen Lösungen<br />
anzuregen und zu begleiten. Dazu bedarf es für einen Berater einerseits inhaltlicher Kompetenz<br />
auf dem jeweiligen Fachgebiet. Andererseits ist methodische Kompetenz notwendig,<br />
um den Beratungsprozess teilnehmerorientiert und erfolgversprechend zu gestalten.<br />
Die Beratungsmethodik hat dazu immer schon Konzepte der Problembearbeitung und<br />
Lösungsfindung aus anderen Disziplinen <strong>über</strong>nommen und für den landwirtschaftlichen<br />
Beratungsbereich adaptiert. Ein <strong>über</strong>wiegender Teil dieser Anregungen kam aus der Psychologie<br />
und Therapie. Dabei ging es immer darum, aus den Vorlagen den methodischen<br />
Kern der Arbeitsweise herauszuarbeiten und diesen in die landwirtschaftliche Beratung<br />
zu <strong>über</strong>tragen.<br />
Derzeit werden in der psychologischen Arbeit die Konzepte der „Lösungsorientierten<br />
Beratung“ und der Systemaufstellungen oder Organisationsaufstellungen stark beachtet<br />
und diskutiert. Sie werden auch von der landwirtschaftlichen Beratung wahrgenommen.<br />
So wurden im Rahmen eines durch das Bundesprogramm Ökologischer Landbau geförderten<br />
Projektes Systemaufstellungen im landwirtschaftlichen Bereich erprobt (56).<br />
Hierzu wurde von unserer Arbeitsgruppe eine Wirkungsanalyse (9) durchgeführt. Die dabei<br />
gemachten Erfahrungen nehmen wir zum Anlass, die Thematik grundsätzlicher zu<br />
beleuchten und unsere Ergebnisse in das methodische Repertoire der landwirtschaftlichen<br />
Beratung einzuordnen.<br />
Dabei werden wir zunächst unser Beratungsverständnis und die beiden Konzepte der<br />
„Lösungsorientierten Beratung“ und der Systemaufstellungen erläutern. Nach einem Bericht<br />
<strong>über</strong> die in den Systemaufstellungen identifizierten Veränderungen werden in den abschließenden<br />
Kapiteln die Kernelemente der beiden betrachteten neuen Konzepte identifiziert<br />
und in das Beratungskonzept der landwirtschaftlichen Beratung eingeordnet. Hiermit<br />
kann dann auch die Frage beantwortet werden, ob sich durch eine zunehmende Adaption<br />
lösungsorientierter Konzepte ein neues Beratungsparadigma entwickelt.<br />
2 <strong>Landwirtschaft</strong>liches Beratungsverständnis<br />
Betrachtet man die Entwicklung der landwirtschaftlichen Beratung unter methodischen<br />
Gesichtspunkten, dann zeigen sich drei wichtige Entwicklungsphasen. Diese lösen sich<br />
nicht vollständig nacheinander ab, sondern das Verständnis und die Positionen aller<br />
Phasen schwingen weiter mit und spielen immer noch eine Rolle. Als unterschiedliche<br />
Paradigmata haben sie jedoch die praktische Beratung jeweils geprägt.<br />
U.S. Copyright Clearance Center Code Statement: 0005-9080/06/8402-264 $ 2.50/0
2.1 Direktive Beratung<br />
265<br />
Eine erste wichtige Quelle des Beratungsverständnisses ist bei Friedrich aereboe, dem<br />
Vater der landwirtschaftlichen Betriebslehre, zu finden. Er wies dem Berater die Rolle<br />
des Ersatzbetriebsleiters zu (1, s. 663). Für ihn muss der Berater in der Lage sein, bessere<br />
unternehmerische Entscheidungen im Betrieb treffen zu können als der Betriebsleiter<br />
selbst. Auch Max schönberg benennt den Druck, den der Berater auf den Betriebsleiter<br />
ausübt, als wesentliches Kriterium von Beratung (43, S. 34). Sie haben damit ein Beratungsverständnis<br />
formuliert, das als direktive Beratung benannt werden kann. Es geht<br />
von einer Fachkompetenz und Entscheidungssicherheit der Berater aus, die dem Landwirt<br />
rezepthafte Anweisungen geben. In einem direktiven Beratungsverständnis trifft der Berater<br />
die notwendigen Entscheidungen und verantwortet die im Unternehmen entstehenden<br />
Folgen.<br />
2.2 Innovationsorientierte Beratung<br />
Ersetzt für aereboe der Berater den Betriebsleiter weitestgehend, so ersetzt in den innovationstheoretischen<br />
Ansätzen der Berater die Fachkompetenz des Betriebsleiters. Aufbauend<br />
auf den ersten Studien der amerikanischen Agrarsoziologie in den 1930er-Jahren<br />
war es vor allem E. rogers (40), der die Prozesse bei der individuellen Übernahme von<br />
Neuerungen und deren Verbreitung in sozialen Gruppen darstellte. Die Erkenntnisse wurden<br />
von albrecht in den deutschen Sprachraum transferiert (3). Die daraus abgeleiteten<br />
Beratungsansätze sehen den Berater in einer Fachexperten-Position, aus der heraus er<br />
den Landwirten neue, verbesserte Materialien, Techniken und Organisationsmuster empfiehlt.<br />
Klar ist aber hier bereits die Grundposition, dass nicht der Berater Entscheidungen<br />
bestimmt, sondern der Landwirt selbst sein Handeln bestimmen soll. Der Berater verantwortet<br />
somit in einem innovationsorientierten Beratungsverständnis vor allem die Angemessenheit<br />
der inhaltlichen Empfehlungen.<br />
2.3 Problemorientierte/emanzipatorische Beratung<br />
Mit der Einführung des Gedankengutes der humanistischen Psychologie, insbesondere<br />
der nondirektiven Ansätze von Carl rogers (39) durch Erna hrUschka und H. albrecht,<br />
wurde diese Position nochmals verändert. In ihrem problemorientierten Konzept von Beratung<br />
stellen albrecht und hrUschka den Betriebsleiter ganz in den Mittelpunkt (2). Sie<br />
gehen von seiner Situation und seinen Fähigkeiten aus und sehen die Aufgabe des Beraters<br />
darin, die vorliegenden Defizite gemeinsam mit den Betroffenen zu identifizieren und<br />
daraus Lösungsansätze zu entwickeln. Für sie steht der Mensch im Mittelpunkt, statt wie<br />
bislang der Betrieb. Dies drückt sich in albrecht’s Hinweis aus, dass es keine Probleme<br />
als solche gibt, sondern es immer Menschen sind, die Probleme wahrnehmen oder haben.<br />
Somit ist Beratung nicht vorrangig die Reparatur einer Fehlausrichtung des Unternehmens,<br />
sondern eine Befähigung des Unternehmers oder Ratsuchenden zu eigenständigem<br />
zielgerichtetem Handeln. Dieser Ansatz kann als emanzipatorisch bezeichnet werden, da<br />
sein erklärtes Ziel darin besteht, keine längerfristige Abhängigkeit aufzubauen, sondern<br />
Selbständigkeit wieder herzustellen.<br />
Das Verständnis von Beratung als geistige Hilfestellung für Menschen in Problemsituationen<br />
hat sich heute in der landwirtschaftlichen und ökothrophologischen Beratung<br />
durchgesetzt (vgl. 11; 27; 28). In diesem Konzept verantworten die Beratungspartner jeweils<br />
ihr Handeln: der Berater die methodische Angemessenheit und die fachliche Richtigkeit<br />
und Vollständigkeit, der Ratsuchende die ehrliche Einbringung seiner Situation sowie<br />
die daraus folgenden Entscheidungen und Handlungen.
266<br />
In Abbildung 1 sind die drei Beratungsparadigmen voneinander abgegrenzt. Als Kriterien<br />
werden die Verantwortlichkeit für die Methodik, den Inhalt und die Entscheidung<br />
verwendet. Sie sind jeweils der Verantwortung von Berater oder Ratsuchendem zugeordnet.<br />
In der direktiven Beratung ist die ganze Verantwortung beim Berater, während in<br />
dem innovationsorientierten Konzept der Ratsuchende selbst die Entscheidung zu treffen<br />
hat. Im Problemorientierten Ansatz verantwortet der Ratsuchende auch weite Teile des<br />
Inhaltes.<br />
Abb. 1. Zuordnung von Verantwortung in verschiedenen Konzepten der<br />
landwirtschaftlichen Beratung<br />
Quelle: Eigene Darstellung<br />
Diese Zuordnung bildet im Folgenden die Basis für die Einordnung und den Bewertungsmaßstab<br />
für lösungsorientierte Konzepte und für Systemaufstellungen.<br />
Die landwirtschaftliche Beratung hat somit einerseits die Verantwortung des Landwirts<br />
für die Inhalte und die Handlungen klar betont und andererseits Anstöße aus anderen Disziplinen<br />
aufgenommen. Diese kamen, wie auch die hier zu analysierenden, aus dem psychosozialen<br />
Bereich. Das kann aber nicht bedeuten, dass die landwirtschaftliche Beratung<br />
psychologische Konzepte <strong>über</strong>nommen hat oder <strong>über</strong>nimmt. Psychologische Konzepte<br />
werden in einem therapeutischen Kontext angewendet. Dieser ist gekennzeichnet durch<br />
eine grundlegende Diagnose, die eine Behandlungsbedürftigkeit feststellt. Aufbauend hierauf<br />
bestimmt der Therapeut eine Behandlungsform. In der landwirtschaftlichen Beratung<br />
geht es nicht vorrangig um Diagnosen und Behandlungen, sondern um die gemeinsame<br />
Arbeit an Situationsanalysen und Problemlösungen. Die Beratungsansätze der landwirtschaftlichen<br />
Beratung gehen davon aus, dass der Ratsuchende prinzipiell handlungsfähig<br />
ist und selbst die zur Lösung notwendigen Schritte unternehmen kann. Dazu nutzen Berater<br />
Vorgehensweisen, die in ihren Grundmustern an therapeutischen Konzepten orientiert<br />
sind. Sie arbeiten aber auf einer von der Therapie klar unterscheidbaren Grundlage: In der<br />
landwirtschaftlichen Beratung geht es um fachliche Problemstellungen, in denen der Be-
Jenseits des Rubikon? Der mögliche Beitrag von Systemaufstellungen<br />
267<br />
rater der Fachexperte ist. Da die Probleme immer im menschlichen Entscheidungskontext<br />
auftauchen muss der Berater von der Person des Ratsuchenden her die Beratungsaufgabe<br />
angehen. Dazu setzt er Techniken ein, die aus psychotherapeutischen Konzepten entstammen<br />
und die der Berater für seine Vorgehensweise anpasst.<br />
In Abbildung 2 wird eine entsprechende Abgrenzung zwischen Therapie und Beratung<br />
analog zu Abbildung 1 vorgenommen.<br />
Abb. 2. Zuordnung von Verantwortung in den Konzepten von Therapie<br />
und Beratung<br />
Quelle: Eigene Darstellung<br />
Aus diesen Gründen sind Berater nicht nur an einer möglichst aktuellen und umfassenden<br />
Fachkenntnis interessiert, sondern suchen auch nach Anregungen für ihre Vorgehensweise<br />
im Umgang mit Ratsuchenden. Daher erhalten neue Vorgehensweisen aus dem psychosozialen<br />
Bereich immer wieder Aufmerksamkeit. In der letzten Zeit sind zwei Verfahren<br />
aufgetaucht, die im Folgenden erläutert werden sollen.<br />
3 Lösungsorientierte Therapieansätze<br />
Für die humanistische Psychologie gilt, dass der Mensch in der Lage ist, für ihn geeignete<br />
Lösungen selbst zu finden (vgl. 39). Daraus leitet die nondirektive Gesprächstherapie<br />
ihr Vorgehen ab, durch genaue und differenzierte Beschreibung und Aufdeckung einer<br />
Problemsituation aus dieser Situation heraus den Ansatz für Problembewältigung zu entwickeln.<br />
Genau gegenteilig ist die Sicht der lösungsorientierten Therapie: Für sie ist die Lösung<br />
unabhängig vom Erkennen des Problems! Deutlichster Vertreter dieser Position ist Steve<br />
de shazer, auf den sich die aktuellen Anwendungen in der Hauptsache beziehen (7). Diese<br />
Konzepte bezeichnet kaimer als „lösungsfokussiert“ und grenzt sie damit von denjenigen<br />
Konzepten ab, die er „lösungsorientiert“ nennt (31). Lösungsfokussierte Konzepte wurden<br />
von Steve de shazer und Insoo Kim berg am Brief Family Therapy Center (BFTC,<br />
Milwaukee/Wisconsin, USA) entwickelt (15).
268 Herman Boland und Thorsten Michaelis<br />
Entstanden ist dieses Konzept der lösungsfokussierten Therapie auf der Basis der Ansätze<br />
von Milton H. erickson (18), der Strategischen Therapie von Jay haley (23) und der<br />
Kurztherapie, wie sie von Weakland, Fish, WatzlaWick und bodin bereits 1980 beschrieben<br />
wurde (54). Diese Therapiekonzepte versuchten keineswegs auf eine Analyse des<br />
vorliegenden Problems zu verzichten. Vielmehr: „weil unsere Behandlungen symptombezogen<br />
sind, brauchen wir vor allem eine klare und ausführliche Darstellung des Problems“<br />
(54, S. 381). Der ausschlaggebende Ansatz für ihr Vorgehen ist die Frage danach, was das<br />
Problem aufrecht erhält. Dennoch ist in diesem Vorgehen bereits zu konstatieren, dass<br />
ein Schwerpunkt der Lösungsentwicklung gilt und das Problem lediglich in dem Rahmen<br />
analysiert wird, der für die Lösungserarbeitung relevant ist. Hieraus entwickeln sie die<br />
Zielsetzung ihrer therapeutischen Vorgehensweise.<br />
Wenn also die ersten Vertreter einer Kurztherapie noch eindeutig den Fokus bei dem<br />
vorliegenden Problem haben, so verschiebt sich der Schwerpunkt danach hin zu der Frage:<br />
wie konstruieren wir Lösungen? Als „Milwaukee-Axiom“ wird im lösungsfokussierten<br />
Ansatz die Erkenntnis charakterisiert, „dass man eine Problemlösung am schnellsten und<br />
sichersten dadurch erreicht, dass man sich von Anfang an auf die Lösung und nicht auf<br />
das Problem konzentriert“ (7, S. 11/12). „Der Therapeut weiß nicht besser, was für die<br />
Klienten gut ist, was der nächste Schritt sein soll, welcher erfolgreich ist und ob oder wie<br />
es weitergeht. Der Therapeut ist Experte dafür, diesen Prozess der Therapie zu begleiten,<br />
Fragen zu stellen, die für Klienten eine neue Perspektive eröffnen, Zielfokussierung zu<br />
fördern und zu verlangen. ... Dazu ist es allerdings nicht nötig, den Aussagen der Klienten<br />
zu misstrauen, zwischen den Zeilen zu lesen oder schlauer sein zu wollen als der Klient.<br />
Es genügt, gut zuzuhören, welche Geschichte ein Klient wie erzählt. Daraus ergeben sich<br />
Ansatzpunkte für eine Neuerfindung oder -erzählung der Geschichte, die wiederum Ressourcen<br />
freisetzen können, was den Spielraum an Möglichkeiten der Person im Denken,<br />
Handeln und Fühlen erweitern würde“ (31, S. 4). Noch schärfer stellt diese Haltung bamberger<br />
dar, der in dem Einlassen des Beraters auf den Klienten nicht den Lösungsansatz<br />
sondern ganz im Gegenteil das wichtigste Problem sieht. „Ein Therapeut der sich voll und<br />
ganz auf die Lebensprobleme des Klienten konzentriert und dabei auch noch emphatisch<br />
den korrespondierenden Gefühlen der Ohnmacht, der Verzweiflung und der Depressivität<br />
nachgeht, wird unweigerlich von diesen Gefühlen eingefangen werden“ (7, S. 17). Daher<br />
soll sich der Berater also nicht mit zu viel Kenntnissen belasten, sondern sich auf die<br />
Lösungssuche konzentrieren.<br />
Dieses Bild der Beraterrolle wird zusammengefasst mit der These der Unabhängigkeit<br />
von Problem und Lösung: „wenn ich weiß, wie ein Karren in den Dreck gefahren wurde,<br />
weiß ich noch lange nicht, wie er wieder herauszuziehen ist“ (7, S. 20).<br />
Somit kommt Bamberger zu der beraterischen Kehrtwende, die er wie folgt beschreibt:<br />
„All dies legt dem Berater nahe, auf eine detaillierte Analyse des Problems zu verzichten<br />
um sich stattdessen von Anfang an auf die Analyse einer Lösung – hier: möglicher<br />
Lösungen – zu konzentrieren und das übliche retrospektive Instrumentarium durch eine<br />
‚Einstimmung auf Zuversicht‘ zu ersetzen. ... An Stelle des Rückblicks auf Vergangenheit<br />
tritt die Vision von Zukunft und die Wirkung einer ‚Sehnsucht nach Zukunft‘ “ (7, S. 21).<br />
Das hieraus abgeleitete Arbeitsmodell sieht die vier Phasen vor (7, S. 31 ff):<br />
a. Synchronisation/Problemanalyse<br />
b. Ressourcenfokussierung/Lösungsvision<br />
c. Lösungsverschreibung<br />
d. Lösungsevaluation.<br />
Ohne auf die Schritte im Detail eingehen zu können – sie sind bei bamberger ausführlich<br />
beschrieben –, fällt die Nähe zu dem Konzept und der Nomenklatur des neurolinguistischen<br />
Programmierens (NLP) auf, die sich auch in der Vorgehensweise bestätigt (zu NLP<br />
vgl. 8; 21;5).
Jenseits des Rubikon? Der mögliche Beitrag von Systemaufstellungen<br />
269<br />
bamberger und auch kaimer sprechen von „Lösungsorientierter Beratung“. Da dies<br />
allerdings im therapeutischen Kontext geschieht, setzen sie selbstverständlich die Verantwortung<br />
des Therapeuten für die Handlungsmuster seines Patienten voraus. Dies ist, wie<br />
oben dargelegt in einem landwirtschaftlichen Beratungsverständnis nicht der Fall. Daher<br />
werden wir im Folgenden das therapeutische Verständnis von „Lösungsorientierter Beratung“<br />
immer in Parenthesen darstellen, um keine Missverständnisse zu forcieren.<br />
Zunächst soll jedoch der zweite methodische Anstoß aus psychologischer Arbeit beschrieben<br />
werden, der auch Ausgangspunkt des Projektes im Rahmen des Bundesprogramms<br />
Ökologischer Landbau war, nämlich die Systemaufstellungen.<br />
4 Systemaufstellungen<br />
Auf die Grundlagen lösungsorientierter Beratung bezieht sich auch das zweite Feld neuer<br />
methodischer Aktivitäten: Aufstellungen. Die von hellinger entwickelte Methode des<br />
Familienstellens (vgl. 25) wurde von sparrer und varga von kibéd weiterentwickelt zu<br />
systemischen Organisationsaufstellungen (vgl. 47; 51; 48; 55). Diese finden in der Organisationsentwicklung<br />
Anwendung, wie z. B. in Wirtschaftsunternehmen.<br />
Im folgenden Zusammenhang wird der Begriff „Systemaufstellungen“ verwendet, da<br />
bei landwirtschaftlichen Betrieben sowohl Familienaufstellungen als auch Organisationsaufstellungen<br />
in je nach Fall unterschiedlicher Ausprägung zum Einsatz kommen. Die<br />
Verknüpfung von Familien- und Organisationsaufstellungen unter dem Begriff Systemaufstellungen<br />
wird ebenfalls mit dem Titel der Zeitschrift „Praxis der Systemaufstellung“<br />
(vgl. z. B. 38) unterstrichen. Vor der Einordnung von Systemaufstellungen soll zunächst<br />
der Ablauf beschrieben werden.<br />
Der Prozess der Systemaufstellungen lässt sich wie folgt darstellen: In einer Gruppe<br />
bittet ein Aufstellungsleiter den Aufsteller, seine Situation oder sein Problem sowie seine<br />
Fragen zu formulieren. Dann wählt der Aufsteller für die in seiner Situation wichtigen<br />
Menschen, Funktionen oder Gegenstände aus der Teilnehmergruppe Personen als Stellvertreter<br />
aus und stellt diese im Raum so zueinander auf, wie es seiner Wahrnehmung der<br />
Situation entspricht. Wenn er mit der Anordnung zufrieden ist, tritt er zurück und nimmt<br />
nicht aktiv an der weiteren Aufstellung teil, sondern beobachtet den Verlauf gemeinsam<br />
mit den weiteren Mitgliedern der Gruppe.<br />
Der Aufstellungsleiter befragt nun jeden der Aufgestellten nach seiner Befindlichkeit<br />
und der Wahrnehmung der Position, in die er gestellt wurde. Er lässt die Stellvertreter dann<br />
ihren Impulsen zur Veränderung der Situation folgen und nimmt selbst Umstellungen vor<br />
oder bietet Vorschläge an. Nach jeder Änderung werden die Stellvertreter wieder zu ihren<br />
Wahrnehmungen und Impulsen befragt. Wenn eine stabil erscheinende Lösungskonstellation<br />
gefunden worden ist, nimmt der Aufsteller die Position seines Stellvertreters ein<br />
und erlebt sich in der Lösungskonstellation. Mit der danach erfolgenden Beendigung der<br />
Aufstellung werden die Stellvertreter auch formal wieder aus ihren Rollen entlassen.<br />
Für diesen Ablauf von Aufstellungen sind die Beschreibungen recht einheitlich (siehe<br />
48; 29; 22). In einer Reihe von Ansätzen, so vor allem in den Darstellungen von hellinger,<br />
erfolgt jedoch auch noch die Umsetzung von Lösungen. Diese Phase steht für viele<br />
sogar im Mittelpunkt der gesamten Aufstellung. Es werden Umsetzungsschritte getestet<br />
und Lösungssätze eingeführt. Der Aufstellungsleiter bietet dazu Formulierungen von Lösungssätzen<br />
an, die der Aufsteller gegen<strong>über</strong> den Stellvertretern aussprechen kann. Mit<br />
den Lösungssätzen sollen Ungleichgewichte und Lösungshindernisse beseitigt werden.<br />
In dieser Anwendung von lösungsgebenden Vorgehensweisen sieht könig dann auch<br />
zwei Phasen, in denen Aufstellungen deutlich unterscheidbar ablaufen:<br />
●<br />
●<br />
die Arbeit an Strukturen im Stellvertretersystem und<br />
die Arbeit an den Emotionen des Aufstellers [Protagonisten] (32, S. 147/148).
270 Herman Boland und Thorsten Michaelis<br />
Man könnte auch zwischen einer analytischen Phase, in der die Nachbildung des Systems<br />
durch Stellvertreter erfolgt, und einer verändernden Phase, in der der Aufsteller die durch<br />
die Darstellung seiner Situation erhaltenen Anregungen verarbeitet, unterscheiden. Analytische<br />
Aufstellungen verzichten auf einen Veränderungsansatz im Aufstellungsgeschehen;<br />
sie ermöglichen dem Aufsteller lediglich einen neuen verfremdenden Blick auf sein Feld.<br />
Verändernde Aufstellungen nehmen ein Stück reales Handeln in die Aufstellungen hinein.<br />
Sie werden somit eher zu einem Rollenspiel der Realität. Aus diesen Zusammenhängen<br />
resultieren die kritischen psychischen Reaktionen, die für hellingers Aufstellungen beschrieben<br />
und stark kritisiert worden sind (vgl. 19). könig weist daher auf den klaren<br />
direktiven Gehalt von Aufstellungen hin, die er als „leiterzentriert“ charakterisiert (32,<br />
S. 150). Dabei sieht er das Problem vor allem darin, dass eine charismatische Überhöhung<br />
des Leiters erfolgt, wie es sich an dem Beispiel von B. hellinger deutlich zeigt.<br />
5 Systemaufstellungen in der <strong>Landwirtschaft</strong><br />
Beobachtungen und Analysen zum Ablauf und den Ergebnissen von Systemaufstellungen<br />
im Ökologischen Landbau wurden im Rahmen eines Projektes gewonnen. Das Projekt<br />
wurde im Rahmen des Bundesprogramms Ökologischer Landbau mit dem Titel „Systemaufstellungen<br />
als innovatives Beratungsinstrument im ökologischen Landbau“ vom<br />
Institut für soziokulturelle Studien, Kassel unter der Leitung von Dr. Matthias Wesseler<br />
in Kooperation mit Dr. Andrea Fink-kessler (Büro für Agrar- und Regionalentwicklung)<br />
(56) veranstaltet.<br />
Im Rahmen des Projektes wurden drei Werkstattseminare mit Systemaufstellungen<br />
durchgeführt. Als Werkstattseminare werden hier zweitägige Seminare bezeichnet, die<br />
unter Anleitung einer Aufstellungsleiterin oder eines Aufstellungsleiters durchgeführt<br />
werden. Der Leiter bzw. die Leiterin einer Systemaufstellung im Rahmen der Werkstattseminare<br />
des vorliegenden Projektes wird im Folgenden als Aufstellungsleiter bzw. Aufstellungsleiterin<br />
bezeichnet. In einer Aufstellung wird ein einzelner Fall bearbeitet. Der<br />
Aufsteller bzw. die Aufstellerin bringt einen Fall oder eine Situation ein. Diejenigen, die<br />
eine Rolle in der Situationsbeschreibung <strong>über</strong>nehmen, sind die Stellvertreter. Beobachter<br />
bzw. Beobachterinnen sind innerhalb der jeweiligen Aufstellung die Teilnehmerinnen und<br />
Teilnehmer der Werkstattseminare, die nicht aufgestellt haben oder aufgestellt wurden.<br />
5.1 Werkstattseminare<br />
Die Seminare fanden jeweils 2-tägig im März und April 2003 in Witzenhausen statt. Von<br />
den insgesamt 27 Teilnehmern der drei Werkstattseminare waren 14 Personen Landwirte,<br />
7 Berater, 5 kamen aus dem universitären Umfeld, und es gab einen Weiterbilder. Zur<br />
Methodenkenntnis gaben 13 Teilnehmer an, dass sie schon einmal an Aufstellungen teilgenommen<br />
hätten. Nur vom Hörensagen kannten 11 Teilnehmer Aufstellungen, ein Teilnehmer<br />
kannte die Methode bisher <strong>über</strong>haupt nicht und 2 Personen haben keine Angaben<br />
gemacht.<br />
Bei allen drei Werkstattseminaren nahmen zusätzlich 5 – 7 Projektmitarbeiter und<br />
-mitarbeiterinnen von den verschiedenen Projektbeteiligten teil. Außerdem waren ebenso<br />
bei allen drei Werkstattseminaren zwei Personen anwesend, die sich in der Ausbildung zu<br />
Systemaufstellern befanden. Diese Mehrfachteilnehmer werden zusammenfassend nachfolgend<br />
auch als „Staff“ bezeichnet, um eine Abgrenzung zu den Teilnehmerinnen und<br />
Teilnehmern herzustellen, die jeweils nur einmal anwesend waren.
Jenseits des Rubikon? Der mögliche Beitrag von Systemaufstellungen<br />
271<br />
Geleitet wurden die Werkstattseminare von jeweils unterschiedlichen Aufstellungsleiterinnen<br />
und -leitern, die professionell in Aufstellungsarbeit ausgebildet waren. Im Sinne<br />
der o. g. Typisierung von könig wurden verändernde Aufstellungen durchgeführt.<br />
5.2 Wirkungsanalyse<br />
Mit der Wirkungsanalyse wird versucht, die Veränderungen durch Systemaufstellungen<br />
bei Teilnehmerinnen und Teilnehmern nach einem Werkstattseminar zu identifizieren. Dabei<br />
besteht der Ausgangspunkt in der Gesamtzielsetzung des Projektes: zu prüfen, inwieweit<br />
Systemaufstellungen innerhalb eines Beratungszusammenhanges sinnvoll eingesetzt<br />
werden können.<br />
5.2.1 Design der Wirkungsanalyse<br />
Die bislang in der Literatur zu findenden allgemeinen Aussagen zu Wirkungen von Systemaufstellungen<br />
(vgl. z. B. 36, S. 93), wie auch die von varga von kibéd dargestellten<br />
Wirkungen zur Aufstellungsarbeit im Organisationsbereich (vgl. 51, S. 20) wurden bisher<br />
empirisch wenig untersucht. Eine Ausnahme bilden die <strong>Berichte</strong> von rUppert (41; 42)<br />
sowie die Studie von höppner (26).<br />
Bei der Wirkungsanalyse stand die Erfassung von möglichen Einstellungsänderungen<br />
im Vordergrund. Aus der Vielzahl möglicher Wirkungen von Systemaufstellungen sind<br />
also vor allem solche betrachtet worden, die im Zusammenhang mit landwirtschaftlicher<br />
Beratung von Relevanz sein können. Die aus einer Beratung resultierenden Handlungen<br />
ergeben sich einerseits aus inhaltlichen Klärungen oder neuen Erkenntnissen, andererseits<br />
aus der hinzugewonnenen Handlungskompetenz und den dieser zugrunde liegenden Einstellungsänderungen<br />
der Landwirte. Ausgehend von diesem Beratungsverständnis wurden<br />
die Dimensionen der Wirkungsanalyse bestimmt.<br />
Dabei stehen nicht beide Felder, inhaltliche Erkenntnisse sowie Handlungskompetenz<br />
und Einstellungsänderung, für eine Wirkungsanalyse zur Verfügung. Eine Identifikation<br />
von Wirkungen auf der inhaltlichen Ebene der Veränderungen von Kenntnissen ist nicht<br />
möglich, da vor Beginn der Systemaufstellungen nicht festlegbar ist, welche Themen bearbeitet<br />
werden. Es ist also erforderlich, sich auf die den Handlungen zugrunde liegenden<br />
Einstellungen zu beschränken.<br />
Einstellungsänderungen werden als Beratungswirkungen dahingehend erwartet, dass<br />
Landwirte ihre Situation genauer analysieren, Lösungszuversicht gewinnen, und Handlungsmöglichkeiten<br />
realisieren wollen. In einer erfolgreichen Beratung haben die Ratsuchenden<br />
also affektive Entwicklungen hin zu mehr Selbstvertrauen (Lösungszuversicht),<br />
kognitive Entwicklungen hin zu mehr Klarheit und Sicherheit in der Beurteilung von<br />
Informationen (Situationsanalyse) sowie konative Entwicklungen hin zu mehr Handlungskompetenz<br />
(Handlungsabsichten) durchgemacht. Die Dimensionen der Beratungswirkungen<br />
wurde in Interviews mit den Aufstellungsleiterinnen und -leitern bestätigt (vgl.<br />
10, S. 14 ff.).<br />
5.2.2 Instrumente und Methoden<br />
Die Veränderungen bei den Teilnehmern werden im Vergleich ihrer Einstellungen vorher/<br />
nachher erfasst und bewertet (vgl. insgesamt zur empirischen Methodik 4; 6; 14; 16; 17;<br />
33 und 34).<br />
Zur Untersuchung der affektiven und kognitiven Dimension der Wirkungsanalyse wurden<br />
die Teilnehmerinnen und Teilnehmer vor und nach der Teilnahme an dem Werkstattseminar<br />
mit einem Evaluierungsfragebogen befragt. Zur Erfassung der konativen Dimension<br />
wurden 6 Teilnehmerinnen und Teilnehmer einige Wochen nach den Werkstattseminaren<br />
interviewt.
272 Herman Boland und Thorsten Michaelis<br />
Der Evaluierungsfragebogen (vgl. 10, S. 3 ff.) besteht aus den zwei Teilen, t0 und<br />
t1 (vor und nach dem Werkstattseminar), die beide von allen Werkstattseminarteilnehmerinnen<br />
und -teilnehmern ausgefüllt wurden. Die kognitive Dimension wurde vor allem<br />
durch Items einer Skala zur Einschätzung der Selbstwirksamkeit und Handlungskompetenz<br />
nach schWarzer et. al. (45) erfasst („SWE“), die in leicht veränderten Fassungen<br />
vorliegt. Weitere Items zur kognitiven Dimension wurden selbst formuliert und lassen<br />
sich den Feldern Erwartung, Lösung, Aufstellung, Gruppe und Haltung zuordnen. Mit den<br />
selbstformulierten Items sollte gleichzeitig die Bildung weiterer Indices versucht werden<br />
(vgl. 10, S. 11 f.). Insgesamt wurden 30 Items abgefragt, die in 4-stufiger likert-Skala zu<br />
bewerten waren.<br />
Die Erfassung der affektiven Dimension erfolgte durch eine Befindlichkeitsskala<br />
(„Bf-S“) nach von zerssen (52). Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sollten ihren augenblicklichen<br />
Zustand vor und nach dem Werkstattseminar mittels 28 gegensätzlicher<br />
Eigenschaftspaare angeben. Bei t0 und t1 lagen dieselben Eigenschaftspaare vor. Die Skalierung<br />
war 3-stufig, wobei Eigenschaftspaare gegen<strong>über</strong>gestellt waren: ein linker Pol, ein<br />
rechter Pol und „weder noch“.<br />
Zusätzlich enthielt der Evaluierungsfragebogen t0 einen soziodemographischen Fragenteil<br />
und eine Frage zur Kenntnis der Methode Systemaufstellung. Im Fragebogen t1<br />
wurden statt dessen 6 offene Fragen zum Einfluss und zu Veränderungen durch das Werkstattseminar<br />
bzgl. Erfahrungen, Lösungen, Gefühlen und Haltung sowie die Anzahl der<br />
Teilnahme an Aufstellungen abgefragt. Die Evaluierungsfragebögen t0 und t1 wurden<br />
durch eine Kennziffer je Person zugeordnet und anonymisiert mit dem Statistikprogrammpaket<br />
„SPSS“ (Version 11.0) ausgewertet. Die Skalen und gebildeten Indices wurden mit<br />
cronbach’s Alpha auf ihre Reliabilität geprüft (vgl. 10, S. 13). Insgesamt lagen 50 Datensätze<br />
vor (N = 50). Zieht man jedoch die Gruppe des „Staff“ ab, verbleiben N = 27<br />
Personen als Teilnehmer. Aufgrund der geringen Zahl an Datensätzen sind die Ergebnisse<br />
der quantitativen Auswertung als Tendenzen zu verstehen, die durch weitere Forschung<br />
zu <strong>über</strong>prüfen sind.<br />
Um eine Aussage <strong>über</strong> die Veränderung und die Richtung der Veränderung aufgrund<br />
einer Teilnahme an einem Werkstattseminar zu erhalten, wurde ein Mittelwertvergleich<br />
der Items (t0 und t1) vorgenommen. Nur Werte, die im 95%igen Konfidenzintervall signifikant<br />
sind, fanden Berücksichtigung. Da zwei statistische Testverfahren angewendet wurden,<br />
sowohl der t-Test als auch der Wilcoxon-Test, wurde eine Signifikanz akzeptiert,<br />
wenn der Wert in einem der beiden Testverfahren im Konfidenzintervall 95% lag. Statistisch<br />
ausgewertet wurden sowohl die Mittelwertvergleiche der einzelnen Items als auch<br />
die <strong>über</strong> mehrere Items gebildete Skalen und Indices.<br />
Die offenen Fragen im Evaluierungsfragebogen wurden gruppiert sowie per Auszählung<br />
ausgewertet. Sie bestätigten die Ergebnisse der Einstellungsfragen. Die konative<br />
Dimension wurde durch narrative Interviews mit 6 Teilnehmerinnen und Teilnehmern<br />
6 bis 10 Wochen nach den Werkstattseminaren erfasst. Das Auswahlkriterium der je 2<br />
Teilnehmer bzw. Teilnehmerinnen pro Seminar bestand darin, ein möglichst umfassendes<br />
Spektrum mit Schwerpunkt auf die Berufsgruppe Landwirte zu erhalten. Vier Teilnehmerinnen<br />
hatten ihre Situation aufgestellt, eine Person war nur als Stellvertreter einbezogen<br />
und eine Person beobachtend. Im Projektzeitrahmen können dafür mittelfristige Handlungsabsichten<br />
und erste Entscheidungen der Seminarteilnehmerinnen und -teilnehmer<br />
erfragt werden. Zur Klärung der Beibehaltung von Entscheidungen bzw. der Umsetzung<br />
konkreter Handlungen müsste eine Erhebung zu einem späteren Zeitpunkt vorgenommen<br />
werden. Bei den durchgeführten Interviews wurde gleichzeitig eine rückschauende<br />
Bewertung des Werkstattseminars und der Methode Systemaufstellung erbeten. Die Analyse<br />
der transkribierten Interviews erfolgte in einer hermeneutischen Vorgehensweise und
Jenseits des Rubikon? Der mögliche Beitrag von Systemaufstellungen<br />
wurde technisch mit Hilfe von „MAXqda“, einem Programm zur qualitativen Datenanalyse,<br />
durchgeführt.<br />
5.3 Ergebnisse<br />
273<br />
Die wirkungsanalytischen Auswertungen beziehen sich aufgrund der Zielsetzung des Projekts<br />
allein auf die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Werkstattseminare. Dabei wurden<br />
alle drei Termine zusammengefasst, so dass insgesamt 27 Personen betrachtet wurden.<br />
Eine positive Veränderung ist im Folgenden als Bewertung in die Richtung von aus Beratungssicht<br />
erwünschten Einstellungen zu verstehen.<br />
5.3.1 Gesamtwirkung<br />
Die Teilnehmer haben offensichtlich nicht erwartet, in so starkem Maße mit Menschen<br />
in Kontakt zu kommen, die sich auch für Systemaufstellungen interessieren (vgl. Abb. 3).<br />
Dieser Solidarisierungseffekt weist den bei weitem stärksten Veränderungsausschlag aller<br />
Items auf, der deutlich größer als ein ganzer Skalenpunkt ist.<br />
Die weiteren signifikanten Unterschiede im Bereich der kognitiven Items zeigen ähnlich<br />
starke Veränderungen, die um 0,3 Skalenpunkte in positiver Richtung liegen. Dabei<br />
sind zunächst zwei Items aus der Selbstwirksamkeitsskala sowie die SWE-Skala insgesamt<br />
nach dem Seminar signifikant positiver bewertet. Die Teilnehmer glauben, ihre Ziele<br />
besser verwirklichen zu können und zu wissen, wie sie sich verhalten sollen. Die Selbstwirksamkeitsskala<br />
insgesamt zeigt keine so deutliche Veränderung, entwickelt sich aber<br />
auch positiv.<br />
Abb. 3. Veränderung zwischen kognitiver Erwartung und Bewertung des Seminars<br />
Quelle: Eigene Darstellung<br />
Bei den weiteren Items wird deutlich, dass die Systemaufstellungen ernst genommen werden<br />
und auch durch die Beobachtung schon eigene Lösungsansätze gewonnen werden<br />
konnten. Im Bezug auf Beratungszusammenhänge ist beachtenswert, dass die Angst vor
274 Herman Boland und Thorsten Michaelis<br />
Lenkung geringer geworden ist und in stärkerem Maße die Notwendigkeit gesehen wird,<br />
zur Problemlösung einen Fachexperten zu nutzen.<br />
Bei der Zusammenfassung aller kognitiven Items zeigt sich eine positive Entwicklung;<br />
die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind insgesamt nach dem Werkstattseminar selbstsicherer<br />
und zuversichtlicher.<br />
Bei den affektiven Items der Befindlichkeitsskala haben sich die in der folgenden Abbildung<br />
dargestellten Items signifikant verändert (vgl. Abb. 4). Die signifikanten Items<br />
zeigen Veränderungen zwischen 0,3 und 0,4 Skalenpunkten und weisen in den Einzelitems<br />
größere Veränderungen auf als für die Gesamtskala.<br />
Insgesamt zeigt sich, dass die Befindlichkeit sich leicht positiv verändert hat. Die<br />
Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind nach dem Seminar zielstrebiger, heiterer, eher<br />
einfallsreich und unempfindlich, sowie auch hoffnungsvoll, zufrieden und kraftvoll. Die<br />
Veränderung deutet darauf hin, dass ein Anstoß gegeben werden konnte, der eine Handlungsdynamik<br />
auslösen könnte.<br />
Abb. 4. Veränderung zwischen affektiver Erwartung und Bewertung des Seminars<br />
Quelle: Eigene Darstellung<br />
5.3.2 Differenzierung zwischen Landwirten und Nicht-Landwirten<br />
Unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Werkstattseminare befanden sich neben<br />
Landwirten auch eine Reihe von Personen aus dem landwirtschaftlichen Umfeld, die keinen<br />
Betrieb bewirtschaften. Da sich die Zielsetzung des gesamten Projektes auf die Frage<br />
nach Wirkungen bei Landwirten bezieht, wurde in einer zweiten Auswertung die Gruppe<br />
der landwirtschaftlichen Teilnehmer mit der der Nicht-Landwirte verglichen.<br />
Bei den Landwirten (N = 14 Personen) gibt es eher im kognitiven Bereich Veränderungen<br />
als bei den Nicht-Landwirten (N = 13 Personen). Bei den in der Abbildung 5 dargestellten<br />
kognitiven Items fällt als einziges in beiden Gruppen signifikant verändertes<br />
Item „Ich bin gekommen, um Menschen kennen zu lernen, die auch an Systemstellungen<br />
interessiert sind“ auf.<br />
Alle anderen signifikanten Veränderungen treten nur bei den Landwirten auf. Hinsichtlich<br />
ihres Vertrauens in die eigenen Fähigkeiten und der Durchsetzung gegen Widerstand<br />
sehen sich die Landwirte deutlich gestärkt, was sich auch in einer positiven Veränderung<br />
des Indexwertes für die Selbstwirksamkeitserwartung niederschlägt. Bezogen auf<br />
den Gruppenprozess hatten die Landwirte offenbar Bedenken, dass ihre Anliegen in der
Jenseits des Rubikon? Der mögliche Beitrag von Systemaufstellungen<br />
Abb. 5. Veränderung zwischen kognitiver Erwartung und Bewertung des Seminars bei Landwirten<br />
und Nicht-Landwirten<br />
Quelle: Eigene Darstellung<br />
275<br />
Gruppe zerredet werden könnten, was sich aber nicht bewahrheitete. Insgesamt entwickelt<br />
sich auch der Gesamtindex aller kognitiven Items nach dem Seminar positiv.<br />
Im Vergleich mit dem Gesamtergebnis aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer fällt auf,<br />
dass die Tendenz in den Indexwerten sich vollkommen gleichsinnig wiederfindet, es aber<br />
andere Einzelitems sind, die signifikante Änderungen aufweisen. Wichtig für eine Bewertung<br />
der Systemaufstellungen ist die in den Aussagen der Landwirte deutlich werdende<br />
Tendenz, mit gestärktem Selbstvertrauen das Seminar zu verlassen. Die weiteren nichtlandwirtschaftlichen<br />
Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind offenbar zu inhomogen, als<br />
dass sich bei ihnen signifikante kognitive Veränderungen zeigen könnten.<br />
Ganz anders stellt sich das Ergebnis im affektiven Bereich, der Befindlichkeitsskala, dar<br />
(vgl. Abb. 6). Hier konnten fast nur Veränderungen bei den Nicht-Landwirten festgestellt<br />
werden. Während die Landwirte nur in dem Eigenschaftspaar „hoffnungsvoll – verzweifelt“<br />
eine Veränderung zum „hoffnungsvollen“ aufweisen, zeigen die Nichtlandwirte bei<br />
fünf Befindlichkeitsaussagen eine positive Veränderung. Nicht-Landwirte sind nach dem<br />
Werkstattseminar „heiterer, unempfindlicher, sorgloser, zwar nicht hoffnungsvoll, wie die<br />
Abb. 6. Veränderung zwischen affektiver Erwartung und Bewertung des Seminars bei Landwirten<br />
und Nicht-Landwirten<br />
Quelle: Eigene Darstellung
276 Herman Boland und Thorsten Michaelis<br />
Landwirte, aber dafür zufriedener und ausgeglichener“. Auch die Befindlichkeitsskala insgesamt<br />
weist nach dem Seminar eine deutlich positivere Stimmung bei Nicht-Landwirten<br />
auf, während sich bei den Landwirten keine signifikante emotionale Veränderung zeigt.<br />
Eine erste Interpretation dieser Befunde kann dahin gehen, dass die Landwirte mehr<br />
in der Umsetzung der Seminarerlebnisse für die Alltagssituation verhaftet sind, während<br />
sich die Nicht-Landwirte eher von dem Seminargeschehen selbst bestimmen lassen. Somit<br />
wirkt bei letzteren das Seminar als solches und es zeigt sich eine Stimmungsveränderung,<br />
während die Landwirte das Erleben sehr individuell vor dem Hintergrund ihres jeweiligen<br />
betrieblichen Alltags bewerten und somit keine einheitliche Entwicklung im affektiven<br />
Bereich vollziehen.<br />
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich sowohl kognitive als auch affektive<br />
Wirkungen direkt im Anschluss an die Werkstattseminare feststellen lassen. Dabei<br />
zeigt die weitere Analyse, dass bei den Landwirten die Veränderungen fast ausschließlich<br />
auf der kognitiven Ebene erfolgen, während bei den Nicht-Landwirten fast ebenso ausschließlich<br />
affektive Veränderungen festzustellen sind. Das Ergebnis deutet darauf hin,<br />
dass bei weiteren Analysen eine Differenzierung von gruppendynamischem Geschehen<br />
im Arbeitsprozess des Werkstattseminars und auf der inhaltlichen Ergebnisebene sinnvoll<br />
ist.<br />
5.3.3 Mittelfristige Einschätzung der Wirkungen der Werkstattseminare<br />
Erste Handlungen und Handlungsabsichten sowie eine rückschauende Bewertung der Methode<br />
Systemaufstellung wurde anhand von sechs Interviews mit Teilnehmerinnen und<br />
Teilnehmern an den Werkstattseminaren analysiert.<br />
5.3.3.1 Änderungen im eigenen Handeln und im Umfeld<br />
Durch die Werkstattseminare konnten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer neue Einsichten<br />
und Klärungen gewinnen. Dies betrifft zum einen die Klärung, welche weiteren<br />
Bereiche noch unklar sind (vgl. z. B. 10, S. 35) und bearbeitet werden sollen. Zum anderen<br />
wird alles „bewusster und klarer. Und wo ich vorher nicht dran gekommen bin, ist jetzt<br />
gelöst, und ich komme jetzt weiter“ (10, S. 39). Erkenntnisse aus den Werkstattseminaren<br />
haben dazu geführt, die eigene Person für Entwicklungsprozesse stärker in den Blick zu<br />
nehmen. „Mir ist klar geworden bei den Aufstellungen, dass man nur sich selber ändern<br />
kann, nicht die anderen oder nur sehr begrenzt“ (10, S. 33). Dies korrespondiert mit der<br />
Einsicht, dass Objekte und andere Personen ebenfalls Einfluss auf Entwicklungen haben,<br />
vor allem in der Beziehung zu nahestehenden Personen (vgl. 10, S. 37). Einem Befragten<br />
ist dar<strong>über</strong> hinaus „viel bewusster geworden, wie wichtig Beziehungen untereinander<br />
sind, in der Partnerschaft, zu den Eltern, zu den Freunden“ (10, S. 30).<br />
5.3.3.2 Rückschauende Bewertung von Seminar und Methode<br />
In den Werkstattseminaren fanden gruppendynamische Prozesse statt, die eine gemeinsame<br />
Arbeit an Problemen fördern oder behindern können, wie z. B. auch in der Gruppenberatung<br />
(vgl. z. B. 12). Eine offene Art des Umgangs miteinander und ein gutes Gruppenklima<br />
fördert die Anwendung einer Methode und wurde für die Seminare von den<br />
Interviewten festgestellt. „Ich fand, es war eine sehr gute Atmosphäre. Ich persönlich<br />
hatte auch keine Hemmungen. Ich hatte das Gefühl, die Leute, die hergekommen sind,<br />
hatten alle ein Anliegen, was ähnlich gestaltet war, und wir suchten nach einer Antwort.“<br />
(10, S. 37 und S. 39)<br />
Aus der Sicht der Befragten liegt das Hauptaugenmerk der Methode Systemaufstellung<br />
auf der Lösungsfindung (vgl. 10, S. 33 und S. 30). Der Ansatzpunkt zur Lösungsfindung<br />
ist bei der Methode der Einsatz von Gefühlen der aufgestellten Personen. „Das was man<br />
weiß, kann man in der Aufstellung fühlen, und dann ist wie ein Schalter umgelegt“ (10,
Jenseits des Rubikon? Der mögliche Beitrag von Systemaufstellungen<br />
277<br />
S. 39). Überraschend war für Interviewte, wie gut „die Stellvertreter in so eine Rolle eintauchen“<br />
(10, S. 33) und der Situationsklärung und Problemlösung dienen konnten. „Was<br />
für Aussagen, auch ohne dass die anderen um die Zusammenhänge wussten, herauskamen,<br />
das war schon erstaunlich. Das hätte ich auch so nicht erwartet“ (10, S. 37). Die Stellvertreter<br />
in einer Systemaufstellung führen durch ihren Verfremdungseffekt (vgl. 35, S. 6 f.<br />
und 14 f.) zu neuen Einsichten bei den Teilnehmern. „Dass man mit Hilfe von anderen<br />
eine Sicht bekommt, die man alleine selbst gar nicht haben kann, wenn man sich selber in<br />
seiner Situation sieht“ (10, S. 33).<br />
Diese positive Bewertung von Systemstellungen wird von einzelnen jedoch durchaus<br />
etwas ambivalent betrachtet. „Was ich heftig fand, waren die emotionalen Sachen“ (10,<br />
S. 33). Gerade für die Arbeit mit Gefühlen bedarf es daher gut ausgebildeter Systemaufstellungsleiterinnen<br />
und -leiter. Daneben können Ergebnisse von Systemaufstellungen zu<br />
Problemen durch Projektion, Übertragung und Interpretationen in andere Personen entstehen,<br />
die zu Beziehungsstörungen führen, indem sich das Bild von anderen verändert. Eine<br />
erwünschte Änderung beim Aufstellenden beinhaltet damit ebenfalls einen Keim für neue<br />
Probleme, deren Ansätze in den Interviews durchaus erkennbar waren. Bisherige Untersuchungen<br />
zu Übertragungsproblemen aus Psychotherapie, Beratung und Kommunikation<br />
(vgl. z. B. 44, S. 175 ff.) lassen sich auch auf diese Methode anwenden und unterstreichen<br />
die Notwendigkeit der Kompetenz der Leiter von Systemaufstellungen.<br />
Die bisherigen Beurteilungen der Werkstattseminare hätten Teilnehmer auch unabhängig<br />
vom Feld <strong>Landwirtschaft</strong> abgeben können. Das Interesse von Landwirtinnen und<br />
Landwirten an den durchgeführten Werkstattseminaren und die erreichten Problemlösungen<br />
belegen die Anwendbarkeit der Methode Systemaufstellung in der <strong>Landwirtschaft</strong>.<br />
Eine Offenheit von Landwirtinnen und Landwirten für die Methode erscheint notwendig<br />
und wird von einem Befragten ambivalent eingeschätzt. „Die Bauern sind sehr konservativ<br />
und ich kann mir es nicht so leicht vorstellen, die Menschen dazu zu bekommen sich<br />
so zu öffnen. Ich bin erstaunt, nachdem ich das Seminar mitgemacht hatte, und ich mit<br />
Kollegen dar<strong>über</strong> gesprochen habe, dass sie sich total gut damit auskannten. (...) Aber<br />
es gibt auch umgekehrt genau so viele, wo ich Hemmungen hätte, dar<strong>über</strong> zu reden, und<br />
wo ich mir schlecht vorstellen könnte, dass man sie dazu gewinnen könnte“ (10, S. 32).<br />
Systemaufstellungen sind demnach in der <strong>Landwirtschaft</strong> zur Problemlösung nutzbar, ihre<br />
Inanspruchnahme hängt jedoch von der Bereitschaft des Einzelnen ab, sich auf die Methode<br />
einzulassen.<br />
Als Zugang für eine weitere Problembearbeitung ist eine Arbeit mit Systemaufstellungen<br />
bzw. je nach Fokus Familien- und Organisationsaufstellungen sowie in der landwirtschaftlichen<br />
Beratung möglich. Die Befragten stellen dabei kaum einen Bezug zur<br />
Beratung her, sondern wollen weiter mit der Methode Systemaufstellung arbeiten (vgl. 10,<br />
S. 40 und S. 42). Die sozioökonomische Beratung erscheint nach einem Interviewten insgesamt<br />
ein Feld seitens landwirtschaftlicher Familien darzustellen, wo ein Bedarf besteht,<br />
der nicht ausreichend mit Angeboten abgedeckt wird. „Ich glaube auch, dass man mit dem<br />
Thema Lebensberatung viel mehr machen muss und anbieten muss. Die produktionstechnische<br />
Beratung, die funktioniert seit langem gut. Aber die Lebensberatung, gerade so mit<br />
Hofnachfolge, das finde ich schon ein wichtiges Thema, und ich denke, dass da bei vielen<br />
Gesprächsbedarf besteht“ (10, S. 31 f.).<br />
5.4 Schlussfolgerungen aus der Evaluierung<br />
In der Zusammenfassung der Ergebnisse der Evaluierung ergibt sich ein in etwa konsistentes<br />
Bild. Die Daten zeigen, dass nach der Teilnahme an den Werkstattseminaren bei<br />
den Teilnehmerinnen und Teilnehmern Veränderungen festzustellen waren. Diese zeigten<br />
sich in allen drei ausgewählten beratungsrelevanten Dimensionen. Die Teilnehmer waren
278 Herman Boland und Thorsten Michaelis<br />
positiv gestimmt, selbstbewusst und fühlten sich handlungskompetent. In Ansätzen zeigt<br />
die Teilnehmerbefragung auch erste Handlungsfolgen.<br />
Allerdings bleiben offene Fragen, die sich mit dem gegebenen Design nicht beantworten<br />
lassen. Diese beziehen sich vor allem auf die Gestaltung von Systemaufstellungen und<br />
den im Prozess wirksamen Einflüssen. Diese wurden bewusst aus der hier vorliegenden<br />
Wirkungsanalyse herausgelassen. Eine Trennung in die Wirkung der Methode der Aufstellung<br />
und die gruppendynamischen Wirkungen einer mehrtägigen Arbeit an persönlichen<br />
Themen kann somit nicht erfolgen. Ebenso ist eine Trennung zwischen der Wirkung der<br />
Methode und der Wirkung der Leiterin oder des Leiters bei den drei untersuchten Situationen<br />
nicht möglich.<br />
Da allerdings Wirkungen erfolgten, muss deutlich auf die Position der Deutschen Gesellschaft<br />
für Supervision hingewiesen werden, die klar fordert, dass es einer psychotherapeutischen<br />
und insbesondere einer systemisch familientherapeutischen Kompetenz und<br />
Qualifikation bedarf, um diese Methode (Systemaufstellungen) verantwortlich anzuwenden<br />
(vgl. 53, S. 36).<br />
Sollten die Methoden in die Beratungsarbeit <strong>über</strong>nommen werden, so gilt es, wie oben<br />
bereits erwähnt, den funktionalen Kern der Vorgehensweisen zu identifizieren. Danach<br />
kann geprüft werden, ob diese Vorgehensweisen sich für die landwirtschaftliche Beratung<br />
verwerten lassen. Im folgenden Kapitel sollen daher die beiden Konzepte auf ihre Wirkungsmechanismen<br />
hin untersucht werden.<br />
6 Aufstellungen und Beratung<br />
Wie lässt sich die Wirkung von Aufstellungen erklären? Hierzu gibt es widersprüchliche<br />
und auch teils ideologisch gefärbte Vorstellungen.<br />
„Eine von dem Biologen sheldrake (46) entwickelte Theorie ist die der „morphogenetischen<br />
Felder“. Das morphogenetische Feld stellt eine Art kollektives Gedächtnis dar.<br />
Ähnlich wie magnetische Felder hätten auch lebende Organismen unsichtbare Felder, die<br />
ihre Entwicklung steuern und vor allem ihre Form bestimmen. Bezogen auf das Familien-Stellen<br />
würde dies bedeuten, dass das gesamte Wissen <strong>über</strong> die Entwicklung dieser<br />
Familie und ihrer Vorfahren in diesem Feld enthalten ist und vom Stellvertreter empfunden<br />
werden kann.<br />
Diese Theorie gibt zumindest eine, wie auch immer geartete Erklärung für den „Prozess,<br />
den wir nicht verstehen“ (50). Während van kampenhoUt vom Welt- und Menschenverständnis<br />
des Schamanismus kommend, diese Erscheinung durchaus plausibel zu erklären<br />
weiß, gibt es auch von Seiten der <strong>über</strong> jeden Esoterikverdacht erhabenen Organisations-<br />
Aufsteller Erklärungsansätze.<br />
Über die Projektion des inneren Bildes des Klienten – also <strong>über</strong> die räumliche Darstellung<br />
dieses inneren Bildes und seiner Repräsentanz durch Stellvertreter wird, so stey<br />
(49), ein „sozialer Raum“ konstruiert. Andere Personen, hier die Stellvertreter, können<br />
nach dieser Annahme die räumliche Anordnung des inneren Bildes anstelle des Klienten<br />
erleben und wiederum in psychische Vorgänge „<strong>über</strong>setzen“. Damit relativiere sich die<br />
Grenze zwischen innen und außen in unserer Wahrnehmung, die Grenze zwischen wahrnehmendem<br />
Subjekt und wahrgenommenem Objekt weiche einem Gemeinsamen, das<br />
beide – Subjekt und Objekt – umgreife.<br />
So entstehe ein mentaler und sozialer Raum, welcher neue Zugänge zur Wirklichkeit<br />
verschaffe. Dieser neue Wirklichkeitszugang könne auch als eine „Wiederbeseelung unseres<br />
Raumverständnisses“ betrachtet werden. Nach varga von kibéd (51) ermöglicht uns<br />
die „repräsentierende Wahrnehmung“ einen Zugang zu dieser Seele bzw. zum Unbewussten,<br />
welches zwischen uns und nicht in uns ist.“ (56, S. 38)
Jenseits des Rubikon? Der mögliche Beitrag von Systemaufstellungen<br />
279<br />
Nicht ganz so weit geht sparrer, die sich auch konzeptionell auf die Vorstellung einer<br />
repräsentierenden Wahrnehmung bezieht. „Der Körper der Repräsentantinnen wird zu<br />
einem Wahrnehmungsorgan, mit dem Empfindungen, Haltungen, Emotionen und Kognitionen<br />
bezüglich der Mitglieder eines fremden Systems wahrgenommen werden können.<br />
Die aufgestellten Personen geben bei diesem Prozess nur die Unterschiede an, die sie zu<br />
ihrem Zustand, bevor sie aufgestellt wurden, empfinden“ (47, S. 103). Im Gegensatz zu<br />
hellinger vertritt sparrer nicht die These, dass „die Seele wandert“ (47, S. 104), sie stellt<br />
jedoch fest, dass es sich bei der Aufstellung um einen intuitiven, keinen intellektuellen<br />
Prozess handeln soll.<br />
Eine besser nachvollziehbare Position nehmen könig und auch groth ein. könig ordnet<br />
dem „Wissenden Feld“ keine spezifische transzendente Qualität zu, sondern sieht in ihm<br />
die strukturellen Übertragungen der Stellvertreter (32, S. 152). Die Stellvertreter reagieren<br />
aus ihrem eigenen Erfahrungszusammenhang und nehmen wahr und agieren aus diesem<br />
heraus in der Situation der Aufstellung. Es sind also die generalisierten Vermutungen der<br />
Stellvertreter, die aus ihrer Erfahrungswelt der Aufstellung einen Inhalt geben.<br />
Einen noch weiter gehenden Ansatz zu einer rationalen Betrachtung der in einer Systemaufstellung<br />
ablaufenden Prozesse und deren Wirkungsmechanismus hat groth vorgelegt<br />
(22). Er nimmt auf drei Ebenen eine „Entzauberung“ bezogen auf die spezifische<br />
Anwendungsform der Organisationsaufstellungen vor. Er sieht in dem „wissenden Feld“<br />
eher einen Rückgriff auf ein allgemeines Kausalitätsschema, das die Stellvertreter anwenden<br />
(vgl. 32). Den hauptsächlichen Auslöser für die Wirksamkeit vermutet er in der<br />
notwendigen Reduktion des Aufstellers auf nur zwei Dimensionen der Darstellung seines<br />
Anliegens: Entfernung (nah – fern) und Ausrichtung (abgewandt – zugewandt). Dadurch<br />
muss der Aufsteller sein Anliegen anders kreieren als er es in kommunikativen Zusammenhängen<br />
gewohnt ist.<br />
Hinsichtlich des postulierten Phänomens der „Repräsentierenden Wahrnehmung“ und<br />
damit des Körpers als ein Wahrnehmungsorgan, kehrt groth unter Heranziehung einer<br />
systemtheoretischen Erklärung die Betrachtungsrichtung um. Für ihn ist die Teilnahme<br />
an einer Aufstellung die Aufforderung, auf den Körper zu achten. Zusammen mit der<br />
Möglichkeit, als Stellvertreter ohne Sorge um Gesichts- oder Statusverlust agieren zu<br />
können, kann körperlichen Eindrücken, die allgegenwärtig sind, nachgegangen werden.<br />
Den Erfolg von Aufstellungen sieht er dann in der Gewinnung von „Beweglichkeit in der<br />
Beobachtung“, die durch offensichtlich emotionale Anstöße erreicht wird.<br />
Nimmt man die Erklärungsansätze von könig und groth, so ergibt sich durch Momente<br />
der Verkürzung, Verfremdung und Emotionalität ein Wirkungsmuster, das die Ergebnisse<br />
von Aufstellungen auch ohne den Rückgriff auf morphogenetische Felder (sheldrake)<br />
oder eine Seelenwanderung (hellinger) ermöglicht.<br />
6.1 Grenzen und Einsatzbedingungen von Aufstellungen<br />
Hält man fest, dass die Wirkungen von Systemaufstellungen im Prinzip auf einem Muster<br />
von Verdichtung und Verfremdung beruhen und somit grundsätzlich lösungsfördernd<br />
sein können, so bleiben dennoch einige kritische Punkte. Hier sollen drei Problemfelder<br />
angesprochen werden:<br />
6.1.1 Leiterdirektivität und Lösungsgestaltung<br />
Ohne deutliche und manipulative Eingriffe des Leiters können in den Gruppensettings<br />
der Systemaufstellungen lediglich Situationsanalysen vorgenommen werden (vgl. 32,<br />
s. 229/230). Jegliche Art von Veränderungsauslösung ist ein durch den Leiter hergestelltes<br />
Phänomen. Versuche, dieses mit einer Erscheinung von „Seele“ zu erklären, können nicht<br />
befriedigen. Daneben sind gruppendynamische Aspekte zu beachten, die von dem Leiter
280 Herman Boland und Thorsten Michaelis<br />
identifiziert und beherrscht werden sollten. Da im Fokus lösungsorientierter Arbeit jedoch<br />
ein bewirken von Veränderungen und ein generieren von Lösungen steht, bleibt der Leiter<br />
als Auslöser hierfür innerhalb dieser Sichtweise. Die Akzeptanz der Leiterdirektivität und<br />
Lösungsgestaltung ist im Ansatz immanent, auch wenn sie mit der Berufung auf die Seele<br />
wissenschaftlich nicht erfassbar und verklärt wird. In diesem Verständnis wird der Einfluss<br />
des Leiters der Seele zugeschrieben und keine Aktivität vom Klienten gefordert, um die<br />
Lösung umzusetzen. Das Wunder wirkt autopoietisch auf der Seelenebene.<br />
6.1.2 Gruppensetting und dessen Einbindung in Beratungsprozesse<br />
Wenn die Aufstellungsgruppe eine Beratungsgruppe ist, so fehlt der notwendige distanzierende<br />
Verfremdungseffekt. Ansonsten könnten Aufstellungen auch in Arbeitskreisen<br />
der landwirtschaftlichen Beratung erfolgen. Wir würden dann selbsterfüllende Prophezeiungen<br />
und Schwierigkeiten wegen evtl. mangelnder Offenheit für die Problemschilderung<br />
erwarten. Ist das nicht der Fall, also die Beratungsgruppe nicht die Aufstellungsgruppe,<br />
so bleibt die Einbindung in den Beratungsprozess unklar. Soll der Berater teilnehmen? In<br />
welcher Rolle? Für den geeigneten Einsatz von Organisationsaufstellungen weist groth<br />
(22) darauf hin, dass die besten Ergebnisse in einer „stranger group“ zu erwarten sind.<br />
Von einer „stranger group“ wird dann gesprochen, wenn die Gruppe aus keinem sachinhaltlichen<br />
gemeinsamen Anlass zusammenkommt, eher aus Interesse an der Methode, wie<br />
auch in den Werkstattseminaren des Projektes, und somit keine direkten sachlichen oder<br />
persönlichen Beziehungen zwischen den Mitgliedern bestehen. Werden hingegen Organisationsaufstellungen<br />
innerhalb einer Organisation durchgeführt, so ist zu befürchten, dass<br />
sie leicht „aus dem Ruder laufen“, da latente Beziehungsmuster entweder nicht deutlich<br />
werden und Oberflächlichkeit folgt oder aber aufgedeckt werden und damit bestehende<br />
Arbeitsmuster in Frage gestellt werden. Übertragen auf den landwirtschaftlichen Bereich<br />
heißt dies, dass ein Einsatz in Arbeitskreisen, die <strong>über</strong> einen langen Arbeitszusammenhang<br />
eine feste Beziehungsstruktur aufgebaut haben, nicht anzuraten ist. Aufstellungen können<br />
daher ein zusätzliches Angebot für den Ratsuchenden darstellen, der dann selbst die Ergebnisse<br />
in die weiteren Beratungen einbringt.<br />
6.1.3 Einsatzzeitpunkt<br />
Wenn Systemaufstellungen situationsanalytischen Charakter haben, dann eignen sie sich<br />
für Ratsuchende, die ihr Problem noch nicht klar formulieren können. In ihnen können die<br />
Betroffenen zu einer neuen Sicht ihrer Welt und möglicherweise zur Entwicklung einer<br />
Zielvorstellung gelangen.<br />
Somit gehen Systemaufstellungen als persönlichkeitsorientierte Auslöser der eigentlichen<br />
Beratung voran. Sie sind daher klar von den Aufgaben der Berater abzugrenzen.<br />
Sie gehören in die Hand psychosozial und gruppendynamisch geschulter Fachleute (Aufstellungsleiter).<br />
Wenn es in Aufstellungen gelingt, den Ratsuchenden auf den Weg zu<br />
einer neuen und klareren Vorstellung von zukünftigen Zielen, Wünschen und Visionen zu<br />
führen, kann das Ausgangspunkt für eine Beratung sein.<br />
Die Konzepte Systemaufstellungen und „Lösungsorientierte Beratung“ lassen sich somit<br />
klar dem Feld Therapie zuordnen (vgl. Abb. 7).<br />
6.2 Lösungsorientierung<br />
Die Arbeitsmethoden der „Lösungsorientierten Beratung“ ergeben kein so eindeutiges und<br />
spektakuläres Setting wie eine Systemaufstellung, die ja, wie gezeigt, die Teilnehmer<br />
emotional bewegt und zu Veränderungen angeregt. Kernelement der „Lösungsorientierten<br />
Beratung“ sind fünf Fragetypen, die in der Theorie als Werkzeuge bezeichnet werden. Sie<br />
beschreiben inhaltliche Themenstellungen, die von dem Berater mit dem Ratsuchenden
Jenseits des Rubikon? Der mögliche Beitrag von Systemaufstellungen<br />
Abb. 7. Einordnung der Konzepte Systemaufstellung und „Lösungsorientierte Beratung“ in das<br />
Feld von Therapie und Beratung<br />
Quelle: Eigene Darstellung<br />
besprochen werden und strukturieren so den Gesprächsablauf. Die fünf Werkzeuge sind<br />
(vgl. 30 und 7):<br />
281<br />
a. Auftragsklärung. In dieser Eingangsphase geht es um den Anlass der Kontaktaufnahme,<br />
das Anliegen des Ratsuchenden, die Formulierung des Auftrages für den Berater und<br />
darauf aufbauend den Abschluss eines Kontraktes zwischen den beiden Beratungspartnern.<br />
b. Das Wunder. Zentraler Punkt ist die Frage nach dem „Wunder“. „Bei der Wunderfrage<br />
geht es erst mal um eine Einladung zu einem Experiment, bei dem der Klient gebeten<br />
wird, sich vorzustellen, nach einem relativ unspektakulären Verlauf des restlichen Tages<br />
werde er abends einschlafen und während des tiefen Schlafes werde ein Wunder geschehen,<br />
welches das, was den Klienten hier in die Therapie oder die Beratung gebracht<br />
habe, lösen werde. Da er aber tief und fest schlafe, wisse er nicht, dass das Wunder<br />
geschehen sei. Die spannende Frage ist nun, wann zuerst und woran genau er dieses<br />
Wunder bemerken werde, wem das noch auffallen werde, was genau sich dadurch in<br />
seinem Leben verändern werde, welche weiteren Folgen das nach sich zieht, etc.“ (30,<br />
S. 11) Die Wunderfrage legt also die Hoffnungen und Wünsche des Ratsuchenden offen<br />
und zeichnet sein Idealbild der Zukunft. Sie kann aber nur dann erfolgreich sein, wenn<br />
der Ratsuchende tatsächlich Vorstellungen hat.<br />
c. Die Ausnahmen. Gemeint sind Ausnahmesituationen, in denen ein Stück des Wunders<br />
bereits registriert werden konnte. Also Momente oder Situationen, in denen sich Hoffnungen<br />
zumindest zeitweise erfüllten.<br />
d. Die Skalen. Meist wird eine zentrale Zielskala entworfen, an deren einem Ende das<br />
Wunder steht und an deren anderem Ende der denkbar schlechteste Zustand aufgetragen<br />
wird. Auf dieser Skala wird im Verlauf des Beratungsgeschehens immer wieder der<br />
aktuelle Zustand eingeschätzt. Somit dient sie dazu, sich des Entwicklungsprozesses zu<br />
vergewissern und diesen plastisch sichtbar und messbar zu machen.
282 Herman Boland und Thorsten Michaelis<br />
e. Bewältigungsfragen. Es sind Fragen danach, wie die Person im Alltag mit der momentanen<br />
Situation umgeht. Im engeren Sinne widersprechen sie der exponierten Grundhaltung<br />
von de shazer, nichts von dem Ratsuchenden und seinen Problemen erfahren zu<br />
wollen. Hier geht es darum, zu erfahren, wie sie ohne eine Lösung ihres Problems zu<br />
haben, mit ihrer Situation fertig werden, sie bewältigen. Zielsetzung ist weniger die genaue<br />
Kenntnis als vielmehr eine daraus zu entwickelnde Bestärkung und Ermutigung,<br />
den mit dem Beginn der Beratung beschrittenen Weg fortzusetzen.<br />
Dieses Fragesystem stellt ein eigenständiges Arbeitsmittel im Sinne eines beschreibenden<br />
Konzeptes dar. Es lässt sich von der therapeutischen Grundhaltung trennen und in einer<br />
akzeptierenden, partnerschaftlichen Position zu dem Ratsuchenden umsetzen. Der Ratsuchende<br />
muss nicht auf sich allein gestellt werden, sondern er wird in den Mittelpunkt<br />
gerückt. Allerdings geht es nicht um die Entstehung und die momentane Gestalt der problembehafteten<br />
Lebenssituation, wie das in der Gesprächspsychotherapie der Fall ist. Einseitig<br />
wird in die Zukunft geschaut und nach Ansätzen gesucht, die Idealvorstellungen und<br />
Utopien des Ratsuchenden in die Realität umzusetzen.<br />
Insofern steht das Konzept der „lösungsorientierten Beratung“ nicht im direkten Widerspruch<br />
zu dem eingangs formulierten Grundverständnis von landwirtschaftlicher Beratung,<br />
sondern kann dieses ergänzen. Es lenkt den Blick auf die in den bisher genutzten<br />
Konzepten nicht sehr intensiv dargestellte Phase der Entwicklung von Lösungen und<br />
schlägt hierfür ein Handlungsmuster vor.<br />
Baut man das Fragesystem der „Lösungsorientierten Beratung“ in einen Beratungsprozess<br />
ein, so bliebe dann zu diskutieren, welchen Stellenwert Rückschau als Vergewisserung<br />
<strong>über</strong> Rahmenbedingungen hat und welchen Stellenwert die Lösungskonstruktion hat.<br />
Die Lösung kann sich entwickeln auf der Basis von:<br />
a. guter Situationskenntnis. Diese gewinnt der Berater durch die Schilderungen des Ratsuchenden.<br />
Um nicht in dessen möglicherweise begrenzten Wahrnehmungshorizont zu<br />
verbleiben, ist es notwendig, bewusst Distanz einzunehmen, die Situation zu hinterfragen,<br />
mit anderen Augen zu sehen. Dies ist das klassische problemorientierte Beratungsmodell:<br />
Verstehen und Begleiten;<br />
b. kaum Situationskenntnis und lediglich der Formulierung positiver Lösungshoffnungen.<br />
Dieses Vorgehen stellt dem Ratsuchenden Lösungen vor, er muss selbst versuchen,<br />
sie zu adaptieren und umzusetzen. Letzteres ist das Konzept der „Lösungsorientierten<br />
Beratung“ und entspricht dem, was im landwirtschaftlichen Feld von uns einleitend als<br />
innovationsorientierte Beratung geschrieben wurde.<br />
Hiermit können auch die Unterschiede deutlicher werden:<br />
● Im Konzept der „Lösungsorientierten Beratung“ gibt der Therapeut Lösungen und<br />
Umsetzungskonzepte vor. Es beinhaltet somit eine Grundposition, in der dem Klienten<br />
ein Handlungsmuster verordnet wird, das der Therapeut vorgibt. Dies entspricht<br />
nicht einem partnerschaftlichen Paradigma, wie es für die landwirtschaftliche Beratung<br />
Grundposition ist (daher auch die Paraphrasierung der Begrifflichkeiten).<br />
● Beratung versucht den Ratsuchenden zu verstehen und zu begleiten. Nur durch die<br />
Zurückhaltung des Beraters bei der Formulierung möglicher Lösungen kann die Autonomie<br />
des Ratsuchenden gewahrt werden. In dem zwischen Verstehen und Begleiten<br />
notwendigen Schritt der Entwicklung von Lösungen kann es sehr nützlich und zielführend<br />
sein, die Arbeitsmethoden (Fragen) der „Lösungsorientierten Beratung“ zu<br />
nutzen.<br />
●<br />
Den Unterscheidungspunkt macht letztlich die Haltung des Beraters gegen<strong>über</strong> seinem<br />
Partner aus. Da die „Lösungsorientierte Beratung“ keine gleichberechtigte Partnerschaft<br />
enthält kann der Ansatz nicht als Beratungskonzept akzeptiert werden, wenn<br />
auch sein Fragesystem in Beratungskonzepten Aufnahme finden kann.
Jenseits des Rubikon? Der mögliche Beitrag von Systemaufstellungen<br />
283<br />
Danach bleibt die Frage, ob und in welcher Form die Grundtechniken von „Lösungsorientierter<br />
Beratung“ und Systemaufstellungen in Arbeitsmethoden der landwirtschaftlichen<br />
Beratung eingebunden werden können.<br />
7 Ein neues Beratungskonzept der landwirtschaftlichen Beratung?<br />
Im Weiteren sollen die bisherigen Überlegungen noch einmal zusammengefasst und in<br />
einen beratungsmethodischen Zusammenhang eingeordnet werden.<br />
Der theoretische Hintergrund zeigt, dass Systemaufstellungen und „Lösungsorientierte<br />
Beratung“ auf einem identischen Grundverständnis aufbauen: Die Betrachtung wird<br />
von der Analyse der Problemkonstellation weg hin zu der Findung und Formulierung<br />
von Lösungskonzepten verlagert. Während die „Lösungsorientierte Beratung“ sich dazu<br />
sprachlicher und beratungsmethodischer Mittel bedient, ist es in der Systemaufstellung die<br />
spezielle Form der Visualisierung durch menschliche Stellvertreter, die zu den Lösungsansätzen<br />
führen soll.<br />
Wenn wir davon ausgehen, dass Beratung die Arbeit mit Inhalts- und Beziehungsaspekten<br />
in einer organisierten Welt ist, dann ist die Beziehung jeweils situativ neu zwischen<br />
den Beteiligten zu gestalten. Der Inhalt stammt von den Ratsuchenden, der Berater macht<br />
Problemanalysen um diesen Inhalt zu verstehen und daraus mit den Ratsuchenden zusammen<br />
Lösungskonzepte zu entwickeln. Hier sehen die lösungsorientierten Konzepte eine<br />
Umkehr vor. Das Problem soll der Berater gar nicht verstehen. Er ist Helfer für das Finden<br />
und Erfinden von Lösungen.<br />
War das nicht schon immer so? Ist es tatsächlich ein Wandel oder nur eine Ausdifferenzierung?<br />
Grundsätzlich scheint es ein Wechsel (wieder) hin zu einem innovationsorientierten<br />
Konzept zu sein, doch auch dieses kann eine Ergänzung zum Beziehungskonzept in der<br />
Beratungsarbeit sein. Die beratungsmethodischen Konzepte der landwirtschaftlichen Beratung<br />
setzen bei der Problemanalyse und der Verhaltensanalyse an (vgl. 13). Aus seiner<br />
fachlichen Kompetenz heraus, verbunden mit der partnerschaftlichen Grundhaltung, wird<br />
der Berater dadurch in die Lage versetzt, möglichst gut zu verstehen, wo das Problem<br />
des Ratsuchenden liegt. Hieraus sucht er mit dem Ratsuchenden weiterführende Ansätze<br />
um gemeinsam eine Lösung zu entwickeln oder gar zu begleiten. Ist diese Abkehr vom<br />
innovationsorientierten Ansatz eigentlich konsequent zu Ende gedacht oder wird nicht<br />
nur durch die Zwischenschaltung von Problem- oder Verhaltensanalyse der eigentliche<br />
innovative Anstoß, der vom Berater erwartet und eingebracht wird, nur weiter zeitlich<br />
nach hinten verschoben?<br />
Wenn wir den Beratungsprozess zerlegen, so finden sich vier Strukturebenen:<br />
a. die Beziehung (zwischen Ratsuchendem und Berater),<br />
b. die Gewohnheiten (die alltäglichen des Ratsuchenden und die professionellen des Beraters),<br />
c. die sachlichen Probleme (des Ratsuchenden) und<br />
d. die Lösungen (für den Ratsuchenden).<br />
Für jede der Ebenen haben wir Konzepte oder Verfahren des Vorgehens: auf der Beziehungsebene<br />
die nondirektive Gesprächsführung nach rogers, bei den Gewohnheiten des<br />
Ratsuchenden die Verhaltensanalyse, bei den sachlichen Problemen die Problemanalyse,<br />
die technisch geprägt ist und von inhaltlichen Strukturen bestimmt wird, sowie bei den<br />
Lösungen die Innovationstheorie und die „Lösungsorientierte Beratung“.<br />
Systemaufstellungen und „Lösungsorientierte Beratung“ können die Verfahren der<br />
vierten Ebene sein. Dabei muss aber nochmals auf die oben bereits ausgeführte Diffe-
284 Herman Boland und Thorsten Michaelis<br />
renzierung zwischen Gesprächstechnik und Haltung gegen<strong>über</strong> dem Partner hingewiesen<br />
werden.<br />
Auf einen wichtigen und für die Verwendung dieser Ansätze ausschlaggebenden Punkt<br />
weist kaimer (30, S. 11) hin. Er formuliert dazu: „mir scheint es für den lösungsfokussierten<br />
Ansatz charakteristisch zu sein, was auch ähnlich für die Verhaltenstherapie gilt.<br />
Klienten, welche mit graWes Worten jenseits des Rubikon sind, mit denen es also möglich<br />
ist, ein klares Wunder zu konstruieren und im Gefolge dann auch Ziele und Teilziele, sind<br />
auch passende Klienten für den Ansatz und umgekehrt. Klienten, welche im Gefolge von<br />
inneren Konflikten solche Visionen noch nicht entwickeln können, welche sehr emotional<br />
reagieren bzw. ihre ersten Änderungen eben im emotionalen Bereich benennen, werden<br />
vom Standardangebot des lösungsfokussierten Ansatzes vielleicht eher enttäuscht sein.<br />
Dabei könnte doch auch die Entwicklung eines Wunders als erstes Ziel gelten und auch<br />
dieser Lösungsfokus hier angegangen werden. Ein Angebot für Klienten diesseits des<br />
Rubikon also.“ Wenn der Ratsuchende also <strong>über</strong> den Rubikon hinweg ist, er das Wunder<br />
benennen kann, geht es nur um das Erreichen. Ist er noch nicht so weit in seiner individuellen<br />
Entwicklung oder Verarbeitung seiner Situation, so geht es darum, ihn zu einer<br />
Vorstellung von dem Wunder zu führen. Die Ähnlichkeit von kaimers Einschätzung zu der<br />
Rubikon-Theorie des zielgerichteten Handelns von gollWitzer (20) und heckhaUsen (24)<br />
ist erheblich. Dort ist es der Übergang vom Wünschbaren zum Machbaren, vom Wünschen<br />
zum Wollen, mit dem die Autoren die Rubikon-Metapher belegen.<br />
Folgt man diesen Überlegungen, so gehören Systemaufstellungen nicht in den Beratungsablauf.<br />
Sie führen zu einer Beratungsfähigkeit und zu Nachfrage nach Beratung.<br />
Möglicherweise können sie in einer festgefahrenen Problemanalyse dem Ratsuchenden<br />
auf einer persönlichen und wenig kognitiven Ebene, einen neuen Anstoß geben. Systemaufstellungen<br />
benötigen dafür ein spezielles Setting – außerhalb von Beratungsprozessen<br />
– und eine kompetente und qualifizierte Leitung.<br />
Das Fragesystem der „Lösungsorientierten Beratung“ kann hingegen eine Gesprächsstrategie<br />
für die Phase der Lösungsfindung anbieten, um hier zu weiterführenden Ergebnissen<br />
zu gelangen. Wie oben dargestellt, ist dabei aber von der Haltung der therapeutischen<br />
Intervention abzusehen und eine beraterische Haltung einzunehmen, mit der die<br />
Fragetechniken eingesetzt werden.<br />
8 Schlussfolgerungen<br />
Es lässt sich festhalten, dass die Konzepte der Systemaufstellungen und der „Lösungsorientierten<br />
Beratung“ durchaus Anregungen und Ansatzpunkte für die methodische Gestaltung<br />
von Beratung in der <strong>Landwirtschaft</strong> bieten. Dazu müssen allerdings beide Konzepte<br />
in ihrer therapeutischen und damit direktiven Potenz erkannt werden:<br />
●<br />
●<br />
die „Lösungsorientierte Beratung“ gerät leicht durch die Fokussierung auf Lösungen<br />
und aufgrund ihrer Nähe zu Techniken der NLP in den Verdacht der Manipulation.<br />
die Systemaufstellungen sind durch die extreme Position hellingers und seiner Vorgehensweisen<br />
diskreditiert. Auch in der offeneren Position von sparrer und varga<br />
von kibéd bleibt es bei der dominanten Rolle der Aufstellungsleiter hinsichtlich der<br />
Lösungskonstellation sowie der Veränderungsimpulse. könig spricht daher von einem<br />
leiterzentrierten Verfahren, das der Charismatisierung des Leiters zuarbeitet (32,<br />
S. 150).<br />
Nimmt man die für das landwirtschaftliche Beratungsverständnis nicht zu tolerierenden<br />
dirigistischen Elemente weg, so verbleiben im Kern zwei methodische Elemente, die für<br />
den Einsatz auch im landwirtschaftlichen Beratungsfeld bedenkenswert sind:
Jenseits des Rubikon? Der mögliche Beitrag von Systemaufstellungen<br />
285<br />
● Die extreme Verfremdung und Verkürzung einer Situationsanalyse auf eine durch<br />
wenige fremde Personen darstellbare Szene und deren Verwendung zur Klärung von<br />
Situation und Lösungsansätzen. Dieses ließe sich aber auch aus der Methodik des<br />
Psychodrama nach moreno (37) ableiten.<br />
●<br />
Die Verwendung des gesprächstechnischen Instrumentariums der „lösungsorientierten<br />
Beratung“ zur Fokussierung auf die Umsetzung und Realisierung von Lösungen nach<br />
erfolgter Problemklärung und Zielsetzung.<br />
Wenn, wie in der landwirtschaftlichen Beratung, Menschen mit ihrem Arbeitsfeld in den<br />
Mittelpunkt gestellt werden, so ist es erforderlich, neben den naturwissenschaftlichen und<br />
ökonomischen Methoden zur Erfassung und Entwicklung des Arbeitsfeldes auch sozialwissenschaftliche<br />
und psychologische Methoden zur Beschreibung des Umgangs mit den<br />
Menschen immer neu zu betrachten. In beiden Feldern ist es erforderlich, von den Bedingungen<br />
in dem jeweiligen Anwendungsfeld auszugehen und die gefundenen neuen Methoden<br />
entsprechend anzupassen. Systemaufstellungen und „Lösungsorientierte Beratung“<br />
können neue Anregungen geben und das Handlungsmodell der landwirtschaftlichen Beratung<br />
erweitern. Den Rubikon zu <strong>über</strong>schreiten ist dabei Ziel jeder Beratungsbemühungen.<br />
Allerdings in zweierlei Hinsicht: Vom Wünschen zum Wollen zu gelangen bedeutet für<br />
den Landwirt, eine klare Zielvorstellung zu entwickeln und somit auch eine Vorstellung,<br />
welche Unterstützung er vom Berater erwartet. Auch für den Berater gibt es einen solchen<br />
Rubikon. Dieser liegt auf der Ebene seiner methodischen Arbeit: Es gilt von der Wünschbarkeit,<br />
den Ratsuchenden zu helfen, zu der Machbarkeit eines „Beratens“ zu gelangen.<br />
Jedes neue Konzept muss also zunächst von den Beratern kennen gelernt und verarbeit<br />
werden, bevor diese gemeinsam mit den Ratsuchenden an der Zukunft arbeiten können.<br />
Zusammenfassung<br />
<strong>Landwirtschaft</strong>liche Beratung wurde bisher durch Anstöße aus anderen Disziplinen bereichert. Anregungen<br />
aus den therapeutischen Ansätzen der „Lösungsorientierten Beratung“ und der Systemaufstellung,<br />
auch bekannt als Familien- oder Organisationsaufstellung, werden auf ihren möglichen<br />
Beitrag zur Weiterentwicklung der landwirtschaftlichen Beratung diskutiert. Diese basiert auf dem<br />
Konzept der problemorientierten Beratung: der Berater verantwortet die methodische Angemessenheit<br />
und die fachliche Richtigkeit und Vollständigkeit, der Ratsuchende die ehrliche Einbringung<br />
seiner Situation sowie die daraus folgenden Entscheidungen und Handlungen.<br />
Diesem Verständnis werden die „Lösungsorientierte Beratung“ und die Systemaufstellung gegen<strong>über</strong>gestellt.<br />
Anhand einer empirischen Untersuchung kann die Wirksamkeit des Ansatzes Systemaufstellung<br />
festgestellt werden. Die Grundhaltung eines Therapeuten bei der Anwendung „Lösungsorientierter<br />
Beratung“ und Systemaufstellung unterscheidet sich jedoch von der eines Beraters<br />
in der <strong>Landwirtschaft</strong>. Deshalb muss beachtet werden, dass die therapeutischen Ansätze selbst nicht<br />
Bestandteil von landwirtschaftlicher Beratung sein können. Für die landwirtschaftliche Beratung<br />
lassen sich dennoch zwei bedenkenswerte Elemente identifizieren.<br />
Zur Klärung einer Situation und von Lösungsansätzen kann die extreme Verfremdung und Verkürzung<br />
durch eine darstellbare Szene mit wenigen fremden Personen bei der Situationsanalyse in<br />
der landwirtschaftlichen Beratung Verwendung finden. Das gesprächstechnische Instrumentarium<br />
der „lösungsorientierten Beratung“ aus der Therapie kann in einem späteren Beratungsschritt zur<br />
Fokussierung auf die Umsetzung und Realisierung von Lösungen nach erfolgter Problemklärung<br />
und Zielsetzung eingesetzt werden.<br />
Summary<br />
Beyond Rubicon? – the potential contribution of systemic constellations and solution<br />
orientation to extension work in agriculture<br />
Agricultural extension has in the past been enriched by various impulses from other disciplines.<br />
This paper discusses concepts originating from the therapeutic background of the “solution-oriented<br />
extension” and the systemic constellation, also known as family- or organisational constellation, for<br />
their potential contribution to a further development of agricultural extension. The latter is based on<br />
the concept of problem-oriented extension: the extension worker is responsible for methodological
286 Herman Boland und Thorsten Michaelis<br />
approaches as well as for technical correctness and completeness whereas the client seeking advice<br />
is responsible for the honest description of the situation as well as for the follow-up decisions and<br />
actions.<br />
In contrast to this conventional extension approach, the “solution-oriented extension” as well as<br />
the systemic constellation are presented. Empirical data provide information about the effectiveness<br />
of systemic constellations. However, the tenor of a therapist in “solution oriented extension” and<br />
systemic constellation is different from the tenor of a conventional agricultural extension worker.<br />
Hence, one has to note that these therapeutic approaches by themselves cannot form part of agricultural<br />
extension. Yet, two elements can be identified as possibly relevant for agricultural extension.<br />
In order to clarify the situation as well as the solution concepts, the extreme alienation and reduction<br />
of the depictable scene with only a few strangers can prove useful in agricultural extension in<br />
the phase of the situation analysis. The communicative instruments stemming from the “solutionoriented<br />
extension” could be used in a later extension phase for focusing on the implementation and<br />
realisation of solutions after the problem has been identified and the targets have been set.<br />
Résumé<br />
Franchir le Rubicon? La contribution possible de la constellation systémique et de<br />
l´orientation solutions à la vulgarisation agricole<br />
Le domaine de la vulgarisation agricole s’est peu à peu enrichi grâce aux diverses impulsions en<br />
provenance d’autres disciplines. En particulier, certaines suggestions relatives aux approches thérapeutiques<br />
de la psychologie centrées sur la solution c´est-à-dire suivant la voie de « l´orientation<br />
solutions » et l´application de la constellation systémique, aussi établie sous le nom de constellation<br />
systémique de la famille ou de l´organisation. La discussion porte ici sur la contribution que ces<br />
techniques peuvent apporter au développement de la vulgarisation agricole. Cette dernière repose<br />
actuellement sur le concept du conseil centré sur la résolution du problème posé. Cela implique que<br />
le conseiller assure la justesse de la méthode employée, la pertinence professionnelle et l´intégrité. La<br />
personne à la recherche d’un conseil se doit, pour sa part, d’apporter une contribution sincère quand<br />
à l’exposition de sa situation ainsi que les décisions et les actions qui en découlent.<br />
C´est à ce concept de travail que le conseil « orienté solutions » et l’application de la constellation<br />
systémique font contraste. Une analyse empirique permet de déterminer l’efficacité de l’utilisation de<br />
la constellation systémique. Cependant, il est important de noter que lors de l’application du conseil<br />
« orienté solutions » et de la constellation systémique, l’attitude du thérapeute est fondamentalement<br />
différente de celle du conseiller agricole. Pour cette raison, l’approche thérapeutique elle-même ne<br />
peut pas devenir partie intégrante de la vulgarisation agricole. Deux éléments intéressants peuvent<br />
être néanmoins retenus car ils offrent des possibilités d´application au domaine de la vulgarisation<br />
agricole.<br />
Dans le but de clarifier une situation donnée et les solutions à envisager, une distanciation extrême<br />
et un abrègement de la scène présentable peuvent être envisagés pour servir l’analyse de la situation<br />
dans le cadre de la consultation agricole grâce à un travail réalisé avec un groupe réduit de personnes<br />
ne se connaissant pas. Les instruments de communication du conseil « orienté solutions » de la thérapie<br />
peuvent être utilisés lors d’une étape avancée de la consultation agricole afin de se concentrer<br />
sur la mise en œuvre et la réalisation des solutions après une clarification réussie du problème et de<br />
l’objectif poursuivi.<br />
Literatur<br />
1. aereboe, F., 1920: Allgemeine <strong>Landwirtschaft</strong>liche Betriebslehre. 5. Aufl., Berlin, Parey.<br />
2. albrecht, h.; bergmann, h.; diederich, g.; grosser, e.; hoFFmann, v.; keller, p.; payr, g.; sülzer,<br />
r., 1987: <strong>Landwirtschaft</strong>liche Beratung Bd. 1: Grundlagen und Methoden. 2. Aufl. Eschborn.<br />
3. –, 1969: Innovationsprozesse in der <strong>Landwirtschaft</strong>. Eine kritische Analyse der agrarsozialen „adoption“<br />
und „diffusion“-Forschung in Bezug auf Probleme der landwirtschaftlichen Beratung, Saarbrücken:<br />
SSIP.<br />
4. atteslander, P., 1993: Methoden der empirischen Sozialforschung, Berlin [u. a.]: de Gruyter,<br />
7. Aufl.<br />
5. bachmann, W., 1991: Das neue Lernen. Eine systematische Einführung in das Konzept des NLP.<br />
Paderborn.<br />
6. backhaUs, k.; erichson, b.; plinke W.; Weiber, r., 2000: Multivariate Analysemethoden – eine anwendungsorientierte<br />
Einführung, Berlin [u. a.]: Springer, 9. Aufl.<br />
7. bamberger, g. g., 2001: Lösungsorientierte Beratung. Praxishandbuch. 2. Aufl. Weinheim.<br />
8. bandler, r.; grinder, J., 1981: Metasprache und Psychotherapie. Paderborn 1981.
Jenseits des Rubikon? Der mögliche Beitrag von Systemaufstellungen<br />
287<br />
9. boland, h.; göbel, i.; michaelis T., 2003a: Wirkungsanalyse – Systemaufstellungen als innovatives<br />
Beratungsinstrument im ökologischen Landbau. In: Wesseler, m.; Fink-kessler, a.: Systemaufstellungen<br />
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56. Wesseler, m.; Fink-kessler, a., 2003: Systemaufstellungen als innovatives Beratungsinstrument im<br />
ökologischen Landbau. Witzenhausen (http://orgprints.org/1936/).<br />
Dank<br />
Die Wirkungsanalyse zu Systemaufstellungen ist ein Teilergebnis des Projekts „Systemaufstellungen<br />
als innovatives Beratungsinstrument im ökologischen Landbau“ (02OE602), das durch das Bundesministerium<br />
für Verbraucherschutz, Ernährung und <strong>Landwirtschaft</strong> im Rahmen des Bundesprogramms<br />
Ökologischer Landbau gefördert wurde. Wir danken in diesem Zusammenhang Herrn Dr.<br />
Wesseler, Frau Dr. Fink-kessler, Frau göbel und allen Projektbeteiligten für die konstruktive<br />
Zusammenarbeit. Für ergänzende Vorschläge danken wir einem Gutachter des Manuskripts.<br />
Autorenanschrift: Prof. Dr. hermann boland und Dipl.-Ing. agr. thorsten michaelis, Professur<br />
für Kommunikations- und Beratungslehre, Institut für Agrarsoziologie und<br />
Beratungswesen der Justus-Liebig-Universität Gießen, Senckenbergstraße 3,<br />
35390 Gießen, Deutschland<br />
hermann.boland@agrar.uni-giessen.de, mail@t-michaelis.de
Unternehmen im Agrarbereich vor<br />
neuen Herausforderungen<br />
– Bericht <strong>über</strong> die 45. Jahrestagung der Gesellschaft für Wirtschafts- und<br />
Sozialwissenschaften des Landbaues e. V. (GEWISOLA) 2005 in Göttingen –<br />
Von enno bahrs, stephan von cramon-taUbadel, achim spiller, lUdWig theUvsen,<br />
bernhard voget, Göttingen und ManFred zeller, Stuttgart<br />
1 Einleitung<br />
U.S. Copyright Clearance Center Code Statement: 0005-9080/06/8402-289 $ 2.50/0<br />
289<br />
Zum Thema ‚Unternehmen im Agrarbereich vor neuen Herausforderungen’ fand die<br />
45. Jahrestagung der Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften des Landbaues<br />
vom 5. Oktober bis zum 7. Oktober 2005 in Göttingen statt.<br />
Steigende Ansprüche der Bevölkerung an Lebensmittelsicherheit und -qualität finden<br />
ihren Niederschlag in zunehmenden Anforderungen, die der Gesetzgeber an Produzenten<br />
und Verarbeiter landwirtschaftlicher Erzeugnisse stellt. Gleichzeitig haben sich verändernde<br />
agrarpolitische Rahmenbedingungen im europäischen und globalen Kontext Auswirkungen<br />
auf die Gestaltungsmöglichkeiten des Unternehmers vor Ort. Im Mittelpunkt<br />
der drei Plenarveranstaltungen und 15 Arbeitsgruppensitzungen stand die Frage nach Strategien,<br />
mit denen Unternehmen des Agrarsektors auf jene Herausforderungen reagieren, die<br />
aus vielgestaltigem Anpassungsdruck einerseits und durch Globalisierungsprozesse sich<br />
erweiternden Möglichkeiten wirtschaftlicher Betätigung andererseits entstehen. Vor dem<br />
Hintergrund der skizzierten Einflussgrößen setzten sich die Teilnehmer der Jahrestagung<br />
anhand von vier Vorträgen, 45 Referaten und einer abschließenden Podiumsdiskussion mit<br />
verschiedenen Aspekten auseinander, die alle Gegenstand der aktuellen agrarökonomischen<br />
Forschung sind. Zusätzlich wurden zwei Best Paper und 13 Poster präsentiert, deren Autoren<br />
sich ebenfalls mit Chancen und Risiken unternehmerischen Agierens in der Land-<br />
und Ernährungswirtschaft sowie der Bewertung von agrarpolitischen Maßnahmen befasst<br />
haben.<br />
Nachfolgend wird ein zusammenfassender Überblick <strong>über</strong> die gehaltenen Vorträge und<br />
Referate gegeben, die sich den Schwerpunktbereichen<br />
● Aktuelle Entwicklungen im Agrarsektor,<br />
● Markt und Politik,<br />
● Produzenten und Konsumenten in Agrarsektor und Gesellschaft,<br />
● Unternehmen in einem dynamischen Umfeld sowie<br />
●<br />
Finanzierung der EU-Agrarpolitik<br />
zuordnen lassen.<br />
2 Aktuelle Entwicklungen im Agrarsektor<br />
In der einführenden Plenarveranstaltung geht thalheim darauf ein, wie die Reform der<br />
Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der Europäischen Union (EU) umgesetzt werde und<br />
wie der gegenwärtige Stand der Implementierung sei. Er führt aus, dass die Beschlüsse zur<br />
Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik 2003 nicht zuletzt eine Reaktion auf die sich stetig
290 E. Bahrs, S. von Cramon-Taubadel, A. Spiller, L. Theuvsen, B. Voget und M. Zeller<br />
ändernden Rahmenbedingungen sind, die auf die <strong>Landwirtschaft</strong> in der EU einwirken.<br />
Als zentrale Elemente der Reform nennt er die Entkopplung der Direktzahlungen von der<br />
Produktion im Zusammenspiel mit Cross-Compliance und Modulation. Entsprechend den<br />
unterschiedlichen Optionen im EG-Recht unterscheiden sich die Entkopplungsmodelle in<br />
den EU-Mitgliedstaaten hinsichtlich des Zeitpunkts der Entkopplung, der Wahl des Entkopplungsmodells<br />
und der Nutzung der Möglichkeiten der Beibehaltung einer teilweisen<br />
Kopplung einzelner Direktzahlungen. Bei der Konzeption des deutschen Entkopplungsmodells<br />
standen Marktorientierung zur Gewährleistung höherer Entscheidungsfreiheit<br />
der Landwirte, die ausgewogene Verteilung der Direktzahlungen zwischen Regionen,<br />
Betriebsformen und Produktionssystemen, eine Begrenzung des Verwaltungsaufwands<br />
sowie die Sicherung der gesellschaftlichen Akzeptanz der Zahlungen als Zielsetzungen<br />
im Vordergrund. Das deutsche Entkopplungsmodell, auf das sich Bund und Länder verständigt<br />
haben, ist ein dynamisches Kombinationsmodell. Die Ermittlung des Werts der<br />
Zahlungsansprüche erfolgt in einem einmaligen, aufwändigen Verwaltungsverfahren im<br />
ersten Jahr der Anwendung der Betriebsprämienregelung.<br />
Weiterhin geht thalheim auf die Verhandlungen <strong>über</strong> eine Reform des Zuckermarktes<br />
ein. Mit den Beschlüssen von Bund und Ländern zur Umsetzung der GAP-Reform 2003<br />
ist die Entscheidung, wie der Rübenausgleich in Deutschland verteilt wird, im Grundsatz<br />
schon gefallen. Ab 2013 gilt das reine Regionalmodell, also regional einheitliche Hektarprämienrechte.<br />
Spätestens zu diesem Zeitpunkt wird der Rübenausgleich vollständig<br />
in den regional einheitlichen Hektarprämienrechten aufgegangen sein. thalheim kommt<br />
zu dem Schluss, dass die Agrarreform zu einer gewissen Abkehr vom Grundsatz der GAP<br />
geführt hat, da das EG-Recht den Mitgliedstaaten bei der Entkopplung der Direktzahlungen<br />
zahlreiche Handlungsoptionen eröffnet hat: Es gibt Mitgliedstaaten, in denen die<br />
Landwirte völlig frei in ihrer Anbauentscheidung sind. Diese Länder haben vollständig<br />
entkoppelt. In anderen Mitgliedstaaten hingegen ist ein Teil der Direktzahlungen nach<br />
wie vor an die Produktion gebunden, da sie von den im EG-Recht vorgesehenen Kopplungsoptionen<br />
Gebrauch gemacht haben. In den Mitgliedstaaten, die gekoppelte Direktzahlungen<br />
beibehalten haben, wird <strong>über</strong> kurz oder lang eine Diskussion <strong>über</strong> Sinn und<br />
Zweck gekoppelter Zahlungen in Gang kommen. Aus diesem Grund ist nach Auffassung<br />
von thalheim mittel- bis langfristig mit einem Trend zur vollständigen Entkopplung zu<br />
rechnen. In Mitgliedstaaten mit Betriebsmodell und damit mit historisch begründeten,<br />
unterschiedlich hohen Zahlungsansprüchen der Betriebsinhaber wird die Diskussion <strong>über</strong><br />
die Berechtigung solcher Ungleichheiten spätestens in einigen Jahren voll entbrennen.<br />
Forderungen nach einer Vereinheitlichung werden daher die logische Konsequenz sein. Im<br />
deutschen dynamischen Kombinationsmodell sei dieser Weg bereits festgelegt, weshalb<br />
dem Regionalmodell die Zukunft gehören werde.<br />
schmidhUber befasst sich in seinem Vortrag mit der „Nutrition Transition“. Ein besonderes<br />
Augenmerk legte er dabei auf Prognosen der menschlichen Ernährungsgewohnheiten<br />
in Entwicklungsländern und den daraus abzuleitenden Implikationen für Handel<br />
und Gesellschaft.<br />
In den vergangenen Jahren sind weltweit ein beachtlicher mengenmäßiger Anstieg<br />
im Lebensmittelkonsum, Veränderungen der Verbrauchergewohnheiten und Umbrüche<br />
im gesamten Lebensmittelsystem aufgetreten. Diese Umwälzungen, die zunächst auf<br />
die industrialisierte Welt beschränkt gewesen sind, werden nun mit einer noch größeren<br />
Geschwindigkeit von vielen der so genannten advanced economies der sich entwickelnden<br />
Welt durchlebt. Die zurückliegenden Umstellungen von Ernährungsgewohnheiten<br />
und des Lebensstils sind bereits gut dokumentiert. Basierend auf dem weltweiten<br />
„Outlook“ der Food and Agriculture Organization (FAO) der vereinten Nationen (VN)<br />
umreißt schmidthUber die möglichen Veränderungen der Ernährungsgewohnheiten in<br />
der Zukunft sowie den globalen Verlauf der zu erwartenden Umbrüche in Verbindung
Unternehmen im Agrarbereich vor neuen Herausforderungen<br />
291<br />
mit Nahrungsmitteln <strong>über</strong> die nächsten 30 Jahre. Es präsentiert die Hauptantriebskräfte<br />
der Ernährungsveränderung und betrachtet deren Einfluss auf die voraussichtliche Anpassung<br />
von Konsummustern. Die Umstellung der Ernährungsgewohnheiten analysiert<br />
schmidthUber auf eine Reihe von spezifischen Ausprägungen, inklusive solcher in Entwicklungsländern.<br />
Er illustriert, wie die derzeitige Belastung durch Unterernährung und<br />
falsche Ernährung in Entwicklungsländern sehr wahrscheinlich die adversen Effekte der<br />
„Nutrition Transition“ verstärkt. Insbesondere gilt das für die steigende Verbreitung von<br />
Fettsucht und nicht ansteckenden Krankheiten (Non-Communicable Diseases, NCDs).<br />
Er zeigt ferner, wie und wo die derzeitigen Probleme von Unterernährung eine zukünftig<br />
wachsende gesellschaftliche Belastung durch Übergewicht, Fettleibigkeit und NCDs<br />
hervorrufen könnten. Schließlich folgert schmidthUber, dass sowohl Unterernährung als<br />
auch zu nährstoffreiche Ernährung (overnutrition) wahrscheinlich für eine längere Zeit<br />
nebeneinander in der Mehrzahl der Entwicklungsländer existieren werden und so für eine<br />
weit verbreitete doppelte Belastung durch Fehlernährung sorgen. schmidthUber stellt in<br />
seinem Vortrag auch erste Forschungsergebnisse zum Thema „<strong>Landwirtschaft</strong> und Energiemärkte“<br />
vor. Im Vordergrund stehen hierbei die Wechselwirkungen zwischen Energiemärkten<br />
und Märkten für Agrarprodukte wie beispielsweise Zucker und pflanzliche Öle<br />
sowie mögliche Auswirkungen auf sektorale Austauschverhältnisse in der <strong>Landwirtschaft</strong>,<br />
Ernährungssicherheit und Armut weltweit.<br />
hendrikse trägt zum Thema Restrukturierung landwirtschaftlicher Genossenschaften<br />
im globalen Wettbewerb vor. Er betrachtet verschiedenen Einflussfaktoren auf die interne<br />
und externe Organisationsstruktur von Genossenschaften, die durch Veränderungen der<br />
Agrarmärkte bedingt werden.<br />
Eine Produzentengenossenschaft ist ein Zusammenschluss vieler unabhängiger Erzeuger<br />
(horizontale Beziehung), die gemeinschaftlich einen verarbeitenden bzw. handelnden<br />
Betrieb des nachgelagerten Bereichs besitzen (vertikale Beziehung). Die Entscheidungsstrukturen,<br />
die sich aus dem kollektiven Eigentümerstatus ergeben, führen zu charakteristischen<br />
Unterscheidungsmerkmalen, die genossenschaftlich organisierte Unternehmen<br />
klar von börsennotierten Unternehmen abgrenzen. hendrikse nennt die Orientierung zur<br />
spezifischen Befriedigung der Bedürfnisse der eigenen Mitglieder, demokratische Zielsetzungs-<br />
und Entscheidungsfindungsmethoden, typische Regeln, um mit Einlagen und<br />
Gewinn zu operieren sowie das Interesse der Allgemeinheit berücksichtigende Zielvorgaben.<br />
Vor allem dient eine Genossenschaft dem Interesse ihrer Mitglieder. Bezüglich<br />
der Geschäftstätigkeit ist sie nicht allein auf den Return on Investment (ROI) fokussiert,<br />
denn die einzelnen Mitglieder zielen vielmehr darauf ab, den ROI ihres eigenen privaten<br />
landwirtschaftlichen Unternehmens zu maximieren.<br />
Kollektiver Besitz bedarf spezifischer kollektiver Entscheidungsregeln, die heute im<br />
Allgemeinen durch demokratische Abläufe gekennzeichnet sind. Eine Stimmengewichtung<br />
nach Einlagevolumina kann vor diesem Hintergrund zu ineffizienten kollektiven Entscheidungen<br />
führen, da sie nicht die aggregierten Erlöse aller Mitglieder maximieren.<br />
Der Trend zu Differenzierung und Innovation in den Märkten für Land- und Gartenbau<br />
bedingt eine wachsende Heterogenität der landwirtschaftlichen Produzenten. Dies bedeutet<br />
eine Herausforderung für die traditionellen Erzeugergemeinschaften, wie beispielsweise<br />
Genossenschaften, da verschiedenen Aspekte ihrer Entscheidungsfindungsmechanismen<br />
ursprünglich auf eine homogene Mitgliederstruktur zugeschnitten worden sind.<br />
Zunehmende Heterogenität innerhalb der Genossenschaftsmitglieder scheint nach Ansicht<br />
von hendrikse die Effizienz und damit auch die Stabilität von Genossenschaften zu gefährden,<br />
da sie Spannungen zwischen den innovativen und weniger innovativen einzelnen<br />
Mitgliedsbetrieben hervorruft. Nachhaltige und wettbewerbsfähige <strong>Landwirtschaft</strong> hängt<br />
demnach heute zu einem Großteil von der Fähigkeit des Genossenschaftssektors ab, sich<br />
an Herausforderungen des Marktes anzupassen. Dazu bedarf es sowohl Umgestaltungen in
292 E. Bahrs, S. von Cramon-Taubadel, A. Spiller, L. Theuvsen, B. Voget und M. Zeller<br />
der Organisation als auch der Funktionsweise von Genossenschaften. Von entscheidender<br />
Bedeutung ist hierbei die Reform der Entscheidungsfindungsmechanismen.<br />
schUlte stellt anschließend aus Sicht eines Vertreters der Unternehmenspraxis die Perspektiven<br />
des Wettbewerbs in der Molkereiwirtschaft heraus. Seiner Auffassung nach bestimmen<br />
augenblicklich im Wesentlichen vier Faktoren den Wettbewerb in der Milchwirtschaft;<br />
dies sind (a) Politikveränderungen, insbesondere GAP-Reform, EU-Erweiterung<br />
und WTO-Handelsreform, (b) ein verändertes Verbraucherverhalten, charakterisiert durch<br />
erhöhte Preissensibilität, Trend zum Out of home- und Convenience-Konsum, steigende<br />
Anforderungen an die Lebensmittelsicherheit sowie Gesundheits- und Fitnesstrend, (c)<br />
der Lebensmitteleinzelhandel (LEH) in Deutschland und Europa, gekennzeichnet durch<br />
Internationalisierung und Konsolidierung sowie einen stark ansteigenden Discount- und<br />
Handelsmarkenanteil, und (d) ein wachsender Wettbewerbsdruck aufgrund starker Vorlieferanten<br />
und Konkurrenten, hoher Überkapazitäten sowie gesättigter Märkte. Auf einige<br />
dieser Entwicklungstrends geht schUlte näher ein. Im deutschen LEH ist in den<br />
vergangenen Jahren vor allem der Hard Discount rasant gewachsen. Bei Milchprodukten<br />
haben die Discounter im Jahr 2004 bereits rund 53 % des Umsatzes in der Weißen Linie<br />
und mehr als 64 % des Umsatzes in der Gelben Linie auf sich vereint. Für das restliche<br />
Europa wird für die kommenden fünf bis zehn Jahre ebenfalls ein starkes Vordringen<br />
des Hard Discounts erwartet. Angetrieben wird diese Entwicklung durch die europaweite<br />
Expansion deutscher Discounter. Für die an Niedrigpreisstrategien des LEH gewöhnte<br />
deutsche Milchindustrie ergeben sich aus dem Expansionsdrang der Discounter attraktive<br />
Marktchancen bei exportfähigen Produkten.<br />
Der europäische Milchmarkt ist durch einen hohen strukturellen Milch<strong>über</strong>schuss geprägt.<br />
Die Situation wird einerseits durch den verstärkten Marktzugang aus Drittländern<br />
verschärft, andererseits stehen auf den in hohem Maße gesättigten Märkten Mitteleuropas<br />
potenziellen neuen Wettbewerbern hohe Eintrittsbarrieren entgegen. Marktchancen werden<br />
vor allem in Osteuropa und den GUS-Staaten gesehen. Große europäische Molkereien<br />
sind bereits mit Direktinvestitionen in wichtigen Zielmärkten vertreten. Der deutsche<br />
Milchmarkt ist derzeit noch durch viele, <strong>über</strong>wiegend mittelgroße Unternehmen, hohe<br />
Überkapazitäten in einigen Produktsegmenten, eine unzureichende Ausstattung namentlich<br />
des genossenschaftlichen Sektors mit Eigenkapital, hohe Marktaustrittsbarrieren sowie<br />
eine wachsende Bedrohung durch europäische Wettbewerber geprägt.<br />
Das Wettbewerbsumfeld ist in den letzten Jahren durch das starke internationale<br />
Wachstum bedeutender europäischer Molkereien gekennzeichnet gewesen, während<br />
deutsche Genossenschaften im Bereich der Internationalisierung des Geschäfts noch weit<br />
zurückstehen. Perspektivisch sollen jedoch die Präsenz in Wachstumsmärkten ausgebaut<br />
sowie die Innovationsorientierung und die Fokussierung auf die langfristige Unternehmensentwicklung<br />
gestärkt werden. Davon sollen auch die Milcherzeuger profitieren. Die<br />
Nordmilch als Deutschlands größte Molkerei ist davon <strong>über</strong>zeugt, so schUlte abschließend,<br />
dass in zukünftig liberalisierten Märkten eine intensive Integration der verschiedenen<br />
Partner einer Wertschöpfungskette im Rahmen einer ausgeprägten Supply Chain<br />
Management Relationship ein wesentlicher Erfolgsfaktor sein wird.<br />
3 Markt und Politik<br />
3.1 Marktstruktur und Marktmacht<br />
gerlach, spiller und Wocken befassen sich mit der Untersuchung von Einflussfaktoren<br />
auf die Geschäftsbeziehung zwischen Milcherzeugern und Molkereien. Da sich innerhalb<br />
der EU derzeit viele Landwirte in neuen Vermarktungskooperationen gegen eine
Unternehmen im Agrarbereich vor neuen Herausforderungen<br />
293<br />
durch hohe Relevanz genossenschaftlicher Verarbeitungsunternehmen charakterisierte<br />
Abnehmerseite organisieren, um ihren eigenen Wertschöpfungsanteil zu erhöhen, werden<br />
traditionell langfristige Bindungen an den Milchabnehmer offenbar lockerer. Der<br />
Milchauszahlungspreis tritt immer mehr in den Vordergrund, sodass sich bei Verfestigung<br />
dieser Tendenz der Milchmarkt in Richtung Spot-Markt entwickeln könnte. Vor diesem<br />
Hintergrund zielt die Arbeit darauf ab, aus Sicht der Molkereien Ansatzpunkte für eine<br />
Verbesserung der Geschäftsbeziehung zu ihren Milchlieferanten zu entwickeln. Zu diesem<br />
Zweck konstruieren die Autoren ein Regressionsmodell zur Erklärung der Geschäftsbeziehungsqualität<br />
und <strong>über</strong>prüfen empirisch seine Aussagekraft mittels einer Befragung<br />
von 209 Milchlandwirten. In theoretischer Hinsicht leisten sie damit einen Beitrag zur<br />
Messung von Marktprozessen in hybriden vertikalen Marktstrukturen und zum Supply<br />
Chain Management. Im Ergebnis sind ein systematisches Management der Lieferantenbeziehungen<br />
(Supplier Relationship Management) und eine regelmäßige Analyse der<br />
Geschäftsbeziehungsqualität zumindest für diejenigen Molkereien wichtig, die nicht auf<br />
Spotmärkten agieren wollen.<br />
In ihrem Beitrag zeigt von schlippenbach anhand industrieökonomischer und verhandlungstheoretischer<br />
Überlegungen Gründe für Untereinstandspreisverkäufe, ihre<br />
Konsequenzen für den horizontalen Wettbewerb sowie ihre Auswirkungen entlang der<br />
Wertschöpfungskette auf, um zu einer wettbewerbspolitischen Einschätzung von Untereinstandspreisverkäufen<br />
im LEH unter besonderer Berücksichtigung vertikaler Implikationen<br />
zu gelangen. Im Mittelpunkt der Ausführungen steht die Darstellung von Untereinstandspreisverkäufen<br />
als einzelwirtschaftlich rationale Strategie, die sich aus der<br />
optimalen Preissetzung eines Mehrprodukt-Monopolisten ergibt sowie der Überwindung<br />
der Marktversagensproblematik durch hold-up dient. Die Autorin kommt zu dem Schluss,<br />
dass eine pauschale Verurteilung von Untereinstandspreisverkäufen als Element des Verdrängungswettbewerbs<br />
sowie als Möglichkeit zur Erhöhung des Preisdrucks durch den<br />
Einzelhandel nicht angezeigt ist. Weiterhin wird gezeigt, dass mittels Untereinstandspreisverkäufen<br />
die Marktversagensproblematik durch hold-up sowie allokative Ineffizienz und<br />
zusätzlich aufgewendete Werbekosten, die sich wohlfahrtsmindernd auswirken, <strong>über</strong>wunden<br />
werden können. Eine grundsätzliche Untersagung von Untereinstandspreisverkäufen<br />
sollte daher sowie im Hinblick auf die <strong>über</strong>ragende Bedeutung der Preisbildungsfreiheit<br />
unterbleiben.<br />
anders analysiert die Ausübung von Marktmacht durch den LEH auf regionalen<br />
Faktor- und Produktmärkten am Beispiel der Märkte für Rind- und Schweinefleisch in<br />
Deutschland. Dazu bedient er sich eines theoretischen Rahmens, der gleichzeitig die Oligopol-<br />
und Oligopson-Gleichgewichte des Einzelhandels parametrisiert. Besonders die<br />
im LEH gemessenen Koeffizienten für die mutmaßliche Variation zwischen dem Ankauf<br />
von Fleisch und dessen Weiterverkauf an die Konsumenten deuten auf signifikante Abweichungen<br />
vom perfekten Wettbewerb hin. Das Niveau der Ausübung von regionaler<br />
Marktmacht des LEH ist allerdings begrenzt und zeigt keine Charakteristika eindeutig<br />
monopolistischen oder eindeutig monopsonistischen Verhaltens.<br />
3.2 Marktwirtschaftliche Auswirkungen von Agrar- und Handelspolitik<br />
chemnitz und grethe befassen sich mit dem empirischen Nachweis der Existenz einer<br />
Rente (24 bis 36,5 Millionen €/Jahr) im Rahmen der EU-Präferenzregelung für den Import<br />
marokkanischer Tomaten und der Aufteilung dieser Rente zwischen den verschiedenen<br />
Akteuren des Vermarktungsweges. Aufgrund der Struktur des marokkanischen Tomatenexportsektors<br />
und des von der EU angewendeten komplexen Systems von Präferenzregelungen<br />
für die Importlizenzvergabe ist es wahrscheinlich, dass ein Großteil der Rente<br />
der marokkanischen Seite zufällt. Eine Dissipation der Rente in Form von physischem
294 E. Bahrs, S. von Cramon-Taubadel, A. Spiller, L. Theuvsen, B. Voget und M. Zeller<br />
rent-seeking tritt kaum auf. Die zukünftige Entwicklung der Kontingentsrente wird ausschlaggebend<br />
von dem weiteren Verlauf der Verhandlungen der World Trade Organisation<br />
(WTO) abhängen. Während Marokko zwar bei einer Absenkung des EU-Preisniveaus auf<br />
der einen Seite seine Kontingentsrente verlieren würde, könnte es auf der anderen Seite<br />
seine Exportmenge ausdehnen. Allerdings könnte die zukünftige Entwicklung der marrokanischen<br />
Wasserpreispolitik, sofern diese dann die tatsächlichen sozialen Kosten des<br />
Wasserangebotes widerspiegelt, zu einem signifikanten Rückgang der derzeitigen Kontingentsrente<br />
führen und im Falle einer weiteren Handelsliberalisierung die Möglichkeit<br />
Marokkos begrenzen, auf die erhöhte Nachfrage zu reagieren.<br />
In ihrem Beitrag analysieren brümmer und zorya die strukturellen Veränderungen<br />
in der Preisbeziehung zwischen Weizen und Weizenmehl in der Ukraine von Juni 2000<br />
bis November 2004 mit Hilfe eines Markov-Switching Vektorfehlerkorrekturmodells<br />
(MSVFKM). Die Autoren gehen davon aus, dass im Transformationsprozess von einem<br />
plan- zu einem marktwirtschaftlichen System häufige Veränderungen in den Rahmenbedingungen<br />
des Marktaustauschs die Transmission zwischen den Preisen für landwirtschaftliche<br />
Erzeugnisse und verarbeitete Produkte beeinflussen. Diese Strukturbrüche,<br />
beispielsweise höhere Volatilität durch Freigabe zuvor administrativ festgelegter Preise,<br />
wodurch konsekutive Politikeingriffe auf den Märkten hervorgerufen werden, komplizieren<br />
die empirische Analyse von vertikaler Marktintegration. Wenn die Märkte vertikal integriert<br />
sind, so sollten die Preise eine Langfristbeziehung aufweisen. Die Preisänderungen<br />
auf einem der Märkte sind dann von der Kurzfristdynamik und von der Abweichung vom<br />
langfristigen Gleichgewicht abhängig. Der dieser Struktur zu Grunde liegende datengenerierende<br />
Prozess lässt sich ökonometrisch in der Form des Vektorfehlerkorrekturmodells<br />
abbilden. Allerdings deuten die oben beschriebenen vielfältigen Politikeingriffe und<br />
Umkehrungen in der Nettohandelsposition auf das Vorhandensein von Strukturbrüchen<br />
hin, sodass die Standardversion des Vektorfehlerkorrekturmodells aufgrund mangelnder<br />
struktureller Stabilität keine kongruente Abbildung darstellen dürfte. Daher bietet sich<br />
ein MSVFKM als erweitertes Modell an, in dem einige der Parameter je nach Zustand<br />
des Systems verschiedene Werte annehmen können. Als Ergebnis der Analyse lassen sich<br />
vier Regimes unterscheiden, deren zeitliche Verteilung eine enge Übereinstimmung mit<br />
bestimmen politischen und wirtschaftlichen Ereignissen in der Ukraine aufweist. Insbesondere<br />
fällt die zeitliche Konkordanz zwischen dem durch hohe Unsicherheit geprägtem<br />
Regime und diskretionären Politikeingriffen in 2003 auf.<br />
grethe und Weber gehen der Frage nach, weshalb isoelastische im Vergleich zu aus<br />
flexiblen Funktionsformen (FFF) abgeleiteten Verhaltenssystemen so verbreitet sind. Sie<br />
vergleichen dazu isoelastische Angebotssysteme mit aus einer spezifischen FFF, der Symmetric<br />
Generalized McFadden (SGMF)-Gewinnfunktion, abgeleiteten Angebotssystemen<br />
im Rahmen des partiellen Central and Eastern European Countries Agricultural Simulation<br />
Model (CEEC-ASIM). Die in angewandten Simulationsmodellen weit verbreiteten<br />
isoelastischen Angebots- und Nachfragesysteme haben den Nachteil, dass sie nur sehr<br />
eingeschränkt auf globale Konsistenz mit bestimmten sich aus der ökonomischen Theorie<br />
ergebenden Bedingungen zu restringieren sind. Um bei einem Vergleich beider Spezifikationen<br />
Unterschiede in der Angebotsreaktion auf die Funktionsform zurückführen zu können,<br />
wurden diese in der Modellbasis auf identische Elastizitäten kalibriert. Die Vergleiche<br />
der Angebotsreaktion von isoelastischen und aus einer SGMF abgeleiteten Modellspezifikationen<br />
zeigen dann, dass die Abweichungen in einem üblichen Simulationsbereich einer<br />
Preisvariation von +/- 50 % der Modellbasis gering sind.<br />
banse und grethe versuchen, die Effekte einer verminderten Subsistenzproduktion für<br />
Milch in den Mittel- und Osteuropäischen Ländern (MOEL) in einem landwirtschaftlichen<br />
Sektormodell darzustellen. Es wird projiziert, dass die Nettoexporte von Molkereiprodukten<br />
Bulgariens, Rumäniens und Polens im Falle eines EU-Beitritts niedriger sind als
Unternehmen im Agrarbereich vor neuen Herausforderungen<br />
295<br />
ohne einen Beitritt, obwohl höhere Preise für handelbare Milchprodukte einen Anreiz für<br />
höhere Milchproduktion liefern. Diese wird jedoch aufgrund der Einführung von Milchquoten<br />
beschränkt. Die Quotierung der Milchproduktion in einer Situation zunehmender<br />
Marktnachfrage infolge sinkender Subsistenzwirtschaft führt zu einem deutlichen Preisanstieg<br />
für nicht-handelbare Milchprodukte. Somit erscheint die Annahme, dass Rohmilch<br />
ein nicht-handelbares Gut ist, zumindest ab einem deutlichen Preisgefälle zwischen einzelnen<br />
Mitgliedstaaten zweifelhaft. Je stärker der Rückgang der Subsistenzproduktion, desto<br />
eher ist zu erwarten, dass die Milchproduktion in vielen MOEL durch die EU-Milchquoten<br />
frühzeitig begrenzt wird. Die Autoren weisen allerdings darauf hin, dass eine empirische<br />
Fundierung der erwarteten Geschwindigkeit einer Abnahme der Subsistenzproduktion und<br />
des Ausmaßes, in dem sinkende Subsistenzproduktion in Marktproduktion und -konsum<br />
<strong>über</strong>führt wird, bisher weitgehend fehlt, weshalb die von ihnen dargestellten Resultate als<br />
vorläufig interpretiert werden sollten.<br />
In einem zweiten Beitrag beschreiben banse und grethe die Anwendung der logistischen<br />
Funktionsform zur Abbildung der Preistransmission von internationalen auf nationale<br />
Märkte im partiellen Nettohandels-Gleichgewichtsmodell European Simulation<br />
Model (ESIM). Dies ist ein komparativ-statisches partielles Mehrländergleichgewichtsmodell<br />
des Agrarsektors, das kürzlich in Bezug auf die Basisperiode, Produkt- und Länderabdeckung,<br />
Politikformulierung und die verwendete Software (GAMS) erweitert und<br />
aktualisiert wurde. In ESIM wird die logistische Funktionsform als Standardansatz für alle<br />
Produkte verwendet. Am Beispiel des europäischen Rindfleischmarktes zeigen die Autoren,<br />
dass die logistische Funktionsform ein flexibles Instrument zur Abbildung der Preistransmission<br />
in Nettohandelsmodellen ist, mit dem ein fließender Übergang von einem<br />
import- zu einem exportbasierten Preis, die möglicherweise auf sehr unterschiedlichen<br />
Niveaus liegen, gestaltet werden kann. Steilheit und Symmetrie des Preis<strong>über</strong>gangs können<br />
gesteuert werden. Auch die Effekte von Zollkontingenten und Exportsubventionen<br />
können abgebildet werden. Bei einer Simulation von starken Politikänderungen erfordert<br />
der gewählte Ansatz allerdings umfassende Marktkenntnisse und die Aufmerksamkeit des<br />
Modellnutzers, um abzuschätzen, ob die präferenziellen Mengen, die in der Basisperiode<br />
gesetzt wurden, immer noch gültig sind.<br />
hess untersucht anhand einer Auswahl von Simulationen im Rahmen der World Trade<br />
Organisation (WTO) Doha Runde, inwiefern die Methode der Meta-Analyse angewendet<br />
werden kann, um zwischen Simulationsergebnissen unterschiedlicher CGE-Modelle<br />
Transparenz herzustellen. Computable General Equilibrium (CGE) Modelle sind eine<br />
wissenschaftliche Standardmethode zur Analyse von Politikänderungen im Bereich des<br />
internationalen Agrarhandels. Weil die Kausalität zwischen der Funktionsweise eines<br />
CGE-Modells und den simulierten Ergebnissen meist allen Nicht-Modellierern verborgen<br />
bleibt und weil unterschiedliche Modelle zu vergleichbaren Politikszenarien häufig unterschiedliche<br />
Ergebnisse produzieren, ohne hierfür leicht zugängliche Erklärungen liefern<br />
zu können, wird CGE-basierten Simulationsergebnissen jedoch mitunter wenig Vertrauen<br />
entgegengebracht. Zur Begegnung der Kritik wird eine ökonometrische Meta-Regression<br />
mittels eines Mixed-Effects Modells durchgeführt. Das trägt der hierarchischen Datenstruktur<br />
Rechnung und identifiziert bestimmte Modellcharakteristika, durch die simulierte<br />
Wohlfahrtsänderungen entscheidend beeinflusst werden. Die geschätzten Koeffizienten<br />
stehen im Einklang mit qualitativen Erfahrungen; die geringe Stichprobengröße und der<br />
durch unvollständige Dokumentation bedingte Messfehler lassen allerdings keine allgemeinen<br />
Schlüsse zu.
296 E. Bahrs, S. von Cramon-Taubadel, A. Spiller, L. Theuvsen, B. Voget und M. Zeller<br />
3.3 Agrar- und entwicklungspolitische Herausforderungen<br />
henning, strUve, brümmer und seidel untersuchen vor dem Hintergrund der mit der Osterweiterung<br />
der EU einhergehenden Verschiebung tradierter politischer Machtstrukturen<br />
die Frage, in welchem Maße die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) jeweils einzelne nationalstaatliche<br />
Politikpositionen, die gemeinsame Haltung von Ländergruppen bzw. den<br />
Standpunkt der Europäische Kommission berücksichtigt. Dabei bedienen sich die Autoren<br />
eines generalisierten, politische Präferenzen berücksichtigenden Banzhaf-Index zur Messung<br />
politischer Macht, der auf das institutionelle Entscheidungssystem der GAP in der<br />
EU-15 und EU-25 angewendet wird: Demnach beschränkt (erweitert) eine extreme (zentrale)<br />
ideologische Position die Möglichkeit eines Akteurs, eine Gewinnkoalition für seine<br />
Idealposition zu formieren. Inhaltlich nehmen in der EU-15 neben liberalen Staaten, wie<br />
England oder den Niederlanden, auch in hohem Maß protektionistische und multifunktional<br />
ausgerichtete Mitgliedstaaten wie Griechenland oder Irland extreme ideologische Positionen<br />
ein, die ihre Macht stark einschränken. Hingegen nehmen in der EU-25 neben den<br />
stark liberalen Staaten protektionistische und wenig multifunktional ausgerichtete Staaten<br />
wie u. a. Italien oder Ungarn extreme ideologische Positionen ein. Das ideologische Zentrum<br />
in der EU-25 wird von 12 Mitgliedstaaten, einschließlich Deutschland, Frankreich,<br />
Spanien und Polen, gebildet. Diese Staaten präferieren eine moderate Agrarprotektion und<br />
eine stärkere Ausrichtung der GAP als ländliche Entwicklungspolitik. Die Kommission<br />
liegt weder in der EU-15 noch in der EU-25 unmittelbar im ideologischen Zentrum, da<br />
sie eine deutliche Reduktion der Agrarsubventionen und eine starke Ausrichtung der GAP<br />
an Tier- und Naturschutzzielen präferiert.<br />
matUschke und Qaim geben einen Überblick <strong>über</strong> unabhängige akademische Studien<br />
<strong>über</strong> die Auswirkungen der Grünen Gentechnik in fünf Entwicklungsländern Asiens, Afrikas<br />
und Lateinamerikas. Damit möchten sie eine solide Basis für eine öffentliche Diskussion<br />
<strong>über</strong> die Auswirkungen der Grünen Gentechnik in Entwicklungsländern bieten und<br />
helfen, weiteren Forschungsbedarf zu identifizieren. Gleichzeitig zeigen sie Wege auf, wie<br />
aus dem Anbau von gentechnisch veränderten (GV) Pflanzen die größtmöglichen Vorteile<br />
gezogen werden können. Die beiden Autoren gehen davon aus, dass die Anwendung der<br />
Gentechnik Vorteile mit sich bringt. Der Anbau insektenresistenter und herbizidtoleranter<br />
Pflanzen reduziert den Einsatz hochgiftiger Pestizide erheblich, was Kosten einspart und<br />
sich positiv auf Umwelt und menschliche Gesundheit auswirkt. Im Falle der so genannten<br />
Bt-Baumwolle, es handelt sich hierbei um schädlingsresistente GV Baumwolle, die ein<br />
spezifisch gegen Insekten wirksames Gift aus Bacillus thuringiensis produziert, lassen<br />
sich zusätzlich Ertragsgewinne verzeichnen. Verschiedene Studien zeigen, dass Kleinbauern<br />
mindestens genauso stark von der Technologie profitieren können wie ihre größeren<br />
Kollegen. Die Nutzenverteilung ist aber auch abhängig von institutionellen Faktoren, wie<br />
geistigen Eigentumsrechten. In vielen Entwicklungsländern ist der Schutz des geistigen<br />
Eigentums eher gering, was dazu führt, dass die Bauern bisher die Hauptnutznießer der<br />
Technologien sind. Das Argument, dass Grüne Gentechnik zur Ausbeutung der Bauern<br />
führe, ist deshalb nach heutigem Kenntnisstand nicht zu belegen. Trotz dieser positiven<br />
Auswirkungen besteht weiterhin großer Forschungsbedarf. Da GV-Pflanzen erst seit ca. 10<br />
Jahren vermarktet werden, sind mögliche Wechselwirkungen mit der Umwelt nicht hinlänglich<br />
bekannt. Des Weiteren sollte untersucht werden, welche institutionellen Veränderungen<br />
nötig sind, damit die Vorteile der Grünen Gentechnik die Armen erreichen. Institutionelle<br />
Reformen und andere Innovationen sind dringend notwendig, um langfristig zur<br />
Ernährungssicherung und Armutsreduktion in Entwicklungsländern beizutragen.<br />
Wronka und schmitz berechnen die ökonomischen Effekte einer Einführung von GV-<br />
Pflanzen mit Hilfe des partiellen Gleichgewichtsmodells (AGRISIM). Die Simulationen<br />
geben einen ersten Hinweis darauf, welche Auswirkungen unterschiedliche Produktions-
Unternehmen im Agrarbereich vor neuen Herausforderungen<br />
297<br />
und Handelsstrategien der EU hinsichtlich des Umgangs mit gentechnisch veränderten<br />
Nutzpflanzen haben könnten. Die Ergebnisse der Analyse deuten auf Wohlfahrtsgewinne<br />
hin, und dies nicht nur für adoptierende, sondern auch für nichtadoptierende Länder. Von<br />
der Übernahme von GV-Technologien profitieren vor allem Produzenten und hier insbesondere<br />
die Pioniere. Ein Importverbot für Mais und Sojabohnen von Seiten der EU<br />
wirkt sich negativ auf die Erzeuger in adoptierenden Ländern aus. Die negativen Effekte<br />
können jedoch durch die Wohlfahrtsgewinne der Konsumenten kompensiert werden und<br />
führen damit, selbst bei einem Importverbot, insgesamt zu einem Wohlfahrtsgewinn für<br />
Brasilien, China und die USA. Für die EU birgt die Entwicklung weg vom Status quo<br />
hin zur Einführung der neuen Technologien Chancen für eine verbesserte Wettbewerbsfähigkeit<br />
gemessen als der relative Zugewinn an Produzentenrente. Anders formuliert: Ein<br />
Verharren in der Status quo- Situation kann einen potenziellen Verlust an internationaler<br />
Wettbewerbsfähigkeit für die europäischen Produzenten bedeuten. Neben einer Umstrukturierung<br />
bezüglich der im Modell integrierten Regionen und Produkte, werden zukünftig<br />
noch weitere Anpassungen im Modell vorzunehmen sein. Weiterhin denken die Autoren<br />
dar<strong>über</strong> nach, Risiko und Risikoempfinden auf Seiten der Verbraucher in die Modellberechnungen<br />
mit einzubeziehen.<br />
3.4 Modellierung von Entscheidungen und Input-Output-Analysen<br />
In ihrem Beitrag eruieren mUsshoFF und hirschaUer das Verbesserungspotenzial von Optimierungsverfahren<br />
im Vergleich zu empirisch beobachtbaren Programmentscheidungen der<br />
landwirtschaftlichen Unternehmenspraxis. Basierend auf dem Informationsstand der Landwirte<br />
zum jeweiligen Entscheidungszeitpunkt stellen sie für drei ausgewählte arrondierte<br />
Brandenburger Marktfruchtbetriebe modellgestützt ein optimiertes Alternativprogramm<br />
auf. Der Unsicherheit hinsichtlich der Entwicklung der Einzeldeckungsbeiträge wird <strong>über</strong><br />
lineare Zeitreihenmodelle (ARIMA-Prozesse) Rechnung getragen. Bei der Festlegung<br />
des Alternativprogramms wird die Gesamtdeckungsbeitragsvarianz des tatsächlichen Programms,<br />
die implizit die subjektive Risikoeinstellung der Landwirte ausdrückt, als Obergrenze<br />
berücksichtigt. Der Vergleich empirischer und normativer Ergebnisse zeigt, dass im<br />
Durchschnitt der zurückliegenden fünf Jahre die Gesamtdeckungsbeiträge deutlich besser<br />
ausgefallen wären, wenn in den Betrieben zur Anbauplanung Zeitreihenanalysen durchgeführt<br />
und Optimierungsverfahren eingesetzt worden wären. Daraus schließen die Autoren,<br />
dass es sich lohnt, die Information, die in den empirischen Deckungsbeitragszeitreihen bis<br />
zum jeweiligen Entscheidungszeitpunkt steckt, systematisch für die Planung zu nutzen.<br />
Obwohl die Ergebnisse bezogen auf diese Fallstudien sehr eindeutig sind, können die Ergebnisse<br />
nur als erstes Indiz gewertet werden, u. a., da in der vorliegenden Analyse lediglich<br />
drei Betriebe mit ähnlichen Standortbedingungen <strong>über</strong> einen Zeitraum von nur fünf Jahren<br />
evaluiert wurden. Es sollte in weiterführenden Untersuchungen mit breiterer empirischer<br />
Datengrundlage die Robustheit und Überlegenheit des vorgeschlagenen Planungsverfahrens<br />
geprüft werden. Dabei sollten mögliche Einflussfaktoren wie z. B. Region, Management<br />
und Größe gezielt variiert werden.<br />
möhring und zimmermann stellen ein komparativ-statisches LP-Modell auf Betriebsebene<br />
vor, das angesichts sich verschärfender Rahmenbedingungen für die schweizerische<br />
Milchwirtschaft dazu dient, nachhaltige Milchproduktionssysteme zu ermitteln, die ökonomisch<br />
optimiert sind, aber auch den ökologischen Anforderungen der Gesellschaft genügen.<br />
Realitätsnahe, hinsichtlich Herdenmanagement, Gebäude, Fütterungssystem und<br />
Mechanisierung abgestimmte Produktionssysteme werden im Modell mittels binärer Variablen<br />
abgebildet. Zur Ermittlung der Umweltwirkungen des Betriebs ist eine Ökobilanz in<br />
das Modell integriert. Dazu erfolgt eine detaillierte Abbildung innerbetrieblicher Produktionszusammenhänge.<br />
Eine Anwendung, bei der ein Vergleich verschiedener einkommens-
298 E. Bahrs, S. von Cramon-Taubadel, A. Spiller, L. Theuvsen, B. Voget und M. Zeller<br />
optimierter Produktionssysteme erfolgt, deckt einige Zielkonflikte zwischen Ökonomie<br />
und Ökologie auf, wobei Systeme mit Vollweide in beiden Aspekten am besten abschneiden.<br />
Das vorgestellte Modell stellt sehr hohe Ansprüche an eine detaillierte Datenbasis.<br />
Der Aufwand für ein solches Modell ist jedoch gerechtfertigt, da die Berücksichtigung der<br />
Wechselwirkungen zwischen Technologie, Ökonomie und Ökologie neue Möglichkeiten<br />
für die einzelbetriebliche Optimierung eröffnet.<br />
bergmann widmet sich der volkswirtschaftlichen Bedeutung der <strong>Landwirtschaft</strong> im<br />
„Alten Land“, dem zweitgrößten geschlossenen Obstanbaugebiet Deutschlands in der<br />
Nähe der Freien und Hansestadt Hamburg, anhand von volkswirtschaftlichen Kennzahlen,<br />
die allerdings weder den kulturellen noch den touristischen Wert der Region umfassen.<br />
Mit Hilfe des MODOP-Verfahrens (Double Proportionality Model) wird eine regionalisierte<br />
Input-Output-Analyse durchgeführt, auf deren Basis die volkswirtschaftlich regionale<br />
Bedeutung des <strong>Landwirtschaft</strong>ssektors dargestellt werden kann. Untersucht werden,<br />
neben der regionalen Bedeutung der <strong>Landwirtschaft</strong>, die Auswirkungen unterschiedlicher<br />
Input-Output-Tabellen auf die Arbeitplatzbedeutung der <strong>Landwirtschaft</strong> für die Region.<br />
Die Schätzungen zeigen, dass je nach Berechnung ein Wegfall der <strong>Landwirtschaft</strong> den<br />
Produktionswert in der Region um mindestens 54 Millionen €/Jahr vermindern würde. Nur<br />
unzureichend gelingt es in diesem Zusammenhang allerdings, die wesentliche wirtschaftliche<br />
Bedeutung der <strong>Landwirtschaft</strong>, insbesondere für Handel und Verkehr, abzubilden,<br />
womit die dargestellten Zahlen lediglich eine Untergrenze der Bedeutung darstellen und<br />
diese weit unterschätzt wird. Insgesamt kann jedoch geschlossen werden, dass der <strong>Landwirtschaft</strong>ssektor<br />
im Umfeld Hamburgs von volkswirtschaftlicher Bedeutung und von<br />
besonderer Eminenz insbesondere für den lokalen Arbeitsmarkt ist. Während die <strong>Landwirtschaft</strong><br />
nur für etwas mehr als 5 % des regionalen Produktionswertes verantwortlich<br />
ist, ist ihre Arbeitsmarktbedeutung mit fast 10 % aller direkt und indirekt verursachten<br />
Arbeitsplätze fast doppelt so groß.<br />
4 Produzenten und Konsumenten in <strong>Landwirtschaft</strong> und Gesellschaft<br />
4.1 Verbraucher- und Anbieterverhalten<br />
Mit dem Ziel, den Means-End-Chain (MEC) Ansatz als eine Methode zur Identifizierung<br />
von werte- und nutzeninduzierten Verbraucherwünschen in die Discrete Choice-Analyse<br />
zu integrieren, stellt hartl ein ökonomisches Modell vor, um den Einfluss kognitiver<br />
Strukturen auf das Entscheidungsverhalten von Verbrauchern zu modellieren. Im Allgemeinen<br />
sind MEC-Daten aufgrund ihrer Komplexität schwierig in ökonomischen Modellen<br />
zu verankern. Anhand von latenten Klassen könnten Verbraucher mit ähnlichen kognitiven<br />
Strukturen zu Segmenten zusammengefasst sowie der Einfluss solcher Segmente<br />
auf das Entscheidungsverhalten bestimmt werden. Aus Sicht des MEC-Theorie stellt ein<br />
solcher Ansatz eine bisher fehlende Verbindung des MEC-Ansatzes mit dem Entscheidungsverhalten<br />
der Verbraucher her, und aus Sicht der Discrete Choice-Analyse ermöglicht<br />
ein solcher Ansatz eine bessere Identifikation und Interpretation latenter Klassen.<br />
Offen bleiben hinsichtlich der Datenerhebung insbesondere die Frage nach einer etwaigen<br />
Überforderung der Befragten sowie Ungewissheiten, die die Schätzung des postulierten<br />
Modells tangieren. Eine empirische Studie könnte zur Klärung beitragen.<br />
geise präsentiert ein qualitatives Forschungskonzept zur Erklärung impulsiven Kaufverhaltens<br />
und veranschaulicht seine Anwendung beispielhaft. Das impulsive Kaufverhalten<br />
der Konsumenten findet im Rahmen des Marketings von Markenartikel- und<br />
Einzelhandelsunternehmen große Beachtung, insbesondere im Zusammenhang mit Pointof-Sale-<br />
(PoS) Marketingaktivitäten. Die Käuferverhaltensforschung beschäftigt sich al-
Unternehmen im Agrarbereich vor neuen Herausforderungen<br />
299<br />
lerdings nur sporadisch mit dieser spezifischen Verhaltensweise. Dies trifft vor allem auf<br />
die Konzeption und empirische Überprüfung entsprechender Erklärungsansätze bezüglich<br />
der verhaltensdeterminierenden Faktoren zu. Um Abhilfe zu schaffen, wird das qualitative<br />
Forschungskonzept entwickelt, das auf einer Methodenkombination von halbstandardisiertem<br />
Interview und Struktur-Lege-Technik basiert. Mit Hilfe dieser zeitaufwändigen<br />
Datenerhebungs- und -auswertungsprozedur können die subjektiven Impulskauftheorien<br />
(Alltagstheorien) von Konsumenten rekonstruiert und zu einem interindividuellen Erklärungsansatz<br />
zusammengeführt werden. Vor allem die interindividuelle Zusammenfassung<br />
der subjektiven Impulskauftheorien zu einem Erklärungsansatz in Form einer theoretischen<br />
Makrostruktur stellt nach Meinung des Autors einen Beitrag zur Weiterentwicklung der<br />
Impulskaufforschung dar. Die Frage, wie realitätsangemessen bzw. erklärungskräftig die<br />
entwickelte Makrostruktur ist, bleibt einer gesonderten empirischen Überprüfung vorbehalten.<br />
Auf der Grundlage eines theoretischen Modells, das auch unvollkommene Arbeitsmärkte<br />
berücksichtigt, ermitteln glaUben, loy, rathmann und tietJe unter Verwendung<br />
einer multinomialen Logit-Analyse den Einfluss von Variablen auf die Wahrscheinlichkeit<br />
der Verwirklichung einer bestimmten Partizipationsstrategie am Arbeitsmarkt im Vergleich<br />
zur Referenz der arbeitswirtschaftlichen Autarkiesituation. Die Ausübung einer außerbetrieblichen<br />
Tätigkeit gewinnt im landwirtschaftlichen Sektor zunehmende Bedeutung.<br />
Dabei kann die Arbeitsmarktpartizipation auch bei Haushaltsmitgliedern, die vergleichsweise<br />
große landwirtschaftliche Betriebe bewirtschaften, beobachtet werden. Die Autoren<br />
weisen für persönliche, familiäre sowie betriebliche Faktoren signifikante Einflüsse<br />
nach, so beispielsweise für die durch nichtlandwirtschaftliche Ausbildung verbesserten<br />
Opportunitäten zur landwirtschaftlichen Tätigkeit. Allerdings ist es insbesondere Milcherzeugern<br />
nicht möglich, etwaige betriebliche Unterbeschäftigung durch außerbetriebliche<br />
Beschäftigung zu kompensieren, was Investitionen in betriebliches Wachstum und dabei<br />
vor allem in weitere Spezialisierung in der Milcherzeugung aufgrund fehlender Opportunitäten<br />
vorzüglich erscheinen lässt. Durch die Entkopplung der Prämienzahlungen im<br />
Zuge der Agrarreform ist die grundlegende Umgestaltung betrieblicher Produktionsprozesse<br />
ohne Verlust der Transferzahlungen möglich, was die Aufnahme außerbetrieblicher<br />
Tätigkeiten tendenziell begünstigt.<br />
möser und herrmann untersuchen das Ausmaß der Preisrigidität, die Verbreitung psychologischer<br />
Preise sowie die Bedeutung psychologischer Preise für die Preisrigidität im<br />
Kaffeesektor des deutschen LEH und führen eine vergleichende Betrachtung mit einer<br />
breiten Auswahl von Lebensmitteln durch. Zu diesem Zweck werten sie einen umfangreicher<br />
Scannerdatensatz aus. Bei der Erklärung von Preisrigidität nimmt aus der Sicht<br />
von Ökonomen und vielen Managern die Marketingstrategie der Preissetzung unterhalb<br />
von psychologischen Preisschwellen nur geringe Bedeutung ein. Dennoch zeigt die Analyse,<br />
dass psychologische Preise bei der Preisgestaltung von Kaffee im speziellen und<br />
Lebensmitteln allgemein eine herausragende Rolle spielen. Dabei liegen Scannerdaten der<br />
Preise von sechs Kaffeemarken bzw. 20 Lebensmitteln <strong>über</strong> einen Zeitraum von 144 Wochen<br />
hinweg von 1996 bis 1999 in 38 Geschäften des deutschen LEH zugrunde. Bei der<br />
Analyse der Preise fällt auf, dass die Endziffer neun bei weitem die am häufigsten verwendete<br />
Endziffer darstellt. Bei den 20 Lebensmitteln ist zusätzlich eine Konzentration auf<br />
einige wenige psychologische Preise festzustellen. Demgegen<strong>über</strong> deuten die Ergebnisse<br />
an, dass bei Kaffee wichtige psychologische Preisschwellen nicht von Bedeutung sind,<br />
denn die Konzentration auf einige wenige psychologische Preise ist nicht ersichtlich. Die<br />
beobachteten Unterschiede in der Preisrigidität von Kaffee in den einzelnen Unternehmen<br />
lassen sich durch die unterschiedliche Bedeutung psychologischer Preise begründen, die<br />
durch unternehmensspezifische Strategien und den unterschiedlichen Einsatz von Preisaktionen<br />
zustande kommen. Damit üben Preisaktionen im Kaffeesektor keinen direkten
300 E. Bahrs, S. von Cramon-Taubadel, A. Spiller, L. Theuvsen, B. Voget und M. Zeller<br />
Einfluss auf die Preisrigidität aus, wie es in Strukturmodellen für eine breite Auswahl von<br />
Lebensmitteln bestätigt werden konnte. Kaffee ist also in vielerlei Hinsicht ein besonderes<br />
Lebensmittel in den Preisstrategien des LEH.<br />
gerlach, spiller und engelken widmen sich der Frage, wie die Perspektiven des<br />
Bio-Fachhandels zu beurteilen sind. Ausgehend von der Beobachtung, dass in den letzten<br />
Jahren Bio-Läden verstärkt Konkurrenz durch Bio-Supermärkte und den konventionellen<br />
Lebensmitteleinzelhandel bekommen haben, stellen die Autoren eine Befragung von Bio-<br />
Intensivkäufern zu ihren Einkaufsstättenpräferenzen und ihrer Wechselbereitschaft zu anderen<br />
Handelsbetriebsformen vor. Die Analyse von aus den ermittelten Daten gebildeten<br />
Kundenclustern zur Bestimmung von Abwanderungsgefahren und Kundenbindungsfaktoren<br />
mit Hilfe eines multinomialen Logit-Modells zeigt als Ergebnis, dass nur ein Drittel<br />
der bisherigen Kunden einkaufsstättentreu sind. Der größere Teil wandert dagegen bei entsprechenden<br />
Preisvorteilen zum Bio-Supermarkt ab. Der Wechsel in den konventionellen<br />
LEH spielt dagegen nur eine geringere Rolle. Über den konkreten Fall hinaus präsentieren<br />
die Autoren außerdem ein einfaches Modell zur Modellierung des Betriebsformenwettbewerbs,<br />
das sich auch für eine Online-Befragung eignet.<br />
petzholdt und enneking befassen sich mit der Untersuchung kaufrelevanter Eigenschaften<br />
bei Rotwein. Dazu analysieren sie anhand der Ergebnisse einer Conjoint Analyse<br />
die Wichtigkeit verschiedener extrinsischer Merkmale bei Dornfelder- und Beaujolais-<br />
Weinen und vergleichen diese mit den Resultaten hedonischer Tests zur Beurteilung des<br />
Gesamteindrucks. Die hedonischen Tests sind zusätzlich durchgeführt worden, um auch<br />
die intrinsische Komponente hinsichtlich ihrer Relevanz für die Kaufentscheidung des<br />
Verbrauchers zu berücksichtigen. Aufgrund zunehmender Konkurrenz aus der „Neuen<br />
Welt“ und eines Präferenzwandels von Weiss- zu Rotwein unterliegt der deutsche Weinmarkt<br />
seit längerem starken Veränderungen. Doch gerade die deutschen Rotweine scheinen<br />
geeignet, größere Marktanteile gewinnen zu können. Als Beispiel dient der Erfolg der<br />
Rebsorte Dornfelder. Ein Vergleich der Ergebnisse der Conjoint-Analyse und der hedonischen<br />
Tests zur Beurteilung des Gesamteindrucks zeigt, dass nur einige der untersuchten<br />
extrinsischen Eigenschaften geeignet sind, auf die intrinsischen Merkmale eines Weines<br />
zu schließen.<br />
4.2 <strong>Landwirtschaft</strong>, Agribusiness und Gesellschaft<br />
helmle stellt Thesen zu den Veränderungen der öffentlichen Kommunikation <strong>über</strong> <strong>Landwirtschaft</strong><br />
auf, die sie im Hinblick auf Veränderungen der Deutungsmacht politischer<br />
Akteure, kommunizierte Sinn-Ordnungen und das Vermögen der Bürger, Bilder und<br />
Sinn-Ordnungen zu erkennen, diskutiert. Ausgehend von einer Bestandsaufnahme jüngerer<br />
Arbeiten <strong>über</strong> Images der <strong>Landwirtschaft</strong> werden Überlegungen zur Veränderung der<br />
öffentlichen Kommunikation staatlicher Agrarpolitik und deren Wirkungen ausgeführt.<br />
Besondere Bedeutung kommt dabei bestimmten Vorstellungen von bäuerlicher Autonomie<br />
zu, denn in der <strong>Landwirtschaft</strong> hat sich die Macht <strong>über</strong> Deutungen dessen, was als erstrebenswert<br />
gilt, verändert. Dabei verteilen sich nicht nur die Möglichkeiten der Einflussnahme<br />
neu zwischen den Akteuren, sondern es kommen auch neue Akteure hinzu. Und<br />
auch die öffentliche Kommunikation staatlicher Agrarpolitik scheint sich zunehmend von<br />
dem abzulösen, was tatsächlich in der <strong>Landwirtschaft</strong> geschieht. Diese Kommunikation<br />
dient nicht bloß dazu, Bürger zu einem veränderten Verhalten anzuregen, sie dient auch<br />
dazu, staatliches Handeln zu legitimieren.<br />
Jäckel und spiller skizzieren ein Modell mit eher hypothesengenerierendem als<br />
-prüfendem Charakter zur Messung der Öffentlichkeitsorientierung (Public Orientation) in<br />
Anlehnung an die breite Theoriediskussion um die Marktorientierung von Unternehmen<br />
(Market Orientation). Die Liste der Themen, bei denen Unternehmen des Agribusiness
Unternehmen im Agrarbereich vor neuen Herausforderungen<br />
301<br />
auf gesellschaftliche Kritik stoßen, ist lang, denn die Agrarpolitik, vormals ein von der<br />
Öffentlichkeit eher wenig beachtetes Feld des Rent Seeking, wird zunehmend zum Gegenstand<br />
medialer Auseinandersetzungen. Durch eine Befragung von Public Relations<br />
(PR) Verantwortlichen der deutschen Agrar- und Ernährungsbranche zu ihrem Umgang<br />
mit gesellschaftlichen Stakeholdern <strong>über</strong>prüfen die Autoren ihr Modell empirisch. Mittels<br />
einer Regressionsanalyse können sie wichtige Elemente einer erfolgreichen PR-Politik<br />
identifizieren. Als Ergebnis der Analyse zeigt sich, dass viele Unternehmen Probleme im<br />
Umgang mit kritischen Anspruchsgruppen und Journalisten haben, da die kulturelle Distanz<br />
zwischen kritischen Stakeholdern und Unternehmen relativ groß ist.<br />
theUvsen, essmann und brand-sassen analysieren, ob es möglich ist, die Putenmast<br />
in Deutschland artgerechter zu gestalten, ohne dass der Standort an Wettbewerbsfähigkeit<br />
einbüßt. Dazu werden die Kosten verschiedener Maßnahmen zur Verbesserung der Artgerechtheit<br />
der Putenhaltung der Zahlungsbereitschaft der Verbraucher für diese Maßnahmen<br />
gegen<strong>über</strong>gestellt. Die Ergebnisse der eigenen Studie vergleichen die Autoren mit<br />
denen von zwei Markttests deutscher Putenfleischerzeuger; zusätzlich wird auf methodologische<br />
Probleme eingegangen. Tierhaltung und -mast haben in den Industrieländern<br />
einen besonderen Konflikt zu bestehen. Landwirte sehen sich dem Dilemma zwischen der<br />
Einhaltung ethischer Maßstäbe bei der Produktion, wie sie z. B. Nichtregierungsorganisationen<br />
(NGOs) und eine breite Öffentlichkeit fordern, einerseits und dem wirtschaftlichen<br />
Druck, im internationalen Wettbewerb zu bestehen, andererseits ausgesetzt. Die durchgeführte<br />
Studie zeigt jedoch, dass die Bereitschaft der Konsumenten für tiergerechtere<br />
Aufzuchtsysteme einen höheren Preis zu zahlen, die dem Erzeuger durch veränderte Haltungsbedingungen<br />
entstehenden Kosten <strong>über</strong>steigt.<br />
4.3 Regionale Auswirkungen der EU-Agrarreform<br />
Weinmann, schroers, sheridan und kUhlmann beschäftigen sich mit den langfristigen<br />
Auswirkungen der Entkopplung der Prämienzahlungen auf die regionale Landnutzung.<br />
Dazu werden mit dem Landnutzungsmodell ProLand für eine benachteiligte Region in<br />
Hessen (Lahn-Dill-Gebiet) die Landnutzung und ökonomische Indikatoren prognostiziert<br />
und die Konsequenzen diskutiert. Das Landnutzungsmodell ProLand ist ein komparativ-statisches<br />
Simulationsmodell zur Prognose von räumlich expliziten Landnutzungsverteilungen.<br />
Auf der Grundlage von Raumvarianten, natürlichen und wirtschaftlichen<br />
Standortbedingungen sowie unter Berücksichtigung der politischen Rahmenbedingungen<br />
und des Entscheidungsverhaltens der Landnutzer wird für jede räumliche Entscheidungseinheit<br />
die Landnutzung prognostiziert. Dabei wird unterstellt, dass die Landnutzer nach<br />
der Maximierung der Bodenrente streben und deshalb unter allen Landnutzungsalternativen<br />
die mit der höchsten Bodenrente auswählen. Ziel der Modellberechnungen ist<br />
es, durch den Vergleich der langfristig optimalen Landnutzung unter den Rahmenbedingungen<br />
der Agenda 2000 und der vollständigen Entkopplung der Prämienzahlungen den<br />
Einfluss dieser agrarpolitischen Rahmenbedingungen auf die Landnutzung aufzuzeigen.<br />
Neben der reinen Flächennutzung werden auch die ökonomischen Zielgrößen wie Bodenrente,<br />
Prämienzahlungen und Arbeitseinsatz in die Bewertung einbezogen. Es zeigen sich<br />
Unterschiede zwischen der Landnutzung unter den Bedingungen der Agenda 2000 und<br />
der Entkopplung der Prämienzahlung. Besonders auf marginalen Standorten mit hohem<br />
Niederschlag und geringer Temperatursumme werden in beiden Szenarien verschiedene<br />
Landnutzungen prognostiziert. Während unter den Bedingungen der Agenda 2000 diese<br />
Standorte verstärkt für Ackerbau genutzt werden, zeigt sich die Nutzung als Grünland bei<br />
der Entkopplung der Prämienzahlung als ökonomisch vorteilhafter. Insgesamt erhalten<br />
rund 75 % der Flächen mehr entkoppelte Prämienzahlungen als Flächen- und Tierprämien<br />
unter den Agenda 2000-Bedingungen. Die Schläge, die in beiden Szenarien eine unter-
302 E. Bahrs, S. von Cramon-Taubadel, A. Spiller, L. Theuvsen, B. Voget und M. Zeller<br />
schiedliche Landnutzung aufwiesen, erhalten weniger Prämienzahlungen als zuvor. Dies<br />
bedeutet, dass unter den Bedingungen der Agenda 2000 die Prämien die Landnutzung auf<br />
diesen Schlägen entscheidend beeinflusst haben.<br />
gay und osterbUrg geben einen Überblick <strong>über</strong> die Umsetzung der 2003-Reform<br />
der GAP und diskutieren die daraus resultierenden Implikationen für die Landnutzung<br />
in der EU-15. Mit der Agrarreform von 2003 wurde eine fundamentale Abkehr vom bisherigen<br />
Agrarförderungsschema durchgesetzt. Es erfolgte damit ein Schritt weg von der<br />
Förderung der agrarwirtschaftlichen Produktion hin zu an die bewirtschaftete Fläche gebundenen<br />
Zahlungen, deren Gewährung zudem an bestimmte vom Zahlungsempfänger<br />
einzuhaltende Bedingungen bezüglich Umwelt- und Tierschutz, Nahrungsmittelsicherheit<br />
und Arbeitsschutz geknüpft wird (compulsory Cross-Compliance). Die Modulation, d. h.<br />
die Umwidmung von Mitteln der so genannten Ersten Säule in die Zweite Säule der GAP,<br />
sowie nationale Rahmenbeträge (die es den Mitgliedstaaten ermöglichen, bis zu 10 %<br />
der jeweils für die Erste Säule der GAP zur Verfügung stehenden Summe umzuwidmen,<br />
um damit Bewirtschaftungsweisen zu fördern, die als wichtig im Sinne des Umwelt- und<br />
Naturschutzes erkannt werden) führen dazu, dass das Förderniveau für Umweltschutzmaßnahmen<br />
insgesamt steigt. Diese Reformschritte stellen einen signifikanten Fortschritt<br />
bezüglich der Integration von Umweltpolitik dar und könnten somit, je nach Umsetzung<br />
in den einzelnen Mitgliedstaaten der EU, besser zum Natur- und Landschaftsschutz beitragen.<br />
Da gleichzeitig mit der so genannten Entkopplung auch der nationale Gestaltungsspielraum<br />
bei der Implementierung der Reformbeschlüsse ausgebaut wurde, gilt es zudem<br />
zu untersuchen, wie sich die Landnutzungsmuster im Zuge der Umgestaltung der Förderungsmodalitäten<br />
verändern. Im Fokus stehen dabei die Zusammenhänge zwischen den<br />
Hauptaspekten der GAP-Reform (2003) als auch zwischen Landschaftspflege- und Biodiversitätsauflagen.<br />
Das Risiko des Brachfallens von Flächen als auch die Möglichkeit der<br />
Extensivierung werden vor diesem Hintergrund von den Autoren als ihre Hauptergebnisse<br />
präsentiert.<br />
schmidt und sinabell versuchen die Fragen zu beantworten, ob sich durch die Agrarreform<br />
von 2003 die für biologische Produktionsweise genutzte Fläche vergrößert oder<br />
verringert, inwiefern Futterflächen und Herdgrößen beeinflusst werden, welche Auswirkungen<br />
sich aus der Umverteilung ergeben, die mit der für 2007 erwarteten Einführung<br />
eines neuen Programms der ländlichen Entwicklung einhergeht, und welche Anstrengungen<br />
voraussichtlich notwendig werden, um die Vorgaben der Politik hinsichtlich des biologischen<br />
Landbaus zu erfüllen. Mit Hilfe eines regional und strukturell differenzierten<br />
Agrarsektormodells werden die Anpassungen österreichischer Landwirte an die entsprechenden<br />
Politikänderungen abgeschätzt. Besonderes Augenmerk richten die Autoren dabei<br />
auf die Konsequenzen für biologisch wirtschaftende Betriebe. Es ergibt sich, dass<br />
bei unveränderter Beibehaltung der Unterstützung für biologisch wirtschaftende Betriebe<br />
diese Art der Bewirtschaftung zukünftig für Landwirte insgesamt attraktiver wird.<br />
4.4 Genossenschaften<br />
raUchenecker und beckmann erweitern die bisherige juristische und politische Diskussion<br />
<strong>über</strong> die Aufhebung der Pflichtmitgliedschaft einzelner Grundeigentümer in Jagdgenossenschaften<br />
um eine institutionenökonomische Perspektive. Alle Eigentümer von<br />
land-, forst- oder fischereiwirtschaftlich nutzbaren Flächen unter 75 ha sind in Deutschland<br />
zur Mitgliedschaft in gemeinschaftlichen Jagdbezirken, so genannten Jagdgenossenschaften,<br />
zwangsverpflichtet. Seit einem im Jahr 1999 ergangenen Gerichtsurteil des<br />
Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zur Zwangsmitgliedschaft<br />
in französischen Jagdvereinen und der im Jahr 2002 angekündigten Novellierung des<br />
Bundesjagdgesetzes gibt es in Deutschland eine rege juristische und politische Debatte
Unternehmen im Agrarbereich vor neuen Herausforderungen<br />
303<br />
um die Befreiung einzelner Grundeigentümer von der Pflichtmitgliedschaft in Jagdgenossenschaften.<br />
Die Autoren analysieren die Auswirkungen einer Aufhebung der Zwangsmitgliedschaft<br />
auf (1) die Jagdgenossenschaft selbst, (2) die Transaktionskosten des gesamten<br />
Wildtiermanagements, (3) die Wildtierpopulation sowie (4) die Verteilung von Kosten und<br />
Nutzen auf unterschiedliche Akteursgruppen. Sie kommen zu dem Schluss, dass Zwang<br />
im Fall von Wildtiermanagement aus ökonomischen Gründen durchaus gerechtfertigt sein<br />
kann, solange die Kostenvorteile der Zwangsmitgliedschaft die Nutzenverluste jagdablehnender<br />
Grundeigentümer <strong>über</strong>wiegen. Angesichts einer zunehmenden Heterogenität der<br />
Nutzungsinteressen an Wildtieren stehen Jagdgenossenschaften jedoch vor der Herausforderung,<br />
neue Mechanismen des Interessenausgleichs und der Konfliktregulierung zu<br />
entwickeln.<br />
kühl und schWeickert zielen darauf ab, einige grundlegende Ausführungen zur aktuellen<br />
theoretisch begründeten Strategiediskussion darzulegen und zwei Strategiekonzepte<br />
einer ersten empirischen Überprüfung in der genossenschaftlichen Weinwirtschaft zu unterziehen.<br />
In der aktuellen Literatur zur Strategieforschung werden vor allem die beiden<br />
grundlegenden Strategieschulen des Market-Based-View (MBV) und des Resource-Based-View<br />
(RBV) diskutiert. Nach einer inhaltlich-konzeptionellen Diskussion der beiden<br />
Strategieansätze wird daher empirisch <strong>über</strong>prüft, welche der strategischen Grundpositionen<br />
in der genossenschaftlichen Weinwirtschaft zu finden sind. Datengrundlage ist eine<br />
schriftliche Befragung von insgesamt 94 Winzergenossenschaften in Deutschland (Rücklaufquote<br />
40 %). Dabei wird anhand wichtiger Strategieindikatoren, wie etwa des Preissetzungsverhaltens,<br />
der Einschätzung der eigenen Wettbewerbsvorteile und der zukünftigen<br />
Herausforderungen, die grundsätzliche Strategieorientierung der befragten Unternehmen<br />
untersucht. Mit Hilfe der Faktoranalyse können die Autoren zeigen, dass rund 42 % der<br />
Unternehmen den Produktionsaspekten (im Sinne des RBV-Ansatzes) in Zukunft eine<br />
große Bedeutung zumessen, während dies bei den Vermarktungsaspekten knapp 40 % der<br />
Unternehmen tun. Anhand der Ergebnisse wird deutlich, dass für die Winzergenossenschaften<br />
die Empfehlungen zur Ausgestaltung der Unternehmensstrategie im Wissenstransfer<br />
zwischen Wissenschaft und Praxis sehr differenziert auszugestalten sind. Allein<br />
Empfehlungen auf Basis des MBV-Ansatzes (im Sinne des Porter’schen Konzeptes von<br />
Kostenführerschaft oder Differenzierung) greifen zu kurz und berücksichtigen nicht die<br />
potenziellen Wettbewerbsvorteile, die sich aus einer Kompetenzorientierung der Unternehmen<br />
im Weinbau ergeben können.<br />
schWeickert und hanF analysieren die Struktur des genossenschaftlichen Weinsektors<br />
und konstruieren strategische Mitgliedergruppen (SMG) von Genossenschaften. Des<br />
Weiteren versuchen sie empirisch zu testen, ob das Zustandekommen solcher strategischer<br />
Gruppen ein Hauptgrund für den Erfolg von Genossenschaften ist. Unter einer SMG<br />
werden Cluster von Betrieben verstanden, die die gleiche Strategie verfolgen, dasselbe<br />
Marktsegment bedienen wollen, homogene Interessen haben und entweder gemeinsam<br />
eine einzelne Genossenschaft bilden oder Teil einer solchen sein können. Homogen in<br />
ihren eigenen Strukturen, sind SMG untereinander heterogen. Während Genossenschaften<br />
in Deutschland normalerweise als Schmelztiegel unterschiedlicher Interessen gesehen<br />
werden, haben die Mitglieder homogener Gruppen intern den Vorteil, bereits von vorneherein<br />
ein gleiches Ziel, wie z. B. die Produktion eines qualitativ hochwertigen Weines,<br />
zu verfolgen. Die Anreizkompatibilität spielt dabei eine besondere Rolle. Als Beispiel für<br />
SMG dienen solche Zusammenschlüsse innerhalb von Winzergenossenschaften, die ihre<br />
Weine gemäß dem neuen Profilwein-Konzept (mit der neuartigen Aufteilung in „Selection“<br />
für das Spitzensegment, „Classic“ für die gehobene Mittelklasse sowie die bereits<br />
eingeführte Bezeichnung „Qualitätswein b.A.“ für den einfachen Tafelwein) herstellen.<br />
Für diese speziellen SMG weisen die Autoren eine Qualitätssteigerung nach. In der empirischen<br />
Untersuchung zeigt sich, dass die Zugehörigkeit zur SMG, auf die der Quali-
304 E. Bahrs, S. von Cramon-Taubadel, A. Spiller, L. Theuvsen, B. Voget und M. Zeller<br />
tätssprung zurückzuführen ist, mit einem besseren Betriebsergebnis korreliert ist. Daher<br />
ist zu folgern, dass Winzergenossenschaften, die für ihre Erzeugnisse frühzeitig das neue<br />
Profilwein-Konzept adaptiert haben, gute Chancen auf ein Überleben in dem sehr wettbewerbsintensiven<br />
Markt haben, während für solche Winzergenossenschaften, die sich nicht<br />
an dem neuen Bezeichnungssystem beteiligt haben, das Ausscheiden aus dem Markt zu<br />
erwarten ist.<br />
5 Unternehmen in einem dynamischen Umfeld<br />
5.1 Finanzwirtschaftliche Herausforderungen<br />
schUlze-düllo erörtert in seinem Beitrag Auswirkungen der durch den Baseler Ausschuss<br />
für Bankenaufsicht erarbeiteten neuen Eigenkapitalrichtlinien – in Deutschland häufig<br />
Basel II genannt – und ihres Kernelements, der risikoorientierten Kreditvergabe, auf das<br />
landwirtschaftliche Kreditwesen. Er diskutiert ferner landwirtschaftliche Kreditrisiken<br />
und geht auf die Konzeption eines Kreditratings für die <strong>Landwirtschaft</strong> ein. Die generelle<br />
Skepsis gegen<strong>über</strong> Basel II, insbesondere auf Seiten der Kreditnehmer, hängt maßgeblich<br />
mit der bisher unzureichenden Kommunikationspolitik zu diesem Thema zusammen, obwohl<br />
Transparenz ein elementares Ziel von Basel II ist. Hinzu kommen Kreditzinserhöhungen<br />
und negative Kreditentscheide, die von Bankenseite fälschlicherweise mit Basel<br />
II-Effekten begründet werden. Alleiniger Grund hierfür sind der auch ohne Basel II bestehende<br />
Druck auf die Eigenkapitalrenditen bei kapitalmarktorientierten Banken und deren<br />
risikoaverseres Handeln im Kreditgeschäft. Durch eine gründliche und notwendige Vorbereitung<br />
beider Verhandlungsseiten beschleunigt sich der Kreditentscheidungsprozess<br />
und verbessert sich das Ergebnis für beide Seiten. Eine zuverlässige Schätzung der Ausfallwahrscheinlichkeit<br />
mit Hilfe eines Ratingsystems ist nur durch eine Kalibrierung der<br />
Parameter für das Kundensegment <strong>Landwirtschaft</strong> und eine sachgerechte Aufarbeitung der<br />
landwirtschaftlichen Kennzahlen möglich. Da die Berücksichtigung von Ausfallfaktoren<br />
und deren möglichen Risikoindikatoren unentbehrlich ist, hat der Autor eine Expertenbefragung<br />
durchgeführt, um die für landwirtschaftliche Kreditnehmer bedeutenden Ausfallrisiken<br />
zu identifizieren. Der Kreditnehmer kann mittels gezielter Eliminierung möglicher<br />
Risiken nicht nur sein Rating und damit den Kreditentscheid/-zins positiv beeinflussen,<br />
sondern auch die Betriebsstabilität erheblich verbessern. Durch die risikosensitivere Kreditzinsermittlung<br />
können die meisten landwirtschaftlichen Kreditnehmer, da sie mit guten<br />
Bonitäten und Sicherheiten ausgestattet sind, Einsparungen bei den Finanzierungskosten<br />
erzielen. Voraussetzung dafür ist eine gute, offene Zusammenarbeit mit qualifizierten Betreuern<br />
in Bank und Beratung.<br />
Vor dem Hintergrund der jüngsten EU-Agrarreform geht bahrs auf die in Zusammenhang<br />
mit der Einführung von Zahlungsansprüchen als völlig neuem und einzigartigem<br />
Wirtschaftsgut aufzuwerfende Frage nach der durch höchstrichterliche Finanzrechtsprechung<br />
sanktionierten Abspaltung immaterieller Wirtschaftsgüter vom Grund und Boden<br />
ein. Ausgelöst wurde diese Rechtsprechung durch die Implementierung von Milchlieferrechten<br />
1984 und den Verlust ihrer Flächenakzessorität 1993. Die Diskussion bezüglich<br />
der Abspaltungspotenziale von Buchwerten für Zahlungsansprüche vom Grund und Boden<br />
verdeutlicht mehrere Aspekte: Aufgrund der finanziell hohen Bedeutung dieser Möglichkeit<br />
werden die Finanzverwaltung und Finanzrechtsprechung nach Meinung des Autors in<br />
Zukunft gefordert sein. Je höher die Handelsintensität von Zahlungsansprüchen sein wird,<br />
desto bedeutender wird das Abspaltungsproblem. Die Konsequenz einer ex ante Abspaltung<br />
wären aus steuerrechtlicher Sicht nicht erwünschte Karussellgeschäfte mit negativen<br />
Effekten auf die Finanzhaushalte und einer Erhöhung der Reservationspreise für Zah-
Unternehmen im Agrarbereich vor neuen Herausforderungen<br />
305<br />
lungsansprüche gemäß dem steuerlichen Einsparpotenzial. Hauptprofiteure könnten entsprechend<br />
abstockende oder aufgebende Landwirte sein. Über die Fläche expandierende<br />
Landwirte wären potenzielle Verlierer einer solchen Regelung. Der Autor weist zusätzlich<br />
darauf hin, dass deutsche Landwirte bezüglich des Handels mit Zahlungsansprüchen<br />
nicht nur aus zivilrechtlicher Sicht verunsichert sein werden. Der Paradigmenwechsel im<br />
europäischen und nationalen Fördersystem der <strong>Landwirtschaft</strong> führt zusätzlich zu vielen<br />
potenziellen Fallstricken im Steuerrecht. Die Abspaltungstheorie ist dabei nur eine von<br />
mehreren steuerlich zu bewältigenden Herausforderungen. Daher ist der Finanzverwaltung<br />
zu empfehlen, präventiv Gesetzesanpassungen durchzuführen bzw. Richtlinien zu<br />
den vorab klärbaren Sachverhalten zu erlassen, bevor der Handel mit Zahlungsansprüchen<br />
einsetzt. Damit würde man den Steuerpflichtigen ein höheres Maß an Rechtssicherheit<br />
geben. Gleichzeitig sinkt die Gefahr, dass die Finanzverwaltung und -rechtsprechung zu<br />
späteren Zeitpunkten <strong>über</strong> Gebühr in Anspruch genommen werden.<br />
breUstedt und larson beschäftigen sich mit dem moral hazard-Problem bei Ernteversicherungen.<br />
Dazu testen sie empirisch einerseits eine multiple-peril crop insurance auf<br />
moral hazard und andererseits, ob solche Institutionen innerhalb der mexikanischen Fondos<br />
– Zusammenschlüsse von Landwirten zum Abschluss von Ernteversicherungen auf<br />
Gegenseitigkeit ausschließlich für Mitglieder der Versicherungsgemeinschaft – auch in<br />
der Realität moral hazard reduzieren. Die Autoren modellieren ein dynamisches stochastisches<br />
Kontrollproblem als moral hazard-Spiel und zeigen die optimale Reaktionsfunktion<br />
eines Landwirts bei Nichtkooperation bzw. bei Kooperation zwischen den Landwirten. Es<br />
wird aus theoretischer Sicht dargelegt, dass einige Institutionen des Systems einen Einfluss<br />
auf das Verhalten der Landwirte haben, Verluste zu vermeiden oder zu reduzieren.<br />
In der empirischen Analyse kann dann nachgewiesen werden, dass moral hazard im Versicherungssystem<br />
der multiple-peril crop insurance vorkommt, was hier zum ersten Mal<br />
als empirische Beweisführung gelingt, und dass die Institution des Fondos moral hazard<br />
reduzieren kann. Insofern könnte diese Art der Ernteversicherung als Blaupause für andere<br />
Entwicklungsländer dienen, um diese in die Lage zu setzen, effizient mit Ertragsrisiken<br />
umgehen zu können, Einkommensschwankungen der ländlichen Bevölkerung zu reduzieren<br />
und Kreditrisiken auszugleichen.<br />
5.2 Konsequenzen entkoppelter Direktzahlungen<br />
bahrs versucht die Fragen zu beantworten, welche Handelsarten und Handelsintensitäten<br />
sich im Zuge der Einführung entkoppelter Direktbeihilfen, die in Form personen- und produktionsungebundener,<br />
handelbarer Zahlungsansprüche gewährt werden, einstellen und<br />
insbesondere, welche Verhandlungslösungen (Preise) maßgeblich sein werden. Mit einem<br />
jährlichen Volumen von annähernd 5,5 Mrd. € haben die Auszahlungen der Zahlungsansprüche<br />
in Deutschland einen Gegenwartswert von weit mehr als 30 Mrd. €, wenn von<br />
einer Laufzeit bis mindestens 2013 ausgegangen wird. Allerdings wird nur ein kleiner Teil<br />
der Zahlungsansprüche tatsächlich gehandelt werden. Von einem Markt für Mengenanpasser<br />
wird zunächst nicht auszugehen sein. Eine Prognose von Preisen für Zahlungsansprüche<br />
wird sehr schwierig, zumal der Markt durch bilaterale Preisverhandlungen geprägt<br />
sein könnte, die nach außen nicht transparent sind. Der aufgezeigte axiomatische Lösungsansatz<br />
gemäß nash sowie die Focal Point Theory liefern weder einen angemessenen<br />
normativen Lösungsansatz noch ein ausreichendes Prognosepotenzial zukünftiger Handelspreise<br />
für Zahlungsansprüche. Allerdings zeigen sie die Probleme der zu erwartenden<br />
Verhandlungsprozesse auf. So kann sich der in der <strong>Landwirtschaft</strong> vielfach angewendete<br />
Halbteilungsgrundsatz, der auch durch die (symmetrische) Nash-Lösung sowie die Focal<br />
Point Theory widergespiegelt wird, in der Verhandlungspraxis als schwierig umsetzbar<br />
gestalten, solange keine vollkommene Information <strong>über</strong> die individuellen Rahmenbedin-
306 E. Bahrs, S. von Cramon-Taubadel, A. Spiller, L. Theuvsen, B. Voget und M. Zeller<br />
gungen des Handels mit Zahlungsansprüchen besteht. Verkäufer von Zahlungsansprüchen<br />
werden sich zu späteren Zeitpunkten wahrscheinlich mit vergleichsweise geringen Preisen<br />
abfinden müssen.<br />
hüttel, küpker, gocht, kleinhanss und oFFermann schätzen mit Hilfe des Modells<br />
FARMIS den Einfluss der GAP-Reform von 2003 auf den deutschen Agrarsektor ab. Zwei<br />
Umsetzungsszenarien werden berücksichtigt: ein Standardschema, das vollständig auf<br />
entkoppelten Direktzahlungen basiert, die aus betriebsindividuellen, historischen Referenzbeträgen<br />
abgeleitet werden (single farm payment, SFP), und die Variante, bei der die<br />
Zahlungsansprüche nach regionalen Durchschnitten errechnet werden (Regionalmodell,<br />
RM). Die Analyse zeigt, dass sich Faktorallokation und -angebot innerhalb der beiden<br />
Entkoppelungsszenarien gleich entwickeln. Allerdings gehen von beiden Szenarien unterschiedliche<br />
Einflüsse auf die Faktorpreisentwicklung aus. Ferner werden im RM-Modell<br />
Direktzahlungen umverteilt. Das hat zur Folge, dass Milch- und Rindfleischproduzenten in<br />
besonderer Weise von Einkommenseinbußen betroffen sind. Insofern gibt es in Bezug auf<br />
die Produktionszweige eine Abweichung zwischen den zwei Entkopplungsszenarien bei<br />
den jeweils prognostizierten Einkommenseffekten. Diese fallen allerdings bei der Betrachtung<br />
des Gesamtsektors nicht mehr ins Gewicht, denn hier sind die Einkommenseffekte<br />
nahezu identisch. Hinsichtlich der Preisentwicklung landwirtschaftlicher Vermögensgegenstände<br />
werden zwei Haupteffekte prognostiziert. Zum einen sinkt der Pachtpreis für<br />
Milchquote, was nicht auf die Art des Entkopplungsmodells, sondern vielmehr auf Preispolitikmaßnahmen<br />
in Verbindung mit der Entkopplung zurückzuführen ist. Zum anderen<br />
werden für das Regionalmodell konstante Pachtpreise für Ackerland und steigende Pachtpreise<br />
für Grünland vorausgesagt, während im Fall des SFP mit sinkenden Pachtpreisen<br />
zu rechnen ist. Steigende Landpreise behindern wachstumswillige Landwirte, sodass vor<br />
allem Investitionen in die Milcherzeugung gehemmt werden, denn die steigenden Pachtpreise<br />
für Grünland <strong>über</strong>kompensieren sinkende Quotenpreise.<br />
balkhaUsen, banse und grethe untersuchen die möglichen Effekte der Entkopplung<br />
auf die Flächenverteilung zwischen Grünland und Futterprodukten einerseits und anderen<br />
Anbaufrüchten andererseits. Zusätzlich analysieren sie die in unterschiedlichen Simulationsmodellen<br />
verwendeten Strukturen, die die simulierten Effekte einer Entkopplung auf<br />
die Verteilung zwischen Grandes Cultures- und Futterfläche beeinflussen. Dazu werden<br />
verschiedene Modelle im Hinblick auf die für die Simulation der Entkopplungseffekte<br />
relevanten Modellstrukturen miteinander verglichen. Der Mechanismus der Flächenallokation,<br />
die Modellierung der Verbindung zwischen tierischer und pflanzlicher Produktion<br />
sowie die Einbeziehung der Direktzahlungen in die Verhaltensfunktionen stehen im Vordergrund.<br />
Auf verschiedenen Simulationsmodellen basierende Analysen kommen einheitlich<br />
zu dem Ergebnis, dass die Getreide-, Silomais- und Stilllegungsflächen sowie die<br />
Wiederkäuerproduktion durch die Entkopplung der Direktzahlungen zurückgehen werden.<br />
In Bezug auf die Auswirkungen der Entkopplung auf die Ölsaaten- und Grünlandfläche<br />
hingegen lassen die Modellergebnisse keine eindeutigen Aussagen zu. Ein systematischer<br />
Einfluss von Modelltyp und Modellstruktur auf die Simulationsergebnisse kann nicht festgestellt<br />
werden. Es sind vielmehr die Annahmen bezüglich der Produktionswirkung von<br />
Direktzahlungen, die sich zwischen den Simulationsstudien unterscheiden und die Resultate<br />
stark beeinflussen.<br />
5.3 Unternehmenserfolg<br />
schmalen, kUnert und Weindlmaier geben einen systematischen Überblick <strong>über</strong> die<br />
methodische Vorgehensweise der Erfolgsfaktorenforschung. Zunächst werden die Leitidee<br />
und die Bedeutung der Erfolgsfaktorenforschung für die wissenschaftliche Praxis<br />
dargestellt. Das Ziel des Forschungsansatzes liegt darin, aus einer Fülle von möglichen
Unternehmen im Agrarbereich vor neuen Herausforderungen<br />
307<br />
Einflussgrößen diejenigen zu identifizieren, die maßgeblich zum Erfolg bzw. Misserfolg<br />
eines Untersuchungsobjektes (z. B. Produkt, Unternehmen) beitragen. Neben möglichen<br />
Untersuchungsobjekten erarbeiten die Autoren weiterhin Erfolgsmessgrößen sowie ein<br />
umfassendes Instrumentarium methodischer Ansätze zur Erfolgsfaktorenforschung. Aus<br />
den häufig auftretenden methodischen Defiziten werden wichtige Anforderungen an die<br />
Methodik der Erfolgsfaktorenforschung abgeleitet. Zwei Projekte aus der Ernährungsbranche<br />
zeigen schließlich auf, wie sich die methodischen Grundlagen und weiterführenden<br />
Überlegungen in wissenschaftliche und gleichzeitig anwendungsorientierte Forschungskonzepte<br />
<strong>über</strong>führen lassen. Zum einen werden die Erfolgsfaktoren mittelständischer<br />
Brauereien untersucht. Die Ergebnisse zeigen die Bedeutung der Unternehmensführung<br />
für deren Erfolg. Zum anderen werden Erfolgsfaktoren bei der Markteinführung von Produktinnovationen<br />
ermittelt. Dabei wird die gesamte Ernährungsindustrie berücksichtigt,<br />
allerdings liegt der Schwerpunkt auf der strategischen Gruppe der kleinen und mittelständischen<br />
Unternehmen (KMU), denn diese haben besondere Schwierigkeiten, ihre Produkte<br />
erfolgreich in den Regalen des Handels zu platzieren.<br />
ebneth zielt darauf ab, Unterschiede hinsichtlich Internationalisierung und finanzieller<br />
Performance verschiedener Molkereigenossenschaften zu ermitteln. Dazu stellt er eine<br />
Methode zur Messung des Internationalisierungsgrads (IG) vor und wendet diese auf<br />
ausgewählte genossenschaftliche Unternehmen an. Der Autor ermittelt durch Bilanzanalyse<br />
den Unternehmenserfolg der Genossenschaften und diskutiert, welche Unterschiede<br />
es im Hinblick auf Internationalisierung und unternehmerischen Erfolg zwischen deutschen<br />
und anderen europäischen Molkereigenossenschaften gibt. Unter den führenden<br />
Molkereigenossenschaften lassen sich erhebliche Divergenzen hinsichtlich Art und Ausmaß<br />
ihrer internationalen Geschäftstätigkeit konstatieren. Größere deutsche Genossenschaften<br />
zeigen dabei deutliche Wettbewerbsnachteile gegen<strong>über</strong> anderen europäischen<br />
Molkereiunternehmen. Gründe dafür sind einerseits der noch geringe Konzentrationsgrad<br />
innerhalb der deutschen Milchbranche, die schwache Wettbewerbsposition deutscher<br />
Genossenschaften sowie Spezifika der Corporate Governance in Genossenschaften. Die<br />
deutsche Molkereibranche wird daher zukünftig nicht umhin kommen, sich schneller als<br />
bisher zu konsolidieren und ihre strukturellen Probleme zu lösen. Bei einem Blick auf<br />
führende europäische Genossenschaften fällt auf, dass es die Erfolgreicheren frühzeitig<br />
verstanden haben, hohe Marktanteile in ihren jeweiligen Heimatmärkten zu gewinnen,<br />
um sich somit finanziellen Handlungsspielraum für weitere Internationalisierungsschritte<br />
zu schaffen. Vor großen strategischen Herausforderungen stehen vor allem die Kosten fokussierten<br />
großen deutschen Genossenschaften, die bisher weder eine reine Marken- noch<br />
eine reine Kostenführerschaftsstrategie realisieren konnten. Die Wahl letzterer Strategie<br />
fordert, Synergieeffekte zukünftig noch konsequenter zu nutzen und sich auf die Rolle<br />
eines schlanken Handelsmarken- und Industrieprodukte-Spezialisten zu konzentrieren. Da<br />
jedoch viele deutsche Genossenschaften alleine nicht die notwendige finanzielle Kraft zur<br />
Internationalisierung ihrer Aktivitäten besitzen, sind in der Zukunft weitere, auch grenz<strong>über</strong>schreitende<br />
Fusionen zu erwarten.<br />
UFFelmann und Weindlmaier konzentrieren sich in ihrem Beitrag auf die Potenziale<br />
zur Verbesserung der Wertschöpfungskette Fleisch hinsichtlich der Kriterien Produkt-<br />
sicherheit, Qualitätserhaltung sowie Kostenoptimierung. Am Beispiel der Schlachtung<br />
vergleichen sie die Kosten und die verfolgten Strategien der bayerischen Fleischwirtschaft<br />
mit jenen Dänemarks und der Niederlande. Die Autoren stellen die Ergebnisse einer empirischen<br />
Studie zur Umsetzung der Kriterien Produktsicherheit und Qualitätserhaltung im<br />
Fleischverarbeitungssektor vor, wozu die derzeit eingesetzten Verfahren in der Fleischgewinnung<br />
und Fleischverarbeitung hinsichtlich des Grades der Erfüllung der Kriterien evaluiert<br />
wurden. Darauf aufbauend untersuchen und vergleichen sie die Kosten für die Realisierung<br />
einer Umsetzung der in Rede stehenden Kriterien in bayerischen, dänischen und
308 E. Bahrs, S. von Cramon-Taubadel, A. Spiller, L. Theuvsen, B. Voget und M. Zeller<br />
niederländischen Betrieben. Die Ergebnisse zeigen, dass die bayerische Fleischwirtschaft<br />
sowohl hinsichtlich der Erfüllung der Kriterien Produktsicherheit und Qualitätserhaltung<br />
als auch hinsichtlich der Stückkosten erhebliche Nachteile aufweist. Als Strategien für<br />
den bayerischen und deutschen Fleischsektor kann abgeleitet werden, dass der Einsatz des<br />
strategischen Kostenmanagements eine Möglichkeit darstellt, die qualitätsbedingten Kosten-<br />
und Nutzenwirkungen bei der Planung explizit zu berücksichtigen. Schließlich gilt,<br />
dass die Perspektiven des Fleischverarbeitungssektors in Deutschland im Wesentlichen<br />
von der Erfüllung der Verbraucheranforderungen hinsichtlich Produktsicherheit und Qualitätserhaltung<br />
sowie von der Wettbewerbsfähigkeit hinsichtlich der Kosten abhängen.<br />
5.4 Agrarpolitik und Region<br />
In ihrem Beitrag quantifizieren mack, schaak und mann mit Hilfe des Schweizer Agrarsektormodells<br />
SILAS-dyn regionale und sektorale Auswirkungen einer EU-Mitgliedschaft<br />
für den Schweizer Agrarsektor im Jahre 2011. Sie vergleichen ein Alleingangsszenario<br />
mit zwei Integrationsszenarien, die das mögliche Preisspektrum im Jahr 2011 abdecken.<br />
Datengrundlagen für die Integrationsszenarien bilden Preisprognosen aus verschiedenen<br />
Modellen (CAPRI, FAPRI, GTAP, AGLINK). Die Reform der Schweizer <strong>Landwirtschaft</strong><br />
ist bis 2011 geprägt durch Preissenkungen, die nicht durch Direktzahlungserhöhungen<br />
kompensiert werden können. Die Modellrechnungen ergeben Einkommensverluste von<br />
bis zu 23 %. Im Beitrittsfall würde das landwirtschaftliche Einkommen des Schweizer<br />
Agrarsektors um bis zu 70 % zurückgehen. In der Bergregion würde die Nahrungsmittelproduktion<br />
zugunsten einer extensiven Bio-<strong>Landwirtschaft</strong> stark an Bedeutung verlieren.<br />
Diese Region würde allerdings bei einem EU-Beitritt durch Kostensenkungen und höhere<br />
Öko-Direktzahlungen weniger Einkommen als die Talregion verlieren. Die Berechnungen<br />
zeigen, dass die Schweizer <strong>Landwirtschaft</strong> im Falle eines Beitritts ihre Aktivitäten verstärkt<br />
auf die Vermarktung ihrer Produkte verlegen müsste, um die Einkommensverluste<br />
zu begrenzen. Die Steuerzahler und Konsumenten würden allerdings durch billigere Lebensmittel<br />
und geringere Steuerausgaben für die <strong>Landwirtschaft</strong> profitieren.<br />
hansen und harsche analysieren zwei Fragestellungen. Zum einen untersuchen sie,<br />
welche regionalen Auswirkungen die – bezogen auf einzelne Produkte – asymmetrische<br />
Agrarstützung der GAP hat. Dabei werden mit Hilfe eines Top-Down-Ansatzes die<br />
agrarpolitischen Bruttotransfers in Form des Producer Support Estimates (PSE) für die<br />
Bundesländer Deutschlands berechnet. Zum anderen zeigen die Autoren, welche Bestimmungsgründe<br />
die ungleiche EU-Agrarstützung einzelner Produkte hat. Hierfür werden<br />
basierend auf einer ökonometrischen Paneldatenanalyse relevante Einflussgrößen ermittelt.<br />
Die ungleiche Begünstigung landwirtschaftlicher Produkte führt zu einer heterogenen<br />
Verteilung der Bruttotransfers <strong>über</strong> Regionen. Aussagen dar<strong>über</strong>, ob die GAP mit dem<br />
Kohäsionsziel der EU konform ist, hängen von der Wahl des Indikators zur Messung<br />
regionaler Verteilungseffekte ab. Für Deutschland zeigt sich, dass die EU-Agrarstützung<br />
je Hektar nicht zu einem Abbau regionaler Disparitäten führt. Werden die agrarpolitisch<br />
induzierten Bruttotransfers dagegen je landwirtschaftlicher Arbeitskraft und je Betrieb<br />
berechnet, so wirkt die GAP sehr wohl in Richtung Kohäsion. Die in der EU-Agrar-<br />
reform 2003 beschlossene Entkopplung der Direktzahlungen von der Produktion erfolgt<br />
in Deutschland langfristig durch das Regionalmodell, wobei die Bundesländer bis auf die<br />
drei Stadtstaaten als einzelne Regionen gelten. Die Verteilung der Transferzahlungen <strong>über</strong><br />
die einzelnen Bundesländer bleibt weitestgehend bestehen. Innerhalb dieser sind jedoch<br />
vor dem Hintergrund erheblicher naturräumlicher bzw. produktionstechnologischer Unterschiede<br />
große Umverteilungseffekte zu erwarten. Die normative Bewertung einer derartigen<br />
intraregionalen Redistribution sollte sich in erster Linie an den agrar- bzw. regionalpolitischen<br />
Zielvorgaben orientieren. Im Hinblick auf die Determinanten der GAP lässt
Unternehmen im Agrarbereich vor neuen Herausforderungen<br />
309<br />
sich des Weiteren festhalten, dass die dargestellten Regressionsmodelle zweifellos dazu<br />
beitragen, bedeutsame Einflussgrößen für den Umfang der Agrarförderung zu identifizieren.<br />
Zu erwähnen sind insbesondere die Folgewirkungen, die von der relativen Bedeutsamkeit<br />
eines landwirtschaftlichen Produktionszweiges und von dessen komparativem<br />
Gewicht hinsichtlich der Importe in die EU ausgehen. Analoges gilt für agrarpolitische<br />
Reformkonzeptionen wie die GAP-Reform von 1992 und die Verhandlungsergebnisse der<br />
Uruguay-Runde. Diesbezüglich ist es von erheblichem Interesse, wie sich die für die GAP<br />
geplante weitgehende Umstellung auf entkoppelte Direktzahlungen auf das zukünftige<br />
Ausmaß der EU-Agrarstützung auswirken wird.<br />
lippert widmet sich den wesentlichen Inhalten der Neuen Wirtschaftsgeografie und<br />
ordnet sie mit Bezug zu den traditionellen wirtschaftstheoretischen Ansätzen ein, um ihren<br />
möglichen Beitrag zur Erklärung von räumlichen Konzentrationen im deutschen Agrarsektor<br />
zu untersuchen. Zu diesem Zweck <strong>über</strong>prüft er einige aus der Theorie abgeleitete<br />
Hypothesen mittels räumlicher Statistik bzw. anhand einer kurzen wirtschaftsgeschichtlichen<br />
Fallstudie zum Hopfenanbau. Die empirische Überprüfung mittels neuerer Methoden<br />
der räumlichen Statistik und aufgrund wirtschaftsgeschichtlicher Studien deutet auf<br />
eine Relevanz der Neuen Wirtschaftsgeografie auch für Teile des deutschen Agrarsektors<br />
hin. Wie der Autor anhand des Beispiels „Hopfen“ zeigt, können durch pfadabhängige<br />
Entwicklungen bedingte Agglomerationen auch im Agrarbereich anhaltenden wirtschaftlichen<br />
Erfolg ausmachen. Es scheint somit auch in Teilen des <strong>Landwirtschaft</strong>ssektors<br />
zu gelten: „History matters“. Trotz gezielter Förderpolitik dürften es allerdings häufig<br />
anfangs nicht erkennbare günstige Umstände, herausragende Unternehmerpersönlichkeiten<br />
oder schlicht Zufälle sein, die das Entstehen von Clustern bewirken. Der Erfolg<br />
strukturpolitischer Maßnahmen zur Clusterförderung ist damit nur schwer vorhersehbar.<br />
Räumliche Aspekte sowie Vor- und Nachteile von Konzentrationen sind Aspekte der<br />
Wirtschaftswissenschaften, die auch für die Agrarökonomie fruchtbar sein können, denn<br />
in Zeiten abnehmender Protektion und sinkender Transaktionskosten des internationalen<br />
Handels könnten Agglomerationseffekte für die Wettbewerbsfähigkeit des ‚Agrarstandorts<br />
Deutschland’ an Bedeutung gewinnen.<br />
5.5 Umweltökonomische Herausforderungen<br />
glebe analysiert Bezug nehmend auf die Multifunktionalitätsdiskussion die Wohlfahrtswirkungen<br />
von Handelsliberalisierung im Agrarsektor unter besonderer Berücksichtigung<br />
der positiven Umweltwirkungen der europäischen <strong>Landwirtschaft</strong>. Er zeigt mit Hilfe eines<br />
Handelsmodells mit partiellem Gleichgewicht, das aus zwei großen Ländern besteht, die<br />
mit einem homogenen landwirtschaftlichen Produkt handeln, dass Freihandel suboptimal<br />
ist, sofern keine Umweltpolitik implementiert ist, welche die multifunktionalen Aspekten<br />
der <strong>Landwirtschaft</strong> effizient internalisiert. Der Anreiz, eine Umweltpolitik einzuführen,<br />
wird jedoch durch den Abbau von Importzöllen erhöht. Obwohl eine durch Zollreduzierung<br />
herbeigeführte Umweltpolitik strategischen Handelsinteressen unterliegen mag, löst<br />
der Politikwechsel insgesamt eine Steigerung der Weltwohlfahrt aus.<br />
groth setzt sich in seinem Beitrag mit dem Einsatz von Ausschreibungen und der<br />
Ermittlung von Transaktionskosten der Landwirte in einem Konzept zur Honorierung ökologischer<br />
Leistungen der Agrarwirtschaft auseinander. Zur Weiterentwicklung und Verbesserung<br />
von Agrarumweltprogrammen wurde am Forschungs- und Studienzentrum <strong>Landwirtschaft</strong><br />
und Umwelt der Georg-August-Universität Göttingen ein ergebnisorientiertes<br />
Honorierungssystem für ökologische Leistungen der <strong>Landwirtschaft</strong> konzipiert, das sich<br />
grundlegend vom Status quo der Agrarumweltprogramme unterscheidet. Es ist ergebnisorientiert<br />
ausgerichtet, beinhaltet in Form eines Ausschreibungsverfahrens marktanaloge<br />
Elemente und ist unter Berücksichtigung des Subsidiaritätsprinzips regional verankert.
310<br />
E. Bahrs, S. von Cramon-Taubadel, A. Spiller, L. Theuvsen, B. Voget und M. Zeller<br />
Daher hat es das Potenzial, eine ökonomisch effiziente, ökologisch effektive und gesellschaftlich<br />
legitimierte institutionelle Neuerung in der zukünftigen Agrarumweltpolitik<br />
darzustellen. Im Rahmen der aktuellen Umsetzungsphase, die im Januar 2004 begann,<br />
wurden bislang das erste Ausschreibungsverfahren und zwei schriftliche Befragungen von<br />
Landwirten in der Modellregion durchgeführt, deren Ergebnisse für einen erfolgreichen<br />
praktischen Einsatz von Ausschreibungen in ihrer vom Autor zu Grunde gelegten Ausgestaltung<br />
sprechen.<br />
hartmann, hediger, peter und lehmann untersuchen mit Hilfe eines integrierten Allokationsmodells,<br />
welchen Beitrag die <strong>Landwirtschaft</strong> bis zum Jahr 2010 bei Fortführung<br />
der gegenwärtigen Agrarpolitik und zusätzlich mit gezielten Anreizen zur Klimapolitik<br />
leisten kann. Bei diesem Modell handelt es sich um ein lineares Optimierungsmodell<br />
mit einer rekursiven Verknüpfung dynamisch-ökonomischer Komponenten zur Abbildung<br />
der Strukturkosten und damit der Pfadabhängigkeit des Systems. Mit dem Modell wurde<br />
das gesamte landwirtschaftliche Einkommen (Arbeitseinkommen und Landrenten) für das<br />
<strong>Landwirtschaft</strong>ssystem Schweiz maximiert, d. h. die gesamte <strong>Landwirtschaft</strong> wird als ein<br />
gesamthaftes Unternehmen betrachtet. Die <strong>Landwirtschaft</strong> in der Schweiz hat seit 1990<br />
gut 10 % ihrer Treibhausgas-Emissionen reduziert und somit einen Beitrag von ca. 14 %<br />
zur Erreichung der Kyoto-Verpflichtung der Schweiz geleistet. Diese Reduktionen beruhen<br />
jedoch nicht auf klimapolitischen Maßnahmen, sondern auf einer Veränderung der<br />
agrarpolitischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Die Autoren können zeigen,<br />
dass die <strong>Landwirtschaft</strong> einen wesentlichen Beitrag zu weiteren Treibhausgas-Reduktionen<br />
beisteuern kann. Der anreizinduzierte Anteil ist allerdings, verglichen mit den gesamten<br />
Reduktionsverpflichtungen der Schweiz nach dem Kyoto-Protokoll, als eher gering einzustufen<br />
bei vergleichsweise hohen zu erwartenden Vermeidungs- und Monitoring-Kosten.<br />
Das legt aus volkswirtschaftlicher Sicht den Schluss nahe, auf weiterführende Maßnahmen<br />
durch die <strong>Landwirtschaft</strong> zu verzichten.<br />
6 Finanzierung der EU-Agrarpolitik<br />
Thema der Plenarveranstaltung am Ende der Tagung ist die Frage gewesen: „Wie viel<br />
darf uns die EU-Agrarpolitik kosten?“ Wille betont in seinem Eingangsstatement, dass<br />
die Organisation for Economic Cooperation and Developememt (OECD) und die WTO<br />
Wegbereiter für die marktorientierte Neuausrichtung der Agrarpolitik in den Industrieländern<br />
gewesen sind. Laut OECD müssten die zukünftigen Bemühungen der EU sich auf<br />
die Verbesserung des multilateralen Marktzugangs sowie die Fortsetzung des Umbaus zu<br />
zielgenaueren und weniger produktions- und handelsverzerrenden Stützungsformen unter<br />
Einbeziehung der Sektoren Milch und Zucker konzentrieren. Die vormalige rot-grüne<br />
Bundesregierung habe mit der Agenda 2000 und der Entkoppelungs-Agrarreform von<br />
2003 den Weg der WTO-konformen Reform der europäischen Agrarpolitik nachhaltig<br />
unterstützt. Im Inland habe sie dafür – vorsichtig ausgedrückt – nur begrenzt Unterstützung<br />
von Opposition und Deutschem Bauernverband erhalten. Eine neue Bundesregierung<br />
werde, in welcher Zusammensetzung auch immer, den Weg einer marktorientierten<br />
Agrarpolitik und den Umbau zu einer WTO-konformen Stützung fortsetzen und in der<br />
EU-Agrarpolitik werde es keinen „grundlegenden Richtungswechsel“ geben, denn mit der<br />
Agrarreform von 2003 habe sich die EU damit endgültig von der „Gemeinschaftspräferenz“<br />
und damit dem protektionistischen Geburtsfehler ihrer Agrarpolitik verabschiedet.<br />
Die neue Bundesregierung, führt Wille weiter aus, stehe vor dem Entscheidungsproblem<br />
zwischen striktem Sparkurs und Verteidigung des EU-Agrarkompromisses. Sobald das<br />
Agrarpaket aufgeschnürt würde, könne mit einem neuen Verhandlungspoker gerechnet<br />
werden, und es würden wahrscheinlich zwei Grundsatzfragen auf den Verhandlungstisch
Unternehmen im Agrarbereich vor neuen Herausforderungen<br />
311<br />
gelegt werden: die Kofinanzierung in der Ersten Säule und damit verbunden die Trennung<br />
des EU-Agrarhaushalts in eine Erste und Zweite Säule.<br />
Unabhängig von der Kernfrage der langfristigen Finanzierung müsse ständig nachgefragt<br />
werden, wie sinnvoll eigentlich die Agrarreform von 2003 gewesen ist und vor allem,<br />
wie sie in den Mitgliedstaaten implementiert werde. Wegen unterschiedlicher Umsetzung<br />
der Entkoppelung und abweichender Anwendung der Cross-Compliance-Regelung könne<br />
sich bald herausstellen, dass es nur noch wenige Gemeinsamkeiten in der EU-Agrarpolitik<br />
gebe. Deshalb sei es sinnvoll, die Implementierung der entkoppelten Agrarpolitik möglichst<br />
schnell (2008/09) einer Zwischenbewertung zu unterziehen. Es sei ferner schwer<br />
vorstellbar, dass in der ländlichen Entwicklungspolitik in Deutschland die Zuständigkeiten<br />
für die Durchführung und Finanzierung vollständig auf die Länder <strong>über</strong>tragen werden.<br />
Dann müssten nämlich die Länder alleine tragen, was der Bund in Brüssel beschließt, z. B.<br />
den Ausbau der kofinanzierten Zweiten Säule oder gar die Einführung einer generellen<br />
Kofinanzierung der EU-Agrarpolitik. Schon jetzt seien den Ländern mit der Umsetzung<br />
der entkoppelten Agrarpolitik hohe Lasten und (Anlastungs-) Risiken aufgebürdet worden.<br />
Und <strong>über</strong> die Cross-Compliance-Regelung hat der Bund die Möglichkeit, immer<br />
stärker in die Gestaltung der ländlichen Entwicklungspolitik einzugreifen. Wille zieht als<br />
Fazit, dass die neue Bundesregierung in der Agrar- und ländlichen Entwicklungspolitik<br />
die Aufgabenverteilung zwischen EU, Bund und Ländern neu regeln müsse. Die Frage,<br />
wie viel die Agrarpolitik kosten soll und darf, werde allerdings weder von Agrarpolitikern<br />
noch von Agrarwissenschaftlern entschieden. Es ist eine politische Frage, die von der<br />
neuen Bundesregierung bald zu beantworten sein wird.<br />
hermes und hemmerling kommentierten aus der Perspektive des Bundesministeriums<br />
der Finanzen, Referat für Europäische Agrarpolitik, und des Deutschen Bauernverbandes<br />
das Eröffnungsstatement von Wille und bezogen ihrerseits Stellung zu der Frage, in welchem<br />
Umfang finanzielle Ressourcen für die EU-Agrarpolitik eingesetzt werden sollen.<br />
Naturgemäß wurden die verschiedenen Sichtweisen sehr wesentlich durch die unterschiedlichen<br />
Interessenlagen beeinflusst, sodass sich unter Einbeziehung der Tagungsteilnehmer<br />
ein lebhaftes Streitgespräch zum Thema der Diskussionsveranstaltung entspann. Dabei<br />
wurde unter den anwesenden Wissenschaftlern eine eher kritische Einschätzung der gegenwärtigen<br />
Förderpraxis deutlich.<br />
Abschließend gilt es noch, die beiden Beiträge, die im Rahmen der Konferenz mit einer<br />
Best Paper-Prämierung ausgezeichnet worden sind, gesondert zu würdigen.<br />
hinrichs, mUsshoFF und odening befassen sich mit „Ökonomischer Hysterese in der<br />
Deutschen Veredelungsproduktion“. Ausgehend von den Beobachtungen, dass<br />
● die Veredelungsproduktion in Deutschland nur verhalten auf die erheblichen Preisschwankungen<br />
des Schweinemarktes reagiert,<br />
● die Erzeugung von Mastschweinen im Zeitablauf relativ konstant und dar<strong>über</strong> hinaus<br />
sehr ungleichmäßig im Raum verteilt ist,<br />
●<br />
die Rahmenbedingungen für Investitionsentscheidungen in der Veredelungsproduktion<br />
durch relativ hohe Marktrisiken, versunkene Kosten und Flexibilität des Entscheiders<br />
bezüglich des Durchführungszeitpunkts von Kapazitätsentscheidungen gekennzeichnet<br />
sind,<br />
halten es die Autoren für gerechtfertigt, die Realoptionstheorie als Erklärungsansatz für<br />
das von ihnen identifizierte Beharrungsvermögen heranzuziehen. Auf der Basis einzelbetrieblicher<br />
Paneldaten von spezialisierten Veredelungsbetrieben aus dem Testbetriebsnetz<br />
des Ministeriums schätzen hinrichs, mUsshoFF und odening ein Investitionsmodell und<br />
testen das Vorliegen ökonomischer Hysterese. Ihre Ergebnisse zeigen, dass sich Unsicherheit<br />
und Flexibilität hemmend auf die Investitions- und Desinvestitionsaktivität auswirken.
312 E. Bahrs, S. von Cramon-Taubadel, A. Spiller, L. Theuvsen, B. Voget und M. Zeller<br />
Jonas und rosen analysieren mittels einer zweistufigen Schätzung die Nachfrage nach<br />
ökologischer Milch auf Basis von Haushaltspaneldaten Weil der Marktanteil von Bioprodukten<br />
im Lebensmitteleinzelhandel in den vergangen Jahren stetig gewachsen ist, Biohandelsmarken<br />
im LEH beim Absatz von Bioprodukten immer bedeutender werden, aber<br />
es gleichzeitig nur wenige Studien gibt, die die Nachfrage nach ökologischen Produkten<br />
anhand von Haushaltspaneldaten analysieren, versuchen die Autoren mit ihrer Untersuchung,<br />
diese Lücke zu schließen. Die Ergebnisse zeigen eine Ausgabenelastizität von eins<br />
für die Milchnachfrage, und dass sich der Ausgabenanteil für alle Milchproduktgruppen<br />
mit dem Alter der haushaltsführenden Person ändert. Zusätzlich bestätigt die Studie, dass<br />
der Konsum ökologischer Milch mit wachsendem Einkommen steigt, was bereits durch<br />
Verbraucherbefragungen offen gelegt werden konnte. Der vergleichsweise hohe Wert der<br />
geschätzten Preiselastizität für ökologische Handelsmarkenmilch interpretieren Jonas und<br />
rosen als Zeichen für einen starken Wettbewerb im LEH, in dem sich auch die Handelsmarken<br />
für Biomilch behaupten müssen.<br />
Zusammenfassung<br />
Der Beitrag gibt einen zusammenfassenden Überblick <strong>über</strong> vier Vorträge, 45 Referate und eine<br />
abschließende Plenarveranstaltung der 45. Jahrestagung der Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften<br />
des Landbaues e. V., die vom 5. Oktober bis zum 7. Oktober 2005 in Göttingen<br />
stattfand. Die Tagung stand unter dem Rahmenthema „Unternehmen im Agrarbereich vor neuen<br />
Herausforderungen“ und versuchte aus agrarökonomischer Perspektive Antworten zu geben auf die<br />
Frage nach Strategien, mit denen Unternehmen des Agrarsektors auf jene Herausforderungen reagieren,<br />
die aus vielgestaltigem Anpassungsdruck einerseits und durch Globalisierungsprozesse sich<br />
erweiternden Möglichkeiten wirtschaftlicher Betätigung andererseits entstehen. Die Beiträge befassten<br />
sich im Einzelnen mit den Schwerpunktbereichen der aktuellen Entwicklungen im Agrarsektor,<br />
Markt und Politik, Produzenten und Konsumenten in Agrarsektor und Gesellschaft, Unternehmen in<br />
einem dynamischen Umfeld sowie der Finanzierung der EU-Agrarpolitik.<br />
Summary<br />
Enterprises in the Agri-Rural Sector Facing New Challenges<br />
– Report on the 45 th Annual Meeting of the Society for Economic and Social Sciences<br />
in Agriculture (GEWISOLA) in Göttingen in 2005 –<br />
This article provides a general résumé of four plenary speeches, 45 presentations and a final panel discussion<br />
held at the 45 th annual meeting of the Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften<br />
des Landbaues e. V. (Society for Economic and Social Sciences in Agriculture) (GEWISOLA), that<br />
took place in Göttingen from October 5 th to 7 th , 2005. The conference topic was: ‘Enterprises in the<br />
Agri-Rural Sector Facing New Challenges’. From an agricultural economic perspective, the attempt<br />
was made to give answers to questions concerning strategies chosen by agricultural and rural enterprises<br />
to cope with challenges resulting from diverse pressures to adjust as well as to respond to<br />
increasing opportunities opened up by globalisation. The individual contributions focused on the<br />
following priority areas: current developments in the agricultural sector, markets and policies, producers<br />
and consumers in the agricultural sector and in society, enterprises in a dynamic environment<br />
and, last but not least, the financing of the agricultural policy of the EU.<br />
Résumé<br />
Les entreprises du secteur agricole face à de nouveaux défis<br />
– Rapport de la 45 ème réunion annuelle de la Société de sciences économiques<br />
et sociales de l’agriculture (GEWISOLA) en 2005 à Göttingen –<br />
Le rapport donne un résumé des quatre présentations, 45 exposés ainsi que de la session de clôture<br />
de la 45ème réunion annuelle de la Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften des Landbaues<br />
e. V. (Société de sciences économique et social de l’agriculture) organisée du 5 au 7 octobre<br />
2005 à Göttingen et placée sous le thème « Les entreprises du secteur agricole face à de nouveaux<br />
défis ». Du point de vue de l’économie agricole, les participants ont essayé de trouver des réponses<br />
sur la question à savoir quelles sont les stratégies choisies par les entreprises du secteur agricole
Unternehmen im Agrarbereich vor neuen Herausforderungen<br />
313<br />
pour réagir à ces défis résultant d’une part de diverses nécessités d’adaptation et d’autre part de<br />
l’élargissement des possibilités d’activités économiques dans le contexte des processus de mondialisation.<br />
Les interventions individuelles ont traité les sujets suivants : les évolutions actuelles dans<br />
le secteur agricole, le marché et la politique, les producteurs et les consommateurs dans le secteur<br />
agricole et dans la société, les entreprises dans un environnement dynamique, le financement de la<br />
politique agricole européenne.<br />
Autorenanschrift: Prof. Dr. enno bahrs, Prof. Dr. stephan von cramon-taUbadel, Prof.<br />
Dr. achim spiller, Prof. Dr. lUdWig theUvsen, bernhard g. voget,<br />
Georg-August-Universität Göttingen, Department für Agrarökonomie und Rurale<br />
Entwicklung, Platz der Göttinger Sieben 5, D-37073 Göttingen,<br />
Deutschland<br />
EBahrs@gwdg.de; SCramon@gwdg.de; A.Spiller@agr.uni-goettingen.de;<br />
Theuvsen@uni-goettingen.de; BVoget@gwdg.de<br />
Prof. Dr. manFred zeller, Universität Hohenheim, Fakultät Agrarwissen-<br />
schaften, D-70593 Stuttgart, Deutschland<br />
Manfred.Zeller@uni-hohenheim.de
314<br />
Faustzahlen für die <strong>Landwirtschaft</strong>.<br />
2005, 13. Auflage, 1129 S., 25 €, ISBN<br />
3-7843-2194-1, Best.-Nr. 19482 – Bestelladresse:<br />
KTBL-Schriftenvertrieb<br />
im <strong>Landwirtschaft</strong>sverlag GmbH, 48084<br />
Münster-Hiltrup, (Tel.: 02501/801-300,<br />
Fax: 02501/801-351), E-Mail: service@lv-h.de<br />
und KTBL, Bartningstr.<br />
49, 64289 Darmstadt Tel. 06151/7001-<br />
189, Fax: 06151/7001-123, E-Mail:<br />
vertrieb@ktbl.de<br />
Seit 1941 sind die „Faustzahlen für <strong>Landwirtschaft</strong><br />
und Gartenbau“ eines der bekanntesten<br />
und wichtigsten Standardwerke für produktionstechnische,<br />
betriebswirtschaftliche und unternehmerische<br />
Kenndaten für die <strong>Landwirtschaft</strong><br />
im deutschsprachigen Raum. Die Herausgabe<br />
der 12. Auflage der Faustzahlen durch die Hydro<br />
Agri Dülmen GmbH (heute YARA GmbH &<br />
Co.KG, Dülmen) liegt nunmehr 12 Jahre zurück.<br />
In dieser Zeit haben sich massive Veränderungen<br />
in der <strong>Landwirtschaft</strong> vollzogen.<br />
Die nun völlig neu bearbeitete 13. Auflage<br />
des Taschenbuches „Faustzahlen für die <strong>Landwirtschaft</strong>“<br />
entstand in Zusammenarbeit der<br />
YARA GmbH & Co. kg und des KTBL e. V.,<br />
Darmstadt.<br />
Auf 1100 Seiten beinhalten die Faustzahlen<br />
die wichtigsten Daten und Fakten zur landwirtschaftlichen<br />
Erzeugung und zum Freilandgartenbau,<br />
zusammengetragen von <strong>über</strong> 80 Autoren. Erweitert<br />
wurde das Buch um neue Themenbereiche;<br />
besonders zu erwähnen sind hier die Erneuerbaren<br />
Energien und der Ökologische Landbau.<br />
Strukturierte Tabellen, <strong>über</strong>sichtlich gestaltete<br />
Grafiken sowie kurze Texte ermöglichen es,<br />
zügig einen Überblick <strong>über</strong> die verschiedenen<br />
Themenbereiche zu bekommen.<br />
Mit diesem Nachschlagewerk werden nicht<br />
nur Landwirten, Auszubildenden, Ausbildern, Beratern,<br />
Gutachtern und Wissenschaftlern landwirtschaftlicher<br />
Fachrichtungen komprimierte Informationen<br />
und fundiertes Fachwissen vermittelt,<br />
auch Agrarindustrieunternehmen, politische Entscheidungsträger,<br />
Genehmigungsbehörden und<br />
Kommunen im ländlichen Raum erhalten damit<br />
einen Ratgeber für praxisnahe Fragestellungen.<br />
ktbl<br />
KTBL-Schrift 443: <strong>Landwirtschaft</strong>liche<br />
Wege. 2005, 126 S., 22 €, ISBN 3-<br />
7843-2191-7, Best.-Nr 11443 – Bestelladresse:<br />
KTBL-Schriftenvertrieb im<br />
Bücherschau<br />
<strong>Landwirtschaft</strong>sverlag GmbH, 48084<br />
Münster-Hiltrup, (Tel.: 02501/801-300,<br />
Fax: 02501/801-351), E-Mail: service@<br />
lv-h.de<br />
<strong>Landwirtschaft</strong>liche Wege sind ein wesentlicher<br />
Bestandteil der Infrastruktur der ländlichen<br />
Räume. Dabei dienen sie schon längst nicht<br />
mehr allein der Erschließung landwirtschaftlich<br />
genutzter Grundstücke und Gebäude. Vielmehr<br />
haben sich einhergehend mit der Funktionserweiterung<br />
der ländlichen Räume insgesamt auch<br />
die Aufgaben landwirtschaftlicher Wege zu einer<br />
echten Multifunktionalität hin erweitert. Der<br />
Kreis der Nutzer ist damit gewachsen und die<br />
Ansprüche an die Wege sind weiter geworden.<br />
Aus dem Bedeutungszuwachs der landwirtschaftlichen<br />
Wege aufgrund ihrer zunehmenden<br />
multifunktionalen Bestimmung und der neuen<br />
Anforderungen, die an sie gestellt werden, sind<br />
zukunftsweisende Wegekonzepte zu entwickeln,<br />
die neben der Beachtung technischer, ökonomisch-ökologischer<br />
und rechtlicher Aspekte<br />
auch Finanzierungs- bzw. Förderkonzepte enthalten.<br />
Die interdisziplinär zusammengesetzte Arbeitsgruppe<br />
„<strong>Landwirtschaft</strong>liche Wege“ des<br />
Kuratoriums für Technik und Bauwesen in der<br />
<strong>Landwirtschaft</strong> e. V. (KTBL) hat sich dieser Thematik<br />
angenommen und in dieser Schrift den<br />
Stand des Wissens zusammengetragen. Die vielfältigen<br />
Betrachtungsweisen der KTBL-Schrift<br />
tragen zu einem besseren Verständnis, aber auch<br />
zu einer tieferen Kenntnis dieser komplexen<br />
Materie bei. Die Ausführungen wenden sich<br />
hauptsächlich an Kommunen und andere Wegbetreiber.<br />
Aber auch Landwirte, landwirtschaftliche<br />
Berater und andere Betroffene finden hier<br />
Antworten und Anregungen zu ausgewählten<br />
Fragestellungen.<br />
ktbl<br />
KTBL-Heft 053: Clevere Landwirte geben<br />
Gas. Musterlösungen für landwirtschaftliche<br />
Biogasanlagen. 2005, 40 S.,<br />
8 €, Best.-Nr. 40053 – Bestelladresse:<br />
Kuratorium für Technik und Bauwesen<br />
in der <strong>Landwirtschaft</strong> e. V. (KTBL),<br />
Bartningstr. 49, 64289 Darmstadt; Tel.<br />
06151/7001-189, Fax: 06151/7001-123,<br />
E-Mail: vertrieb@ktbl.de
Die Energieerzeugung aus Biogas stellt für<br />
viele landwirtschaftliche Betriebe eine potenzielle<br />
zusätzliche Einkommensquelle dar. Die<br />
Erfahrungen aus der landwirtschaftlichen Produktion,<br />
z. B. bei der Ernte, der Bereitstellung<br />
von qualitativ hochwertigen Substraten und dem<br />
betrieblichen Management, prädestinieren im<br />
Besonderen landwirtschaftliche Betriebsleiter<br />
zur Umsetzung und Integration eines Biogasanlagenkonzeptes<br />
in ihren Betrieb.<br />
In der KTBL-Broschüre werden die Preisträger<br />
des vom KTBL im Auftrag des Bundesministeriums<br />
für Verbraucherschutz, Ernährung<br />
und <strong>Landwirtschaft</strong> (BMVEL) durchgeführten<br />
Modellvorhabens 2004/2005 „Musterlösungen<br />
für umweltgerechte und wirtschaftliche Energieerzeugung<br />
mit landwirtschaftlichen Biogasanlagen“<br />
vorgestellt. Die Anlagen wurden in einem<br />
bundesweiten Ausschreibungsverfahren ausgewählt,<br />
an dem sich insgesamt 41 Betreiber und<br />
Planer von landwirtschaftlichen Biogasanlagen<br />
beteiligt haben. Beurteilungskriterien waren<br />
–<br />
–<br />
–<br />
Arbeitswirtschaft und Ökonomie,<br />
bauliche und technische Ausstattung sowie<br />
Prozessstabilität und<br />
Gesundheitsvorsorge und Landschaftsschutz.<br />
Die fünf ausgezeichneten Anlagenkonzepte<br />
haben diese Anforderungen in hohem Maße<br />
erfüllt. Sie zeigen vorteilhafte Lösungen aus unterschiedlichen<br />
Bereichen der Biogaserzeugung,<br />
von denen sowohl zukünftige als auch bereits<br />
praktizierende Betreiber, aber auch Behördenvertreter,<br />
Planer und Hersteller lernen können.<br />
ktbl<br />
KTBL-Schrift 441: Aktuelle Arbeiten<br />
zur artgemäßen Tierhaltung 2005,<br />
37. Tagung „Angewandte Ethologie bei<br />
Nutztieren“ der DVG, 2005, 286 S.,<br />
20 €, ISBN 3-7843-2189-5, Best.-Nr<br />
11441 – Bestelladresse: KTBL-Schriftenvertrieb<br />
im <strong>Landwirtschaft</strong>sverlag<br />
GmbH, 48084 Münster-Hiltrup, (Tel.:<br />
02501/801-300, Fax: 02501/801-351),<br />
E-Mail: service@lv-h.de und KTBL,<br />
Bartningstr. 49, 64289 Darmstadt Tel.<br />
06151/7001-189, Fax: 06151/7001-123,<br />
E-Mail: vertrieb@ktbl.de<br />
Zum nunmehr 37-ten Mal fand im November<br />
2005 die Internationale Tagung Angewandte<br />
Ethologie der Deutschen Veterinärmedizinischen<br />
Gesellschaft statt. Im traditionellen<br />
Veranstaltungsort Freiburg im Breisgau wurden<br />
einmal mehr die neuesten wissenschaftlichen<br />
Erkenntnisse zur Ethologie von Heim- und Versuchstieren<br />
vorgestellt.<br />
Bücherschau<br />
315<br />
Im Themenkomplex „Kognition und Befindlichkeiten“<br />
wurden hauptsächlich die<br />
Gegebenheiten der modernen Schweinehaltung<br />
untersucht. Untersuchungen im Bereich der<br />
Rinderhaltung wie beispielsweise die Trennung<br />
und Entwöhnung in der Mutter gebundenen<br />
Kälberaufzucht bei Milchvieh rundeten das<br />
Thema ab.<br />
Im zweiten Themenblock wurden Studien zu<br />
Verhaltenstests bei Nutz- und Heimtieren unter<br />
besonderer Berücksichtigung von Mastgeflügel<br />
wie Puten und Enten vorgestellt. Ein Vortrag<br />
beschäftigte sich mit dem Wohlbefinden von<br />
Straußen unter winterlichen Bedingungen in<br />
Deutschland.<br />
Der extensiven Tierhaltung wurde der letzte<br />
Themenblock gewidmet. Ein besonderes Augenmerk<br />
wurde hier auf die Grenzen der ganzjährigen<br />
Freilandhaltung gelegt.<br />
Hinzu kommt eine Fülle von Themen, die<br />
dem besseren Verständnis der Bedürfnisse und<br />
der artgerechten Haltung gehaltener Tiere dienen.<br />
Ihrer wirtschaftlichen Bedeutung entsprechend<br />
stehen Rinder, Schweine und Hühner im<br />
Vordergrund, doch kommen auch Heimtiere<br />
nicht zu kurz.<br />
Erstmals wurden verschiedene Versuchsergebnisse<br />
und Fragestellungen auch anhand einer<br />
Posterpräsentation verdeutlicht. Alle Referate<br />
und die mit Postern behandelten Fragestellungen<br />
sind in der KTBL-Schrift wiedergegeben.<br />
ktbl<br />
norbert Fröba und mathias FUnk, Dieselkraftstoffbedarf<br />
bei landwirtschaftlichen<br />
Arbeiten. 2005, 32 S.,<br />
5 €, Best.-Nr. 40058 – Bestelladresse:<br />
Kuratorium für Technik und Bauwesen<br />
in der <strong>Landwirtschaft</strong> e. V. (KTBL),<br />
Bartningstr. 49, 64289 Darmstadt; Tel.<br />
06151/7001-189, Fax: 06151/7001-123,<br />
E-Mail: vertrieb@ktbl.de<br />
Die Kenntnis des Dieselbedarfs der einzelnen<br />
landwirtschaftlichen Maschinen bietet die<br />
Chance, den Energieeinsatz in der Produktion<br />
landwirtschaftlicher Güter zu verringern. Aber<br />
auch vor dem Hintergrund der ab 2005 gültigen<br />
Änderungen des Agrardieselgesetzes sind<br />
Dieselbedarfswerte von großem Nutzen, da im<br />
Antrag für die Mineralölsteuervergütung für<br />
Arbeiten, die zum Beispiel von einem Lohnunternehmen<br />
durchgeführt wurden, die tatsächlich<br />
verbrauchte Dieselmenge anzugeben ist.<br />
Das KTBL hat deshalb ein Kompendium des<br />
Dieselbedarfs bei landwirtschaftlichen Arbeiten<br />
zusammengestellt. Für die Arbeitsgänge von der<br />
Bodenbearbeitung bis zur Ernte und zu Ladearbeiten<br />
auf dem Hof sind typische Maschinen und
316 Bücherschau<br />
Maschinenkombinationen zusammengestellt.<br />
Für diese wird der Dieselbedarf in Abhängigkeit<br />
von der Schlaggröße und weiteren Einflussgrößen,<br />
etwa der Ausbringmenge, der Erntemenge<br />
oder des Bodenbearbeitungswiderstandes, in Liter<br />
je Hektar ausgewiesen. Der Dieselbedarf ist<br />
dabei nach dem sehr exakten teilzeitspezifischen<br />
Kalkulationsmodell ermittelt, in dem die von der<br />
Schlaggröße abhängigen Verbrauchsanteile für<br />
zum Beispiel Wendungen am Feldende berücksichtigt<br />
werden.<br />
In diesem Heft können alle, die sich für den<br />
Dieselbedarf bei landwirtschaftlichen Arbeiten<br />
interessieren, schnell die benötigten Bedarfswerte<br />
nachschlagen. Ein kurzer Überblick <strong>über</strong><br />
die aktuellen Gesetzesänderungen rundet die<br />
Veröffentlichung ab.<br />
Dieselbedarfsrechner online:<br />
Für die, die es genau wissen wollen, hat das<br />
KTBL einen Dieselbedarfsrechner entwickelt.<br />
Mit diesem Rechner können Sie (Landwirt, Maschinengemeinschaft,<br />
Lohnunternehmer, Maschinering,…)<br />
den Dieselbedarf für nahezu alle<br />
Feldarbeiten berechnen.<br />
Ausgangspunkt für die Berechnung ist das<br />
Arbeitsverfahren. Nach Auswahl der relevanten<br />
Maschinekombination können Sie dann Parzellengröße,<br />
Hof-Feld- Entfernung und wenn<br />
benötigt auch die Ernte- bzw. Ausbringmenge<br />
individuell eingeben. Bei vielen Verfahren ist<br />
auch der Bodenbearbeitungswiderstand (leicht,<br />
mittel, schwer) zu variieren.<br />
Als Ergebnis erhalten Sie den Dieselbedarf<br />
pro Hektar, und pro Parzelle für die jeweiligen<br />
Teilarbeiten. Die Ergebnisse können Sie ausdrucken<br />
oder in Excel <strong>über</strong>nehmen.<br />
Den KTBL- Dieselbedarfsrechner finden Sie<br />
unter: www.ktbl.de/dieselbedarf Der Preis beträgt<br />
1,50€ für eine Sitzung von bis zu 3 Stunden.<br />
ktbl<br />
Brennpunkt Energie–Reduktion von Energiekosten<br />
im Gartenbau. Beiträge<br />
der IPM-Lehrschau 2006 vom 2. – 5.<br />
Februar 2006 in Essen. 2006, 64 S., 8 €,<br />
ISBN 3-939371-01-7, Best.-Nr. 40056 –<br />
Bestelladresse: Kuratorium für Technik<br />
und Bauwesen in der <strong>Landwirtschaft</strong><br />
e. V. (KTBL), Bartningstr. 49, 64289<br />
Darmstadt; Tel. 06151/7001-189, Fax:<br />
06151/7001-123, E-Mail: vertrieb@<br />
ktbl.de<br />
Die Heizkosten für Gewächshäuser stellen einen<br />
wichtigen Kostenfaktor der Unterglasproduktion<br />
im Gartenbau dar. Nach den Energiepreissteigerungen<br />
der letzten Zeit hat ihre Bedeutung wei-<br />
ter zugenommen. Die Betriebe des Gartenbaus<br />
müssen große Anstrengungen unternehmen, um<br />
durch die Senkung der Heizkosten ihre Zukunft<br />
zu sichern. Dazu müssen Energie eingespart, die<br />
Energieeffizienz erhöht und teure Energieträger<br />
durch preiswertere ersetzt werden.<br />
Umfassende Informationen zu dieser Thematik<br />
haben Versuchs-, Forschungs- und<br />
Beratungseinrichtungen aus ganz Deutschland<br />
in insgesamt 17 Einzelbeiträgen auf der Lehrschau<br />
„Brennpunkt Energie“ präsentiert, die im<br />
Rahmen des Infocenters Gartenbau auf der Internationalen<br />
Pflanzenmesse (IPM) 2006 in Essen<br />
stattfand. Es wurde gezeigt, wie durch pflanzenbauliche<br />
Maßnahmen, eine Optimierung des<br />
Technikeinsatzes und die Nutzung alternativer<br />
Brennstoffe der Aufwand für die Beheizung von<br />
Gewächshäusern gesenkt und damit der CO 2 -<br />
Ausstoß verringert werden kann.<br />
Das KTBL-Heft fasst die Ergebnisse und<br />
Empfehlungen der Lehrschau zusammen. Zusätzliche<br />
Beiträge geben einen Überblick <strong>über</strong><br />
den gegenwärtigen Stand der Diskussion hinsichtlich<br />
der Wärmeversorgung von Gewächshäusern<br />
und machen deutlich, dass vielfältige<br />
Handlungsmöglichkeiten bestehen, um steigenden<br />
Energiepreisen zu begegnen.<br />
Die Veröffentlichung wendet sich in erster<br />
Linie an Inhaber von Gartenbaubetrieben und<br />
ihre Berater, aber auch an Energieversorger<br />
einschließlich der Anbieter von erneuerbarer<br />
Energie und dar<strong>über</strong> hinaus an alle, denen der<br />
sparsame Umgang mit Energieressourcen ein<br />
Anliegen ist.<br />
ktbl<br />
KTBL-Heft 55: Gesunde Milchkühe<br />
im Ökologischen Landbau.<br />
Ein Leitfaden für die Praxis.<br />
2006, 64 S., 8 €, ISBN 3-939371-00-<br />
9 / ISBN 978-3-939371-00-7, Best.-<br />
Nr. 40055 – Bestelladresse: Kuratorium<br />
für Technik und Bauwesen in der <strong>Landwirtschaft</strong><br />
e. V. (KTBL), Bartningstr.<br />
49, 64289 Darmstadt; Tel. 06151/7001-<br />
189, Fax: 06151/7001-123, E-Mail:<br />
vertrieb@ktbl.de<br />
Ein hoher Gesundheitsstatus in der Herde gehört<br />
zum Leitbild jeder ökologischen Milchviehhaltung<br />
– er ist ethisch und wirtschaftlich<br />
unverzichtbar. In der Praxis zeigen sich jedoch<br />
häufig Defizite, welche sich in einer niedrigen<br />
Milchleistung und einer oft mangelhaften Tiergesundheit<br />
äußern. Aus der Sicht von Experten<br />
sind diese Gesundheitsprobleme vor allem darauf<br />
zurückzuführen, dass die Haltungsbedingungen<br />
häufig nicht optimal sind und übliche Empfehlungen<br />
zum Praxismanagement nicht umgesetzt
werden. Besonders bei der Mastitisvorbeugung<br />
fehlen zuverlässige Empfehlungen für die Praxis.<br />
Im vorliegenden Heft werden auf 64 Seiten<br />
Beratungsempfehlungen und Checklisten für<br />
die Praxis anschaulich mit Tabellen und Bildern<br />
zusammengestellt. Namhafte Autoren analysieren<br />
in prägnanter Form relevante Bereiche der<br />
Tiergesundheitsprävention. Die zusammengetragenen<br />
Erfahrungen und Ratschläge beziehen<br />
sich vor allem auf die Aspekte, mit denen der<br />
Landwirt täglich umgeht oder die zumindest<br />
ohne großen (finanziellen) Aufwand umsetzbar<br />
sind.<br />
Anhand konkreter Fragestellungen werden<br />
in knapper Form die Bereiche Euter- und<br />
Gliedmaßengesundheit, Fruchtbarkeit und<br />
Milchqualität genauso behandelt wie die Kälberaufzucht<br />
und der Bereich der Fütterung. Die<br />
Überprüfung der Tiergerechtheit des eingesetzten<br />
Haltungsverfahrens, der Arbeitseffizienz<br />
des Herdenmanagements, des Qualitätsmanagements<br />
und der ökonomischen Gesamtsituation<br />
sind dar<strong>über</strong> hinaus ebenso Bestandteil dieses<br />
Heftes wie die Frage, ob die Milchviehhaltung<br />
im eigenen Betrieb den ökologischen Anforderungen<br />
umfassend gerecht wird.<br />
ktbl<br />
KTBL-Heft 057: Bauern unter Sonnen-<br />
Strom. Technik und Wirtschaftlichkeit<br />
von Photovoltaikanlagen in der<br />
<strong>Landwirtschaft</strong>. 2006, 28 S., 5 €, ISBN<br />
3-939371-02-5, ISBN 978-3-939371-<br />
02-1, Best.-Nr. 40057 – Bestelladresse:<br />
Kuratorium für Technik und Bauwesen<br />
Bücherschau<br />
317<br />
in der <strong>Landwirtschaft</strong> e. V. (KTBL),<br />
Bartningstr. 49, 64289 Darmstadt; Tel.<br />
06151/7001-189, Fax: 06151/7001-123,<br />
E-Mail: vertrieb@ktbl.de<br />
In Deutschland ist die Erzeugung von Strom<br />
mit Photovoltaikanlagen seit der Änderung des<br />
Erneuerbare- Energiengesetzes (EEG) zu einer<br />
interessanten Einkommensalternative geworden.<br />
Über 55 Cent pro eingespeiste Kilowattstunde<br />
können für Strom aus Photovoltaikanlagen erlöst<br />
werden. Das EEG bietet außerdem eine<br />
Preis- und Abnahmegarantie <strong>über</strong> 20 Jahre.<br />
Die <strong>Landwirtschaft</strong> verfügt <strong>über</strong> gute Voraussetzungen<br />
für die Photovoltaik. Meist stehen<br />
große Dachflächen zur Verfügung, die statisch<br />
für die Montage von Photovoltaikanlagen geeignet<br />
sind. Investitionen müssen jedoch wohl<br />
<strong>über</strong>legt und gut geplant sein.<br />
Im KTBL-Heft werden im Einzelnen die<br />
technischen Grundlagen der Photovoltaik dargestellt.<br />
Dabei wird u. a. <strong>über</strong> Solarzellentypen,<br />
die Verschaltung von Solarzellen zu Modulen<br />
und Generatoren, die Arbeitsweise einer Netz<br />
gekoppelten Solaranlage und den Netzanschluss<br />
informiert. Ausführungen <strong>über</strong> die Planung sowie<br />
den Betrieb und die Wartung einer Solaranlage<br />
schließen sich an. Abschließend werden<br />
ausführlich die Voraussetzungen für einen wirtschaftlichen<br />
Betrieb Netz gekoppelter Photovoltaikanlagen<br />
dargestellt.<br />
Für alle Landwirte, die sich mit dem Gedanken<br />
tragen, eine Photovoltaikanlage zu bauen<br />
und zu betreiben, und ihre Berater ist das KTBL-<br />
Heft eine unentbehrliche Informationsquelle.<br />
ktbl