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Berichte über Landwirtschaft - BMELV

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Band 84 (2) · 161–320 · August 2006 ISSN 0005-9080<br />

<strong>Berichte</strong> <strong>über</strong><br />

<strong>Landwirtschaft</strong><br />

Zeitschrift für Agrarpolitik und <strong>Landwirtschaft</strong><br />

Herausgegeben vom Bundesministerium für Ernährung,<br />

<strong>Landwirtschaft</strong> und Verbraucherschutz


Herausgeber: Die „<strong>Berichte</strong> <strong>über</strong> <strong>Landwirtschaft</strong>“ und „Sonderhefte der <strong>Berichte</strong> <strong>über</strong> <strong>Landwirtschaft</strong>“<br />

werden vom Bundesministerium für Ernährung, <strong>Landwirtschaft</strong> und Verbraucherschutz, Postfach<br />

14 02 70, D-53107 Bonn, Deutschland (Tel.: 0 30/20 06-32 06 oder -32 29), herausgegeben. Die Beiträge<br />

geben die persönliche Auffassung der Verfasser wieder, ihre Veröffentlichung bedeutet keine<br />

Stellungnahme des Herausgebers. Manuskripte senden die Verfasser an die Schriftleitung.<br />

Schriftleitung: Hauptschriftleiter, MinDirig Dr. Jörg Wendisch, Leiter der Abteilung „Ländlicher Raum,<br />

Pflanzliche Erzeugung, Forst- und Holzwirtschaft“. Verantwortlicher Schriftleiter: Regdir Dr. Ulrich<br />

neUbaUer.<br />

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D-70565 Stuttgart, Tel. 07 11/78 63-0, Telefax 07 11/78 63-82 88, E-Mail: landwirtschaft@kohlhammer.de,<br />

Baden-Württembergische Bank Kto. 1002 583 100, BLZ 600 200 30).<br />

Geschäftsführung: dr. Jürgen gUtbrod, leopold Freiherr von Und zU Weiler.<br />

Objektleiterin: JUtta vaihinger.<br />

Erscheinungsweise und Bezugspreis 2006: Es erscheint Band 84 mit 3 Heften. Jahresabonnement 204,30 €/<br />

SFr 399,60 einschl. 7 % Mehrwertsteuer und Versandkosten.<br />

Das Abonnement wird zum Jahresanfang berechnet und zur Zahlung fällig. Es verlängert sich stillschweigend,<br />

wenn nicht spätestens 6 Wochen vor Jahresende eine Abbestellung beim Verlag vorliegt.<br />

Die Zeitschrift kann in jeder Buchhandlung oder beim Kohlhammer Verlag, D-70549 Stuttgart, Deutschland,<br />

bestellt werden. Internet: http://www.kohlhammer.de, E-Mail: landwirtschaft@kohlhammer.de<br />

This journal is covered by Biosciences Information Service of Biological Abstracts, by Current Contents (Series<br />

Agriculture, Biology and Environmental Sciences) of Institute for Scientific Information, and by World Agricultural<br />

Economics and Rural Sociology Abstracts (WAERSA) Bureau of the Commonwealth of Agriculture Economics.<br />

© 2006 W. Kohlhammer GmbH Stuttgart<br />

Gesamtherstellung: Druckerei W. Kohlhammer GmbH & Co. KG, Stuttgart<br />

Printed in Germany<br />

Ber. Ldw. 84 (2006), H. 1, S. 161–320<br />

ISSN 0005-9080


Inhalt<br />

Die energetische Nutzung von Mais in Biogasanlagen – Hinkt die Forschung der Praxis<br />

hinterher ?<br />

Von antJe herrmann und Friedhelm taUbe, Kiel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165<br />

Bedeutung der Pflanzenzüchtung für die Welternährung<br />

Von matin Qaim, Stuttgart-Hohenheim . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198<br />

Der Vorschlag für eine Richtlinie des Rates und Europäischen Parlaments <strong>über</strong><br />

Dienstleistungen im Binnenmarkt vom 10. Januar 2005 –Rechtsfolgenabschätzung für<br />

das <strong>BMELV</strong><br />

Von thomas pFeiFFer, bUrkhard hess, boris schinkels, matthias Weller,<br />

dennis blechinger, steFFen ganninger und benJamin gündling, Heidelberg . . . . . . . . . . . . . . 213<br />

Arbeitseinsatz in der deutschen <strong>Landwirtschaft</strong> und Beschäftigungseffekte politischer<br />

Maßnahmen<br />

Von Ferdinand Fasterding und daniela rixen, Braunschweig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243<br />

Jenseits des Rubikon? Der mögliche Beitrag von Systemaufstellungen und<br />

Lösungsorientierung zur Beratungsarbeit in der <strong>Landwirtschaft</strong><br />

Von hermann boland und thorsten michaelis, Gießen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264<br />

Unternehmen im Agrarbereich vor neuen Herausforderungen – Bericht <strong>über</strong><br />

die 45. Jahrestagung der Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften<br />

des Landbaues e. V. (GEWISOLA) 2005 in Göttingen –<br />

Von enno bahrs, stephan von cramon-taUbadel, achim spiller, lUdWig theUvsen,<br />

bernhard voget, Göttingen und ManFred zeller, Stuttgart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289<br />

Bücherschau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314


Die energetische Nutzung von Mais in Biogasanlagen –<br />

Hinkt die Forschung der Praxis hinterher ?<br />

Von antJe herrmann und Friedhelm taUbe, Kiel<br />

1 Einleitung<br />

U.S. Copyright Clearance Center Code Statement: 0005-9080/06/8402-165 $ 2.50/0<br />

165<br />

Im letzten Jahrhundert ist die globale Mitteltemperatur um 0,6 °C (+/-0,2 °C) angestiegen<br />

(40). Dabei handelt es sich um die stärkste Temperaturerhöhung während der letzten<br />

1000 Jahre auf der nördlichen Erdhalbkugel. Dar<strong>über</strong> hinaus waren die 90er-Jahre des<br />

20. Jahrhunderts weltweit das wärmste Jahrzehnt. Diese Erwärmung ist zu einem großen<br />

Teil menschlichen Aktivitäten zuzuordnen, die zu einer Konzentrationserhöhung von<br />

Treibhausgasen durch Verbrennung fossiler Rohstoffe, das Abholzen von Wäldern und bestimmte<br />

landwirtschaftliche Praktiken geführt haben. Ohne entsprechende Klimaschutzmaßnahmen<br />

im 21. Jahrhundert wird ein weiterer Anstieg der Temperatur prognostiziert.<br />

Der erste Schritt in Richtung einer weltweiten Klimaschutzpolitik erfolgte 1992. In<br />

der Klimarahmenkonvention verpflichteten sich die Industrieländer zu einer langfristigen<br />

Senkung der Treibhausgasemissionen. Auf der Klimakonferenz in Kyoto 1997 haben die<br />

Vertragsstaaten das so genannte „Kyoto-Protokoll“ verabschiedet mit der Verpflichtung,<br />

ihre gemeinsamen Emissionen der sechs wichtigsten Treibhausgase (u. a. CO 2 , CH 4 , Fluorchlorkohlenwasserstoffe)<br />

verbindlich im Zeitraum von 2008 bis 2012 um mindestens<br />

5 % unter das Niveau von 1990 zu senken. Die entsprechende EG-Richtlinie 2001/77/EG<br />

musste von den Mitgliedsstaaten bis zum 27.10.2003 in nationales Recht umgesetzt werden.<br />

Sie sieht die Erhöhung des Anteils der Erneuerbaren Energien am Gesamtstromverbrauch<br />

der EU von 13,9 % (1997) auf 22 % im Jahr 2010 vor (bzw. 12 % des Bruttoinlandsenergieverbrauchs<br />

bis 2010). Dar<strong>über</strong> hinaus zielt die Klimapolitik auf nationaler Ebene<br />

darauf hin, die CO 2 Emissionen bis 2005 um 25 % gegen<strong>über</strong> 1990 zu senken. Um die<br />

angestrebten Ziele zu erreichen sollen erneuerbare Energien längerfristig zu einer maßgeblichen<br />

Quelle der Energieversorgung werden. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG)<br />

trat am 01.04.2000 in Kraft und regelt die Abnahme und die Vergütung von ausschließlich<br />

aus erneuerbaren Energien gewonnenem Strom. Ziel der Novellierung dieses Gesetzes ist<br />

es, den Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromversorgung auf mindestens 12,5 %<br />

bis 2010 und auf mindestens 20 % bis 2020 zu steigern. Dies soll insbesondere durch die<br />

verstärkte Nutzung von Biomasse erzielt werden.<br />

Die Vorteile der Biomassenutzung liegen in einer Reduktion des klimawirksamen CO 2 -<br />

Ausstoßes, einer nachhaltigen Produktion, sowie der Schonung sich verknappender fossiler<br />

Ressourcen. Biomasse kann durch die Land- und Forstwirtschaft in großer Menge<br />

bereitgestellt werden, insbesondere da eine Freisetzung von Flächen für die Non-Food<br />

Produktion in den nächsten Jahrzehnten zu erwarten ist. Die Biogasproduktion als eine<br />

mögliche Form der Biomassenutzung soll weitgehend geschlossene Nährstoffkreisläufe<br />

ermöglichen, eine Produktion in räumlicher Nähe zur Nutzung, und somit einen Beitrag<br />

zur Entwicklung ländlicher Räume leisten. Der Anteil erneuerbarer Energien am Primärenergieverbrauch<br />

Deutschlands betrug 2004 ca. 3,6 Prozent (14). Der Anbau von Mais<br />

zur Strom- und Wärmegewinnung <strong>über</strong> Biogas ist von rund 10 500 ha im Jahr 2004 auf<br />

ca. 70 000 ha im Jahr 2005 gestiegen (18) und verdeutlicht die rasche Entwicklung in<br />

diesem Bereich. Gleichermaßen hat die Anzahl Biogasanlagen zugenommen, mit einem


166 Antje Herrmann und Friedhelm Taube<br />

geschätzten Bestand von 4000 Anlagen für das Jahr 2005. Der Anteil von Biogas am Endenergieverbrauch<br />

liegt aber noch deutlich unter einem Prozent (14). Die vielerorts anfangs<br />

herrschende „Goldgräberstimmung“ scheint jedoch teilweise Ernüchterung gewichen zu<br />

sein angesichts von Problemen im Hinblick auf die Wirtschaftlichkeit von Biogasanlagen<br />

(9).<br />

Das Ziel dieses Beitrages ist es, den Status quo der pflanzenbaulichen Forschung zur<br />

energetischen Nutzung von Mais in Biogasanlagen darzustellen und potenziellen Forschungsbedarf<br />

aufzuzeigen. Um die vorhandenen Ergebnisse zur Biogasproduktion von<br />

Mais kritisch würdigen zu können, wird zunächst eine kurze Übersicht zum anaeroben<br />

Abbau von Biomasse und zu Schätzmethoden des Methanbildungsvermögens gegeben.<br />

2 Anaerober Abbau<br />

Der anaerobe Abbau organischer Substanz, d. h. hochmolekularer Verbindungen wie Polysaccharide,<br />

Proteine und Fette, geschieht durch das Zusammenwirken verschiedener Prokaryontengruppen.<br />

Der erste Schritt umfasst dabei die Hydrolyse organischer Polymere<br />

in niedermolekulare Verbindungen wie Zucker, Aminosäuren und langkettige Fettsäuren<br />

durch obligat oder fakultativ anaerobe Mikroorganismen (Abb. 1). Liegt das Gärsubstrat<br />

in Partikelform vor, kann die Hydrolyse limitierend auf den weiteren anaeroben Abbau<br />

wirken (89). Im nächsten Schritt, der Azidogenese, werden die aus der Hydrolyse resultierenden<br />

Zucker, Aminosäuren und langkettigen Fettsäuren durch fermentativ (Abb. 1)<br />

ACETATE<br />

ORGANIC POLYMERS<br />

1<br />

SUGARS AMINO ACIDS LONG-CHAIN FATTY ACIDS<br />

2 3<br />

5<br />

ELECTRON SINKS<br />

e.g.<br />

LACTATE, ETHANOL<br />

BUTYRATE, PROPIONATE<br />

4<br />

METHANE<br />

CARBON DIOXIDE<br />

Abb. 1. Der anaerobe Abbau organischer Substanz zu Methan<br />

Quelle: (13)<br />

HYDROGEN<br />

CARBON DIOXIDE<br />

6


Die energetische Nutzung von Mais in Biogasanlagen<br />

167<br />

oder oxidierend wirkende Organismen (Abb. 1) zu einer Vielzahl von Produkten weiter<br />

abgebaut. Am häufigsten zu finden sind Azetat, Propionat, Butyrat, Succinat, Alkohole, H 2<br />

und CO 2 . Diese Substanzen können nicht direkt von methanbildenden Bakterien verstoffwechselt<br />

werden, sondern müssen zunächst von obligat H 2 -synthetisierenden Bakterien<br />

<strong>über</strong> die Azetogenese zu Azetat, CO 2 und H 2 konvertiert werden (Abb. 1). Die Methanbildung<br />

erfolgt dann <strong>über</strong> azetoclastische (Abb. 1) oder H 2 -reduzierende Mikroorganismen<br />

(Abb. 1), wobei der Azetat-Reaktionsweg eine größere Bedeutung haben soll (79). Den<br />

H 2 -reduzierenden methanogenen Bakterien kommt jedoch eine Schlüsselrolle zu im Hinblick<br />

auf die Aufrechterhaltung eines niedrigen H 2 -Partialdrucks, auf den azetogene Mikroorganismen<br />

angewiesen sind. Der limitierende Schritt bei der Methanbildung scheint<br />

nicht die Methanogenese selbst zu sein, sondern die Produktion von Azetat und H 2 , d. h.<br />

die Azetogenese (58).<br />

Als wichtige Steuergrößen des anaeroben Abbaus sind neben der Temperatur, der pH-<br />

Wert, die Struktur des Substrates bzw. Zugänglichkeit für die Hydrolyse, die Art und<br />

Menge des Inokulums, das C:N:P-Verhältnis und Betriebsparameter wie die Raumbelastung<br />

und Verweildauer des Substrates im Fermenter zu nennen (44; 8).<br />

Die Temperatur beeinflusst in starkem Maße die Rate des mikrobiellen Stoffwechsels<br />

und die Löslichkeit der Substrate. Anaerober Abbau wird grundsätzlich in drei unterschiedlichen<br />

Temperaturbereichen durchgeführt, dem psychrophilen (< 20 °C), dem mesophilen<br />

(25–40 °C) und dem thermophilen (45–60 °C) Bereich, was zu einer Verschiebung<br />

in der Zusammensetzung der Mikrobenpopulation führen kann. In der Praxis <strong>über</strong>wiegen<br />

mesophil betriebene Anlagen (92). Der anaerobe Abbau findet in einem pH-Bereich von<br />

6,0 bis 8,3 statt, wobei der pH-Wert die hydrolytisch aktiven Enzyme und Mikroorganismen<br />

beeinflusst. Während methanogene und azetogene Organismen ein Optimum um pH<br />

7 aufweisen, liegt der optimale pH für Azidogene bei pH 6. Da Methanogene sensitiver<br />

auf pH-Änderungen reagieren als Azidogene, sollte in einphasigen Anlagen ein neutraler<br />

pH-Wert angestrebt werden. Eine puffernde Wirkung geht insbesondere von Bikarbonat,<br />

Schwefelwasserstoff, Dihydrogenphosphat und Ammoniak aus. Die Zusammensetzung<br />

des abzubauenden Substrates muss bestimmten Anforderungen genügen was die Makro-<br />

als auch Mikronährstoffe betrifft (1; 24). So wird für das C:N:P-Verhältnis ein Minimum<br />

von 100 : 28 : 6 angegeben. Die Vergärung spezieller Substrate erfordert dar<strong>über</strong> hinaus<br />

ein Inokulum, welches an die Substratzusammensetzung und Umweltbedingungen adaptiert<br />

ist. Dies trifft z. B. auf den Abbau fettreicher organischer Masse zu (7).<br />

Gewisse Substanzen können in Abhängigkeit ihrer Konzentration hemmend auf den<br />

anaeroben Abbau wirken. Zu nennen sind hier Nitrat und schwefelhaltige Verbindungen<br />

wie Sulfat, Sulfid und Schwefelwasserstoff. Auch Ammoniak, Lipide, flüchtige und langkettige<br />

Fettsäuren, Schwermetalle, Desinfektionsmittel, Antibiotika, sowie bestimmte<br />

Kationen wie K + Ca 2+ und Na + , können sich störend auf die Vergärung auswirken. Für<br />

nähere Angaben zu kritischen Konzentrationsbereichen siehe kaltschmidt und hartmann<br />

(44). Lipide beispielsweise können <strong>über</strong> einen rein physikalischen Effekt durch eine Umhüllung<br />

der Partikel die cellulolytische Aktivität reduzieren. Dar<strong>über</strong> hinaus können sich<br />

langkettige Fettsäuren, die aus der Hydrolyse von Triglyzeriden resultieren, auch schon<br />

bei geringen Konzentrationen hemmend auf azetogene, azetoclastische und H 2 -oxidierende<br />

Bakterien und damit auf die Methanproduktion auswirken (4; 7; 39). Dies scheint<br />

u. a. durch die Membrangängigkeit dieser Fettsäuren verursacht zu werden, welche die<br />

Integrität von Zellmembranen modifiziert, aber auch <strong>über</strong> eine Substrathemmung auf die<br />

β-Oxidation der Fettsäuren (48). Aus diesen Gründen werden pflanzliche Fette auch zur<br />

Reduktion der Methanoutputs in der Wiederkäuerernährung eingesetzt (61). Neben der<br />

Konzentration der langkettigen Fettsäuren im Fermenter ist auch deren Sättigungsgrad<br />

von Bedeutung. So geht von ungesättigten Fettsäuren wie Ölsäure oder Linolsäure ein


168 Antje Herrmann und Friedhelm Taube<br />

stärker hemmender Effekt auf die Methanbildung aus als von gesättigten Fettsäuren (48).<br />

Die Toxizität kann jedoch durch Absorption an Partikel herabgesetzt werden (6)<br />

3 Ermittlung der Methanausbeute<br />

3.1 Verfahrensvarianten<br />

Die Anlagentechnik zur Biogaserzeugung weist eine große Bandbreite auf. So kann bei<br />

der Art der Beschickung von Biogasanlagen zwischen kontinuierlichen und diskontinuierlichen<br />

Verfahren differenziert werden (53). Letztere werden auch als Batchverfahren bezeichnet.<br />

Auch bei der experimentellen Ermittlung der Methanausbeute in Laboranlagen<br />

findet man beide Beschickungsformen, deren Einsatzbereich von der jeweiligen Fragestellung<br />

abhängt. Als Batchverfahren sind beispielsweise der Hohenheimer Biogasertragstest<br />

(33) zu nennen, der aus dem Hohenheimer-Futterwerttest abgewandelt wurde und das Eudiometer<br />

(DIN 38 414-8), welches in der Faulschlammanalytik eingesetzt wird. Letzteres<br />

Verfahren wurde jedoch für dünnflüssige Substrate entwickelt und ist daher kaum geeignet<br />

für Gärsubstrate, die einen höheren Trockensubstanzgehalten aufweisen (34). Kontinuierliche<br />

Anlagen werden bisher meist von Versuchsanstellern in Eigenregie entworfen<br />

und gebaut und können daher in Bau- und Funktionsweise variieren. Sie weisen oft ein<br />

größeres Fermentervolumen auf als diskontinuierliche Anlagen und sind daher meist mit<br />

einem Rührwerk versehen. Der Vorteil von Batchverfahren liegt in den vergleichsweise<br />

niedrigen Kosten und der verhältnismäßig einfachen Durchführbarkeit. Praxis-Biogasanlagen<br />

werden jedoch meist im kontinuierlichen Betrieb gefahren (22). Durch stabilere<br />

Abbaubedingungen und eine verhältnismäßig stabilere Mikroorganismenpopulation von<br />

kontinuierlichen im Vergleich zu Batchverfahren sind von ersteren höhere Biogaserträge<br />

zu erwarten. Es ist daher kritisch zu hinterfragen, mit welcher Präzision diskontinuierliche<br />

Verfahren die Biogas- oder Methanausbeute von kontinuierlichen Anlagen abzuschätzen<br />

vermögen. Auch weitere Verfahrensvarianten wie die Prozesstemperatur, Nass-versus Trockenvergärung<br />

und Vergärung mit bzw. ohne Gülle können variierend auf die Gasausbeute<br />

wirken und sind daher zu berücksichtigen.<br />

In einem Methodenvergleich von steWart et al. (85) traten deutliche Abweichungen<br />

in der Biogasausbeute zwischen einem kontinuierlichen und einem diskontinuierlichen<br />

Verfahren zu Tage, mit einer Unterschätzung der kontinuierlich ermittelten Werte durch<br />

Batchversuche im unteren und einer Überschätzung im oberen Wertebereich. grUber et al.<br />

(25) fanden generell höhere Gasausbeuten in Labor-Batchversuchen im Vergleich zu einer<br />

Praxis-Biogasanlage. kaiser et al. (43) stellten eine höhere Ausbeute von Batchanlagen<br />

im Vergleich zu kontinuierlichem Betrieb fest, während linke und vollmer (56) einen<br />

gegenteiligen Effekt ausmachten. Untersuchungen zum Einfluss des Fermentervolumens<br />

auf die spezifische Gasausbeute lassen auch noch keine eindeutigen Schlüsse zu. Während<br />

Ergebnisse von helFrich und oechsner (34) auf einen tendenziell höheren Gasertrag<br />

für den Hohenheimer Biogasertragstest im Vergleich zu größeren Fermentern hindeuten,<br />

konnten kaiser et al. (43) keinen signifikanten Einfluss der Fermentergröße feststellen.<br />

In der landwirtschaftlichen Praxis ist ein Trend zu mehrphasigen Anlagen feststellbar.<br />

Solche Anlagen trennen die vier Schritte der anaeroben Vergärung, d. h. Hydrolyse, Azidogenese,<br />

Azetogenese und Methanogenese, räumlich, um den unterschiedlichen Umweltansprüchen<br />

der jeweiligen Mikroorganismengruppen besser gerecht zu werden und<br />

somit den Methanoutput steigern zu können. Auch hier ist zu prüfen, ob <strong>über</strong> einphasige<br />

Labormethoden eine Schätzung des Gasbildungsvermögens solcher Anlagen möglich ist.<br />

Eine Standardmethode zur Ermittlung des Biogasbildungspotenzials nachwachsender<br />

Rohstoffe, vergleichbar zum Hohenheimer Futterwerttest in der Futtermittelanalytik, ist


Die energetische Nutzung von Mais in Biogasanlagen<br />

169<br />

zur Zeit noch nicht verfügbar. Ebenso wenig gibt es Standards bzgl. des zu verwendenden<br />

Inokulums. Der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) hat jedoch mit der Richtlinie „Vergärung<br />

organischer Stoffe (VDI 4630)“ erstmals Regeln zur Beurteilung der Vergärbarkeit<br />

organischer Substanzen und der notwendigen Ausrüstung der entsprechenden Versuchsanordnungen<br />

erlassen.<br />

3.2 Schätzung des Biogas- bzw. Methanertragspotenzials<br />

Im Verlauf der anaeroben Gärung wird organische Masse zu CO 2 und CH 4 abgebaut. Ist die<br />

Zusammensetzung der organischen Substanz bekannt und verläuft der Abbau vollständig<br />

zu Biogas, kann das theoretische Methanertragsbildungspotenzial nach der Gleichung von<br />

symons und bUsWell (86) berechnet werden:<br />

b c 3d<br />

e<br />

CaH bOc<br />

NcSe<br />

+ ( a − − + + ) ⋅ H2O<br />

→<br />

4 2 4 4<br />

� a b c 3d<br />

e � � a b c 3d<br />

e �<br />

� + − − − �⋅<br />

CH 4 + � − + + + �⋅<br />

CO2<br />

+ dNH3<br />

+ eH2S<br />

� 2 8 4 8 4 � � 2 8 4 8 4 �<br />

Der spezifische Methanertrag und Methangehalt einer definierten Substanz kann dann<br />

entsprechend abgeleitet werden. Die Angabe des spezifischen Methanertrages sollte im<br />

Interesse der Vergleichbarkeit immer in Normliter (Nl) erfolgen, d. h. bei einem Druck<br />

von 1 atm und einer Temperatur von 0 °C, wobei die Bezugsgröße die organische Substanz<br />

und nicht die Trockenmasse darstellt. Üblicherweise liegen detaillierte Angaben <strong>über</strong> die<br />

Zusammensetzung der zu vergärbaren Substanzen jedoch nicht vor bzw. sind nur mit<br />

erheblichem Aufwand zu beschaffen. Für einzelne Substratkomponenten, wie beispielsweise<br />

Kohlenhydrate, Protein und Lipide ergeben sich nach obiger Formel theoretisch<br />

folgende spezifischen Methanerträge und -gehalte:<br />

Tabelle 1. Theoretischer spezifischer Methanertrag und Methangehalt definierter<br />

organischer Substanzen<br />

Substrat CH 4 -Ertrag (Nl/g OS) 1) CH 4 -Gehalt (%)<br />

Kohlenhydrate 0,415 50<br />

Protein 0,496 50<br />

Lipide 1,014 70<br />

Äthanol 0,730 75<br />

Azetat 0,373 50<br />

Propionat 0,530 58<br />

1) Angabe in Normliter (Nl) (bei 1 atm Druck und 0 °C) pro g organischer Substanz<br />

Quelle: (8)<br />

Lipide erzielen aufgrund ihres hohen Energiegehaltes einen besonders hohen theoretischen<br />

Methanertrag. Angesichts von Studien, die einen negativen Einfluss langkettiger<br />

Fettsäuren, d. h. den Abbauprodukten der Lipide, auf die Methanbildung nachweisen<br />

konnten (4; 7; 39), sollte die Anwendung solch theoretischer Werte in der Praxis kritisch<br />

hinterfragt werden. Das theoretische Gasbildungspotenzial kann zwar einen Anhaltspunkt<br />

bieten, die in der Praxis erzielten Werte liegen jedoch stets niedriger, was durch eine Reihe<br />

von Faktoren verursacht wird. So wird ca. 5 bis 10 % der organischen Substanz für den


170 Antje Herrmann und Friedhelm Taube<br />

Aufbau mikrobieller Biomasse genutzt. Ein Anteil des organischen Materials geht mit<br />

dem Abfluss verloren, wofür realistischerweise 10 % anzusetzen sind. Mit zunehmendem<br />

Lignifizierungsgrad pflanzlichen Materials sinkt die Fermentationseignung, da Lignin in<br />

der anaeroben Vergärung nicht abgebaut wird. Auch die Struktur des Gärsubstrates, wie<br />

z. B. die Partikelgröße, kann den anaeroben Abbau behindern. Dar<strong>über</strong> hinaus stellen die<br />

Mikroorganismen, wie bereits erwähnt, bestimmte Anforderungen an die Konzentration<br />

von Mikro- und Makronährstoffen, und können durch eine Reihe von Substanzen in ihrer<br />

Entwicklung gehemmt werden. Unter günstigen Bedingungen, d. h. bei vorwiegend wasserlöslichen<br />

Substanzen, sind Umsetzungen von 90 bis 95 % möglich. Liegt die organische<br />

Substanz hingegen in Partikelform vor oder weist eine ausgeprägte Struktur auf, wie beispielsweise<br />

bei Wirtschaftsdüngern, sind Umsetzungen von 30 bis 60 % anzusetzen (8).<br />

Um eine Abschätzung des tatsächlichen Methanertrags von Futterpflanzen zu erhalten,<br />

wird von einigen Arbeitsgruppen vorgeschlagen, die Rohnährstofffraktionen Protein, Fett,<br />

Faser und Kohlenhydrate mit empirischen Verdaulichkeitsquotienten zu multiplizieren<br />

und aus verdaulichem Protein, Fett und Kohlenhydraten dann mittels der in Tabelle 1 angegebenen<br />

theoretischen spezifischen Methanerträge den Methanertrag der Gärsubstrate<br />

zu berechnen:<br />

Rohprotein ð verdauliches Rohprotein ð CH 4 aus verdaulichem<br />

Rohprotein<br />

Rohfett ð verdauliches Rohfett ð CH 4 aus verdaulichem<br />

Rohfett<br />

Rohfaser + N-freie<br />

Extraktstoffe<br />

ð verdauliche Kohlenhydrate ð CH 4 aus verdaulichen<br />

Kohlenhydraten<br />

Die Valididität einer solchen Vorgehensweise ist jedoch aufgrund der obigen Ausführungen<br />

kritisch zu hinterfragen, insbesondere wenn die Daten als Basis für Wirtschaftlichkeitsberechnungen<br />

in der Beratung eingesetzt werden. Methoden zur Verdaulichkeitsermittlung<br />

werden generell an in-vivo Verfahren geeicht, eine Biogasanlage ist aber nur in sehr eingeschränkten<br />

Umfang mit dem Verdauungstrakt des Wiederkäuers vergleichbar, siehe auch<br />

Abschnitt 4.5. Die Fachagentur für Nachwachsende Rohstoffe empfiehlt daher, solche Zahlen<br />

nicht für betriebliche oder ökonomische Kalkulationen heranzuziehen (22). Ein systematischer<br />

Methodenvergleich von berechneten und tatsächlich gemessenen Werten wurde<br />

bislang nicht durchgeführt. Erste Untersuchungen von grUber et al. (25) an einer limitierten<br />

Anzahl von Gärsubstraten zeigen Abweichungen von +/-5 % zwischen geschätzten<br />

und gemessenen Gaserträgen. Nichtsdestoweniger basieren viele der publizierten Zahlen<br />

zu Biogas- oder Methanerträgen von Gärsubstraten, mangels der Verfügbarkeit tatsächlich<br />

gemessener, zuverlässiger Daten, auf der Schätzung <strong>über</strong> die Rohnährstoffe, siehe Abbildung<br />

2. Wie aus der Abbildung zu erkennen ist, zeichnet sich Gülle durch ein insgesamt<br />

niedriges Biogaspotenzial aus, während Maissilage und andere Futterpflanzen wie Gras<br />

oder Roggen deutlich höhere Werte erzielen und Fette die höchsten, <strong>über</strong> Rohnährstoffe<br />

berechneten, Ausbeuten liefern.<br />

Der Einsatz der Nah-Infrarot-Reflexions-Spektroskopie (NIRS) zur Schätzung des<br />

Methanbildungspotenzial von Energiepflanzen ist noch in der Entwicklungsphase. Erste<br />

Ergebnisse lassen noch keine zufrieden stellenden Ergebnisse erkennen, zumal auch noch<br />

eine Validation aussteht (52). Für die Abschätzung des Biogas- bzw. Methanbildungsvermögens<br />

von Energiepflanzen erscheint auch der Einsatz von Modellen prädestiniert.


Rindergülle<br />

Schweinegülle<br />

Labmolke<br />

Kartoffelschlempe<br />

Rindermist<br />

Schweinmist<br />

Rübenblatt<br />

Kartoffelschälabfall<br />

Hühnermist<br />

Zuckerrübe<br />

Biertreber<br />

Grünschnitt<br />

Grassilage<br />

Maissilage<br />

Roggen GPS<br />

Fette aus Fettabscheidern<br />

Speiseabfälle<br />

Melasse<br />

Altbrot<br />

Rapskuchen<br />

Backabfälle<br />

Altfette<br />

Die energetische Nutzung von Mais in Biogasanlagen<br />

25<br />

30<br />

35<br />

39<br />

45<br />

60<br />

70<br />

74<br />

80<br />

90<br />

120<br />

175<br />

185<br />

190<br />

195<br />

250<br />

265<br />

315<br />

171<br />

Geeignete Modelle würden nicht nur eine Abbildung und Analyse der Fermentationseigenschaften<br />

von Energiepflanzen als Monosubstrat bzw. in Kovergärung mit Gülle<br />

ermöglichen, sondern auch die Entwicklung geeigneter Kombinationen verschiedener<br />

Gärsubstrate zur Steigerung des Methanertrages erleichtern. Aus dem Bereich der anaeroben<br />

Abwasserbehandlung wurden verschiedene Modelle entwickelt (5; 11; 12), deren Anwendung<br />

im Allgemeinen auch für landwirtschaftliche Gärsubstrate denkbar wäre. Diese<br />

Modelle benötigen jedoch meist eine Vielzahl an Eingangsparametern, die in der landwirtschaftlichen<br />

Praxis auch im Rahmen einer routinemäßig durchgeführte Futterqualitätsanalyse<br />

nicht zur Verfügung stehen. Ein weiterer Nachteil vieler Modelle besteht darin, dass<br />

eine komplette Durchmischung des Reaktorinhaltes unterstellt wird, was in der Praxis<br />

aber nur selten der Fall ist (47). Dar<strong>über</strong> sind die verfügbaren Modelle bisher nicht an einer<br />

ausreichend großen Datenbasis landwirtschaftlicher Gärsubsubstrate validiert worden.<br />

Auch aus dem Bereich der Wiederkäuerernährung ist bislang kein geeignetes Modell zur<br />

Prognose des Methanoutputs verfügbar. Verschiedene Untersuchungen konnten zeigen,<br />

dass der Methanausstoß <strong>über</strong> das Azetat:Propionat-Verhältnis im Pansen beeinflusst wird,<br />

welches durch die Zusammensetzung der Futterration gesteuert werden kann, d. h. insbe-<br />

500<br />

600<br />

714<br />

961<br />

0 200 400 600 800 1000 1200<br />

m³ Biogas pro t Substrat FM<br />

Abb. 2. Biogasausbeute (m³ Biogas pro t Substrat Frischmasse) ausgewählter Gärsubstrate, berechnet<br />

auf Basis verdaulicher Rohnährstoffe<br />

Quelle: (22; 23)


172 Antje Herrmann und Friedhelm Taube<br />

sondere durch das Verhältnis von Rauhfutter zu Konzentrat (76). Bisherige Versuche, den<br />

Methanoutput modellmäßig aus der Rohnährstoffzusammensetzung der Ration ableiten zu<br />

können, waren nur mäßig erfolgreich (49; 64).<br />

4 Experimentelle Daten zum Gasbildungsvermögen von Mais<br />

Grundsätzlich ist zu bemerken, dass die vorhandene Datenbasis zum Gasbildungsvermögen<br />

von Mais im speziellen, aber auch von anderen Futterpflanzen, die in der anaeroben<br />

Vergärung zur Biogaserzeugung eingesetzt werden, sehr begrenzt ist. Es liegen nur wenige<br />

umfassende, systematische Untersuchungen vor. Diese basieren meist nur auf einjährigen<br />

Versuchen oder Erhebungen, und eine angemessene statistische Auswertung wurde oftmals<br />

nicht durchgeführt. Auch die Angaben zur verwendeten Methodik (Verfahren, Temperatur,<br />

Inokulum, etc.) gestatten es nicht immer, die Versuchsanstellung nachzuvollziehen. Was<br />

das Biogas- oder Methanbildungsvermögen von Mais betrifft, lag der Schwerpunkt der<br />

Studien darin, den Einfluss von Sorte und Entwicklungsstadium zu quantifizieren.<br />

Nl CH4 CH4 / kg oTS<br />

350<br />

300<br />

250<br />

200<br />

150<br />

100<br />

50<br />

0<br />

���� ����<br />

���� ����<br />

���� ����<br />

���� ����<br />

���� ����<br />

���� ����<br />

���� ����<br />

M T V M T V M T V M T V M T V<br />

Benicia Ribera Phönix Atalante Saxxo<br />

������� ������� ������� ������� ������� ������� ������� ������� ������� �������<br />

Abb. 3. Spezifischer Methanertrag von Maissilage in Abhängigkeit des Erntetermins, mit M: Milchreife,<br />

T: Teigreife, V: Vollreife; Vergärung: Batchsystem (Eudiometer), 1 l Fermentergröße, 58<br />

Gärtage bei 38 °C. Die Zahlen in den Säulen bezeichnen den TS-Gehalt zum Zeitpunkt der Ernte<br />

Quelle: (nach 2)<br />

4.1 Einflussfaktor Sorte<br />

Zwei Kriterien sind wesentlich bei der Beurteilung der Produktivität von Energiepflanzen,<br />

zum einen der spezifische Methanertrag pro kg organischer Trockensubstanz (TS) und zum<br />

anderen der Trockenmasse (TM)-Ertrag pro Hektar. Ergebnisse eines einjährigen Feldversuches<br />

von amon et al. (2), der in der Steiermark in Österreich durchgeführt wurde,<br />

lassen Sortenunterschiede bezüglich des spezifischen Methanertrages von bis zu 40 m³<br />

pro t organischer Trockenmasse erkennen. Diese Unterschiede können aber auch durch die<br />

unterschiedlichen TS-Gehalte, d. h. die Abreife bedingt sein, die im Stadium der Teigreife<br />

im Bereich zwischen 34,8 und 40,2 % lagen, wie in Abbildung 3 erkennbar. Eine Aussage<br />

���� ����<br />

���� ����<br />

���� ����<br />

���� ����<br />

���� ����<br />

���� ����<br />

���� ����<br />

���� ����


Die energetische Nutzung von Mais in Biogasanlagen<br />

173<br />

<strong>über</strong> die Signifikanz der Sortenunterschiede ist mangels statistischer Auswertung nicht<br />

möglich. Für den Methanertrag auf Hektar-Basis ist der TM-Ertrag wichtiger als der spezifische<br />

Methanertrag. In dem Versuch von amon et al. (2) führten daher die verhältnismäßig<br />

großen Ertragsunterschiede von bis zu 10 t TM/ha zwischen den ertragsstarken Sorten<br />

Benicia und Saxxo und den ertragsschwächeren Sorten Ribera, Phönix und Atalante zu<br />

einer stärkeren Differenzierung, s. Abbildung 4. Hierbei ist allerdings anzumerken, dass<br />

das Ertragspotenzial von 25 bis 35 t TM/ha zum Zeitpunkt der Teigreife und damit der<br />

Methanhektarertrag insgesamt als vergleichsweise hoch einzustufen ist.<br />

Nm³ CH4 CH4 /ha<br />

9000<br />

8000<br />

7000<br />

6000<br />

5000<br />

4000<br />

3000<br />

2000<br />

1000<br />

0<br />

���� ����<br />

���� ����<br />

���� ����<br />

���� ����<br />

���� ����<br />

���� ����<br />

���� ����<br />

M T V M T V M T V M T V M T V<br />

Benicia Ribera Phönix Atalante Saxxo<br />

Vergleichbare Methanhektarerträge für unterschiedliche Maissorten wurden auch von<br />

oechsner et al. (66) für Süddeutschland berichtet. In dieser einjährigen Studie schwankten<br />

die Methanerträge zwischen 5000 und fast 10 000 m³ pro Hektar. Allerdings erfolgte die<br />

Untersuchung nicht mit dem Eudiometer, sondern dem Hohenheimer Biogasertragstest.<br />

Zudem erfolgte die Ernte nicht zu definierten TS-Gehalten und die N-Düngung wurde<br />

nicht einheitlich appliziert. Die von kaiser et al. (42) für Bayern berichteten Methanhektarerträge<br />

liegen in einem Bereich von 4000 bis 8000 m³. Die spezifischen Methanerträge<br />

lagen jedoch auf einem deutlich höheren Niveau im Vergleich zur Studie von amon et al.<br />

(2) mit Werten bis <strong>über</strong> 350 Nl Methan pro kg Trockensubstanz, was in der unterschiedlichen<br />

Labormethodik begründet sein kann.<br />

4.2 Einflussfaktor Entwicklungsstadium<br />

Bei der Silomaisproduktion kommt neben der Sorte dem Entwicklungsstadium eine große<br />

Bedeutung im Hinblick auf den Ertrag und die Futterqualität zu. So setzt nach der Blüte<br />

mit Beginn der Kornfüllung eine intensive Assimilattranslokation von der Restpflanze in<br />

���� ����<br />

������� ������� ������� ������� ������� ������� ������� ������� ������� �������<br />

Abb. 4. Methanhektarertrag von Maissilage in Abhängigkeit von Sorte und Erntetermin, mit M:<br />

Milchreife, T: Teigreife, V: Vollreife; Vergärung: Batchsystem (Eudiometer), 1 l Fermentergröße,<br />

58 Gärtage bei 38 °C. Die Zahlen in den Säulen bezeichnen den TS-Gehalt zum Zeitpunkt der<br />

Ernte<br />

Quelle: (nach 2)<br />

���� ����<br />

���� ����<br />

���� ����<br />

���� ����<br />

���� ����<br />

���� ����<br />

���� ����


174 Antje Herrmann und Friedhelm Taube<br />

den Kolben ein, in deren Verlauf der Gehalt wasserlöslicher Kohlenhydrate stark abnimmt<br />

und der Stärkegehalt stark zunimmt (50). Der ADF-Gehalt, d. h. der Anteil schlechter<br />

verdaulicher Zellwandbestandteile sinkt zunächst auch, bleibt aber dann verhältnismäßig<br />

konstant (51). Dies gilt auch für den Rohproteingehalt. Der Fettgehalt zeigt ebenfalls eine<br />

sehr geringe Variation. Alles in allem führen die Umlagerungsprozesse zu einem leichten<br />

Anstieg der Verdaulichkeit nach der Blüte. Gegenstand einiger Untersuchungen war es<br />

daher auch, den Einfluss des Entwicklungsstadiums auf das Methanbildungspotenzials<br />

zu prüfen. Untersuchungen von amon et al. (2) fanden für nahezu alle Sorten eine Abnahme<br />

der spezifisches Methanertrags von der Milchreife <strong>über</strong> die Teigreife zur Vollreife<br />

(Abb. 3). Die fehlende statistische Auswertung lässt allerdings keine sichere Bewertung<br />

dieser Ergebnisse zu. Zumal auch die TS-Gehalte eine starke Schwankung zwischen den<br />

Sorten aufweisen und die Sorte Atalante beispielsweise mit 40 % TS vermutlich nicht<br />

mehr dem Stadium Teigreife zuzuordnen ist. Die spezifische Methanausbeute und die<br />

Biomasseproduktion entwickelten sich in dieser Untersuchung gegenläufig, so dass die<br />

höchsten Methanhektarerträge bei einigen Sorten bereits im Stadium der Milchreife beobachtet<br />

wurden, wie beispielsweise bei Phönix und Ribeira, während Sorten wie Benicia<br />

und Saxxo durch den starken Ertragszuwachs die höchsten Methanhektarerträge erst zur<br />

Teigreife erreichten (Abb. 4).<br />

Während amon et al. (2) also eine Abnahme des spezifischen Methanertrags feststellten,<br />

kommen oechsner et al. (66) zu einem gegensätzlichen Schluss. In einem einjährigen<br />

Versuch wurde die Sorte Doge, eine extrem spätreife Hybride mit einer Siloreifezahl von<br />

ca. 700, in einem frühen Stadium bei einem Trockensubstanzgehalt von 19,8 % und zur<br />

Siloreife (35,4 % TS) geerntet. Wie aus der Abb. 5 ersichtlich wird, liegt der spezifische<br />

Methanertrag von Doge zur Siloreife deutlich höher als zur frühen Ernte. Bemerkenswert<br />

ist auch das im Vergleich zu amon et al. (2) um ca. 100 Normliter höhere Methanbildungspotenzial.<br />

Dies kann unter anderem durch die unterschiedliche Methodik, d. h. das<br />

Fermentationsverfahren und das verwendete Inokulum, bedingt sein.<br />

Nl CH4/kg oTS<br />

400<br />

350<br />

300<br />

250<br />

200<br />

Banguy<br />

GIXXAC<br />

Chamboro<br />

Laureat<br />

Moissac<br />

DK 604<br />

Doge<br />

Doge früh<br />

Abb. 5. Spezifischer Methanertrag von Maissilage in Abhängigkeit von Sorte und<br />

Erntetermin; Vergärung: Hohenheimer Biogasertragstest, 36 Gärtage bei 37 °C<br />

Quelle: (nach 66)


Die energetische Nutzung von Mais in Biogasanlagen<br />

175<br />

Übereinstimmend mit oechsner et al. (66) stellten auch heiermann und plöchl (30) eine<br />

Zunahme des spezifischen Methanertrags im Verlauf der Abreife fest (Abb. 6). Das Methanbildungspotenzial<br />

ist mit 489 bis 756 Nl CH 4 /oTS jedoch insgesamt als sehr hoch<br />

einzustufen. Die Ursache hierfür kann in der Messung des Methangehaltes liegen, die<br />

nur während der linearen Gasbildungsphase vorgenommen wurde. Die Methangehalte<br />

variierten hierbei zwischen 60 und 70 %. Die Untersuchung von kaiser et al. (42) lässt<br />

im ernterelevanten TS-Bereich keinen eindeutigen Trend des spezifischen Methanertrages<br />

Nl CH4/kg oTS<br />

800<br />

700<br />

600<br />

500<br />

400<br />

300<br />

200<br />

100<br />

0<br />

25.1<br />

32.6<br />

32.8<br />

28.8<br />

35.5<br />

E1 E2 E3 E1 E2 E3 E1 E2 E3<br />

34.2<br />

29.2<br />

37.0<br />

Santiago Banguy Mondeo<br />

Abb. 6. Spezifischer Methanertrag von Maissilage in Abhängigkeit von Sorte und Erntetermin (E);<br />

Vergärung: Batchsystem, 28 Gärtage bei 35 °C. Die Zahlen in den Säulen bezeichnen den TS-Gehalt<br />

zum Zeitpunkt der Ernte<br />

Quelle: (nach 30)<br />

Methangehalt (%)<br />

60<br />

58<br />

56<br />

54<br />

52<br />

50<br />

48<br />

46<br />

37.0<br />

M T V M T V M T V M T V M T V<br />

Benicia Ribera Phönix Atalante Saxxo<br />

Abb. 7. Methangehalt von Maissilage in Abhängigkeit von Sorte und Erntetermin mit M: Milchreife,<br />

T: Teigreife, V: Vollreife; Vergärung: Batchsystem (Eudiometer), 1 l Fermentergröße, 58<br />

Gärtage bei 38 °C<br />

Quelle: (2)


176 Antje Herrmann und Friedhelm Taube<br />

erkennen. Nach degenhardt (17) liegt der optimale TS-Gehalt im Hinblick auf die spezifische<br />

Methanausbeute und den Methanhektarertrag im Bereich von 28 bis maximal<br />

35 %, wobei die der Auswertung zugrunde liegenden Daten aber eine große Variation<br />

aufwiesen.<br />

Was den Methangehalt im Biogas betrifft, konnte kein Einfluss des Entwicklungsstadiums<br />

festgestellt werden. So variierten die Gehalte in der Untersuchung von amon et al.<br />

(2) zwischen 48,7 % bei der Sorte Phönix zur Vollreife und 56,2 % bei Benicia in der<br />

Teigreife, S. Abbildung 7. Die Messwerte wiesen allerdings eine erhebliche Streuung auf,<br />

wie anhand der Standardfehler ersichtlich wird. Die gemessenen Methangehalte zeigen<br />

eine gute Übereinstimmung zu den von zaUner und küntzel (96) ermittelten Werten, die<br />

ebenfalls im Bereich von 50 bis 55 % variierten. Im Gegensatz dazu fanden heiermann<br />

und plöchl (30) deutlich höhere Methangehalte von 60–70 %. Wie bereits erwähnt kann<br />

dies in der Art der Messung begründet sein.<br />

4.3 Alternative Gärsubstrate<br />

<strong>Landwirtschaft</strong>liche Biogasanlagen werden zu <strong>über</strong> 93 % als Kofermentationsanlagen betrieben,<br />

wobei nachwachsende Rohstoffe bezogen auf die Einsatzhäufigkeit eine Vorrangstellung<br />

unter den Kosubstraten einnehmen (93). <strong>Landwirtschaft</strong>lich erzeugte Biomasse<br />

weist meist eine gute Vergärbarkeit auf (2; 31; 42; 53; 59; 66). Das Biogas- bzw. Methanbildungspotenzial<br />

der verschiedenen Pflanzenarten unterscheidet sich jedoch deutlich, wie<br />

die Zusammenstellung in Tabelle 2 deutlich macht. Ausschlaggebend für die Wahl der<br />

Pflanzenart zum Anbau als nachwachsender Rohstoff sind neben dem spezifischen Methanertrag<br />

insbesondere die Biomasseproduktion und die Bereitstellungskosten. Die größte<br />

Bedeutung als Kosubstrat kommt Mais, Getreide und Gras zu (72; 93). Mais zeichnet<br />

sich durch einen hohen Methanhektarertrag aus, wie in Abschnitt 4.1 und 4.2 dargestellt,<br />

weist jedoch verhältnismäßig hohe Produktionskosten und hohe Nutzungskosten für die<br />

Fläche auf. Die energetische Nutzung von Grünlandaufwüchsen bietet sich an, weil durch<br />

zukünftig sinkende Tierzahlen aufgrund des Strukturwandels in der <strong>Landwirtschaft</strong> Grünlandflächen<br />

nicht mehr flächendeckend <strong>über</strong> Futternutzung in Bewirtschaftung bleiben<br />

werden. Es ist davon auszugehen, dass es sich bei solchen aus der Nutzung <strong>über</strong> den Wiederkäuer<br />

fallenden Flächen um eher extensiv genutztes und nicht ackerwürdiges Grünland<br />

handelt. Die auf diesen Flächen erzeugte Biomasse zeichnet sich jedoch in aller Regel<br />

durch eine geringe Futterqualität aus, was sich auch in einem geringeren Methanbildungspotenzial<br />

niederschlagen dürfte. So weisen nach einer Untersuchung von kaiser et al.<br />

(42) intensiv genutzte, Deutsch Weidelgras-dominierte Grünlandbestände den höchsten<br />

Methanhektarertrag auf bei gleichzeitig verhältnismäßig hohen spezifischen Methanerträgen,<br />

s. Abbildung 8 und Tabelle 3. Inwieweit sich extensiv genutztes Grünland trotz<br />

geringer Nutzungskosten für die Fläche ökonomisch sinnvoll in Biogasanlagen verwerten<br />

lässt, müssen Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen zeigen. Berechnungen von grUndmann<br />

et al. (26) auf Basis von Daten zu Produktionsverfahren des Landes Brandenburg weisen<br />

sowohl für intensiv als extensiv genutztes Weidelgras sowie Maissilage, Luzernesilage<br />

und Ganzpflanzensilage aus Gerste wirtschaftlich positive Ergebnisse aus, eine alleinige<br />

Nutzung von elektrischer Energie unterstellt, während sich die Spannweiten für Raps,<br />

Hanf und Topinambur im negativen Bereich bewegen. Nach stark (84) hingegen ist die<br />

Biogaserzeugung von Grassilage und Ganzpflanzensilage bei einer Vollkostenbetrachtung<br />

nur dann rentabel, wenn der Düngerwert des Gärrückstandes einbezogen wird und ist dem<br />

Einsatz von Maissilage unter süddeutschen Klimaverhältnissen deutlich unterlegen.


Tabelle 2. Spezifischer Methanertrag, Methanhektarertrag und Methangehalt landwirtschaftlich produzierter Biomasse nach<br />

Literaturangaben<br />

Methode Quelle<br />

Methangehalt<br />

(%)<br />

Methanhektarertrag<br />

(m³ CH /ha) 4<br />

Pflanzenart Konservierung Spezifischer<br />

Methanertrag<br />

(l CH /kg oTS)<br />

4<br />

Die energetische Nutzung von Mais in Biogasanlagen<br />

177<br />

Ackerbohne Silage 356 Batchversuch 96<br />

Futtergräser Frisch 280 – 460 Batchversuch 59<br />

Futtergräser Frisch und 277 – 442 Batchversuch 32<br />

angewelkt<br />

Futterrüben Silage 400 5 123 Batchversuch 66<br />

(Hohenheimer<br />

Biogasertragstest)<br />

Gerste Frisch und 425 – 691 61 – 70 Batchversuch 30<br />

Silage<br />

Grünland Frisch, Silage 220 – 440 1 070 – 4 633 Batchversuch 42<br />

und Heu<br />

Grünland, extensiv Silage 220 Kontinuierlich 65<br />

Grünland, Mähgut aus Silage 80 Kontinuierlich 65<br />

Naturschutzgebiet<br />

Grünland, Mähgut aus Silage 250 Kontinuierlich 88<br />

Naturschutzgebiet<br />

Grünland, intensiv Silage 390 Kontinuierlich 65<br />

Hanf Silage ca. 160 ca. 1 500 Batchversuch 42<br />

Hanf Frisch und 290 – 360 68 Batchversuch 31<br />

Silage<br />

Hirse Silage 310 879 – 955 Batchversuch 66<br />

(Hohenheimer<br />

Biogasertragstest)


178 Antje Herrmann und Friedhelm Taube<br />

Methode Quelle<br />

Methangehalt<br />

(%)<br />

Methanhektarertrag<br />

(m³ CH /ha) 4<br />

Pflanzenart Konservierung Spezifischer<br />

Methanertrag<br />

(l CH /kg oTS)<br />

4<br />

Klee 140 – 210 Batchversuch 45<br />

Kleegras Silage 290 – 390 1 740 – 5 460 Batchversuch 2<br />

(Eudiometer)<br />

Luzerne Silage 181 – 209 55 – 56 Semi-kontinu- 96<br />

ierlich<br />

Luzerne Frisch und 340 – 498 63 – 68 Batchversuch 30<br />

Silage<br />

Luzerne Frisch ca. 230 – 255 Batchversuch 42<br />

Miscanthus Frisch und ca. 175 – 220 ca. 3 400 – 4 100 Batchversuch 42<br />

Silage<br />

Raps < 200 Batchversuch 69<br />

Rindergülle 170 Kontinuierlich 65<br />

Roggen Frisch und 399 – 543 62 – 69 Batchversuch 30<br />

Silage<br />

Roggen Silage 140 – 275 Batchversuch 3<br />

(Eudiometer)<br />

Rüben Frisch 360 ca. 5 050 Batchversuch 42<br />

Rüben Frisch 840 Batchversuch 32<br />

Rübenblatt Silage 290 597 Batchversuch 66<br />

(Hohenheimer<br />

Biogasertragstest)<br />

Rübenblatt Frisch und 240 – 340 ca. 920 – 1 360 Batchversuch 42<br />

Silage


Die energetische Nutzung von Mais in Biogasanlagen<br />

Sudangras Silage 310 ca. 2 500 Batchversuch 42<br />

Sonnenblume Silage 230 1 125 Batchversuch 66<br />

(Hohenheimer<br />

Biogasertragstest)<br />

Sonnenblume Silage 243 Batchversuch 3<br />

(Eudiometer)<br />

Topinambur, Knolle Frisch 523,5 75 Batchversuch 31<br />

Topinambur, Spross Frisch und ca. 430 – 470 70 Batchversuch 31<br />

Silage<br />

Triticale Frisch und 503 – 606 67 – 71 Batchversuch 30<br />

Silage<br />

Triticale Silage 212 – 265 Batchversuch 3<br />

(Eudiometer)<br />

Weizen Silage 229 – 343 Batchversuch 3<br />

(Eudiometer)<br />

Wiesengras Silage 309 Batchversuch 3<br />

(Eudiometer)<br />

179


180 Antje Herrmann und Friedhelm Taube<br />

Abb. 8. Methanhektarertrag und Stromerlös verschiedener Grünlandnutzungsvarianten<br />

Quelle: (42)<br />

Tabelle 3. Grünlandnutzungsvarianten der Abbildung 8<br />

Bezeichnung Standort<br />

Schnitte<br />

pro Jahr<br />

Düngungsart<br />

Applizierte<br />

N-Menge<br />

(kg/ha bzw.<br />

m³/ha)<br />

G1 Allgäuer 5 mineralisch 300<br />

G2 Alpenvorland 5 mineralisch 200<br />

G3 4 mineralisch 300<br />

G4 4 mineralisch 200<br />

G5 4 mineralisch 120<br />

G6 Allgäuer 4 Gülle 4 x 20<br />

G4 Alpenvorland 4 ohne Ohne<br />

G8 3 Gülle 3 x 20<br />

G9 Bayerischer 5 Gülle 3 x 20<br />

G10 Wald<br />

4 Gülle 3 x 20<br />

G11 3 Gülle 2 x 25<br />

G12 Vorwald des 3 ohne ohne<br />

Quelle: (nach 42)<br />

Bayer. Waldes


Die energetische Nutzung von Mais in Biogasanlagen<br />

4.4 Aufbereitung der Gärsubstrate<br />

181<br />

<strong>Landwirtschaft</strong>lich erzeugte pflanzliche Biomasse, die als Gärsubstrat in Biogasanlagen<br />

Verwendung findet, wird der Vergärung meist in Form von Silage zugeführt. In experimentellen<br />

Ansätzen zur Quantifizierung der Gas- bzw. Methanausbeute pflanzlicher Substrate<br />

werden sowohl Silagen als auch getrocknete Proben oder Frischmaterial eingesetzt. Die<br />

Konservierungsform scheint aber einen signifikanten Einfluss auf die Gas- bzw. Methanausbeute<br />

zu haben. Sowohl heiermann und plöchl (30) als auch amon et al. (2) kommen<br />

zu dem Schluss, dass silierte Proben eine durchgehend höhere Gasausbeute aufweisen als<br />

Frischmaterial, s. Abbildung 8 und 9.<br />

Biogasausbeute (m³/kg oTS)<br />

1.2<br />

1<br />

0.8<br />

0.6<br />

0.4<br />

0.2<br />

0<br />

Blüte<br />

Milchreife<br />

Blüte<br />

Milchreife<br />

Für die Bewertung von experimentell ermittelten Gas- bzw. Methanausbeuten sind daher<br />

explizite Angaben zur Probenaufbereitung unabdingbar. Dies sollte auch Angaben zum<br />

Zerkleinerungsgrad des Probenmaterials einschließen, der einen Einfluss auf die Biogas-<br />

und Methanausbeute ausüben kann. Systematische Untersuchungen, die eine Ableitung<br />

des optimalen Zerkleinerungsgrades von Gärsubstraten ermöglichen, liegen unseres Wissens<br />

liegen nur in sehr begrenztem Umfang vor (45; 78). Ein möglichst hoher Zerkleinerungsgrad<br />

erscheint im Hinblick auf einen schnellen anaeroben Abbau und damit eine<br />

kurze Verweildauer im Fermenter als wünschenswert. Dem steht andererseits ein mit sinkender<br />

Häcksellänge wachsender Energieaufwand gegen<strong>über</strong>. Untersuchungen von kaparaJU<br />

et al. (45) belegen eine höhere Methanausbeute für 1 cm Partikelgröße verglichen mit<br />

0,5 und 2 cm für Heu und Klee, während bei Hafer die Partikelgröße keinen Effekt zeigte.<br />

Der optimale Zerkleinerungsgrad wird jedoch auch von der eingesetzten Anlagentechnik<br />

beeinflusst. So erfordern Perkolationsverfahren eine verhältnismäßig grobe Struktur des<br />

Gärsubstrates um eine Aufstauung des Prozesswassers im Substratkörper zu vermeiden<br />

(20).<br />

Blüte<br />

Milchreife<br />

Frischmaterial<br />

Silage<br />

1. Schnitt<br />

Gerste Roggen Triticale Luzerne<br />

Abb. 9. Biogasausbeute von Gerste, Roggen, Triticale und Luzerne in Abhängigkeit des Konservierungsverfahrens;<br />

Vergärung: Batchsystem, 28 Gärtage bei 35 °C<br />

Quelle: (nach 30)<br />

2. Schnitt


182 Antje Herrmann und Friedhelm Taube<br />

4.5 Beziehung Futterqualität – Methanausbeute?<br />

Bei der Bewertung des Methanbildungspotenzials von Futterpflanzen stellt sich die Frage,<br />

ob nicht aus der Futterqualität Rückschlüsse auf die Methanausbeute gezogen werden können.<br />

Landläufig wird davon ausgegangen, dass die anaeroben Abbauprozesse in Biogasanlagen<br />

mit den Verdauungsprozessen eines Wiederkäuers vergleichbar seien, was allerdings<br />

nur bedingt zutrifft. Die Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede der anaeroben Fermentation<br />

in der Biogasanlage und der Verdauung des Wiederkäuers sind daher in Tabelle 4 grob<br />

skizziert. Der grundsätzliche Unterschied besteht zunächst darin, dass Wiederkäuer <strong>über</strong><br />

einen mehrhöhligen Magen und Darm verfügen. Die Funktionsweise einer Biogasanlage<br />

ist daher nur bedingt mit dem Pansen vergleichbar, da die Pansenwand beispielsweise auch<br />

aktiv an der Absorption und dem Transport von Substanzen wie flüchtigen Fettsäuren,<br />

Chlorid, Natrium, Wasser, etc. beteiligt ist. So erfolgt etwa der Fettabbau im Pansen nur<br />

bis zu Fettsäuren und deren Hydrogenierung und die weitere Verstoffwechselung findet<br />

im Darm statt, während in Biogasanlagen der Fettabbau komplett in einem meist einstufigen<br />

Fermenter abläuft. Besonders auffällig ist die schnelle Passage des Futters im<br />

Verdauungstrakt des Wiederkäuers im Vergleich zur Verweildauer des Gärsubstrates in<br />

einer Biogasanlage. Schlussendlich werden nur 10 % der aufgenommenen Energie durch<br />

den Wiederkäuer in Form von Methan abgegeben, während der Methangehalt im Biogas<br />

im Bereich von 50 bis 80 % variiert.<br />

Tabelle 4. Kenngrößen des Abbaus organischer Substanz im Verdauungstrakt des<br />

Wiederkäuers und in Biogasanlagen<br />

Prozess Wiederkäuer Biogasanlage<br />

Abbau Pansen und Darm; aktive<br />

Zerkleinerung (Wiederkäuen);<br />

Verdaulichkeit bis > 80 %<br />

Im ein- oder mehrstufigen<br />

Fermenter; Abbaubarkeit der<br />

oTS: 25–80 %<br />

Temperatur 39 °C psychrophil: 15–20 °C<br />

mesophil: 30–37 °C<br />

thermophil: 55–65 °C<br />

pH-Wert 6,8 je nach Bauart (ein/-mehrstufig);<br />

in einstufigen Anlagen:<br />

6,7–7,2<br />

Verweildauer je nach Passagerate, ca. 24 h abh. von Fermentertemperatur,<br />

Bauart und Substrat,<br />

∅ 60–90 Tage<br />

Fettabbau im Pansen bis zu Fettsäuren<br />

und deren Hydrogenierung;<br />

weiterer Abbau im Darm<br />

Abbau bis zu CO 2 , H 2 und<br />

CH 4<br />

Flüchtige Fettsäuren Aufnahme <strong>über</strong> Pansenwand Abbau bis zu CO , H und<br />

2 2<br />

CH4 Methan ca. 10 % der aufgenommenen<br />

Energie<br />

50–80 % Methan im Biogas<br />

Verschiedene Arbeitsgruppen, die sich mit der Beziehung zwischen Futterqualität und<br />

Methanausbeute befasst haben, kommen zu folgenden, teils widersprüchlichen Schlüssen:<br />

eder et al. (19) postulieren eine signifikante Beziehung zwischen der Gasausbeute und der<br />

in-vitro Verdaulichkeit (IVDOM) nach Tilley und Terry, mit einer erhöhten Gasproduktion


Die energetische Nutzung von Mais in Biogasanlagen<br />

183<br />

von 5–10 l/kg oTS je Prozentpunkt IVDOM. Mit Qualitätseigenschaften wie der enzymlöslichen<br />

organischen Substanz und dem Stärkegehalt sollen jedoch keine so deutlichen<br />

Beziehungen bestehen. amon et al. (2) hingegen fanden eine gegenläufige Entwicklung<br />

von Verdaulichkeit (Tilley und Terry) und Methanausbeute bei der Abreife von Mais und<br />

Kleegrasaufwüchsen; sie bewerten eine hohen Protein- und Fettgehalt günstig. Der Rohfasergehalt<br />

sei für die Methanbildung aus Mais nur von geringem Wert, für Kleegras hingegen<br />

wurde der Beitrag des Rohfasergehaltes noch etwas höher eingeschätzt als der von Rohfett.<br />

N-freie Extraktstoffe sollen bei Mais und Kleegras das Methanbildungsvermögen leicht<br />

mindern. steWart et al. (85) und lack (54) hingegen sehen den Anteil leicht vergärbarer<br />

Inhaltsstoffe als ein Zuchtziel an, und nach Weiland (93) schränken insbesondere hohe<br />

Lignin- und Hemizelluloseanteile die Fermentationseignung ein. Wie bereits in Abschnitt<br />

3.2 erwähnt, konnte auch in keiner Studie aus dem Bereich der Wiederkäuerernährung<br />

ein enger Zusammenhang zwischen Rohnährstoffzusammensetzung und Methanausstoß<br />

dokumentiert werden (49; 64).<br />

4.6 Fazit zur vorhandenen Datenbasis<br />

Zusammenfassend können folgende Schlussfolgerungen zur derzeit vorhandenen Datenbasis<br />

gezogen werden:<br />

● Daten <strong>über</strong> zu erwartende Methanerträge unterschiedlicher Pflanzenarten stellen für<br />

Anlagenbetreiber als auch Berater eine wichtige Planungsgröße; die vorhandene Datengrundlage<br />

hierfür ist noch ungenügend.<br />

● Die gängige Vorgehensweise, <strong>über</strong> Laborversuche Aufschluss zu erlagen, hat bisher<br />

zu keinen akzeptablen Ergebnissen geführt: die Laboruntersuchungen werden mit unterschiedlichen<br />

Methoden und Anlagen durchgeführt, da noch kein Standardverfahren<br />

existiert; zum Teil unterbleibt eine Korrektur der angegebenen Methanausbeuten auf<br />

Normbedingungen; dar<strong>über</strong> hinaus beruhen die vorhandenen Daten meist nur auf einjährigen<br />

Ergebnissen, die oft nicht einmal statistisch ausgewertet wurden.<br />

● Bereits veröffentliche Ergebnisse verschiedener Quellen weisen häufig große Abweichungen<br />

auf, die keine eindeutigen Schlüsse zulassen.<br />

● Eine Validierung der Laborergebnisse unter Praxisbedingungen ist bisher nur unzureichend<br />

erfolgt.<br />

●<br />

Vorhandene Methoden zur Schätzung des Methanertrags wurden nicht ausreichend<br />

<strong>über</strong>prüft.<br />

5 Züchterische Ansätze<br />

In der Züchtung wird intensiv an der Steigerung der Energieleistung von Mais gearbeitet.<br />

Dabei liegt der Schwerpunkt zurzeit noch einseitig auf der Steigerung der Biomasse, während<br />

die Qualität, also das spezifische Methanbildungspotenzial zunächst im Hintergrund<br />

steht. Um die Ertragsleistung zu steigern verfolgt man z. B. bei der KWS Saat AG, die führend<br />

im Bereich der Energiemaiszüchtung ist, folgende Ansätze (Abb. 10): Ausgangsbasis<br />

der Züchtung bilden der extrem leistungsfähige italienische Stiff-Stalk und Lancaster-<br />

Pool. In dieses Material wird zur Verbesserung der Kältetoleranz Material aus dem Deutschen<br />

Dent- und Flintpool eingekreuzt. Weiterhin wird eine extreme Verschiebung der<br />

Reife vorgenommen. Dies wird erreicht durch die Nutzung von Kurztagsgenen exotischer<br />

Populationen aus Peru und Mexiko. Weitere Zuchtziele bestehen in der Verbesserung der<br />

Trockenstresstoleranz durch die Integration von Genen für Low-Input-Eignung gezüchtet<br />

und die Adaptation des Maises an eine C3/C4-Energiepflanzen-Fruchtfolge.


184 Antje Herrmann und Friedhelm Taube<br />

Für diese neuen Energiemaissorten wird ein Ertragspotenzial von 30 t TM/ha oder<br />

dar<strong>über</strong> prognostiziert. Dass dieses Potenzial nicht auf allen Standorten ausgeschöpft<br />

werden kann, wird deutlich, wenn man sich die Umweltansprüche solcher Maishybriden<br />

vergegenwärtigt. Spätreife, massenwüchsige Typen erfordern hohe Temperatursummen<br />

und ausreichende Niederschlagsmengen. Solche günstigen Temperaturverhältnisse findet<br />

man vor allem im Süden und Osten Deutschlands. In Norddeutschland besteht jedoch<br />

bereits für Sorten der mittelfrühen Reifegruppe ein erhebliches Risiko, dass der für eine<br />

erfolgreiche Silierung notwendige TS-Gehalt erreicht wird (35). Im Osten werden sich<br />

die geringen Niederschlagsmengen von 500 mm oder darunter limitierend auf den Ertrag<br />

auswirken, da davon auszugehen ist, dass hochertragreiche Energiemaissorten auch bei<br />

verbesserter Trockenstresstoleranz einen verhältnismäßig hohen Wasserbedarf aufweisen<br />

werden. Daraus folgt, dass sich die Gunstlagen für den Anbau der Energiemaissorten<br />

hauptsächlich in im südwestlichen Teil von Deutschland konzentrieren werden. Der mit<br />

dem Klimawandel vorhergesagte Temperaturanstieg kann jedoch zu einer Verschiebung<br />

der Anbaugrenzen führen. So belegen Simulationen mit dem Modell MAISPROQ für den<br />

Anbau mittelfrüher Sorten in Schleswig-Holstein, dass sowohl der TS-Gehalt als auch der<br />

TM-Ertrag bereits stark auf den Temperaturanstieg der letzten 20 Jahre reagiert haben und<br />

zu einer Reduzierung des Anbaurisikos führten (36). Es ist also davon auszugehen, dass<br />

ein zukünftiger Temperaturanstieg in einer Ausdehnung des Anbaus von Energiemaissorten<br />

nach Norden resultieren wird.<br />

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Abb. 10. Genetische Basis der Energiemais-Hybriden<br />

Quelle: (nach 55)<br />

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6 Biogasgülle: Effekte auf C- und N-Flüsse<br />

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Neben der Produktion von Biogas entsteht im Rahmen der anaeroben Vergärung ein stoffliches<br />

Endprodukt, der Gärrückstand oder die Biogasgülle. Während sich vergleichsweise<br />

viele Forschungsprojekte mit der Gärbiologie und Verfahrenstechnik befasst haben, gibt<br />

es nur wenige aktuelle Studien, welche die langfristigen Effekte des Einsatzes von Biogasgülle<br />

auf die C- und N-Flüsse auf Betriebssystemebene analysieren. Zu potenziellen


Die energetische Nutzung von Mais in Biogasanlagen<br />

Effekten der verwendeten Pflanzenart auf die Eigenschaften des Gärsubstrates und den<br />

C- und N-Haushalt liegen bislang keine belastbaren Untersuchungen vor.<br />

6.1 C- und N-Verfügbarkeit<br />

185<br />

Im Verlauf der anaeroben Abbauprozesse erfährt das Gärsubstrat eine starke Veränderung<br />

sowohl was die chemische Zusammensetzung als auch die physikalischen Eigenschaften<br />

betrifft. In der Biogasgülle wird durch die Methanausgasung das C : N-Verhältnis redu-<br />

+ ziert, während der NH -Gehalt und der pH-Wert stark ansteigen. Es kommt weiterhin zu<br />

4<br />

einer Abnahme des Gehaltes an organischer Substanz bei einer gleichzeitigen Erhöhung<br />

deren Stabilität, was sich positiv auf die Humusreproduktionsleistung auswirken soll (10;<br />

28). Die erhöhte Stabilität der organischen Substanz verhindert auch in starkem Umfang<br />

eine Immobilisierung des mineralischen Stickstoffs (27; 63). Weiterhin verfügt Biogasgülle<br />

aufgrund des geringeren organischen Trockensubstanzgehaltes <strong>über</strong> eine reduzierte<br />

Viskosität und damit <strong>über</strong> verbesserte Infiltrationseigenschaften. Letzteres, sowie der er-<br />

+ höhte NH -Gehalt, das reduzierte C : N-Verhältnis und die verminderte Immobilisierung<br />

4<br />

mineralischen Stickstoffs beeinflusst die N-Verfügbarkeit für die Pflanze. Nach gUtser<br />

et al. (28) schwankt die kurzfristige N-Wirkung von Biogasgülle zwischen 40 und 60 %<br />

Mineraldünger-Äquivalenten (MFE) und weist damit eine bessere N-Verfügbarkeit auf<br />

als unvergorene Rindergülle (35–45 MFE %). Die N-Verfügbarkeit von Biogasgülle kann<br />

allerdings durch die Kofermentation pflanzlicher Biomasse noch gesteigert werden und<br />

dann im Bereich von 50–70 MFE % variieren. Langjährige Applikation soll die N-Wirkung<br />

von Gärrückständen auf Werte <strong>über</strong> 60 bis 70 % steigern. Für die P-Wirkung wurden<br />

nur geringe Effekte dokumentiert (63). Untersuchungen von loria and saWyer (57) an<br />

mit Schweinegülle gedüngtem und inkubiertem Boden, zeigten keine signifikanten Effekte<br />

+ der anaeroben Fermentation auf die Gehalte an NH -N, NO3-N, mineralischem N und die<br />

4<br />

Verfügbarkeit von Phosphor.<br />

6.2 N-Verlustpotenzial<br />

Stickstoffverluste entstehen durch Ammoniakemissionen während Lagerung und Ausbringung,<br />

Denitrifikation, N-Auswaschung und N-Immobilisierung im Boden. Da der<br />

pH-Wert von Gärrückständen um bis zu 0,5 Einheiten gegen<strong>über</strong> dem Ausgangssubstrat<br />

erhöht ist, muss von einem gesteigerten NH -Emissionsrisiko ausgegangen werden. Ver-<br />

3<br />

luststeigernd kann sich auch der reduzierte TS-Gehalt von Gärrückständen auswirken, der<br />

eine emissionsmindernde Schwimmdeckenbildung verhindert (80; 82). Das aufgrund des<br />

+ pH-Wertes und NH -Gehaltes erhöhte NH3-Verlustpotenzial von Biogasgülle muss nach<br />

4<br />

Ausbringung jedoch nicht zwangsläufig auch zu gesteigerten gasförmigen Verlusten führen,<br />

da das Substrat, bedingt durch einen geringeren Trockensubstanzgehalt und reduzierte<br />

Viskosität, <strong>über</strong> bessere Infiltrationseigenschaften verfügt. So stellten WUlF et al. (94)<br />

reduzierte gasförmige NH 3 -Verluste nach Schleppschlauch-Ausbringung von Biogasgülle<br />

im Vergleich zu Rohgülle fest, mit einem deutlich ausgeprägteren Effekt auf Grünland als<br />

auf Ackerland. Der positive Effekt auf die NH 3 -Emissionen wird von rUbaeck et al. (75)<br />

bestätigt. Was das Potenzial für Denitrifikation und gasförmige N 2 O-Verluste von Biogasgülle<br />

betrifft, sind im Vergleich zu unvergorener Gülle geringere Verluste zu erwarten<br />

aufgrund des reduzierten Gehaltes und der geringeren Abbaubarkeit der im Gärrückstand<br />

verbliebenen organischen Masse. Dies wird von einigen Studien belegt (16; 67; 75), während<br />

WUlF et al. (95) auch gegenteilige Effekte nach Applikation von Biogasgülle auf<br />

Grünland feststellten, was auf die geringere Bedeutung der C-Verfügbarkeit auf Grünland<br />

zurückgeführt wird.


186 Antje Herrmann und Friedhelm Taube<br />

Im Hinblick auf das Nitrat-Auswaschungspotenzial wird für Biogasgülle ein geringeres<br />

Risiko postuliert aufgrund des höheren Gehaltes an pflanzenverfügbarem Stickstoff.<br />

Experimentelle Untersuchungen hierzu sind nur begrenzt vorhanden. Ergebnisse einer<br />

5-jährigen Studie auf Dauergrünland aus Österreich belegen einen signifikant geringeren<br />

mittleren Nitratgehalt im Sickerwasser der Variante Biogasgülle im Vergleich zur mineralischen<br />

Volldüngung, was sicherlich auch in den nicht erfassten gasförmigen Verlusten<br />

und dem verhältnismäßig hohen Jahresniederschlag begründet ist (71). Verglichen mit<br />

den traditionellen Wirtschaftsdüngern bestand bei dem untersuchten Düngungsniveau von<br />

120 kg N/ha kein höheres Risiko einer Nitratauswaschung. Auch merz und trösch (62)<br />

konnten keinen auswaschungsmindernden Effekt durch Güllefermentation aufzeigen.<br />

6.3 Methanemissionen<br />

Für Methanemissionen, die kurzfristig nach Ausbringung auftreten können, sind zwei Verlustpfade<br />

zu nennen (95). Zum einen kann während der Lagerung von unfermentierter<br />

oder Biogasgülle Methan in Lösung gehen, welches nach Ausbringung freigesetzt wird<br />

(83). Zum anderen können durch entsprechende Applikationstechniken, wie beispielsweise<br />

Gülleinjektion, anaerobe Bedingungen im Boden gefördert werden, die zur Methanbildung<br />

und -emission führen (21). Verbesserte Infiltrationseigenschaften und eine geringere<br />

C-Verfügbarkeit werden von WUlF et al. (95) als primäre Ursache für geringere Methanemissionen<br />

von schleppschlauch-applizierter Biogasgülle verglichen zu unfermentierter<br />

Gülle sowohl auf Grünland als auch auf Ackerland gesehen. Der nach Ausbringung dokumentierte<br />

Fermentationseffekt auf das Treibhausgasverlustpotenzial wurde eher gering<br />

eingeschätzt, während die Applikationstechnik deutlichere Effekte zeigte. Simulationen<br />

auf Systemebene, die auch die Treibhausgasemissionen im Stall und Lager berücksichtigen,<br />

lassen jedoch ein deutlicheres Reduktionspotenzial erkennen (81; 87).<br />

7 Energiemaisanbau und Cross-Compliance<br />

Nach der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik vom Juni 2003 und April 2004 ist der<br />

Erhalt von Direktzahlungen an die Einhaltung von Bewirtschaftungsauflagen geknüpft<br />

(Cross-Compliance). Die einzuhaltenden Verpflichtungen umfassen Standards aus (i) bereits<br />

existierenden EG-Regelungen der Bereiche Umweltschutz, Lebens- und Futtermittelsicherheit<br />

und tierische Gesundheit und Tierschutz, (ii) Regelungen zum Bodenschutz<br />

und zur Mindestinstandhaltung landwirtschaftlicher Flächen, sowie (iii) Regelungen zur<br />

Erhaltung von Dauergrünland (15). Ein Novum ist, dass bei Verstößen gegen Cross-Compliance-Auflagen<br />

Sanktionen in Form von Kürzungen der Direktzahlungen erfolgen. Potenzielle<br />

Konflikte des Energiemaisanbaus mit Cross-Compliance-Auflagen sehen wir<br />

primär in der „Verordnung <strong>über</strong> die Anwendung von Düngemitteln, Bodenhilfsstoffen,<br />

Kultursubstraten und Pflanzenhilfsmitteln nach den Grundsätzen der guten fachlichen<br />

Praxis bei Düngen (Düngeverordnung)“, sowie in der Verpflichtung zur Erhaltung der<br />

Flächen in gutem landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand.<br />

7.1 Düngeverordnung<br />

Die Düngeverordnung limitiert die Ausbringung von Wirtschaftsdüngern tierischer Herkunft<br />

und Sekundärrohstoffdünger auf maximal 170 kg N ha -1 und die N-Applikation nach<br />

der Hauptfruchternte auf maximal 40 kg ha -1 NH 4 -N oder 80 kg ha -1 Gesamt-N. Dar<strong>über</strong><br />

hinaus wird die Obergrenze für maximal zulässige N-Überschüsse im Verlauf nächsten<br />

Jahre sukzessive von 90 auf 60 kg N ha -1 reduziert. Für Silomais konnten herrmann und


Die energetische Nutzung von Mais in Biogasanlagen<br />

187<br />

taUbe (37; 38) dokumentieren, dass die N-Konzentration der Pflanze einen zuverlässigen<br />

Indikator des N-Status darstellt, und eine N-Konzentration von 10,5 g N kg -1 Trockenmasse<br />

zur Siloreife ausreichend für die Erzielung maximaler Erträge ist, s. Abbildung 11.<br />

Nimmt man an, dass (i) eine Übertragbarkeit dieser kritischen N-Konzentration auch auf<br />

die hochertragreichen neuen Energiemaissorten gegeben ist, (ii) keine wesentlichen N-<br />

Verluste bei der Vergärung, Lagerung und Ausbringung auftreten, und (iii) eine für die<br />

Ertragsmaximierung ausreichende N-Versorgung der Maisbestände erfolgt, lässt sich<br />

ausgehend von dem Ertragspotenzial die mit dem Gärrückstand wieder auszubringende<br />

N-Menge abschätzen (Tab. 5). Die von der Düngeverordnung gesetzte Obergrenze von<br />

170 kg N ha -1 wird also schon bei Erträgen <strong>über</strong> 16,2 t ha -1 <strong>über</strong>schritten. Der Anbau sehr<br />

ertragreicher Sorten – für Energiemais werden Erträge von 30 t ha -1 in Aussicht gestellt<br />

(55) – erfordert also zum einen den Einsatz von mineralischen Düngemitteln, da der N-Bedarf<br />

nicht alleine <strong>über</strong> organische N-Düngung abgedeckt werden kann. Zum anderen kann<br />

langfristig ein N-Überschuss entstehen, der bei hohen Anteilen von Energiemais in der<br />

Fruchtfolge nur noch auf Fremdflächen untergebracht werden kann. Der Nährstoffexport<br />

betrifft dann natürlich auch die Phosphor- und Kaliumflüsse im System. Im Hinblick auf<br />

die Nährstoffbilanzierung ist die Biogaserzeugung aus Mais also als kritisch zu betrachten.<br />

Die Problematik wird noch verstärkt im Falle von Energiepflanzenfruchtfolgen mit Zweit-<br />

oder Zwischenfruchtanbau, die zurzeit intensiv diskutiert werden (19). Dar<strong>über</strong> hinaus ist<br />

in der landwirtschaftlichen Praxis eher von einer Stickstoff<strong>über</strong>- als Unterversorgung der<br />

Maisbestände auszugehen, wie anhand eines Monitorings belegt werden konnte (38). Die<br />

in Tabelle 5 berechneten N-Mengen werden in der Praxis also mit hoher Wahrscheinlichkeit<br />

eher noch <strong>über</strong>schritten werden. Bleibt dann aufgrund von ungünstigen Witterungsbedingungen<br />

wie temporärer Trockenheit der Ertrag deutlich unter den Ertragserwartungen,<br />

verbleiben größere Mengen Reststickstoff im Boden, die das Nitratauswaschungspotenzial<br />

steigern. Das Argument geschlossener Nährstoffkreisläufe, welches häufig im Zusammen-<br />

TM]<br />

N-Gehalt [g N kg -1<br />

12<br />

10<br />

8<br />

6<br />

4<br />

2<br />

0<br />

y = 4.4162*exp(0.0086*x)<br />

n = 102<br />

SE(100) = 1.03<br />

0 20 40 60 80 100<br />

Relativertrag [%]<br />

Abb. 11. Beziehung zwischen Relativertrag (%) und N-Gehalt von<br />

Silomais (g N kg-1 TM) zur Siloreife. Die gepunkteten Linien geben<br />

das 95 %-Konfidenzintervall an<br />

Quelle: (nach 38)


188 Antje Herrmann und Friedhelm Taube<br />

hang mit dem Anbau nachwachsender Rohstoffe als ein großer Vorteil angeführt wird,<br />

kann man im Falle ertragreicher Maissorten nicht gelten lassen.<br />

Tabelle 5. Mit dem Gärrest anfallende N-Menge von Mais bei einem N-Gehalt des<br />

Ausgangssubstrates von 10,5 g N kg -1 Trockenmasse<br />

Trockenmasseertrag (t ha -1 ) N-Menge (kg N ha -1 )<br />

10 105<br />

14<br />

18<br />

22<br />

26<br />

30<br />

147<br />

189<br />

231<br />

273<br />

315<br />

Grau hinterlegte Zahlen zeigen eine Überschreitung der zulässigen organischen N-Düngung/ha<br />

an.<br />

7.2 Verpflichtung zur Erhaltung der Flächen in gutem landwirtschaftlichen<br />

und ökologischen Zustand<br />

In dieser Verpflichtung werden Anforderungen zu den Bereichen „Bodenschutz“, „Instandhaltung<br />

von Flächen“ und „Landschaftselemente“ formuliert. Was den Bodenschutz<br />

betrifft, wird neben der Erosionsvermeidung der Erhaltung der organischen Substanz im<br />

Boden und der Bodenstruktur große Bedeutung zugemessen. Um letzteren Anforderungen<br />

nachzukommen ist ein dreigliedriges Anbauverhältnis einzuhalten oder alternativ eine<br />

jährliche Humusbilanzierung bzw. eine Untersuchung des Bodenhumusgehaltes in mindestens<br />

6-jährigem Turnus durchzuführen. Die Humusbilanz darf im Mittel dreier Jahre<br />

nicht unter einen Grenzwert von -75 kg Humus-C ha -1 a -1 absinken bzw. der Humusgehalt<br />

darf in Abhängigkeit des Tongehaltes einen bestimmten Wert nicht unterschreiten (15).<br />

Aufgrund des im Vergleich zu anderen Pflanzenarten hohen Methanertragspotenzials von<br />

Mais werden Betriebe, die Biogasanlagen betreiben, einen möglichst hohen Maisanteil in<br />

der Fruchtfolge bzw. Maismonokultur anstreben. Anhand der Humusbilanzierung möchten<br />

wir aufzeigen, dass der Energiemaisanbau zu Konflikten im Hinblick auf die „Verpflichtung<br />

zur Erhaltung von Flächen in gutem landwirtschaftlichen und ökologischen<br />

Zustand“ führen kann. Die hier durchgeführte Bilanzierung basiert auf den in der Direktzahlungen-Verpflichtungenverordnung<br />

vom 4. Nov. 2004 aufgeführten Kennzahlen.<br />

Dar<strong>über</strong> hinaus wurde unterstellt, dass der von der Fläche produzierte Mais in Form von<br />

Gärsubstrat zurückgeführt wird und es wurde ein Aschegehalt von 5 % angenommen. Wie<br />

aus Tabelle 6 ersichtlich, sinkt erwartungsgemäß die Humusreproduktionsleistung mit<br />

steigender Abbaurate der organischen Substanz im Fermenter, während sie mit steigender<br />

Humusreproduktion des Gärrestes zunimmt. Der für ausgeglichene Humusbilanzen erforderliche<br />

TM-Ertrag variiert somit zwischen 13 bis 24 t ha -1 , wenn man für Mais einen<br />

Humusbedarf von 560 kg Humus-C ha -1 annimmt wie in der oben angeführten Verpflichtung.<br />

Dieser Wert ist nach VDLUFA (90) jedoch nur als unterer Grenzwert für Böden in<br />

gutem Kulturzustand mit optimaler mineralischer N-Düngung anzusehen, wohingegen für<br />

seit längerem mit Humus unterversorgte Böden ein Grenzwert von 800 kg Humus-C anzuwenden<br />

ist. Hierbei wird das Ertragspotenzial nicht näher spezifiziert. Es ist aber davon<br />

auszugehen, dass der Humusbedarf in Beziehung zum Produktionsniveau steht. Auch die<br />

in der gesetzlichen Verpflichtung angegebenen Werte zur Humusreproduktion von Gär-


Tabelle 6. Humusreproduktionsleistung von Mais-Gärresten (kg Humus-C ha-1 ) in Abhängigkeit des Ertragspotenzials (t TM ha-1 ),<br />

der Abbaurate der organischen Substanz im Fermenter (%) und der Humusreproduktion des Gärrestes (kg Humus-C kg-1 Gärrest-TM)<br />

Abbaurate der organischen Substanz im Fermenter<br />

75 % 80 % 85 %<br />

Humusreproduktion (kg Humus-C kg-1 Humusreproduktion (kg Humus-C kg<br />

Gärrest-TM)<br />

-1 Humusreproduktion (kg Humus-C kg<br />

Gärrest-TM)<br />

-1<br />

Gärrest-TM)<br />

0,12 0,13 0,14 0,15 0,12 0,13 0,14 0,15 0,12 0,13 0,14 0.15<br />

Die energetische Nutzung von Mais in Biogasanlagen<br />

10 345 374 403 431 288 312 336 360 231 250 270 289<br />

12 414 449 483 518 346 374 403 432 277 300 323 347<br />

14 483 523 564 604 403 437 470 504 323 350 377 404<br />

16 552 598 644 690 461 499 538 576 370 400 431 462<br />

18 621 673 725 776 518 562 605 648 416 450 485 520<br />

20 690 748 805 863 576 624 672 720 462 501 539 578<br />

22 759 822 886 949 634 686 739 792 508 551 593 635<br />

24 828 897 966 1 035 691 749 806 864 554 601 647 693<br />

Ertrag (t TM ha -1 )<br />

26 897 972 1 047 1 121 749 811 874 936 601 651 701 751<br />

28 966 1 047 1 127 1 208 806 874 941 1 008 647 701 755 809<br />

30 1 035 1 121 1 208 1 294 864 936 1 008 1 080 693 751 809 866<br />

189


190 Antje Herrmann und Friedhelm Taube<br />

resten sind unspezifisch, d. h. sie berücksichtigen weder das vergorene Substrat bzw. die<br />

Pflanzenart noch das Entwicklungsstadium, welches entscheidend den Lignifizierungsgrad<br />

beeinflusst. Dar<strong>über</strong> hinaus wird für Gärreste eine höhere Humusreproduktion im<br />

Vergleich zu Schweinegülle angenommen, jedoch identische Werte wie für Rindergülle.<br />

Experimentelle Untersuchungen hierzu sind nur in geringem Umfang vorhanden. So fanden<br />

asmUs und linke (10) eine höhere Humusreproduktion der organischen Substanz von<br />

Schweinegülle nach Fermentation, während reinhold et al. (73) gleiche Kohlenstoffanteile<br />

zur Humusreproduktion für unvergorene und anaerob vergorene Mischgülle feststellten.<br />

Verluste, die während der Silierung und Entnahme der Silage in Form von Atmung<br />

bzw. Sickersaft auftreten und je nach eingesetzter Siliertechnik eine Höhe von 6 bis 16 %<br />

aufweisen können (77), wurden in den Berechnungen zu Tabelle 6 nicht berücksichtigt.<br />

Diese Verluste betreffen jedoch eher die verhältnismäßig leicht verfügbare organische<br />

Substanz, welche vermutlich auch nicht entscheidend zur Humusbildung beiträgt.<br />

Schlussfolgernd ist festzuhalten, dass Konflikte im Hinblick auf die Verpflichtung<br />

zur Erhaltung der Flächen in gutem landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand auf<br />

Standorten bzw. unter klimatischen Bedingungen zu erwarten sind, die ein geringes Maisertragspotenzial<br />

bedingen. Die Humusbilanzierung stellt zwar einen integralen Indikator<br />

zur Bewertung der Nachhaltigkeit von Produktionssystemen dar, es besteht jedoch noch<br />

erheblicher Forschungsbedarf im Bereich des standort- und bewirtschaftungsspezifischen<br />

Humusbedarfes und der Humusreproduktionsleistung (90).<br />

8 Ökobilanz<br />

Grundsätzlich kann der Ersatz fossiler Energien durch Biomasse zu einer Reduktion der<br />

Treibhausgasemissionen beitragen (41). Für eine differenziertere Bewertung sollten die<br />

unterschiedlichen Verfahren zur Energieerzeugung aus Biomasse jedoch nicht nur hinsichtlich<br />

ihrer Produktivität und Wirtschaftlichkeit, sondern auch im Hinblick auf ihre<br />

ökologischen Effekte analysiert werden. Hierzu bietet sich die Ökobilanzierung an. Ein<br />

Vergleich verschiedener Produktionssysteme für Bioenergie zeigt, dass Unterschiede im<br />

Hinblick auf die Treibhausgasemission zwischen den Systemen bestehen (41). Für einige<br />

Systeme, wie beispielsweise Biogas und Sonnenblumen-Methylester, werden keinerlei<br />

bzw. negative Emissionen ausgewiesen (41). Im Falle von Biogas wird dies unter anderem<br />

auf die verhinderten Emissionen bei der Referenznutzung, d. h. Güllelagerung, zurückgeführt.<br />

Dabei ist nach JUngmeier und spitzer (41) die alleinige Vergärung von Gülle besser<br />

zu bewerten als die Kovergärung von Gülle mit weiteren Substraten, wohingegen nach<br />

vogt et al. (91) Kovergärungsverfahren aufgrund der höheren Stromerzeugung oft günstigere<br />

Ökobilanzen aufweisen sollen. Stark variierend auf die Höhe der Bilanzen wirkt die<br />

Anlagengröße ein. So sollen, was die Stromerzeugung betrifft, Großanlagen ökologisch<br />

besser zu bewerten sein als Kleinanlagen (70). Entscheidend bei der Verfahrensgestaltung<br />

ist weiterhin, dass die Substratproduktion in räumlicher Nähe zur Biogasanlage erfolgt.<br />

matthes (60) konnte etwa zeigen, dass die Transportwege von der Biomasseerzeugung zur<br />

Biogasanlage unter 20 km betragen sollten. Mit zunehmenden Distanzen werden die Ökobilanzen<br />

deutlich ungünstiger und sind unter bestimmten Bedingungen sogar schlechter zu<br />

beurteilen als für fossile Energieträger, wenn beispielsweise Gülle <strong>über</strong> eine Entfernung<br />

von 100 km transportiert wird.<br />

Studien zur relativen Vorzüglichkeit von Kulturpflanzen für die Vergärung in Biogasanlagen<br />

legen merkliche Unterschiede in Abhängigkeit des Ertragspotenzials und der<br />

eingesetzten Produktionsmittel dar. Nach plöchl und heiermann (68) verursacht die Produktion<br />

von Luzerne, Mais und Gras mit Treibhausgasemissionen von 80 bis 100 g CO 2<br />

eq. kWh -1 geringere Belastungen als der Anbau von Triticale, Roggen, Hanf oder Raps.


Die energetische Nutzung von Mais in Biogasanlagen<br />

191<br />

Die dieser Studie zugrunde liegenden Zahlen beruhen jedoch auf Anbaubedingungen und<br />

Ertragspotenzialen des Landes Brandenburg. Da das Ertragsniveau die Ökobilanz entscheidend<br />

beeinflusst, ist kritisch zu hinterfragen, ob diese Ergebnisse auf andere Regionen<br />

<strong>über</strong>tragbar sind. Für Norddeutsche Verhältnisse konnte eine deutliche Überlegenheit<br />

von Silomais gegen<strong>über</strong> schnittgenutztem Grünland bezüglich der Energieeffizienz der<br />

Futterproduktion dokumentiert werden (46).<br />

9 Weitere kritische Aspekte<br />

Seit Inkrafttreten des EEG ist ein rascher Anstieg der Anzahl Biogasanlagen und des<br />

Anbaus von Energiepflanzen erfolgt, wobei ein Trend zu einer <strong>über</strong>wiegenden Verwendung<br />

von Mais in Kofermentation mit Gülle bzw. in Monovergärung zu beobachten war,<br />

begründet auf dem hohen Methanertragspotenzial, der guten Mechanisierbarkeit und Verfügbarkeit<br />

der Anbautechnik. So wurden im Jahr 2005 bundesweit rund 70 000 ha Mais<br />

für die Biogaserzeugung angebaut, was ca. 4 % der gesamten Maisanbaufläche entspricht<br />

(18). Von einer weiteren Ausdehnung des Anbaus ist auszugehen.<br />

Welche Auswirkungen die forcierte künftige Biomassenutzung auf die Entwicklung der<br />

Kulturlandschaft hat ist schwer abschätzbar, da entsprechende Analysen fehlen. Es ist aber<br />

von potenziell erheblichen Effekten auf die Biodiversität und das räumliche Muster der<br />

Landnutzung auszugehen (29). Auch die Flächenanforderungen des Naturschutzes müssten<br />

erheblich eingeschränkt werden, sollten die in den Biomasseszenarien vorgesehenen<br />

Anbauflächen realisiert werden. Konfliktpotenzial bzgl. der Ausweitung des Maisanbaus<br />

sieht eine Studie zur naturschutzverträglichen Erzeugung und Nutzung von Biomasse zur<br />

Wärme- und Stromgewinnung (74) zum einen in Risiken der Bodenverdichtung und Erosion,<br />

der Ausbreitung von Krankheiten und Schädlingen, sowie in der Einschränkung<br />

der Biodiversität in Agrarlandschaften. Dies kommt insbesondere zum Tragen, wenn<br />

aufgrund des Anbaus für Futterzwecke und der Nutzung in Biogasanlagen der Mais zur<br />

dominierenden Frucht wird, was beispielsweise in einigen Regionen Niedersachsens zu<br />

erwarten ist. Dar<strong>über</strong> hinaus kann das Landschaftsbild negativ verändert werden („Homogenisierung<br />

der Landschaft“), wenn Energiepflanzen zum Anbau kommen, die ein großes<br />

Höhenwachstum aufweisen, was insbesondere für die neuen Energiemaissorten zutrifft.<br />

Durch Einschränkung der Sicht können in Abhängigkeit des Reliefs wichtige Blickbeziehungen<br />

der Landschaft verstellt werden, was auch dem Tourismus abträglich sein könnte.<br />

Desgleichen werden olfaktorische Beeinträchtigungen durch Biogasanlagen und die Möglichkeit<br />

der Zunahme von Wildschäden angeführt. Der Naturschutzbund lehnt daher den<br />

intensiven Anbau von Kofermenten wie Mais aus ökologischen Gründen ab. Die Analyse<br />

der Effekte einer Ausdehnung des Energiemaisanbaus auf die abiotische und biotische<br />

Umwelt im kleinräumigen Maßstab (Schlagniveau) als auch auf regionaler Ebene ist daher<br />

dringend erforderlich (74).<br />

10 Forschungsbedarf<br />

Abschließend lässt sich folgender Forschungsbedarf formulieren:<br />

●<br />

Im Bereich der Methodenentwicklung ist die Erarbeitung von Standards zur Durchführung<br />

von Gärversuchen dringend erforderlich, ebenso wie die Ermittlung der qualitätsrelevanten<br />

Parameter und optimalen Inhaltsstoffzusammensetzung für die Methanbildung,<br />

um dann effiziente Analysemethoden, wenn möglich unter Nutzung von NIRS,<br />

zur Bewertung qualitätsrelevanter Parameter entwickeln zu können.


192 Antje Herrmann und Friedhelm Taube<br />

●<br />

●<br />

●<br />

●<br />

●<br />

●<br />

●<br />

Die züchterische Tätigkeit erfordert das Herausarbeiten eines Ideotypen was das Abreifeverhalten<br />

und den Kolbenanteil betrifft, um dann gezielt wertgebende Inhaltstoffe<br />

steigern bzw. unerwünschte Substanzen reduzieren zu können.<br />

Im Hinblick auf die Anbauverfahren hat eine Optimierung der Fruchtfolgesysteme<br />

unter Berücksichtigung von ökonomischen und ökologischen Aspekten zu erfolgen.<br />

Zur Optimierung der N-Versorgung von Energiemais bietet sich nach einer entsprechenden<br />

Validierung der von uns entwickelte kritische N-Gehalt als Indikator des N-<br />

Status des Bestandes an.<br />

Die Optimierung von Aussaat und Ernteterminen kann durch den Einsatz geeigneter<br />

Modelle unterstützt werden. So könnte das Modell MAISPROG, welches für die Erntezeitprognose<br />

von Silomais entwickelt wurde, nach einer entsprechenden Kalibration<br />

auch für Energiemais eingesetzt werden.<br />

Auch für die Bewertung des Energiemaisanbaus auf Systemebene hinsichtlich der<br />

Nährstoffwirksamkeit von Gärrückständen, des N-Verlustpotenzials, der Humusbilanz,<br />

der Energieeffizienz und der Naturschutzverträglichkeit erscheint der Einsatz von<br />

Modellen geradezu prädestiniert.<br />

Hinsichtlich der ökonomischen Effekte sind Möglichkeiten zur Kostensenkung bei Anbau-,<br />

Ernte-, und Silierverfahren zu ermitteln, sowie<br />

Wirtschaftlichkeitsvergleiche des Systems ‚Energiemaisanbau’ mit anderen alternativen,<br />

praxisrelevanten Produktionssystemen durchzuführen.<br />

Zusammenfassung<br />

Mit Inkrafttreten des Erneuerbare Energien Gesetzes und insbesondere seit dessen Novellierung<br />

im Jahr 2004 besteht ein verstärkter Trend zur Installation von Biogasanlagen. Im Zuge dessen ist<br />

eine Ausweitung des Maisanbaus zur Nutzung in Kovergärung mit Gülle oder in Monovergärung zu<br />

beobachten, was unter anderem auf der hohen Methanhektarleistung, der guten Mechanisierbarkeit<br />

und Lagerfähigkeit von Maissilage beruht. Das Ziel dieses Beitrages war es, den Stand der pflanzenbaulichen<br />

Forschung zur Nutzung von Mais in Biogasanlagen darzustellen und kritisch zu würdigen,<br />

sowie potenziellen Forschungsbedarf aufzuzeigen. In den Bereichen Erntezeitoptimierung, Schätzmethodik<br />

zur Ermittlung des Methanertrags, Züchtung, Bewertung des Energiemaisanbaus hinsichtlich<br />

der C/N-Flüsse auf Systemebene und Ökobilanzierung konnten viele offene Fragen aufgezeigt<br />

werden. So liegen beispielsweise bis dato keine systematischen, mehrjährigen Untersuchungen vor,<br />

die eine sichere Ableitung des optimalen Entwicklungsstadiums zur Maximierung der Methanausbeute<br />

oder eine Aussage <strong>über</strong> Effekte der Gärrest-Applikation auf das N-Verlustpotenzial ermöglichen.<br />

Potenzielle Konflikte des Energiemaisanbaus mit Cross-Compliance Auflagen werden in der<br />

Düngeverordnung und der Verpflichtung zur Erhaltung der Flächen in gutem landwirtschaftlichen<br />

und ökologischen Zustand gesehen. Dar<strong>über</strong> hinaus bestehen auch von Seiten des Naturschutzes<br />

Bedenken gegen eine Ausweitung des intensiven Anbaus von Energiemais. Der Einsatz geeigneter<br />

Modelle zur Bewertung des Energiemaisanbaus sowohl auf Schlag-, Betriebs-, als auch regionaler<br />

Ebene erscheint geradezu prädestiniert.<br />

Schlagworte: Biogas, Mais, Methanbildungspotenzial, Züchtung, Futterqualität, C/N-Flüsse,<br />

Cross-Compliance, Ökobilanz, Naturschutz<br />

Summary<br />

The use of maize for energy production in biogas plants – is research up to date with<br />

agricultural practice ?<br />

An increased trend towards the construction of biogas plants can be observed in Germany since the<br />

entry into force of the Renewable Energies Act (EEG) in 2000 and, in particular, since its amendment<br />

in 2004. Consequently, the acreage of maize for co-digestion with slurry or mono-digestion has been<br />

expanded which is mainly due to its high methane yields per hectare and the easy mechanisability<br />

and storability of maize silage. The objective of this contribution was to review and critically assess<br />

the state-of-the-art in agronomic research on maize grown for use in biogas plants and to indicate<br />

the potential need for research. Many problems that are still unresolved are pointed out in the fields<br />

of harvest time optimization, methods for estimating the methane yield, breeding, assessment of energy<br />

maize production with respect to C and N flows at system level and ecological assessment. To


Die energetische Nutzung von Mais in Biogasanlagen<br />

193<br />

date, for instance, no systematic, multi-annual experiments are available which allow a substantiated<br />

derivation of the optimal development stage for maximizing methane yield or a quantification of<br />

the impact of biogas slurry application on N loss potential. The authors identify potential conflicts<br />

between energy maize production and cross-compliance standards, in particular, with regard to the<br />

Fertilizer Ordinance and the obligation to maintain all agricultural land in good agricultural and ecological<br />

condition. Furthermore, the contribution addresses reservations about an increase of energy<br />

maize production from the perspective of nature conservation. The study draws the conclusion that<br />

an application of suitable models might facilitate the assessment of energy maize production at field,<br />

farm, and regional levels.<br />

Keywords: Biogas, maize, methane yield, breeding, forage quality, C and N dynamics, crosscompliance,<br />

energy balance, nature conservation<br />

Résumé<br />

L’utilisation énergétique du maïs dans des installations à biogaz – La recherche marque-t-elle<br />

un retard sur la pratique ?<br />

La Loi sur les énergies renouvelables, et en particulier son amendement de 2004, ont de plus en<br />

plus influencé la mise en place d’installations à biogaz. Ceci permit d’observer une expansion de<br />

la culture du maïs pour une utilisation sous forme de fermentation avec engrais semi-liquide ou<br />

sous forme de monofermentation, ce qui, entre autres, repose sur le rendement élevé en méthane<br />

par ha, sur la bonne mécanisation et la bonne faculté de conservation de silage de maïs. Cette étude<br />

avait pour objectif d’exposer le niveau de la recherche concernant la culture des plantes dans le but<br />

d’utiliser le maïs dans les installations à biogaz, de donner une appréciation critique et de mettre en<br />

évidence les besoins potentiels de la recherche. Dans les domaines de l’optimisation de l’époque<br />

de la moisson, de la méthode d’estimation dans le but de déterminer le rendement en méthane, la<br />

sélection, l’évaluation de la culture du maïs énergétique eu égard aux courants C/N sur le niveau des<br />

systèmes et de l’établissement du bilan écologique, de nombreuses questions restées en suspens ont<br />

été mises en évidence. Par exemple, à ce jour, on ne dispose d’aucun examen systématique d’une<br />

durée de plusieurs années qui permettrait d’obtenir une déduction sûre du stade de développement<br />

optimal en ce qui concerne la maximisation de l’exploitation de méthane ou un rapport sur les effets<br />

de l’application des restes de fermentation sur le potentiel en pertes d’azote (N). Les conflits<br />

potentiels de la culture du maïs énergétique avec les obligations de Cross-Compliance sont exposés<br />

dans le règlement sur les engrais et sur l’obligation de maintenir en bon état les superficies rurales et<br />

écologiques. En outre, la culture intensive du maïs énergétique du point de vue de la protection de<br />

la nature a fait l’objet de maintes préoccupations. Des modèles appropriés destinés à l’appréciation<br />

de la culture du maïs énergétique dans les champs labourés, les fermes, mais également à l’échelon<br />

régional, semble prédestiné.<br />

Mots clés : biogaz, maïs, potentiel de formation de méthane, sélection, qualité du fourrage, courants<br />

C/N, Cross-Compliance, bilan écologique, protection de la nature<br />

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Autorenanschrift: Dr. habil. antJe herrmann, Prof. Dr. Friedhelm taUbe, Institut für Pflanzen-<br />

bau und Pflanzenzüchtung, Grünland und Futterbau/Ökologischer Landbau,<br />

Olshausenstr. 40, 24098 Kiel, Deutschland<br />

aherrmann@email.uni-kiel.de


198<br />

Bedeutung der Pflanzenzüchtung für die Welternährung<br />

Von matin Qaim, Stuttgart-Hohenheim<br />

1 Einführung<br />

In diesem Beitrag soll der Frage nachgegangen werden, welche Rolle die Pflanzenzüchtung<br />

für die Welternährungssicherung spielen kann und tatsächlich spielt. Bereits vor <strong>über</strong> 200<br />

Jahren erkannte der Engländer thomas robert malthUs den wichtigen Zusammenhang<br />

zwischen Bevölkerungswachstum und Nahrungsproduktion, um Wohlstand zu wahren und<br />

zu mehren. Er prognostizierte, dass die rasche Bevölkerungsentwicklung langfristig unweigerlich<br />

zu weit verbreitetem Hunger und Elend führen müsse, weil die Nahrungsproduktion<br />

proportional von der verfügbaren Fläche abhängig sei, und diese sich nur begrenzt<br />

vermehren ließe. Ende des 18. Jahrhunderts gab es jedoch noch keine Pflanzenzüchtung<br />

im engeren Sinne. Auch andere Erfolge des agrartechnischen Fortschritts waren zur damaligen<br />

Zeit noch nicht absehbar, und das war auch der Hauptgrund dafür, dass malthUs<br />

mit seinen Prognosen Unrecht behielt. Das weltweite Elend blieb aus. Stattdessen kam<br />

es vor allem in Europa und Nordamerika zu beträchtlichen Wohlstandssteigerungen, und<br />

Probleme von Unterernährung konnten weitgehend <strong>über</strong>wunden werden.<br />

Tabelle 1. Hunger in Entwicklungsländern<br />

Anzahl der Hungernden<br />

(Mio.)<br />

Anteil Hungernder an der<br />

Gesamtbevölkerung (%)<br />

1990 - 92 1995 - 97 2000 - 02 1990 - 92 1995 - 97 2000 - 02<br />

Asien und Pazifik 569,2 509,5 519,0 20 17 16<br />

Lateinamerika 59,5 54,8 52,9 13 11 10<br />

Naher Osten und<br />

Nordafrika<br />

24,8 34,9 39,2 8 10 10<br />

Sub-Sahara-Afrika 170,4 197,4 203,5 36 36 33<br />

Entwicklungsländer<br />

gesamt<br />

823,8 796,7 814,6 20 18 17<br />

Quelle: (8)<br />

Dennoch gibt es nach wie vor Hunger auf der Welt – vor allem in den heutigen Entwicklungsländern<br />

(Tab. 1). Die meisten hungernden Menschen leben derzeit in Asien, insbesondere<br />

in China und Indien. Vergleichsweise gesehen ist das Problem von Unterernährung<br />

jedoch in Sub-Sahara-Afrika am größten; dort ist jeder Dritte nicht ausreichend mit Nahrungsmitteln<br />

versorgt. Obwohl der Anteil der Hungernden in den Entwicklungsländern<br />

in den vergangenen 15 Jahren kontinuierlich zurückgegangen ist, steigen die absoluten<br />

Hungerzahlen seit Mitte der 1990er-Jahre wieder an. Dies ist besorgniserregend: Vom Ziel<br />

des Welternährungsgipfels, den Hunger bis 2015 zu halbieren, sind viele Länder nicht nur<br />

U.S. Copyright Clearance Center Code Statement: 0005-9080/06/8402-198 $ 2.50/0


Bedeutung der Pflanzenzüchtung für die Welternährung<br />

199<br />

weit entfernt, sondern der Trend geht sogar in die falsche Richtung. Was sind die Ursachen<br />

für diesen untragbaren Zustand, und welches sind geeignete Bekämpfungsstrategien?<br />

Eine vor allem in der breiteren Öffentlichkeit vielfach gestellte Frage ist die, ob der<br />

Hunger eher ein Produktions- oder ein Verteilungsproblem sei. Entsprechend müssten<br />

dann Maßnahmen entweder zur Produktionssteigerung oder zur Verbesserung der Verteilungsgerechtigkeit<br />

ergriffen werden. Abbildung 1 verdeutlicht jedoch, dass eine solche<br />

Entweder-oder-Betrachtung der Komplexität des Problems nicht ausreichend gerecht wird.<br />

Im linken Teil der Abbildung wurden alle Nahrungsmittel, die heute weltweit produziert<br />

werden, in Kalorien umgerechnet und durch die Weltbevölkerung geteilt. Der menschliche<br />

Kalorienbedarf variiert nach Geschlecht, Alter und einer Reihe anderer Einflussfaktoren.<br />

Als grober Durchschnittswert mag eine Ernährungsempfehlung von rund 2300 kcal<br />

pro Kopf und Tag gelten. Die derzeitige Pro-Kopf-Verfügbarkeit von 2804 kcal würde<br />

also prinzipiell ausreichen, damit niemand hungern müsste. Dass dennoch <strong>über</strong> 800 Mio.<br />

Menschen hungern, ist ein klares Zeichen dafür, dass es tatsächlich ein gravierendes Verteilungsproblem<br />

gibt. Aber ist der Hunger deswegen nur ein Verteilungsproblem? Nein,<br />

denn dass die Nahrungsverfügbarkeit heute ausreicht, verdanken wir den beträchtlichen<br />

Produktionssteigerungen in der Vergangenheit, und wenn solche Steigerungen in Zukunft<br />

ausblieben, dann würde die Pro-Kopf-Verfügbarkeit im Jahre 2030 nur noch rund 2200<br />

kcal betragen. Dies würde vermutlich eine Verdopplung der Zahl der Hungernden nach<br />

sich ziehen.<br />

Abb. 1. Tägliche Pro-Kopf-Kalorienverfügbarkeit ohne Produktionssteigerung (weltweit)<br />

Quelle: Berechnungen des Autors auf Basis von (7; 24)<br />

In einer dynamischen Betrachtung ist der Hunger also sowohl ein Produktions- als auch<br />

ein Verteilungsproblem. Pflanzenzüchtung allein wird den Hunger nicht besiegen können.<br />

Dennoch kann sie eine wichtige Rolle spielen. Während ihr Beitrag für die globale<br />

Produktionssteigerung weitgehend anerkannt ist, wird die Bedeutung von Züchtung und<br />

angepassten neuen Pflanzensorten zur Linderung des Verteilungsproblems in der öffentlichen<br />

Debatte häufig nicht ausreichend wahrgenommen. Diese Aspekte werden in den<br />

folgenden zwei Kapiteln näher erläutert. In Kapitel 4 wird dann kurz die potenzielle Rolle<br />

wertsteigernder Züchtungsziele für das Welternährungsproblem aufgezeigt, bevor in Kapitel<br />

5 einige Schlussfolgerungen gezogen werden.


200<br />

2 Bedeutung der Züchtung für die globale Produktionssteigerung<br />

2.1 Erfolge in der Vergangenheit<br />

Um den Beitrag der Pflanzenzüchtung zur Linderung des Produktionsproblems zu analysieren,<br />

erscheint zunächst eine historische Perspektive angebracht. Abbildung 2 zeigt,<br />

dass die Weltbevölkerung sich in den letzten 40 Jahren etwa verdoppelt hat. Die Nahrungsproduktion<br />

ist aber fast um das Dreifache gestiegen, sodass sich die Pro-Kopf-Verfügbarkeit<br />

deutlich verbessert hat. Und das ist nicht etwa auf eine starke Ausdehnung der<br />

Ackerfläche zurückzuführen. Diese ist nur um etwa 10 % gestiegen und stagniert seit Mitte<br />

der 1980er-Jahre. Hauptgrund war vielmehr technischer Fortschritt, und hier vor allem<br />

Abb. 2. Entwicklung der globalen Bevölkerung, Nahrungsproduktion und Ackerfläche<br />

Quelle: (7)<br />

Abb. 3. Entwicklung der Getreideerträge in Asien<br />

Quelle: (7)


Bedeutung der Pflanzenzüchtung für die Welternährung<br />

201<br />

die so genannte Grüne Revolution, also die Entwicklung von Hochertragsleistungssorten<br />

für Weizen, Reis und andere Nahrungspflanzen, die seit den 1960er-Jahren in Asien und<br />

Lateinamerika weite Verbreitung fanden. Abbildung 3 verdeutlicht, dass sich die Reiserträge<br />

in Asien in den vergangenen Jahrzehnten mehr als verdoppelten. Die Weizenerträge<br />

vervierfachten sich sogar fast. Obwohl parallel auch der Einsatz von Bewässerung, Dünger<br />

und chemischem Pflanzenschutz ausgedehnt wurde, ist ein Großteil dieser Zuwächse<br />

auf das höhere Ertragspotenzial der neuen Sorten zurückzuführen – also ein Erfolg der<br />

Pflanzenzüchtung.<br />

Von Technologiekritikern wird häufig argumentiert, dass die Grüne Revolution im<br />

Hinblick auf die Welternährungssicherung ein Misserfolg war, weil die Zahl der hungernden<br />

Menschen heute höher ist als in den 1960er-Jahren. Eine solche Betrachtung,<br />

die lediglich die Hungerzahlen vor und nach der Grünen Revolution vergleicht, legt aber<br />

ein falsches Referenzsystem zugrunde. Um den tatsächlichen Effekt bewerten zu können,<br />

muss analysiert werden, was gewesen wäre, wenn die Grüne Revolution nicht stattgefunden<br />

hätte. Dies tut eine aktuelle Studie (4). Auf Basis umfangreicher Modellsimulationen<br />

wird aufgezeigt, dass ohne die Hochertragsleistungssorten die Nahrungsproduktion in<br />

den Entwicklungsländern um ein Viertel niedriger gewesen wäre als sie es heute tatsächlich<br />

ist. Obwohl ein Teil durch zusätzliche Importe ausgeglichen worden wäre, läge der<br />

durchschnittliche Pro-Kopf-Konsum deutlich unterhalb des heute beobachteten. Insgesamt<br />

wären 37 Mio. mehr Kinder von Unterernährung betroffen, und die Zahl der weltweit<br />

Hungernden wäre um 187 Mio. höher – sie würde also die 1 Mrd. Grenze <strong>über</strong>steigen.<br />

Diese Ergebnisse verdeutlichen, dass die Grüne Revolution den Hunger nicht hat beseitigen<br />

können, dass sie aber dennoch einen deutlichen Beitrag zur Welternährungssicherung<br />

geleistet hat. Auch andere Erfolge der Pflanzenzüchtung – wie etwa Ertragssteigerungen<br />

durch die Einführung von Hybriden zunächst in den USA und Europa aber zunehmend<br />

auch in den Entwicklungsländern – haben in den vergangenen Jahrzehnten entscheidend<br />

zu einer Verbesserung der Versorgungslage beigetragen (13).<br />

2.2 Zukünftige Herausforderungen<br />

Wie sehen nun die zukünftigen Herausforderungen für die Nahrungsproduktion aus? Das<br />

weltweite Bevölkerungswachstum geht zurück von heute rund 1,2 % pro Jahr auf deutlich<br />

unter 1 % im Jahr 2030 (24). Aber dennoch bedeutet dies derzeit einen jährlichen Zuwachs<br />

von 76 Mio. Menschen, also jedes Jahr fast einmal die Bevölkerung Deutschlands mehr.<br />

Auch im Jahr 2030 werden jährlich noch <strong>über</strong> 50 Mio. Menschen hinzukommen, und das<br />

fast ausschließlich in den Entwicklungsländern. Die Weltbevölkerung wird in den nächsten<br />

25 Jahren um <strong>über</strong> 25 % auf etwa 8,2 Mrd. ansteigen. Im Jahr 2050 wird sie vermutlich<br />

bei <strong>über</strong> 9 Mrd. liegen (24). Dar<strong>über</strong> hinaus steigen die Einkommen im Schnitt um 3 %<br />

jährlich. Vor allem in den Entwicklungsländern, wo derzeit noch eine Unterversorgung<br />

herrscht, heißt das, dass in Zukunft auch pro Kopf mehr Nahrung nachgefragt werden<br />

wird.


202 Matin Qaim<br />

Tabelle 2. Prognosen für die Pro-Kopf-Nahrungsnachfrage in Entwicklungsländern<br />

2002 2015 2030<br />

kg/Jahr<br />

Getreide als direkte Nahrung 173 173 172<br />

Getreide gesamt 250 265 279<br />

Obst und Gemüse 169 195 219<br />

Pflanzliche Öle 9 13 15<br />

Fleisch 29 32 37<br />

Milch und Milchprodukte 46 55 66<br />

Quelle: (7; 9)<br />

Tabelle 2 zeigt Prognosen für die Pro-Kopf-Nahrungsnachfrage in Entwicklungsländern<br />

bis 2030. Während die Pro-Kopf-Nachfrage nach Grundnahrungsmitteln für den direkten<br />

Konsum etwa konstant bleiben wird, kommt es aufgrund des steigenden Einsatzes von<br />

Getreide in der Viehfütterung zu einem deutlichen Anstieg im Gesamtverbrauch. Für den<br />

direkten menschlichen Konsum werden zukünftig vor allem höherwertige Nahrungsmittel<br />

verstärkt nachgefragt werden.<br />

Bevölkerungs- und Einkommenswachstum zusammen führen dazu, dass die weltweite<br />

Nahrungsproduktion um mindestens 50 % gesteigert werden muss, um auch im Jahr 2030<br />

noch eine ausreichende Verfügbarkeit zu gewährleisten. Hinzu kommt, dass die Nahrungsproduktion<br />

zunehmend Flächenkonkurrenz durch den Anbau von Bioenergiepflanzen bekommt.<br />

Derzeit werden weltweit jährlich 420 Exajoule Energie verbraucht. Rund 14 %<br />

davon entfallen auf Bioenergie. Heutzutage bedeutet Bioenergie aber vor allen Dingen die<br />

Nutzung von Brennholz und Abfallprodukten in Entwicklungsländern, sodass die hierfür<br />

beanspruchte Ackerfläche noch verhältnismäßig gering ist. Dies könnte sich in Zukunft<br />

drastisch ändern. Bis 2030 wird der weltweite Energiebedarf um etwa 60 % steigen (14).<br />

Die Nutzung von Biokraftstoffen – wie Biodiesel und Bioethanol – wird vielerorts propagiert<br />

und gewinnt durch hohe Erdölpreise wirtschaftlich an Bedeutung. Insbesondere für<br />

den Transportsektor sind jüngst konkrete Ziele festgesetzt worden: Bis 2010 sollen in der<br />

Europäischen Union 5, 75 % des Kraftstoffverbrauchs durch Bioenergie gedeckt werden.<br />

Der Anteil könnte längerfristig weiter steigen. Das amerikanische Energieministerium will<br />

in den kommenden Jahrzehnten sogar 30 % der Transportenergie durch Biokraftstoffe decken<br />

(18). Welchen Stellenwert Bioenergie in Zukunft tatsächlich haben wird, hängt von<br />

vielen Faktoren ab und lässt sich schlecht genau prognostizieren.


Bedeutung der Pflanzenzüchtung für die Welternährung<br />

Tabelle 3. Benötigte Ackerfläche für die Deckung von Transportenergie durch<br />

Biokraftstoffe: Globale Szenarien für 2030<br />

Energieträger Substitution<br />

von 5,75 % der<br />

Energie im<br />

Transport-<br />

sektor<br />

Substitution<br />

von 10 % der<br />

Energie im<br />

Transport-<br />

sektor<br />

203<br />

Substitution<br />

von 30 % der<br />

Energie im<br />

Transport-<br />

sektor<br />

In Prozent der global verfügbaren Ackerfläche<br />

Bioethanol aus Getreidestärke 11,3 19,6 58,8<br />

Bioethanol aus Zuckerrohr 4,8 8,4 25,1<br />

Biodiesel aus Ölsaaten 13,8 24,1 72,2<br />

Anmerkung: Die Berechnungen nehmen an, dass der globale Energieverbrauch bis 2030 um 60 %<br />

ansteigt, und dass der auf den Transportsektor entfallende Anteil konstant bleibt. Für die Energieausbeute<br />

der unterschiedlichen Varianten wurden heutige Durchschnittswerte zugrunde gelegt. Die<br />

global verfügbare Ackerfläche wurde konstant gehalten.<br />

Quelle: Berechnungen des Autors auf Basis von (7; 11; 14; 23)<br />

Tabelle 3 zeigt anhand von Beispielszenarien, wie viel Ackerfläche benötigt würde, wenn<br />

die genannten Ziele globale Anwendung fänden – und zwar nur bezogen auf den Transportsektor.<br />

Bei den Berechnungen wurde technischer Fortschritt bei der Energieausbeute<br />

vernachlässigt. Ebenso blieb unberücksichtigt, dass Biokraftstoffe zukünftig zum Teil aus<br />

Pflanzen gewonnen werden könnten, die auf Marginalstandorten wachsen, welche für die<br />

Nahrungsproduktion ohnehin ungeeignet sind. Dennoch verdeutlichen die Ergebnisse,<br />

dass eine verstärkte Nutzung von Biokraftstoffen in Zukunft erhebliche landwirtschaftliche<br />

Flächen beanspruchen könnte. Während dies für die potenzielle Wertschöpfung im<br />

Agrarsektor sicher positiv zu beurteilen ist, bedeutet es für die Welternährungssicherung<br />

eine ernst zu nehmende zusätzliche Herausforderung.<br />

Die globale Ackerfläche wird in Zukunft kaum weiter zu steigern sein, ohne dass die<br />

ökologischen Kosten immens wären. Obwohl in einigen Regionen durchaus noch zusätz-<br />

Abb. 4. Weltweite Wachstumsraten für Getreideerträge<br />

Quelle: (7)


204 Matin Qaim<br />

liches Land in Kultur genommen werden kann, fallen anderswo Flächen durch Bodendegradation<br />

und Urbanisierungstendenzen weg. Insgesamt ist davon auszugehen, dass die<br />

globale Ackerfläche in Zukunft etwa konstant bleiben wird, und dass der für die Produktion<br />

von Nahrungsmitteln verfügbare Anteil sinkt. Züchtungserfolge werden also für die<br />

Ernährungssicherung in Zukunft ebenso wichtig bleiben wie in der Vergangenheit. Dies<br />

gilt für die Produktivität von Nahrungsmitteln und Bioenergiepflanzen gleichermaßen. Vor<br />

diesem Hintergrund ist der weltweite Rückgang im Ertragswachstum wichtiger Grundnahrungsmittel<br />

mit Sorge zu betrachten. Abbildung 4 zeigt, dass das durchschnittliche jährliche<br />

Ertragswachstum für Reis und Weizen bis zu den 1980er-Jahren deutlich höher war<br />

als in den letzten 15 Jahren. In einigen Regionen der Welt gehen Wissenschaftler sogar davon<br />

aus, dass ein Ertragsplateau erreicht ist, welches ohne neue Züchtungsmethoden kaum<br />

weiter zu steigern sein wird (13). Verbesserte Verfahren der Hybridisierung zur weiteren<br />

Ausnutzung von Heterosiseffekten könnten zukünftig zu wichtigen Produktivitätsschüben<br />

beitragen. Aber auch die grüne Gentechnik sollte in diesem Kontext nicht leichtfertig<br />

ignoriert werden. Gentechnische Verfahren werden konventionelle Züchtungsmethoden<br />

nicht ersetzen, aber sie können dazu beitragen, standörtlich angepasste Sorten zusätzlich<br />

mit erwünschten Merkmalen wie Toleranz gegen bestimmte Stressfaktoren oder höhere<br />

Nährstoffeffizienz auszustatten. Auch höherwertige Nahrungspflanzen, die bei der Grünen<br />

Revolution weitgehend vernachlässigt wurden, könnten von gentechnischen Verbesserungen<br />

profitieren. Laufende Forschungs- und Entwicklungsarbeiten zu gentechnisch<br />

veränderten Obst- und Gemüsekulturen mit eingebauten Resistenzen gegen Insekten und<br />

andere Schaderreger sind vor diesem Hintergrund viel versprechend.<br />

Freilandversuche mit gentechnisch veränderten Pflanzen werden seit Ende der 1980er-<br />

Jahre in verschiedenen Ländern durchgeführt. Seit Mitte der 1990er-Jahre werden einige<br />

dieser Pflanzen auch kommerziell verwendet. Abbildung 5 zeigt die Entwicklung<br />

der kommerziell angebauten Fläche. Im Jahr 2005 waren dies bereits 90 Mio. Hektar.<br />

60 % entfallen auf gentechnisch veränderte Sojabohnen, gefolgt von Mais, Baumwolle<br />

und Raps. Hinsichtlich der veränderten Merkmale dominieren die Herbizidtoleranz und<br />

die Insektenresistenz auf Basis verschiedener Bt (Bacillus thuringiensis) Gene. Insgesamt<br />

ist das Portfolio gentechnisch veränderter Pflanzen im kommerziellen Anbau derzeit noch<br />

Abb. 5. Entwicklung der weltweit mit gentechnisch veränderten Pflanzen angebauten Fläche<br />

Quelle: (15)


Bedeutung der Pflanzenzüchtung für die Welternährung<br />

205<br />

begrenzt, und es bleibt weit hinter dem zurück, was eigentlich technisch möglich wäre.<br />

Hauptgrund hierfür ist, dass die Entwicklung gentechnischer Sorten stark von multinationalen<br />

Firmen dominiert wird, die sich zunächst auf große lukrative Märkte konzentrieren.<br />

Die grüne Gentechnik ist aber noch ein recht junger Technologiebereich, sodass zu hoffen<br />

bleibt, dass in Zukunft weitere interessante Einzeltechnologien entwickelt werden – vor<br />

allem auch solche, die für Entwicklungsländer relevant sein könnten. Hierzu wird eine<br />

stärkere Beteiligung öffentlicher Forschungseinrichtungen nötig sein. Zwar zeigt Abbildung<br />

5, dass rund ein Drittel der Fläche mit gentechnisch veränderten Pflanzen bereits<br />

heute auf die Entwicklungsländer entfällt. Dennoch darf nicht <strong>über</strong>sehen werden, dass<br />

dies vor allem relativ fortschrittliche Länder wie Argentinien, Brasilien, China und Indien<br />

sind. Für die am wenigsten entwickelten Länder fehlt es oftmals an technologischen und<br />

institutionellen Kapazitäten für die Entwicklung und sichere Anwendung der grünen Gentechnik.<br />

Solche Engpässe sollten durch gezielte Förderung <strong>über</strong>wunden werden. Bezeichnend<br />

ist aber, dass auch in Europa – wo die Kapazitäten durchaus vorhanden sind – bisher<br />

kaum gentechnisch veränderte Pflanzen zur kommerziellen Anwendung kommen. Dies<br />

ist in erster Linie auf die geringe öffentliche Akzeptanz und die damit einhergehenden<br />

schwierigen gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen zurückzuführen. Da<br />

sich ein Großteil der Abneigung in der europäischen Bevölkerung offensichtlich gegen<br />

die Dominanz multinationaler Firmen richtet, könnte mehr öffentliche Forschung zu einer<br />

größeren Akzeptanz beitragen.<br />

3 Bedeutung der Züchtung für das Verteilungsproblem<br />

In der öffentlichen Debatte wird häufig angenommen, dass Pflanzenzüchtung zwar zur<br />

Ertragssteigerung und so zur Linderung des Produktionsproblems im Welternährunskontext<br />

beitragen kann, dass Technologie aber für die Lösung des Verteilungsproblems keine<br />

bedeutende Rolle spielt. Diese Annahme ist falsch. Natürlich bedarf es zur Verbesserung<br />

der Verteilungsgerechtigkeit auch anderer wirtschaftlicher und sozialer Maßnahmen.<br />

Dennoch kann die Pflanzenzüchtung hier ebenfalls einen wichtigen Beitrag leisten. Das<br />

Verteilungsproblem ist letztlich ein Armutsproblem und bedeutet, dass sich hungernde<br />

Abb. 6. Wer sind die Hungernden?<br />

Quelle: (20)


206 Matin Qaim<br />

Menschen keine ausreichenden Mengen an Nahrungsmitteln leisten können. Durch die<br />

entstehenden Produktionssteigerungen trägt Züchtung zu sinkenden Verbraucherpreisen<br />

bei. So ist es im Wesentlichen dem agrartechnischen Fortschritt zu verdanken, dass sich<br />

die Realpreise für Grundnahrungsmittel auf dem Weltmarkt seit 1960 etwa halbiert haben.<br />

Für arme Haushalte, die oftmals 70 – 80 % ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben,<br />

bedeutet dieser Preisrückgang eine signifikante Steigerung der Kaufkraft und damit<br />

einen verbesserten Zugang zu Nahrung.<br />

Auch für die Einkommensentstehung in unterernährten Bevölkerungsschichten kann<br />

Züchtung äußerst bedeutsam sein. Abbildung 6 zeigt, dass der Großteil der weltweit Hungernden<br />

in ländlichen Regionen lebt. 50 % sind Kleinbauern, die von angepassten neuen<br />

Saatguttechnologien enorm profitieren können, wenn Input- und Outputmärkte gut funktionieren.<br />

Studien zu den Auswirkungen der Grünen Revolution zeigen, dass Bauern, die<br />

die neuen Hochleistungssorten mit entsprechenden Komplementärinputs verwenden, ihre<br />

landwirtschaftlichen Einkommen oftmals verdoppelten. Auch landlose Familien profitierten<br />

häufig durch die steigende Nachfrage nach Arbeitskräften für Ernte- und Pflegearbeiten.<br />

In Bangladesch ging durch weit verbreitete Adoption neuer Reissorten die<br />

ländliche Armutsrate von rund 50 % auf 32 % zurück (12). Ähnliche Ergebnisse wurden<br />

auch für Indien gezeigt (10). Ein Großteil dieser Erfolge ist den öffentlichen Züchtungsprogrammen<br />

der internationalen Agrarforschungszentren zuzuschreiben. Eine aktuelle<br />

Studie belegt beispielsweise, dass für jede Million Dollar, die am internationalen Reisforschungsinstitut<br />

(IRRI) in den 1990er-Jahren investiert wurde, in Indien rund 35 000 Menschen<br />

und in China 3700 Menschen aus der Armut befreit werden konnten (6). In Afrika<br />

war der Erfolg der Grünen Revolution bisher weniger stark ausgeprägt, weil teilweise die<br />

institutionellen Voraussetzungen für die Technologieadoption nicht gegeben sind. Aber<br />

auch dort profitieren Bauern inzwischen von modernen Sorten, die von den internationalen<br />

Zentren entwickelt und von nationalen Programmen angepasst wurden. Insgesamt machen<br />

Hochertragsleistungssorten in Afrika derzeit 20 – 50 % der Fläche für wichtige Grundnahrungsmittel<br />

aus, während der Anteil in Asien und Lateinamerika bei 50 – 90 % liegt (4).<br />

Auch Hybride tragen inzwischen signifikant zu Einkommenssteigerungen im Kleinbauernsektor<br />

bei. Seit den 1980er-Jahren hat Hybridmais in vielen Ländern Afrikas, Asiens<br />

und Lateinamerikas Verbreitung gefunden (5). Hybridreis spielt in China eine bedeutende<br />

Rolle, und in Indien machen Hybride rund ein Drittel der Anbaufläche für Sorghum<br />

und Hirse aus (19). Selbst Subsistenzbauern nutzen in Indien häufig Hybridsaatgut, weil<br />

sie die Vorteile der höheren Erträge nicht missen möchten. Neben öffentlichen Züchtungsprogrammen<br />

sind im Zuge der weiteren Verbreitung von Hybridsaatgut in Entwicklungsländern<br />

auch zunehmend private Firmen als Anbieter aufgetreten, vor allem dort, wo in<br />

ländlichen Regionen eine gute Marktinfrastruktur gegeben ist. In den meisten Ländern<br />

Afrikas sind Saatgutmärkte allerdings noch verhältnismäßig wenig entwickelt.<br />

Inwieweit auch gentechnisch veränderte Pflanzen zu Einkommenssteigerungen im<br />

Kleinbauernsektor beitragen können, wird nach wie vor kontrovers diskutiert. Insektenresistente<br />

Bt Baumwolle wird inzwischen in einer Reihe von Entwicklungsländern verwendet.<br />

Vor allem in China, Indien und Südafrika wird Baumwolle <strong>über</strong>wiegend von Kleinbauern<br />

mit Betriebsflächen unter fünf Hektar angebaut, von denen inzwischen viele auf<br />

gentechnisch veränderte Sorten umgestiegen sind. Die Bt Technologie macht die Pflanze<br />

resistent gegen den Baumwollkapselbohrer, der weltweit ein bedeutender Schädling ist.<br />

Eine Reihe von Untersuchungen auf Basis repräsentativer Daten zeigt, dass die Bauern<br />

von dieser Innovation erheblich profitieren.


Bedeutung der Pflanzenzüchtung für die Welternährung<br />

Tabelle 4. Durchschnittliche Effekte von Bt Baumwolle in Entwicklungsländern<br />

Argentinien China Indien Mexiko Südafrika<br />

Insektizideinsparung (%) 47 65 41 77 33<br />

Ertragsvorteil (%) 33 24 34 9 22<br />

Gewinnzuwachs (US$/ha) 23 470 111 295 18<br />

Quelle: (16)<br />

207<br />

Tabelle 4 verdeutlicht, dass mit Bt Baumwolle 33 – 77 % Insektizide eingespart werden<br />

können und gleichzeitig Schädlingsverluste reduziert werden, was deutliche Ertragsvorteile<br />

nach sich zieht. Obwohl das von privaten Firmen verkaufte Bt Saatgut deutlich teurer<br />

ist als konventionelles, realisieren die Bauern im Durchschnitt einen beachtlichen Gewinnzuwachs.<br />

Interessanterweise profitieren Kleinbauern sogar noch etwas stärker als größere<br />

Betriebe. Für Kleinbauernfamilien in Indien und China liegt das Pro-Kopf-Einkommen in<br />

der Regel unter 200 US$ pro Jahr. Bt Baumwolle kann das Familieneinkommen erheblich<br />

steigern und trägt somit zu einem besseren Zugang zu Nahrungsmitteln bei. Der positive<br />

Einfluss von Agrartechnologie auf die Ernährungssituation gilt deswegen auch für Nicht-<br />

Nahrungspflanzen, wenn diese von Kleinbauern angebaut werden.<br />

Insbesondere in Indien gab es auch immer wieder <strong>Berichte</strong>, dass Bauern durch die Bt<br />

Technologie Verluste erlitten und in den Ruin getrieben wurden. Tatsächlich verbergen<br />

nationale Durchschnittswerte auftretende Variabilität in den Effekten. Die Technologie<br />

ist nicht für alle Standorte gleichermaßen geeignet, weil der Schädlingsbefall und auch<br />

andere Faktoren sich regional unterscheiden können. Tabelle 5 zeigt für Daten aus der Anbausaison<br />

2002/03, dass Bt Bauern im Staat Andhra Pradesh Gewinneinbußen hinnehmen<br />

mussten, während in den anderen Staaten deutliche Vorteile realisiert wurden. Unzufriedene<br />

Bauern stiegen im Folgejahr wieder auf konventionelles Saatgut um. Dies ist ein<br />

normaler Lernprozess, wie er auch für andere Technologien zu beobachten ist. Insgesamt<br />

zeigen die stark ansteigenden Adoptionsraten für Bt Baumwolle in Indien und anderen<br />

Entwicklungsländern aber, dass die Mehrzahl der Kleinbauern von der Technologie profitiert.<br />

Dennoch sind die Beispiele für die Nutzung gentechnisch veränderter Pflanzen im<br />

Kleinbauernsektor noch begrenzt. Um erwünschte Effekte auf breiterer Ebene zu erzielen,<br />

sollte die privat dominierte Forschung und Kommerzialisierung in diesem Bereich durch<br />

mehr öffentliche Anstrengungen ergänzt und erweitert werden.<br />

Tabelle 5. Effekte von Bt Baumwolle in vier Staaten Indiens (2002/03)<br />

Maharashtra Karnataka Tamil Nadu Andhra<br />

Pradesh<br />

Insektizideinsparung (%) 46 62 78 34<br />

Ertragsvorteil (%) 32 73 43 -3<br />

Gewinnzuwachs (US$/ha) 92 270 247 -69<br />

Quelle: (17)<br />

Die Prioritäten nur auf die Gentechnik oder auf andere spezielle Techniken der Züchtungsforschung<br />

zu setzen, wäre falsch. Züchtungsziele sollten im Vordergrund stehen,<br />

und für diese muss im Einzelfall geprüft werden, welche Methoden am effizientesten<br />

zur Erreichung beitragen können. Auch zeigen die Erfahrungen in Entwicklungsländern


208 Matin Qaim<br />

deutlich, dass Technologie alleine nicht ausreicht, um Entwicklung voranzutreiben. Pflanzenzüchtung<br />

sollte deswegen nicht als Wunderwaffe, sondern als ein wichtiger Bestandteil<br />

einer ländlichen Entwicklungsstrategie gesehen werden. Zusammen mit anderen Maßnahmen<br />

– wie ländliche Infrastruktur, Verbesserung von Marktinstitutionen, Gesundheitsprogramme<br />

und Ausbildung – können geeignete neue Pflanzensorten nicht nur Hunger und<br />

Armut bekämpfen, sondern auch gesamtwirtschaftliches Wachstum induzieren. Da in den<br />

meisten Entwicklungsländern die <strong>Landwirtschaft</strong> nach wie vor eine zentrale Rolle spielt,<br />

führen Einkommenssteigerungen im Kleinbauernsektor <strong>über</strong> Produktions- und Nachfrageverflechtungen<br />

auch zu signifikantem Wachstum in anderen Wirtschaftssektoren. Studien<br />

in verschiedenen Entwicklungsländern zeigen, dass jeder Dollar an Einkommenszuwachs,<br />

der durch Technologie im Kleinbauernsektor entsteht, ein bis zwei zusätzliche Dollar an<br />

Wachstum in anderen lokalen Sektoren nach sich zieht (3). Entsprechend hoch ist auch die<br />

soziale Verzinsung von Investitionen in die Züchtungsforschung, die <strong>über</strong> die vergangenen<br />

Jahrzehnte in Entwicklungsländern im Schnitt bei 40 – 60 % lag (2). Aufgrund der geringeren<br />

Bedeutung des Agrarsektors und dem höheren technologischen Ausgangsniveau ist<br />

die soziale Rentabilität in den Industrieländern etwas niedriger. Eine aktuelle Studie für<br />

Deutschland ergab für den Zeitraum 1980 – 2000 eine Verzinsung von 22 % (25), was aber<br />

immer noch deutlich <strong>über</strong> den Opportunitätskosten für Finanzressourcen liegt, und damit<br />

tendenziell eine Unterfinanzierung der Pflanzenzüchtung anzeigt. Dabei wurden positive<br />

Wirkungen deutscher Forschung in anderen Ländern noch nicht einmal berücksichtigt. Aus<br />

volkswirtschaftlicher Sicht sind also Investitionen in die Pflanzenzüchtung hochrentabel,<br />

insbesondere für Forschungsbereiche mit spezieller Relevanz für Entwicklungsländer.<br />

4 Züchtung auf wertsteigernde Pflanzeneigenschaften<br />

Neben dem Züchtungsziel der Ertragssteigerung oder der Verbesserung anderer agronomisch<br />

relevanter Pflanzeneigenschaften arbeiten Forscher auch daran, Nahrungsmittel<br />

qualitativ zu verbessern oder Pflanzen mit sonstigen wertsteigernden Eigenschaften auszustatten.<br />

Beispiele reichen von veränderten Nährstoffstrukturen, verbesserten Gesundheits-<br />

und Verarbeitungsmerkmalen, bis hin zur Produktion von Stoffen in der Pflanze für die<br />

pharmazeutische und industrielle Anwendung. An solchen wertsteigernden Eigenschaften<br />

wird sowohl mit Hilfe der Gentechnik als auch auf konventionellem Wege gearbeitet. Für<br />

die Welternährung erscheint vor allem die Züchtung auf erhöhte Mikronährstoffgehalte in<br />

Grundnahrungsmitteln interessant, denn der Mangel an speziellen Spurenelementen und<br />

Vitaminen in der menschlichen Ernährung ist noch weiter verbreitet als reiner Kalorienmangel.<br />

Weltweit leiden 3,7 Mrd. Menschen an Eisenmangel, 2,7 Mrd. an Zinkmangel,<br />

rund 2 Mrd. sind von Jodmangel betroffen, und 150 Mio. Menschen leiden an Vitamin<br />

A Mangel (1). Vor allem Frauen und Kinder aus armen Bevölkerungsschichten gehören<br />

zu den Risikogruppen. Da sich Mikronährstoffmangel nicht als Hungergefühl bemerkbar<br />

macht, spricht man in diesem Zusammenhang auch von so genanntem „verstecktem Hunger“.<br />

Die negativen Gesundheitsfolgen können gravierend sein. Sie reichen von Schwäche<br />

und erhöhter Infektionsanfälligkeit, <strong>über</strong> körperliche und geistige Entwicklungsstörungen,<br />

bis hin zu Erblindung sowie Kinder- und Müttersterblichkeit.<br />

Da eine Steigerung der Nahrungsmenge nicht unbedingt zur Lösung des Problems<br />

beiträgt, wurde lange Zeit angenommen, dass Agrarforschung in dieser Hinsicht keinen<br />

unmittelbaren Beitrag leisten kann. Vielmehr setzte man neben Initiativen zur Ernährungsdiversifizierung<br />

auf Nahrungsergänzung und industrielle Anreicherung von Lebensmitteln<br />

mit Mikronährstoffen. Inzwischen gibt es aber auch eine Reihe von Projekten der<br />

Züchtungsforschung, die sich mit speziell diesem Problem befassen. Das HarvestPlus<br />

Challenge Programm der internationalen Agrarforschungszentren hat in diesem Zusam-


Bedeutung der Pflanzenzüchtung für die Welternährung<br />

209<br />

menhang den Begriff „Biofortifizierung“ geprägt. Im HarvestPlus Programm wird mit<br />

Hilfe konventioneller Züchtungsmethoden daran gearbeitet, sechs Grundnahrungsmittelpflanzen<br />

(Reis, Weizen, Mais, Maniok, Süßkartoffeln und Bohnen) mit höheren Gehalten<br />

an Eisen, Zink und Provitamin A auszustatten. Das Africa Biofortified Sorghum Projekt<br />

hat ähnliche Ziele für Sorghum und verwendet sowohl konventionelle als auch gentechnische<br />

Methoden. Das Golden Rice Projekt, bei dem Reissorten auf gentechnischem Wege<br />

mit Provitamin A ausgestattet werden, ist vermutlich das in der Öffentlichkeit bekannteste<br />

Forschungsprogramm mit dieser Zielrichtung.<br />

Theoretisch liegt der Nutzen solch biofortifizierter Sorten auf der Hand: Wenn arme<br />

Menschen, die sich häufig nicht ausreichend höherwertige Nahrungsmittel leisten können,<br />

mikronährstoffreiche Grundnahrungsmittel konsumieren, reduziert dies den Mangel und<br />

führt zu positiven Ernährungs- und Gesundheitseffekten. Bisher befinden sich all diese<br />

Sorten aber noch im Stadium von Forschung und Entwicklung, sodass sich tatsächliche<br />

Effekte noch nicht in größerem Maßstab beobachten lassen. Innerhalb einer interdisziplinär<br />

zusammengesetzten Forschergruppe wurden deshalb Methoden entwickelt, um die<br />

Effekte biofortifizierter Pflanzen für die Zukunft zu simulieren (22; 26). Hierzu werden<br />

zunächst die derzeitigen Gesundheitskosten mikronährstoffmangelbedingter Krankheiten<br />

und Todesfälle erfasst und mit Hilfe eines speziellen Indexes quantifiziert. Der Index wird<br />

ausgedrückt in einem Gesamtverlust an gesunden Lebensjahren. Durch den zukünftigen<br />

Konsum biofortifizierter Sorten wird sich die Mikronährstoffaufnahme erhöhen, und die<br />

Gesundheitskosten werden sinken. Der Nutzen von Biofortifizierung ist dann die Einsparung<br />

eines bestimmten Teils der Gesundheitskosten.<br />

Diese Bewertungsmethode wurde für das Beispiel von biofortifiziertem Reis und Weizen<br />

in Indien angewendet (21). Abbildung 7 zeigt, dass derzeitig allein durch Eisenmangel<br />

in Indien jährlich ein Verlust von 4 Mio. gesunden Lebensjahren entsteht. Für Zink- und<br />

Vitamin A Mangel sind die Verluste ähnlich hoch. Mikronährstoffreiche Reis- und Weizensorten<br />

werden diese Gesundheitskosten nicht gänzlich beseitigen, aber sie könnten sie<br />

– unter optimistischen Annahmen hinsichtlich des zukünftigen Verbreitungsgrads – um<br />

mehr als 50 % reduzieren. Wenn man die Forschungs- und Entwicklungsausgaben in Relation<br />

zum Nutzen setzt, dann kostet es nur weniger als vier Dollar, um ein gesundes Lebensjahr<br />

durch Biofortifizierung zu retten. Entsprechend hoch ist auch die soziale Verzinsung<br />

der Investitionen, die je nach Mikronährstoff bei deutlich <strong>über</strong> 70 % liegt.<br />

Abb. 7. Gesundheitskosten von Mikronährstoffmangel in Indien mit und ohne Biofortifizierung<br />

Quelle: (21)


210 Matin Qaim<br />

Diese Zahlen verdeutlichen, dass nicht nur höhere Erträge, sondern auch die Züchtung<br />

auf wertsteigernde Pflanzeneigenschaften in effizienter Weise zur Verbesserung der Welternährung<br />

beitragen kann. Optimalerweise sollten beide Eigenschaften miteinander kombiniert<br />

werden, um eine weite Verbreitung zu gewährleisten. Biofortifizierte Sorten allein<br />

werden das Problem des versteckten Hungers nicht beseitigen, aber sie können andere<br />

Maßnahmen in sinnvoller Weise ergänzen. Insbesondere für entlegene ländliche Regionen<br />

könnte das Potenzial erheblich sein. Während der Erfolg anderer Mikronährstoffprogramme<br />

aufgrund der hohen institutionellen Kosten in solchen Gegenden <strong>über</strong>wiegend<br />

begrenzt ist, können biofortifizierte Sorten sich <strong>über</strong> informelle Saatgutkanäle verbreiten<br />

und von den Bauern selbst nachgebaut werden.<br />

5 Schlussfolgerungen<br />

In dynamischer Betrachtung ist der Hunger sowohl ein Produktions- als auch ein Verteilungsproblem.<br />

Pflanzenzüchtung sollte nicht als Allheilmittel betrachtet werden, aber<br />

dennoch ist ihr Beitrag zur Welternährungssicherung in der Vergangenheit beträchtlich<br />

gewesen, und auch in Zukunft wird Agrartechnologie eine wichtige Rolle in der Hungerbekämpfung<br />

spielen müssen. Züchtung kann die Produktion sowohl global als auch lokal<br />

weiter steigern und so die Nahrungsverfügbarkeit verbessern. Dieser Beitrag wird in der<br />

Öffentlichkeit weitgehend anerkannt. Weniger deutlich wird aber teilweise gesehen, dass<br />

Züchtung auch den Zugang zu Nahrung und damit die Verteilung maßgeblich verbessern<br />

kann. 50 % der weltweit Hungernden sind in Armut lebende Kleinbauern, die ihr Einkommen<br />

durch die Adoption geeigneter neuer Sorten enorm steigern können. Dies gilt<br />

sowohl für konventionelle als auch für gentechnisch veränderte Sorten, die auf die Bedürfnisse<br />

von Kleinbauern zugeschnitten sind. Auch Subsistenzbauern sind an züchterischen<br />

Innovationen interessiert, wenn die institutionellen Rahmenbedingungen stimmen. Einkommenssteigerungen<br />

im Kleinbauernsektor führen auch zu positiven Spillover-Effekten<br />

in anderen Sektoren, sodass gesamtwirtschaftliches Wachstum in Entwicklungsländern<br />

ausgelöst wird. Zunehmend arbeiten Züchter auch daran, Pflanzen mit wertsteigernden<br />

Merkmalen auszustatten, die zu positiven Gesundheitswirkungen führen können. Biofortifizierte<br />

Grundnahrungsmittel können beispielsweise zur Bekämpfung von Mikronährstoffmangel<br />

beitragen, der vor allem bei Frauen und Kindern weit verbreitet ist. Zahlreiche<br />

Studien belegen, dass sowohl die Züchtung auf agronomische als auch auf wertsteigernde<br />

Eigenschaften aus volkswirtschaftlicher Sicht hochrentabel ist. Trotzdem werden öffentliche<br />

Investitionen in Züchtungsforschung immer weiter zurück gefahren. Dieser Trend<br />

sollte gestoppt und umgekehrt werden. Eine Verdoppelung der entwicklungsorientierten<br />

Agrarforschungsausgaben könnte einen entscheidenden Schritt zur Erreichung der Millenniums-Entwicklungsziele<br />

bedeuten. Gleichzeitig ist aber auch der private Sektor aufgefordert,<br />

Entwicklungsländer stärker als Zielgruppe für Züchtungsforschung zu betrachten.<br />

Empirische Beispiele belegen, dass private Forschung ebenfalls zur Ernährungssicherung<br />

und zu nachhaltiger Entwicklung beitragen kann.<br />

Zusammenfassung<br />

Der Hunger ist sowohl ein Produktions- als auch ein Verteilungsproblem. Pflanzenzüchtung sollte<br />

nicht als Allheilmittel betrachtet werden, aber dennoch kann sie einen entscheidenden Beitrag zur<br />

Ernährungssicherung leisten. Vor dem Hintergrund einer weiter wachsenden Weltbevölkerung und<br />

knapper werdender natürlicher Ressourcen ist die Rolle der Pflanzenzüchtung für die Produktionssteigerung<br />

weitgehend anerkannt. Weniger deutlich wahrgenommen wird vielfach, dass Züchtung<br />

auch eine wesentliche Bedeutung zur Linderung des Verteilungsproblems zukommt. Ein Großteil<br />

der weltweit Hungernden lebt in ländlichen Regionen und ist dort direkt oder indirekt von der klein-


Bedeutung der Pflanzenzüchtung für die Welternährung<br />

211<br />

bäuerlichen <strong>Landwirtschaft</strong> abhängig. Geeignete neue Sorten – sowohl konventionelle als auch<br />

gentechnisch veränderte – können kleinbäuerliche Einkommen steigern, Armut reduzieren und gesamtwirtschaftliches<br />

Wachstum auslösen. Biofortifizierte Sorten können dar<strong>über</strong> hinaus Mikronährstoffmangel<br />

verringern, der speziell bei Frauen und Kindern weit verbreitet ist. Trotzdem werden<br />

öffentliche Investitionen in Züchtungsforschung immer weiter zurück gefahren. Dieser Trend sollte<br />

gestoppt und umgekehrt werden. Dar<strong>über</strong> hinaus sollte auch der private Sektor bestimmte Bereiche<br />

seiner Züchtungsforschung stärker auf die Belange von Entwicklungsländern ausrichten.<br />

Summary<br />

The Role of Plant Breeding for Global Food Security<br />

Hunger is both a problem of production and distribution. Plant breeding should not be regarded as<br />

a silver bullet, but its contribution to global food security can be substantial. Given the continued<br />

growth of the world population and an increasing scarcity of natural resources, the important role<br />

of plant breeding in increasing production is widely acknowledged. Less appreciated is the fact<br />

that plant breeding can also be instrumental in easing the distribution problem. The majority of<br />

the undernourished people worldwide lives in rural areas, where they directly or indirectly depend<br />

on small-scale farming. Suitable new crop varieties – both conventional and genetically modified<br />

ones – can increase small farm incomes, alleviate poverty, and stimulate economy-wide growth.<br />

Furthermore, biofortified crop varieties can reduce micronutrient deficiencies which are particularly<br />

widespread among women and children. These positive impacts notwithstanding, public investments<br />

into breeding research programs are being increasingly scaled down. This trend should be stopped<br />

and reversed. In addition, the private sector, too, should put a stronger emphasis on the interests of<br />

developing countries in specific fields of its breeding research.<br />

Résumé<br />

L’importance de la sélection végétale pour l’alimentation mondiale<br />

La faim est un problème de la production et de la distribution. La sélection végétale ne devrait pas<br />

être considérée en tant que panacée mais elle peut apporter une contribution capitale à la sécurité de<br />

l’approvisionnement alimentaire. Dans le contexte d’une population mondiale en croissance continue<br />

et de ressources naturelles qui commencent à manquer, le rôle de la sélection végétale pour augmenter<br />

la production est largement reconnu. Ce qui est souvent moins évident c’est que la sélection<br />

végétale est aussi d’une grande importance pour atténuer le problème de la distribution. La majorité<br />

des personnes qui souffrent de la faim vivent dans des régions rurales et dépendent directement ou<br />

indirectement de l’agriculture des petits paysans. De nouvelles variétés spécifiques – tant des variétés<br />

traditionnelles que des variétés génétiquement modifiées – peuvent faire augmenter les revenus<br />

des petits paysans, réduire la pauvreté et créer de la croissance économique générale. En plus, des<br />

variétés à valeur nutritionnelle améliorée (biofortification) permettent d’atténuer les carences en<br />

micronutriments très répandues notamment chez les femmes et les enfants. Malgré ces effets positifs,<br />

les investissements publics dans la recherche concernant la sélection végétale sont de plus en plus<br />

diminués. Cette tendance doit être arrêtée et inversée. En même temps, le secteur privé devraient<br />

mieux orienter certains domaines de sa sélection végétale aux besoins des pays en développement.<br />

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19. ramasWami, b.; pray, c. e.; kelley, t., 2002: Dissemination of Private Hybrids and Crop Yields in<br />

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20. sanchez, p. a.; sWaminathan, m. s., 2005: Cutting World Hunger in Half. Science 307, S. 357–359.<br />

21. stein, a. J., 2006: Micronutrient Malnutrition and the Impact of Modern Plant Breeding on Public<br />

Health in India: How Cost-Effective is Biofortification? Doktorarbeit, Universität Hohenheim, Stuttgart.<br />

22. –; meenakshi, J. v.; Qaim, m.; nestel, p.; sachdev, h. p.s.; bhUtta, z. a., 2005: Analyzing the Health<br />

Benefits of Biofortified Staple Crops by Means of the Disability-Adjusted Life Years Approach: A<br />

Handbook Focusing on Iron, Zinc and Vitamin A. HarvestPlus Technical Monograph Series 4, International<br />

Food Policy Research Institute, Washington, DC.<br />

23. strieWe, l., 2005: Persönliche Kommunikation. Toepfer International, Volkswirtschaftliche Abteilung,<br />

Hamburg.<br />

24. UN – United Nations, 2005: World Population Prospects: The 2004 Revision (Medium Variant). Population<br />

Division, New York.<br />

25. von Witzke, h.; Jechlitschka, k.; kirschke, d.; lotze-campen, h.; noleppa, S., 2004: Social Rate of<br />

Return to Plant Breeding Research in Germany. Agrarwirtschaft 53, S. 206–210.<br />

26. zimmermann, r.; stein, a.; Qaim, m., 2004: Agrartechnologie zur Bekämpfung von Mikronährstoffmangel?<br />

Ein gesundheitsökonomischer Bewertungsansatz. Agrarwirtschaft Bd. 53, Nr. 2, S. 67–76.<br />

Dank<br />

Dieser Artikel beruht auf einem Vortrag, den der Autor im November 2005 anlässlich der Jahrestagung<br />

der Gemeinschaft zur Förderung der privaten deutschen Pflanzenzüchtung e. V. (GFP) in<br />

Bonn gehalten hat. Die zugrunde liegende Forschungsarbeit wurde finanziell durch die Deutsche<br />

Forschungsgemeinschaft (DFG) unterstützt.<br />

Autorenanschrift: Prof. Dr. matin Qaim, Lehrstuhl für Internationalen Agrarhandel und Welternährungswirtschaft,<br />

Universität Hohenheim (490b), 70593 Stuttgart, Deutschland<br />

qaim@uni-hohenheim.de


Der Vorschlag für eine Richtlinie des Rates und<br />

Europäischen Parlaments <strong>über</strong> Dienstleistungen im<br />

Binnenmarkt vom 10. Januar 2005 –<br />

Rechtsfolgenabschätzung für das <strong>BMELV</strong><br />

Von thomas pFeiFFer, bUrkhard hess, boris schinkels, matthias Weller,<br />

dennis blechinger, steFFen ganninger und benJamin gündling, Heidelberg<br />

1 Untersuchungsgegenstand, -material und -struktur<br />

1.1 Untersuchungsgegenstand und Kerngehalte<br />

U.S. Copyright Clearance Center Code Statement: 0005-9080/06/8402-213 $ 2.50/0<br />

213<br />

Der nachfolgende Bericht gibt die wesentlichen Untersuchungsschritte und Ergebnisse<br />

der von Mai bis Dezember 2005 an der Universität Heidelberg im Auftrag des <strong>BMELV</strong>/<br />

BMVEL 1) – durchgeführten Untersuchung zu den „Auswirkungen der EU-Dienstleistungsrichtlinie<br />

auf die Regelungen im Geschäftsbereich des BMVEL“ wider. 2) Den<br />

konkreten Gegenstand der Untersuchung bildet der „Vorschlag für eine Richtlinie des<br />

Europäischen Parlaments und des Rates <strong>über</strong> Dienstleistungen im Binnenmarkt“, Ratsdokument<br />

Nr. 5161/05 vom 10. Januar 2005, nachfolgend DLRL-E (32). Die folgenden<br />

Ausführungen beziehen sich also nicht auf den geänderten Vorschlag der Kommision vom<br />

4. April 2006, KOM 2006/160 endg., <strong>über</strong> den am 29. Mai 2006 die politische Einigung<br />

erzielt wurde. Zwischen beiden Entwürfen bestehen substantielle Unterschiede; insbesondere<br />

sieht Art. 16 des Ratsdokuments ein Herkunftslandprinzip vor, während Art. 16 des<br />

Kommissionsdokuments einen Katalog verbotener Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit<br />

aufweist.<br />

Ausgehend von der Erörterung grundsätzlicher Fragen (nachfolgend 2.) galt es, die<br />

zivilrechtlichen (unter 3.) und öffentlich-rechtlichen Implikationen des DLRL-E (dazu 4.),<br />

zu eruieren, wobei vielfach auf Wunsch des BMVEL Einzelaspekte vertieft untersucht<br />

wurden.<br />

Im privatrechtlichen Teil des Gutachtens waren dies etwa das Lauterkeitsrecht sowie<br />

die Ausnahme vom Herkunftslandprinzip in Art. 17 Nr. 21 DLRL-E. Bei der Untersuchung<br />

der öffentlich-rechtlichen Konsequenzen der Richtlinie wurden vertieft die Referenzbereiche<br />

des Tierschutzrechts und des Pflanzenschutzrechts untersucht. Besondere Beachtung<br />

fanden daneben das Lebensmittelrecht und ausgewählte Bereiche des Gesetzes zur<br />

Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (IfSG).<br />

Im Hinblick auf die Verwaltungspraxis lag ein weiterer Schwerpunkt der Untersuchungen<br />

in der Darstellung der durch die Richtlinie besonders betroffenen Thematik der<br />

Amtshilfe. Schließlich wurden in Reaktion auf die Rückmeldung zum Zwischenbericht<br />

vertiefte Überlegungen zur grundsätzlichen Vereinbarkeit des Herkunftslandprinzips mit<br />

Art. 50 III EG-Vertrag angestellt und in den allgemeinen Teil des Gutachtens integriert.<br />

1.2 Material<br />

Neben dem als Ausgangspunkt und Untersuchungsgrundlage dienenden Ratsdokument<br />

konnten sowohl Entwicklungen in den Organen der Europäischen Union als auch den<br />

nationalen deutschen (Rechtssetzungs-)Organen berücksichtigt werden. Hierzu gehören<br />

insbesondere die Stellungnahme des Ausschusses der Regionen (1) und die Stellungnahme


214 T. Pfeiffer, B. Hess, B. Schinkels, M. Weller, D. Blechinger, S. Ganninger und B. Gündling<br />

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses der Gemeinschaften (52), ferner<br />

das Wortprotokoll der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Verbraucherschutz, Ernährung<br />

und <strong>Landwirtschaft</strong> des Deutschen Bundestags am 30. Mai 2005 (11). Hinzu<br />

kommen zahlreiche Stellungnahmen von nationalen und internationalen Gewerkschaften,<br />

Verbänden und sonstigen Einrichtungen (vgl. insbesondere 3).<br />

1.3 Problemstellung und Untersuchungsstruktur<br />

Den Ausgangspunkt der Untersuchungen markierte der Geschäftsbereich des BMVEL.<br />

Weichenstellend war hierbei, dass das BMVEL die Querschnittsaufgabe des Verbraucherschutzes<br />

fachgebiets<strong>über</strong>greifend verfolgt (vgl. 4). So gehen die Bundesregierung und mit<br />

ihr das BMVEL von einem doppelten Ansatz aus, um ihrer Verantwortung für den Verbraucherschutz<br />

gerecht zu werden:<br />

Zum einen ist es Aufgabe des BMVEL, den Schutz der wirtschaftlichen Interessen der<br />

Verbraucher zu gewährleisten. Dieser wird <strong>über</strong>wiegend durch zivilrechtliche Regelungen<br />

<strong>über</strong> die Anbahnung, den Abschluss und die Erfüllung von Verbraucherverträgen <strong>über</strong> Waren<br />

und Dienstleistungen sowie die Durchsetzung von Ansprüchen sichergestellt, wobei<br />

dem Schutz des Verbrauchers vor unlauteren Wettbewerbsmethoden besondere Bedeutung<br />

zukommt. Den Verbrauchern soll eine eigenverantwortliche und effektive Durchsetzung<br />

ihrer Interessen möglich sein. Beim Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher<br />

ist somit das Privatrecht im Kernbereich betroffen (nachfolgend sub 3.).<br />

Zum anderen geht es darum, den Schutz von Gesundheit, Sicherheit und Umwelt für<br />

die Verbraucher sicherzustellen, sog. vorsorgender, gesundheitlicher Verbraucherschutz.<br />

Angesichts des DLRL-E stellt sich insbesondere die Frage, inwieweit es in diesem Bereich<br />

bei den im europäischen Vergleich oft hohen öffentlich-rechtlichen materiellen Standards<br />

und restriktiven Zulassungs- und Kontrollverfahren bleiben kann. Aus verwaltungspraktischer<br />

Sicht berührt der Richtlinienvorschlag hier in vielerlei Weise Fragen des allgemeinen<br />

Verwaltungsverfahrensrechts (nachfolgend 4.).<br />

2 Grundsatzfragen zum DLRL-E<br />

Um die Auswirkungen des DLRL-E auf das private und öffentliche Recht durchdringen<br />

zu können, mussten zunächst grundlegende Fragen der inhaltlichen Konzeption und Systematik<br />

der geplanten Richtlinie geklärt werden:<br />

2.1 Europäisch-autonome Regelungsperspektive und Auslegungsmethodik<br />

Ausgehend von der sog. Lissabon-Strategie (28, S. 84) will die Kommission durch den<br />

DLRL-E einen grundlegenden Beitrag zur Verwirklichung der Dienstleistungsfreiheit leisten<br />

(51, S. 1211). Im Bereich der Niederlassungsfreiheit sollen Verwaltungsverfahren,<br />

welche den grenz<strong>über</strong>schreitenden Dienstleistungsverkehr bremsen könnten, vereinfacht<br />

werden. Für den Dienstleistungsverkehr im Binnenmarkt ohne Niederlassung im Zielstaat<br />

soll ein weitreichendes Herkunftslandprinzip Hemmnisse, die aus der Grenz<strong>über</strong>schreitung<br />

resultieren, abbauen (26, S. 577; 31, S. 8 ff.; 5, S. 12 ff. und 51, S. 1210).<br />

Auf supranationaler Ebene stehen für den europäischen Normgeber hierbei funktionale<br />

Erwägungen, insbesondere eine möglichst tiefe Binnenmarktintegration und, als Mittel<br />

hierzu, die Effektivität des Gemeinschaftsrechts („effet utile“) im Vordergrund (10, unter<br />

B.I., Rn. 56 und 58). Die gerade für das deutsche Recht sowie andere kontinentaleuropäische<br />

Rechtsordnungen prägende, je nach Mitgliedstaat aber sehr unterschiedlich<br />

verlaufende Trennung zwischen öffentlichem und privatem Recht bzw. die sich daran


EU-Dienstleistungsrichtlinie – Rechtsfolgenabschätzung<br />

215<br />

anschließende Zuordnung zur privaten oder öffentlichen Teilrechtsordnung spielt keine<br />

entscheidende Rolle (18, Bd. III., RL 93/13/EWG, Vorbem., Rn. 20). Bei dem Vorschlag<br />

für die Dienstleistungsrichtlinie tritt diese Regelungsperspektive besonders deutlich zu<br />

Tage: Während der Richtliniengeber auf supranationaler Ebene ein aus seiner funktionalen<br />

Sicht heraus einheitliches Instrument zum Abbau von Binnenmarkthemmnissen zu modellieren<br />

sucht, ist aus nationaler Sicht eine Vielzahl von Gesetzen betroffen, die wie im<br />

Falle der Querschnittsaufgabe Verbraucherschutz teils dem öffentlichen, teils dem privaten<br />

Recht zuzuordnen sind. Aus nationaler Sicht berührt der DLRL-E Fragen des privaten<br />

Vertragsrechts ebenso wie solche des Verwaltungsverfahrens und durchzieht so praktisch<br />

die ganze Rechtsordnung.<br />

Bezeichnend spricht die Kommission von einer „Rahmenrichtlinie“ (24, S. 9 ff.). Ziel<br />

ist es, den Dienstleistungssektor möglichst umfassend zu regeln (39, S. 238). „Durch<br />

die Richtlinie soll ein allgemeiner Rechtsrahmen geschaffen werden, der, von einigen<br />

Ausnahmen abgesehen, für alle Dienstleistungstätigkeiten gilt. Ein horizontaler Ansatz<br />

ist deshalb gerechtfertigt, weil […] die rechtlichen Schranken, die einem wirklichen Binnenmarkt<br />

für Dienstleistungen im Wege stehen, oft zahlreiche unterschiedliche Tätigkeitsbereiche<br />

gleichzeitig betreffen und viele gemeinsame Merkmale besitzen.“ (24, S. 9). Es<br />

sollen nicht detaillierte Regelungen festgelegt bzw. die Gesamtheit der Vorschriften der<br />

Mitgliedstaaten für den Dienstleistungssektor harmonisiert werden. Denn dies würde zu<br />

einer Überregulierung und zur Uniformierung der nationalen Regulierungssysteme für den<br />

Dienstleistungssektor führen. Entsprechend dem Rahmencharakter werden nur die Fragen<br />

behandelt, die für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes für Dienstleistungen<br />

wesentlich sind, wobei solchen Regelungen der Vorzug gegeben wird, die eine gezielte<br />

Harmonisierung genau definierter Punkte bewirken bzw. die eindeutige Zielvorgaben festlegen,<br />

ohne die konkrete Art der Regelung zu deren Erreichung vorzuschreiben.<br />

Rechtlich erweist sich der Rahmencharakter <strong>über</strong>all dort als problematisch, wo an<br />

zentralen Stellen unbestimmte Rechtsbegriffe verwandt werden.<br />

So findet sich beispielsweise in Art. 5 II 1 DLRL-E die Pflicht zur Anerkennung solcher<br />

Dokumente eines anderen Mitgliedstaates, die eine „gleichwertige Funktion“ haben.<br />

Von praktisch entscheidender Bedeutung ist zudem die Auslegung der Ausnahmen<br />

vom Herkunftslandprinzip. So kann es zum Schutz bestimmter Allgemeininteressen nach<br />

Art. 17 Nr. 16 DLRL-E entgegen dem Herkunftslandprinzip bei Anwendung einzelner nationaler<br />

Regelungen des Zielstaates bleiben. Voraussetzung ist, dass dies zum Schutz der<br />

genannten Rechtsgüter „gerechtfertigt“ ist. Art. 17 Nr. 17 DLRL-E lässt Ausnahmen zu,<br />

wenn sie der Vermeidung lokaler „Risiken“ dienen und diese „zur Aufrechterhaltung der<br />

öffentlichen Ordnung (...) unerlässlich“ sind.<br />

Bei der Auslegung europäischer Rechtsakte kann nicht schlicht auf die aus dem nationalen<br />

Recht bekannten Auslegungsmethoden (dazu 27, S. 320 ff.) zurückgegriffen werden.<br />

Als EG-Norm ist die geplante Richtlinie dem internationalen Einheitsrecht zuzuordnen<br />

und unterliegt besonderen Auslegungsgrundsätzen. Da sie Ziele weitgehend nur durch<br />

Rahmenvorgaben umschreibt, ist sie als Internationales Einheits-Rahmenrecht zu qualifizieren<br />

(grundlegend 25, S. 1 und 291). Die allgemeinen methodischen Grundlagen der<br />

Rechtsauslegung gelten in den besonderen Ausprägungen, die es bei allen Regelungen des<br />

internationalen Einheitsrechts im Allgemeinen und des EG-Rechts im Besonderen zu beachten<br />

gilt (18, Bd. III, RL 93/13/EWG, Vorbem., Rn. 19). Insbesondere ist dem Gedanken<br />

der Einheit der Europäischen Rechtsordnung Rechung zu tragen (10, Bd. I, B. I, Rn. 53).<br />

Als autonome Rechtsordnung verfolgt sie selbständige Ziele und Systemgedanken, deren<br />

Eigencharakter es zu berücksichtigen gilt. Hinsichtlich Wortlaut, Entstehungsgeschichte,<br />

Systematik und Teleologie sind daher die Grundsätze einer europäisch-autonomen Auslegung<br />

zu beachten (statt aller 10, Bd. I, B. I, Rn. 5 ff. und 18, Bd. III, RL 93/13/EWG,<br />

Vorbem., Rn. 20).


216 T. Pfeiffer, B. Hess, B. Schinkels, M. Weller, D. Blechinger, S. Ganninger und B. Gündling<br />

2.2 Das Herkunftslandprinzip nach Art. 16 DLRL-E<br />

– Regelungsgehalt und Diskussionspunkte<br />

In der Debatte um die Dienstleistungsrichtlinie wurde die Einführung eines umfassenden<br />

Herkunftslandprinzips (HLP) durch Art. 16 I DLRL-E (43, S. 407) am intensivsten diskutiert.<br />

Dabei stellt sich die Frage, ob dieses <strong>über</strong>haupt primärrechtlich mit Art. 50 III a.<br />

E. EGV vereinbar ist.<br />

Vorläufer des HLP finden sich in der E-Commerce-Richtlinie (näher 20, S. 484; 30,<br />

S. 385) und der Rechtsprechung des EuGH zur Warenverkehrsfreiheit (dazu 28, S. 86; 40,<br />

S. 888 ff.; 51, S. 1212).<br />

Nach der hier zugrunde gelegten Konzeption der Richtlinie in der Fassung des Ratsdokuments<br />

bildet das HLP das „Herzstück“ (31, S. 9) der Richtlinie:<br />

Art. 16 I DLRL-E verweist für die auf Dienstleistungstätigkeiten ohne Niederlassung<br />

im Bestimmungsland anzuwendenden Rechtsvorschriften auf diejenigen des Herkunftslands.<br />

Das Herkunftslandprinzip ist wohl nicht nur der inhaltlich zentrale Steuerungsmechanismus<br />

der geplanten Richtlinie, sondern zugleich auch Kristallisationspunkt für Kritik:<br />

Abgelehnt wurde insbesondere die Erstreckung des Herkunftslandprinzips auch auf die<br />

privatrechtlichen Rechtsbeziehungen. Hier solle es bei den Regelungen des Internationalen<br />

Privatrechts, konkret der Rom-II-Verordnung 3) bleiben (eingehend zur Problematik<br />

unter 2, S. 423; 20, S. 484 oder 30, S. 395).<br />

Weiter wird befürchtet, dass das Herkunftslandprinzip zu einem „radikalen Unterbietungswettlauf“<br />

um die niedrigsten Qualitäts- und Sicherheitsstandards, etwa im Umwelt-,<br />

Tierschutz- oder Gesundheitsschutzbereich, führen wird (siehe 31, S. 10; 40, S. 888 oder<br />

51, S. 1210).<br />

Soweit jeder Dienstleister sein eigenes Rechtssystem in Ausschnitten „mitbringt“,<br />

könnte dies dazu führen, dass auf gleich gelagerte Sachverhalte je nach Beteiligten ein<br />

„Patchwork“ von bis zu 25 Rechtsordnungen gleichzeitig Anwendung findet (28, S. 83 ff.;<br />

vgl. auch 40, S. 888). Jedenfalls so lange die Niveaus des sozialen Schutzes, des Verbraucher-<br />

und Umweltschutzes sowie die Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union so<br />

unterschiedlich seien, drohe eine aus Sicht der Verbraucher rechtsstaatlich problematische<br />

Rechtsunsicherheit (31, S. 10).<br />

Nachhaltige Kritik erfährt Art. 16 II DLRL-E, wonach auch für die Kontrolle der Standards<br />

grundsätzlich das Herkunftsland zuständig ist. Vor allem aufgrund der räumlichen<br />

Distanz und der Finanzschwäche der Beitrittsstaaten sei ein effektiver Vollzug kaum möglich<br />

(40, S. 888 f.).<br />

Teilweise wird ganz grundsätzlich in Frage gestellt, ob der EG zur Einführung eines<br />

derart weitreichenden Herkunftslandprinzips eine Kompetenz laut dem EG-Vertrag zusteht<br />

(vgl. 31, S. 10).<br />

2.3 Primärrechtskonformität – Vereinbarkeit insbesondere des<br />

Herkunftslandprinzips mit Art. 50 III EG-Vertrag<br />

Nach Art. 50 III a.E. EG-Vertrag kann der Leistende „[…] zwecks Erbringung seiner Leistungen<br />

seine Tätigkeit vor<strong>über</strong>gehend in dem Staat ausüben, in dem die Leistung erbracht<br />

wird, und zwar unter den Voraussetzungen, welcher dieser Staat für seine eigenen Angehörigen<br />

vorschreibt.“<br />

Entgegen dem HLP des Art. 16 I DLRL-E scheint das Primärrecht damit für grenz<strong>über</strong>schreitende<br />

Dienstleistungen gar ein „Bestimmungslandprinzip“ zu statuieren; ein<br />

Widerspruch?


EU-Dienstleistungsrichtlinie – Rechtsfolgenabschätzung<br />

217<br />

Bei sorgfältiger Berücksichtigung des Telos von Art. 50 III EG-Vertrag entpuppt sich<br />

die Frage als Scheinproblem: Art. 50 EG-Vertrag stellt u. a. den Anwendungsbereich der<br />

Grundfreiheit des freien Dienstleistungsverkehrs dar. Er will eine Verwirklichung der<br />

Dienstleistungsfreiheit sicherstellen und verbietet zu diesem Zweck im Anwendungsbereich<br />

der Dienstleistungsfreiheit direkte und indirekte Diskriminierungen sowie Beschränkungen<br />

(18, Bd. I, Art. 49/50 EG-Vertrag, Rn. 54). Damit sollen Benachteiligungen von<br />

ausländischen Dienstleistungsanbietern im europäischen Ausland verhindert werden. In<br />

diese Richtung äußerte sich auch der EuGH, der Art. 50 III a.E. EG-Vertrag als ein Diskriminierungsverbot<br />

betrachtet, darin aber keine Verpflichtung zur Anwendung sämtlicher<br />

nationaler Rechte erblickt (vgl. 13). Es soll also eine Diskriminierung durch das Recht<br />

des Bestimmungslandes vermieden, nicht aber die Anwendung des für den Dienstleister<br />

günstigen Rechtes des Herkunftslandes verboten werden. Ein Konflikt zwischen Art. 50<br />

III EG-Vertrag und Art. 16 I DLRL-E besteht mithin nicht.<br />

2.4 Systematik des DLRL-E<br />

Die geplante Dienstleistungsrichtlinie erfasst nicht generell alle Formen des Erbringens<br />

von Dienstleistungen. Vielmehr muss zwischen Dienstleistungen, die in Ausübung der<br />

Niederlassungsfreiheit i. S.d. EG-Vertrags und Dienstleistungen, die in Ausübung der<br />

Dienstleistungsfreiheit i. S.d. EG-Vertrags erbracht werden, unterschieden werden. Die<br />

unterschiedlichen Kapitel des DLRL-E nehmen teils nur die Niederlassungsfreiheit, teils<br />

nur die Dienstleistungsfreiheit und manchmal beide Grundfreiheiten in Bezug:<br />

Kapitel I Beide Formen des Erbringens von Dienstleistungen<br />

Kapitel II Dienstleistungen in Ausübung der Niederlassungsfreiheit<br />

i. S.d. EG-Vertrags<br />

Kapitel III Dienstleistungen in Ausübung der Dienstleistungsfreiheit<br />

i. S.d. EG-Vertrags<br />

Kapitel IV Beide Formen des Erbringens von Dienstleistungen<br />

Kapitel V Dienstleistungen in Ausübung der Dienstleistungsfreiheit<br />

i. S.d. EG-Vertrags<br />

Kapitel VI bis VII Beide Formen des Erbringens von Dienstleistungen<br />

Diese systematischen Zäsuren sind bei der Auslegung und Anwendung der Bestimmungen<br />

der unterschiedlichen Kapitel jeweils sorgsam zu beachten.<br />

2.5 Dienstleistungsbegriff des Vorschlags<br />

Der Dienstleistungsbegriff der geplanten Richtlinie entspricht im Wesentlichen dem des<br />

Art. 50 EG-Vertrag (eingehend dazu 18, Bd. I, Art. 49/50 EG-Vertrag, Rn. 24 und 44,<br />

Art. 50 EG-Vertrag, Rn. 5). Allerdings ist sorgsam darauf zu achten, ob im jeweiligen Fall<br />

Ausnahmen, wie sie der Entwurf etwa in Art. 2 I DLRL-E statuiert, greifen. Zudem ist,<br />

wie eben unter 2.4 ausgeführt, zu beachten, dass der Entwurf an vielen Stellen auf die Niederlassungsfreiheit<br />

Bezug nimmt, der Dienstleister also dauerhaft im Bestimmungsland<br />

niedergelassen sein muss. Insoweit ist auf Systematik und Begrifflichkeit des EG-Vertrags<br />

zur Niederlassungsfreiheit zurückzugreifen.


218 T. Pfeiffer, B. Hess, B. Schinkels, M. Weller, D. Blechinger, S. Ganninger und B. Gündling<br />

3 Privatrechtliche Auswirkungen des DLRL-E<br />

Mögliche privatrechtliche Auswirkungen der geplanten Dienstleistungsrichtlinie sind für<br />

den Geschäftsbereich des BMVEL vor dem Hintergrund von besonderer Bedeutung, dass<br />

die Querschnittsaufgabe Verbraucherschutz neben dem sog. vorsorgenden Gesundheitsschutz<br />

auch den Schutz der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher umfasst. Dieser<br />

wird gerade durch das Privatrecht gewährleistet.<br />

3.1 Die wesentlichen, von dem Vorschlag berührten verbraucherschützenden<br />

Vorschriften des deutschen Privatrechts<br />

Die geplante Dienstleistungsrichtlinie kann nur auf solche verbraucherschützenden Vorschriften<br />

des deutschen Privatrechts Auswirkungen haben, die Regelungen <strong>über</strong> „Dienstleistungen“<br />

im Sinne der Richtlinie enthalten und die vom Anwendungsbereich des DLRL-<br />

E nicht schon generell ausdrücklich ausgeschlossen sind (vgl. zum Dienstleistungsbegriff<br />

nach dem DLRL-E ausführlich oben unter 2.5). So findet die Richtlinie nach Art. 2 II lit.<br />

a DLRL-E keine Anwendung auf „Bankdienstleistungen sowie Dienstleistungen im Zusammenhang<br />

mit einer Kreditgewährung, Versicherung, betrieblichen oder individuellen<br />

Altersversorgung, Geldanlage oder Zahlung“. Erwägungsgrund 9 ergänzt dies dahingehend,<br />

dass vom Ausschluss „jede“ Bankdienstleistung und „jede“ Dienstleistung im oben<br />

genannten Zusammenhang erfasst wird. Vor diesem Hintergrund sind die bedeutenden<br />

Verbraucherschutzvorschriften in den §§ 491 ff. BGB und 499 ff. BGB <strong>über</strong> Verbraucherkreditverträge,<br />

Finanzierungshilfen und Ratenlieferungsverträge von dem Ausschluss<br />

in Art. 2 II lit. a DLRL-E erfasst, sodass die geplante Dienstleistungsrichtlinie auf diese<br />

Arten von Dienstleistungen keine Anwendung finden würde. Ferner werden die in den<br />

§§ 474 – 479 BGB enthaltenen besonderen Vorschriften zum Verbrauchsgüterkauf durch<br />

den DLRL-E nicht berührt. Denn Gegenstand des Verbrauchsgüterkaufs ist nach § 474<br />

BGB eine bewegliche Sache, im Vordergrund steht also ein körperlicher Gegenstand.<br />

Demgegen<strong>über</strong> bezieht sich der im DLRL-E zugrunde gelegte Dienstleistungsbegriff der<br />

Richtlinie in Anlehnung an die primärrechtliche Dienstleistungsfreiheit auf den Austausch<br />

nicht-körperlicher Leistungen, es steht also die „Zur-Verfügung-Stellung“ von Fähigkeiten<br />

im Vordergrund. Zwar werden bei grenz<strong>über</strong>schreitenden Sachkäufen die körperlichen<br />

Gegenstände auch <strong>über</strong> die Grenze verbracht, dieses nichtkörperliche Dienstleistungselement<br />

stellt jedoch nur eine Begleiterscheinung neben der Ware an sich dar (46, Art. 49<br />

EG-Vertrag, Rn. 25).<br />

Dennoch verbleiben wesentliche Verbraucherschutzvorschriften des deutschen Rechts,<br />

die vom Anwendungsbereich des DLRL-E erfasst werden. Insbesondere das Lauterkeitsrecht<br />

und das Verbrauchervertragsrecht – das Deliktsrecht und das Recht der verbrauchervertraglichen<br />

Verbandsklagen sollen an dieser Stelle ausgeblendet werden – verdienen<br />

herausragende Beachtung. Die (kollektiv) verbraucherschützende Funktion des deutschen<br />

Lauterkeitsrechts – geregelt im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) – wird<br />

bereits in § 1 UWG deutlich, wonach das Gesetz neben den Interessen der Allgemeinheit<br />

an einem unverfälschten Wettbewerb insbesondere dem „Schutz der Mitbewerber, der<br />

Verbraucherinnen und Verbraucher sowie der sonstigen Marktteilnehmer vor unlauterem<br />

Wettbewerb“ dient (sog. Schutzzwecktrias). Dass das UWG Wettbewerbshandlungen zugunsten<br />

von allen Arten von Dienstleistungen erfasst, wird schon aus § 2 Nr. 1 UWG deutlich,<br />

der den Kernbegriff des UWG, „Wettbewerbshandlung“, definiert als „jede Handlung<br />

einer Person mit dem Ziel, zugunsten des eigenen oder eines fremden Unternehmens den<br />

Absatz oder den Bezug von Waren oder die Erbringung oder den Bezug von Dienstleistungen<br />

[…] zu fördern“. Im Verbrauchervertragsrecht stechen insbesondere die Vorschriften


EU-Dienstleistungsrichtlinie – Rechtsfolgenabschätzung<br />

219<br />

<strong>über</strong> allgemeine Geschäftsbedingungen und vorformulierte Vertragsklauseln in den §§ 305<br />

– 310 BGB, die §§ 312b – 312f BGB <strong>über</strong> Verträge im Fernabsatz (einschließlich E-Commerce)<br />

sowie die Bestimmungen <strong>über</strong> Haustürgeschäfte (§§ 312 – 312a BGB) hervor, die<br />

ebenfalls in den Anwendungsbereich des Richtlinienentwurfs fallen.<br />

3.2 Der rechtliche Gehalt des Herkunftslandprinzips<br />

aus privatrechtlicher Sicht<br />

Art. 16 I DLRL-E verweist auf die „Bestimmungen des Herkunftsmitgliedstaates“, denen<br />

die Dienstleistungserbringer lediglich unterstehen sollen. Hier stellt sich aus privatrechtlicher<br />

Sicht die grundlegende Frage, ob die Regelung als Kollisionsvorschrift zu qualifizieren<br />

ist oder vielmehr sachrechtlich eingeordnet werden muss. Der DLRL-E bleibt<br />

hinsichtlich der Natur des Herkunftslandprinzips in Art. 16 I DLRL-E vage und steht damit<br />

in Tradition zur E-Commerce-Richtlinie 2000/31/EG, die in Art. 3 I, II das Herkunftslandprinzip<br />

statuiert. Während sich nach zutreffendem Verständnis der Richtliniengeber<br />

in der E-Commerce-Richtlinie bewusst gegen einen kollisionsrechtlichen Gehalt und für<br />

ein sachrechtliches Konzept des Herkunftslandprinzips entschieden hat (17, § 12, Rn. 11,<br />

m. w. N.), sprechen beim DLRL-E insbesondere Wortlaut und Systematik für ein kollisionsrechtliches<br />

Verständnis des Herkunftslandprinzips. So heißt es in Art. 16 DLRL-E, dass<br />

die Dienstleistungserbringer den „Bestimmungen“ ihres Herkunftsmitgliedstaats unterstehen.<br />

Die Vorschrift ist somit als einseitige Kollisionsnorm mit Anknüpfungsgegenstand<br />

(Erbringung von Dienstleistungen als Dienstleistungserbringer i. S.d. Norm) und Anknüpfungsmoment<br />

(Bestimmungen ihres Herkunftsmitgliedstaates) formuliert. Klargestellt wird<br />

das kollisionsrechtliche Verständnis des Richtliniengebers vom Herkunftslandprinzip der<br />

geplanten Dienstleistungsrichtlinie in Erwägungsgrund 40a, der ausdrücklich auf die „Instrumente<br />

des Internationalen Privatrechts“ Bezug nimmt. Als Kollisionsregel bestimmt<br />

das Herkunftslandprinzip also das im Einzelfall anwendbare Recht zugunsten des Rechts<br />

des Herkunftsmitgliedstaats. Es ist dabei von einer Sachnormverweisung auszugehen; die<br />

Bestimmungen des Internationalen Privatrechts des Herkunftsmitgliedstaats werden von<br />

dem Verweis also nicht erfasst. Denn anderenfalls müssten sich Dienstleistungserbringer<br />

wie -empfänger zunächst mit dem Kollisionsrecht des Herkunftsmitgliedstaates und<br />

dann unter Umständen mit dem Sachrecht eines anderen Mitgliedstaats auseinandersetzen,<br />

wodurch das erklärte Ziel der Richtlinie (Rechtssicherheit, Einsparung von Rechtsermittlungskosten)<br />

vereitelt würde.<br />

3.3 Auswirkungen des Vorschlags auf das Lauterkeitsrecht<br />

Analysiert man die Auswirkungen des DLRL-E, so ist stets zu berücksichtigen, dass die<br />

geplante Dienstleistungsrichtlinie im Hinblick auf die Grundfreiheiten des EG-Vertrags<br />

zwei „Modalitäten von Dienstleistungen“ erfasst. Entsprechend der Systematik des Entwurfes<br />

(oben sub 2.4) lassen sich Dienstleistungen in Ausübung der Niederlassungsfreiheit<br />

und Dienstleistungen in Ausübung der Dienstleistungsfreiheit unterscheiden. Da der<br />

DLRL-E für beide Modalitäten von Dienstleistungen unterschiedliche Regelungen enthält,<br />

ergeben sich auch unterschiedliche Auswirkungen.<br />

Im Hinblick auf das Lauterkeitsrecht sieht der Entwurf für Dienstleistungen, die von<br />

einer Niederlassung im Empfangsmitgliedstaat erbracht werden, in Art. 15 II lit. g und<br />

h DLRL-E sachrechtliche Wettbewerbsvorschriften vor. Nach Art. 15 DLRL-E müssen<br />

die Mitgliedstaaten ihre Rechtsordnungen dahingehend <strong>über</strong>prüfen, ob an die Aufnahme<br />

oder Ausübung einer Dienstleistung Anforderungen gestellt werden, die mit den Kriterien<br />

des Art. 15 III DLRL-E – Diskriminierungsverbot, Notwendigkeit, Verhältnismäßigkeit<br />

– vereinbar sind. Zu diesen zu prüfenden Anforderungen an die Aufnahme oder Ausübung


220 T. Pfeiffer, B. Hess, B. Schinkels, M. Weller, D. Blechinger, S. Ganninger und B. Gündling<br />

einer Dienstleistungstätigkeit gehören auch Vorschriften <strong>über</strong> „die Beachtung von festgelegten<br />

Mindest- und /oder Höchstpreisen durch den Dienstleistungserbringer“ (Art. 15<br />

II lit. g DLRL-E) und „Verbote und Verpflichtungen im Hinblick auf den Verkauf unter<br />

dem Einstandspreis und Sonderverkäufe“ (Art. 15 II lit. h DLRL-E). Das reformierte<br />

deutsche UWG entspricht bereits heute diesen Anforderungen. Zwar erwähnt es in § 4<br />

Nr. 4 Verkaufsförderungsmaßnahmen wie Preisnachlässe, Zugaben oder Geschenke. Diese<br />

sind jedoch nicht per se verboten. Vielmehr liegt eine unlautere Wettbewerbsmethode nur<br />

dann vor, wenn die Bedingungen für ihre Inanspruchnahme nicht klar und eindeutig angegeben<br />

sind. Dies betrifft nicht die Regelungen in Art. 15 II lit. g, h DLRL-E. Auch § 5<br />

IV UWG wird von den wettbewerbsrechtlichen Vorschriften des DLRL-E nicht erfasst.<br />

Denn danach ist die Werbung mit der Herabsetzung eines Preises nur dann regelmäßig<br />

irreführend und damit unlauter, „sofern der Preis nur für eine unangemessen kurze Zeit<br />

gefordert worden ist“. Problematisch könnten die Bestimmungen des DLRL-E jedoch<br />

hinsichtlich grenz<strong>über</strong>schreitender Dienstleistungen in Ausübung der primärrechtlichen<br />

Dienstleistungsfreiheit sein. Der DLRL-E enthält für diese Modalität von Dienstleistungen<br />

zwar keine sachrechtlichen Vorschriften, setzt jedoch mit dem Herkunftslandprinzip<br />

als Kollisionsregel einen Schritt vorher an, indem dieses bei vor<strong>über</strong>gehenden grenz<strong>über</strong>schreitenden<br />

Dienstleistungen im Grundsatz stets zur Anwendung des Rechts des<br />

Herkunftsmitgliedstaates führt. Das Lauterkeitsrecht wird vom Herkunftslandprinzip in<br />

Art. 16 I DLRL-E erfasst. Dies wird schon daraus deutlich, dass Art. 16 I 2 DLRL-E<br />

ausdrücklich die nationalen Bestimmungen zur „Werbung“ erwähnt. Die Beurteilung der<br />

rechtlichen Zulässigkeit von Werbemaßnahmen ist jedoch gerade originäre Aufgabe des<br />

Lauterkeitsrechts. Überlegenswert wäre allenfalls, durch eine extensive Auslegung der<br />

in Art. 17 Nr. 21 DLRL-E statuierten Ausnahme vom Herkunftslandprinzip die Anwendung<br />

ausländischen Lauterkeitsrechts zu vermeiden. Nach dieser Vorschrift findet das<br />

Herkunftslandprinzip grds. keine Anwendung auf die von Verbrauchern geschlossenen<br />

Verträge. Vor diesem Hintergrund könnte man argumentieren, die vom UWG erfassten<br />

Wettbewerbshandlungen sollen nach der Legaldefinition in § 2 Nr. 1 UWG unter anderem<br />

die Erbringung und den Bezug von Dienstleistungen fördern, sind also gerade auf den Abschluss<br />

eines Vertrags gerichtet. Letztlich ist dies jedoch abzulehnen. Denn für die Frage,<br />

ob eine Wettbewerbshandlung „unlauter“ im Sinne des Lauterkeitsrechts ist, kommt es<br />

<strong>über</strong>haupt nicht auf einen späteren Vertragsschluss an. Die Beurteilung der Unlauterkeit<br />

einer Wettbewerbshandlung ist einem möglichen Vertragsschluss zeitlich vorgelagert.<br />

Mit anderen Worten: Eine nach dem Lauterkeitsrecht unlautere Wettbewerbshandlung ist<br />

schon dann unlauter, wenn es noch gar nicht zu einem Vertragsschluss gekommen ist.<br />

Auch die Anwendung der generalklauselartig formulierten Ausnahme vom Herkunftslandprinzip<br />

in Art. 17 Nr. 16 DLRL-E scheidet aus. Denn Art. 17 Nr. 16 DLRL-E, der eine<br />

Rechtfertigungsmöglichkeit für im Empfangsmitgliedstaat verbotene Dienstleistungen<br />

„aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit“ vorsieht, ist auf<br />

generelle Verbote beschränkt, wie sich aus Erwägungsgrund 42 ergibt. Das UWG verbietet<br />

jedoch nicht generell die Ausübung bestimmter Dienstleistungstätigkeiten. Vielmehr werden<br />

nur bestimmte Wettbewerbshandlungen untersagt. Mangels einschlägiger Ausnahmen<br />

bleibt es dabei: das Lauterkeitsrecht wird umfassend vom Herkunftslandprinzip erfasst.<br />

Dies bedeutet, dass Wettbewerbshandlungen von Unternehmern, die vom EG-Ausland<br />

aus ihre Dienstleistungen vor<strong>über</strong>gehend in Deutschland erbringen, nicht nach dem UWG<br />

beurteilt werden, das <strong>über</strong>haupt nicht zur Anwendung gelangt. Vielmehr führt das Herkunftslandprinzip<br />

zur Anwendung des ausländischen Lauterkeitsrechts.


EU-Dienstleistungsrichtlinie – Rechtsfolgenabschätzung<br />

3.4 Auswirkungen des Vorschlags auf Verbraucherschutzgesetze<br />

im Vertragsrecht<br />

221<br />

Die meisten deutschen Verbraucherschutzgesetze aus dem Vertragsrecht werden – wie<br />

oben gezeigt – im Grundsatz vom Anwendungsbereich der Richtlinie erfasst. Im Hinblick<br />

auf Dienstleistungen, die von einer deutschen Niederlassung im deutschen Markt, also in<br />

Ausübung der primärrechtlichen Niederlassungsfreiheit erbracht werden, könnten sich aus<br />

Art. 26 I lit. f und g DLRL-E Auswirkungen auf das deutsche Verbrauchervertragsrecht,<br />

namentlich auf das Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen ergeben. Danach sind<br />

die Dienstleistungserbringer verpflichtet, den Dienstleistungsempfängern Informationen<br />

<strong>über</strong> die „gegebenenfalls […] verwendeten allgemeinen Geschäftsbedingungen und Generalklauseln“<br />

(lit. f) und „die Vertragsklauseln <strong>über</strong> das auf den Vertrag anzuwendende<br />

Recht und/oder den Gerichtsstand“ (lit. g) zur Verfügung zu stellen. Art. 26 II und IV<br />

DLRL-E bestimmen dann konkret, auf welche Weise diese Informationspflichten erfüllt<br />

werden können. Angesichts dieser ausführlichen Bestimmungen <strong>über</strong> die Mitteilung allgemeiner<br />

Geschäftsbedingungen stellt sich die Frage, ob damit die Einbeziehung allgemeiner<br />

Geschäftsbedingungen im Dienstleistungsrecht eine abschließende Normierung<br />

gefunden hat. Die deutschen Vorschriften in den §§ 305 ff. BGB <strong>über</strong> die Einbeziehung<br />

solcher Vertragsklauseln wären dann durch die in deutsches Recht umgesetzten Richtlinienbestimmungen<br />

ausgeschlossen. Einer solchen Sichtweise muss jedoch entgegen<br />

gehalten werden, dass sich die in Art. 26 DLRL-E statuierten Informationspflichten der<br />

Dienstleistungserbringer qualitativ von den Voraussetzungen der Einbeziehung von AGB<br />

unterscheiden und parallel – ohne gegenseitige Einflüsse – neben diesen stehen. Die Einhaltung<br />

der Informationspflichten ist zur Einbeziehung in den Vertrag weder erforderlich<br />

noch ausreichend. Entscheidend spricht hierfür die unterschiedliche Schutzrichtung der<br />

Vorschriften <strong>über</strong> Informationspflichten und der Regelungen des AGB-Rechts. Die AGBrechtlichen<br />

Vorschriften wollen sicherstellen, dass der Vertragspartner des Verwenders<br />

Kenntnis vom konkreten Inhalt des Vertrags, also vom vertraglichen Pflichtenprogramm,<br />

erhält bzw. vor unangemessen benachteiligenden Klauseln geschützt wird. Demgegen<strong>über</strong><br />

sollen die besonderen Informationspflichten die Willensbildung und Rechtsverfolgung<br />

durch den Verbraucher erleichtern, knüpfen also im Vorfeld des bzw. im Anschluss<br />

an den eigentlichen Vertragsschluss an (19, S. 1155). Damit bleibt eine Anwendung der<br />

deutschen Vorschriften des AGB-Rechts und insbesondere der Einbeziehungsvoraussetzungen<br />

in § 305 II BGB neben den Bestimmungen in Art. 26 DLRL-E uneingeschränkt<br />

möglich, das deutsche Verbrauchervertragsrecht wird insoweit also vom DLRL-E nicht<br />

berührt.<br />

Angemerkt sei jedoch an dieser Stelle, dass der Entwurf neben zahlreichen Informationspflichten<br />

der Dienstleistungserbringer (etwa Art. 26, 27 II, 28 I und 30 III DLRL-E)<br />

u. a. auch ein Diskriminierungsverbot (Art. 21 DLRL-E) und die Pflicht zum Abschluss<br />

von Berufshaftpflichtversicherungen vorsieht (Art. 27 DLRL-E). Zwar steht es dem deutschen<br />

Gesetzgeber in den Grenzen von Art. 10 EG-Vertrag frei, wie er diese Vorschriften<br />

in nationales Recht umsetzt. Denkbar ist hier sowohl eine strafrechtliche als auch eine öffentlich-rechtliche<br />

oder zivilrechtliche Umsetzung. Gerade hinsichtlich der Informationspflichten<br />

bietet sich jedoch eine zivilrechtliche Umsetzung in der BGB-Infoverordnung<br />

an. Auf diese Weise könnte eine Kongruenz zu der bisherigen Umsetzung von Richtlinien<br />

des Verbrauchervertragsrechts erreicht werden.<br />

Im Hinblick auf grenz<strong>über</strong>schreitende Dienstleistungen in Ausübung der primärrechtlichen<br />

Dienstleistungsfreiheit führt das Herkunftslandprinzip als Kollisionsregel im<br />

Grundsatz zur Anwendung ausländischen Vertragsrechts. Schon in Art. 16 I DLRL-E, der<br />

ausdrücklich die „Verträge“ als vom Herkunftslandprinzip erfasst nennt, wird deutlich,<br />

dass sowohl die vertraglichen Primärpflichten als auch die vertragliche Sekundärhaftung,


222 T. Pfeiffer, B. Hess, B. Schinkels, M. Weller, D. Blechinger, S. Ganninger und B. Gündling<br />

insbesondere einschließlich der Gewährleistung, vom Herkunftslandprinzip erfasst werden<br />

(vgl. 38, S. 245). Allerdings stellt Art. 17 Nr. 20 DLRL-E als Ausdruck der Parteiautonomie<br />

klar, dass im Falle einer Rechtswahl das Herkunftslandprinzip auf den Vertrag keine<br />

Anwendung findet. Im Hinblick auf das Verbrauchervertragsrecht besonders bedeutsam<br />

ist die Ausnahme in Art. 17 Nr. 21 DLRL-E. Danach ist die Anwendung des Herkunftslandprinzips<br />

auf „von Verbrauchern geschlossene Verträge ausgeschlossen, sofern die auf<br />

diese Verträge anwendbaren Bestimmungen auf Gemeinschaftsebene nicht vollständig<br />

harmonisiert sind“. In diesen Fällen bestimmt sich das anwendbare Recht somit nicht<br />

nach dem Herkunftsmitgliedstaat. Vielmehr – stellt Erwägungsgrund 40a klar – ist das<br />

anwendbare Recht „gemäß den Instrumenten des Internationalen Privatrechts“ zu bestimmen,<br />

also durch das Übereinkommen von Rom und insbesondere durch dessen verbraucherschützenden<br />

Art. 5 EVÜ (Art. 29 EGBGB). Dennoch verbleibt in der Anwendung der<br />

Ausnahme des Art. 17 Nr. 21 DLRL-E insbesondere die Frage, ob auch die vorvertragliche<br />

Haftung bei Verbraucherverträgen – früher durch das Rechtsinstitut der culpa in contrahendo<br />

(c.i.c.) erfasst, heute durch §§ 280 I, 311 II, III BGB – unter Art. 17 Nr. 21 DLRL-E<br />

fällt, d. h. ob sich auch das auf die vorvertragliche Haftung anwendbare Recht bei Verbraucherverträgen<br />

nicht nach dem Herkunftslandprinzip bestimmt. Dagegen spricht, dass die<br />

Norm nur die von Verbrauchern „geschlossenen Verträge“ vom Anwendungsbereich des<br />

Herkunftslandprinzips ausnimmt. Dies legt es nahe, die zeitlich vor dem Vertragsschluss,<br />

also vor dem geschlossenen Vertrag, anknüpfende vorvertragliche Haftung als nicht von<br />

der Ausnahme erfasst anzusehen. Dies entspräche auch der Rechtsprechung des EuGH<br />

zu der Frage der internationalen (Entscheidungs-) Zuständigkeit nach der EuGVÜ. In<br />

der Rechtssache Tacconi hat der EuGH die vorvertragliche Haftung – es ging um den<br />

Abbruch von Vertragsverhandlungen – pauschal als deliktisch qualifiziert und unter Art. 5<br />

Nr. 3 EuGVÜ (entspricht i.W. Art 5 Nr. 3 EuGVVO) subsumiert (vgl. 12). Außerdem ist zu<br />

berücksichtigen, dass die vorvertragliche Haftung in Form der c.i.c. und damit als vertragliche<br />

Haftung in den Rechtsordnungen zahlreicher Mitgliedstaaten der EU unbekannt ist<br />

– dort werden die in Deutschland unter die c.i.c. subsumierten Fälle regelmäßig nach Deliktsrecht<br />

gelöst. Würde man nun die vorvertragliche Haftung gemeinschaftsweit unter die<br />

Ausnahme vom Herkunftslandprinzip für Verbraucherverträge subsumieren, so würde dies<br />

für diese Staaten letztlich bedeuten, dass sie ihre vorvertragliche Haftung – obwohl der<br />

Rechtsnatur im Sinne ihrer nationalen Dogmatik nach deliktisch – unter die vertragliche<br />

Haftung in Art. 17 Nr. 21 DLRL-E subsumieren müssten. Dies würde dem angestrebten<br />

Ziel einer allmählichen Harmonisierung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen zuwiderlaufen.<br />

Aus einer gemeinschaftsrechtlichen Sicht, die bei der Auslegung der Richtlinie<br />

als Gemeinschaftsrechtsakt geboten ist, erscheint es daher <strong>über</strong>zeugend, die vorvertragliche<br />

Haftung der außervertraglichen deliktischen Haftung zuzuordnen. Die c.i.c. fällt<br />

damit nicht unter die Ausnahme für Verbraucherverträge in Art. 17 Nr. 21 DLRL-E.<br />

Zusammenfassend lässt sich damit im Hinblick auf Art. 17 Nr. 21 DLRL-E sagen, dass<br />

bei Verbraucherverträgen derzeit alle mit dem Vertrag in Verbindung stehenden Rechtsfragen<br />

– mit Ausnahme wohl der vorvertraglichen Haftung – grundsätzlich nicht vom Herkunftslandprinzip<br />

erfasst werden. Maßgeblich ist vielmehr die nach den allgemeinen Kollisionsvorschriften<br />

in den Art. 27 ff. EGBGB zu bestimmende Rechtsordnung. Allerdings findet<br />

das Herkunftslandprinzip in Bereichen Anwendung, in denen die auf Verbraucher anwendbaren<br />

Bestimmungen in Minimal- und Maximalstandards harmonisiert sind. Bei den hier zu<br />

untersuchenden Verbraucherschutzgesetzen des Vertragsrechts ist dies zwar noch nicht der<br />

Fall. Die den deutschen Verbraucherschutzvorschriften des Vertragsrechts zugrunde liegenden<br />

Richtlinien schreiben stets nur eine Mindestharmonisierung vor, die Statuierung eines<br />

höheren Schutzstandards bleibt den Mitgliedstaaten <strong>über</strong>lassen. Allerdings gibt es derzeit<br />

ernste Bestrebungen der Kommission, ein kohärentes europäisches Vertragsrecht, also eine<br />

Harmonisierung in Minimal- und Maximalstandards – zu schaffen.


EU-Dienstleistungsrichtlinie – Rechtsfolgenabschätzung<br />

3.5 Verbraucherschutzrechtliche Bewertung<br />

223<br />

Bei Dienstleistungen in Ausübung der Niederlassungsfreiheit, die also von einer deutschen<br />

Niederlassung aus im deutschen Markt erbracht werden, sind durch die Richtlinie<br />

nur geringe Modifikationen im Privatrecht zu erwarten. Der Entwurf zur Richtlinie begegnet<br />

insoweit auch keinen verbraucherrechtlichen Bedenken. Weitaus problematischer<br />

sind die Auswirkungen auf Dienstleistungen in Ausübung der Dienstleistungsfreiheit zu<br />

beurteilen. Das Herkunftslandprinzip wird bei grenz<strong>über</strong>schreitenden, vor<strong>über</strong>gehenden<br />

Dienstleistungen im deutschen Markt regelmäßig – im Verbrauchervertragsrecht jedenfalls<br />

in Zukunft – zur Anwendung ausländischen Privatrechts führen. Zwar ist im Lauterkeitsrecht<br />

und eben im Verbrauchervertragsrecht eine zunehmende Harmonisierung<br />

der Rechtsvorschriften im Gange bzw. geplant, so dass die Verbraucherschutzstandards<br />

grds. in der EU identisch sein werden. Die Gefahr unterschiedlicher Schutzniveaus in<br />

den einzelnen Mitgliedstaaten und eines System- oder Institutionenwettbewerbs um die<br />

niedrigsten Verbraucherschutzstandards besteht also nicht in gleichem Maße wie etwa im<br />

Deliktsrecht und im Recht der verbrauchervertraglichen Verbandsklagen, wo keine oder<br />

allenfalls mindestharmonisierende Regelungen bestehen. Dennoch werden die Verbraucher<br />

mit Kosten und Mühen zur Ermittlung des konkreten ausländischen Rechts belastet<br />

sein. Außerdem wird das neue Konzept der Vollharmonisierung bei Richtlinien insbesondere<br />

im Verbrauchervertragsrecht zu erheblichen, bislang nur in Umrissen absehbaren<br />

Schwierigkeiten bei der Umsetzung ins nationale deutsche Recht führen. Denn notwendige<br />

rechtliche Folge des Konzeptes der Vollharmonisierung als Harmonisierung in Minimal-<br />

und Maximalstandards ist es ja, dass die Mitgliedstaaten keine <strong>über</strong> das Schutzniveau<br />

der Richtlinie hinausgehenden Schutzvorschriften zugunsten der Verbraucher erlassen<br />

dürfen. Dieser Aussagegehalt des Vollharmonisierungskonzepts ist jedoch nur auf den<br />

ersten Blick eindeutig – bei näherer Betrachtung ergeben sich erhebliche Schwierigkeiten.<br />

Denn es bleibt offen, wie weit der abschließende Charakter von Vorschriften in zukünftig<br />

vollharmonisierenden Richtlinien reicht. Insbesondere ist völlig unklar, ob zukünftig<br />

eine Bestimmung in einer vollharmonisierenden Richtlinie dazu führt, dass generell etwa<br />

strengere nationale Beweisregeln, Widerrufsfristen oder Formvorschriften für die Ausübung<br />

des Widerrufsrechts unzulässig sind. Für die Fristen hinsichtlich der Ausübung<br />

eines verbraucherschützenden Widerrufs – ein vielfach genutztes Rechtsinstrument im<br />

europäischen Verbrauchervertragsrecht – hätte dies etwa erhebliche Auswirkungen auf die<br />

deutsche Vorschrift in § 355 BGB, die pauschal für alle Arten von Verbraucherwiderrufen<br />

die Frist auf höchstem Niveau harmonisiert hat. Sie wäre dann bei Überschreitung der in<br />

der Richtlinie angegebenen Frist richtlinienwidrig (ausführlich 37, S. 109).<br />

In Anschauung des Privatrechts ergibt sich damit für das Herkunftslandprinzip die<br />

Bewertung, dass es teils – nämlich dort, wo die Anbieterinteressen den Vorrang verdienen<br />

und nach geltendem Internationalem Privatrecht bereits genießen – <strong>über</strong>flüssig ist, teils als<br />

Fremdkörper wirkt. Als generelles und weitgehend pauschal wirkendes Anknüpfungsprinzip<br />

ist es zur sachgerechten Bewältigung kollisionsrechtlicher Interessenkonflikte wenig<br />

tauglich. Als generelles Prinzip sollte es im Privatrecht ausscheiden.<br />

4 Auswirkungen des DLRL-E auf das öffentliche Recht<br />

Die Auswirkungen auf das öffentliche Recht wurden ausgehend von der systematischen<br />

Zäsur zwischen Regelungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensrechts und Regeln<br />

des Besonderen Verwaltungsrechts untersucht.<br />

Inhaltlicher Schwerpunkt der Untersuchungen zum Allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht<br />

bildet die Verwaltungspraxis nach dem Bundesverwaltungsverfahrensgesetz


224 T. Pfeiffer, B. Hess, B. Schinkels, M. Weller, D. Blechinger, S. Ganninger und B. Gündling<br />

(BVwVfG) im Lichte der Vorgaben des Entwurfes. Besondere Beachtung fand dabei der<br />

praktisch voraussichtlich besonders bedeutsame Themenkomplex der grenz<strong>über</strong>schreitenden<br />

Amtshilfe.<br />

Die Untersuchung der Normen des Besonderen Verwaltungsrechts im Geschäftsbereich<br />

des BMVEL erfolgte untergliedert nach ausgewählten thematischen Referenzbereichen.<br />

Ausgehend von den Wünschen des BMVEL lag der Schwerpunkt der Untersuchungen in<br />

den Referenzbereichen Tierschutzrecht, Pflanzenschutzrecht, Lebensmittelrecht und dem<br />

Recht zum Schutz vor Infektionskrankheiten.<br />

4.1 Allgemeines Verwaltungsrecht: Auswirkungen auf Verwaltungsverfahren<br />

nach dem Verwaltungsverfahrensgesetz<br />

Entgegen den Assoziationen zu ihrem Namen und entgegen den politischen Diskussionen<br />

zieht der Entwurf der Dienstleistungsrichtlinie auch weitreichende Auswirkungen für das<br />

allgemeine Verwaltungsrecht nach sich.<br />

Schon die Gliederung benennt mit den Überschriften „Amtshilfe“, „Einheitlicher Ansprechpartner“<br />

oder „elektronische Verfahrensabwicklung“ Rechtsfiguren, die ihrer Bezeichnung<br />

und ihrer herkömmlichen Systematik nach dem Verwaltungsrecht zuzuordnen<br />

sind. Disharmonien der geplanten Dienstleistungsrichtlinie zum geltenden Verwaltungsrecht<br />

ergeben sich dabei vornehmlich in solchen Rechtsbereichen, in denen die aufgezählten<br />

Figuren ebenso wie die übrigen verwaltungsrechtlichen Anordnungen des DLRL-E<br />

dem bestehenden Recht zuwiderlaufende Anordnungen treffen. Zur Illustration dessen<br />

sollen nachfolgend anhand ausgewählter Normen die Divergenzen zwischen den diesbezüglichen<br />

Vorgaben des DLRL-E und den Anordnungen des allgemeinen Verwaltungsrechts<br />

aufgezeigt werden.<br />

Die in diesem Zusammenhang einschlägigen Normen finden sich im BVwVfG. Denn<br />

das für den Untersuchungsgegenstand dieses Aufsatzes maßgebliche BMVEL ist als Bundesbehörde<br />

im Rahmen seiner Entscheidungsfindung, seiner Entscheidungskundgabe und<br />

seiner verwaltungsinternen Abläufe an dieses Gesetz gebunden. Nur dann, wenn die Anordnungen<br />

des DLRL-E mit diesem Gesetz disharmonieren, ergeben sich für das Ministerium<br />

zumindest notwendige Änderungen an tradierten Entscheidungsmechanismen, die<br />

gegebenenfalls zu positivrechtlichen Veränderungen führen können; insbesondere die zu<br />

jenem Thema bisher ergangenen wissenschaftlichen Stimmen sehen in diesem Bereich<br />

einen großen Kodifikationsbedarf, der zu einer grundsätzlichen Neuausrichtung des deutschen<br />

Verwaltungsverfahrensrechts führen werde (40, S. 887).<br />

Ergänzend sei an dieser Stelle noch hinzugefügt, dass sich Auswirkungen auf die Verwaltungspraxis<br />

des BMVEL und damit auf das der Verwaltungspraxis zugrunde liegende<br />

BVwVfG unabhängig von der Art der Umsetzung der Richtlinienvorgaben innerhalb des<br />

deutschen Rechts ergeben, weil die in diesen Bereichen sehr konkreten Vorgaben jedenfalls<br />

Eingang in das deutsche Recht finden und damit jedenfalls verbindlich werden.<br />

4.1.1.1 Grundsätzliche Bedeutung<br />

4.1.1 Amtshilfe<br />

Beginnen soll die folgende Darstellung der sich widersprechenden Regelungen des<br />

BVwVfG und der geplanten Richtlinie mit einigen Überlegungen zur Amtshilfe. Diese<br />

kann dahingehend als exemplarisch betrachtet werden, dass sie sowohl eine national<br />

ausdifferenziert kodifizierte Rechtsfigur darstellt, sie aber gleichzeitig im Entwurf zur<br />

Dienstleistungsrichtlinie konkrete, umfassend neue Regelungsaspekte erfährt. Die gleiche<br />

Ausgangslage findet sich in Ansehung des BVwVfGes und des DLRL-E auch bei anderen<br />

verwaltungsrechtlichen Instituten, jedoch nicht in einer derartigen Regelungsdichte.


EU-Dienstleistungsrichtlinie – Rechtsfolgenabschätzung<br />

225<br />

Dar<strong>über</strong> hinaus hat die Amtshilfe historisch den Grundsatz der Einheit der Verwaltung<br />

erst herausgebildet, indem sie zu einheitlichen Stellungnahmen der Behörden gegen<strong>über</strong><br />

dem Bürger führte (23, Vor § 4, Rz. 2). Es ist demnach zu erwarten und von der Richtlinie<br />

wohl auch intendiert, dass durch europaweit einheitliche Regelungen zur Amtshilfe dieselbe<br />

den Weg zu einer gesamteuropäischen Informations- und Handlungseinheit weist<br />

(dazu grundlegend 50, passim). Insoweit gibt der DLRL-E vielleicht – es mag dies einer<br />

seiner wesentlichen, in der Öffentlichkeit kaum diskutierten Kerne sein – ergänzend zum<br />

Verfassungsvertrag, den Weg zu einem einheitlichen europäischen Verwaltungsrecht vor.<br />

Die geplante Richtlinie würde dann dem Artikel III – 285 EU-Verfassung gerecht, der<br />

die Verwaltungszusammenarbeit zwischen den jeweiligen nationalen Behörden auf eine<br />

verfassungsvertragliche Grundlage stellt, um so ihre Wichtigkeit widerzuspiegeln.<br />

4.1.1.2 Ausgangslage<br />

Bereits das bestehende Gemeinschaftsrecht kennt so genannte Netzwerke als wesentliche<br />

Bestandteile eines sich herausbildenden Verwaltungskooperationsrechts, bei dem Hoheitsträger<br />

verschiedenere Staaten vertikal (gegen<strong>über</strong> den EG-Verwaltungsstellen) und horizontal<br />

(untereinander) zusammenarbeiten (41, Kapitel 7, Rn. 18; 47, S. 78 ff.).<br />

Die dabei entstehende, sich zunehmend verdichtende Kooperation wird durch elektronische<br />

Kommunikations- und Zusammenarbeitsmedien noch begünstigt. Daneben will<br />

man nach dem Entwurf ein eigenes, neues Regelungswerk stellen, das Amtshilfevorgänge<br />

und Netzwerkverbindungen verdichtet, systematisiert und letztlich in ein (dogmatisches)<br />

Regelungssystem <strong>über</strong>führt. Dazu kodifiziert der Richtliniengeber in Artikel 35 I DLRL-E<br />

die Zusammenarbeit von Behörden zum Zwecke der „Kontrolle der Dienstleistungserbringer<br />

und ihrer Dienstleistungen“, wobei diese Anordnung vornehmlich an Dienstleistungserbringer<br />

gerichtet ist, die die Dienstleistungsfreiheit in Anspruch nehmen, denn<br />

nur in dieser Konstellation unterliegen Anbieter dem Rechtsregime ihres Herkunftslandes<br />

und dieser Herkunftsstaat ist auf Informationen aus dem Bestimmungsstaat angewiesen.<br />

Schon aus diesem ersten Zusammenhang wird deutlich, dass die grenz<strong>über</strong>schreitenden<br />

Amtshilferegelungen durch den EG-Gesetzgeber eine Notwendigkeit darstellen, die sich<br />

aus der Umsetzung der geplanten Dienstleistungsrichtlinie selbst ergibt – das Herkunftslandprinzip<br />

kann allein für rechtlich gesicherte Standards sorgen, wenn es sich auf eine<br />

effektive und schnelle Amtshilfe stützen kann.<br />

4.1.1.3 Einzelne Widersprüche zu geltenden Normen des BVwVfGes<br />

Beispielhaft sollen nachfolgend einige Regelungswidersprüche aufgezeigt werden, die<br />

durch unterschiedliche rechtliche Vorgehensweise (z. B. Auslegung oder Neukodifikation)<br />

zu bewältigen sind.<br />

●<br />

Behördenbegriff<br />

Gemäß §§ 4 i. V. m. 1 IV kennt das BVwVfG allein Amtshilfe zwischen deutschen<br />

Bundesbehörden; nur diese unterfallen dem dort genannten Behördenbegriff. Allerdings<br />

können auch die amtshilfetechnisch zu erlangenden Auskünfte ausländischer<br />

Behörden unmittelbare Auswirkungen auf Verfahrenspositionen von Beteiligten haben,<br />

wenn beispielsweise die Stellung des Antragsstellers als juristische Person in<br />

seinem Heimatland für Konzessionen betreffend seine Dienstleistungstätigkeit innerhalb<br />

Deutschlands zwingend vorgeschrieben ist. Die erteilte ausländische Auskunft<br />

mit ihrer unmittelbar verfahrensgestaltenden Wirkung muss deshalb als behördliche<br />

Tätigkeit begriffen werden. Es wäre in einem zusammenwachsenden, mobilitätsorientierten<br />

Europa, das zeitgemäßer rechtlicher Ausgestaltung bedarf, sinnwidrig, die auf<br />

die aufgezeigte Weise zumindest mittelbar nach außen tätigen ausländischen Behörden<br />

nicht als beteiligungsfähig nach § 11 BVwVfG anzusehen. Schließlich kann der so<br />

ermittelte Behördenbegriff des § 11 BVwVfG nicht anders zu verstehen sein als derje-


226 T. Pfeiffer, B. Hess, B. Schinkels, M. Weller, D. Blechinger, S. Ganninger und B. Gündling<br />

●<br />

nige der §§ 1 IV, 4 und 9 – nur diese Auslegung kann als richtlinienkonform betrachtet<br />

werden, weil nur sie die Anwendung von Amtshilferegeln auf denkbare europäische<br />

Amtshilfekonstellationen ermöglicht.<br />

Die Kehrseite dessen stellen ausländische Anfragen um Amtshilfe dar, die nach dem<br />

Herkunftslandprinzip für die Kontrolle in Deutschland tätiger ausländischer Dienstleistungsanbieter<br />

notwendig werden können. Aufgrund fehlender anderer Anhaltspunkte<br />

kann für eine mögliche Auskunftspflicht gegen<strong>über</strong> ausländischen Behörden<br />

nur auf die geltende höchstrichterliche Rechtsprechung Bezug genommen werden, die<br />

Auskunftspflichten allein aus dem Recht der ersuchten Behörde ableitet (6, S. 467).<br />

Das deutsche Recht verlangt dar<strong>über</strong> hinaus in § 4 i. V. m. § 1 IV BVwVfG, dass es<br />

sich bei der ersuchenden Behörde um eine „andere Behörde“ handelt. Zwar ergibt sich<br />

nicht bereits aus einer Analogie zu der vorstehend geschilderten Konstellation, dass<br />

ersuchende ausländische Behörden als andere Behörden i. S.d. BVwVfGes angesehen<br />

werden können, weil die denkbaren Sachverhaltskonstellationen zu unterschiedlich<br />

sein können und bereits im geltenden Verwaltungsverfahrensrecht unterschiedliche Regelungen<br />

erfahren haben. Jedoch lässt sich eine Nichtdiskriminierung ausländischer<br />

Dienstleistungsanbieter (Art. 12 i. V. m. 10 EG-Vertrag) nur dann verwirklichen, wenn<br />

die jeweiligen nationalen Behörden so schnell und effektiv zusammenarbeiten, wie es<br />

bereits derzeit innerhalb der Nationalstaaten der Fall ist. Nur in dieser letztgenannten<br />

Auslegung sind die Markteintrittschancen im gesamten Binnenmarkt denen der jeweiligen<br />

nationalen Märkte vergleichbar. Deshalb ist eine um Amtshilfe ersuchende ausländische<br />

Behörde durch richtlinienkonforme Auslegung des § 4 BVwVfG als „andere<br />

Behörde“ eben dieser Norm zu betrachten, ebenso wie es nach obigen Ausführungen<br />

die um Amtshilfe ersuchten ausländischen Behörden sind.<br />

Insgesamt formt die Richtlinie in der Fassung des DLRL-E einen erweiterten Behördenkreis,<br />

der alle national unterschiedlichen Behörden umfasst, und schreibt innerhalb<br />

dessen Amtshilfe verbindlich vor, um die Dienstleistungsfreiheit zu verwirklichen.<br />

Darauf haben sich deutsche Behörden einzustellen.<br />

Zulässigkeitsvoraussetzung, Erschwernisgrund, Aufsichtsbehörde<br />

Nach dem Wortlaut, „die Mitgliedsstaaten leisten einander Amtshilfe“, wird die Leistung<br />

von Amtshilfe durch die ersuchte Behörde an keine Bedingungen geknüpft. Zwar<br />

knüpft das BVwVfG in § 5 die Amtshilfeleistung an Voraussetzungen; eine generalklauselartige<br />

Voraussetzung darunter ist aber der so genannte „Erschwernisgrund“. Amtshilfe<br />

kann danach zulässig geleistet werden, wenn eigene Auskünfte der ersuchenden<br />

Behörde nur mit wesentlich größerem Aufwand möglich sind als eigene Tätigkeiten<br />

der ersuchenden Behörde (vgl. den Wortlaut des § 5 I Nr. 5 VwVfG: „die Amtshandlung<br />

nur mit wesentlich größerem Aufwand vornehmen könnte als die ersuchte Behörde“).<br />

Dieser Aufwand wird bei innerhalb<br />

Deutschlands tätigen ausländischen Dienstleistungsanbietern für die Behörden deren<br />

Heimatlandes regelmäßig zu bejahen sein, weshalb in diesem Bereich trotz der Statuierung<br />

von Voraussetzungen materiell keine anpassungsbedürftigen Widersprüche zu<br />

finden sind.<br />

Anders verhält es sich bei denkbaren Konstellationen von divergierenden Auffassungen<br />

<strong>über</strong> die rechtliche Zulässigkeit von Amtshilfetätigkeiten zwischen ersuchender und ersuchter<br />

Behörde. Während das geltende deutsche Recht in § 5 V BVwVfG in derartigen<br />

Widersprüchen die gemeinsam fachlich zuständige Aufsichtsbehörde zur Entscheidung<br />

beruft, sind im Richtlinienvorschlag keine diesbezüglichen Anordnungen vorgesehen.<br />

Auch das geltende europäische Recht kennt keine gemeinsam zuständige fachliche<br />

Aufsichtsbehörde, die als Entscheidungsinstanz in Frage käme. Eine Klärung dieser<br />

Unwägbarkeiten durch eine Anlehnung an den § 5 V, 2. Alt. BVwVfG scheint ausge-


●<br />

●<br />

EU-Dienstleistungsrichtlinie – Rechtsfolgenabschätzung<br />

227<br />

schlossen, weil eine Entscheidung der „für die ersuchte Behörde fachlich zuständige[n]<br />

Aufsichtsbehörde“ durch eine nationale Behörde erginge, die aus Sicht der ersuchenden<br />

eine ausländische, also nicht kompetenziell <strong>über</strong>geordnete, wäre.<br />

Im Ergebnis besteht in diesem Bereich Kodifikationsbedarf auf europäischer Ebene.<br />

Behördenauswahl<br />

Die sich am BVwVfG orientierende behördliche Praxis entnimmt dem § 6 die Vorgabe,<br />

das Amtshilfeersuchen an die unterste Verwaltungsstufe des Verwaltungszweiges der<br />

ersuchten Behörde zu stellen. Sollte sich die in der Norm angeordnete Sollvorschrift,<br />

in Anlehnung an den oben erörterten erweiterten Anwendungsbereich des BVwVfG,<br />

auch an ausländische Amtshilfeersuchen richten, entstehen aufgrund von Unkenntnissen<br />

problematische Situationen: So können deutsche Behörden bei Anfragen an<br />

ausländische Verwaltungen diesen Anforderungen ebenso wenig nachkommen wie<br />

ausländische Behörden, die sich an ein deutsches Amt wenden. Es fehlt jeweils die<br />

dafür notwendige Kenntnis von behördeninternen Zuständigkeiten und Hierarchien. Im<br />

DLRL-E findet sich diesbezüglich die schlichte Regelung, ersuchte Behörden würden<br />

im Rahmen ihrer nationalen Zuständigkeiten tätig. Um dem Sinn der Richtlinie Rechnung<br />

zu tragen und eine effektive, grenz<strong>über</strong>greifende Inanspruchnahme der Dienstleistungsfreiheit<br />

zu ermöglichen, kann die tradierte, an § 6 VwVfG orientierte Praxis<br />

nicht beibehalten werden. Welcher Art die notwendigen Modifikationen sein können,<br />

kann dem Entwurf nicht entnommen werden. Sollte dem Wortlaut des Vorschlags in<br />

den Artikeln 35 IV 3 und 36 II 2 genügt werden, ohne dass nationale Behörden sich umfangreich<br />

in behördliche Zuständigkeiten anderer Staaten einarbeiten, um die dortigen<br />

zuständigen Stellen zu ermitteln, kann seitens der Untersuchenden nur eine ergänzende<br />

Auslegung aus der Systematik der gesamten Richtlinie getroffen werden: Ebenso wie<br />

die geplante Dienstleistungsrichtlinie den ins Ausland strebenden Dienstleistungsanbietern<br />

in Form des einheitlichen Ansprechpartners („OSS“) einen Lotsen durch den jeweils<br />

nationalen „Behördendschungel“ an die Hand gibt, scheint derartiges für die um<br />

Amtshilfe ersuchenden ausländischen Behörden notwendig. Ein solcher Lotse könnte<br />

die Anfragen so koordinieren, dass sie immer die national zuständige Stelle erreichen<br />

würden; die nationalen Zuständigkeiten blieben unangetastet, effektive und schnelle<br />

Amtshilfe wäre ermöglicht.<br />

Zulässigkeiten: angestrebte Maßnahme und durchzuführende Amtshilfe<br />

Die Umsetzung des Herkunftslandprinzips fordert, wie oben ausgeführt, eine effektive<br />

Amtshilfe, die die Durchführung von Kontrollbefugnissen seitens des ausländischen<br />

Heimatstaates ermöglicht, sofern Dienstleister im Bestimmungsstaat Deutschland ohne<br />

Niederlassung tätig sind. Damit unterliegt die Maßnahme, zu deren Durchführung die<br />

Amtshilfe seitens des Herkunftsstaates angestrebt wird, dem Recht des Herkunftsstaates.<br />

Diese aus der Systematik des Entwurfes folgende rechtliche Beurteilung ist bereits<br />

gängige behördliche Praxis, da § 7 I, 1. HS i. V. m. II, 1. HS BVwVfG eben diese<br />

Maßgeblichkeit des Rechts der ersuchenden Behörde für die Zulässigkeit der endlich<br />

angestrebten Maßnahme anordnet.<br />

Dagegen unterstellt das deutsche Recht gemäß § 7 I 2 BVwVfG die Durchführung der<br />

Amtshilfe dem für die ersuchte Behörde geltenden Recht (näher 23, § 4, Rn. 21). Diese<br />

nationale Regelung deckt unter mehreren Gesichtpunkten im Vergleich zum DLRL-E<br />

Unklarheiten auf: Zum einen ist fraglich, ob diese Anordnung mit der zuvor erörterten<br />

Rechtmäßigkeitsorientierung der angestrebten Maßnahme harmoniert. Zum anderen<br />

scheint eine umfängliche Verwirklichung des Herkunftslandprinzips für eine umfassende<br />

Geltung des Rechts des Herkunftsstaates zu streiten – gerade die ihm bekannte<br />

Durchführung von kontrollrechtlich relevanten Amtshilfeersuchen schafft Rechtssi-


228 T. Pfeiffer, B. Hess, B. Schinkels, M. Weller, D. Blechinger, S. Ganninger und B. Gündling<br />

cherheit für den ins Ausland strebenden Dienstleistungsanbieter. Dar<strong>über</strong> hinaus will<br />

der Entwurf gemäß Artikel 35 IV 3 DLRL-E nationale Zuständigkeiten unangetastet<br />

belassen – die Bearbeitung von Amtshilfeersuchen unter Anwendung ausländischen<br />

Rechts des Bestimmungsstaates würde aber nationale Zuständigkeiten nicht berücksichtigen.<br />

Innerhalb Deutschlands würde behördliches Handeln entgegen dem Artikel<br />

20 III GG ausländischem Recht unterstellt.<br />

Mithin besteht in diesem letztgenannten Bereich noch ein Konkretisierungsbedarf.<br />

Man wird die Frage des anwendbaren Rechts bei der Beantwortung von Amtshilfeersuchen<br />

genauer regeln müssen.<br />

4.1.1.4 Zwischenergebnis<br />

Insgesamt ergeben sich bereits nach den bisherigen Darstellungen erhebliche Anpassungsnotwendigkeiten<br />

für die behördliche Praxis, sowohl im Rahmen der Bearbeitung<br />

von fremden Amtshilfeersuchen, als auch in der eigenen Nutzung des Amtshilfeinstituts.<br />

Über bloße Veränderungen innerhalb der behördeninternen Praxis hinaus können diese<br />

Veränderungen bis zu Modifikationen im BVwVfG resp. der Schaffung eines neuen Amtshilfegesetzes<br />

reichen.<br />

4.1.2 Rechtsschutz<br />

Neben der Amtshilfe wirft auch die geltende Regelung des Rechtsschutzes gegen behördliche<br />

Verfahrenshandlungen Fragen in Ansehung des DLRL-E auf. Die Amtshilfe ist nach<br />

der Systematik der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) als nicht nach außen wirkender<br />

Rechtsakt durch keinen Rechtsbehelf angreifbar (statt aller 45, § 5 Rn. 41). Der ausländische<br />

Dienstleistungsanbieter, dessen Kontrolle durch Amtshilfe ermöglicht werden<br />

sollte, müsste sich gegen die endliche Maßnahme seines Heimatlandes vor einem dortigen<br />

Gericht wehren. Im Rahmen der Prüfung durch das dortige Gericht wäre auch die Rechtmäßigkeit<br />

der Amtshilfe zu prüfen. Ein ausländisches Gericht hätte dann nach einem aus<br />

seiner Sicht ausländischen Recht die Rechtmäßigkeit einer ausländischen behördlichen<br />

Amtshilfe zu <strong>über</strong>prüfen. Eine derartige Jurisdiktion <strong>über</strong> exekutive Maßnahmen anderer<br />

Staaten erkennt das Europarecht nationalen Gerichten bisher nicht zu und auch aus dem<br />

Entwurf lassen sich keine Ansätze in diese Richtung erkennen.<br />

Sollen die Rechtsschutzmöglichkeiten ausländischer Dienstleistungsanbieter gegen<strong>über</strong><br />

behördlichen deutschen Amtshilfemaßnahmen nicht verkürzt werden, müssen demnach<br />

Modifikationen des § 44a VwGO <strong>über</strong>dacht werden. Dar<strong>über</strong> hinaus besteht Konkretisierungsbedarf<br />

innerhalb der Richtlinie selbst.<br />

4.1.3 Einheitlicher Ansprechpartner – OSS<br />

Eine Kodifikation innerhalb des deutschen Rechts machen auch die Artikel 6 und 7 DLRL-<br />

E notwendig. Diese schreiben die Schaffung eines einheitlichen Ansprechpartners für ausländische<br />

Dienstleistungsanbieter vor. Ansätze in eine ähnliche Richtung, ebenfalls zu<br />

einem einheitlichen Auftreten der Exekutive gegen<strong>über</strong> dem Bürger, finden sich bereits in<br />

der deutschen Umsetzung der Aarhauskonvention (48, S. 273 ff.), sind aber <strong>über</strong> Ansätze<br />

im Informationsfreiheitsgesetz (vgl. BT-Drs. 15/4493 und BR-Drs. 450/05) nicht hinausgekommen<br />

(zum Themenkreis weiterführend 49, S. 380 ff.) und stellen keine umfassende,<br />

der geplanten Richtlinie vergleichbare Regelung dar. Deren Vorgabe betreffend den<br />

einheitlichen Ansprechpartner richtet sich im Vergleich zu den obigen Anordnungen des<br />

DLRL-E erstmals an Dienstleistungsanbieter, die sich der Niederlassungsfreiheit bedienen<br />

und im Bestimmungsstaat eine Niederlassung gründen. Nur in diesem Fall unterstehen<br />

sie dem Rechtsregime des Bestimmungsstaates und müssen sich mit seinen Behörden<br />

auseinander setzen. Der ihnen dann zur Seite gestellte, oben schon kurz erwähnte „behördliche<br />

Lotse“ soll den grenz<strong>über</strong>schreitend tätigen, oft kleinen und mittleren Unter-


EU-Dienstleistungsrichtlinie – Rechtsfolgenabschätzung<br />

229<br />

nehmen die Zusammenarbeit mit den ausländischen Behörden erleichtern. Dem Wortlaut<br />

nach schwebt den Verfassern des Entwurfes eine umfassende Tätigkeit der einheitlichen<br />

Ansprechpartner vor, spricht doch der Artikel 6 DLRL-E von Kommunikationen mit Behörden<br />

betreffend die „Aufnahme“, „Ausübung“ und „Genehmigung“ einer Tätigkeit. Aus<br />

dem DLRL-E ist allerdings nicht eindeutig erkennbar, ob der europäische Gesetzgeber hier<br />

eine Konzentration allein im Hinblick auf die Außenkommunikation anstrebt oder ob ihm<br />

auch eine konzentrierte Sachentscheidungsbefugnis vorschwebt – auch der maßgebliche<br />

Erwägungsgrund 25 läßt dies expressis verbis offen. Letzteres würde weitreichende Behördenumstrukturierungen<br />

nach sich ziehen, ersteres würde allein eine zusätzliche Stelle<br />

schaffen, die anderenorts getroffenen behördlichen Entscheidungen kommuniziert.<br />

Eine umfassende Behördenumstrukturierung würde das tradierte deutsche Fachbehördenprinzip<br />

in weiten Teilen auflösen. Es könnte zu einem Verlust des hohen Standards<br />

an Sachverstand und Qualität kommen, wenn die institutionelle Verselbständigung konfligierender<br />

Interessen zu Lasten einer einheitlichen Entscheidungsinstanz aufgehoben<br />

würde. Weil nach den Ergebnissen der diesem Aufsatz zugrunde liegenden Untersuchung<br />

eine Einrichtung von Kommunikationszentren keine Reibungsverluste nach sich ziehen,<br />

dar<strong>über</strong> hinaus das auch aus Sicht des Antragenden wünschenswerte behördliche Fachwissen<br />

bereichspezifisch weiterentwickelt würde, spricht die Mehrzahl der Argumente<br />

für die Schaffung einer konzentrierten Außenkommunikation gegen<strong>über</strong> den antragenden<br />

Dienstleistern (ebenso 22, S. 100 f.). Schon auf diesem Wege würde eine europäische Einheitlichkeit<br />

gegen<strong>über</strong> den Antragenden erreicht, die nun in jedem Staat einen gleichfalls<br />

auf ihre Bedürfnisse ausgerichteten Ansprechpartner vorfänden. Ebenso wie die Amtshilfe<br />

weist deshalb die Einrichtung eines einheitlichen Ansprechpartners weit <strong>über</strong> die bloße<br />

verwaltungstechnische Umsetzung hinaus: Sie ebnet den Weg zu einem ergebnis- und nutzerorientierten<br />

Zuständigkeitsdenken, eine neue „Ordnungsidee“ des Verwaltungsrechts<br />

im Bereich des Dienstleistungsrechts (Formulierung angelehnt an E. Schmidt-Aßmann,<br />

41, passim).<br />

Zumindest auf den ersten Blick scheint eine solche Außenkommunikation durch das<br />

Institut des Sternverfahrens, § 71d BVwVfG, zu verwirklichen, weil dort ebenfalls sachlich<br />

zuständige Behörden vermittels einer Koordinierungsbehörde beteiligt werden. Allerdings<br />

könnten sich in diesem Zusammenhang Probleme hinsichtlich des im Vergleich zum<br />

DLRL-E unterschiedlichen Anwendungsbereiches des Sternverfahrens ergeben.<br />

4.1.4 Weitere Hinweise<br />

Neben den umfangreichen Neuordnungen im Rahmen der Amtshilfe, des Rechtsschutzes<br />

und der behördlichen Außenkommunikation seien an dieser Stelle noch einige Bereiche<br />

genannt, die ebenfalls bereichsspezifische Neuordnungen erfahren, die aber insgesamt als<br />

nicht so gewichtig und folgenreich wie die oben genannten einzustufen sind. Dazu gehört<br />

die richtlinienrechtliche Vorgabe einer umfassenden elektronischen Verfahrensabwicklung<br />

(Artikel 8 DLRL-E), die das bestehende BVwVfG noch nicht kennt und für die keine<br />

Umsetzungsmechanismen vorhanden sind. Diese Entwicklung wird begleitet von der Vorgabe<br />

einer direkten Kommunikation zwischen Behörde und Antragssteller; letzterem darf<br />

nach den Artikeln 13 II und 14 Nr. 1 DLRL-E nicht mehr vorgegeben werden, dass er einen<br />

Empfangsbevollmächtigten im Bestimmungsstaat angeben müsste. Schließlich muss<br />

das behördliche Verfahren, <strong>über</strong> die diesbezüglichen Straffungsanordnungen der VwVfG<br />

hinaus, schnellstmöglich beginnen und ebenso abgewickelt werden (Artikel 13 III und II<br />

DLRL), Behörden müssen notwendige Informationen dauerhaft leicht zugänglich bereithalten<br />

(Artikel 7 I, II und IV DLRL-E) und den Antragstellern Akteneinsicht gewähren<br />

(Artikel 13 II DLRL-E).


230 T. Pfeiffer, B. Hess, B. Schinkels, M. Weller, D. Blechinger, S. Ganninger und B. Gündling<br />

4.1.5 Zusammenfassung<br />

Insgesamt kommt es damit zu erheblichen und weitreichenden Veränderungen der deutschen<br />

behördlichen Praxis, soweit sie die Genehmigung oder Kontrolle von Dienstleistungen<br />

im Sinne des Entwurfes betrifft. Notwendige normative Veränderungen werden<br />

am Ende des damit angestoßenen Prozesses stehen, geänderte richtlinienkonforme Auslegungen<br />

werden seinen Beginn markieren. Unabhängig von der Art der Umsetzung kann<br />

aber wohl von einer insgesamt anstehenden Neuausrichtung gesprochen werden, die vielleicht<br />

auch die Dogmatik, jedenfalls aber den Telos des gesamten Verwaltungsverfahrens<br />

zu ändern im Begriff ist.<br />

4.2 Besonderes Verwaltungsrecht: Auswirkungen auf ausgewählte<br />

Fachgesetze im Zuständigkeitsbereich des BMVEL<br />

4.2.1 Spezieller Untersuchungsauftrag<br />

Ein Kernanliegen der hier zusammengefassten Studie war die Klärung der Frage, welche<br />

Umsetzungspflichten und welchen Änderungsbedarf der DLRL-E für die inhaltliche Ausgestaltung<br />

und praktische Anwendung konkreter Fachgesetze im Zuständigkeitsbereich<br />

des BMVEL schafft und welche praktischen Probleme und Folgen sich hierbei für die<br />

betroffenen Regelungsbereiche ergeben. Denn die Mitgliedstaaten haben ihre Rechtsordnungen<br />

auf unnötige Genehmigungserfordernisse (Art. 9 ff. DLRL-E), unzulässige<br />

inhaltliche Anforderungen (Art. 14 DLRL-E) sowie auf unerwünschte, aber möglicherweise<br />

gerechtfertigte Anforderungen an Dienstleister (Art. 15 DLRL-E) zu prüfen und der<br />

Kommission zu berichten (Art. 9 II, 15 IV i. V. m. 41 I DLRL-E).<br />

Die Untersuchung der einzelnen Fachgesetze musste dabei der primärrechtlich angelegten<br />

und deswegen in der Systematik des Entwurfes wiederkehrenden Unterscheidung<br />

zwischen in Deutschland niedergelassenen Dienstleistern und solchen ohne Niederlassung<br />

folgen. Für grenz<strong>über</strong>schreitend anbietende Dienstleister mit Niederlassung im Zielstaat<br />

enthält Kapitel II DLRL-E Vorgaben zur Vereinfachung der Verwaltungsverfahren im Zusammenhang<br />

mit der Erbringung ihrer Dienstleistungen. Im Übrigen unterliegen diese<br />

Dienstleister grundsätzlich dem mitgliedstaatlichen Recht des Niederlassungsstaates.<br />

Grenz<strong>über</strong>schreitend anbietenden Dienstleistern ohne Niederlassung im Zielstaat<br />

kommt der Kernpunkt in Kapitel III DLRL-E zugute: das Herkunftslandprinzip. Danach<br />

soll ein Dienstleister grundsätzlich allein der Regulierung des Herkunftslands unterliegen,<br />

um ohne aus der Grenz<strong>über</strong>schreitung resultierende Hemmnisse im Zielstaat anbieten zu<br />

können.<br />

Bei der Folgenabschätzung der künftigen Richtlinie bereitet vor allem die inhaltliche<br />

Dichte und Komplexität des DLRL-E sowie dessen im Ausgangspunkt weit gefasster, aber<br />

in der Grenzziehung häufig unklarer Anwendungsbereich Schwierigkeiten (dazu bereits<br />

oben unter 2.1).<br />

So fallen in den Zuständigkeitsbereich des BMVEL zahlreiche Rechtsakte, welche<br />

komplexe Fragen aufwerfen. Repräsentatives Beispiel ist das Tierschutzrecht: Trotz neuerlicher<br />

Bemühungen der Kommission ist die Gewichtung des Tierschutzes, anders als<br />

in Deutschland (vgl. Art. 20a GG), auf der europäischen Ebene fraglich. Die Standards<br />

in anderen Mitgliedstaaten bleiben hinter denen des deutschen Rechts zurück. Das Herkunftslandprinzip<br />

wirft daher die Frage auf: Wird die Binnenmarktverwirklichung auf<br />

Kosten der in Deutschland errungenen Tierschutz-, aber auch Sozial-, Umwelt- und<br />

Gesundheitsschutzstandards vorangetrieben oder beinhaltet der Entwurf ein gegen<strong>über</strong><br />

mitgliedstaatlichen Allgemeininteressen verhältnismäßig erscheinendes sowie auch und


EU-Dienstleistungsrichtlinie – Rechtsfolgenabschätzung<br />

gerade unter Beachtung der Ausnahmen ausgewogenes Regelungskonzept? (dazu 29, S.<br />

29 ff. und 36, S. 201 f.).<br />

4.2.2 Methodische Untersuchungsschritte<br />

231<br />

Die Bewertung der Qualität des DLRL-E als normatives Steuerungsinstrument hängt entscheidend<br />

davon ab, wie sich die Vorgaben auf der konkreten Ebene der Rechtsanwendung<br />

und Umsetzung in nationales Recht darstellen. Die Komplexität des Untersuchungsgegenstandes<br />

sowie der begrenzte Zeitrahmen verlangten nach einer methodisch geleiteten,<br />

schrittweisen Analyse:<br />

●<br />

●<br />

Bestimmung von Referenzbereichen im Zuständigkeitsbereich des BMVEL<br />

Für eine exemplarisch vertiefende Untersuchung waren zunächst repräsentative Referenzbereiche<br />

zu bestimmen (zum methodischen Ansatz 42, S. 401). Denn methodisch<br />

ermöglicht die vergleichende Analyse der einzelnen Referenzbereiche eine im<br />

Kern verallgemeinerbare Bewertung insbesondere der zentralen Regelungstechniken<br />

des DLRL-E wie etwa der Vereinfachung von Verwaltungsverfahren, der tatsächlichen<br />

Reichweite des Herkunftslandprinzips oder des Gesetzesvollzugs im Wege der wechselseitigen<br />

Amtshilfe zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten.<br />

So ließen sich typische Spannungslagen aufzeigen, welche so oder in modifizierter<br />

Form im Hinblick auf die Umsetzung der geplanten Richtlinie auch bei anderen<br />

Rechtsakten auftreten können. Hier kann künftig auf die im Rahmen der Referenzbereiche<br />

in grundsätzlicher und eingehender Weise entwickelten Lösungen zurückgegriffen<br />

werden. Repräsentative Aussagen waren etwa zu treffen für die Frage, wann der<br />

Anwendungsbereich nach dem DLRL-E <strong>über</strong>haupt eröffnet ist (z. B. in Abgrenzung<br />

zu Sachverhalten, welche die nicht erfasste Warenverkehrsfreiheit betreffen), welche<br />

Bestimmungen des Entwurfes erfahrungsgemäß die meisten Probleme bereiten oder<br />

welchen Ausnahmebestimmungen im Zuständigkeitsbereich des BMVEL die größte<br />

Bedeutung zukommt und wie diese auszulegen sind.<br />

Kurzkommentierung zum DLRL-E und Transformation wesentlicher Umsetzungspflichten<br />

in abstrakte, an das mitgliedstaatliche Recht heranzutragende „Suchfragen“<br />

Auf einer zweiten Stufe war das dichte, nur schwer aufzulösende Geflecht von Normbefehlen<br />

des DLRL-E für die Zwecke der Studie vorzustrukturieren. Dem ersten Zugriff<br />

auf den Regelungsgehalt des DLRL-E dient die so entstandene Kurzkommentierung<br />

ausgewählter Vorschriften. 4)<br />

Die identifizierten Bestimmungen wurden sodann in abstrakte „Suchfragen“ transformiert.<br />

Diese Bündelung der Normenbefehle steuert und vereinfacht die Durchsicht von<br />

Rechtsvorschriften im Zuständigkeitsbereich des BMVEL. Denn die wesentlichen<br />

Inhalte der Richtlinienbestimmungen in Frageform vor Augen zu haben, verschafft<br />

Klarheit dar<strong>über</strong>, wonach das BMVEL zu suchen hat, wenn es nationale Vorschriften<br />

auf Anpassungsbedarf <strong>über</strong>prüft.<br />

Die wesentlichen Regelungsinhalte sowie die sich daraus ableitenden Suchfragen sind<br />

im nachfolgenden tabellarischen Untersuchungsraster zusammengefasst:


232 T. Pfeiffer, B. Hess, B. Schinkels, M. Weller, D. Blechinger, S. Ganninger und B. Gündling<br />

Artikel Suchfragen<br />

1, 2 i. V. m. 4<br />

Allgemeine<br />

Bestimmungen<br />

5<br />

Vereinfachung der<br />

Verfahren<br />

6, 7 i. V. m. 35<br />

Einheitlicher Ansprechpartner<br />

und<br />

Amtshilfe<br />

8<br />

Elektronische Verfahrensabwicklung<br />

9<br />

Genehmigungsregelungen<br />

10<br />

Voraussetzungen<br />

für die Erteilung<br />

von Genehmigungen<br />

11<br />

Geltungsdauer der<br />

Genehmigung<br />

14<br />

Unzulässige<br />

Anforderungen<br />

► Handelt es sich um eine Dienstleistung i. S.d. Art. 2 I, 4 Nr. 1<br />

DLRL-E?; insbesondere: Bedarf es einer Abgrenzung zur<br />

nicht durch die RL erfassten Warenverkehrsfreiheit?<br />

► Ist im Einzelfall das Vorliegen einer Niederlassung i. S.d.<br />

Art. 4 Nr. 5 DLRL-E fraglich?<br />

► Greift eine der Ausnahmen vom Anwendungsbereich in Art. 2<br />

II DLRL-E?<br />

► Finden sich in den zu untersuchenden Rechtsakten im Zusammenhang<br />

mit der Erbringung von Dienstleistungen Vorschriften<br />

zur Anerkennung von in einem anderen Mitgliedstaat<br />

ausgestellten Urkunden?<br />

► Sind diese nach Art. 5 I und II DLRL-E zu vereinfachen?<br />

Oder greifen die Ausnahmen in Art. 5 II 2 und III DLRL-E?<br />

► Finden sich Vorschriften betreffend die ggf. zu schaffenden<br />

Einheitlichen Ansprechpartner (Art. 6 und 7 DLRL-E) oder<br />

betreffend die künftig (u. a.) <strong>über</strong> diese abzuwickelnde Amtshilfe<br />

(Art. 35 DLRL-E)?<br />

► Finden sich Vorschriften, welche nach Art. 8 DLRL-E um<br />

Regelungen zur elektronischen Verfahrensabwicklung bei<br />

der zuständigen Stelle und ggf. um Hinweise auf die elektronischen<br />

Informationsrechte und die (elektronische) Abwicklung<br />

bei den OSS zu erweitern?<br />

► Finden sich Regelungen, welche die Aufnahme oder Ausübung<br />

einer Dienstleistungstätigkeit einem Zulassungserfordernis<br />

unterwerfen?<br />

► Genügen diese den Anforderungen des Art. 9 I DLRL-E<br />

(nicht diskriminierend, durch zwingende Erfordernisse des<br />

Allgemeininteresses gerechtfertigt, verhältnismäßig)?<br />

► Wo finden sich in Fachgesetzen Kriterien für die Ermessensausübung<br />

bei der Erteilung von Genehmigungen, welche nach<br />

den rechtsstaatlichen Kriterien des Art. 10 I und II DLRL-E<br />

oder nach Art. 10 III DLRL-E (unzulässige Doppeltkontrollen)<br />

verboten sind?<br />

► Finden sich befristete Genehmigungen i. S.d. Art. 11 DLRL-E?<br />

► Wenn ja, sind diese ausnahmsweise zulässig sind, weil:<br />

a) die Genehmigung automatisch verlängert wird,<br />

b) die Zahl der erteilbaren Genehmigungen begrenzt ist, oder<br />

c) eine Befristung objektiv durch zwingende Erfordernisse des<br />

Allgemeininteresses gerechtfertigt ist?<br />

► Finden sich in den zu untersuchenden Rechtsakten im<br />

Zusammenhang mit der Erbringung von Dienstleistungen<br />

Vorschriften, welche an die Ausübung oder Aufnahme einer<br />

Dienstleistung „unzulässige“ Anforderungen stellen, wie sie in<br />

Art. 14 DLRL-E genannt sind?


15<br />

Zu prüfende<br />

Anforderungen<br />

16<br />

Herkunftslandprinzip<br />

(HLP)<br />

17<br />

Allgemeine Ausnahmen<br />

vom HLP<br />

●<br />

●<br />

EU-Dienstleistungsrichtlinie – Rechtsfolgenabschätzung<br />

233<br />

► Finden sich in den zu untersuchenden Rechtsakten im<br />

Zusammenhang mit der Erbringung von Dienstleistungen<br />

Vorschriften, welche an die Ausübung oder Aufnahme einer<br />

Dienstleistungstätigkeit zu prüfende Anforderungen stellen,<br />

wie sie in Art. 15 II DLRL-E genannt sind? Entsprechen diese<br />

den Anforderungen in Art. 15 III DLRL-E (nichtdiskriminierend,<br />

notwendig, verhältnismäßig)?<br />

► Wo droht durch das Herkunftslandprinzips nach Art. 16 I<br />

DLRL-E erkennbar eine Herabsetzung der deutschen Standards,<br />

weil konkrete nationale Normen nicht mehr anwendbar<br />

sind?<br />

► Finden sich Fälle des Katalogs in Art. 16 III DLRL-E, welcher<br />

(deklaratorische) Hinweise gibt, in welchen Regelungsbereichen<br />

die Anwendung des Herkunftslandsprinzips geboten ist?<br />

► Sind nach der Nr. 8 (Vorrang der Berufsanerkennungsrichtlinie)<br />

und/oder der Nr. 16 (Schutz der öffentlichen Sicherheit,<br />

Ordnung oder Gesundheit) sowie nach der Nr. 17 (besonderes<br />

Risiko der Dienstleistung für den konkreten Bestimmungsort)<br />

Ausnahmen vom Herkunftslandprinzip möglich?<br />

Strukturierung der Referenzbereiche nach der Systematik des Vorschlages<br />

Auf einer dritten Stufe war ein Rahmen für die konkrete Untersuchung der Referenzbereiche<br />

festzulegen. Ausgehend von der zuvor erarbeiteten Systematik des DLRL-E<br />

(oben unter 2.4) und unter Berücksichtigung der vorstehenden Erörterungen zum Allgemeinen<br />

Verwaltungsrecht (oben 4.1) wurde folgender Rahmen als untersuchungsleitende<br />

Gliederungsstruktur festgelegt:<br />

a. Welche der in den Rechtsakten der Referenzbereiche geregelten Tätigkeiten erfasst<br />

der Dienstleistungsbegriff der DLRL?<br />

b. Handelt es sich bei der erfassten Tätigkeit um die Ausübung der Niederlassungs-<br />

oder Dienstleistungsfreiheit, also um Tätigkeiten, die Kapitel II oder Kapitel III<br />

DLRL-E unterfallen?<br />

c. Inwieweit ergeben sich nach den formulierten Suchfragen Umsetzungspflichten<br />

für die konkret untersuchten Rechtsakte im jeweiligen Referenzbereich?<br />

d. Finden sich Regelungen von Relevanz für das Allgemeinen Verwaltungsrecht,<br />

insbesondere zur von Art. 6 und auch 7 DLRL-E geforderten Einrichtung sog.<br />

„Einheitlicher Ansprechpartner“ oder zur Amtshilfe nach Art. 35 DLRL?<br />

Konkrete Untersuchung der einzelnen Referenzbereiche<br />

Auf der Basis der vorgenannten Stufen wurde schließlich eine ausführliche Untersuchung<br />

der in Abstimmung mit dem BMVEL festgelegten, praktisch besonders relevanten<br />

Referenzbereiche Tierschutzrecht, Pflanzenschutzrecht, Lebensmittelrecht und<br />

des Rechts zum Schutz vor Infektionskrankheiten durchgeführt.<br />

4.2.3 Wesentliche Erkenntnisse aus den Referenzbereichen<br />

4.2.3.1 Referenzbeispiel 1: Tierschutzrecht<br />

Sachlich mitumfasst vom Regelungsabschnitt <strong>über</strong> die „Tierhaltung“ (vgl. § 2 TSchG) im<br />

zweiten Abschnitt des Tierschutzgesetzes (TSchG) ist auch der Bereich der Tiertransporte<br />

(vgl. § 2a TSchG und die korrespondierende Tierschutztransportverordnung; dazu 21, § 2a,<br />

Rn. 6). Diesbezüglich ist die Ausnahme in Art. 2 II lit. c) DLRL-E für „Dienstleistungen


234 T. Pfeiffer, B. Hess, B. Schinkels, M. Weller, D. Blechinger, S. Ganninger und B. Gündling<br />

auf dem Gebiet des Verkehrs“ zu beachten. Unter systematischer Beachtung des Art. 51 I<br />

EG-Vertrag handelt es sich bei europäisch autonomer Auslegung im Falle der Tiertransporte<br />

um „Dienstleistungen auf dem Gebiet des Verkehrs“, die nach Art. 2 II lit. c DLRL-E<br />

vom Anwendungsbereich ausgenommen sind. In Erwägungsgrund 12 Satz 1 nimmt der<br />

Richtliniengeber u. a. Bezug auf Art. 71 EG-Vertrag. In den angesprochenen Art. 70 bis<br />

80 EG-Vertrag finden sich Sondervorschriften, die den für die Verwirklichung des Binnenmarktes<br />

besonders bedeutsamen Bereich der europäischen Verkehrspolitik selbständig<br />

regeln (siehe 15, Art. 70 EG-Vertrag, Rn. 1 f.). Das Verhältnis dieser Sonderregelungen zu<br />

den Bestimmungen der Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 bis 55 EG-Vertrag) ist in Art. 51 I<br />

EG-Vertrag ausdrücklich festgelegt. Danach gelten für den freien Dienstleistungsverkehr<br />

auf dem Gebiet des Verkehrs die Bestimmungen des Titels <strong>über</strong> den Verkehr, also die<br />

Art. 70 bis 80 EG-Vertrag. Offensichtlich wird in Art. 2 II lit. c) DLRL-E dieses Konkurrenzverhältnis<br />

aufgegriffen. Systematisch spricht dafür auch die Ausnahme in Art. 2 II lit.<br />

a) DLRL-E. Dort werden u. a. die Bereiche der Bankdienstleistungen und der Versicherung<br />

ausgenommen. Eine Parallelregelung findet sich mit Art. 51 II EG-Vertrag.<br />

Maßgeblich für die Reichweite der Ausnahme ist der sachliche Geltungsbereich der<br />

Art. 70 ff. EG-Vertrag, auf welche Art. 51 I EG-Vertrag verweist. Nach Art. 80 EG-Vertrag<br />

ist davon der gesamte Sektor der Beförderungen im Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschifffahrtsverkehr<br />

umfasst. Die Art 70 ff. EG-Vertrag regeln <strong>über</strong>greifend sowohl den<br />

Personen- als auch den Warenverkehr (18, Bd. I, Art. 70 EG-Vertrag, Rn. 2). Auch in Erwägungsgrund<br />

12 finden sich sowohl Beispiele für den Personenverkehr (z. B. Nahverkehr,<br />

Taxis und Krankenwagen), als auch für den Warenverkehr (genannt ist insbesondere die<br />

Geldbeförderung). Formal stellt der EG-Vertrag Waren und Tiere gleich (siehe 14, Bd. I,<br />

Rn. 697) In der Sprache des EG-Vertrages sind „Tiertransporte“ also „Warentransporte“,<br />

die mithin insgesamt von der Richtlinie ausgenommen sein sollen.<br />

Angesichts der anhaltenden Brisanz des Themas „Tiertransporte“, sollte erwogen werden,<br />

im Richtlinientext klarzustellen, dass die Ausnahme für den Bereich des Verkehrs<br />

auch für Tiertransporte gilt. Denkbare Probleme oder unnötige rechtspolitische Diskussionen,<br />

insbesondere bez. der Anwendung des Herkunftslandprinzips auf das Tiertransportrecht,<br />

ließen sich somit vermeiden.<br />

Im TSchG findet sich eine Reihe von Regelungen, welche die Ausübung von Dienstleistungen<br />

für niedergelassene Dienstleister an ein Genehmigungserfordernis knüpfen. Insofern<br />

war ein Konflikt mit den Vorgaben im zweiten Kapitel des DLRL-E, insbesondere<br />

mit Art. 9 DLRL-E, näher zu prüfen. Beispielhaft sei auf § 4a I Nr. 1 TSchG verwiesen,<br />

welcher es verbietet, warmblütige Tiere ohne Betäubung zu schlachten, sofern nicht nach<br />

§ 4a II Nr. 2 TSchG eine „Ausnahmegenehmigung“ erteilt worden ist. Ob derartige Genehmigungserfordernisse<br />

den Anforderungen des Art. 9 I DLRL-E entsprechen, erscheint<br />

sehr fraglich.<br />

Insbesondere müsste die Regelung durch ein „zwingendes Erfordernis des Allgemeininteresses<br />

objektiv gerechtfertigt sein (Art. 9 I lit. b) DLRL-E). Der Begriff des zwingenden<br />

Allgemeininteresses wird noch an vielen weiteren Stellen verwendet (vgl. die Ausnahmebestimmungen<br />

etwa in Art. 5 II 2, 10 II lit. b) und IV, 11 I lit. c) und 15 III lit. b) DLRL-<br />

E). Es handelt sich mithin aus Sicht des Tierschutzes um eine Grundsatzfrage, welche<br />

vorliegend anhand des zentralen Tatbestrandes des Art. 9 I lit. b) DLRL-E exemplifiziert<br />

wird. Wie sich Erwägungsgrund 27b entnehmen lässt, knüpft der Richtliniengeber hier an<br />

die durch den EuGH entwickelten Grundsätze zu den immanenten Schranken der Grundfreiheiten,<br />

nach der Systematik des Entwurfes im Rahmen des zweiten Kapitels also der<br />

Niederlassungsfreiheit, an (zur Systematik oben unter 2.4). Entscheidend ist daher, ob die<br />

„Ausnahmegenehmigung“ nach § 4a II Nr. 2 TSchG <strong>über</strong>haupt der Verwirklichung eines<br />

zwingenden Allgemeininteresses im Sinne der geplanten Richtlinie dient. Ziel der Rege-


EU-Dienstleistungsrichtlinie – Rechtsfolgenabschätzung<br />

235<br />

lung im TSchG ist allgemein der Schutz von Wohlbefinden und Leben der betroffenen<br />

Tiere (§ 1 TSchG).<br />

Ob dieses Tierschutzanliegen aus Sicht des Europarechts im Rahmen der Gundfreiheiten<br />

als legitimer Zweck anzuerkennen ist, wurde bisher vorwiegend im Rahmen der<br />

Warenverkehrsfreiheit erörtert (vgl. 8, S. 47 ff.), wo Art. 30 EG-Vertrag ausdrücklich die<br />

Möglichkeit von Ausnahmen nicht-wirtschaftlicher Art „[…] zum Schutze der Gesundheit<br />

und des Lebens von […] Tieren“ eröffnet. Im Rahmen der Niederlassungsfreiheit lässt<br />

Art. 46 EG-Vertrag Einschränkungen lediglich „...aus Gründen der öffentlichen Ordnung,<br />

Sicherheit oder Gesundheit…“ zu. Der Tierschutz ist dort nicht genannt.<br />

Eine europäisch-autonome Auslegung dieser unbestimmten Rechtsbegriffe unter sorgfältiger<br />

Berücksichtigung<br />

● des deutschen Verfassungsrechts im Verhältnis zum europäischen Primärrecht (zu klären<br />

war insbesondere die Bedeutung des deutschen Art. 20a GG, näher 9, passim und<br />

16, S. 26 ff.),<br />

● der Unterscheidung zwischen primärrechtlich fundiertem ökologischem und europarechtlich<br />

bisher kaum ausgeprägtem pathozentrischem Tierschutz (eingehend 7, S. 109<br />

ff.),<br />

● der einen weitergehenden Schutz nicht vorsehenden geplanten Regelung in Art. III-121<br />

des Verfassungsvertrags (abgedruckt in ABl.EG Nr. C 310 vom 16.12.2004, S. 0055<br />

f.),<br />

● der äußerst kompromisshaften Verordnung <strong>über</strong> den Schutz von Tieren beim Transport<br />

(vgl. 34) sowie<br />

●<br />

des den Tierschutz letztlich außerhalb des EG-Vertrag stellenden „Protokolls <strong>über</strong> den<br />

Tierschutz und das Wohlergehen der Tiere“ (abgedruckt in ABl.EG Nr. C 340 vom<br />

10.11.1997, S. 0110; zu dessen Bedeutung für den Tierschutz auf gemeinschaftlicher<br />

Ebene umfassend 8, S. 74 ff.)<br />

ergab, dass der Tierschutz gegenwärtig aus Sicht des Europarechts einen so schwachen<br />

Stand hat, dass er eine Genehmigungspflicht wie die des § 4 TSchG nicht zu rechtfertigen<br />

vermag.<br />

Das für in Ausübung ihrer Dienstleistungsfreiheit kurzfristig im Nachbar-Mitgliedstaat<br />

tätige Dienstleister geltende Herkunftslandprinzip würde sich grundsätzlich sachgegenständlich<br />

auch auf Normen des Tierschutzrechts erstrecken.<br />

Denn jedenfalls wird man in den Regelungen zum Tierschutz nationale Bestimmungen<br />

betreffend das „Verhalten des Dienstleistungserbringers, und der „Qualität oder den Inhalt<br />

der Dienstleistung“ i. S.d. Art. 16 I UAbs. 2 DLRL-E sehen müssen.<br />

Ein Absinken der Tierschutzstandards wäre aber dennoch nicht zu befürchten, wenn<br />

zu Gunsten des Tierschutzes Ausnahmetatbestände einschlägig wären. Im Katalog allgemeiner<br />

Ausnahmen vom Herkunftslandprinzip in Art. 17 DLRL-E ist der Tierschutz<br />

nicht ausdrücklich aufgeführt. Möglicherweise lässt er sich aber unter einen der generalklauselartigen<br />

Ausnahmetatbestände in Art. 17 Nrn. 16 und 17 DLRL-E zu Gunsten<br />

der „öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ fassen. Wie bereits im Falle der europäischautonomen<br />

Auslegung des Begriffs der „zwingenden Erfordernisse des Allgemeininteresses“<br />

i. S.d. Art. 9 I lit. b) DLRL-E bieten die Grundfreiheiten bei der Konkretisierung des<br />

Bedeutungsgehaltes des Art. 17 Nrn. 16 und 17 DLRL-E in systematischer Sicht einen<br />

Orientierungsrahmen, im Rahmen des dritten Kapitels konkret die Art. 49 bis 55 EG-<br />

Vertrag. Art. 55 verweist auf Art. 46 EG-Vertrag. Da der Tierschutz dort nicht genannt ist,<br />

können auch Ausnahmen vom Herkunftslandprinzip nicht durch den Tierschutzgedanken<br />

gerechtfertigt werden. Diese enge Auslegung wird auch durch die Erwägungsgründe zu<br />

Art. 17 DLRL-E gestützt. Vom Herkunftslandprinzip abweichende – d. h. nach dem Recht<br />

des Bestimmungslandes zu beurteilende – Maßnahmen sollen nach Erwägungsgrund 40,<br />

Satz 4 nur „unter strengen materiellen und verfahrensrechtlichen Voraussetzungen“ zu-


236 T. Pfeiffer, B. Hess, B. Schinkels, M. Weller, D. Blechinger, S. Ganninger und B. Gündling<br />

lässig sein. „Um den kmU die Rechtssicherheit zu garantieren, die notwendig ist, um sie<br />

darin zu bestärken, ihre Dienste auch in anderen Mitgliedstaaten anzubieten, sollten diese<br />

Ausnahmen auf das absolut Notwendige beschränkt sein.“<br />

Auch Art. 17 DLRL-E sollte daher um eine Ausnahme zugunsten des Tierschutzes erweitert<br />

werden.<br />

4.2.3.2 Referenzbeispiel 2: Pflanzenschutzrecht<br />

Das Referenzbeispiel des Pflanzenschutzrechts zeigt deutlich, dass die Abgrenzung des<br />

DLRL-E zur Warenverkehrsfreiheit problematisch ist. So fallen große Teile des Pflanzenschutzrechts,<br />

konkret solche, die an die Ware anknüpfend das sog. „Inverkehrbringen“<br />

regeln, bereits nicht in den Anwendungsbereich des DLRL-E. Erfasst sind nur solche<br />

Regelungen des Pflanzenschutzgesetzes (PflSchG), welche die „Anwendung“ von Pflanzenschutzmitteln<br />

betreffen. Es droht also eine erhebliche Zersplitterung der Regelungsbereiche.<br />

Insoweit sollte geklärt werden, ob dies aus Sicht einer effektiven und klaren<br />

Regulierung des Binnenmarktes rechtspolitisch hinnehmbar ist.<br />

Über die in Art. 5 II 1 und 10 III DLRL-E vorgesehenen Anerkennungspflichten bez.<br />

Dokumenten des Herkunftslandes entfalten auch behördliche Bescheide zunehmend eine<br />

transnationale Wirkung. Möglicherweise besteht hier die Gefahr, dass durch die weitreichende<br />

Anerkennungspflicht Standards des Herkunftslandes auch jenseits des eigentlichen<br />

Geltungsbereichs des Herkunftslandprinzips die nationalen Standards verdrängen<br />

(„Herkunftslandprinzip durch die Hintertür“). Als problematisch ist dabei anzusehen,<br />

dass – anders als im direkten Geltungsbereichs des Herkunftslandprinzips durch Art. 17<br />

DLRL-E – keine „allgemeinen Ausnahmen“ von der Anerkennungspflicht vorgesehen<br />

sind. Ob faktisch eine Aushebelung der nationalen Standards droht, hängt wesentlich von<br />

der Auslegung des unbestimmten Tatbestandsmerkmals der sog. „Gleichwertigkeit“ der<br />

anzuerkennenden Dokumente ab. Hier sind Klarstellungen zum Bedeutungsgehalt, evtl.<br />

in den Erwägungsgründen, nötig.<br />

Dauerhaft in Deutschland tätige Dienstleister (Niederlassungsfreiheit) haben bei der<br />

Anwendung von Pflanzenschutzmitteln die Anzeigepflicht nach § 9 PflSchG zu beachten.<br />

Aus Sicht des Art. 9 DLRL-E ist dieses Zulassungserfordernis unproblematisch. Zum einen<br />

dient die Regelung den aus Sicht der Richtlinie unter Berücksichtigung der Rechtsprechung<br />

des EuGH als Allgemeinbelange anerkannten Zielen des Schutzes der menschlichen<br />

Gesundheit und der Umwelt. Zum anderen handelt es sich im Falle des Anzeigeverfahrens<br />

um die für den Dienstleister mildeste Art einer Kontrolle. Da Verschmutzungen des<br />

Grundwassers regelmäßig allenfalls mit exorbitantem Aufwand umkehrbar sind und gravierende<br />

Folgen für Mensch und Umwelt haben können, ist diese Mindestkontrolle aus<br />

Präventiverwägungen unerlässlich und daher gerechtfertigt.<br />

Ob und inwieweit es im Rahmen kurzfristiger Dienstleistungstätigkeit in Deutschland<br />

(Dienstleistungsfreiheit) bei der Anwendung deutscher Pflanzenschutz-Standards bleibt,<br />

hängt in großem Maße von der Auslegung der Ausnahmetatbestände ab. Im Anwendungsbereich<br />

des Herkunftslandprinzips gilt dies auch im Bereich des Pflanzenschutzrechts in<br />

besonderem Maße für die Ausnahmen zum Schutz von Allgemeingütern in Art. 17 Nrn.<br />

16 und 17 DLRL-E. Aus Sicht der Normenbestimmtheit scheint konkretisierungsbedürftig,<br />

wann i. S.d. Art. 17 Nr. 16 DLRL-E eine Ausnahme zum Schutz der genannten<br />

Güter „gerechtfertigt“ bzw. i. S.d. Art. 17 Nr. 17 DLRL-E „unerlässlich“ ist. Auch unter<br />

Berücksichtigung des Wortlautes, der Erwägungsgründe und der hinter den Normen stehenden<br />

Rechtsprechung des EuGH zu den Grundfreiheiten ist nicht klar ersichtlich, wie<br />

diese unbestimmten Rechtsbegriffe genau zu lesen sind. Insbesondere sollte im weiteren<br />

Verfahren daher geklärt und klargestellt werden, inwieweit sich die Prüfung hier an der<br />

Rechtsprechung des EuGH zu orientieren hat. Soweit dies der Fall ist, stellt sich eine<br />

entscheidende Folgefrage: Unter welchen Voraussetzungen kommt eine Ausnahme vom


EU-Dienstleistungsrichtlinie – Rechtsfolgenabschätzung<br />

237<br />

Herkunftslandprinzip in Betracht, wenn ein Sachbereich bereits durch europäisches Sekundärrecht<br />

harmonisiert wurde. Nach der Rspr. des EuGH ist grundsätzlich das Fehlen einer<br />

solchen Harmonisierung Grundvoraussetzung für die Rechtfertigung einer Einschränkung<br />

der einschlägigen Grundfreiheit (hier eben in Form der Beibehaltung der nationalen<br />

Regelung unter Verweis auf die Ausnahme vom HLP nach Art. 17 DLRL-E). Im Falle des<br />

Pflanzenschutzrechts stellt sich diese Frage, weil mit der Pflanzenschutzrichtlinie (vgl.<br />

33) bereits eine europaweit einheitliche Regelung vorhanden ist. Vorliegend wurde insoweit<br />

eine Auslegung gewählt, welche das Bedürfnis der Mitgliedstaaten nach einem<br />

effektiven Schutz der hochrangigen Allgemeininteressen betont. Da die Umsetzung in den<br />

Mitgliedstaaten unterschiedlich ausfallen kann und die Gefahr besteht, dass die Richtlinie<br />

mangels Umsetzung gar nicht zur Anwendung kommt, kommt nach Ansicht der Verfasser<br />

trotz Mindestharmonisierung durch die Richtlinie eine Rechtfertigung von Ausnahmen in<br />

Betracht. Klärungsbedürftig scheint auch, wie die Anforderung einer unmittelbaren Verknüpfung<br />

mit einem „besonderen Risiko“ für den Ort der Dienstleistungserbringung zu<br />

lesen ist. Muss es sich um ein Risiko für einen konkret in Bezug genommenen Ort handeln<br />

oder genügt eine typische/abstrakte Risikosituation?<br />

Inwieweit ein Bedürfnis nach einem Rückgriff auf die Ausnahmetatbestände zum<br />

Herkunftslandprinzip besteht, hängt im Ergebnis auch davon ab, ob eine effektive Kontrolle<br />

der grenz<strong>über</strong>schreitenden Dienstleistungen möglich ist. Nach Einschätzung der<br />

Verfasser ist ein Vollzugsdefizit zu befürchten, weil nicht hinreichend sichergestellt wird,<br />

dass die zuständigen Behörden im Herkunfts- oder Bestimmungsland <strong>über</strong>haupt von der<br />

grenz<strong>über</strong>schreitenden Tätigkeit (im hier untersuchten Beispiel beim Umgang mit Pflanzenschutzmitteln)<br />

Kenntnis erlangen. Im weiteren Verfahren sollte daher erörtert werden,<br />

wie eine kooperative Kontrolle in diesem Bereich nach Ansicht der Mitgliedstaaten ganz<br />

praktisch aussehen soll. Ggf. sind die Vorschriften des Richtlinienentwurfes zur kooperativen<br />

Kontrolle im Wege der Amtshilfe zu präzisieren. Soweit dies erfolgt, dürfte auch<br />

ein Bedürfnis nach Ausnahmen vom Herkunftslandprinzip nach Art. 17 und im Einzelfall<br />

nach Art. 19 DLRL-E sinken.<br />

4.2.3.3 Referenzbeispiel 3: Lebensmittelschutzrecht<br />

Ebenso wie im Bereich des Pflanzenschutzrechts hat sich gezeigt, dass – insbesondere<br />

was Regelungen bez. des sog. „Inverkehrbringens“ von Lebensmitteln betrifft – die Abgrenzung<br />

zur Warenverkehrsfreiheit die Gefahr einer oft zufälligen Zersplitterung der<br />

Regelungsbereiche erwarten lässt. Es ist also im weiteren Verfahren zu <strong>über</strong>legen, ob die<br />

sachliche Ausgrenzung der Warenverkehrsfreiheit aus dem Anwendungsbereich des Entwurfes<br />

sinnvoll ist. Möglicherweise droht hierdurch aus funktionaler Sicht eine erhebliche<br />

Entwertung der Richtlinie als rechtliches Steuerungsinstrument zur Verwirklichung des<br />

Binnenmarktes.<br />

Erneut hat sich die Auslegung der Ausnahmetatbestände – insbesondere des Art. 17<br />

DLRL-E – als Schlüsselfrage hinsichtlich der künftigen Beibehaltung nationaler Standards<br />

erwiesen. Gerade die Nrn. 16 und 17 des Art. 17 DLRL-E werfen dabei allerdings<br />

viele Unklarheiten auf, welche es im weiteren Verfahren noch zu klären gilt (vgl. auch die<br />

obigen Ausführungen zum Pflanzenschutzrecht). Im Falle des Lebensmittelrechts ist dabei<br />

die Besonderheit zu erwähnen, dass eine Harmonisierung in Form einer direkt geltenden<br />

Verordnung erfolgt ist (vgl. 35). Da insoweit aufgrund der grundsätzlich direkten Geltung<br />

keine Umsetzungsspielräume mehr bestehen, bleibt – anders als im Falle der Standardisierung<br />

durch eine Richtlinie – nach Ansicht der Verfasser unter Berücksichtigung der<br />

Grundsätze des EuGH zu ungeschriebenen Ausnahmen vom HLP kein Raum mehr für<br />

mitgliedstaatliche Sonderlösungen in Form von Ausnahmen vom HLP.


238 T. Pfeiffer, B. Hess, B. Schinkels, M. Weller, D. Blechinger, S. Ganninger und B. Gündling<br />

4.2.3.4 Referenzbeispiel 4: Schutz vor Infektionskrankheiten<br />

Hier stellt sich die Frage, wie im europäischen Ausland Bescheinigungen für niederlassungswillige<br />

Dienstleister erstellt werden können, die materiell den Anforderungen des<br />

achten Abschnittes des Gesetzes zum Schutz vor Infektionskrankheiten (IfSG) genügen<br />

und ebenso effektiv zum Schutz vor Infektionskrankheiten beitragen. In dieser Hinsicht<br />

könnte das BMVEL auch im Bereich des Artikels 8 DLRL-E noch auf Modifikationen am<br />

Richtlinientext drängen. Denn der Entwurfsfassung ist nicht hinreichend klar, wie eine<br />

elektronische Abwicklung genau aussehen soll, bei welcher ein hinreichend effektiver<br />

Gesundheitsschutz noch gewährleistet ist.<br />

Im Kern geht es um die Frage der Qualität und Sicherheit elektronischer Zulassungsverfahren/Nachweisführungen<br />

im Bereich hochrangiger Allgemeingüter. Es gilt die Verfahrensstandards<br />

so zu konkretisieren und ggf. mit Ausnahmetatbeständen zu versehen,<br />

dass die Allgemeingüter (hier konkret der Gesundheitsschutz) bereits durch das (internationale,<br />

eine elektronische Abwicklung vorschreibende) Verfahrensrecht hinreichend<br />

gewährleistet werden.<br />

4.2.3.5 Regelungen zu Amtshilfe und Einheitlichem Ansprechpartner<br />

Art. 35 DLRL-E enthält Vorgaben zur grenz<strong>über</strong>schreitenden Amtshilfe, die Art. 6 und 7<br />

DLRL-E zur Einführungen eines sog. Einheitlichen Ansprechpartners (dazu bereits oben<br />

unter 4.1.1 und 4.1.3). Insoweit war bei der Auswertung der speziellen Fachgesetze darauf<br />

zu achten, ob nicht bereits einschlägige Regelungen vorhanden sind.<br />

● Einheitlicher Ansprechpartner<br />

Mit den § 16g TSchG, § 38b PflSchG und § 72 LFGB finden sich Regelungen zur grenz<strong>über</strong>schreitenden<br />

Behördenkooperation. Danach ist für den Kontakt nach außen innerhalb<br />

des europäischen Verwaltungsverbundes zunächst das BMVEL zuständig. Jedoch<br />

sind jeweils Delegationsbefugnisse an nachgeordnete Behörden vorgesehen. Für die<br />

Umsetzung der geplanten Richtlinie ist zu empfehlen, eine ausführlichere Regelung<br />

zum Einheitlichen Ansprechpartner in einem allgemeinen Gesetz wie dem VwVfG zu<br />

verankern. Dabei kann das Muster einer Grundzuständigkeit des BMVEL mit Delegationsbefugnissen<br />

nach unten als Regelungsvorbild dienen.<br />

●<br />

Amtshilfe<br />

Die Amtshilfe betreffende Normen finden sich mit den § 16f TSchG, § 38a PflSchG und<br />

§ 38 IV, VI, VII LFGB. Dabei fällt auf, dass die Vorgaben zur Amtshilfe jeweils sehr<br />

unterschiedlich detailliert ausfallen. Sinnvoll erscheint die Entscheidung, für die Weitergabe<br />

von Datenmaterial an Behörden anderer Mitgliedstaaten die nach inländischem<br />

Recht zuständige Behörde auch im Außenverhältnis für zuständig zu erklären. Im Falle<br />

der Umsetzung der kommenden Richtlinie empfiehlt es sich, die genannten fachgesetzlichen<br />

Vorschriften vollständig zu streichen: zum einen aufgrund der Unterschiedlichkeit<br />

der vorgesehenen Kooperationsstrukturen, zum anderen, weil im Vergleich zu<br />

den detaillierten Vorgaben des Art. 35 DLRL-E immer nur Teile des einzuführenden<br />

Verfahrens bereits vorgesehen sind. Wie im Falle des Einheitlichen Ansprechpartners<br />

sollte die Regelung zur Amtshilfe einheitlich im VwVfG verankert und dort an die<br />

bestehenden Regelungen zur Amtshilfe angefügt werden.<br />

Zusammenfassung<br />

Mit dem untersuchten Richtlinienvorschlag zur Verwirklichung von Grundfreiheiten (Art. 43, 49<br />

EG-Vertrag) und zur Förderung der engeren Zusammengehörigkeit der Staaten und Völker Europas<br />

(Artikel 1 II EUV) hat der europäische Gesetzgeber einen völlig neuen Rechtsrahmen für Dienstleistungen<br />

innerhalb Europas entworfen. Er enthält wegweisende Weichenstellungen in der Behördenzusammenarbeit<br />

und in der Schaffung eines einheitlichen europäischen Verwaltungsverbundes. Die<br />

Auswirkungen dieser Vorgaben verbleiben nicht autonom im europäischen Rechtsraum, sie ziehen


EU-Dienstleistungsrichtlinie – Rechtsfolgenabschätzung<br />

239<br />

für das nationale Recht, in seinen allgemeinen Gesetzen (EGBGB, VwVfG) ebenso wie in den<br />

speziellen Fachgesetzen (z. B. TierschutzG oder PflSchG), weitreichende Konsequenzen nach sich.<br />

Besonders im Tierschutzrecht ist aufgrund fehlender Vorbehalte in den Ausnahmekatalogen zum<br />

Herkunftslandprinzip ein Absinken der Schutzstandards zu befürchten. Am Beispiel des Pflanzenschutzrechts<br />

hat sich gezeigt, dass auch im Bereich der Niederlassungsfreiheit durch die vorgesehenen<br />

Anerkennungspflichten transnational wirkender Behördenentscheidungen einer Art Herkunftslandprinzip<br />

durch die Hintertür droht. Besonders bedenklich erscheint in diesem Bereich, dass von<br />

den Anerkennungspflichten keine allgemeinen Ausnahmen vorgesehen sind.<br />

Die Primärrechtskonformität des umfassenden Herkunftslandprinzips begegnet im Hinblick auf<br />

Artikel 50 III EG-Vertrag a.E. keinen Bedenken. Letzterem widersprechen weder die verwaltungsverfahrensrechtlichen<br />

Anordnungen des DLRL-E in den Kapiteln zwei und fünf, die Modifikationen<br />

am mitgliedsstaatlich tradierten Verwaltungsverfahren (§§ 4 ff. VwVfG) nach sich ziehen werden,<br />

noch widersprechen ihm die Auswirkungen im Rahmen mitgliedsstaatlicher Spezialgesetze.<br />

Vergleichbar diesen grundlegenden Neuerungen samt Modifikationsvorgaben für das nationale<br />

Recht sind auch die Auswirkungen der geplanten Richtlinie auf zivilrechtliche Institute: Unter anderem<br />

beruft das Herkunftslandprinzip im Sinne einer Kollisionsnorm ausländisches Recht zur Anwendung<br />

und deutsche Verbraucherschutznormen werden durch den Regelungsgehalt der Richtlinie nach<br />

der untersuchten Entwurfsfassung teilweise unanwendbar. Diese Unanwendbarkeit ist zwar nicht<br />

zwangsläufig negativ i. S.e. Qualitätsverlustes zu beurteilen; im Rahmen einer Gesamtbetrachtung<br />

muss aber festgestellt werden, dass das Herkunftslandprinzip als generelles und weitgehend pauschal<br />

wirkendes Anknüpfungsprinzip trotz der offenen Generalklauseln in den Ausnahmetatbeständen zur<br />

sachgerechten Bewältigung kollisionsrechtlicher Interessenkonflikte wenig tauglich ist.<br />

Summary<br />

The Proposal for a Directive of the European Parliament and of the Council on Services in the<br />

Internal Market of 10 January 2005 -<br />

Assessment of Legal Implications for the<br />

Federal Ministry for Food, Agriculture and Consumer Protection<br />

With the examined proposal for a Directive on the realisation of fundamental freedoms (Art. 43, 49<br />

of the EC Treaty) and on the promotion of an ever closer union of the states and peoples of Europe<br />

(Article 1, subsection (II) of the Treaty on European Union), the European legislator drew up a completely<br />

new regulatory framework for services within Europe. It contains groundbreaking options for<br />

co-operation between national authorities and for the creation of a single European administrative<br />

network. The impact of these requirements does not only make itself felt in the European judicial<br />

area, it has far-reaching implications for national law, both in general acts (Introductory Act to the Civil<br />

Code, Administrative Procedures Act) as well as in specific specialised acts (e. g. Animal Welfare<br />

Act or Plant Protection Act). There is a danger of standards for protection being lowered in animal<br />

welfare law, in particular, because reservations are missing in the catalogue of exemptions regarding<br />

the country-of-origin principle. The example of phytosanitary legislation has illustrated that a kind<br />

of country-of-origin principle threatens to get in through the back door with regard to freedom of<br />

establishment, too, through the envisaged requirements for recognition of decisions taken by public<br />

authorities that have a transnational impact. The fact that no general exemptions from the recognition<br />

requirements are being envisaged gives cause for particular concern in this field.<br />

There are no reservations about the conformity with primary law of the comprehensive countryof-origin<br />

principle with a view to Article 50, subsection (III) of the EC Treaty. The latter is neither<br />

inconsistent with the orders concerning administrative procedures laid down in chapters two and<br />

five of the EU’s Directive on Services that necessitate modifications of traditional administrative<br />

procedures in Member States (Sections 4 et seqq of the Administrative Procedures Act) nor does it<br />

conflict with the impact within the scope of specialised acts in Member State law.<br />

The impact of the planned Directive on institutions under civil law is comparable to these fundamental<br />

innovations and requirements for modification of national law: the country-of-origin principle<br />

as a choice-of-law rule invokes the application of foreign law, inter alia. German consumer protection<br />

standards cease to be applicable, in part, due to the regulatory content of the Directive according to<br />

the examined draft version. While this inapplicability is not necessarily negative in the sense of a<br />

loss of quality, it must be noted as a result of a general analysis that the country-of-origin principle<br />

is hardly suitable to cope with competing interests related to conflicts of laws in an appropriate manner<br />

as a general connecting principle having a largely sweeping impact in spite of the open general<br />

clauses in the statutory definitions of exemptions.


240 T. Pfeiffer, B. Hess, B. Schinkels, M. Weller, D. Blechinger, S. Ganninger und B. Gündling<br />

Résumé<br />

Proposition de directive du Conseil et du Parlement européen relative aux services dans<br />

le marché intérieur du 10 janvier 2005–évaluation des conséquences juridiques sur ordre du<br />

Ministère fédéral de l’Alimentation, de l’Agriculture et de la Protection des Consommateurs<br />

Par cette proposition de directive sur les services dans le marché intérieur visant à mettre en œuvre les<br />

libertés fondamentales (Art. 43, 49 du Traité CE) et à encourager une cohésion plus étroite entre les<br />

Etats et les peuples de l’Europe (article 1 II TUE), le législateur européen a élaboré un cadre juridique<br />

totalement nouveau pour les prestations de services à l’intérieur de l’Europe. Il contient des choix<br />

décisifs pour la collaboration des autorités publiques et la création d’un réseau administratif européen<br />

harmonisé. Ces dispositions ne touchent pas seulement l’espace juridique européen, mais elles ont<br />

aussi de vastes conséquences sur le droit national tant en ce qui concerne les lois générales (telle que<br />

la loi d’introduction du Code civil) que les lois spécifiques (par exemple la loi sur la protection des<br />

animaux ou la loi sur la protection des plantes). Notamment dans la législation sur la protection des<br />

animaux, le niveau de la protection risque à baisser en raison de l’absence d’une clause restrictive<br />

dans les listes d’exception concernant le principe du pays d’origine. L’exemple de la législation sur<br />

la protection des plantes a montré que dans le domaine de la liberté d’établissement une sorte de<br />

principe du pays d’origine menace de s’introduire à travers la reconnaissance obligatoire prévue de<br />

décisions des autorités publiques ayant un effet transnational. Ce qui est particulièrement inquiétant<br />

c’est le fait qu’aucune exception générale n’est prévue de ces obligations de reconnaissance.<br />

Concernant la conformité du principe du pays d’origine au droit primaire, il n’y pas de réserves<br />

compte tenu de l’article 50 III du Traité CE. Ni les dispositions relatives aux procédures administratives<br />

dans les chapitres 2 et 5 de la directive analysée, qui entraîneront des modifications au<br />

niveau de la procédure administrative traditionnelle des Etats membres (§§ 4 et suivants de la loi<br />

relative aux procédures administratives), ni les effets dans le cadre de lois spécifiques nationales ne<br />

le contredisent.<br />

Les conséquences du projet de la directive sur les instituts de droit civil sont comparables aux<br />

innovations fondamentales et aux conditions de modification pour le droit national : Ainsi, le principe<br />

du pays d’origine en tant que règle pour des conflits de lois désigne la loi étrangère comme l’ordre<br />

juridique compétent. Les dispositions allemandes concernant la protection des consommateurs deviendront<br />

partiellement inapplicables par les règles de la directive relative aux prestations de services<br />

dans sa version prévue. Cette inapplicabilité n’est cependant pas forcement négative dans le sens<br />

d’une perte de qualité ; d’un point de vue global, il faut toutefois constater que malgré les clauses générales<br />

ouvertes contenues dans les clauses dérogatoires de la directive, le principe du pays d’origine<br />

en tant que principe de rattachement général avec des effets surtout globaux est peu approprié à la<br />

maîtrise adéquate de conflits d’intérêts dans le cas de conflits de lois.<br />

Literatur<br />

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12. Europäischer Gerichtshof, 2002: Rs. C-334/00, Tacconi/HWS, Slg. 2002, 7357.<br />

13. –, 1995: Rs. C-384/93, Alpine Investments, Slg. 1995, 1141.<br />

14. Frenz, Walter, 2004: Handbuch Europarecht, Bd. I: Europäische Grundfreiheiten, Heidelberg.


EU-Dienstleistungsrichtlinie – Rechtsfolgenabschätzung<br />

241<br />

15. geiger, rUdolF, 2004: EUV/EG. Vertrag <strong>über</strong> die Europäische Union und Vertrag zur Gründung der<br />

Europäischen Gemeinschaft, 4. Auflage, München.<br />

16. glock, Jana, 2004: Das deutsche Tierschutzrecht und das Staatsziel „Tierschutz“ im Lichte des Völkerrechts<br />

und des Europarechts, Baden-Baden.<br />

17. goUnalakis, georgios, 2003: Rechtshandbuch Electronic Business, München.<br />

18. grabitz, eberhard; hilF, meinhard, 2005: Das Recht der Europäischen Union, Bd. I und III, 27. Lfg.,<br />

München.<br />

19. grigoleit, hans christoph, 2002: Besondere Vertriebsformen im BGB, Neue Juristische Wochenschrift<br />

2002, S. 1151 ff.<br />

20. Jayme, erik; kohler, christian, 2004: Europäisches Kollisionsrecht 2004: Territoriale Erweiterung<br />

und methodische Rückgriffe, Praxis des internationalen Privat- und Verfahrensrechts 2004, S. 481 ff.<br />

21. klUge, hans-georg (hrsg.), 2002: Tierschutzgesetz, StuttgArt.<br />

22. klUth, WinFried, 2004: Die Bedeutung der EU-Dienstleistungsrichtlinie für die Kammern und ihre<br />

Aufgaben, in: Jahrbuch des Kammerrechts Vol. 2003 (2004), S. 94 ff.<br />

23. knack, hans Joachim (u. a.), 2004: Verwaltungsverfahrensgesetz, 8. Auflage, Köln-Berlin-Bonn-München.<br />

24. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, 2004: Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen<br />

Parlaments und des Rates <strong>über</strong> Dienstleistungen im Binnenmarkt, KOM (2004) 2 endg.<br />

25. kropholler, Jan, 1975: Internationales Einheitsrecht, Allgemeine Lehren, Tübingen.<br />

26. lambsdorFF, alexander graF, 2005: Gastkommentar: Die Dienstleistungsrichtlinie in den Beratungen<br />

des Europaparlaments, Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 2005, S. 577 ff.<br />

27. larenz, karl, 1991: Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Auflage, Berlin u. a. 1991.<br />

28. laU, katrin, 2005: Der Entwurf der „Dienstleistungsrichtlinie“ – ein mögliches Patchwork von<br />

Rechtssystemen und Standards, Infrastrukturrecht 2005, S. 83 ff.<br />

29. leUtner, barbara, 2005: „Lohndumping“ oder Chance?–EU-Dienstleistungsrichtlinie, Städtetag<br />

2005, 29 ff.<br />

30. mankoWski, peter, 2004: Wider ein Herkunftslandprinzip für Dienstleistungen im Binnenmarkt, Praxis<br />

des internationalen Privat- und Wirtschaftsrecht 2004, S. 385 ff.<br />

31. moos, christian, 2005: Eine europäische Richtlinie auf dem Prüfstand, GdS Magazin Juni 2005, S. 8<br />

ff.<br />

32. Rat der Europäischen Union, 2005: Ratsdokument Nr. 5161/05 vom 10. Januar 2005.<br />

33. –, 1991: Richtlinie 91/414/EWG <strong>über</strong> das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln, ABl.EG Nr. L<br />

230 vom 19.08.1991, S. 1.<br />

34. –, 2004: Verordnung 1/2005/EG des Rates vom 22.12.2004 <strong>über</strong> den Schutz von Tieren beim Transport<br />

und damit zusammenhängenden Vorgängen sowie zur Änderung der Richtlinie 64/432/EWG und<br />

93/119/EG und der Verordnung 1255/97, ABl.EG Nr. L 3 vom 2005.01.2005, S. 1 ff.<br />

36. Rat der Europäischen Union und Europäisches Parlament, 2002: Verordnung Nr. 178/2002 des Europäischen<br />

Parlaments und des Rates vom 28.01.2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und<br />

Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit<br />

und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit, ABl.EG 2002 Nr. L 31, S. 1.<br />

37. rossbrUch, robert, 2005: Editorial: EU-Dienstleistungsrichtlinie: Das Herkunfts-landprinzip muss im<br />

Gesundheitsbereich Ausnahmen erfahren, Zeitschrift für Rechtsfragen in der stationären und ambulanten<br />

Pflege 2005, S. 201 f.<br />

38. schinkels, boris, 2005: Zu den Auswirkungen des Vollharmonisierungskonzepts der Richtlinie <strong>über</strong><br />

den FernAbsatz von Finanzdienstleistungen auf nationale Umsetzungsspielräume, Zeitschrift für Gemeinschaftsprivatrecht<br />

2005, S. 109 ff.<br />

39. schlachter, monika, 2004: Allgemeines Gemeinschafts- und Gemeinschaftsprivatrecht: Der Kommissionsentwurf<br />

für eine Richtlinie <strong>über</strong> Dienstleistungen im Binnenmarkt, Zeitschrift für Gemeinschaftsprivatrecht<br />

2004, S. 245 ff.<br />

40. schlichting, Jan mUck; spelten, WolFram, 2005: Die Dienstleistungsrichtlinie, Europäische Zeitschrift<br />

für Wirtschaftsrecht 2005, S. 238 ff.<br />

41. schliesky, Utz, 2005: Von der Realisierung des Binnenmarkts <strong>über</strong> die Verwaltungsreform zu einem<br />

gemeineuropäischen Verwaltungsrecht? Die Auswirkungen der geplanten EU-Dienstleistungsrichtlinie<br />

auf das deutsche Verwaltungsrecht, Deutsches Verwaltungsblatt 2005, S. 887 ff.<br />

42. schmidt-assmann, eberhard, 2004: Das allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee – Grundlagen<br />

und Aufgaben der verwaltungsrechtlichen Systembildung, 2. Auflage, Berlin u. a.<br />

43. –, 2004: Methoden der Verwaltungsrechtswissenschaft – Perspektiven der Systembildung, in: Schmidt-<br />

Aßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg.), Methoden der Verwaltungsrechtswissenschaft, Baden-Baden,<br />

S. 387 ff.<br />

44. schriever, eva, 2005: Dienstleistungsrichtlinie, quo vadis? Europäisches Parlament denkt <strong>über</strong> Verzicht<br />

auf Herkunftslandprinzip nach, Anwaltsblatt 2005, S. 407 ff.<br />

45. schWarze, Jürgen, 2000: EU-Kommentar, Baden-Baden.


242 T. Pfeiffer, B. Hess, B. Schinkels, M. Weller, D. Blechinger, S. Ganninger und B. Gündling<br />

46. stelkens, paUl; bonk, heinz-Joachim; sachs, michael, 2001: Verwaltungsverfahrensgesetz, 6. Auflage,<br />

München.<br />

47. streinz, rUdolF (hrsg.), 2003: EUV/EG – Vertrag <strong>über</strong> die Europäische Union und Vertrag zur Gründung<br />

der Europäischen Gemeinschaft, München.<br />

48. sydoW, gernot, 2004: Verwaltungskooperation in der Europäischen Union, Tübingen.<br />

49. von danWitz, thomas, 2004: Aarhus-Konvention: Umweltinformation, Öffentlichkeitsbeteiligung,<br />

Zugang zu den Gerichten, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 2004, S. 272 ff.<br />

50. vosskUhle, andreas, 2000: Der Wandel von Verwaltungsrecht und Verwaltungsprozeßrecht in der<br />

Informationsgesellschaft in: hoFFmann-riem, WolFgang und schmidt-assmann, eberhard (Hrsg.),<br />

Verwaltungsrecht in der Informationsgesellschaft, S. 349 ff.<br />

51. Wettner, Florian, 2005: Die Amtshilfe im Europäischen Verwaltungsrecht, Tübingen.<br />

52. Wiesner, peter m.; Wiedmann, daniel, 2005: Die Dienstleistungsrichtlinie – Marktöffnung oder Abschottung?,<br />

Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis 2005, 1210 ff.<br />

53. Wirtschafts- und Sozialausschusses der Gemeinschaften, 2005: Stellungsnahme zur DLRL, ABl.EG<br />

Nr. C 221, S.113 vom 08.09.2005.<br />

Fußnoten<br />

1) Mit dem Kabinettsbeschluss vom 22. November 2005 wurde das Bundesministerium für<br />

Verbraucherschutz, Ernährung und <strong>Landwirtschaft</strong> (BMVEL) zum Bundesministerium für Ernährung,<br />

<strong>Landwirtschaft</strong> und Verbraucherschutz (<strong>BMELV</strong>) umbenannt.<br />

2) Das Gutachten ist in der Vollversion abrufbar unter http://www.bmelv.de.<br />

3) Vgl. zuletzt den geänderten Vorschlag für eine „Verordnung des Europäischen Parlamentes und<br />

des Rates <strong>über</strong> das auf ausservertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom II)“,<br />

KOM (2006) 83 end. vom 21.02.2006.<br />

4) Die Kurzkommentierung kann aufgrund des begrenzten Platzes an dieser Stelle nicht wiedergegeben<br />

werden. An ausgewählten Stellen wird im Rahmen der Zusammenfassung der Referenzbereiche<br />

auf zentrale Fragestellungen hingewiesen. Im Übrigen sei auf die Vollversion des<br />

Gutachtens und die dortige ausführliche Kommentierung der Richtlinie verwiesen.<br />

Autorenanschrift: Prof. Dr. thomas pFeiFFer, Prof. Dr. bUrkhard hess, Dr. boris schinkels, LL.M.;<br />

Dr. matthias Weller, Mag. rer. publ., dennis blechinger, steFFen ganninger und<br />

Dr. benJamin gündling, Institut für ausländisches- und internationales Privat- und<br />

Wirtschaftsrecht, Augustinergasse 9, 69117 Heidelberg, Deutschland<br />

institut@ipr.uni-heidelberg.de


Arbeitseinsatz in der deutschen <strong>Landwirtschaft</strong> und<br />

Beschäftigungseffekte politischer Maßnahmen<br />

Von Ferdinand Fasterding und daniela rixen, Braunschweig<br />

1 Einleitung<br />

U.S. Copyright Clearance Center Code Statement: 0005-9080/06/8402-243 $ 2.50/0<br />

243<br />

Wegen des erheblichen Potenzials nicht beschäftigter Arbeitskräfte von mehr als 7 Millionen<br />

(5) hat die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in Deutschland nach wie vor eine<br />

erhebliche Bedeutung. Vom Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und<br />

<strong>Landwirtschaft</strong> wurde daher eine Analyse der Beschäftigungsmöglichkeiten im Agrarsektor<br />

und der Beschäftigungseffekte agrarpolitischer Maßnahmen (14) angeregt. Wesentliche<br />

Ergebnisse dieser Analyse werden im Folgenden dargestellt. Mit der Untersuchung<br />

wurde dem Anliegen der politischen Entscheidungsträger Rechnung getragen, die Informationsgrundlage<br />

für Weichenstellungen zu verbessern, wenn sich Ungleichgewichte auf<br />

den Märkten für landwirtschaftliche Arbeitskräfte abzeichnen. Die Analyse der Nachfrage<br />

des Agrarsektors nach und des Angebots an solchen Arbeitskräften war daher ein wesentliches<br />

Ziel der Untersuchung. Da zu den Zielen der Politik auch die Überwindung<br />

der Arbeitslosigkeit in ländlichen Räumen gehört (30), galt es außerdem zu untersuchen,<br />

inwieweit es durch agrarpolitische Maßnahmen gelingt, Erwerbsmöglichkeiten in diesen<br />

Räumen zu erhalten oder zu schaffen.<br />

2 Erwerbstätigkeit in der <strong>Landwirtschaft</strong><br />

Um die generelle Bedeutung des Agrarsektors für die Bereitstellung von Arbeitsplätzen<br />

herauszuarbeiten, wird im Folgenden zunächst auf die Stellung der <strong>Landwirtschaft</strong> in<br />

der volkswirtschaftlichen Entwicklung eingegangen. Die mit dem gesamtwirtschaftlichen<br />

Wachstum verbundenen strukturellen Wandlungen sind seit geraumer Zeit bekannt (27)<br />

und haben sich bis in die jüngste Vergangenheit fortgesetzt. Der Strukturwandel geht mit<br />

Steigerungen der Arbeitsproduktivität in der <strong>Landwirtschaft</strong> einher und hängt mit dem als<br />

„Engelsches Gesetz“ beschriebenen Phänomen zusammen. Nach diesem Gesetz halten<br />

die Ausgaben der Haushalte für Nahrungsmittel nicht mit den steigenden Einkommen<br />

Schritt. Bei steigenden Verbrauchereinkommen wird nur ein verhältnismäßig kleiner Anteil<br />

an den Gesamtausgaben für Nahrungsmittel aufgewendet, denn die Nachfrage nach<br />

Grundnahrungsmitteln ist im Allgemeinen unelastisch. Dar<strong>über</strong> hinaus fließt ein Teil der<br />

Verbraucherausgaben nicht in die <strong>Landwirtschaft</strong>, sondern in die Ernährungsindustrie, das<br />

Nahrungsmittelhandwerk, den Handel und das Gaststättengewerbe (18).<br />

Ein Kennzeichen hoch entwickelter Volkswirtschaften ist daher zumeist, dass sich der<br />

Agrarsektor, der so genannte primäre Sektor, einer mit wachsendem Einkommensniveau<br />

der Bevölkerung nicht in gleichem Maße zunehmenden, sondern häufig sogar abnehmenden<br />

Nachfrage gegen<strong>über</strong> sieht und die Nachfrage nach Produkten der Industrie, des<br />

Handwerks sowie des Bergbaus und der Energiewirtschaft, des so genannten sekundären<br />

Sektors, zunächst steigt. In einer weiteren Phase der Entwicklung gewinnt dann die Nachfrage<br />

nach privaten und öffentlichen Dienstleistungen, also des tertiären Sektors, erheblich<br />

an Bedeutung. Da sich die Arbeitsproduktivität in den Sektoren umgekehrt entwickelt,


244<br />

verliert der Agrarsektor zunächst Arbeitskräfte an das produzierende Gewerbe und später<br />

gewinnt der Dienstleistungssektor für die Beschäftigung von Arbeitskräften an Bedeutung<br />

(27). Im Zuge der mit diesem Prozess verbundenen zunehmenden Arbeitsteilung in der<br />

Volkswirtschaft nimmt auch die Verflechtung des Agrarsektors mit anderen Sektoren zu,<br />

weil in zunehmendem Maße Vorleistungen bezogen und Verarbeitung und Vermarktung<br />

der Produkte aus den landwirtschaftlichen Betrieben ausgelagert werden.<br />

In Tabelle 1 wird das Ausmaß der strukturellen Veränderungen im Gebiet des Deutschen<br />

Reiches, dem früheren Bundesgebiet und dem vereinigten Deutschland dargestellt.<br />

Im Jahr 1882 waren in Deutschland noch rund 43 % der Erwerbstätigen in der Land- und<br />

Forstwirtschaft einschließlich Tierhaltung und Fischerei tätig. Im Zeitraum zwischen 1882<br />

und 1907 nahm die Zahl der Erwerbstätigen im Agrarsektor zwar von rund 8,2 auf fast<br />

10 Millionen zu, da die Zahl der Erwerbstätigen insgesamt aber mit einer größeren Rate<br />

wuchs, verminderte sich der Anteil des Agrarsektors an den Erwerbstätigen auf rund 35 %.<br />

Bis zum Ausbruch des zweiten Weltkrieges ging er weiter auf 25 % zurück. 1939 waren<br />

mit rund 8,9 Millionen aber immer noch mehr Personen im Agrarsektor tätig als 60 Jahre<br />

zuvor (27).<br />

Tabelle 1. Erwerbstätige in Deutschland nach Wirtschaftsbereichen<br />

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Ferdinand Fasterding und Daniela Rixen<br />

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1) Einschließlich Tierhaltung und Fischerei<br />

2) Dienstleistungsunternehmen, Gebietskörperschaften, private Haushalte und Organisationen ohne<br />

Erwerbscharakter<br />

Quelle: (35; 36; 37; Eigene Berechnungen)


Arbeitseinsatz in der deutschen <strong>Landwirtschaft</strong><br />

245<br />

Als Folge des Krieges und der durch Flucht und Vertreibung in den Jahren unmittelbar<br />

nach dem Krieg reichlich verfügbaren Arbeitskräfte in vielen ländlichen Gebieten und der<br />

damit zusammenhängenden – im Vergleich zu einigen westeuropäischen Ländern – später<br />

einsetzenden Mechanisierung der Agrarproduktion (19) war der Anteil des Agrarsektors<br />

an den Erwerbstätigen im früheren Bundesgebiet im Jahr 1950 ähnlich hoch wie 1939<br />

im Deutschen Reich. Die Zahl der Erwerbstätigen im Agrarsektor verminderte sich in<br />

der Nachkriegszeit, in der im früheren Bundesgebiet zeitweise ein erheblicher Mangel an<br />

Arbeitskräften bestand, von rund 5 Millionen im Jahr 1950 auf weniger als eine Million<br />

im Jahr 1991. Die Anteile an den Erwerbstätigen nahmen dabei von nahezu 25 % auf rund<br />

3,3 % ab (siehe Tab. 1).<br />

Im Gebiet der ehemaligen DDR verminderte sich der Anteil der Berufstätigen in der<br />

Land- und Forstwirtschaft an den Berufstätigen insgesamt von rund 31 % im Jahr 1949 auf<br />

rund 11 % im Jahr 1980 und verharrte auf diesem Niveau bis zum Beitritt der ostdeutschen<br />

Bundesländer zur Bundesrepublik Deutschland. Die strukturellen Umbrüche, die im Zuge<br />

der Wiedervereinigung in den neuen Bundesländern abgelaufen sind, führten zu einer rapiden<br />

Verminderung der Zahl der im Agrarsektor tätigen Personen. Von den vor der Wende<br />

rund 800 000 beschäftigten Personen waren bereits 1992 drei von vier Arbeitskräften aus<br />

den Betrieben des Betriebsbereichs <strong>Landwirtschaft</strong> ausgeschieden (26).<br />

Eine empirische Untersuchung gibt Auskunft <strong>über</strong> den Verbleib dieser Arbeitskräfte.<br />

Danach waren im Mai 1992 rund 34 % der in der ostdeutschen <strong>Landwirtschaft</strong> beschäftigten<br />

Personen in andere Wirtschaftsbereiche abgewandert, 34 % aus dem Erwerbsleben<br />

ausgeschieden und 32 % im Agrarsektor verblieben (9). Der Anteil der in der <strong>Landwirtschaft</strong><br />

verbliebenen Arbeitskräfte wird also etwas höher eingeschätzt als sich aus den<br />

amtlichen Arbeitskräfteerhebungen in der <strong>Landwirtschaft</strong> ergibt.<br />

In den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung wurden in den neuen Bundesländern<br />

offensichtlich strukturelle Anpassungen des Agrarsektors nachgeholt, die in der früheren<br />

DDR seit 1980 unterblieben waren. Mit rund 3,2 % war der Anteil an den Erwerbstätigen<br />

insgesamt aber auch im Jahr 2003 noch höher als im früheren Bundesgebiet, wo er bei<br />

2,3 % lag.<br />

Überwiegend aufgrund der Umbrüche in den neuen Bundesländern hatte sich der Anteil<br />

der Land- und Forstwirtschaft sowie Fischerei an den Erwerbstätigen insgesamt im<br />

vereinigten Deutschland von rund 4 % im Jahr 1991 schon im Jahr 1993 auf 3,3 % vermindert.<br />

Damit war bereits 1993 der Anteil des früheren Bundesgebietes im Jahr 1991<br />

erreicht. Im Jahr 2003 waren in Deutschland rund 2,5 % der Erwerbstätigen, also etwa<br />

895 000 Personen, im Agrarsektor erwerbstätig (33).<br />

Die Verminderung des Arbeitseinsatzes ist nicht nur durch die Substitution von Arbeit<br />

durch Kapital, sondern auch zum Teil durch die Auslagerung von Verarbeitungs- und<br />

Vermarktungsaktivitäten in den bzw. durch den Bezug von Vorleistungen aus dem gewerblichen<br />

Sektor, also durch partielle Einschränkungen der Produktion, ermöglicht worden.<br />

Auslagerungen von Tätigkeiten aus den landwirtschaftlichen Betrieben waren auch in den<br />

neuen Bundesländern bei der Anpassung der <strong>Landwirtschaft</strong> an die stärkere Arbeitsteilung<br />

im früheren Bundesgebiet von Bedeutung. Die Verminderung der Zahl der Erwerbstätigen<br />

in der <strong>Landwirtschaft</strong> und ihr Anteil an den Erwerbstätigen lassen also keine unmittelbaren<br />

Rückschlüsse auf eine Steigerung der Arbeitsproduktivität im Sektor zu.<br />

Anhand eines Vergleichs der Anteile der Erwerbstätigen im primären Sektor, also dem<br />

Agrarsektor, an den Erwerbstätigen in den Regionen der Europäischen Union (EU) wird<br />

u. a. deutlich, dass diese Anteile in den Regionen mit der größten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit<br />

im Jahr 2000 zumeist unter 3 % lagen, während diese Anteile mit zunehmender<br />

Entfernung von den wirtschaftlichen Kernzonen der EU tendenziell zunehmen.<br />

Innerhalb von Deutschland sind die Anteile im Norden und Osten zumeist höher als im<br />

Westen und Süden. Mit Ausnahme von Niederbayern (6,3 %) lagen sie aber im Jahr 2000


246 Ferdinand Fasterding und Daniela Rixen<br />

in allen Regierungsbezirken bzw. Bundesländern unter 6 %. Der Vergleich von Projektionen<br />

der Anteile der Land- und Forstwirtschaft an den Erwerbstätigen Deutschlands<br />

mit Entwicklungen in anderen Mitgliedstaaten der EU zeigt, dass die erwartete weitere<br />

Verminderung dieses Anteils in Deutschland von 2,4 % im Jahr 2001 auf 1,9 % im Jahr<br />

2015 noch nicht zu einem Niveau führen würde, das bereits Ende der 1990er-Jahre im<br />

Vereinigten Königreich und in Luxemburg realisiert war.<br />

Am Beispiel der Niederlande wird die Ausnahme von der Regel deutlich, dass es in<br />

entwickelten Volkswirtschaften ohne „... Abwanderung von Nachwuchs- und Arbeitskräften<br />

aus der <strong>Landwirtschaft</strong> ... in aller Regel keine kräftige wirtschaftliche Entwicklung und<br />

auch keine Steigerung des Pro-Kopf-Einkommens in der <strong>Landwirtschaft</strong>“ gibt (18, S. 6).<br />

Offensichtlich kann es auch gelingen, durch Steigerung der Wertschöpfung des Agrarsektors<br />

dem Abwanderungsdruck entgegen zu wirken. Das ist ein Hinweis auf die Gültigkeit<br />

der allgemeineren Formulierung von andermann und schmitt (3, S. 4 f.), die darauf<br />

hinweisen, dass die Beschäftigungsmöglichkeiten in der <strong>Landwirtschaft</strong> von der Veränderung<br />

der Wertschöpfung des Sektors abhängen. Eine Steigerung der Wertschöpfung<br />

kann beispielsweise aus Diversifizierungen der Produktion oder aus der Erzeugung von<br />

Qualitätsprodukten resultieren. Das Ausmaß, das diese Steigerung in Deutschland haben<br />

müsste, ist aber so groß, dass in Deutschland ohne Verminderungen des Arbeitseinsatzes<br />

in der <strong>Landwirtschaft</strong> erheblich kleinere Spielräume zur Steigerung der Einkommen in der<br />

<strong>Landwirtschaft</strong> bestanden hätten.<br />

3 Strukturwandel in der deutschen <strong>Landwirtschaft</strong><br />

Um eine Grundlage für Projektionen des Angebots an Arbeit an die <strong>Landwirtschaft</strong> zu<br />

schaffen, wurde im Rahmen der Untersuchung auf die strukturellen Entwicklungen in der<br />

<strong>Landwirtschaft</strong> in Deutschland und die der Zahl und des Arbeitseinsatzes verschiedener<br />

Arbeitskräftekategorien eingegangen. Aus der Vielzahl der Strukturmerkmale wird dazu<br />

im Anschluss an die Darstellung von Bestimmungsgründen für den Agrarstrukturwandel<br />

eine Auswahl getroffen.<br />

3.1 Bestimmungsgründe für den Agrarstrukturwandel<br />

Im Rahmen der Untersuchung konnte keine geschlossene Theorie für den Agrarstrukturwandel<br />

dargestellt werden (zur Theorie: 8; 32; 31; 4; 6), es zeigte sich aber, dass einstiegsorientierte<br />

Ansätze (24), wie beispielsweise die Analyse von Ausbildungs- und Berufswahlentscheidungen,<br />

zur Erklärung der Aufnahme von Tätigkeiten in der <strong>Landwirtschaft</strong><br />

geeignet sind (12). Mit diesen Ansätzen können auch das Arbeitsangebot an den Agrarsektor<br />

und die Übernahme landwirtschaftlicher Betriebe erklärt werden. Zur Erklärung der<br />

Nachfrage nach Arbeit bzw. des Arbeitsbedarfs ergab die Analyse der Literatur (17; 10; 7),<br />

dass die Outputmengen bei gegebener Produktionsfunktion und unveränderten Produkt-<br />

und Faktorpreisen die Faktornachfrage bestimmen, dass die Produkt- und Faktorpreise<br />

sowie die sich ändernden Intensitäten des Faktoreinsatzes den Produktionswert und damit<br />

die Wertschöpfung sowie die Faktorentlohnung beeinflussen und dass Agrarpreisveränderungen<br />

stets auch die relative Vorzüglichkeit alternativer Technologien sowie die Struktur<br />

des Faktoreinsatzes verändern (23). Auch die Politik beeinflusst durch unterschiedliche<br />

Wirkungsketten den Arbeitseinsatz in der <strong>Landwirtschaft</strong>. Sie kann beispielsweise <strong>über</strong><br />

Fördermaßnahmen die Einführung technischer Fortschritte induzieren und dadurch die<br />

relative Vorzüglichkeit des Arbeitseinsatzes verändern, also im Fall der Einführung arbeitssparender<br />

technischer Fortschritte zur Freisetzung von Arbeitskräften beitragen.


Arbeitseinsatz in der deutschen <strong>Landwirtschaft</strong><br />

3.2 <strong>Landwirtschaft</strong>liche Betriebe<br />

247<br />

Anhand von Tabelle 2 kann man berechnen, dass die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe<br />

im früheren Bundesgebiet zwischen 1973 und 2001 nach Zinseszins um rund 3 %<br />

p. a. abnahm. Zwar haben Änderungen der Erhebungsmethodik der amtlichen Statistik,<br />

insbesondere Anhebungen der Erfassungsgrenze, Auswirkungen auf die Veränderungsraten<br />

der Zahl landwirtschaftlicher Betriebe gehabt. Diese Auswirkungen dürften bei einer<br />

langfristigen Betrachtung jedoch zu vernachlässigen sein. Zumindest entspricht die Verminderungsrate<br />

der Zahl der Betriebe zwischen 1999 und 2001 mit 3 % p. a. dem langfristigen<br />

Trend.<br />

Tabelle 2. Größenstruktur landwirtschaftlicher Betriebe 1)<br />

Betriebe insgesamt 1000 966 768 579 536 462 433 407<br />

darunter<br />

unter 5 ha LF % 36,0 33,8 31,4 31,3 25,0 23,7 23,7<br />

5 bis 10 ha LF % 19,9 17,7 15,9 15,1 16,2 15,9 15,6<br />

10 bis 20 ha LF % 23,7 21,5 18,8 18,0 18,8 19,2 19,4<br />

20 bis 30 ha LF % 11,3 12,7 11,8 11,6 12,1 11,4 10,3<br />

30 bis 50 ha LF % 6,7 9,8 12,2 12,4 13,7 14,2 13,8<br />

50 bis 100 ha LF % 2,5 3,9 8,2 9,2 11,1 12,0 12,8<br />

100 und mehr ha LF % 0,6 1,7 2,3 3,0 3,6 4,3<br />

Betriebe insgesamt 1000 27 31 28 30 29<br />

darunter<br />

unter 5 ha LF % 36,9 36,5 27,8 25,8 24,8<br />

5 bis 10 ha LF % 10,8 10,3 11,3 11,9 11,9<br />

10 bis 20 ha LF % 10,8 10,6 12,0 12,5 12,6<br />

20 bis 30 ha LF % 5,2 5,2 5,6 5,8 5,8<br />

30 bis 50 ha LF % 5,2 5,2 6,3 6,4 6,8<br />

50 bis 100 ha LF % 6,7 7,1 8,1 8,1 8,5<br />

100 und mehr ha LF % 24,3 25,2 29,2 29,5 29,6<br />

Betriebe insgesamt 1000 606 567 491 462 436<br />

darunter<br />

unter 5 ha LF % 31,6 31,6 25,2 23,8 23,8<br />

5 bis 10 ha LF % 15,7 14,8 15,9 15,6 15,4<br />

10 bis 20 ha LF % 18,4 17,6 18,4 18,8 19,0<br />

20 bis 30 ha LF % 11,5 11,3 11,7 11,1 10,0<br />

30 bis 50 ha LF % 11,9 12,0 13,3 13,7 13,3<br />

50 bis 100 ha LF % 8,1 9,1 10,9 11,8 12,5<br />

100 und mehr ha LF % 2,7 3,5 4,6 5,3 6,0<br />

Jahr<br />

1973 1983 1993 1995 1997 1999<br />

Früheres Bundesgebiet<br />

Neue Bundesländer<br />

Deutschland<br />

1) Bis 1997 landwirtschaftliche Betriebe mit 1 oder mehr ha LF. Ab 1999 Betriebe mit 2 oder<br />

mehr ha LF. Jeweils auch Betriebe mit Mindestgrößen an ausgewählten Tierbeständen oder Spezialkulturen.<br />

Quelle: (34; Eigene Berechnungen).<br />

2001


248 Ferdinand Fasterding und Daniela Rixen<br />

Während im früheren Bundesgebiet in den 1970er-Jahren die Zahl der Betriebe mit 30<br />

bis unter 50 ha landwirtschaftlich genutzter Fläche (LF) noch stieg, waren in den 1980er-<br />

und 1990er-Jahren lediglich in den Gruppen der Betriebe mit 50 und mehr bzw. 100 und<br />

mehr ha LF noch Zunahmen zu verzeichnen. Wie in Tabelle 2 erkennbar, hat sich durch<br />

die unterschiedlichen Entwicklungen in den Größenklassen die Betriebsgrößenstruktur<br />

verändert. Während 1973 rund 36 % der Betriebe weniger als 5 ha LF und lediglich 2,5 %<br />

50 ha LF oder mehr bewirtschafteten, lagen diese Anteile 2001 bei 24 bzw. 17 %.<br />

Wegen der völlig anderen Strukturen zu DDR-Zeiten und der Umbrüche nach dem<br />

Beitritt der neuen Bundesländer verlief die Entwicklung dort nicht so wie in der früheren<br />

Bundesrepublik. Ein direkter Vergleich struktureller Entwicklungen zwischen Ost- und<br />

Westdeutschland vor 1993 erscheint daher nicht sinnvoll. Zwischen 1993 und 1995 stieg<br />

die Zahl der Betriebe in allen ausgewiesenen Betriebsgrößenklassen stark an. Insbesondere<br />

in Betrieben unter 5 ha LF dürften die genannten methodischen Änderungen der Statistik<br />

dazu beigetragen haben, dass seit 1997 die Zahl der Betriebe niedriger ausgewiesen<br />

wird als 1995. Betrachtet man die Betriebe in den neuen Bundesländern insgesamt im<br />

gesamten Zeitraum zwischen 1993 und 2001, sind nach Zinseszins Zunahmen der Zahl<br />

von 1,2 % p. a. zu verzeichnen. Dagegen stagnierte die Gesamtzahl der Betriebe zwischen<br />

1999 und 2001. Zunahmen von 2,6 bzw. 2,1 % p. a. sind lediglich in den Größenklassen 30<br />

bis 50 ha sowie 50 bis 100 ha LF zu verzeichnen, also Betriebsgrößen, die in den neuen<br />

Bundesländern nur eine geringe Rolle spielen (siehe Tab. 2).<br />

Die strukturellen Wandlungen im Zeitraum zwischen 1993 und 2001 haben auch in den<br />

neuen Bundesländern in der Größenklasse der Betriebe mit 100 und mehr ha LF trotz der<br />

erheblich höheren Anteile, die diese Betriebe bereits zu Beginn der betrachteten Periode<br />

hatten, zur Zunahme der Anteile von rund 24 % im Jahr 1993 auf rund 30 % im Jahr 2001<br />

geführt. Auch die Anteile der Betriebe mit weniger als 5 ha LF an den Betrieben insgesamt<br />

sind vergleichsweise hoch. Im Jahr 2001 gehörten beispielsweise im früheren Bundesgebiet<br />

rund 24 % und in den neuen Bundesländern rund 25 % der Betriebe in diese Größenklasse.<br />

Der Anteil der Nebenerwerbsbetriebe in dieser Größenklasse war dagegen kleiner<br />

als im früheren Bundesgebiet. Zu diesem Ergebnis müssen hohe Anteile flächenarmer<br />

Veredlungs-, Dauerkultur-, landwirtschaftlicher Gemischt- und Gartenbaubetriebe, die als<br />

Juristische Personen, Personengesellschaften oder Haupterwerbsbetriebe organisiert sind,<br />

beigetragen haben. In den Einzelunternehmen mit 20 oder mehr ha LF waren die Anteile<br />

der Betriebe, deren Inhaber oder in den Betrieben tätige Familienangehörige auch außerbetrieblichen<br />

Erwerbstätigkeiten nachgehen, in den neuen Bundesländern dagegen höher<br />

als im früheren Bundesgebiet. Trotz der auf den Arbeitsmärkten bestehenden Probleme<br />

waren Erwerbskombinationen in größeren Einzelunternehmen der neuen Bundesländer<br />

also häufiger anzutreffen als im früheren Bundesgebiet.<br />

Im früheren Bundesgebiet nahmen die Anteile der landwirtschaftlichen Betriebe mit<br />

ständigen Lohnarbeitskräften zwischen 1973 und 1995 kontinuierlich ab. Seit 1997 werden<br />

in der amtlichen Statistik zwar Zunahmen ausgewiesen, die aber zumindest zum Teil<br />

aus den Umstellungen der Erhebungsmethodik resultieren. Im Jahr 2001 betrug der Anteil<br />

der Betriebe mit Lohnarbeitskräften im früheren Bundesgebiet durchschnittlich rund 9 %.<br />

Trotz im Zeitablauf abnehmender Anteile waren aber im Jahr 2001 noch in fast 40 % der<br />

Betriebe mit 100 oder mehr ha LF ständige Lohnarbeitskräfte beschäftigt. Als Folge der<br />

gänzlich anderen Betriebsstrukturen und der Dominanz der Personengesellschaften und<br />

Juristischen Personen, die per Definition Lohnarbeitskräfte beschäftigen, waren die Anteile<br />

der Betriebe, die solche Arbeitskräfte beschäftigten, in den neuen Bundesländern in<br />

allen Betriebsgrößenklassen erheblich höher als im früheren Bundesgebiet. Sie scheinen<br />

sich auf verhältnismäßig hohem Niveau zu stabilisieren. Im Jahr 2001 betrugen sie im<br />

Durchschnitt rund 34 %, waren also mehr als dreimal so hoch wie im früheren Bundesgebiet.<br />

Die Anteile der Betriebe mit Saisonarbeitskräften unterscheiden sich zwischen


Arbeitseinsatz in der deutschen <strong>Landwirtschaft</strong><br />

249<br />

dem früheren Bundesgebiet und den neuen Bundesländern weniger deutlich. Sie lagen in<br />

den neuen Bundesländern mit rund 11 % lediglich um etwa einen Prozentpunkt höher als<br />

im früheren Bundesgebiet. Auffallend sind die höheren Anteile in den kleinen Betrieben<br />

des früheren Bundesgebietes. Das dürfte damit zusammenhängen, dass zu diesen Betrieben<br />

eine große Zahl von Gartenbau- und Dauerkulturbetrieben gehören, die zumeist auf<br />

Saisonarbeitskräfte angewiesen sind. Diese Saisonarbeitskräfte kommen zu einem sehr<br />

großen Teil legal aus einigen europäischen Ländern, insbesondere Polen.<br />

3.3 Arbeitskräfte<br />

Die Zahl der in den landwirtschaftlichen Betrieben beschäftigten Arbeitskräfte hat sich<br />

im früheren Bundesgebiet zwischen 1973 und 2001 mehr als halbiert. Der Arbeitseinsatz<br />

in den Betrieben – gemessen in Arbeitskrafteinheiten (AK-Einheiten) – ist sogar auf rund<br />

37 % des Einsatzes im Jahr 1973 zurückgegangen. Zwischen 1993 und 2001 nahmen die<br />

Zahl der Arbeitskräfte in den neuen Bundesländern lediglich um rund 10 % und der Arbeitseinsatz<br />

um rund 28 % ab. Das hängt damit zusammen, dass als Folge des Strukturwandels<br />

nach der Wiedervereinigung bereits vor 1993 ein erheblicher Beschäftigungsabbau<br />

stattgefunden hatte. Die Anteile der Familienarbeitskräfte sowie der ständigen Lohnarbeitskräfte<br />

an den insgesamt in der <strong>Landwirtschaft</strong> eingesetzten Arbeitskräften waren<br />

in Ost- und Westdeutschland völlig unterschiedlich: Während im Jahr 2001 im früheren<br />

Bundesgebiet rund 71 % der Arbeitskräfte zu den Familienarbeitskräften und rund 9 % zu<br />

den ständigen Lohnarbeitskräften gehörten, betrugen diese Anteile in den neuen Bundesländern<br />

rund 24 % bzw. mehr als 55 %. Der Anteil der Frauen an den insgesamt in landwirtschaftlichen<br />

Betrieben eingesetzten Arbeitskräften nahm im früheren Bundesgebiet von<br />

rund 42 % im Jahr 1973 auf weniger als 38 % im Jahr 2001 ab. Dabei ist bemerkenswert,<br />

dass die Abnahme <strong>über</strong>wiegend vor 1993 stattgefunden hat und zu erheblichen Anteilen<br />

auf in den Betrieben teilbeschäftigte weibliche Familienarbeitskräfte zurückzuführen ist.<br />

Das dürfte damit zusammenhängen, dass die Einführung technischer Fortschritte in der<br />

<strong>Landwirtschaft</strong> den Frauen ermöglicht hat, sich stärker auf Tätigkeiten in den Haushalten<br />

oder auf außerlandwirtschaftliche Erwerbstätigkeiten zu konzentrieren.<br />

In der ehemaligen DDR betrug der Anteil der Frauen an den Beschäftigten in der<br />

<strong>Landwirtschaft</strong> im Jahr 1988 rund 39 %. Der Anteil der weiblichen an den insgesamt in der<br />

<strong>Landwirtschaft</strong> der neuen Bundesländer eingesetzten Arbeitskräfte betrug 1993 nur noch<br />

rund 34 %. Offensichtlich waren vom Beschäftigungsabbau nach der Wiedervereinigung<br />

insbesondere die in den landwirtschaftlichen Betrieben beschäftigten Frauen betroffen.<br />

Bis 1997 hat sich der Anteil der Frauen weiter bis auf rund 33 % vermindert, ist dann<br />

aber wieder bis auf rund 34 % im Jahr 2001 gestiegen. Insgesamt hat sich der Anteil der<br />

Frauen an den Arbeitskräften in der <strong>Landwirtschaft</strong> der neuen Bundesländer seit 1993 also<br />

nicht wesentlich verändert. Der Anteil der Frauen an den ständigen Lohnarbeitskräften hat<br />

dagegen zwischen 1993 und 2001 von rund 33 auf 31 % abgenommen.<br />

Festzuhalten bleibt, dass sich der Arbeitseinsatz sowohl im früheren Bundesgebiet als<br />

auch in den neuen Bundesländern stärker vermindert hat als die Zahl der Arbeitskräfte.<br />

Das ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass der Einsatz von Teilzeit- bzw. Saisonarbeitskräften<br />

im Zeitablauf an Bedeutung gewonnen hat. Während im früheren Bundesgebiet<br />

im Jahr 1973 noch rund 513 AK-Einheiten auf 1000 Arbeitskräfte kamen, also vereinfachend<br />

davon ausgegangen werden kann, dass die Arbeitskräfte im Durchschnitt etwas<br />

mehr als halbtags arbeiteten, waren es im Jahr 2001 nur noch rund 393 AK-Einheiten je<br />

1000 Arbeitskräfte. Der durchschnittliche Arbeitseinsatz einer Person lag also bei weniger<br />

als 40 % des Arbeitseinsatzes einer vollbeschäftigten Person. In den landwirtschaftlichen<br />

Betrieben der neuen Bundesländer war der durchschnittliche Arbeitseinsatz mit mehr als


250 Ferdinand Fasterding und Daniela Rixen<br />

80 % einer vollbeschäftigten Arbeitskraft im Jahr 1993 und mehr als 65 % im Jahr 2001<br />

deutlich höher.<br />

Aus Abbildung 1 kann man ablesen, dass sich der Arbeitseinsatz in der <strong>Landwirtschaft</strong><br />

im früheren Bundesgebiet zwischen 1973 und 2001 nach Zinseszins um rund 3,5 % p. a.<br />

vermindert hat. Die Verminderungsraten des Arbeitseinsatzes der Familienarbeitskräfte<br />

waren größer als die des Durchschnitts aller Arbeitskräfte. Der Anteil der von vollbeschäftigten<br />

Familienarbeitskräften eingesetzten Arbeit ist daher von 1973 bis 2001 von<br />

rund 50 % auf etwa 42 % und der von teilbeschäftigten Familienarbeitskräften von rund<br />

40 % auf 34 % zurückgegangen. Zugenommen hat dagegen der Anteil des Arbeitseinsatzes<br />

von Lohnarbeitskräften. In den neuen Bundesländern waren die Verminderungsraten des<br />

Arbeitseinsatzes der ständigen Lohnarbeitskräfte zwischen 1993 und 2001 deutlich höher<br />

als die der Familienarbeitskräfte. Sowohl der Anteil der Inhaber landwirtschaftlicher<br />

Betriebe und ihrer Familienangehörigen als auch der Anteil von Saisonarbeitskräften am<br />

Arbeitseinsatz hat daher zugenommen. Dennoch dominierte im Jahr 2001 mit rund 80 %<br />

weiterhin der Arbeitseinsatz der ständigen Lohnarbeitskräfte.<br />

Arbeitskrafteinheiten (1.000)<br />

1.400<br />

1.200<br />

1.000<br />

800<br />

600<br />

400<br />

200<br />

0<br />

früheres<br />

Bundesgebiet<br />

1973 1983<br />

nicht ständige familienfremde Arbeitskräfte<br />

ständige familienfremde Arbeitskräfte<br />

teilbeschäftigte Familienarbeitskräfte<br />

vollbeschäftigte Familienarbeitskräfte<br />

Deutsch- früheres Neue Deutsch- früheres Neue Deutsch- früheres Neue Deutsch- früheres Neue Deutsch- früheres Neue<br />

landBundesBundeslandBundesBundeslandBundesBundeslandBundesBundeslandBundesBundesgebietländergebietländergebietländergebietländergebietländer 1993<br />

1995 1997 1999 2001<br />

Abb. 1. Entwicklung des Arbeitseinsatzes in den landwirtschaftlichen Betrieben<br />

Quelle: (34; Eigene Berechnungen).<br />

Bei einer Differenzierung nach der Betriebgröße wird deutlich, dass die Anteile der Familienarbeitskräfte<br />

am Arbeitseinsatz mit zunehmender Größe der landwirtschaftlichen<br />

Betriebe abnehmen. Trotzdem nahmen im früheren Bundesgebiet die Anteile der ständigen<br />

Lohnarbeitskräfte am gesamten betrieblichen Arbeitseinsatz in Betrieben mit 100<br />

oder mehr ha LF zwischen 1983 und 1993 von rund 63 % auf 38 % ab. Bis zum Jahr<br />

2001 blieben sie weitgehend konstant und verminderten sich lediglich auf 37 %. Das ist<br />

ein Hinweis darauf, dass der technische Fortschritt die Freisetzung von Arbeitskräften in<br />

großen Betrieben ermöglicht bzw. dass es häufig gelingt, betriebliches Wachstum ohne<br />

die Einstellung von zusätzlichen Lohnarbeitskräften zu realisieren. Auch in den neuen<br />

Bundesländern ist zwischen 1993 und 2001 in den Betrieben mit 100 oder mehr ha LF<br />

eine Abnahme zu verzeichnen. Die Anteile der Lohnarbeitskräfte am Arbeitseinsatz verminderten<br />

sich aber lediglich von rund 94 % auf 89 %.<br />

Neben dem Umsatz, dem Gewinn usw. wird in der gewerblichen Wirtschaft häufig die<br />

Zahl der Arbeitskräfte zur Beschreibung der Größe der Unternehmen verwendet. Wenn


Arbeitseinsatz in der deutschen <strong>Landwirtschaft</strong><br />

Tabelle 3. Arbeitskräftebesatz landwirtschaftlicher Betriebe 1)<br />

Arbeitseinsatz in AK-Einheiten 2) je 100 ha LF im Jahr<br />

1973 1983 1993 1995 1997 1999 2001<br />

Betriebsgröße<br />

unter 5 ha LF 32,6 29,8 27,8 24,8 27,6 26,9 26,6<br />

5 bis 10 ha LF 15,9 13,1 10,7 10,0 9,8 9,8 9,3<br />

10 bis 20 ha LF 10,8 9,4 7,6 7,2 6,9 6,7 6,3<br />

20 bis 30 ha LF 7,5 6,9 5,9 5,6 5,4 5,4 5,2<br />

30 bis 50 ha LF 5,3 5,0 4,4 4,2 4,0 4,0 3,8<br />

50 bis 100 ha LF 3,8 3)<br />

Früheres Bundesgebiet<br />

3,4 2,9 2,8 2,7 2,7 2,6<br />

100 oder mehr ha LF 2,7 1,9 1,8 1,7 1,7 1,7<br />

insgesamt 10,0 7,8 5,5 4,9 4,5 4,3 4,0<br />

Neue Bundesländer<br />

Betriebsgröße<br />

unter 5 ha LF 62,3 61,5 46,9 52,0 54,7<br />

5 bis 10 ha LF 14,6 12,1 9,6 10,8 8,1<br />

10 bis 20 ha LF 6,9 7,0 5,5 5,5 5,4<br />

20 bis 30 ha LF 5,1 5,1 4,7 4,5 4,2<br />

30 bis 50 ha LF 4,7 3,6 3,7 3,5 3,1<br />

50 bis 100 ha LF 3,2 2,7 2,4 2,8 2,5<br />

100 oder mehr ha LF 2,4 1,9 1,7 1,7 1,6<br />

insgesamt 2,8 2,3 2,1 2,0 1,9<br />

Deutschland<br />

Betriebsgröße<br />

unter 5 ha LF 29,5 26,7 29,0 28,7 28,7<br />

5 bis 10 ha LF 10,8 10,1 9,8 9,8 9,3<br />

10 bis 20 ha LF 7,6 7,2 6,8 6,6 6,3<br />

20 bis 30 ha LF 5,9 5,6 5,4 5,4 5,1<br />

30 bis 50 ha LF 4,4 4,1 4,0 4,0 3,8<br />

50 bis 100 ha LF 2,9 2,7 2,7 2,7 2,6<br />

100 oder mehr ha LF 2,3 1,9 1,7 1,7 1,6<br />

insgesamt 4,7 4,1 3,7 3,6 3,3<br />

1) Bis 1997 landwirtschaftliche Betriebe mit 1 oder mehr ha LF. Ab 1999 Betriebe mit 2 oder<br />

mehr ha LF. Jeweils auch Betriebe mit Mindestgrößen an ausgewählten Tierbeständen oder Spezialkulturen<br />

2) Eine AK-Einheit entspricht dem Arbeitseinsatz einer vollbeschäftigten und nach ihrem Alter<br />

voll leistungsfähigen Person<br />

3) Einschließlich Betriebe mit 100 oder mehr ha LF<br />

Quelle: (2; 34; Eigene Berechnungen)<br />

251<br />

man anstelle der Zahl der Arbeitskräfte, die in der <strong>Landwirtschaft</strong> wegen der Verbreitung<br />

von Teilzeit- und Saisonarbeit nur eingeschränkt aussagekräftig ist, die AK-Einheiten,<br />

die dem Arbeitseinsatz von Vollbeschäftigten entsprechen, je Betrieb verwendet, ergibt<br />

sich, dass die landwirtschaftlichen Betriebe im früheren Bundesgebiet durchschnittlich<br />

kleiner geworden sind, denn der Arbeitseinsatz hat sich zwischen 1973 und 2001 von<br />

durchschnittlich rund 1,3 auf 1,1 AK-Einheiten je Betrieb vermindert. Eine Verminderung<br />

des durchschnittlichen Arbeitseinsatzes je Betrieb ist seit 1993 auch in den neuen<br />

Bundesländern zu beobachten. Dort war allerdings die durchschnittliche Zahl der AK-<br />

Einheiten erheblich höher als im früheren Bundesgebiet. In den Betrieben mit 100 oder<br />

mehr ha LF verminderte sie sich beispielsweise von rund 18 im Jahr 1993 auf 9 AK-Ein-


252 Ferdinand Fasterding und Daniela Rixen<br />

heiten je Betrieb im Jahr 2001. Selbst die großen landwirtschaftlichen Betriebe in den<br />

neuen Bundesländern sind aber gemessen am Arbeitseinsatz im Durchschnitt kleiner als<br />

der Durchschnitt der Handwerksbetriebe, denn bereits in der Handwerkszählung im Jahr<br />

1995 wurden in Deutschland durchschnittlich 11 Beschäftigte je Unternehmen gezählt.<br />

Tabelle 3 weist aus, dass der durchschnittliche Arbeitskräftebesatz landwirtschaftlicher<br />

Betriebe, also die Zahl der AK-Einheiten bezogen auf die LF, in den landwirtschaftlichen<br />

Betrieben sowohl im früheren Bundesgebiet als auch in den neuen Bundesländern im<br />

Zeitablauf und mit zunehmender Betriebsgröße sinkt. Dabei ist er in den Betrieben der<br />

neuen Bundesländer insgesamt deutlich niedriger als im früheren Bundesgebiet. Das resultiert<br />

hauptsächlich aus der unterschiedlichen Betriebsgrößenstruktur, denn innerhalb<br />

der Betriebsgrößenklassen sind die Unterschiede erheblich kleiner.<br />

4 Projektion des Arbeitsangebotes<br />

Im Rahmen der Untersuchung wurden Projektionen des Arbeitsangebots an den Agrarsektor<br />

vorgenommen und mit der erwarteten Nachfrage verglichen. Die Projektionen des<br />

Angebots mit Hilfe demografischer Analysen ergaben, dass im früheren Bundesgebiet<br />

bei unveränderten Zu- und Abgangsraten der ständigen Arbeitskräfte mit einer weiteren<br />

erheblichen Verminderung der Zahl der Familienarbeitskräfte zu rechnen ist. Im Durchschnitt<br />

des früheren Bundesgebietes beträgt diese Verminderung bis zum Jahr 2021 rund<br />

64 %, in den neuen Bundesländern aber nur rund 26 %. Die Ergebnisse wurden auch für<br />

die einzelnen Bundesländer ohne die Stadtstaaten ermittelt. Dabei muss beachtet werden,<br />

dass die Eintrittswahrscheinlichkeit der Fortschreibungen nicht nur durch die sich möglicherweise<br />

ändernden Verhaltensweisen der Familienarbeitskräfte oder ihrer potenziellen<br />

Nachfolger, sondern auch durch Ungenauigkeiten bei der Erfassung der Arbeitskräftebestände<br />

beeinflusst werden kann. Trotzdem deuten die Projektionen darauf hin, dass in nahezu<br />

allen Bundesländern mit einer weiteren Beschleunigung der Verminderung der Zahl<br />

der Familienarbeitskräfte gerechnet werden muss. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen,<br />

dass das auch mit Änderungen der Rechtsform von Einzelunternehmen zusammenhängt,<br />

denn Arbeitskräfte in Personengesellschaften werden nicht zu den Familienarbeitskräften<br />

gerechnet.<br />

Die Ergebnisse der Projektionen auf der Basis der Altersstrukturen deuten darauf hin,<br />

dass die künftig zu erwartende Zahl ständiger familienfremder Arbeitskräfte in landwirtschaftlichen<br />

Betrieben, bei denen es sich um alle Arbeitskräfte in Personengesellschaften<br />

und Juristischen Personen sowie um die nicht zur Familie des Betriebsinhabers gehörenden<br />

Arbeitskräfte in Familienbetrieben handelt, im früheren Bundesgebiet mit einer<br />

geringeren Verminderungsrate abnehmen wird als in den neuen Bundesländern. Zwischen<br />

2001 und 2021 ist im früheren Bundesgebiet c. p. eine Verminderung um rund 27 % und<br />

in den neuen Bundesländern um rund 70 % zu erwarten. Es deutet sich also an, dass im<br />

früheren Bundesgebiet der Einsatz familienfremder Arbeitskräfte auch künftig weiter an<br />

Bedeutung gewinnt, während in den neuen Bundesländern die Zahl der Familienarbeitskräfte<br />

mit geringeren Raten abnimmt und sich die Zahl der familienfremden Arbeitskräfte<br />

deutlich verringert. Die Zahlen der Familienarbeitskräfte und der familienfremden<br />

Arbeitskräfte zusammengenommen weisen für den Zeitraum zwischen den Jahren 2001<br />

und 2021 im früheren Bundesgebiet eine Verminderung von rund 60 % und in den neuen<br />

Bundesländern von lediglich rund 57 % aus.<br />

Anhand der Fortschreibung demografischer Strukturen lässt sich nur die Zahl von Arbeitskräften<br />

projizieren. Angesichts der Verbreitung von Teilzeit- oder Saisonarbeit in der<br />

<strong>Landwirtschaft</strong> sind anhand der Zahlen der Arbeitskräfte noch keine direkten Aussagen<br />

<strong>über</strong> den zu erwartenden Arbeitseinsatz in den landwirtschaftlichen Betrieben möglich.


Arbeitseinsatz in der deutschen <strong>Landwirtschaft</strong><br />

253<br />

Wenn man aber unterstellt, dass sich der Arbeitseinsatz der verschiedenen Personengruppen<br />

im Projektionszeitraum nicht verändert, entspricht die Verminderung des Arbeitseinsatzes<br />

in der <strong>Landwirtschaft</strong> der Verminderung der Zahl der Arbeitskräfte. Im Durchschnitt<br />

des früheren Bundesgebietes ist unter den genannten Bedingungen bei unveränderten<br />

Ein- und Austrittshäufigkeiten von Arbeitskräften bis 2021 also eine Abnahme des<br />

Arbeitseinsatzes um 60 % zu erwarten. Das entspricht einer jährlichen Verminderung um<br />

4,5 %. In den neuen Bundesländern wäre die Abnahme mit rund 57 % oder 4 % p. a. etwas<br />

kleiner (Tab. 4).<br />

Tabelle 4. Projektionen des Arbeitseinsatzes und des Arbeitskräftebesatzes in der<br />

<strong>Landwirtschaft</strong><br />

Früheres Bundesgebiet 1)<br />

40,1 -4,5 3,7 1,5 1,6<br />

Schleswig-Holstein 39,8 -4,5 2,4 1,0 1,4<br />

Niedersachsen 34,3 -5,2 2,7 0,9 1,4<br />

Nordrhein-Westfalen 48,2 -3,6 3,7 1,8 1,4<br />

Hessen 50,9 -3,3 3,3 1,7 1,4<br />

Rheinland-Pfalz 48,9 -3,5 4,2 2,1 1,7<br />

Baden-Württemberg 45,8 -3,8 4,4 2,0 1,9<br />

Bayern 33,7 -5,3 4,5 1,5 1,6<br />

Saarland 43,5 -4,1 2,4 1,1 1,5<br />

Neue Bundesländer 1)<br />

43,4 -4,1 1,8 0,8 1,2<br />

Brandenburg 32,2 -5,5 1,6 0,5 1,3<br />

Mecklenburg-Vorpommern 46,6 -3,7 1,3 0,6 1,1<br />

Sachsen 47,0 -3,7 2,7 1,3 1,3<br />

Sachsen-Anhalt 50,3 -3,4 1,5 0,8 1,1<br />

Thüringen 42,0 -4,2 2,3 0,9 1,2<br />

Deutschland 1)<br />

Index<br />

2001<br />

gleich 100<br />

1) Ohne Stadtstaaten.<br />

Quelle: (34; Eigene Projektionen).<br />

Familienarbeitskräfte und ständige familienfremde Arbeitskräfte<br />

Arbeitskrafteinheiten 2021 Arbeitskrafteinheiten je 100 ha LF<br />

Veränderung "Optimum"<br />

zwischen<br />

landw.<br />

2001 und 2021<br />

% p.a.<br />

2001 2021 Betriebe<br />

40,5 -4,4 3,1 1,2 1,5<br />

Um eine erste Plausibilitätsprüfung der Projektionsergebnisse vornehmen zu können und<br />

zu prüfen, ob die projizierte Verminderung des Arbeitseinsatzes in der <strong>Landwirtschaft</strong><br />

möglich erscheint, bzw. in welchem Ausmaß möglicherweise nicht ständige Lohnarbeitskräfte<br />

angeworben werden müssen, wird in der letzten Spalte von Tabelle 4 ein „optimaler“<br />

Besatz an Arbeitskräften ausgewiesen. Dieser fiktive Besatz ergibt sich aus dem<br />

durchschnittlichen Besatz derjenigen 25 % der Agrarberichtsbetriebe des Wirtschaftsjahres<br />

2002/03 der verschiedenen Betriebsformen, die den jeweils niedrigsten Arbeitskräftebesatz<br />

hatten. Multipliziert wurde dieser Arbeitskräftebesatz mit der von der amtlichen Statistik<br />

erhobenen Fläche dieser Betriebe im Jahr 1999. Für Gartenbaubetriebe und die „übrigen<br />

Betriebe“ wurde keine Änderung des Arbeitsbedarfs pro Flächeneinheit unterstellt.


254 Ferdinand Fasterding und Daniela Rixen<br />

Beim Vergleich ergibt sich, dass der für 2021 projizierte Arbeitseinsatz der ständigen<br />

Arbeitskräfte sowohl im früheren Bundesgebiet als auch in den neuen Bundesländern<br />

selbst dann nicht ausreichen würde, wenn alle Betriebe im Jahr 2021 so wenig Arbeitskräfte<br />

benötigen wie diejenigen mit dem gegenwärtig niedrigsten Bedarf. Der „optimale“<br />

Arbeitskräftebesatz ist nämlich im Durchschnitt höher als das Angebot, das sich aus den<br />

Fortschreibungen ergibt. Die Plausibilitätskontrolle zeigt aber auch, dass die erheblichen<br />

Verminderungen des Arbeitseinsatzes in der <strong>Landwirtschaft</strong>, auf die die Projektionen anhand<br />

der demografischen Strukturen hindeuten, nicht völlig unrealistisch sind.<br />

5 Modellrechnungen zur Nachfrage nach Arbeit<br />

Mittels Modellanalysen wurde der Nachfrage des Agrarsektors nach Arbeit intensiver<br />

nachgegangen. Dazu wurde u. a. das nicht lineare konsistente Agrarsektormodell FAR-<br />

MIS (21) der Modellfamilie der ökonomischen Institute der Bundesforschungsanstalt für<br />

<strong>Landwirtschaft</strong> (FAL) eingesetzt. Mit Hilfe dieses Modells wurden die Wirkungen der<br />

Reform der EU-Agrarpolitik auf den Arbeitsbedarf des Agrarsektors auch regional und<br />

betriebsgruppenspezifisch differenziert untersucht.<br />

Die Modellrechnungen ergaben für das Szenario „Kombimodell“, mit dem die in<br />

Deutschland im Jahr 2005 begonnene Umsetzung der Agrarreform der EU simuliert<br />

wurde, gegen<strong>über</strong> dem Referenzmodell, das von einer Fortsetzung der bisherigen Agrarpolitik<br />

unter „Agendabedingungen“ ausgegangen war, für Deutschland insgesamt im Jahr<br />

2012 einen um 0,7 % niedrigeren Arbeitsbedarf im Agrarsektor. Addiert man zu diesem<br />

Wert die Verminderung von 31,5 % hinzu, die zwischen dem Referenzjahr 1999/2000<br />

und dem Jahr 2012 auch unter Referenzbedingungen zu erwarten gewesen wäre, ergibt<br />

sich eine Verminderung des Arbeitsbedarfs von insgesamt rund 32,2 %. Da das Modell<br />

nicht den gesamten Arbeitseinsatz im Agrarsektor abbildet, wurde die Verminderung des<br />

Arbeitsbedarfs auf den in der amtlichen Statistik ausgewiesenen Arbeitseinsatz bezogen.<br />

In dieser Statistik wird für das Jahr 1999 ein Arbeitseinsatz von 612 000 und für das Jahr<br />

2001 von 561 000 AK-Einheiten in den landwirtschaftlichen Betrieben in Deutschland<br />

ausgewiesen. Mittelt man diesen Wert, ergeben sich rund 587 000 AK-Einheiten. Eine Verminderung<br />

um 32,2 %, also um rund 188 000 AK-Einheiten, die unter den Bedingungen<br />

des Kombimodells zu erwarten ist, führt zu einem Bedarf von rund 399 000 AK-Einheiten<br />

im Jahr 2012. Es zeigt sich also, dass sowohl bei einer Fortsetzung der Agrarpolitik unter<br />

„Agendabedingungen“ als auch bei einer Umsetzung der EU-Agrarpolitik in Deutschland<br />

mit einem deutlich verminderten Arbeitsbedarf im Agrarsektor zu rechnen ist.<br />

Für die verschiedenen Betriebsformen ergaben die Modellrechnungen bei der Umsetzung<br />

des „Kombimodells“ gegen<strong>über</strong> der Referenz, dass der Arbeitseinsatz in den Marktfruchtbetrieben<br />

mit Abstand am deutlichsten zurück geht und die Verminderung in den<br />

Futterbaubetrieben am niedrigsten ist. Letzteres ist damit zu erklären, dass die Milchviehhaltung,<br />

die am meisten Arbeitskräfte bindet, bei Fortbestehen der Quotenregelung<br />

nur geringe Produktionseinschränkungen hinnehmen muss. Betroffen sind lediglich die<br />

arbeitsextensiven Verfahren Bullenmast und Mutterkuhhaltung.<br />

Bei einer regionalen Differenzierung zeigen die Modellrechnungen für das „Kombimodell“,<br />

dass in der Region Nord, zu der die Länder Schleswig-Holstein, Niedersachsen<br />

und Nordrhein-Westfalen zusammengefasst wurden, der Arbeitseinsatz gegen<strong>über</strong> der Referenz<br />

„Agendabedingungen“ insgesamt um rund 2 % zurückgeht. Für die Region Mitte,<br />

zu der Hessen, Rheinland-Pfalz und das Saarland gerechnet wurden, weisen die Modellrechnungen<br />

nur einen um 0,2 % niedrigeren Arbeitseinsatz aus. In der Region Süd, zu<br />

der Bayern und Baden-Württemberg zusammengefasst wurden, ergaben die Modellrechnungen,<br />

dass die Einführung des „Kombimodells“ gegen<strong>über</strong> der Referenz nur zu einer


Arbeitseinsatz in der deutschen <strong>Landwirtschaft</strong><br />

255<br />

unwesentlichen Veränderung des Arbeitseinsatzes führt. Und für die Region Ost – also die<br />

Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen<br />

– ergab sich ein um 0,6 % niedrigerer Arbeitseinsatz. Die Modellrechnungen ergaben<br />

also bei der Umsetzung des „Kombimodells“ gegen<strong>über</strong> der Referenz für die unterschiedlichen<br />

Regionen, dass der Arbeitsbedarf des Agrarsektors in der Region Nord gefolgt von<br />

der Region Ost sowohl absolut als auch relativ am deutlichsten zurück geht.<br />

Um die möglichen Wirkungen alternativer agrarpolitischer Maßnahmen zu simulieren,<br />

wurden Variationsrechnungen vorgenommen. In einem Szenario wurde mit einer Lohnerhöhung<br />

von 4 anstelle der 2 % pro Jahr, die im Szenario „Kombimodell“ unterstellt<br />

wurden, gerechnet. Dabei ergab sich eine Verminderung des Arbeitsbedarfs um insgesamt<br />

38,1 %, also eine um nahezu 6 Prozentpunkte höhere Verminderungsrate als beim Szenario<br />

„Kombimodell“. Ausgehend von rund 587 000 AK-Einheiten ergab sich bei der genannten<br />

Lohnerhöhung für das Jahr 2012 also eine Verminderung des Arbeitseinsatzes auf rund<br />

363 000 AK-Einheiten.<br />

Anhand von Modellrechnungen mit veränderten Raten der Einführung technischer<br />

Fortschritte sowie niedrigeren Lohnsteigerungen sollte simuliert werden, wie groß die<br />

Spielräume für die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze im Agrarsektor sind. Rechnungen<br />

mit einem Szenario, in dem unterstellt wurde, dass sich der Arbeitsbedarf durch die Einführung<br />

technischer Fortschritte in der <strong>Landwirtschaft</strong> lediglich um 0,7 anstelle von<br />

1,75 % p. a. vermindert, ergaben gegen<strong>über</strong> der Referenz „Agendabedingungen“ einen<br />

Mehrbedarf an Arbeit von 13,1 %. Saldiert mit der Verminderung des Arbeitsbedarfs gegen<strong>über</strong><br />

1999/2000 (31,5 %) ergibt sich eine Verminderung um 18,4 % auf rund 479 000<br />

AK-Einheiten. Analog ergab sich für ein Szenario, in dem unterstellt wurde, dass keine<br />

Lohnsteigerungen erfolgen, eine Verminderung um 24,7 % auf rund 442 000. In keiner<br />

Modellrechnung war der Arbeitsbedarf im Jahr 2012 aber höher als 1999/2000. Es wurde<br />

also lediglich eine niedrigere Verminderung als beim Szenario „Kombimodell“ oder dem<br />

Szenario mit höheren Lohnsteigerungen ermittelt.<br />

Die Projektionen des Arbeitsangebots der Familienarbeitskräfte und der ständigen<br />

Lohnarbeitskräfte ergaben für das Jahr 2009 rund 376 000 und für 2013 314 000 AK-Einheiten.<br />

Linear interpoliert ergeben sich daraus für 2012 rund 330 000 AK-Einheiten. Unterstellt<br />

man, dass sich das Arbeitsangebot um den im Jahr 2001 beobachteten Anteil des<br />

Arbeitseinsatzes der Saisonarbeitskräfte, der 6,3 % des gesamten Arbeitseinsatzes betrug,<br />

erhöht, ergibt sich für das Jahr 2012 unter den genannten Bedingungen ein Arbeitsangebot<br />

in der deutschen <strong>Landwirtschaft</strong> von rund 352 000 AK-Einheiten.<br />

Beim Vergleich der Ergebnisse der Modellrechnungen mit den Projektionen auf der<br />

Basis demografischer Analysen deutet sich also bei unveränderten Zu- und Abgängen<br />

von Arbeitskräften in bzw. aus der <strong>Landwirtschaft</strong> sowie einem unveränderten Arbeitseinsatz<br />

der verschiedenen Arbeitskräftekategorien mittel- und längerfristig zumindest auf<br />

den ersten Blick ein zu geringes Arbeitsangebot an. Daraus muss nicht notwendigerweise<br />

ein Arbeitskräftemangel in der <strong>Landwirtschaft</strong> resultieren, denn die Projektionen der Entwicklung<br />

des Arbeitsangebots basieren einerseits auf demografischen Analysen und daraus<br />

abgeleiteten Fortschreibungen der Zahl der Arbeitskräfte in der <strong>Landwirtschaft</strong> und<br />

andererseits auf einem angenommenen konstanten durchschnittlichen Arbeitsvolumen der<br />

Familienarbeitskräfte und der Lohnarbeitskräfte. Durch Verlängerung von Arbeitszeiten<br />

oder Erhöhung der Zahl der Arbeitstage insbesondere der mit betrieblichen Arbeiten teilbeschäftigten<br />

Arbeitskräfte lassen sich vermutlich noch Arbeitsreserven ausschöpfen.<br />

Auch der Einsatz saisonal beschäftigter Lohnarbeitskräfte sowie der Einsatz von Lohnunternehmern,<br />

die dann ihrerseits allerdings wieder Arbeitskräfte – möglicherweise aber mit<br />

anderen Qualifikationsanforderungen – benötigen, kann weiter ausgedehnt werden.<br />

Trotzdem deutet sich an, dass die oben genannten Anpassungsreaktionen nicht ausreichen<br />

werden und ein größerer Teil der zumeist im Zuge des Generationswechsels aus der


256 Ferdinand Fasterding und Daniela Rixen<br />

<strong>Landwirtschaft</strong> ausscheidenden Familien- und Lohnarbeitskräfte ersetzt werden muss als<br />

dies in den letzten Jahren zu beobachten war. Wenn dies nicht gelingt, wird der Mangel<br />

an Fachkräften, der sich anhand von Befragungsergebnissen (13) sowie der <strong>über</strong>schlägigen<br />

Kalkulationen zur Einordnung der Ergebnisse der Projektionen mittels demografischer<br />

Modelle bereits angedeutet hat, künftig voraussichtlich zunehmen. Anhand der<br />

Modellrechnungen wird aber auch deutlich, dass die Spielräume für eine Verbesserung<br />

der Entlohnung der Arbeitskräfte in der <strong>Landwirtschaft</strong> c. p. kleiner werden, wenn sich der<br />

Arbeitseinsatz im Agrarsektor nicht an veränderte Rahmenbedingungen anpasst.<br />

6 Beschäftigungswirkungen ausgewählter politischer Maßnahmen<br />

Wegen der Vielzahl politischer Maßnahmen konnte im Rahmen der Untersuchung nur<br />

eine Auswahl aus den insgesamt möglichen Förderungsmöglichkeiten zur Schaffung und<br />

Erhaltung von Arbeitsplätzen in ländlichen Räumen analysiert werden. Lediglich die möglichen<br />

Folgen einer Ausdehnung der „Ökologischen <strong>Landwirtschaft</strong>“ sowie ausgewählte<br />

agrarstrukturpolitische Maßnahmen werden im Folgenden hinsichtlich ihrer Wirkungen<br />

auf die ländlichen Arbeitsmärkte diskutiert. Dargestellt werden auch Ergebnisse der Evaluation<br />

von Maßnahmen, die im Rahmen der Entwicklungspläne Ländlicher Raum (EPLR)<br />

durchgeführt wurden. Zum Vergleich wird auf die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung<br />

der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GA) in ländlichen Räumen eingegangen.<br />

6.1 Ökologischer Landbau<br />

Befürworter des ökologischen Landbaus verweisen häufig darauf, dass ökologisch wirtschaftende<br />

landwirtschaftliche Betriebe <strong>über</strong> die Umweltaspekte hinaus regionalwirtschaftliche<br />

Vorteile haben. Im Vergleich zur konventionellen <strong>Landwirtschaft</strong> verspricht<br />

man sich größere regionale Beschäftigungseffekte von einem höheren Arbeitsbedarf in<br />

ökologisch wirtschaftenden landwirtschaftlichen Betrieben und von einem zusätzlichen<br />

Arbeitseinsatz im der <strong>Landwirtschaft</strong> vor- und nachgelagerten Bereich (11).<br />

Die Analyse der vorliegenden Literatur ergab, dass der Arbeitseinsatz in ökologisch<br />

wirtschaftenden Ackerbau-, Gemischt- und Gartenbaubetrieben zwar höher ist als in konventionell<br />

bewirtschafteten Betrieben, dass er in ökologisch wirtschaftenden Futterbaubetrieben<br />

dagegen häufig niedriger ist (28; 29). Trotzdem kann man aber davon ausgehen,<br />

dass der Arbeitseinsatz je ha LF in den ökologisch wirtschaftenden Betrieben im<br />

Durchschnitt höher ist als in vergleichbaren konventionell bewirtschafteten Betrieben. Die<br />

für das Wirtschaftsjahr 2002/03 ausgewiesenen Ergebnisse des Ernährungs- und agrarpolitischen<br />

Berichts der Bundesregierung weisen im Durchschnitt einen um rund 36 %<br />

höheren Arbeitseinsatz aus. Anhand der aus den Buchführungen der Betriebe des Testbetriebsnetzes<br />

resultierenden Ergebnisse wird aber auch deutlich, dass der Mehraufwand in<br />

Futterbaubetrieben mit rund 25 % erheblich niedriger war als in den Ackerbaubetrieben,<br />

in denen er rund 51 % betrug, und den Gemischtbetrieben mit rund 46 %.<br />

Eine bundesweite Erhebung in ökologisch wirtschaftenden Betrieben (38) ergab u. a.,<br />

dass der Arbeitskräftebesatz, gemessen in AK-Einheiten je 100 ha LF, in den untersuchten<br />

ökologisch wirtschaftenden Haupterwerbsbetrieben ähnlich wie in den konventionellen<br />

Betrieben mit zunehmender Betriebsgröße abnimmt. Das resultiert in den ökologischen<br />

Betrieben teilweise daraus, dass kleinere Betriebe einen wesentlich größeren Teil ihrer<br />

Arbeitskapazität in der Verarbeitung und Vermarktung einsetzen als die größeren Betriebe.<br />

Anhand der Erhebung ergaben sich hinsichtlich des Arbeitseinsatzes auch Unterschiede<br />

zwischen dem früheren Bundesgebiet und den neuen Bundesländern. In den neuen Bundesländern<br />

wurden in der landwirtschaftlichen „Urproduktion“ im Durchschnitt weniger


Arbeitseinsatz in der deutschen <strong>Landwirtschaft</strong><br />

257<br />

als zwei Arbeitskräfte je 100 ha LF und in den Ländern des früheren Bundesgebiets zwischen<br />

3,7 und 4,2 Arbeitskräfte je 100 ha LF eingesetzt. Da dar<strong>über</strong> hinaus im früheren<br />

Bundesgebiet ein höherer betrieblicher Arbeitseinsatz auf die Vermarktung oder hofeigene<br />

Verarbeitung der Produkte entfiel als in den neuen Bundesländern, ist der Abstand zwischen<br />

dem Arbeitskräftebesatz insgesamt sogar noch größer.<br />

Ein Vergleich des Arbeitskräftebesatzes in ökologischen Betrieben mit dem konventioneller<br />

Betriebe auf der Basis von Kreisdaten (28) ergab, dass der durchschnittliche<br />

Arbeitskräftebesatz in ökologisch bewirtschafteten Betrieben in Deutschland im Jahr 1999<br />

bei rund 3 AK-Einheiten gegen<strong>über</strong> rund 2 AK-Einheiten je 100 ha im konventionellen<br />

Landbau lag. In einer Vielzahl von Kreisen war aber der Arbeitskräftebesatz der ökologisch<br />

wirtschaftenden Betriebe im Durchschnitt niedriger als in konventionellen Betrieben.<br />

Zu diesen Regionen gehören auch Teile der neuen Bundesländer, in denen u. a.<br />

ein geringerer Aufwand bei der Vermarktung der Produkte vorherrscht. Die Regionen,<br />

in denen der durchschnittliche Arbeitskräftebesatz höher als in konventionellen Betrieben<br />

war, finden sich dagegen <strong>über</strong>wiegend in Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen,<br />

Rheinland-Pfalz, Thüringen und Sachsen. In der Untersuchung konnte<br />

aber auch gezeigt werden, dass zumindest ein Teil des höheren Arbeitskräftebesatzes in<br />

ökologischen Betrieben auf die spezielle Bewirtschaftungsweise zurückzuführen ist, also<br />

durch einen erhöhten Arbeitsbedarf der ökologischen Betriebe in der landwirtschaftlichen<br />

Primärproduktion und nicht nur durch strukturelle Unterschiede zwischen den Betriebsgruppen<br />

erklärt werden kann.<br />

Anhand einer Untersuchung inwieweit der ökologische Landbau positive Wirkungen<br />

auf die Regionalentwicklung haben kann, die <strong>über</strong> die der konventionellen <strong>Landwirtschaft</strong><br />

hinausgehen, wurde deutlich, dass der ökologische gegen<strong>über</strong> dem konventionellen Landbau<br />

nicht per se positive Beschäftigungswirkungen in ländlichen Räumen hat, dass die<br />

Beschäftigungsmultiplikatoren sogar niedriger sein können als die der konventionellen<br />

<strong>Landwirtschaft</strong>. Das hängt damit zusammen, dass bei einer Ausweitung des ökologischen<br />

Landbaus in den Öko-Betrieben selbst und in den vor- und nachgelagerten Unternehmen<br />

zwar Arbeitsplätze geschaffen werden, aber gleichzeitig Verluste im Bereich des konventionellen<br />

Landbaus entstehen können, welche die Arbeitsplatzzunahmen <strong>über</strong>kompensieren.<br />

Die Effekte hängen davon ab, inwieweit der der <strong>Landwirtschaft</strong> vor- und nachgelagerte<br />

Bereich in der jeweils betrachteten Region mit der <strong>Landwirtschaft</strong> verflochten ist<br />

und ob es gelingt, auch für Produkte des ökologischen Landbaus entsprechende Be- und<br />

Verarbeitungs- bzw. Vermarktungskapazitäten in den jeweiligen Regionen zu schaffen<br />

(22; 11). Sofern keine ausreichende kaufkräftige Nachfrage nach den Produkten des ökologischen<br />

Landbaus vorliegt, besteht daher die Gefahr, dass eine Subventionierung des<br />

ökologischen Landbaus hinsichtlich der Schaffung oder Erhaltung von Arbeitsplätzen in<br />

ländlichen Räumen beispielsweise Strategien unterlegen ist, die die gewerbliche regionale<br />

Wirtschaft fördern.<br />

6.2 Agrarstrukturpolitik<br />

Beschäftigungswirkungen der Agrarstrukturpolitik werden am Beispiel der Flurbereinigung<br />

und der einzelbetrieblichen Investitionsförderung landwirtschaftlicher Betriebe, auf<br />

die, wenn man den Wegebau einbezieht, im Jahr 2002 zusammengenommen rund 37 %<br />

der im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“<br />

(GAK) eingesetzten Bundesmittel fielen, aufgezeigt.<br />

Mit der Flurbereinigung wird ein breites Zielspektrum angestrebt, das keine ausreichende<br />

Basis für die Ableitung eines in sich geschlossenen Zielsystems bietet. Vor diesem<br />

Hintergrund wird lediglich auf das Ziel der Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen<br />

im Rahmen der Flurbereinigung eingegangen. Beschäftigungswirkungen von Program-


258 Ferdinand Fasterding und Daniela Rixen<br />

men zur Förderung der <strong>Landwirtschaft</strong> und ländlicher Räume lassen sich wie folgt unterscheiden<br />

(16):<br />

● Entstehung von vor<strong>über</strong>gehenden oder befristeten Beschäftigungseffekten, ausgelöst<br />

durch Fördergelder, die für die Erstellung oder die Nachfrage einer Leistung eingesetzt<br />

werden (z. B. in der Bauphase, im Projektmanagement, in der Beratung).<br />

● Entstehung dauerhafter Beschäftigungseffekte in Form neuer oder umgewandelter oder<br />

gesicherter Arbeitsplätze als Folge direkter betrieblicher Investitionen.<br />

●<br />

Entstehung dauerhafter Beschäftigungseffekte in Form neuer oder umgewandelter<br />

bzw. gesicherter Arbeitsplätze als indirekte Folge von Maßnahmen zur Verbesserung<br />

der Standortattraktivität und des Humankapitals.<br />

Da die vor<strong>über</strong>gehenden, quasi mit dem Produktionsprozess verbundenen Wirkungen<br />

auf die Beschäftigung allenfalls im Rahmen von Konjunkturprogrammen zur Beurteilung<br />

der relativen Vorzüglichkeit von alternativen politischen Maßnahmen herangezogen<br />

werden können, werden hier nur mittel- und langfristige Wirkungen der Maßnahmen auf<br />

die Erhaltung oder Schaffung von Arbeitsplätzen berücksichtigt. Empirische Analysen<br />

(20) ergaben deutliche Verbesserungen der Wirtschaftlichkeit des Arbeitseinsatzes in den<br />

landwirtschaftlichen Betrieben flurbereinigter Teilgemeinden. Die für die Verbesserung<br />

der Arbeitsproduktivität ausschlaggebenden Einsparungen an Arbeitszeit wurden durch<br />

eine zweckmäßigere, auf die Bedürfnisse einer modernen Bewirtschaftungstechnik ausgerichtete<br />

Neugestaltung der Feldflur erreicht. Die Flurbereinigung hat also offensichtlich<br />

die Arbeitsproduktivität in den landwirtschaftlichen Betrieben erhöht und damit c. p. einen<br />

Beitrag zur Verminderung des Arbeitseinsatzes in der <strong>Landwirtschaft</strong> geleistet. Das<br />

muss jedoch nicht im Widerspruch zu dem Ziel der Schaffung oder Erhaltung von Arbeitsplätzen<br />

in der <strong>Landwirtschaft</strong> und in ländlichen Räumen stehen, denn die Erleichterung<br />

von Anpassungen an veränderte Rahmenbedingungen kann ein wichtiger Beitrag<br />

zur Existenzsicherung landwirtschaftlicher Betriebe sein und wirkt dadurch auch positiv<br />

auf ländliche Arbeitsmärkte. Angesichts bestehender Alternativen zur Flurbereinigung für<br />

landwirtschaftliche Zwecke, die z. B. durch den Nutzungstausch landwirtschaftlich genutzter<br />

Flächen gegeben sind, dürften die Kosten der Flurbereinigung für diesen Zweck<br />

allerdings zu hoch sein.<br />

Mit der Agrarinvestitionsförderung (15) werden investive Maßnahmen in landwirtschaftlichen<br />

Betrieben u. a. zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit durch Rationalisierung<br />

und Kostensenkung sowie durch Diversifizierung der Unternehmen gefördert. Die<br />

Investitionsförderung soll als „Hilfe zur Selbsthilfe“ einer ausreichenden Zahl landwirtschaftlicher<br />

Betriebe ermöglichen, auch bei einem Abbau von produktgebundenen Subventionen<br />

als wettbewerbsfähige Betriebe weiterzubestehen. Noch stärker als beispielsweise<br />

mit der Flurbereinigung werden mit der Investitionsförderung also agrarpolitische<br />

Ziele im engeren Sinn verfolgt. Sofern es gelingt, landwirtschaftlichen Betrieben mit einer<br />

solchen Förderung Anpassungen an sich verändernde Rahmenbedingungen zu erleichtern<br />

und damit ein Beitrag zur Aufrechterhaltung der Agrarproduktion in bestimmten Regionen<br />

bzw. an „Grenzstandorten“ geleistet wird, können aus der Förderung neben der Sicherung<br />

von Arbeitsplätzen in den geförderten Betrieben auch indirekte Beschäftigungseffekte in<br />

der <strong>Landwirtschaft</strong> vor- und nachgelagerten Betrieben ländlicher Räume resultieren, denn<br />

angesichts der häufig geringen Transportwürdigkeit von Inputs und Outputs der landwirtschaftlichen<br />

Betriebe sind sie mit der gewerblichen Wirtschaft verflochten. Veränderungen<br />

der Agrarproduktion können also auch indirekte Wirkungen auf die Beschäftigung in ländlichen<br />

Räumen haben.<br />

Empirische Analysen (15) deuten darauf hin, dass die Investitionsförderung Beiträge<br />

zum Ziel der Verbesserung der Wettbewerbfähigkeit landwirtschaftlicher Betriebe leisten<br />

kann, denn offensichtlich war mit den Investitionen häufig die Einführung technischer<br />

Fortschritte verbunden, die – wie bei der Flurbereinigung – zur Steigerung der Arbeitspro-


Arbeitseinsatz in der deutschen <strong>Landwirtschaft</strong><br />

259<br />

duktivität führten. Die für die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit nötige Steigerung der<br />

Arbeitsproduktivität in den geförderten Betrieben führt c. p. aber selbst dann zu einer Verminderung<br />

des Arbeitseinsatzes in der <strong>Landwirtschaft</strong>, wenn in den geförderten Betrieben<br />

trotz der Zunahme der Arbeitsproduktivität der Arbeitseinsatz wegen der Ausdehnung der<br />

Produktionskapazität zunimmt, denn diese Zunahme wird durch Abnahmen in schrumpfenden<br />

oder aus der Produktion ausscheidenden Betrieben zumeist <strong>über</strong>kompensiert. Die<br />

sich aus dem Produktionsprozess ergebende Nachfrage des Agrarsektors nach Arbeit vermindert<br />

sich also unter sonst gleichen Bedingungen. Vermutlich ist die Investitionsförderung<br />

aber nicht die Ursache für diesen Prozess, sie beschleunigt ihn lediglich und kann<br />

durch die Förderung der notwendigen Anpassungen als indirekter Beitrag zur Erhaltung<br />

von Arbeitsplätzen in der <strong>Landwirtschaft</strong> angesehen werden.<br />

Ein direkter Beitrag kann durch die Förderung der Diversifizierung der Produktion<br />

erzielt werden. Durch diese Förderung können Einkommenspotenziale für die landwirtschaftlichen<br />

Betriebe erschlossen und dadurch Beiträge zur Schaffung oder Erhaltung von<br />

Arbeitsplätzen in den geförderten Betrieben geleistet werden. Inwieweit dies allerdings<br />

zu einem Arbeitsplatzabbau in den der <strong>Landwirtschaft</strong> vor- oder nachgelagerten Betrieben<br />

führt und wie effizient diese Förderung im Vergleich zu alternativen Maßnahmen zur<br />

Erhaltung oder Schaffung von Arbeitsplätzen in ländlichen Räumen ist, kann noch nicht<br />

abschließend diskutiert werden.<br />

6.3 Ländliche Entwicklungspolitik<br />

Ein wesentliches Ziel der oben genannten Maßnahmen ist die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit<br />

landwirtschaftlicher Betriebe. Die Erhaltung oder Schaffung von Arbeitsplätzen<br />

in ländlichen Räumen steht dabei nicht im Mittelpunkt. Inwieweit dieses<br />

Ziel für Programme gilt, in denen die ganzheitliche Entwicklung ländlicher Räume ein<br />

größeres Gewicht hat, wird anhand der Ergebnisse vorliegender Evaluationen diskutiert.<br />

Diese Evaluationen unterscheiden sich methodisch und haben inhaltlich stark voneinander<br />

abweichende Ergebnisse. Verallgemeinernde abschließende Beurteilungen der Beschäftigungswirkungen<br />

sind daher kaum zu erwarten.<br />

Obwohl Maßnahmen der so genannten ländlichen Entwicklungspolitik häufig nicht<br />

explizit auf die Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen zielen, werden im Folgenden<br />

Beschäftigungswirkungen dieser Politik mit denen von Maßnahmen im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe<br />

„Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GA) verglichen.<br />

Die GA-Maßnahmen werden in Regionen, deren Wirtschaftskraft erheblich unter dem<br />

Bundesdurchschnitt liegt, durchgeführt. Es handelt sich dabei häufig um ländliche Regionen<br />

oder alte Industrieregionen mit erheblichen Strukturproblemen. Zu den strukturschwachen<br />

Regionen werden auch die neuen Länder und Ost-Berlin gezählt, die einen<br />

historischen Umstrukturierungsprozess von einer Plan- zu einer Marktwirtschaft zu bewältigen<br />

haben.<br />

Aus der Analyse vorliegender Untersuchungen (14) ergibt sich, dass ländliche Räume<br />

von der Förderung im Rahmen der regionalen Wirtschaftspolitik erheblich profitieren.<br />

Vermutlich sind die Beiträge dieser Politik zur Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen<br />

auch in diesen Räumen Deutschlands sogar höher als die der ländlichen Entwicklungspolitik.<br />

Wenn man den Fördermitteleinsatz dieser Politik je einem neu geschaffenen oder<br />

gesicherten Arbeitsplatz mit dem Mittelaufwand im Rahmen der GA vergleicht, deutet<br />

sich hinsichtlich der Schaffung von Arbeitsplätzen ein Effizienzvorsprung der Förderung<br />

gewerblicher Betriebe im Rahmen der GA an. Da mit der Förderung nicht nur arbeitsmarktpolitische<br />

Ziele verfolgt werden, reicht der Vergleich allerdings keinesfalls für eine<br />

Evaluation der genannten Politiken aus. Solche Evaluationen lassen sich auf der Basis<br />

der vorliegenden Informationen nicht durchführen und bleiben weiteren Untersuchungen


260 Ferdinand Fasterding und Daniela Rixen<br />

vorbehalten. Um Rückschlüsse auf die Wirksamkeit und Effizienz der unterschiedlichen<br />

Fördermaßnahmen ziehen zu können, sind aber systematische vergleichende Analysen<br />

der Beschäftigungswirkungen von Maßnahmen im Rahmen der Gemeinschaftsaufgaben<br />

bzw. eines Verzichts auf spezielle Fördermaßnahmen zugunsten von Steuersenkungen erforderlich.<br />

Da die im Rahmen der GAK durchgeführte Förderung häufig nicht in erster Linie auf<br />

die Schaffung oder Erhaltung von Arbeitsplätzen zielt, wurde im Rahmen der Analyse<br />

der Beschäftigungsmöglichkeiten im Agrarsektor und der Beschäftigungseffekte agrarpolitischer<br />

Maßnahmen (14) auch untersucht, ob die so genannten Kofinanzierungen im<br />

Rahmen der Gemeinschaftsaufgaben (25) dazu beigetragen haben könnten, dass eine stärkere<br />

Fokussierung der Politik auf das Beschäftigungsziel unterblieben ist. Dabei ergab<br />

sich, dass durch die Zweckbindung von Fördermitteln im Rahmen der GAK Mittel gebunden<br />

werden, die möglicherweise in alternativer Verwendung größere Beiträge zur Beschäftigung<br />

leisten könnten. Die Forderung nach einer Entflechtung der Finanzierung zur<br />

Rückgewinnung eigenständiger politischer Gestaltungsspielräume von Bund und Ländern<br />

dürfte daher auch für die GAK gelten.<br />

Zusammenfassung<br />

Die Untersuchung zeigt, dass sich der Arbeitseinsatz in der deutschen <strong>Landwirtschaft</strong> weiter vermindern<br />

wird. Trotzdem zeichnet sich ein gewisser Mangel an Fachkräften ab. Daraus ergibt sich<br />

für einen Teil der landwirtschaftlichen Betriebe, dass die dort tätigen Personen weiterhin außerbetriebliche<br />

Erwerbstätigkeiten aufnehmen oder ausweiten müssen. Für Betriebe, in denen sich ein<br />

Fachkräftemangel abzeichnet, ist Personalmanagement eine wichtige Führungsaufgabe. Dort sind<br />

Strategien zur Anwerbung und Ausbildung der benötigten Arbeitskräfte mit Unterstützung durch Beratung,<br />

Verbände, Politik usw. erforderlich. Möglicherweise muss das brachliegende „Potenzial der<br />

Arbeitslosen“ erschlossen werden. Für potenzielle Arbeitskräfte ergibt sich, dass sie angesichts des<br />

sich abzeichnenden Mangels an Fachkräften Chancen und Risiken der Aufnahme einer Ausbildung<br />

oder Erwerbstätigkeit in der <strong>Landwirtschaft</strong> abwägen müssen. Das gilt auch für die Familienangehörigen<br />

selbstständiger Landwirte bzw. die potenziellen Hofnachfolger. Für die Politik ergibt sich, dass<br />

Strategien zur Ausbildung bzw. Umschulung von Arbeitskräften für landwirtschaftliche Betriebe<br />

bedarfsgerecht (weiter) gefördert werden sollten. Lohnersatzleistungen können den Einsatz gering<br />

qualifizierter Arbeitskräfte erleichtern und so einem Mangel an Arbeitskräften in der <strong>Landwirtschaft</strong><br />

entgegenwirken.<br />

Sofern kaufkräftige Nachfrage nach den Produkten besteht, kann die Förderung der Umstellung<br />

auf den ökologischen Landbau oder – allgemeiner – der Diversifizierung der Agrarproduktion zur<br />

Schaffung oder Erhaltung von Arbeitsplätzen in der <strong>Landwirtschaft</strong> beitragen. Das führt aber lediglich<br />

zu niedrigeren Abnahmeraten des Arbeitseinsatzes. Die Agrarpolitik wird also auch künftig die<br />

Verminderung der Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe und der in der <strong>Landwirtschaft</strong> beschäftigten<br />

Menschen nicht verhindern können und sollte sie – angesichts der Bedeutung der Verminderung<br />

des Arbeitseinsatzes für die Steigerung der Pro-Kopf-Einkommen – auch nicht anstreben. Es<br />

gilt also nach wie vor, dass es zur Lösung der Einkommensprobleme und damit zur Sicherung von<br />

Arbeitsplätzen in der <strong>Landwirtschaft</strong> „ ... einer Integration der Agrarpolitik in die allgemeine Wirtschaftspolitik<br />

…. (insbesondere der Regionalpolitik) … “ bedarf (1, S. 68).<br />

Summary<br />

Labour Input in German Agriculture and Employment Effects of Policy Measues<br />

The study shows that the labour input in German agriculture will continue to decline. Nevertheless a<br />

certain shortage of qualified workers is emerging. For some of the agricultural holdings this results<br />

in a situation where the persons working there will have to take up or expand non-farming jobs<br />

also in the future. For holdings with an emerging shortage of qualified workers, staff management<br />

is an important managerial task. In this case, strategies to recruit and train the needed workforce<br />

are required, including support by advisory services, associations and policy-makers. Possibly the<br />

potential of the unemployed needs to be tapped. For potential workers this means that with regard to<br />

the emerging shortage of skilled workers they have to weigh up the opportunities and risks of starting<br />

a traineeship or job in the farming sector. This also applies to the family members of self-employed


Arbeitseinsatz in der deutschen <strong>Landwirtschaft</strong><br />

261<br />

farmers or potential farm successors. For policy-makers this means that they should (continue to)<br />

promote strategies to train or retrain workers for agricultural holdings in accordance with their needs.<br />

Substitute wage payments may facilitate the employment of poorly qualified workers and hence<br />

counter a shortage of farm workers.<br />

If there is a demand for the products backed by purchasing power, support to convert farming<br />

operations to an organic system, or–generally speaking–to diversify agricultural production can contribute<br />

to creating or preserving farming jobs. Yet this merely leads to lower reduction rates of the<br />

labour input. In future, too, agricultural policy will not be able to prevent the fall in the number of<br />

agricultural holdings and farm workers, and in view of the importance of the reduction of the labour<br />

input for the increase of per-capita income–, it should also refrain from trying to prevent it. Therefore<br />

it is still true that to solve income problems and hence to secure agricultural jobs an integration of<br />

agricultural policy into the general economic policy (in particular regional policy) is necessary (1,<br />

p. 68).<br />

Résumé<br />

Main d’oeuvre dans le secteur agricole allemand et effets de mesures politiques sur l’emploi<br />

L’étude montre que l’intensité de main d’oeuvre dans le secteur agricole allemand continuera à<br />

diminuer. Tout de même, une certaine pénurie de personnel spécialisé s’annonce. Pour certaines<br />

exploitations agricoles, cela a comme conséquence que les personnes y travaillant doivent accepter<br />

ou renforcer des activités rémunérées hors de l’exploitation. Pour les exploitations qui risquent de<br />

connaître une pénurie de personnel spécialisé, la gestion des ressources humaines est une tâche importante.<br />

Ils ont besoin de stratégies de recrutement et de formation de la main-d’œuvre nécessaire<br />

avec le soutien de services de conseil, d’associations et de responsables politiques. Peut-être, le<br />

« potentiel des chômeurs » laissé en jachère devrait être exploité. Vu la pénurie déjà prévisible de<br />

personnel spécialisé, les travailleurs potentiels devraient comparer les chances et les risques d’une<br />

formation ou d’une activité rémunérée dans le secteur agricole. Il en va de même pour les membres<br />

des familles d’agriculteurs indépendants et les successeurs potentiels sur les fermes. Au niveau<br />

de la politique, cela implique que des stratégies de formation ou de conversion professionnelle de<br />

personnel pour des exploitations agricoles devraient (continuer à) être soutenues conformément aux<br />

besoins. Des allocations en remplacement du salaire peuvent faciliter le recours à des travailleurs peu<br />

qualifiés et agir ainsi contre une pénurie de main-d’œuvre dans le secteur agricole.<br />

Pourvu qu’il existe une demande solvable en ces produits, la promotion de la conversion vers<br />

les méthodes de production biologique ou – plus général – vers une diversification de la production<br />

agricole peut contribuer à créer ou maintenir des emplois dans le secteur agricole. Mais cela ne<br />

mènera qu‘à un taux de réduction plus faible de la main d‘œuvre.<br />

Par conséquent, la politique agricole ne pourra pas empêcher la baisse du nombre des exploitations<br />

agricoles et des personnes travaillant dans le secteur agricole et ne devrait non plus aspirer à<br />

le faire vu l’importance de la réduction de l’intensité de la main d’œuvre pour l’accroissement du<br />

revenu par habitant.<br />

Il est donc toujours vrai que pour résoudre les problèmes de revenu et pour protéger en même<br />

temps les emplois dans le secteur agricole, il faut intégrer la politique agricole dans la politique<br />

économique générale (notamment la politique régionale) (1, page 68).<br />

Literatur<br />

1. Agrarbericht der Bundesregierung, 1971.<br />

2. Agrarberichte der Bundesregierung, verschiedene Jahrgänge.<br />

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16. graJeWski, r. et al., 2003: Halbzeitbewertung von PROLAND Niedersachsen, Programm zur<br />

Entwicklung der <strong>Landwirtschaft</strong> und des ländlichen Raumes gemäß Verordnung (EG) Nr. 1257/<br />

1999. Braunschweig, Hamburg, Hannover. http://www1.ml.niedersachsen.de/proland/frameindex.htm<br />

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263<br />

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Verschiedene Jahrgänge.<br />

38. zUrek, ch.; nieberg, h., 2004: Arbeitswirtschaft und Unternehmensführung. In: rahmann, g. et al.:<br />

Bundesweite Erhebung und Analyse der verbreiteten Produktionsverfahren, der realisierten Vermarktungswege<br />

und der wirtschaftlichen sowie sozialen Lage ökologisch wirtschaftender Betriebe und<br />

Aufbau eines bundesweiten Praxis-Forschungs-Netzes. Landbauforschung Völkenrode, Sonderheft<br />

276, S. 153–178.<br />

Autorenanschrift: Dr. Ferdinand Fasterding und Dipl.-Ing. agr. daniela rixen Institut für<br />

Ländliche Räume (LR) und Institut für Betriebswirtschaft (BW) der<br />

Bundesforschungsanstalt für <strong>Landwirtschaft</strong> (FAL), Bundesallee 50,<br />

38116 Braunschweig, Deutschland<br />

lr@fal.de


264<br />

Jenseits des Rubikon?<br />

Der mögliche Beitrag von Systemaufstellungen und Lösungsorientierung<br />

zur Beratungsarbeit in der <strong>Landwirtschaft</strong><br />

Von hermann boland und thorsten michaelis, Gießen<br />

1 Einleitung<br />

In der Beratung geht es darum, in unklaren Situationen durch Hilfestellungen Lösungen<br />

anzuregen und zu begleiten. Dazu bedarf es für einen Berater einerseits inhaltlicher Kompetenz<br />

auf dem jeweiligen Fachgebiet. Andererseits ist methodische Kompetenz notwendig,<br />

um den Beratungsprozess teilnehmerorientiert und erfolgversprechend zu gestalten.<br />

Die Beratungsmethodik hat dazu immer schon Konzepte der Problembearbeitung und<br />

Lösungsfindung aus anderen Disziplinen <strong>über</strong>nommen und für den landwirtschaftlichen<br />

Beratungsbereich adaptiert. Ein <strong>über</strong>wiegender Teil dieser Anregungen kam aus der Psychologie<br />

und Therapie. Dabei ging es immer darum, aus den Vorlagen den methodischen<br />

Kern der Arbeitsweise herauszuarbeiten und diesen in die landwirtschaftliche Beratung<br />

zu <strong>über</strong>tragen.<br />

Derzeit werden in der psychologischen Arbeit die Konzepte der „Lösungsorientierten<br />

Beratung“ und der Systemaufstellungen oder Organisationsaufstellungen stark beachtet<br />

und diskutiert. Sie werden auch von der landwirtschaftlichen Beratung wahrgenommen.<br />

So wurden im Rahmen eines durch das Bundesprogramm Ökologischer Landbau geförderten<br />

Projektes Systemaufstellungen im landwirtschaftlichen Bereich erprobt (56).<br />

Hierzu wurde von unserer Arbeitsgruppe eine Wirkungsanalyse (9) durchgeführt. Die dabei<br />

gemachten Erfahrungen nehmen wir zum Anlass, die Thematik grundsätzlicher zu<br />

beleuchten und unsere Ergebnisse in das methodische Repertoire der landwirtschaftlichen<br />

Beratung einzuordnen.<br />

Dabei werden wir zunächst unser Beratungsverständnis und die beiden Konzepte der<br />

„Lösungsorientierten Beratung“ und der Systemaufstellungen erläutern. Nach einem Bericht<br />

<strong>über</strong> die in den Systemaufstellungen identifizierten Veränderungen werden in den abschließenden<br />

Kapiteln die Kernelemente der beiden betrachteten neuen Konzepte identifiziert<br />

und in das Beratungskonzept der landwirtschaftlichen Beratung eingeordnet. Hiermit<br />

kann dann auch die Frage beantwortet werden, ob sich durch eine zunehmende Adaption<br />

lösungsorientierter Konzepte ein neues Beratungsparadigma entwickelt.<br />

2 <strong>Landwirtschaft</strong>liches Beratungsverständnis<br />

Betrachtet man die Entwicklung der landwirtschaftlichen Beratung unter methodischen<br />

Gesichtspunkten, dann zeigen sich drei wichtige Entwicklungsphasen. Diese lösen sich<br />

nicht vollständig nacheinander ab, sondern das Verständnis und die Positionen aller<br />

Phasen schwingen weiter mit und spielen immer noch eine Rolle. Als unterschiedliche<br />

Paradigmata haben sie jedoch die praktische Beratung jeweils geprägt.<br />

U.S. Copyright Clearance Center Code Statement: 0005-9080/06/8402-264 $ 2.50/0


2.1 Direktive Beratung<br />

265<br />

Eine erste wichtige Quelle des Beratungsverständnisses ist bei Friedrich aereboe, dem<br />

Vater der landwirtschaftlichen Betriebslehre, zu finden. Er wies dem Berater die Rolle<br />

des Ersatzbetriebsleiters zu (1, s. 663). Für ihn muss der Berater in der Lage sein, bessere<br />

unternehmerische Entscheidungen im Betrieb treffen zu können als der Betriebsleiter<br />

selbst. Auch Max schönberg benennt den Druck, den der Berater auf den Betriebsleiter<br />

ausübt, als wesentliches Kriterium von Beratung (43, S. 34). Sie haben damit ein Beratungsverständnis<br />

formuliert, das als direktive Beratung benannt werden kann. Es geht<br />

von einer Fachkompetenz und Entscheidungssicherheit der Berater aus, die dem Landwirt<br />

rezepthafte Anweisungen geben. In einem direktiven Beratungsverständnis trifft der Berater<br />

die notwendigen Entscheidungen und verantwortet die im Unternehmen entstehenden<br />

Folgen.<br />

2.2 Innovationsorientierte Beratung<br />

Ersetzt für aereboe der Berater den Betriebsleiter weitestgehend, so ersetzt in den innovationstheoretischen<br />

Ansätzen der Berater die Fachkompetenz des Betriebsleiters. Aufbauend<br />

auf den ersten Studien der amerikanischen Agrarsoziologie in den 1930er-Jahren<br />

war es vor allem E. rogers (40), der die Prozesse bei der individuellen Übernahme von<br />

Neuerungen und deren Verbreitung in sozialen Gruppen darstellte. Die Erkenntnisse wurden<br />

von albrecht in den deutschen Sprachraum transferiert (3). Die daraus abgeleiteten<br />

Beratungsansätze sehen den Berater in einer Fachexperten-Position, aus der heraus er<br />

den Landwirten neue, verbesserte Materialien, Techniken und Organisationsmuster empfiehlt.<br />

Klar ist aber hier bereits die Grundposition, dass nicht der Berater Entscheidungen<br />

bestimmt, sondern der Landwirt selbst sein Handeln bestimmen soll. Der Berater verantwortet<br />

somit in einem innovationsorientierten Beratungsverständnis vor allem die Angemessenheit<br />

der inhaltlichen Empfehlungen.<br />

2.3 Problemorientierte/emanzipatorische Beratung<br />

Mit der Einführung des Gedankengutes der humanistischen Psychologie, insbesondere<br />

der nondirektiven Ansätze von Carl rogers (39) durch Erna hrUschka und H. albrecht,<br />

wurde diese Position nochmals verändert. In ihrem problemorientierten Konzept von Beratung<br />

stellen albrecht und hrUschka den Betriebsleiter ganz in den Mittelpunkt (2). Sie<br />

gehen von seiner Situation und seinen Fähigkeiten aus und sehen die Aufgabe des Beraters<br />

darin, die vorliegenden Defizite gemeinsam mit den Betroffenen zu identifizieren und<br />

daraus Lösungsansätze zu entwickeln. Für sie steht der Mensch im Mittelpunkt, statt wie<br />

bislang der Betrieb. Dies drückt sich in albrecht’s Hinweis aus, dass es keine Probleme<br />

als solche gibt, sondern es immer Menschen sind, die Probleme wahrnehmen oder haben.<br />

Somit ist Beratung nicht vorrangig die Reparatur einer Fehlausrichtung des Unternehmens,<br />

sondern eine Befähigung des Unternehmers oder Ratsuchenden zu eigenständigem<br />

zielgerichtetem Handeln. Dieser Ansatz kann als emanzipatorisch bezeichnet werden, da<br />

sein erklärtes Ziel darin besteht, keine längerfristige Abhängigkeit aufzubauen, sondern<br />

Selbständigkeit wieder herzustellen.<br />

Das Verständnis von Beratung als geistige Hilfestellung für Menschen in Problemsituationen<br />

hat sich heute in der landwirtschaftlichen und ökothrophologischen Beratung<br />

durchgesetzt (vgl. 11; 27; 28). In diesem Konzept verantworten die Beratungspartner jeweils<br />

ihr Handeln: der Berater die methodische Angemessenheit und die fachliche Richtigkeit<br />

und Vollständigkeit, der Ratsuchende die ehrliche Einbringung seiner Situation sowie<br />

die daraus folgenden Entscheidungen und Handlungen.


266<br />

In Abbildung 1 sind die drei Beratungsparadigmen voneinander abgegrenzt. Als Kriterien<br />

werden die Verantwortlichkeit für die Methodik, den Inhalt und die Entscheidung<br />

verwendet. Sie sind jeweils der Verantwortung von Berater oder Ratsuchendem zugeordnet.<br />

In der direktiven Beratung ist die ganze Verantwortung beim Berater, während in<br />

dem innovationsorientierten Konzept der Ratsuchende selbst die Entscheidung zu treffen<br />

hat. Im Problemorientierten Ansatz verantwortet der Ratsuchende auch weite Teile des<br />

Inhaltes.<br />

Abb. 1. Zuordnung von Verantwortung in verschiedenen Konzepten der<br />

landwirtschaftlichen Beratung<br />

Quelle: Eigene Darstellung<br />

Diese Zuordnung bildet im Folgenden die Basis für die Einordnung und den Bewertungsmaßstab<br />

für lösungsorientierte Konzepte und für Systemaufstellungen.<br />

Die landwirtschaftliche Beratung hat somit einerseits die Verantwortung des Landwirts<br />

für die Inhalte und die Handlungen klar betont und andererseits Anstöße aus anderen Disziplinen<br />

aufgenommen. Diese kamen, wie auch die hier zu analysierenden, aus dem psychosozialen<br />

Bereich. Das kann aber nicht bedeuten, dass die landwirtschaftliche Beratung<br />

psychologische Konzepte <strong>über</strong>nommen hat oder <strong>über</strong>nimmt. Psychologische Konzepte<br />

werden in einem therapeutischen Kontext angewendet. Dieser ist gekennzeichnet durch<br />

eine grundlegende Diagnose, die eine Behandlungsbedürftigkeit feststellt. Aufbauend hierauf<br />

bestimmt der Therapeut eine Behandlungsform. In der landwirtschaftlichen Beratung<br />

geht es nicht vorrangig um Diagnosen und Behandlungen, sondern um die gemeinsame<br />

Arbeit an Situationsanalysen und Problemlösungen. Die Beratungsansätze der landwirtschaftlichen<br />

Beratung gehen davon aus, dass der Ratsuchende prinzipiell handlungsfähig<br />

ist und selbst die zur Lösung notwendigen Schritte unternehmen kann. Dazu nutzen Berater<br />

Vorgehensweisen, die in ihren Grundmustern an therapeutischen Konzepten orientiert<br />

sind. Sie arbeiten aber auf einer von der Therapie klar unterscheidbaren Grundlage: In der<br />

landwirtschaftlichen Beratung geht es um fachliche Problemstellungen, in denen der Be-


Jenseits des Rubikon? Der mögliche Beitrag von Systemaufstellungen<br />

267<br />

rater der Fachexperte ist. Da die Probleme immer im menschlichen Entscheidungskontext<br />

auftauchen muss der Berater von der Person des Ratsuchenden her die Beratungsaufgabe<br />

angehen. Dazu setzt er Techniken ein, die aus psychotherapeutischen Konzepten entstammen<br />

und die der Berater für seine Vorgehensweise anpasst.<br />

In Abbildung 2 wird eine entsprechende Abgrenzung zwischen Therapie und Beratung<br />

analog zu Abbildung 1 vorgenommen.<br />

Abb. 2. Zuordnung von Verantwortung in den Konzepten von Therapie<br />

und Beratung<br />

Quelle: Eigene Darstellung<br />

Aus diesen Gründen sind Berater nicht nur an einer möglichst aktuellen und umfassenden<br />

Fachkenntnis interessiert, sondern suchen auch nach Anregungen für ihre Vorgehensweise<br />

im Umgang mit Ratsuchenden. Daher erhalten neue Vorgehensweisen aus dem psychosozialen<br />

Bereich immer wieder Aufmerksamkeit. In der letzten Zeit sind zwei Verfahren<br />

aufgetaucht, die im Folgenden erläutert werden sollen.<br />

3 Lösungsorientierte Therapieansätze<br />

Für die humanistische Psychologie gilt, dass der Mensch in der Lage ist, für ihn geeignete<br />

Lösungen selbst zu finden (vgl. 39). Daraus leitet die nondirektive Gesprächstherapie<br />

ihr Vorgehen ab, durch genaue und differenzierte Beschreibung und Aufdeckung einer<br />

Problemsituation aus dieser Situation heraus den Ansatz für Problembewältigung zu entwickeln.<br />

Genau gegenteilig ist die Sicht der lösungsorientierten Therapie: Für sie ist die Lösung<br />

unabhängig vom Erkennen des Problems! Deutlichster Vertreter dieser Position ist Steve<br />

de shazer, auf den sich die aktuellen Anwendungen in der Hauptsache beziehen (7). Diese<br />

Konzepte bezeichnet kaimer als „lösungsfokussiert“ und grenzt sie damit von denjenigen<br />

Konzepten ab, die er „lösungsorientiert“ nennt (31). Lösungsfokussierte Konzepte wurden<br />

von Steve de shazer und Insoo Kim berg am Brief Family Therapy Center (BFTC,<br />

Milwaukee/Wisconsin, USA) entwickelt (15).


268 Herman Boland und Thorsten Michaelis<br />

Entstanden ist dieses Konzept der lösungsfokussierten Therapie auf der Basis der Ansätze<br />

von Milton H. erickson (18), der Strategischen Therapie von Jay haley (23) und der<br />

Kurztherapie, wie sie von Weakland, Fish, WatzlaWick und bodin bereits 1980 beschrieben<br />

wurde (54). Diese Therapiekonzepte versuchten keineswegs auf eine Analyse des<br />

vorliegenden Problems zu verzichten. Vielmehr: „weil unsere Behandlungen symptombezogen<br />

sind, brauchen wir vor allem eine klare und ausführliche Darstellung des Problems“<br />

(54, S. 381). Der ausschlaggebende Ansatz für ihr Vorgehen ist die Frage danach, was das<br />

Problem aufrecht erhält. Dennoch ist in diesem Vorgehen bereits zu konstatieren, dass<br />

ein Schwerpunkt der Lösungsentwicklung gilt und das Problem lediglich in dem Rahmen<br />

analysiert wird, der für die Lösungserarbeitung relevant ist. Hieraus entwickeln sie die<br />

Zielsetzung ihrer therapeutischen Vorgehensweise.<br />

Wenn also die ersten Vertreter einer Kurztherapie noch eindeutig den Fokus bei dem<br />

vorliegenden Problem haben, so verschiebt sich der Schwerpunkt danach hin zu der Frage:<br />

wie konstruieren wir Lösungen? Als „Milwaukee-Axiom“ wird im lösungsfokussierten<br />

Ansatz die Erkenntnis charakterisiert, „dass man eine Problemlösung am schnellsten und<br />

sichersten dadurch erreicht, dass man sich von Anfang an auf die Lösung und nicht auf<br />

das Problem konzentriert“ (7, S. 11/12). „Der Therapeut weiß nicht besser, was für die<br />

Klienten gut ist, was der nächste Schritt sein soll, welcher erfolgreich ist und ob oder wie<br />

es weitergeht. Der Therapeut ist Experte dafür, diesen Prozess der Therapie zu begleiten,<br />

Fragen zu stellen, die für Klienten eine neue Perspektive eröffnen, Zielfokussierung zu<br />

fördern und zu verlangen. ... Dazu ist es allerdings nicht nötig, den Aussagen der Klienten<br />

zu misstrauen, zwischen den Zeilen zu lesen oder schlauer sein zu wollen als der Klient.<br />

Es genügt, gut zuzuhören, welche Geschichte ein Klient wie erzählt. Daraus ergeben sich<br />

Ansatzpunkte für eine Neuerfindung oder -erzählung der Geschichte, die wiederum Ressourcen<br />

freisetzen können, was den Spielraum an Möglichkeiten der Person im Denken,<br />

Handeln und Fühlen erweitern würde“ (31, S. 4). Noch schärfer stellt diese Haltung bamberger<br />

dar, der in dem Einlassen des Beraters auf den Klienten nicht den Lösungsansatz<br />

sondern ganz im Gegenteil das wichtigste Problem sieht. „Ein Therapeut der sich voll und<br />

ganz auf die Lebensprobleme des Klienten konzentriert und dabei auch noch emphatisch<br />

den korrespondierenden Gefühlen der Ohnmacht, der Verzweiflung und der Depressivität<br />

nachgeht, wird unweigerlich von diesen Gefühlen eingefangen werden“ (7, S. 17). Daher<br />

soll sich der Berater also nicht mit zu viel Kenntnissen belasten, sondern sich auf die<br />

Lösungssuche konzentrieren.<br />

Dieses Bild der Beraterrolle wird zusammengefasst mit der These der Unabhängigkeit<br />

von Problem und Lösung: „wenn ich weiß, wie ein Karren in den Dreck gefahren wurde,<br />

weiß ich noch lange nicht, wie er wieder herauszuziehen ist“ (7, S. 20).<br />

Somit kommt Bamberger zu der beraterischen Kehrtwende, die er wie folgt beschreibt:<br />

„All dies legt dem Berater nahe, auf eine detaillierte Analyse des Problems zu verzichten<br />

um sich stattdessen von Anfang an auf die Analyse einer Lösung – hier: möglicher<br />

Lösungen – zu konzentrieren und das übliche retrospektive Instrumentarium durch eine<br />

‚Einstimmung auf Zuversicht‘ zu ersetzen. ... An Stelle des Rückblicks auf Vergangenheit<br />

tritt die Vision von Zukunft und die Wirkung einer ‚Sehnsucht nach Zukunft‘ “ (7, S. 21).<br />

Das hieraus abgeleitete Arbeitsmodell sieht die vier Phasen vor (7, S. 31 ff):<br />

a. Synchronisation/Problemanalyse<br />

b. Ressourcenfokussierung/Lösungsvision<br />

c. Lösungsverschreibung<br />

d. Lösungsevaluation.<br />

Ohne auf die Schritte im Detail eingehen zu können – sie sind bei bamberger ausführlich<br />

beschrieben –, fällt die Nähe zu dem Konzept und der Nomenklatur des neurolinguistischen<br />

Programmierens (NLP) auf, die sich auch in der Vorgehensweise bestätigt (zu NLP<br />

vgl. 8; 21;5).


Jenseits des Rubikon? Der mögliche Beitrag von Systemaufstellungen<br />

269<br />

bamberger und auch kaimer sprechen von „Lösungsorientierter Beratung“. Da dies<br />

allerdings im therapeutischen Kontext geschieht, setzen sie selbstverständlich die Verantwortung<br />

des Therapeuten für die Handlungsmuster seines Patienten voraus. Dies ist, wie<br />

oben dargelegt in einem landwirtschaftlichen Beratungsverständnis nicht der Fall. Daher<br />

werden wir im Folgenden das therapeutische Verständnis von „Lösungsorientierter Beratung“<br />

immer in Parenthesen darstellen, um keine Missverständnisse zu forcieren.<br />

Zunächst soll jedoch der zweite methodische Anstoß aus psychologischer Arbeit beschrieben<br />

werden, der auch Ausgangspunkt des Projektes im Rahmen des Bundesprogramms<br />

Ökologischer Landbau war, nämlich die Systemaufstellungen.<br />

4 Systemaufstellungen<br />

Auf die Grundlagen lösungsorientierter Beratung bezieht sich auch das zweite Feld neuer<br />

methodischer Aktivitäten: Aufstellungen. Die von hellinger entwickelte Methode des<br />

Familienstellens (vgl. 25) wurde von sparrer und varga von kibéd weiterentwickelt zu<br />

systemischen Organisationsaufstellungen (vgl. 47; 51; 48; 55). Diese finden in der Organisationsentwicklung<br />

Anwendung, wie z. B. in Wirtschaftsunternehmen.<br />

Im folgenden Zusammenhang wird der Begriff „Systemaufstellungen“ verwendet, da<br />

bei landwirtschaftlichen Betrieben sowohl Familienaufstellungen als auch Organisationsaufstellungen<br />

in je nach Fall unterschiedlicher Ausprägung zum Einsatz kommen. Die<br />

Verknüpfung von Familien- und Organisationsaufstellungen unter dem Begriff Systemaufstellungen<br />

wird ebenfalls mit dem Titel der Zeitschrift „Praxis der Systemaufstellung“<br />

(vgl. z. B. 38) unterstrichen. Vor der Einordnung von Systemaufstellungen soll zunächst<br />

der Ablauf beschrieben werden.<br />

Der Prozess der Systemaufstellungen lässt sich wie folgt darstellen: In einer Gruppe<br />

bittet ein Aufstellungsleiter den Aufsteller, seine Situation oder sein Problem sowie seine<br />

Fragen zu formulieren. Dann wählt der Aufsteller für die in seiner Situation wichtigen<br />

Menschen, Funktionen oder Gegenstände aus der Teilnehmergruppe Personen als Stellvertreter<br />

aus und stellt diese im Raum so zueinander auf, wie es seiner Wahrnehmung der<br />

Situation entspricht. Wenn er mit der Anordnung zufrieden ist, tritt er zurück und nimmt<br />

nicht aktiv an der weiteren Aufstellung teil, sondern beobachtet den Verlauf gemeinsam<br />

mit den weiteren Mitgliedern der Gruppe.<br />

Der Aufstellungsleiter befragt nun jeden der Aufgestellten nach seiner Befindlichkeit<br />

und der Wahrnehmung der Position, in die er gestellt wurde. Er lässt die Stellvertreter dann<br />

ihren Impulsen zur Veränderung der Situation folgen und nimmt selbst Umstellungen vor<br />

oder bietet Vorschläge an. Nach jeder Änderung werden die Stellvertreter wieder zu ihren<br />

Wahrnehmungen und Impulsen befragt. Wenn eine stabil erscheinende Lösungskonstellation<br />

gefunden worden ist, nimmt der Aufsteller die Position seines Stellvertreters ein<br />

und erlebt sich in der Lösungskonstellation. Mit der danach erfolgenden Beendigung der<br />

Aufstellung werden die Stellvertreter auch formal wieder aus ihren Rollen entlassen.<br />

Für diesen Ablauf von Aufstellungen sind die Beschreibungen recht einheitlich (siehe<br />

48; 29; 22). In einer Reihe von Ansätzen, so vor allem in den Darstellungen von hellinger,<br />

erfolgt jedoch auch noch die Umsetzung von Lösungen. Diese Phase steht für viele<br />

sogar im Mittelpunkt der gesamten Aufstellung. Es werden Umsetzungsschritte getestet<br />

und Lösungssätze eingeführt. Der Aufstellungsleiter bietet dazu Formulierungen von Lösungssätzen<br />

an, die der Aufsteller gegen<strong>über</strong> den Stellvertretern aussprechen kann. Mit<br />

den Lösungssätzen sollen Ungleichgewichte und Lösungshindernisse beseitigt werden.<br />

In dieser Anwendung von lösungsgebenden Vorgehensweisen sieht könig dann auch<br />

zwei Phasen, in denen Aufstellungen deutlich unterscheidbar ablaufen:<br />

●<br />

●<br />

die Arbeit an Strukturen im Stellvertretersystem und<br />

die Arbeit an den Emotionen des Aufstellers [Protagonisten] (32, S. 147/148).


270 Herman Boland und Thorsten Michaelis<br />

Man könnte auch zwischen einer analytischen Phase, in der die Nachbildung des Systems<br />

durch Stellvertreter erfolgt, und einer verändernden Phase, in der der Aufsteller die durch<br />

die Darstellung seiner Situation erhaltenen Anregungen verarbeitet, unterscheiden. Analytische<br />

Aufstellungen verzichten auf einen Veränderungsansatz im Aufstellungsgeschehen;<br />

sie ermöglichen dem Aufsteller lediglich einen neuen verfremdenden Blick auf sein Feld.<br />

Verändernde Aufstellungen nehmen ein Stück reales Handeln in die Aufstellungen hinein.<br />

Sie werden somit eher zu einem Rollenspiel der Realität. Aus diesen Zusammenhängen<br />

resultieren die kritischen psychischen Reaktionen, die für hellingers Aufstellungen beschrieben<br />

und stark kritisiert worden sind (vgl. 19). könig weist daher auf den klaren<br />

direktiven Gehalt von Aufstellungen hin, die er als „leiterzentriert“ charakterisiert (32,<br />

S. 150). Dabei sieht er das Problem vor allem darin, dass eine charismatische Überhöhung<br />

des Leiters erfolgt, wie es sich an dem Beispiel von B. hellinger deutlich zeigt.<br />

5 Systemaufstellungen in der <strong>Landwirtschaft</strong><br />

Beobachtungen und Analysen zum Ablauf und den Ergebnissen von Systemaufstellungen<br />

im Ökologischen Landbau wurden im Rahmen eines Projektes gewonnen. Das Projekt<br />

wurde im Rahmen des Bundesprogramms Ökologischer Landbau mit dem Titel „Systemaufstellungen<br />

als innovatives Beratungsinstrument im ökologischen Landbau“ vom<br />

Institut für soziokulturelle Studien, Kassel unter der Leitung von Dr. Matthias Wesseler<br />

in Kooperation mit Dr. Andrea Fink-kessler (Büro für Agrar- und Regionalentwicklung)<br />

(56) veranstaltet.<br />

Im Rahmen des Projektes wurden drei Werkstattseminare mit Systemaufstellungen<br />

durchgeführt. Als Werkstattseminare werden hier zweitägige Seminare bezeichnet, die<br />

unter Anleitung einer Aufstellungsleiterin oder eines Aufstellungsleiters durchgeführt<br />

werden. Der Leiter bzw. die Leiterin einer Systemaufstellung im Rahmen der Werkstattseminare<br />

des vorliegenden Projektes wird im Folgenden als Aufstellungsleiter bzw. Aufstellungsleiterin<br />

bezeichnet. In einer Aufstellung wird ein einzelner Fall bearbeitet. Der<br />

Aufsteller bzw. die Aufstellerin bringt einen Fall oder eine Situation ein. Diejenigen, die<br />

eine Rolle in der Situationsbeschreibung <strong>über</strong>nehmen, sind die Stellvertreter. Beobachter<br />

bzw. Beobachterinnen sind innerhalb der jeweiligen Aufstellung die Teilnehmerinnen und<br />

Teilnehmer der Werkstattseminare, die nicht aufgestellt haben oder aufgestellt wurden.<br />

5.1 Werkstattseminare<br />

Die Seminare fanden jeweils 2-tägig im März und April 2003 in Witzenhausen statt. Von<br />

den insgesamt 27 Teilnehmern der drei Werkstattseminare waren 14 Personen Landwirte,<br />

7 Berater, 5 kamen aus dem universitären Umfeld, und es gab einen Weiterbilder. Zur<br />

Methodenkenntnis gaben 13 Teilnehmer an, dass sie schon einmal an Aufstellungen teilgenommen<br />

hätten. Nur vom Hörensagen kannten 11 Teilnehmer Aufstellungen, ein Teilnehmer<br />

kannte die Methode bisher <strong>über</strong>haupt nicht und 2 Personen haben keine Angaben<br />

gemacht.<br />

Bei allen drei Werkstattseminaren nahmen zusätzlich 5 – 7 Projektmitarbeiter und<br />

-mitarbeiterinnen von den verschiedenen Projektbeteiligten teil. Außerdem waren ebenso<br />

bei allen drei Werkstattseminaren zwei Personen anwesend, die sich in der Ausbildung zu<br />

Systemaufstellern befanden. Diese Mehrfachteilnehmer werden zusammenfassend nachfolgend<br />

auch als „Staff“ bezeichnet, um eine Abgrenzung zu den Teilnehmerinnen und<br />

Teilnehmern herzustellen, die jeweils nur einmal anwesend waren.


Jenseits des Rubikon? Der mögliche Beitrag von Systemaufstellungen<br />

271<br />

Geleitet wurden die Werkstattseminare von jeweils unterschiedlichen Aufstellungsleiterinnen<br />

und -leitern, die professionell in Aufstellungsarbeit ausgebildet waren. Im Sinne<br />

der o. g. Typisierung von könig wurden verändernde Aufstellungen durchgeführt.<br />

5.2 Wirkungsanalyse<br />

Mit der Wirkungsanalyse wird versucht, die Veränderungen durch Systemaufstellungen<br />

bei Teilnehmerinnen und Teilnehmern nach einem Werkstattseminar zu identifizieren. Dabei<br />

besteht der Ausgangspunkt in der Gesamtzielsetzung des Projektes: zu prüfen, inwieweit<br />

Systemaufstellungen innerhalb eines Beratungszusammenhanges sinnvoll eingesetzt<br />

werden können.<br />

5.2.1 Design der Wirkungsanalyse<br />

Die bislang in der Literatur zu findenden allgemeinen Aussagen zu Wirkungen von Systemaufstellungen<br />

(vgl. z. B. 36, S. 93), wie auch die von varga von kibéd dargestellten<br />

Wirkungen zur Aufstellungsarbeit im Organisationsbereich (vgl. 51, S. 20) wurden bisher<br />

empirisch wenig untersucht. Eine Ausnahme bilden die <strong>Berichte</strong> von rUppert (41; 42)<br />

sowie die Studie von höppner (26).<br />

Bei der Wirkungsanalyse stand die Erfassung von möglichen Einstellungsänderungen<br />

im Vordergrund. Aus der Vielzahl möglicher Wirkungen von Systemaufstellungen sind<br />

also vor allem solche betrachtet worden, die im Zusammenhang mit landwirtschaftlicher<br />

Beratung von Relevanz sein können. Die aus einer Beratung resultierenden Handlungen<br />

ergeben sich einerseits aus inhaltlichen Klärungen oder neuen Erkenntnissen, andererseits<br />

aus der hinzugewonnenen Handlungskompetenz und den dieser zugrunde liegenden Einstellungsänderungen<br />

der Landwirte. Ausgehend von diesem Beratungsverständnis wurden<br />

die Dimensionen der Wirkungsanalyse bestimmt.<br />

Dabei stehen nicht beide Felder, inhaltliche Erkenntnisse sowie Handlungskompetenz<br />

und Einstellungsänderung, für eine Wirkungsanalyse zur Verfügung. Eine Identifikation<br />

von Wirkungen auf der inhaltlichen Ebene der Veränderungen von Kenntnissen ist nicht<br />

möglich, da vor Beginn der Systemaufstellungen nicht festlegbar ist, welche Themen bearbeitet<br />

werden. Es ist also erforderlich, sich auf die den Handlungen zugrunde liegenden<br />

Einstellungen zu beschränken.<br />

Einstellungsänderungen werden als Beratungswirkungen dahingehend erwartet, dass<br />

Landwirte ihre Situation genauer analysieren, Lösungszuversicht gewinnen, und Handlungsmöglichkeiten<br />

realisieren wollen. In einer erfolgreichen Beratung haben die Ratsuchenden<br />

also affektive Entwicklungen hin zu mehr Selbstvertrauen (Lösungszuversicht),<br />

kognitive Entwicklungen hin zu mehr Klarheit und Sicherheit in der Beurteilung von<br />

Informationen (Situationsanalyse) sowie konative Entwicklungen hin zu mehr Handlungskompetenz<br />

(Handlungsabsichten) durchgemacht. Die Dimensionen der Beratungswirkungen<br />

wurde in Interviews mit den Aufstellungsleiterinnen und -leitern bestätigt (vgl.<br />

10, S. 14 ff.).<br />

5.2.2 Instrumente und Methoden<br />

Die Veränderungen bei den Teilnehmern werden im Vergleich ihrer Einstellungen vorher/<br />

nachher erfasst und bewertet (vgl. insgesamt zur empirischen Methodik 4; 6; 14; 16; 17;<br />

33 und 34).<br />

Zur Untersuchung der affektiven und kognitiven Dimension der Wirkungsanalyse wurden<br />

die Teilnehmerinnen und Teilnehmer vor und nach der Teilnahme an dem Werkstattseminar<br />

mit einem Evaluierungsfragebogen befragt. Zur Erfassung der konativen Dimension<br />

wurden 6 Teilnehmerinnen und Teilnehmer einige Wochen nach den Werkstattseminaren<br />

interviewt.


272 Herman Boland und Thorsten Michaelis<br />

Der Evaluierungsfragebogen (vgl. 10, S. 3 ff.) besteht aus den zwei Teilen, t0 und<br />

t1 (vor und nach dem Werkstattseminar), die beide von allen Werkstattseminarteilnehmerinnen<br />

und -teilnehmern ausgefüllt wurden. Die kognitive Dimension wurde vor allem<br />

durch Items einer Skala zur Einschätzung der Selbstwirksamkeit und Handlungskompetenz<br />

nach schWarzer et. al. (45) erfasst („SWE“), die in leicht veränderten Fassungen<br />

vorliegt. Weitere Items zur kognitiven Dimension wurden selbst formuliert und lassen<br />

sich den Feldern Erwartung, Lösung, Aufstellung, Gruppe und Haltung zuordnen. Mit den<br />

selbstformulierten Items sollte gleichzeitig die Bildung weiterer Indices versucht werden<br />

(vgl. 10, S. 11 f.). Insgesamt wurden 30 Items abgefragt, die in 4-stufiger likert-Skala zu<br />

bewerten waren.<br />

Die Erfassung der affektiven Dimension erfolgte durch eine Befindlichkeitsskala<br />

(„Bf-S“) nach von zerssen (52). Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sollten ihren augenblicklichen<br />

Zustand vor und nach dem Werkstattseminar mittels 28 gegensätzlicher<br />

Eigenschaftspaare angeben. Bei t0 und t1 lagen dieselben Eigenschaftspaare vor. Die Skalierung<br />

war 3-stufig, wobei Eigenschaftspaare gegen<strong>über</strong>gestellt waren: ein linker Pol, ein<br />

rechter Pol und „weder noch“.<br />

Zusätzlich enthielt der Evaluierungsfragebogen t0 einen soziodemographischen Fragenteil<br />

und eine Frage zur Kenntnis der Methode Systemaufstellung. Im Fragebogen t1<br />

wurden statt dessen 6 offene Fragen zum Einfluss und zu Veränderungen durch das Werkstattseminar<br />

bzgl. Erfahrungen, Lösungen, Gefühlen und Haltung sowie die Anzahl der<br />

Teilnahme an Aufstellungen abgefragt. Die Evaluierungsfragebögen t0 und t1 wurden<br />

durch eine Kennziffer je Person zugeordnet und anonymisiert mit dem Statistikprogrammpaket<br />

„SPSS“ (Version 11.0) ausgewertet. Die Skalen und gebildeten Indices wurden mit<br />

cronbach’s Alpha auf ihre Reliabilität geprüft (vgl. 10, S. 13). Insgesamt lagen 50 Datensätze<br />

vor (N = 50). Zieht man jedoch die Gruppe des „Staff“ ab, verbleiben N = 27<br />

Personen als Teilnehmer. Aufgrund der geringen Zahl an Datensätzen sind die Ergebnisse<br />

der quantitativen Auswertung als Tendenzen zu verstehen, die durch weitere Forschung<br />

zu <strong>über</strong>prüfen sind.<br />

Um eine Aussage <strong>über</strong> die Veränderung und die Richtung der Veränderung aufgrund<br />

einer Teilnahme an einem Werkstattseminar zu erhalten, wurde ein Mittelwertvergleich<br />

der Items (t0 und t1) vorgenommen. Nur Werte, die im 95%igen Konfidenzintervall signifikant<br />

sind, fanden Berücksichtigung. Da zwei statistische Testverfahren angewendet wurden,<br />

sowohl der t-Test als auch der Wilcoxon-Test, wurde eine Signifikanz akzeptiert,<br />

wenn der Wert in einem der beiden Testverfahren im Konfidenzintervall 95% lag. Statistisch<br />

ausgewertet wurden sowohl die Mittelwertvergleiche der einzelnen Items als auch<br />

die <strong>über</strong> mehrere Items gebildete Skalen und Indices.<br />

Die offenen Fragen im Evaluierungsfragebogen wurden gruppiert sowie per Auszählung<br />

ausgewertet. Sie bestätigten die Ergebnisse der Einstellungsfragen. Die konative<br />

Dimension wurde durch narrative Interviews mit 6 Teilnehmerinnen und Teilnehmern<br />

6 bis 10 Wochen nach den Werkstattseminaren erfasst. Das Auswahlkriterium der je 2<br />

Teilnehmer bzw. Teilnehmerinnen pro Seminar bestand darin, ein möglichst umfassendes<br />

Spektrum mit Schwerpunkt auf die Berufsgruppe Landwirte zu erhalten. Vier Teilnehmerinnen<br />

hatten ihre Situation aufgestellt, eine Person war nur als Stellvertreter einbezogen<br />

und eine Person beobachtend. Im Projektzeitrahmen können dafür mittelfristige Handlungsabsichten<br />

und erste Entscheidungen der Seminarteilnehmerinnen und -teilnehmer<br />

erfragt werden. Zur Klärung der Beibehaltung von Entscheidungen bzw. der Umsetzung<br />

konkreter Handlungen müsste eine Erhebung zu einem späteren Zeitpunkt vorgenommen<br />

werden. Bei den durchgeführten Interviews wurde gleichzeitig eine rückschauende<br />

Bewertung des Werkstattseminars und der Methode Systemaufstellung erbeten. Die Analyse<br />

der transkribierten Interviews erfolgte in einer hermeneutischen Vorgehensweise und


Jenseits des Rubikon? Der mögliche Beitrag von Systemaufstellungen<br />

wurde technisch mit Hilfe von „MAXqda“, einem Programm zur qualitativen Datenanalyse,<br />

durchgeführt.<br />

5.3 Ergebnisse<br />

273<br />

Die wirkungsanalytischen Auswertungen beziehen sich aufgrund der Zielsetzung des Projekts<br />

allein auf die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Werkstattseminare. Dabei wurden<br />

alle drei Termine zusammengefasst, so dass insgesamt 27 Personen betrachtet wurden.<br />

Eine positive Veränderung ist im Folgenden als Bewertung in die Richtung von aus Beratungssicht<br />

erwünschten Einstellungen zu verstehen.<br />

5.3.1 Gesamtwirkung<br />

Die Teilnehmer haben offensichtlich nicht erwartet, in so starkem Maße mit Menschen<br />

in Kontakt zu kommen, die sich auch für Systemaufstellungen interessieren (vgl. Abb. 3).<br />

Dieser Solidarisierungseffekt weist den bei weitem stärksten Veränderungsausschlag aller<br />

Items auf, der deutlich größer als ein ganzer Skalenpunkt ist.<br />

Die weiteren signifikanten Unterschiede im Bereich der kognitiven Items zeigen ähnlich<br />

starke Veränderungen, die um 0,3 Skalenpunkte in positiver Richtung liegen. Dabei<br />

sind zunächst zwei Items aus der Selbstwirksamkeitsskala sowie die SWE-Skala insgesamt<br />

nach dem Seminar signifikant positiver bewertet. Die Teilnehmer glauben, ihre Ziele<br />

besser verwirklichen zu können und zu wissen, wie sie sich verhalten sollen. Die Selbstwirksamkeitsskala<br />

insgesamt zeigt keine so deutliche Veränderung, entwickelt sich aber<br />

auch positiv.<br />

Abb. 3. Veränderung zwischen kognitiver Erwartung und Bewertung des Seminars<br />

Quelle: Eigene Darstellung<br />

Bei den weiteren Items wird deutlich, dass die Systemaufstellungen ernst genommen werden<br />

und auch durch die Beobachtung schon eigene Lösungsansätze gewonnen werden<br />

konnten. Im Bezug auf Beratungszusammenhänge ist beachtenswert, dass die Angst vor


274 Herman Boland und Thorsten Michaelis<br />

Lenkung geringer geworden ist und in stärkerem Maße die Notwendigkeit gesehen wird,<br />

zur Problemlösung einen Fachexperten zu nutzen.<br />

Bei der Zusammenfassung aller kognitiven Items zeigt sich eine positive Entwicklung;<br />

die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind insgesamt nach dem Werkstattseminar selbstsicherer<br />

und zuversichtlicher.<br />

Bei den affektiven Items der Befindlichkeitsskala haben sich die in der folgenden Abbildung<br />

dargestellten Items signifikant verändert (vgl. Abb. 4). Die signifikanten Items<br />

zeigen Veränderungen zwischen 0,3 und 0,4 Skalenpunkten und weisen in den Einzelitems<br />

größere Veränderungen auf als für die Gesamtskala.<br />

Insgesamt zeigt sich, dass die Befindlichkeit sich leicht positiv verändert hat. Die<br />

Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind nach dem Seminar zielstrebiger, heiterer, eher<br />

einfallsreich und unempfindlich, sowie auch hoffnungsvoll, zufrieden und kraftvoll. Die<br />

Veränderung deutet darauf hin, dass ein Anstoß gegeben werden konnte, der eine Handlungsdynamik<br />

auslösen könnte.<br />

Abb. 4. Veränderung zwischen affektiver Erwartung und Bewertung des Seminars<br />

Quelle: Eigene Darstellung<br />

5.3.2 Differenzierung zwischen Landwirten und Nicht-Landwirten<br />

Unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Werkstattseminare befanden sich neben<br />

Landwirten auch eine Reihe von Personen aus dem landwirtschaftlichen Umfeld, die keinen<br />

Betrieb bewirtschaften. Da sich die Zielsetzung des gesamten Projektes auf die Frage<br />

nach Wirkungen bei Landwirten bezieht, wurde in einer zweiten Auswertung die Gruppe<br />

der landwirtschaftlichen Teilnehmer mit der der Nicht-Landwirte verglichen.<br />

Bei den Landwirten (N = 14 Personen) gibt es eher im kognitiven Bereich Veränderungen<br />

als bei den Nicht-Landwirten (N = 13 Personen). Bei den in der Abbildung 5 dargestellten<br />

kognitiven Items fällt als einziges in beiden Gruppen signifikant verändertes<br />

Item „Ich bin gekommen, um Menschen kennen zu lernen, die auch an Systemstellungen<br />

interessiert sind“ auf.<br />

Alle anderen signifikanten Veränderungen treten nur bei den Landwirten auf. Hinsichtlich<br />

ihres Vertrauens in die eigenen Fähigkeiten und der Durchsetzung gegen Widerstand<br />

sehen sich die Landwirte deutlich gestärkt, was sich auch in einer positiven Veränderung<br />

des Indexwertes für die Selbstwirksamkeitserwartung niederschlägt. Bezogen auf<br />

den Gruppenprozess hatten die Landwirte offenbar Bedenken, dass ihre Anliegen in der


Jenseits des Rubikon? Der mögliche Beitrag von Systemaufstellungen<br />

Abb. 5. Veränderung zwischen kognitiver Erwartung und Bewertung des Seminars bei Landwirten<br />

und Nicht-Landwirten<br />

Quelle: Eigene Darstellung<br />

275<br />

Gruppe zerredet werden könnten, was sich aber nicht bewahrheitete. Insgesamt entwickelt<br />

sich auch der Gesamtindex aller kognitiven Items nach dem Seminar positiv.<br />

Im Vergleich mit dem Gesamtergebnis aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer fällt auf,<br />

dass die Tendenz in den Indexwerten sich vollkommen gleichsinnig wiederfindet, es aber<br />

andere Einzelitems sind, die signifikante Änderungen aufweisen. Wichtig für eine Bewertung<br />

der Systemaufstellungen ist die in den Aussagen der Landwirte deutlich werdende<br />

Tendenz, mit gestärktem Selbstvertrauen das Seminar zu verlassen. Die weiteren nichtlandwirtschaftlichen<br />

Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind offenbar zu inhomogen, als<br />

dass sich bei ihnen signifikante kognitive Veränderungen zeigen könnten.<br />

Ganz anders stellt sich das Ergebnis im affektiven Bereich, der Befindlichkeitsskala, dar<br />

(vgl. Abb. 6). Hier konnten fast nur Veränderungen bei den Nicht-Landwirten festgestellt<br />

werden. Während die Landwirte nur in dem Eigenschaftspaar „hoffnungsvoll – verzweifelt“<br />

eine Veränderung zum „hoffnungsvollen“ aufweisen, zeigen die Nichtlandwirte bei<br />

fünf Befindlichkeitsaussagen eine positive Veränderung. Nicht-Landwirte sind nach dem<br />

Werkstattseminar „heiterer, unempfindlicher, sorgloser, zwar nicht hoffnungsvoll, wie die<br />

Abb. 6. Veränderung zwischen affektiver Erwartung und Bewertung des Seminars bei Landwirten<br />

und Nicht-Landwirten<br />

Quelle: Eigene Darstellung


276 Herman Boland und Thorsten Michaelis<br />

Landwirte, aber dafür zufriedener und ausgeglichener“. Auch die Befindlichkeitsskala insgesamt<br />

weist nach dem Seminar eine deutlich positivere Stimmung bei Nicht-Landwirten<br />

auf, während sich bei den Landwirten keine signifikante emotionale Veränderung zeigt.<br />

Eine erste Interpretation dieser Befunde kann dahin gehen, dass die Landwirte mehr<br />

in der Umsetzung der Seminarerlebnisse für die Alltagssituation verhaftet sind, während<br />

sich die Nicht-Landwirte eher von dem Seminargeschehen selbst bestimmen lassen. Somit<br />

wirkt bei letzteren das Seminar als solches und es zeigt sich eine Stimmungsveränderung,<br />

während die Landwirte das Erleben sehr individuell vor dem Hintergrund ihres jeweiligen<br />

betrieblichen Alltags bewerten und somit keine einheitliche Entwicklung im affektiven<br />

Bereich vollziehen.<br />

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich sowohl kognitive als auch affektive<br />

Wirkungen direkt im Anschluss an die Werkstattseminare feststellen lassen. Dabei<br />

zeigt die weitere Analyse, dass bei den Landwirten die Veränderungen fast ausschließlich<br />

auf der kognitiven Ebene erfolgen, während bei den Nicht-Landwirten fast ebenso ausschließlich<br />

affektive Veränderungen festzustellen sind. Das Ergebnis deutet darauf hin,<br />

dass bei weiteren Analysen eine Differenzierung von gruppendynamischem Geschehen<br />

im Arbeitsprozess des Werkstattseminars und auf der inhaltlichen Ergebnisebene sinnvoll<br />

ist.<br />

5.3.3 Mittelfristige Einschätzung der Wirkungen der Werkstattseminare<br />

Erste Handlungen und Handlungsabsichten sowie eine rückschauende Bewertung der Methode<br />

Systemaufstellung wurde anhand von sechs Interviews mit Teilnehmerinnen und<br />

Teilnehmern an den Werkstattseminaren analysiert.<br />

5.3.3.1 Änderungen im eigenen Handeln und im Umfeld<br />

Durch die Werkstattseminare konnten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer neue Einsichten<br />

und Klärungen gewinnen. Dies betrifft zum einen die Klärung, welche weiteren<br />

Bereiche noch unklar sind (vgl. z. B. 10, S. 35) und bearbeitet werden sollen. Zum anderen<br />

wird alles „bewusster und klarer. Und wo ich vorher nicht dran gekommen bin, ist jetzt<br />

gelöst, und ich komme jetzt weiter“ (10, S. 39). Erkenntnisse aus den Werkstattseminaren<br />

haben dazu geführt, die eigene Person für Entwicklungsprozesse stärker in den Blick zu<br />

nehmen. „Mir ist klar geworden bei den Aufstellungen, dass man nur sich selber ändern<br />

kann, nicht die anderen oder nur sehr begrenzt“ (10, S. 33). Dies korrespondiert mit der<br />

Einsicht, dass Objekte und andere Personen ebenfalls Einfluss auf Entwicklungen haben,<br />

vor allem in der Beziehung zu nahestehenden Personen (vgl. 10, S. 37). Einem Befragten<br />

ist dar<strong>über</strong> hinaus „viel bewusster geworden, wie wichtig Beziehungen untereinander<br />

sind, in der Partnerschaft, zu den Eltern, zu den Freunden“ (10, S. 30).<br />

5.3.3.2 Rückschauende Bewertung von Seminar und Methode<br />

In den Werkstattseminaren fanden gruppendynamische Prozesse statt, die eine gemeinsame<br />

Arbeit an Problemen fördern oder behindern können, wie z. B. auch in der Gruppenberatung<br />

(vgl. z. B. 12). Eine offene Art des Umgangs miteinander und ein gutes Gruppenklima<br />

fördert die Anwendung einer Methode und wurde für die Seminare von den<br />

Interviewten festgestellt. „Ich fand, es war eine sehr gute Atmosphäre. Ich persönlich<br />

hatte auch keine Hemmungen. Ich hatte das Gefühl, die Leute, die hergekommen sind,<br />

hatten alle ein Anliegen, was ähnlich gestaltet war, und wir suchten nach einer Antwort.“<br />

(10, S. 37 und S. 39)<br />

Aus der Sicht der Befragten liegt das Hauptaugenmerk der Methode Systemaufstellung<br />

auf der Lösungsfindung (vgl. 10, S. 33 und S. 30). Der Ansatzpunkt zur Lösungsfindung<br />

ist bei der Methode der Einsatz von Gefühlen der aufgestellten Personen. „Das was man<br />

weiß, kann man in der Aufstellung fühlen, und dann ist wie ein Schalter umgelegt“ (10,


Jenseits des Rubikon? Der mögliche Beitrag von Systemaufstellungen<br />

277<br />

S. 39). Überraschend war für Interviewte, wie gut „die Stellvertreter in so eine Rolle eintauchen“<br />

(10, S. 33) und der Situationsklärung und Problemlösung dienen konnten. „Was<br />

für Aussagen, auch ohne dass die anderen um die Zusammenhänge wussten, herauskamen,<br />

das war schon erstaunlich. Das hätte ich auch so nicht erwartet“ (10, S. 37). Die Stellvertreter<br />

in einer Systemaufstellung führen durch ihren Verfremdungseffekt (vgl. 35, S. 6 f.<br />

und 14 f.) zu neuen Einsichten bei den Teilnehmern. „Dass man mit Hilfe von anderen<br />

eine Sicht bekommt, die man alleine selbst gar nicht haben kann, wenn man sich selber in<br />

seiner Situation sieht“ (10, S. 33).<br />

Diese positive Bewertung von Systemstellungen wird von einzelnen jedoch durchaus<br />

etwas ambivalent betrachtet. „Was ich heftig fand, waren die emotionalen Sachen“ (10,<br />

S. 33). Gerade für die Arbeit mit Gefühlen bedarf es daher gut ausgebildeter Systemaufstellungsleiterinnen<br />

und -leiter. Daneben können Ergebnisse von Systemaufstellungen zu<br />

Problemen durch Projektion, Übertragung und Interpretationen in andere Personen entstehen,<br />

die zu Beziehungsstörungen führen, indem sich das Bild von anderen verändert. Eine<br />

erwünschte Änderung beim Aufstellenden beinhaltet damit ebenfalls einen Keim für neue<br />

Probleme, deren Ansätze in den Interviews durchaus erkennbar waren. Bisherige Untersuchungen<br />

zu Übertragungsproblemen aus Psychotherapie, Beratung und Kommunikation<br />

(vgl. z. B. 44, S. 175 ff.) lassen sich auch auf diese Methode anwenden und unterstreichen<br />

die Notwendigkeit der Kompetenz der Leiter von Systemaufstellungen.<br />

Die bisherigen Beurteilungen der Werkstattseminare hätten Teilnehmer auch unabhängig<br />

vom Feld <strong>Landwirtschaft</strong> abgeben können. Das Interesse von Landwirtinnen und<br />

Landwirten an den durchgeführten Werkstattseminaren und die erreichten Problemlösungen<br />

belegen die Anwendbarkeit der Methode Systemaufstellung in der <strong>Landwirtschaft</strong>.<br />

Eine Offenheit von Landwirtinnen und Landwirten für die Methode erscheint notwendig<br />

und wird von einem Befragten ambivalent eingeschätzt. „Die Bauern sind sehr konservativ<br />

und ich kann mir es nicht so leicht vorstellen, die Menschen dazu zu bekommen sich<br />

so zu öffnen. Ich bin erstaunt, nachdem ich das Seminar mitgemacht hatte, und ich mit<br />

Kollegen dar<strong>über</strong> gesprochen habe, dass sie sich total gut damit auskannten. (...) Aber<br />

es gibt auch umgekehrt genau so viele, wo ich Hemmungen hätte, dar<strong>über</strong> zu reden, und<br />

wo ich mir schlecht vorstellen könnte, dass man sie dazu gewinnen könnte“ (10, S. 32).<br />

Systemaufstellungen sind demnach in der <strong>Landwirtschaft</strong> zur Problemlösung nutzbar, ihre<br />

Inanspruchnahme hängt jedoch von der Bereitschaft des Einzelnen ab, sich auf die Methode<br />

einzulassen.<br />

Als Zugang für eine weitere Problembearbeitung ist eine Arbeit mit Systemaufstellungen<br />

bzw. je nach Fokus Familien- und Organisationsaufstellungen sowie in der landwirtschaftlichen<br />

Beratung möglich. Die Befragten stellen dabei kaum einen Bezug zur<br />

Beratung her, sondern wollen weiter mit der Methode Systemaufstellung arbeiten (vgl. 10,<br />

S. 40 und S. 42). Die sozioökonomische Beratung erscheint nach einem Interviewten insgesamt<br />

ein Feld seitens landwirtschaftlicher Familien darzustellen, wo ein Bedarf besteht,<br />

der nicht ausreichend mit Angeboten abgedeckt wird. „Ich glaube auch, dass man mit dem<br />

Thema Lebensberatung viel mehr machen muss und anbieten muss. Die produktionstechnische<br />

Beratung, die funktioniert seit langem gut. Aber die Lebensberatung, gerade so mit<br />

Hofnachfolge, das finde ich schon ein wichtiges Thema, und ich denke, dass da bei vielen<br />

Gesprächsbedarf besteht“ (10, S. 31 f.).<br />

5.4 Schlussfolgerungen aus der Evaluierung<br />

In der Zusammenfassung der Ergebnisse der Evaluierung ergibt sich ein in etwa konsistentes<br />

Bild. Die Daten zeigen, dass nach der Teilnahme an den Werkstattseminaren bei<br />

den Teilnehmerinnen und Teilnehmern Veränderungen festzustellen waren. Diese zeigten<br />

sich in allen drei ausgewählten beratungsrelevanten Dimensionen. Die Teilnehmer waren


278 Herman Boland und Thorsten Michaelis<br />

positiv gestimmt, selbstbewusst und fühlten sich handlungskompetent. In Ansätzen zeigt<br />

die Teilnehmerbefragung auch erste Handlungsfolgen.<br />

Allerdings bleiben offene Fragen, die sich mit dem gegebenen Design nicht beantworten<br />

lassen. Diese beziehen sich vor allem auf die Gestaltung von Systemaufstellungen und<br />

den im Prozess wirksamen Einflüssen. Diese wurden bewusst aus der hier vorliegenden<br />

Wirkungsanalyse herausgelassen. Eine Trennung in die Wirkung der Methode der Aufstellung<br />

und die gruppendynamischen Wirkungen einer mehrtägigen Arbeit an persönlichen<br />

Themen kann somit nicht erfolgen. Ebenso ist eine Trennung zwischen der Wirkung der<br />

Methode und der Wirkung der Leiterin oder des Leiters bei den drei untersuchten Situationen<br />

nicht möglich.<br />

Da allerdings Wirkungen erfolgten, muss deutlich auf die Position der Deutschen Gesellschaft<br />

für Supervision hingewiesen werden, die klar fordert, dass es einer psychotherapeutischen<br />

und insbesondere einer systemisch familientherapeutischen Kompetenz und<br />

Qualifikation bedarf, um diese Methode (Systemaufstellungen) verantwortlich anzuwenden<br />

(vgl. 53, S. 36).<br />

Sollten die Methoden in die Beratungsarbeit <strong>über</strong>nommen werden, so gilt es, wie oben<br />

bereits erwähnt, den funktionalen Kern der Vorgehensweisen zu identifizieren. Danach<br />

kann geprüft werden, ob diese Vorgehensweisen sich für die landwirtschaftliche Beratung<br />

verwerten lassen. Im folgenden Kapitel sollen daher die beiden Konzepte auf ihre Wirkungsmechanismen<br />

hin untersucht werden.<br />

6 Aufstellungen und Beratung<br />

Wie lässt sich die Wirkung von Aufstellungen erklären? Hierzu gibt es widersprüchliche<br />

und auch teils ideologisch gefärbte Vorstellungen.<br />

„Eine von dem Biologen sheldrake (46) entwickelte Theorie ist die der „morphogenetischen<br />

Felder“. Das morphogenetische Feld stellt eine Art kollektives Gedächtnis dar.<br />

Ähnlich wie magnetische Felder hätten auch lebende Organismen unsichtbare Felder, die<br />

ihre Entwicklung steuern und vor allem ihre Form bestimmen. Bezogen auf das Familien-Stellen<br />

würde dies bedeuten, dass das gesamte Wissen <strong>über</strong> die Entwicklung dieser<br />

Familie und ihrer Vorfahren in diesem Feld enthalten ist und vom Stellvertreter empfunden<br />

werden kann.<br />

Diese Theorie gibt zumindest eine, wie auch immer geartete Erklärung für den „Prozess,<br />

den wir nicht verstehen“ (50). Während van kampenhoUt vom Welt- und Menschenverständnis<br />

des Schamanismus kommend, diese Erscheinung durchaus plausibel zu erklären<br />

weiß, gibt es auch von Seiten der <strong>über</strong> jeden Esoterikverdacht erhabenen Organisations-<br />

Aufsteller Erklärungsansätze.<br />

Über die Projektion des inneren Bildes des Klienten – also <strong>über</strong> die räumliche Darstellung<br />

dieses inneren Bildes und seiner Repräsentanz durch Stellvertreter wird, so stey<br />

(49), ein „sozialer Raum“ konstruiert. Andere Personen, hier die Stellvertreter, können<br />

nach dieser Annahme die räumliche Anordnung des inneren Bildes anstelle des Klienten<br />

erleben und wiederum in psychische Vorgänge „<strong>über</strong>setzen“. Damit relativiere sich die<br />

Grenze zwischen innen und außen in unserer Wahrnehmung, die Grenze zwischen wahrnehmendem<br />

Subjekt und wahrgenommenem Objekt weiche einem Gemeinsamen, das<br />

beide – Subjekt und Objekt – umgreife.<br />

So entstehe ein mentaler und sozialer Raum, welcher neue Zugänge zur Wirklichkeit<br />

verschaffe. Dieser neue Wirklichkeitszugang könne auch als eine „Wiederbeseelung unseres<br />

Raumverständnisses“ betrachtet werden. Nach varga von kibéd (51) ermöglicht uns<br />

die „repräsentierende Wahrnehmung“ einen Zugang zu dieser Seele bzw. zum Unbewussten,<br />

welches zwischen uns und nicht in uns ist.“ (56, S. 38)


Jenseits des Rubikon? Der mögliche Beitrag von Systemaufstellungen<br />

279<br />

Nicht ganz so weit geht sparrer, die sich auch konzeptionell auf die Vorstellung einer<br />

repräsentierenden Wahrnehmung bezieht. „Der Körper der Repräsentantinnen wird zu<br />

einem Wahrnehmungsorgan, mit dem Empfindungen, Haltungen, Emotionen und Kognitionen<br />

bezüglich der Mitglieder eines fremden Systems wahrgenommen werden können.<br />

Die aufgestellten Personen geben bei diesem Prozess nur die Unterschiede an, die sie zu<br />

ihrem Zustand, bevor sie aufgestellt wurden, empfinden“ (47, S. 103). Im Gegensatz zu<br />

hellinger vertritt sparrer nicht die These, dass „die Seele wandert“ (47, S. 104), sie stellt<br />

jedoch fest, dass es sich bei der Aufstellung um einen intuitiven, keinen intellektuellen<br />

Prozess handeln soll.<br />

Eine besser nachvollziehbare Position nehmen könig und auch groth ein. könig ordnet<br />

dem „Wissenden Feld“ keine spezifische transzendente Qualität zu, sondern sieht in ihm<br />

die strukturellen Übertragungen der Stellvertreter (32, S. 152). Die Stellvertreter reagieren<br />

aus ihrem eigenen Erfahrungszusammenhang und nehmen wahr und agieren aus diesem<br />

heraus in der Situation der Aufstellung. Es sind also die generalisierten Vermutungen der<br />

Stellvertreter, die aus ihrer Erfahrungswelt der Aufstellung einen Inhalt geben.<br />

Einen noch weiter gehenden Ansatz zu einer rationalen Betrachtung der in einer Systemaufstellung<br />

ablaufenden Prozesse und deren Wirkungsmechanismus hat groth vorgelegt<br />

(22). Er nimmt auf drei Ebenen eine „Entzauberung“ bezogen auf die spezifische<br />

Anwendungsform der Organisationsaufstellungen vor. Er sieht in dem „wissenden Feld“<br />

eher einen Rückgriff auf ein allgemeines Kausalitätsschema, das die Stellvertreter anwenden<br />

(vgl. 32). Den hauptsächlichen Auslöser für die Wirksamkeit vermutet er in der<br />

notwendigen Reduktion des Aufstellers auf nur zwei Dimensionen der Darstellung seines<br />

Anliegens: Entfernung (nah – fern) und Ausrichtung (abgewandt – zugewandt). Dadurch<br />

muss der Aufsteller sein Anliegen anders kreieren als er es in kommunikativen Zusammenhängen<br />

gewohnt ist.<br />

Hinsichtlich des postulierten Phänomens der „Repräsentierenden Wahrnehmung“ und<br />

damit des Körpers als ein Wahrnehmungsorgan, kehrt groth unter Heranziehung einer<br />

systemtheoretischen Erklärung die Betrachtungsrichtung um. Für ihn ist die Teilnahme<br />

an einer Aufstellung die Aufforderung, auf den Körper zu achten. Zusammen mit der<br />

Möglichkeit, als Stellvertreter ohne Sorge um Gesichts- oder Statusverlust agieren zu<br />

können, kann körperlichen Eindrücken, die allgegenwärtig sind, nachgegangen werden.<br />

Den Erfolg von Aufstellungen sieht er dann in der Gewinnung von „Beweglichkeit in der<br />

Beobachtung“, die durch offensichtlich emotionale Anstöße erreicht wird.<br />

Nimmt man die Erklärungsansätze von könig und groth, so ergibt sich durch Momente<br />

der Verkürzung, Verfremdung und Emotionalität ein Wirkungsmuster, das die Ergebnisse<br />

von Aufstellungen auch ohne den Rückgriff auf morphogenetische Felder (sheldrake)<br />

oder eine Seelenwanderung (hellinger) ermöglicht.<br />

6.1 Grenzen und Einsatzbedingungen von Aufstellungen<br />

Hält man fest, dass die Wirkungen von Systemaufstellungen im Prinzip auf einem Muster<br />

von Verdichtung und Verfremdung beruhen und somit grundsätzlich lösungsfördernd<br />

sein können, so bleiben dennoch einige kritische Punkte. Hier sollen drei Problemfelder<br />

angesprochen werden:<br />

6.1.1 Leiterdirektivität und Lösungsgestaltung<br />

Ohne deutliche und manipulative Eingriffe des Leiters können in den Gruppensettings<br />

der Systemaufstellungen lediglich Situationsanalysen vorgenommen werden (vgl. 32,<br />

s. 229/230). Jegliche Art von Veränderungsauslösung ist ein durch den Leiter hergestelltes<br />

Phänomen. Versuche, dieses mit einer Erscheinung von „Seele“ zu erklären, können nicht<br />

befriedigen. Daneben sind gruppendynamische Aspekte zu beachten, die von dem Leiter


280 Herman Boland und Thorsten Michaelis<br />

identifiziert und beherrscht werden sollten. Da im Fokus lösungsorientierter Arbeit jedoch<br />

ein bewirken von Veränderungen und ein generieren von Lösungen steht, bleibt der Leiter<br />

als Auslöser hierfür innerhalb dieser Sichtweise. Die Akzeptanz der Leiterdirektivität und<br />

Lösungsgestaltung ist im Ansatz immanent, auch wenn sie mit der Berufung auf die Seele<br />

wissenschaftlich nicht erfassbar und verklärt wird. In diesem Verständnis wird der Einfluss<br />

des Leiters der Seele zugeschrieben und keine Aktivität vom Klienten gefordert, um die<br />

Lösung umzusetzen. Das Wunder wirkt autopoietisch auf der Seelenebene.<br />

6.1.2 Gruppensetting und dessen Einbindung in Beratungsprozesse<br />

Wenn die Aufstellungsgruppe eine Beratungsgruppe ist, so fehlt der notwendige distanzierende<br />

Verfremdungseffekt. Ansonsten könnten Aufstellungen auch in Arbeitskreisen<br />

der landwirtschaftlichen Beratung erfolgen. Wir würden dann selbsterfüllende Prophezeiungen<br />

und Schwierigkeiten wegen evtl. mangelnder Offenheit für die Problemschilderung<br />

erwarten. Ist das nicht der Fall, also die Beratungsgruppe nicht die Aufstellungsgruppe,<br />

so bleibt die Einbindung in den Beratungsprozess unklar. Soll der Berater teilnehmen? In<br />

welcher Rolle? Für den geeigneten Einsatz von Organisationsaufstellungen weist groth<br />

(22) darauf hin, dass die besten Ergebnisse in einer „stranger group“ zu erwarten sind.<br />

Von einer „stranger group“ wird dann gesprochen, wenn die Gruppe aus keinem sachinhaltlichen<br />

gemeinsamen Anlass zusammenkommt, eher aus Interesse an der Methode, wie<br />

auch in den Werkstattseminaren des Projektes, und somit keine direkten sachlichen oder<br />

persönlichen Beziehungen zwischen den Mitgliedern bestehen. Werden hingegen Organisationsaufstellungen<br />

innerhalb einer Organisation durchgeführt, so ist zu befürchten, dass<br />

sie leicht „aus dem Ruder laufen“, da latente Beziehungsmuster entweder nicht deutlich<br />

werden und Oberflächlichkeit folgt oder aber aufgedeckt werden und damit bestehende<br />

Arbeitsmuster in Frage gestellt werden. Übertragen auf den landwirtschaftlichen Bereich<br />

heißt dies, dass ein Einsatz in Arbeitskreisen, die <strong>über</strong> einen langen Arbeitszusammenhang<br />

eine feste Beziehungsstruktur aufgebaut haben, nicht anzuraten ist. Aufstellungen können<br />

daher ein zusätzliches Angebot für den Ratsuchenden darstellen, der dann selbst die Ergebnisse<br />

in die weiteren Beratungen einbringt.<br />

6.1.3 Einsatzzeitpunkt<br />

Wenn Systemaufstellungen situationsanalytischen Charakter haben, dann eignen sie sich<br />

für Ratsuchende, die ihr Problem noch nicht klar formulieren können. In ihnen können die<br />

Betroffenen zu einer neuen Sicht ihrer Welt und möglicherweise zur Entwicklung einer<br />

Zielvorstellung gelangen.<br />

Somit gehen Systemaufstellungen als persönlichkeitsorientierte Auslöser der eigentlichen<br />

Beratung voran. Sie sind daher klar von den Aufgaben der Berater abzugrenzen.<br />

Sie gehören in die Hand psychosozial und gruppendynamisch geschulter Fachleute (Aufstellungsleiter).<br />

Wenn es in Aufstellungen gelingt, den Ratsuchenden auf den Weg zu<br />

einer neuen und klareren Vorstellung von zukünftigen Zielen, Wünschen und Visionen zu<br />

führen, kann das Ausgangspunkt für eine Beratung sein.<br />

Die Konzepte Systemaufstellungen und „Lösungsorientierte Beratung“ lassen sich somit<br />

klar dem Feld Therapie zuordnen (vgl. Abb. 7).<br />

6.2 Lösungsorientierung<br />

Die Arbeitsmethoden der „Lösungsorientierten Beratung“ ergeben kein so eindeutiges und<br />

spektakuläres Setting wie eine Systemaufstellung, die ja, wie gezeigt, die Teilnehmer<br />

emotional bewegt und zu Veränderungen angeregt. Kernelement der „Lösungsorientierten<br />

Beratung“ sind fünf Fragetypen, die in der Theorie als Werkzeuge bezeichnet werden. Sie<br />

beschreiben inhaltliche Themenstellungen, die von dem Berater mit dem Ratsuchenden


Jenseits des Rubikon? Der mögliche Beitrag von Systemaufstellungen<br />

Abb. 7. Einordnung der Konzepte Systemaufstellung und „Lösungsorientierte Beratung“ in das<br />

Feld von Therapie und Beratung<br />

Quelle: Eigene Darstellung<br />

besprochen werden und strukturieren so den Gesprächsablauf. Die fünf Werkzeuge sind<br />

(vgl. 30 und 7):<br />

281<br />

a. Auftragsklärung. In dieser Eingangsphase geht es um den Anlass der Kontaktaufnahme,<br />

das Anliegen des Ratsuchenden, die Formulierung des Auftrages für den Berater und<br />

darauf aufbauend den Abschluss eines Kontraktes zwischen den beiden Beratungspartnern.<br />

b. Das Wunder. Zentraler Punkt ist die Frage nach dem „Wunder“. „Bei der Wunderfrage<br />

geht es erst mal um eine Einladung zu einem Experiment, bei dem der Klient gebeten<br />

wird, sich vorzustellen, nach einem relativ unspektakulären Verlauf des restlichen Tages<br />

werde er abends einschlafen und während des tiefen Schlafes werde ein Wunder geschehen,<br />

welches das, was den Klienten hier in die Therapie oder die Beratung gebracht<br />

habe, lösen werde. Da er aber tief und fest schlafe, wisse er nicht, dass das Wunder<br />

geschehen sei. Die spannende Frage ist nun, wann zuerst und woran genau er dieses<br />

Wunder bemerken werde, wem das noch auffallen werde, was genau sich dadurch in<br />

seinem Leben verändern werde, welche weiteren Folgen das nach sich zieht, etc.“ (30,<br />

S. 11) Die Wunderfrage legt also die Hoffnungen und Wünsche des Ratsuchenden offen<br />

und zeichnet sein Idealbild der Zukunft. Sie kann aber nur dann erfolgreich sein, wenn<br />

der Ratsuchende tatsächlich Vorstellungen hat.<br />

c. Die Ausnahmen. Gemeint sind Ausnahmesituationen, in denen ein Stück des Wunders<br />

bereits registriert werden konnte. Also Momente oder Situationen, in denen sich Hoffnungen<br />

zumindest zeitweise erfüllten.<br />

d. Die Skalen. Meist wird eine zentrale Zielskala entworfen, an deren einem Ende das<br />

Wunder steht und an deren anderem Ende der denkbar schlechteste Zustand aufgetragen<br />

wird. Auf dieser Skala wird im Verlauf des Beratungsgeschehens immer wieder der<br />

aktuelle Zustand eingeschätzt. Somit dient sie dazu, sich des Entwicklungsprozesses zu<br />

vergewissern und diesen plastisch sichtbar und messbar zu machen.


282 Herman Boland und Thorsten Michaelis<br />

e. Bewältigungsfragen. Es sind Fragen danach, wie die Person im Alltag mit der momentanen<br />

Situation umgeht. Im engeren Sinne widersprechen sie der exponierten Grundhaltung<br />

von de shazer, nichts von dem Ratsuchenden und seinen Problemen erfahren zu<br />

wollen. Hier geht es darum, zu erfahren, wie sie ohne eine Lösung ihres Problems zu<br />

haben, mit ihrer Situation fertig werden, sie bewältigen. Zielsetzung ist weniger die genaue<br />

Kenntnis als vielmehr eine daraus zu entwickelnde Bestärkung und Ermutigung,<br />

den mit dem Beginn der Beratung beschrittenen Weg fortzusetzen.<br />

Dieses Fragesystem stellt ein eigenständiges Arbeitsmittel im Sinne eines beschreibenden<br />

Konzeptes dar. Es lässt sich von der therapeutischen Grundhaltung trennen und in einer<br />

akzeptierenden, partnerschaftlichen Position zu dem Ratsuchenden umsetzen. Der Ratsuchende<br />

muss nicht auf sich allein gestellt werden, sondern er wird in den Mittelpunkt<br />

gerückt. Allerdings geht es nicht um die Entstehung und die momentane Gestalt der problembehafteten<br />

Lebenssituation, wie das in der Gesprächspsychotherapie der Fall ist. Einseitig<br />

wird in die Zukunft geschaut und nach Ansätzen gesucht, die Idealvorstellungen und<br />

Utopien des Ratsuchenden in die Realität umzusetzen.<br />

Insofern steht das Konzept der „lösungsorientierten Beratung“ nicht im direkten Widerspruch<br />

zu dem eingangs formulierten Grundverständnis von landwirtschaftlicher Beratung,<br />

sondern kann dieses ergänzen. Es lenkt den Blick auf die in den bisher genutzten<br />

Konzepten nicht sehr intensiv dargestellte Phase der Entwicklung von Lösungen und<br />

schlägt hierfür ein Handlungsmuster vor.<br />

Baut man das Fragesystem der „Lösungsorientierten Beratung“ in einen Beratungsprozess<br />

ein, so bliebe dann zu diskutieren, welchen Stellenwert Rückschau als Vergewisserung<br />

<strong>über</strong> Rahmenbedingungen hat und welchen Stellenwert die Lösungskonstruktion hat.<br />

Die Lösung kann sich entwickeln auf der Basis von:<br />

a. guter Situationskenntnis. Diese gewinnt der Berater durch die Schilderungen des Ratsuchenden.<br />

Um nicht in dessen möglicherweise begrenzten Wahrnehmungshorizont zu<br />

verbleiben, ist es notwendig, bewusst Distanz einzunehmen, die Situation zu hinterfragen,<br />

mit anderen Augen zu sehen. Dies ist das klassische problemorientierte Beratungsmodell:<br />

Verstehen und Begleiten;<br />

b. kaum Situationskenntnis und lediglich der Formulierung positiver Lösungshoffnungen.<br />

Dieses Vorgehen stellt dem Ratsuchenden Lösungen vor, er muss selbst versuchen,<br />

sie zu adaptieren und umzusetzen. Letzteres ist das Konzept der „Lösungsorientierten<br />

Beratung“ und entspricht dem, was im landwirtschaftlichen Feld von uns einleitend als<br />

innovationsorientierte Beratung geschrieben wurde.<br />

Hiermit können auch die Unterschiede deutlicher werden:<br />

● Im Konzept der „Lösungsorientierten Beratung“ gibt der Therapeut Lösungen und<br />

Umsetzungskonzepte vor. Es beinhaltet somit eine Grundposition, in der dem Klienten<br />

ein Handlungsmuster verordnet wird, das der Therapeut vorgibt. Dies entspricht<br />

nicht einem partnerschaftlichen Paradigma, wie es für die landwirtschaftliche Beratung<br />

Grundposition ist (daher auch die Paraphrasierung der Begrifflichkeiten).<br />

● Beratung versucht den Ratsuchenden zu verstehen und zu begleiten. Nur durch die<br />

Zurückhaltung des Beraters bei der Formulierung möglicher Lösungen kann die Autonomie<br />

des Ratsuchenden gewahrt werden. In dem zwischen Verstehen und Begleiten<br />

notwendigen Schritt der Entwicklung von Lösungen kann es sehr nützlich und zielführend<br />

sein, die Arbeitsmethoden (Fragen) der „Lösungsorientierten Beratung“ zu<br />

nutzen.<br />

●<br />

Den Unterscheidungspunkt macht letztlich die Haltung des Beraters gegen<strong>über</strong> seinem<br />

Partner aus. Da die „Lösungsorientierte Beratung“ keine gleichberechtigte Partnerschaft<br />

enthält kann der Ansatz nicht als Beratungskonzept akzeptiert werden, wenn<br />

auch sein Fragesystem in Beratungskonzepten Aufnahme finden kann.


Jenseits des Rubikon? Der mögliche Beitrag von Systemaufstellungen<br />

283<br />

Danach bleibt die Frage, ob und in welcher Form die Grundtechniken von „Lösungsorientierter<br />

Beratung“ und Systemaufstellungen in Arbeitsmethoden der landwirtschaftlichen<br />

Beratung eingebunden werden können.<br />

7 Ein neues Beratungskonzept der landwirtschaftlichen Beratung?<br />

Im Weiteren sollen die bisherigen Überlegungen noch einmal zusammengefasst und in<br />

einen beratungsmethodischen Zusammenhang eingeordnet werden.<br />

Der theoretische Hintergrund zeigt, dass Systemaufstellungen und „Lösungsorientierte<br />

Beratung“ auf einem identischen Grundverständnis aufbauen: Die Betrachtung wird<br />

von der Analyse der Problemkonstellation weg hin zu der Findung und Formulierung<br />

von Lösungskonzepten verlagert. Während die „Lösungsorientierte Beratung“ sich dazu<br />

sprachlicher und beratungsmethodischer Mittel bedient, ist es in der Systemaufstellung die<br />

spezielle Form der Visualisierung durch menschliche Stellvertreter, die zu den Lösungsansätzen<br />

führen soll.<br />

Wenn wir davon ausgehen, dass Beratung die Arbeit mit Inhalts- und Beziehungsaspekten<br />

in einer organisierten Welt ist, dann ist die Beziehung jeweils situativ neu zwischen<br />

den Beteiligten zu gestalten. Der Inhalt stammt von den Ratsuchenden, der Berater macht<br />

Problemanalysen um diesen Inhalt zu verstehen und daraus mit den Ratsuchenden zusammen<br />

Lösungskonzepte zu entwickeln. Hier sehen die lösungsorientierten Konzepte eine<br />

Umkehr vor. Das Problem soll der Berater gar nicht verstehen. Er ist Helfer für das Finden<br />

und Erfinden von Lösungen.<br />

War das nicht schon immer so? Ist es tatsächlich ein Wandel oder nur eine Ausdifferenzierung?<br />

Grundsätzlich scheint es ein Wechsel (wieder) hin zu einem innovationsorientierten<br />

Konzept zu sein, doch auch dieses kann eine Ergänzung zum Beziehungskonzept in der<br />

Beratungsarbeit sein. Die beratungsmethodischen Konzepte der landwirtschaftlichen Beratung<br />

setzen bei der Problemanalyse und der Verhaltensanalyse an (vgl. 13). Aus seiner<br />

fachlichen Kompetenz heraus, verbunden mit der partnerschaftlichen Grundhaltung, wird<br />

der Berater dadurch in die Lage versetzt, möglichst gut zu verstehen, wo das Problem<br />

des Ratsuchenden liegt. Hieraus sucht er mit dem Ratsuchenden weiterführende Ansätze<br />

um gemeinsam eine Lösung zu entwickeln oder gar zu begleiten. Ist diese Abkehr vom<br />

innovationsorientierten Ansatz eigentlich konsequent zu Ende gedacht oder wird nicht<br />

nur durch die Zwischenschaltung von Problem- oder Verhaltensanalyse der eigentliche<br />

innovative Anstoß, der vom Berater erwartet und eingebracht wird, nur weiter zeitlich<br />

nach hinten verschoben?<br />

Wenn wir den Beratungsprozess zerlegen, so finden sich vier Strukturebenen:<br />

a. die Beziehung (zwischen Ratsuchendem und Berater),<br />

b. die Gewohnheiten (die alltäglichen des Ratsuchenden und die professionellen des Beraters),<br />

c. die sachlichen Probleme (des Ratsuchenden) und<br />

d. die Lösungen (für den Ratsuchenden).<br />

Für jede der Ebenen haben wir Konzepte oder Verfahren des Vorgehens: auf der Beziehungsebene<br />

die nondirektive Gesprächsführung nach rogers, bei den Gewohnheiten des<br />

Ratsuchenden die Verhaltensanalyse, bei den sachlichen Problemen die Problemanalyse,<br />

die technisch geprägt ist und von inhaltlichen Strukturen bestimmt wird, sowie bei den<br />

Lösungen die Innovationstheorie und die „Lösungsorientierte Beratung“.<br />

Systemaufstellungen und „Lösungsorientierte Beratung“ können die Verfahren der<br />

vierten Ebene sein. Dabei muss aber nochmals auf die oben bereits ausgeführte Diffe-


284 Herman Boland und Thorsten Michaelis<br />

renzierung zwischen Gesprächstechnik und Haltung gegen<strong>über</strong> dem Partner hingewiesen<br />

werden.<br />

Auf einen wichtigen und für die Verwendung dieser Ansätze ausschlaggebenden Punkt<br />

weist kaimer (30, S. 11) hin. Er formuliert dazu: „mir scheint es für den lösungsfokussierten<br />

Ansatz charakteristisch zu sein, was auch ähnlich für die Verhaltenstherapie gilt.<br />

Klienten, welche mit graWes Worten jenseits des Rubikon sind, mit denen es also möglich<br />

ist, ein klares Wunder zu konstruieren und im Gefolge dann auch Ziele und Teilziele, sind<br />

auch passende Klienten für den Ansatz und umgekehrt. Klienten, welche im Gefolge von<br />

inneren Konflikten solche Visionen noch nicht entwickeln können, welche sehr emotional<br />

reagieren bzw. ihre ersten Änderungen eben im emotionalen Bereich benennen, werden<br />

vom Standardangebot des lösungsfokussierten Ansatzes vielleicht eher enttäuscht sein.<br />

Dabei könnte doch auch die Entwicklung eines Wunders als erstes Ziel gelten und auch<br />

dieser Lösungsfokus hier angegangen werden. Ein Angebot für Klienten diesseits des<br />

Rubikon also.“ Wenn der Ratsuchende also <strong>über</strong> den Rubikon hinweg ist, er das Wunder<br />

benennen kann, geht es nur um das Erreichen. Ist er noch nicht so weit in seiner individuellen<br />

Entwicklung oder Verarbeitung seiner Situation, so geht es darum, ihn zu einer<br />

Vorstellung von dem Wunder zu führen. Die Ähnlichkeit von kaimers Einschätzung zu der<br />

Rubikon-Theorie des zielgerichteten Handelns von gollWitzer (20) und heckhaUsen (24)<br />

ist erheblich. Dort ist es der Übergang vom Wünschbaren zum Machbaren, vom Wünschen<br />

zum Wollen, mit dem die Autoren die Rubikon-Metapher belegen.<br />

Folgt man diesen Überlegungen, so gehören Systemaufstellungen nicht in den Beratungsablauf.<br />

Sie führen zu einer Beratungsfähigkeit und zu Nachfrage nach Beratung.<br />

Möglicherweise können sie in einer festgefahrenen Problemanalyse dem Ratsuchenden<br />

auf einer persönlichen und wenig kognitiven Ebene, einen neuen Anstoß geben. Systemaufstellungen<br />

benötigen dafür ein spezielles Setting – außerhalb von Beratungsprozessen<br />

– und eine kompetente und qualifizierte Leitung.<br />

Das Fragesystem der „Lösungsorientierten Beratung“ kann hingegen eine Gesprächsstrategie<br />

für die Phase der Lösungsfindung anbieten, um hier zu weiterführenden Ergebnissen<br />

zu gelangen. Wie oben dargestellt, ist dabei aber von der Haltung der therapeutischen<br />

Intervention abzusehen und eine beraterische Haltung einzunehmen, mit der die<br />

Fragetechniken eingesetzt werden.<br />

8 Schlussfolgerungen<br />

Es lässt sich festhalten, dass die Konzepte der Systemaufstellungen und der „Lösungsorientierten<br />

Beratung“ durchaus Anregungen und Ansatzpunkte für die methodische Gestaltung<br />

von Beratung in der <strong>Landwirtschaft</strong> bieten. Dazu müssen allerdings beide Konzepte<br />

in ihrer therapeutischen und damit direktiven Potenz erkannt werden:<br />

●<br />

●<br />

die „Lösungsorientierte Beratung“ gerät leicht durch die Fokussierung auf Lösungen<br />

und aufgrund ihrer Nähe zu Techniken der NLP in den Verdacht der Manipulation.<br />

die Systemaufstellungen sind durch die extreme Position hellingers und seiner Vorgehensweisen<br />

diskreditiert. Auch in der offeneren Position von sparrer und varga<br />

von kibéd bleibt es bei der dominanten Rolle der Aufstellungsleiter hinsichtlich der<br />

Lösungskonstellation sowie der Veränderungsimpulse. könig spricht daher von einem<br />

leiterzentrierten Verfahren, das der Charismatisierung des Leiters zuarbeitet (32,<br />

S. 150).<br />

Nimmt man die für das landwirtschaftliche Beratungsverständnis nicht zu tolerierenden<br />

dirigistischen Elemente weg, so verbleiben im Kern zwei methodische Elemente, die für<br />

den Einsatz auch im landwirtschaftlichen Beratungsfeld bedenkenswert sind:


Jenseits des Rubikon? Der mögliche Beitrag von Systemaufstellungen<br />

285<br />

● Die extreme Verfremdung und Verkürzung einer Situationsanalyse auf eine durch<br />

wenige fremde Personen darstellbare Szene und deren Verwendung zur Klärung von<br />

Situation und Lösungsansätzen. Dieses ließe sich aber auch aus der Methodik des<br />

Psychodrama nach moreno (37) ableiten.<br />

●<br />

Die Verwendung des gesprächstechnischen Instrumentariums der „lösungsorientierten<br />

Beratung“ zur Fokussierung auf die Umsetzung und Realisierung von Lösungen nach<br />

erfolgter Problemklärung und Zielsetzung.<br />

Wenn, wie in der landwirtschaftlichen Beratung, Menschen mit ihrem Arbeitsfeld in den<br />

Mittelpunkt gestellt werden, so ist es erforderlich, neben den naturwissenschaftlichen und<br />

ökonomischen Methoden zur Erfassung und Entwicklung des Arbeitsfeldes auch sozialwissenschaftliche<br />

und psychologische Methoden zur Beschreibung des Umgangs mit den<br />

Menschen immer neu zu betrachten. In beiden Feldern ist es erforderlich, von den Bedingungen<br />

in dem jeweiligen Anwendungsfeld auszugehen und die gefundenen neuen Methoden<br />

entsprechend anzupassen. Systemaufstellungen und „Lösungsorientierte Beratung“<br />

können neue Anregungen geben und das Handlungsmodell der landwirtschaftlichen Beratung<br />

erweitern. Den Rubikon zu <strong>über</strong>schreiten ist dabei Ziel jeder Beratungsbemühungen.<br />

Allerdings in zweierlei Hinsicht: Vom Wünschen zum Wollen zu gelangen bedeutet für<br />

den Landwirt, eine klare Zielvorstellung zu entwickeln und somit auch eine Vorstellung,<br />

welche Unterstützung er vom Berater erwartet. Auch für den Berater gibt es einen solchen<br />

Rubikon. Dieser liegt auf der Ebene seiner methodischen Arbeit: Es gilt von der Wünschbarkeit,<br />

den Ratsuchenden zu helfen, zu der Machbarkeit eines „Beratens“ zu gelangen.<br />

Jedes neue Konzept muss also zunächst von den Beratern kennen gelernt und verarbeit<br />

werden, bevor diese gemeinsam mit den Ratsuchenden an der Zukunft arbeiten können.<br />

Zusammenfassung<br />

<strong>Landwirtschaft</strong>liche Beratung wurde bisher durch Anstöße aus anderen Disziplinen bereichert. Anregungen<br />

aus den therapeutischen Ansätzen der „Lösungsorientierten Beratung“ und der Systemaufstellung,<br />

auch bekannt als Familien- oder Organisationsaufstellung, werden auf ihren möglichen<br />

Beitrag zur Weiterentwicklung der landwirtschaftlichen Beratung diskutiert. Diese basiert auf dem<br />

Konzept der problemorientierten Beratung: der Berater verantwortet die methodische Angemessenheit<br />

und die fachliche Richtigkeit und Vollständigkeit, der Ratsuchende die ehrliche Einbringung<br />

seiner Situation sowie die daraus folgenden Entscheidungen und Handlungen.<br />

Diesem Verständnis werden die „Lösungsorientierte Beratung“ und die Systemaufstellung gegen<strong>über</strong>gestellt.<br />

Anhand einer empirischen Untersuchung kann die Wirksamkeit des Ansatzes Systemaufstellung<br />

festgestellt werden. Die Grundhaltung eines Therapeuten bei der Anwendung „Lösungsorientierter<br />

Beratung“ und Systemaufstellung unterscheidet sich jedoch von der eines Beraters<br />

in der <strong>Landwirtschaft</strong>. Deshalb muss beachtet werden, dass die therapeutischen Ansätze selbst nicht<br />

Bestandteil von landwirtschaftlicher Beratung sein können. Für die landwirtschaftliche Beratung<br />

lassen sich dennoch zwei bedenkenswerte Elemente identifizieren.<br />

Zur Klärung einer Situation und von Lösungsansätzen kann die extreme Verfremdung und Verkürzung<br />

durch eine darstellbare Szene mit wenigen fremden Personen bei der Situationsanalyse in<br />

der landwirtschaftlichen Beratung Verwendung finden. Das gesprächstechnische Instrumentarium<br />

der „lösungsorientierten Beratung“ aus der Therapie kann in einem späteren Beratungsschritt zur<br />

Fokussierung auf die Umsetzung und Realisierung von Lösungen nach erfolgter Problemklärung<br />

und Zielsetzung eingesetzt werden.<br />

Summary<br />

Beyond Rubicon? – the potential contribution of systemic constellations and solution<br />

orientation to extension work in agriculture<br />

Agricultural extension has in the past been enriched by various impulses from other disciplines.<br />

This paper discusses concepts originating from the therapeutic background of the “solution-oriented<br />

extension” and the systemic constellation, also known as family- or organisational constellation, for<br />

their potential contribution to a further development of agricultural extension. The latter is based on<br />

the concept of problem-oriented extension: the extension worker is responsible for methodological


286 Herman Boland und Thorsten Michaelis<br />

approaches as well as for technical correctness and completeness whereas the client seeking advice<br />

is responsible for the honest description of the situation as well as for the follow-up decisions and<br />

actions.<br />

In contrast to this conventional extension approach, the “solution-oriented extension” as well as<br />

the systemic constellation are presented. Empirical data provide information about the effectiveness<br />

of systemic constellations. However, the tenor of a therapist in “solution oriented extension” and<br />

systemic constellation is different from the tenor of a conventional agricultural extension worker.<br />

Hence, one has to note that these therapeutic approaches by themselves cannot form part of agricultural<br />

extension. Yet, two elements can be identified as possibly relevant for agricultural extension.<br />

In order to clarify the situation as well as the solution concepts, the extreme alienation and reduction<br />

of the depictable scene with only a few strangers can prove useful in agricultural extension in<br />

the phase of the situation analysis. The communicative instruments stemming from the “solutionoriented<br />

extension” could be used in a later extension phase for focusing on the implementation and<br />

realisation of solutions after the problem has been identified and the targets have been set.<br />

Résumé<br />

Franchir le Rubicon? La contribution possible de la constellation systémique et de<br />

l´orientation solutions à la vulgarisation agricole<br />

Le domaine de la vulgarisation agricole s’est peu à peu enrichi grâce aux diverses impulsions en<br />

provenance d’autres disciplines. En particulier, certaines suggestions relatives aux approches thérapeutiques<br />

de la psychologie centrées sur la solution c´est-à-dire suivant la voie de « l´orientation<br />

solutions » et l´application de la constellation systémique, aussi établie sous le nom de constellation<br />

systémique de la famille ou de l´organisation. La discussion porte ici sur la contribution que ces<br />

techniques peuvent apporter au développement de la vulgarisation agricole. Cette dernière repose<br />

actuellement sur le concept du conseil centré sur la résolution du problème posé. Cela implique que<br />

le conseiller assure la justesse de la méthode employée, la pertinence professionnelle et l´intégrité. La<br />

personne à la recherche d’un conseil se doit, pour sa part, d’apporter une contribution sincère quand<br />

à l’exposition de sa situation ainsi que les décisions et les actions qui en découlent.<br />

C´est à ce concept de travail que le conseil « orienté solutions » et l’application de la constellation<br />

systémique font contraste. Une analyse empirique permet de déterminer l’efficacité de l’utilisation de<br />

la constellation systémique. Cependant, il est important de noter que lors de l’application du conseil<br />

« orienté solutions » et de la constellation systémique, l’attitude du thérapeute est fondamentalement<br />

différente de celle du conseiller agricole. Pour cette raison, l’approche thérapeutique elle-même ne<br />

peut pas devenir partie intégrante de la vulgarisation agricole. Deux éléments intéressants peuvent<br />

être néanmoins retenus car ils offrent des possibilités d´application au domaine de la vulgarisation<br />

agricole.<br />

Dans le but de clarifier une situation donnée et les solutions à envisager, une distanciation extrême<br />

et un abrègement de la scène présentable peuvent être envisagés pour servir l’analyse de la situation<br />

dans le cadre de la consultation agricole grâce à un travail réalisé avec un groupe réduit de personnes<br />

ne se connaissant pas. Les instruments de communication du conseil « orienté solutions » de la thérapie<br />

peuvent être utilisés lors d’une étape avancée de la consultation agricole afin de se concentrer<br />

sur la mise en œuvre et la réalisation des solutions après une clarification réussie du problème et de<br />

l’objectif poursuivi.<br />

Literatur<br />

1. aereboe, F., 1920: Allgemeine <strong>Landwirtschaft</strong>liche Betriebslehre. 5. Aufl., Berlin, Parey.<br />

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3. –, 1969: Innovationsprozesse in der <strong>Landwirtschaft</strong>. Eine kritische Analyse der agrarsozialen „adoption“<br />

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Paderborn.<br />

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Jenseits des Rubikon? Der mögliche Beitrag von Systemaufstellungen<br />

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als innovatives Beratungsinstrument im ökologischen Landbau. Witzenhausen (http://orgprints.<br />

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288 Herman Boland und Thorsten Michaelis<br />

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Stellungnahme der DGSF zum Thema „Familienaufstellungen“. In: DGSv-aktuell – Informationsdienst<br />

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2. Aufl. Heidelberg.<br />

56. Wesseler, m.; Fink-kessler, a., 2003: Systemaufstellungen als innovatives Beratungsinstrument im<br />

ökologischen Landbau. Witzenhausen (http://orgprints.org/1936/).<br />

Dank<br />

Die Wirkungsanalyse zu Systemaufstellungen ist ein Teilergebnis des Projekts „Systemaufstellungen<br />

als innovatives Beratungsinstrument im ökologischen Landbau“ (02OE602), das durch das Bundesministerium<br />

für Verbraucherschutz, Ernährung und <strong>Landwirtschaft</strong> im Rahmen des Bundesprogramms<br />

Ökologischer Landbau gefördert wurde. Wir danken in diesem Zusammenhang Herrn Dr.<br />

Wesseler, Frau Dr. Fink-kessler, Frau göbel und allen Projektbeteiligten für die konstruktive<br />

Zusammenarbeit. Für ergänzende Vorschläge danken wir einem Gutachter des Manuskripts.<br />

Autorenanschrift: Prof. Dr. hermann boland und Dipl.-Ing. agr. thorsten michaelis, Professur<br />

für Kommunikations- und Beratungslehre, Institut für Agrarsoziologie und<br />

Beratungswesen der Justus-Liebig-Universität Gießen, Senckenbergstraße 3,<br />

35390 Gießen, Deutschland<br />

hermann.boland@agrar.uni-giessen.de, mail@t-michaelis.de


Unternehmen im Agrarbereich vor<br />

neuen Herausforderungen<br />

– Bericht <strong>über</strong> die 45. Jahrestagung der Gesellschaft für Wirtschafts- und<br />

Sozialwissenschaften des Landbaues e. V. (GEWISOLA) 2005 in Göttingen –<br />

Von enno bahrs, stephan von cramon-taUbadel, achim spiller, lUdWig theUvsen,<br />

bernhard voget, Göttingen und ManFred zeller, Stuttgart<br />

1 Einleitung<br />

U.S. Copyright Clearance Center Code Statement: 0005-9080/06/8402-289 $ 2.50/0<br />

289<br />

Zum Thema ‚Unternehmen im Agrarbereich vor neuen Herausforderungen’ fand die<br />

45. Jahrestagung der Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften des Landbaues<br />

vom 5. Oktober bis zum 7. Oktober 2005 in Göttingen statt.<br />

Steigende Ansprüche der Bevölkerung an Lebensmittelsicherheit und -qualität finden<br />

ihren Niederschlag in zunehmenden Anforderungen, die der Gesetzgeber an Produzenten<br />

und Verarbeiter landwirtschaftlicher Erzeugnisse stellt. Gleichzeitig haben sich verändernde<br />

agrarpolitische Rahmenbedingungen im europäischen und globalen Kontext Auswirkungen<br />

auf die Gestaltungsmöglichkeiten des Unternehmers vor Ort. Im Mittelpunkt<br />

der drei Plenarveranstaltungen und 15 Arbeitsgruppensitzungen stand die Frage nach Strategien,<br />

mit denen Unternehmen des Agrarsektors auf jene Herausforderungen reagieren, die<br />

aus vielgestaltigem Anpassungsdruck einerseits und durch Globalisierungsprozesse sich<br />

erweiternden Möglichkeiten wirtschaftlicher Betätigung andererseits entstehen. Vor dem<br />

Hintergrund der skizzierten Einflussgrößen setzten sich die Teilnehmer der Jahrestagung<br />

anhand von vier Vorträgen, 45 Referaten und einer abschließenden Podiumsdiskussion mit<br />

verschiedenen Aspekten auseinander, die alle Gegenstand der aktuellen agrarökonomischen<br />

Forschung sind. Zusätzlich wurden zwei Best Paper und 13 Poster präsentiert, deren Autoren<br />

sich ebenfalls mit Chancen und Risiken unternehmerischen Agierens in der Land-<br />

und Ernährungswirtschaft sowie der Bewertung von agrarpolitischen Maßnahmen befasst<br />

haben.<br />

Nachfolgend wird ein zusammenfassender Überblick <strong>über</strong> die gehaltenen Vorträge und<br />

Referate gegeben, die sich den Schwerpunktbereichen<br />

● Aktuelle Entwicklungen im Agrarsektor,<br />

● Markt und Politik,<br />

● Produzenten und Konsumenten in Agrarsektor und Gesellschaft,<br />

● Unternehmen in einem dynamischen Umfeld sowie<br />

●<br />

Finanzierung der EU-Agrarpolitik<br />

zuordnen lassen.<br />

2 Aktuelle Entwicklungen im Agrarsektor<br />

In der einführenden Plenarveranstaltung geht thalheim darauf ein, wie die Reform der<br />

Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der Europäischen Union (EU) umgesetzt werde und<br />

wie der gegenwärtige Stand der Implementierung sei. Er führt aus, dass die Beschlüsse zur<br />

Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik 2003 nicht zuletzt eine Reaktion auf die sich stetig


290 E. Bahrs, S. von Cramon-Taubadel, A. Spiller, L. Theuvsen, B. Voget und M. Zeller<br />

ändernden Rahmenbedingungen sind, die auf die <strong>Landwirtschaft</strong> in der EU einwirken.<br />

Als zentrale Elemente der Reform nennt er die Entkopplung der Direktzahlungen von der<br />

Produktion im Zusammenspiel mit Cross-Compliance und Modulation. Entsprechend den<br />

unterschiedlichen Optionen im EG-Recht unterscheiden sich die Entkopplungsmodelle in<br />

den EU-Mitgliedstaaten hinsichtlich des Zeitpunkts der Entkopplung, der Wahl des Entkopplungsmodells<br />

und der Nutzung der Möglichkeiten der Beibehaltung einer teilweisen<br />

Kopplung einzelner Direktzahlungen. Bei der Konzeption des deutschen Entkopplungsmodells<br />

standen Marktorientierung zur Gewährleistung höherer Entscheidungsfreiheit<br />

der Landwirte, die ausgewogene Verteilung der Direktzahlungen zwischen Regionen,<br />

Betriebsformen und Produktionssystemen, eine Begrenzung des Verwaltungsaufwands<br />

sowie die Sicherung der gesellschaftlichen Akzeptanz der Zahlungen als Zielsetzungen<br />

im Vordergrund. Das deutsche Entkopplungsmodell, auf das sich Bund und Länder verständigt<br />

haben, ist ein dynamisches Kombinationsmodell. Die Ermittlung des Werts der<br />

Zahlungsansprüche erfolgt in einem einmaligen, aufwändigen Verwaltungsverfahren im<br />

ersten Jahr der Anwendung der Betriebsprämienregelung.<br />

Weiterhin geht thalheim auf die Verhandlungen <strong>über</strong> eine Reform des Zuckermarktes<br />

ein. Mit den Beschlüssen von Bund und Ländern zur Umsetzung der GAP-Reform 2003<br />

ist die Entscheidung, wie der Rübenausgleich in Deutschland verteilt wird, im Grundsatz<br />

schon gefallen. Ab 2013 gilt das reine Regionalmodell, also regional einheitliche Hektarprämienrechte.<br />

Spätestens zu diesem Zeitpunkt wird der Rübenausgleich vollständig<br />

in den regional einheitlichen Hektarprämienrechten aufgegangen sein. thalheim kommt<br />

zu dem Schluss, dass die Agrarreform zu einer gewissen Abkehr vom Grundsatz der GAP<br />

geführt hat, da das EG-Recht den Mitgliedstaaten bei der Entkopplung der Direktzahlungen<br />

zahlreiche Handlungsoptionen eröffnet hat: Es gibt Mitgliedstaaten, in denen die<br />

Landwirte völlig frei in ihrer Anbauentscheidung sind. Diese Länder haben vollständig<br />

entkoppelt. In anderen Mitgliedstaaten hingegen ist ein Teil der Direktzahlungen nach<br />

wie vor an die Produktion gebunden, da sie von den im EG-Recht vorgesehenen Kopplungsoptionen<br />

Gebrauch gemacht haben. In den Mitgliedstaaten, die gekoppelte Direktzahlungen<br />

beibehalten haben, wird <strong>über</strong> kurz oder lang eine Diskussion <strong>über</strong> Sinn und<br />

Zweck gekoppelter Zahlungen in Gang kommen. Aus diesem Grund ist nach Auffassung<br />

von thalheim mittel- bis langfristig mit einem Trend zur vollständigen Entkopplung zu<br />

rechnen. In Mitgliedstaaten mit Betriebsmodell und damit mit historisch begründeten,<br />

unterschiedlich hohen Zahlungsansprüchen der Betriebsinhaber wird die Diskussion <strong>über</strong><br />

die Berechtigung solcher Ungleichheiten spätestens in einigen Jahren voll entbrennen.<br />

Forderungen nach einer Vereinheitlichung werden daher die logische Konsequenz sein. Im<br />

deutschen dynamischen Kombinationsmodell sei dieser Weg bereits festgelegt, weshalb<br />

dem Regionalmodell die Zukunft gehören werde.<br />

schmidhUber befasst sich in seinem Vortrag mit der „Nutrition Transition“. Ein besonderes<br />

Augenmerk legte er dabei auf Prognosen der menschlichen Ernährungsgewohnheiten<br />

in Entwicklungsländern und den daraus abzuleitenden Implikationen für Handel<br />

und Gesellschaft.<br />

In den vergangenen Jahren sind weltweit ein beachtlicher mengenmäßiger Anstieg<br />

im Lebensmittelkonsum, Veränderungen der Verbrauchergewohnheiten und Umbrüche<br />

im gesamten Lebensmittelsystem aufgetreten. Diese Umwälzungen, die zunächst auf<br />

die industrialisierte Welt beschränkt gewesen sind, werden nun mit einer noch größeren<br />

Geschwindigkeit von vielen der so genannten advanced economies der sich entwickelnden<br />

Welt durchlebt. Die zurückliegenden Umstellungen von Ernährungsgewohnheiten<br />

und des Lebensstils sind bereits gut dokumentiert. Basierend auf dem weltweiten<br />

„Outlook“ der Food and Agriculture Organization (FAO) der vereinten Nationen (VN)<br />

umreißt schmidthUber die möglichen Veränderungen der Ernährungsgewohnheiten in<br />

der Zukunft sowie den globalen Verlauf der zu erwartenden Umbrüche in Verbindung


Unternehmen im Agrarbereich vor neuen Herausforderungen<br />

291<br />

mit Nahrungsmitteln <strong>über</strong> die nächsten 30 Jahre. Es präsentiert die Hauptantriebskräfte<br />

der Ernährungsveränderung und betrachtet deren Einfluss auf die voraussichtliche Anpassung<br />

von Konsummustern. Die Umstellung der Ernährungsgewohnheiten analysiert<br />

schmidthUber auf eine Reihe von spezifischen Ausprägungen, inklusive solcher in Entwicklungsländern.<br />

Er illustriert, wie die derzeitige Belastung durch Unterernährung und<br />

falsche Ernährung in Entwicklungsländern sehr wahrscheinlich die adversen Effekte der<br />

„Nutrition Transition“ verstärkt. Insbesondere gilt das für die steigende Verbreitung von<br />

Fettsucht und nicht ansteckenden Krankheiten (Non-Communicable Diseases, NCDs).<br />

Er zeigt ferner, wie und wo die derzeitigen Probleme von Unterernährung eine zukünftig<br />

wachsende gesellschaftliche Belastung durch Übergewicht, Fettleibigkeit und NCDs<br />

hervorrufen könnten. Schließlich folgert schmidthUber, dass sowohl Unterernährung als<br />

auch zu nährstoffreiche Ernährung (overnutrition) wahrscheinlich für eine längere Zeit<br />

nebeneinander in der Mehrzahl der Entwicklungsländer existieren werden und so für eine<br />

weit verbreitete doppelte Belastung durch Fehlernährung sorgen. schmidthUber stellt in<br />

seinem Vortrag auch erste Forschungsergebnisse zum Thema „<strong>Landwirtschaft</strong> und Energiemärkte“<br />

vor. Im Vordergrund stehen hierbei die Wechselwirkungen zwischen Energiemärkten<br />

und Märkten für Agrarprodukte wie beispielsweise Zucker und pflanzliche Öle<br />

sowie mögliche Auswirkungen auf sektorale Austauschverhältnisse in der <strong>Landwirtschaft</strong>,<br />

Ernährungssicherheit und Armut weltweit.<br />

hendrikse trägt zum Thema Restrukturierung landwirtschaftlicher Genossenschaften<br />

im globalen Wettbewerb vor. Er betrachtet verschiedenen Einflussfaktoren auf die interne<br />

und externe Organisationsstruktur von Genossenschaften, die durch Veränderungen der<br />

Agrarmärkte bedingt werden.<br />

Eine Produzentengenossenschaft ist ein Zusammenschluss vieler unabhängiger Erzeuger<br />

(horizontale Beziehung), die gemeinschaftlich einen verarbeitenden bzw. handelnden<br />

Betrieb des nachgelagerten Bereichs besitzen (vertikale Beziehung). Die Entscheidungsstrukturen,<br />

die sich aus dem kollektiven Eigentümerstatus ergeben, führen zu charakteristischen<br />

Unterscheidungsmerkmalen, die genossenschaftlich organisierte Unternehmen<br />

klar von börsennotierten Unternehmen abgrenzen. hendrikse nennt die Orientierung zur<br />

spezifischen Befriedigung der Bedürfnisse der eigenen Mitglieder, demokratische Zielsetzungs-<br />

und Entscheidungsfindungsmethoden, typische Regeln, um mit Einlagen und<br />

Gewinn zu operieren sowie das Interesse der Allgemeinheit berücksichtigende Zielvorgaben.<br />

Vor allem dient eine Genossenschaft dem Interesse ihrer Mitglieder. Bezüglich<br />

der Geschäftstätigkeit ist sie nicht allein auf den Return on Investment (ROI) fokussiert,<br />

denn die einzelnen Mitglieder zielen vielmehr darauf ab, den ROI ihres eigenen privaten<br />

landwirtschaftlichen Unternehmens zu maximieren.<br />

Kollektiver Besitz bedarf spezifischer kollektiver Entscheidungsregeln, die heute im<br />

Allgemeinen durch demokratische Abläufe gekennzeichnet sind. Eine Stimmengewichtung<br />

nach Einlagevolumina kann vor diesem Hintergrund zu ineffizienten kollektiven Entscheidungen<br />

führen, da sie nicht die aggregierten Erlöse aller Mitglieder maximieren.<br />

Der Trend zu Differenzierung und Innovation in den Märkten für Land- und Gartenbau<br />

bedingt eine wachsende Heterogenität der landwirtschaftlichen Produzenten. Dies bedeutet<br />

eine Herausforderung für die traditionellen Erzeugergemeinschaften, wie beispielsweise<br />

Genossenschaften, da verschiedenen Aspekte ihrer Entscheidungsfindungsmechanismen<br />

ursprünglich auf eine homogene Mitgliederstruktur zugeschnitten worden sind.<br />

Zunehmende Heterogenität innerhalb der Genossenschaftsmitglieder scheint nach Ansicht<br />

von hendrikse die Effizienz und damit auch die Stabilität von Genossenschaften zu gefährden,<br />

da sie Spannungen zwischen den innovativen und weniger innovativen einzelnen<br />

Mitgliedsbetrieben hervorruft. Nachhaltige und wettbewerbsfähige <strong>Landwirtschaft</strong> hängt<br />

demnach heute zu einem Großteil von der Fähigkeit des Genossenschaftssektors ab, sich<br />

an Herausforderungen des Marktes anzupassen. Dazu bedarf es sowohl Umgestaltungen in


292 E. Bahrs, S. von Cramon-Taubadel, A. Spiller, L. Theuvsen, B. Voget und M. Zeller<br />

der Organisation als auch der Funktionsweise von Genossenschaften. Von entscheidender<br />

Bedeutung ist hierbei die Reform der Entscheidungsfindungsmechanismen.<br />

schUlte stellt anschließend aus Sicht eines Vertreters der Unternehmenspraxis die Perspektiven<br />

des Wettbewerbs in der Molkereiwirtschaft heraus. Seiner Auffassung nach bestimmen<br />

augenblicklich im Wesentlichen vier Faktoren den Wettbewerb in der Milchwirtschaft;<br />

dies sind (a) Politikveränderungen, insbesondere GAP-Reform, EU-Erweiterung<br />

und WTO-Handelsreform, (b) ein verändertes Verbraucherverhalten, charakterisiert durch<br />

erhöhte Preissensibilität, Trend zum Out of home- und Convenience-Konsum, steigende<br />

Anforderungen an die Lebensmittelsicherheit sowie Gesundheits- und Fitnesstrend, (c)<br />

der Lebensmitteleinzelhandel (LEH) in Deutschland und Europa, gekennzeichnet durch<br />

Internationalisierung und Konsolidierung sowie einen stark ansteigenden Discount- und<br />

Handelsmarkenanteil, und (d) ein wachsender Wettbewerbsdruck aufgrund starker Vorlieferanten<br />

und Konkurrenten, hoher Überkapazitäten sowie gesättigter Märkte. Auf einige<br />

dieser Entwicklungstrends geht schUlte näher ein. Im deutschen LEH ist in den<br />

vergangenen Jahren vor allem der Hard Discount rasant gewachsen. Bei Milchprodukten<br />

haben die Discounter im Jahr 2004 bereits rund 53 % des Umsatzes in der Weißen Linie<br />

und mehr als 64 % des Umsatzes in der Gelben Linie auf sich vereint. Für das restliche<br />

Europa wird für die kommenden fünf bis zehn Jahre ebenfalls ein starkes Vordringen<br />

des Hard Discounts erwartet. Angetrieben wird diese Entwicklung durch die europaweite<br />

Expansion deutscher Discounter. Für die an Niedrigpreisstrategien des LEH gewöhnte<br />

deutsche Milchindustrie ergeben sich aus dem Expansionsdrang der Discounter attraktive<br />

Marktchancen bei exportfähigen Produkten.<br />

Der europäische Milchmarkt ist durch einen hohen strukturellen Milch<strong>über</strong>schuss geprägt.<br />

Die Situation wird einerseits durch den verstärkten Marktzugang aus Drittländern<br />

verschärft, andererseits stehen auf den in hohem Maße gesättigten Märkten Mitteleuropas<br />

potenziellen neuen Wettbewerbern hohe Eintrittsbarrieren entgegen. Marktchancen werden<br />

vor allem in Osteuropa und den GUS-Staaten gesehen. Große europäische Molkereien<br />

sind bereits mit Direktinvestitionen in wichtigen Zielmärkten vertreten. Der deutsche<br />

Milchmarkt ist derzeit noch durch viele, <strong>über</strong>wiegend mittelgroße Unternehmen, hohe<br />

Überkapazitäten in einigen Produktsegmenten, eine unzureichende Ausstattung namentlich<br />

des genossenschaftlichen Sektors mit Eigenkapital, hohe Marktaustrittsbarrieren sowie<br />

eine wachsende Bedrohung durch europäische Wettbewerber geprägt.<br />

Das Wettbewerbsumfeld ist in den letzten Jahren durch das starke internationale<br />

Wachstum bedeutender europäischer Molkereien gekennzeichnet gewesen, während<br />

deutsche Genossenschaften im Bereich der Internationalisierung des Geschäfts noch weit<br />

zurückstehen. Perspektivisch sollen jedoch die Präsenz in Wachstumsmärkten ausgebaut<br />

sowie die Innovationsorientierung und die Fokussierung auf die langfristige Unternehmensentwicklung<br />

gestärkt werden. Davon sollen auch die Milcherzeuger profitieren. Die<br />

Nordmilch als Deutschlands größte Molkerei ist davon <strong>über</strong>zeugt, so schUlte abschließend,<br />

dass in zukünftig liberalisierten Märkten eine intensive Integration der verschiedenen<br />

Partner einer Wertschöpfungskette im Rahmen einer ausgeprägten Supply Chain<br />

Management Relationship ein wesentlicher Erfolgsfaktor sein wird.<br />

3 Markt und Politik<br />

3.1 Marktstruktur und Marktmacht<br />

gerlach, spiller und Wocken befassen sich mit der Untersuchung von Einflussfaktoren<br />

auf die Geschäftsbeziehung zwischen Milcherzeugern und Molkereien. Da sich innerhalb<br />

der EU derzeit viele Landwirte in neuen Vermarktungskooperationen gegen eine


Unternehmen im Agrarbereich vor neuen Herausforderungen<br />

293<br />

durch hohe Relevanz genossenschaftlicher Verarbeitungsunternehmen charakterisierte<br />

Abnehmerseite organisieren, um ihren eigenen Wertschöpfungsanteil zu erhöhen, werden<br />

traditionell langfristige Bindungen an den Milchabnehmer offenbar lockerer. Der<br />

Milchauszahlungspreis tritt immer mehr in den Vordergrund, sodass sich bei Verfestigung<br />

dieser Tendenz der Milchmarkt in Richtung Spot-Markt entwickeln könnte. Vor diesem<br />

Hintergrund zielt die Arbeit darauf ab, aus Sicht der Molkereien Ansatzpunkte für eine<br />

Verbesserung der Geschäftsbeziehung zu ihren Milchlieferanten zu entwickeln. Zu diesem<br />

Zweck konstruieren die Autoren ein Regressionsmodell zur Erklärung der Geschäftsbeziehungsqualität<br />

und <strong>über</strong>prüfen empirisch seine Aussagekraft mittels einer Befragung<br />

von 209 Milchlandwirten. In theoretischer Hinsicht leisten sie damit einen Beitrag zur<br />

Messung von Marktprozessen in hybriden vertikalen Marktstrukturen und zum Supply<br />

Chain Management. Im Ergebnis sind ein systematisches Management der Lieferantenbeziehungen<br />

(Supplier Relationship Management) und eine regelmäßige Analyse der<br />

Geschäftsbeziehungsqualität zumindest für diejenigen Molkereien wichtig, die nicht auf<br />

Spotmärkten agieren wollen.<br />

In ihrem Beitrag zeigt von schlippenbach anhand industrieökonomischer und verhandlungstheoretischer<br />

Überlegungen Gründe für Untereinstandspreisverkäufe, ihre<br />

Konsequenzen für den horizontalen Wettbewerb sowie ihre Auswirkungen entlang der<br />

Wertschöpfungskette auf, um zu einer wettbewerbspolitischen Einschätzung von Untereinstandspreisverkäufen<br />

im LEH unter besonderer Berücksichtigung vertikaler Implikationen<br />

zu gelangen. Im Mittelpunkt der Ausführungen steht die Darstellung von Untereinstandspreisverkäufen<br />

als einzelwirtschaftlich rationale Strategie, die sich aus der<br />

optimalen Preissetzung eines Mehrprodukt-Monopolisten ergibt sowie der Überwindung<br />

der Marktversagensproblematik durch hold-up dient. Die Autorin kommt zu dem Schluss,<br />

dass eine pauschale Verurteilung von Untereinstandspreisverkäufen als Element des Verdrängungswettbewerbs<br />

sowie als Möglichkeit zur Erhöhung des Preisdrucks durch den<br />

Einzelhandel nicht angezeigt ist. Weiterhin wird gezeigt, dass mittels Untereinstandspreisverkäufen<br />

die Marktversagensproblematik durch hold-up sowie allokative Ineffizienz und<br />

zusätzlich aufgewendete Werbekosten, die sich wohlfahrtsmindernd auswirken, <strong>über</strong>wunden<br />

werden können. Eine grundsätzliche Untersagung von Untereinstandspreisverkäufen<br />

sollte daher sowie im Hinblick auf die <strong>über</strong>ragende Bedeutung der Preisbildungsfreiheit<br />

unterbleiben.<br />

anders analysiert die Ausübung von Marktmacht durch den LEH auf regionalen<br />

Faktor- und Produktmärkten am Beispiel der Märkte für Rind- und Schweinefleisch in<br />

Deutschland. Dazu bedient er sich eines theoretischen Rahmens, der gleichzeitig die Oligopol-<br />

und Oligopson-Gleichgewichte des Einzelhandels parametrisiert. Besonders die<br />

im LEH gemessenen Koeffizienten für die mutmaßliche Variation zwischen dem Ankauf<br />

von Fleisch und dessen Weiterverkauf an die Konsumenten deuten auf signifikante Abweichungen<br />

vom perfekten Wettbewerb hin. Das Niveau der Ausübung von regionaler<br />

Marktmacht des LEH ist allerdings begrenzt und zeigt keine Charakteristika eindeutig<br />

monopolistischen oder eindeutig monopsonistischen Verhaltens.<br />

3.2 Marktwirtschaftliche Auswirkungen von Agrar- und Handelspolitik<br />

chemnitz und grethe befassen sich mit dem empirischen Nachweis der Existenz einer<br />

Rente (24 bis 36,5 Millionen €/Jahr) im Rahmen der EU-Präferenzregelung für den Import<br />

marokkanischer Tomaten und der Aufteilung dieser Rente zwischen den verschiedenen<br />

Akteuren des Vermarktungsweges. Aufgrund der Struktur des marokkanischen Tomatenexportsektors<br />

und des von der EU angewendeten komplexen Systems von Präferenzregelungen<br />

für die Importlizenzvergabe ist es wahrscheinlich, dass ein Großteil der Rente<br />

der marokkanischen Seite zufällt. Eine Dissipation der Rente in Form von physischem


294 E. Bahrs, S. von Cramon-Taubadel, A. Spiller, L. Theuvsen, B. Voget und M. Zeller<br />

rent-seeking tritt kaum auf. Die zukünftige Entwicklung der Kontingentsrente wird ausschlaggebend<br />

von dem weiteren Verlauf der Verhandlungen der World Trade Organisation<br />

(WTO) abhängen. Während Marokko zwar bei einer Absenkung des EU-Preisniveaus auf<br />

der einen Seite seine Kontingentsrente verlieren würde, könnte es auf der anderen Seite<br />

seine Exportmenge ausdehnen. Allerdings könnte die zukünftige Entwicklung der marrokanischen<br />

Wasserpreispolitik, sofern diese dann die tatsächlichen sozialen Kosten des<br />

Wasserangebotes widerspiegelt, zu einem signifikanten Rückgang der derzeitigen Kontingentsrente<br />

führen und im Falle einer weiteren Handelsliberalisierung die Möglichkeit<br />

Marokkos begrenzen, auf die erhöhte Nachfrage zu reagieren.<br />

In ihrem Beitrag analysieren brümmer und zorya die strukturellen Veränderungen<br />

in der Preisbeziehung zwischen Weizen und Weizenmehl in der Ukraine von Juni 2000<br />

bis November 2004 mit Hilfe eines Markov-Switching Vektorfehlerkorrekturmodells<br />

(MSVFKM). Die Autoren gehen davon aus, dass im Transformationsprozess von einem<br />

plan- zu einem marktwirtschaftlichen System häufige Veränderungen in den Rahmenbedingungen<br />

des Marktaustauschs die Transmission zwischen den Preisen für landwirtschaftliche<br />

Erzeugnisse und verarbeitete Produkte beeinflussen. Diese Strukturbrüche,<br />

beispielsweise höhere Volatilität durch Freigabe zuvor administrativ festgelegter Preise,<br />

wodurch konsekutive Politikeingriffe auf den Märkten hervorgerufen werden, komplizieren<br />

die empirische Analyse von vertikaler Marktintegration. Wenn die Märkte vertikal integriert<br />

sind, so sollten die Preise eine Langfristbeziehung aufweisen. Die Preisänderungen<br />

auf einem der Märkte sind dann von der Kurzfristdynamik und von der Abweichung vom<br />

langfristigen Gleichgewicht abhängig. Der dieser Struktur zu Grunde liegende datengenerierende<br />

Prozess lässt sich ökonometrisch in der Form des Vektorfehlerkorrekturmodells<br />

abbilden. Allerdings deuten die oben beschriebenen vielfältigen Politikeingriffe und<br />

Umkehrungen in der Nettohandelsposition auf das Vorhandensein von Strukturbrüchen<br />

hin, sodass die Standardversion des Vektorfehlerkorrekturmodells aufgrund mangelnder<br />

struktureller Stabilität keine kongruente Abbildung darstellen dürfte. Daher bietet sich<br />

ein MSVFKM als erweitertes Modell an, in dem einige der Parameter je nach Zustand<br />

des Systems verschiedene Werte annehmen können. Als Ergebnis der Analyse lassen sich<br />

vier Regimes unterscheiden, deren zeitliche Verteilung eine enge Übereinstimmung mit<br />

bestimmen politischen und wirtschaftlichen Ereignissen in der Ukraine aufweist. Insbesondere<br />

fällt die zeitliche Konkordanz zwischen dem durch hohe Unsicherheit geprägtem<br />

Regime und diskretionären Politikeingriffen in 2003 auf.<br />

grethe und Weber gehen der Frage nach, weshalb isoelastische im Vergleich zu aus<br />

flexiblen Funktionsformen (FFF) abgeleiteten Verhaltenssystemen so verbreitet sind. Sie<br />

vergleichen dazu isoelastische Angebotssysteme mit aus einer spezifischen FFF, der Symmetric<br />

Generalized McFadden (SGMF)-Gewinnfunktion, abgeleiteten Angebotssystemen<br />

im Rahmen des partiellen Central and Eastern European Countries Agricultural Simulation<br />

Model (CEEC-ASIM). Die in angewandten Simulationsmodellen weit verbreiteten<br />

isoelastischen Angebots- und Nachfragesysteme haben den Nachteil, dass sie nur sehr<br />

eingeschränkt auf globale Konsistenz mit bestimmten sich aus der ökonomischen Theorie<br />

ergebenden Bedingungen zu restringieren sind. Um bei einem Vergleich beider Spezifikationen<br />

Unterschiede in der Angebotsreaktion auf die Funktionsform zurückführen zu können,<br />

wurden diese in der Modellbasis auf identische Elastizitäten kalibriert. Die Vergleiche<br />

der Angebotsreaktion von isoelastischen und aus einer SGMF abgeleiteten Modellspezifikationen<br />

zeigen dann, dass die Abweichungen in einem üblichen Simulationsbereich einer<br />

Preisvariation von +/- 50 % der Modellbasis gering sind.<br />

banse und grethe versuchen, die Effekte einer verminderten Subsistenzproduktion für<br />

Milch in den Mittel- und Osteuropäischen Ländern (MOEL) in einem landwirtschaftlichen<br />

Sektormodell darzustellen. Es wird projiziert, dass die Nettoexporte von Molkereiprodukten<br />

Bulgariens, Rumäniens und Polens im Falle eines EU-Beitritts niedriger sind als


Unternehmen im Agrarbereich vor neuen Herausforderungen<br />

295<br />

ohne einen Beitritt, obwohl höhere Preise für handelbare Milchprodukte einen Anreiz für<br />

höhere Milchproduktion liefern. Diese wird jedoch aufgrund der Einführung von Milchquoten<br />

beschränkt. Die Quotierung der Milchproduktion in einer Situation zunehmender<br />

Marktnachfrage infolge sinkender Subsistenzwirtschaft führt zu einem deutlichen Preisanstieg<br />

für nicht-handelbare Milchprodukte. Somit erscheint die Annahme, dass Rohmilch<br />

ein nicht-handelbares Gut ist, zumindest ab einem deutlichen Preisgefälle zwischen einzelnen<br />

Mitgliedstaaten zweifelhaft. Je stärker der Rückgang der Subsistenzproduktion, desto<br />

eher ist zu erwarten, dass die Milchproduktion in vielen MOEL durch die EU-Milchquoten<br />

frühzeitig begrenzt wird. Die Autoren weisen allerdings darauf hin, dass eine empirische<br />

Fundierung der erwarteten Geschwindigkeit einer Abnahme der Subsistenzproduktion und<br />

des Ausmaßes, in dem sinkende Subsistenzproduktion in Marktproduktion und -konsum<br />

<strong>über</strong>führt wird, bisher weitgehend fehlt, weshalb die von ihnen dargestellten Resultate als<br />

vorläufig interpretiert werden sollten.<br />

In einem zweiten Beitrag beschreiben banse und grethe die Anwendung der logistischen<br />

Funktionsform zur Abbildung der Preistransmission von internationalen auf nationale<br />

Märkte im partiellen Nettohandels-Gleichgewichtsmodell European Simulation<br />

Model (ESIM). Dies ist ein komparativ-statisches partielles Mehrländergleichgewichtsmodell<br />

des Agrarsektors, das kürzlich in Bezug auf die Basisperiode, Produkt- und Länderabdeckung,<br />

Politikformulierung und die verwendete Software (GAMS) erweitert und<br />

aktualisiert wurde. In ESIM wird die logistische Funktionsform als Standardansatz für alle<br />

Produkte verwendet. Am Beispiel des europäischen Rindfleischmarktes zeigen die Autoren,<br />

dass die logistische Funktionsform ein flexibles Instrument zur Abbildung der Preistransmission<br />

in Nettohandelsmodellen ist, mit dem ein fließender Übergang von einem<br />

import- zu einem exportbasierten Preis, die möglicherweise auf sehr unterschiedlichen<br />

Niveaus liegen, gestaltet werden kann. Steilheit und Symmetrie des Preis<strong>über</strong>gangs können<br />

gesteuert werden. Auch die Effekte von Zollkontingenten und Exportsubventionen<br />

können abgebildet werden. Bei einer Simulation von starken Politikänderungen erfordert<br />

der gewählte Ansatz allerdings umfassende Marktkenntnisse und die Aufmerksamkeit des<br />

Modellnutzers, um abzuschätzen, ob die präferenziellen Mengen, die in der Basisperiode<br />

gesetzt wurden, immer noch gültig sind.<br />

hess untersucht anhand einer Auswahl von Simulationen im Rahmen der World Trade<br />

Organisation (WTO) Doha Runde, inwiefern die Methode der Meta-Analyse angewendet<br />

werden kann, um zwischen Simulationsergebnissen unterschiedlicher CGE-Modelle<br />

Transparenz herzustellen. Computable General Equilibrium (CGE) Modelle sind eine<br />

wissenschaftliche Standardmethode zur Analyse von Politikänderungen im Bereich des<br />

internationalen Agrarhandels. Weil die Kausalität zwischen der Funktionsweise eines<br />

CGE-Modells und den simulierten Ergebnissen meist allen Nicht-Modellierern verborgen<br />

bleibt und weil unterschiedliche Modelle zu vergleichbaren Politikszenarien häufig unterschiedliche<br />

Ergebnisse produzieren, ohne hierfür leicht zugängliche Erklärungen liefern<br />

zu können, wird CGE-basierten Simulationsergebnissen jedoch mitunter wenig Vertrauen<br />

entgegengebracht. Zur Begegnung der Kritik wird eine ökonometrische Meta-Regression<br />

mittels eines Mixed-Effects Modells durchgeführt. Das trägt der hierarchischen Datenstruktur<br />

Rechnung und identifiziert bestimmte Modellcharakteristika, durch die simulierte<br />

Wohlfahrtsänderungen entscheidend beeinflusst werden. Die geschätzten Koeffizienten<br />

stehen im Einklang mit qualitativen Erfahrungen; die geringe Stichprobengröße und der<br />

durch unvollständige Dokumentation bedingte Messfehler lassen allerdings keine allgemeinen<br />

Schlüsse zu.


296 E. Bahrs, S. von Cramon-Taubadel, A. Spiller, L. Theuvsen, B. Voget und M. Zeller<br />

3.3 Agrar- und entwicklungspolitische Herausforderungen<br />

henning, strUve, brümmer und seidel untersuchen vor dem Hintergrund der mit der Osterweiterung<br />

der EU einhergehenden Verschiebung tradierter politischer Machtstrukturen<br />

die Frage, in welchem Maße die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) jeweils einzelne nationalstaatliche<br />

Politikpositionen, die gemeinsame Haltung von Ländergruppen bzw. den<br />

Standpunkt der Europäische Kommission berücksichtigt. Dabei bedienen sich die Autoren<br />

eines generalisierten, politische Präferenzen berücksichtigenden Banzhaf-Index zur Messung<br />

politischer Macht, der auf das institutionelle Entscheidungssystem der GAP in der<br />

EU-15 und EU-25 angewendet wird: Demnach beschränkt (erweitert) eine extreme (zentrale)<br />

ideologische Position die Möglichkeit eines Akteurs, eine Gewinnkoalition für seine<br />

Idealposition zu formieren. Inhaltlich nehmen in der EU-15 neben liberalen Staaten, wie<br />

England oder den Niederlanden, auch in hohem Maß protektionistische und multifunktional<br />

ausgerichtete Mitgliedstaaten wie Griechenland oder Irland extreme ideologische Positionen<br />

ein, die ihre Macht stark einschränken. Hingegen nehmen in der EU-25 neben den<br />

stark liberalen Staaten protektionistische und wenig multifunktional ausgerichtete Staaten<br />

wie u. a. Italien oder Ungarn extreme ideologische Positionen ein. Das ideologische Zentrum<br />

in der EU-25 wird von 12 Mitgliedstaaten, einschließlich Deutschland, Frankreich,<br />

Spanien und Polen, gebildet. Diese Staaten präferieren eine moderate Agrarprotektion und<br />

eine stärkere Ausrichtung der GAP als ländliche Entwicklungspolitik. Die Kommission<br />

liegt weder in der EU-15 noch in der EU-25 unmittelbar im ideologischen Zentrum, da<br />

sie eine deutliche Reduktion der Agrarsubventionen und eine starke Ausrichtung der GAP<br />

an Tier- und Naturschutzzielen präferiert.<br />

matUschke und Qaim geben einen Überblick <strong>über</strong> unabhängige akademische Studien<br />

<strong>über</strong> die Auswirkungen der Grünen Gentechnik in fünf Entwicklungsländern Asiens, Afrikas<br />

und Lateinamerikas. Damit möchten sie eine solide Basis für eine öffentliche Diskussion<br />

<strong>über</strong> die Auswirkungen der Grünen Gentechnik in Entwicklungsländern bieten und<br />

helfen, weiteren Forschungsbedarf zu identifizieren. Gleichzeitig zeigen sie Wege auf, wie<br />

aus dem Anbau von gentechnisch veränderten (GV) Pflanzen die größtmöglichen Vorteile<br />

gezogen werden können. Die beiden Autoren gehen davon aus, dass die Anwendung der<br />

Gentechnik Vorteile mit sich bringt. Der Anbau insektenresistenter und herbizidtoleranter<br />

Pflanzen reduziert den Einsatz hochgiftiger Pestizide erheblich, was Kosten einspart und<br />

sich positiv auf Umwelt und menschliche Gesundheit auswirkt. Im Falle der so genannten<br />

Bt-Baumwolle, es handelt sich hierbei um schädlingsresistente GV Baumwolle, die ein<br />

spezifisch gegen Insekten wirksames Gift aus Bacillus thuringiensis produziert, lassen<br />

sich zusätzlich Ertragsgewinne verzeichnen. Verschiedene Studien zeigen, dass Kleinbauern<br />

mindestens genauso stark von der Technologie profitieren können wie ihre größeren<br />

Kollegen. Die Nutzenverteilung ist aber auch abhängig von institutionellen Faktoren, wie<br />

geistigen Eigentumsrechten. In vielen Entwicklungsländern ist der Schutz des geistigen<br />

Eigentums eher gering, was dazu führt, dass die Bauern bisher die Hauptnutznießer der<br />

Technologien sind. Das Argument, dass Grüne Gentechnik zur Ausbeutung der Bauern<br />

führe, ist deshalb nach heutigem Kenntnisstand nicht zu belegen. Trotz dieser positiven<br />

Auswirkungen besteht weiterhin großer Forschungsbedarf. Da GV-Pflanzen erst seit ca. 10<br />

Jahren vermarktet werden, sind mögliche Wechselwirkungen mit der Umwelt nicht hinlänglich<br />

bekannt. Des Weiteren sollte untersucht werden, welche institutionellen Veränderungen<br />

nötig sind, damit die Vorteile der Grünen Gentechnik die Armen erreichen. Institutionelle<br />

Reformen und andere Innovationen sind dringend notwendig, um langfristig zur<br />

Ernährungssicherung und Armutsreduktion in Entwicklungsländern beizutragen.<br />

Wronka und schmitz berechnen die ökonomischen Effekte einer Einführung von GV-<br />

Pflanzen mit Hilfe des partiellen Gleichgewichtsmodells (AGRISIM). Die Simulationen<br />

geben einen ersten Hinweis darauf, welche Auswirkungen unterschiedliche Produktions-


Unternehmen im Agrarbereich vor neuen Herausforderungen<br />

297<br />

und Handelsstrategien der EU hinsichtlich des Umgangs mit gentechnisch veränderten<br />

Nutzpflanzen haben könnten. Die Ergebnisse der Analyse deuten auf Wohlfahrtsgewinne<br />

hin, und dies nicht nur für adoptierende, sondern auch für nichtadoptierende Länder. Von<br />

der Übernahme von GV-Technologien profitieren vor allem Produzenten und hier insbesondere<br />

die Pioniere. Ein Importverbot für Mais und Sojabohnen von Seiten der EU<br />

wirkt sich negativ auf die Erzeuger in adoptierenden Ländern aus. Die negativen Effekte<br />

können jedoch durch die Wohlfahrtsgewinne der Konsumenten kompensiert werden und<br />

führen damit, selbst bei einem Importverbot, insgesamt zu einem Wohlfahrtsgewinn für<br />

Brasilien, China und die USA. Für die EU birgt die Entwicklung weg vom Status quo<br />

hin zur Einführung der neuen Technologien Chancen für eine verbesserte Wettbewerbsfähigkeit<br />

gemessen als der relative Zugewinn an Produzentenrente. Anders formuliert: Ein<br />

Verharren in der Status quo- Situation kann einen potenziellen Verlust an internationaler<br />

Wettbewerbsfähigkeit für die europäischen Produzenten bedeuten. Neben einer Umstrukturierung<br />

bezüglich der im Modell integrierten Regionen und Produkte, werden zukünftig<br />

noch weitere Anpassungen im Modell vorzunehmen sein. Weiterhin denken die Autoren<br />

dar<strong>über</strong> nach, Risiko und Risikoempfinden auf Seiten der Verbraucher in die Modellberechnungen<br />

mit einzubeziehen.<br />

3.4 Modellierung von Entscheidungen und Input-Output-Analysen<br />

In ihrem Beitrag eruieren mUsshoFF und hirschaUer das Verbesserungspotenzial von Optimierungsverfahren<br />

im Vergleich zu empirisch beobachtbaren Programmentscheidungen der<br />

landwirtschaftlichen Unternehmenspraxis. Basierend auf dem Informationsstand der Landwirte<br />

zum jeweiligen Entscheidungszeitpunkt stellen sie für drei ausgewählte arrondierte<br />

Brandenburger Marktfruchtbetriebe modellgestützt ein optimiertes Alternativprogramm<br />

auf. Der Unsicherheit hinsichtlich der Entwicklung der Einzeldeckungsbeiträge wird <strong>über</strong><br />

lineare Zeitreihenmodelle (ARIMA-Prozesse) Rechnung getragen. Bei der Festlegung<br />

des Alternativprogramms wird die Gesamtdeckungsbeitragsvarianz des tatsächlichen Programms,<br />

die implizit die subjektive Risikoeinstellung der Landwirte ausdrückt, als Obergrenze<br />

berücksichtigt. Der Vergleich empirischer und normativer Ergebnisse zeigt, dass im<br />

Durchschnitt der zurückliegenden fünf Jahre die Gesamtdeckungsbeiträge deutlich besser<br />

ausgefallen wären, wenn in den Betrieben zur Anbauplanung Zeitreihenanalysen durchgeführt<br />

und Optimierungsverfahren eingesetzt worden wären. Daraus schließen die Autoren,<br />

dass es sich lohnt, die Information, die in den empirischen Deckungsbeitragszeitreihen bis<br />

zum jeweiligen Entscheidungszeitpunkt steckt, systematisch für die Planung zu nutzen.<br />

Obwohl die Ergebnisse bezogen auf diese Fallstudien sehr eindeutig sind, können die Ergebnisse<br />

nur als erstes Indiz gewertet werden, u. a., da in der vorliegenden Analyse lediglich<br />

drei Betriebe mit ähnlichen Standortbedingungen <strong>über</strong> einen Zeitraum von nur fünf Jahren<br />

evaluiert wurden. Es sollte in weiterführenden Untersuchungen mit breiterer empirischer<br />

Datengrundlage die Robustheit und Überlegenheit des vorgeschlagenen Planungsverfahrens<br />

geprüft werden. Dabei sollten mögliche Einflussfaktoren wie z. B. Region, Management<br />

und Größe gezielt variiert werden.<br />

möhring und zimmermann stellen ein komparativ-statisches LP-Modell auf Betriebsebene<br />

vor, das angesichts sich verschärfender Rahmenbedingungen für die schweizerische<br />

Milchwirtschaft dazu dient, nachhaltige Milchproduktionssysteme zu ermitteln, die ökonomisch<br />

optimiert sind, aber auch den ökologischen Anforderungen der Gesellschaft genügen.<br />

Realitätsnahe, hinsichtlich Herdenmanagement, Gebäude, Fütterungssystem und<br />

Mechanisierung abgestimmte Produktionssysteme werden im Modell mittels binärer Variablen<br />

abgebildet. Zur Ermittlung der Umweltwirkungen des Betriebs ist eine Ökobilanz in<br />

das Modell integriert. Dazu erfolgt eine detaillierte Abbildung innerbetrieblicher Produktionszusammenhänge.<br />

Eine Anwendung, bei der ein Vergleich verschiedener einkommens-


298 E. Bahrs, S. von Cramon-Taubadel, A. Spiller, L. Theuvsen, B. Voget und M. Zeller<br />

optimierter Produktionssysteme erfolgt, deckt einige Zielkonflikte zwischen Ökonomie<br />

und Ökologie auf, wobei Systeme mit Vollweide in beiden Aspekten am besten abschneiden.<br />

Das vorgestellte Modell stellt sehr hohe Ansprüche an eine detaillierte Datenbasis.<br />

Der Aufwand für ein solches Modell ist jedoch gerechtfertigt, da die Berücksichtigung der<br />

Wechselwirkungen zwischen Technologie, Ökonomie und Ökologie neue Möglichkeiten<br />

für die einzelbetriebliche Optimierung eröffnet.<br />

bergmann widmet sich der volkswirtschaftlichen Bedeutung der <strong>Landwirtschaft</strong> im<br />

„Alten Land“, dem zweitgrößten geschlossenen Obstanbaugebiet Deutschlands in der<br />

Nähe der Freien und Hansestadt Hamburg, anhand von volkswirtschaftlichen Kennzahlen,<br />

die allerdings weder den kulturellen noch den touristischen Wert der Region umfassen.<br />

Mit Hilfe des MODOP-Verfahrens (Double Proportionality Model) wird eine regionalisierte<br />

Input-Output-Analyse durchgeführt, auf deren Basis die volkswirtschaftlich regionale<br />

Bedeutung des <strong>Landwirtschaft</strong>ssektors dargestellt werden kann. Untersucht werden,<br />

neben der regionalen Bedeutung der <strong>Landwirtschaft</strong>, die Auswirkungen unterschiedlicher<br />

Input-Output-Tabellen auf die Arbeitplatzbedeutung der <strong>Landwirtschaft</strong> für die Region.<br />

Die Schätzungen zeigen, dass je nach Berechnung ein Wegfall der <strong>Landwirtschaft</strong> den<br />

Produktionswert in der Region um mindestens 54 Millionen €/Jahr vermindern würde. Nur<br />

unzureichend gelingt es in diesem Zusammenhang allerdings, die wesentliche wirtschaftliche<br />

Bedeutung der <strong>Landwirtschaft</strong>, insbesondere für Handel und Verkehr, abzubilden,<br />

womit die dargestellten Zahlen lediglich eine Untergrenze der Bedeutung darstellen und<br />

diese weit unterschätzt wird. Insgesamt kann jedoch geschlossen werden, dass der <strong>Landwirtschaft</strong>ssektor<br />

im Umfeld Hamburgs von volkswirtschaftlicher Bedeutung und von<br />

besonderer Eminenz insbesondere für den lokalen Arbeitsmarkt ist. Während die <strong>Landwirtschaft</strong><br />

nur für etwas mehr als 5 % des regionalen Produktionswertes verantwortlich<br />

ist, ist ihre Arbeitsmarktbedeutung mit fast 10 % aller direkt und indirekt verursachten<br />

Arbeitsplätze fast doppelt so groß.<br />

4 Produzenten und Konsumenten in <strong>Landwirtschaft</strong> und Gesellschaft<br />

4.1 Verbraucher- und Anbieterverhalten<br />

Mit dem Ziel, den Means-End-Chain (MEC) Ansatz als eine Methode zur Identifizierung<br />

von werte- und nutzeninduzierten Verbraucherwünschen in die Discrete Choice-Analyse<br />

zu integrieren, stellt hartl ein ökonomisches Modell vor, um den Einfluss kognitiver<br />

Strukturen auf das Entscheidungsverhalten von Verbrauchern zu modellieren. Im Allgemeinen<br />

sind MEC-Daten aufgrund ihrer Komplexität schwierig in ökonomischen Modellen<br />

zu verankern. Anhand von latenten Klassen könnten Verbraucher mit ähnlichen kognitiven<br />

Strukturen zu Segmenten zusammengefasst sowie der Einfluss solcher Segmente<br />

auf das Entscheidungsverhalten bestimmt werden. Aus Sicht des MEC-Theorie stellt ein<br />

solcher Ansatz eine bisher fehlende Verbindung des MEC-Ansatzes mit dem Entscheidungsverhalten<br />

der Verbraucher her, und aus Sicht der Discrete Choice-Analyse ermöglicht<br />

ein solcher Ansatz eine bessere Identifikation und Interpretation latenter Klassen.<br />

Offen bleiben hinsichtlich der Datenerhebung insbesondere die Frage nach einer etwaigen<br />

Überforderung der Befragten sowie Ungewissheiten, die die Schätzung des postulierten<br />

Modells tangieren. Eine empirische Studie könnte zur Klärung beitragen.<br />

geise präsentiert ein qualitatives Forschungskonzept zur Erklärung impulsiven Kaufverhaltens<br />

und veranschaulicht seine Anwendung beispielhaft. Das impulsive Kaufverhalten<br />

der Konsumenten findet im Rahmen des Marketings von Markenartikel- und<br />

Einzelhandelsunternehmen große Beachtung, insbesondere im Zusammenhang mit Pointof-Sale-<br />

(PoS) Marketingaktivitäten. Die Käuferverhaltensforschung beschäftigt sich al-


Unternehmen im Agrarbereich vor neuen Herausforderungen<br />

299<br />

lerdings nur sporadisch mit dieser spezifischen Verhaltensweise. Dies trifft vor allem auf<br />

die Konzeption und empirische Überprüfung entsprechender Erklärungsansätze bezüglich<br />

der verhaltensdeterminierenden Faktoren zu. Um Abhilfe zu schaffen, wird das qualitative<br />

Forschungskonzept entwickelt, das auf einer Methodenkombination von halbstandardisiertem<br />

Interview und Struktur-Lege-Technik basiert. Mit Hilfe dieser zeitaufwändigen<br />

Datenerhebungs- und -auswertungsprozedur können die subjektiven Impulskauftheorien<br />

(Alltagstheorien) von Konsumenten rekonstruiert und zu einem interindividuellen Erklärungsansatz<br />

zusammengeführt werden. Vor allem die interindividuelle Zusammenfassung<br />

der subjektiven Impulskauftheorien zu einem Erklärungsansatz in Form einer theoretischen<br />

Makrostruktur stellt nach Meinung des Autors einen Beitrag zur Weiterentwicklung der<br />

Impulskaufforschung dar. Die Frage, wie realitätsangemessen bzw. erklärungskräftig die<br />

entwickelte Makrostruktur ist, bleibt einer gesonderten empirischen Überprüfung vorbehalten.<br />

Auf der Grundlage eines theoretischen Modells, das auch unvollkommene Arbeitsmärkte<br />

berücksichtigt, ermitteln glaUben, loy, rathmann und tietJe unter Verwendung<br />

einer multinomialen Logit-Analyse den Einfluss von Variablen auf die Wahrscheinlichkeit<br />

der Verwirklichung einer bestimmten Partizipationsstrategie am Arbeitsmarkt im Vergleich<br />

zur Referenz der arbeitswirtschaftlichen Autarkiesituation. Die Ausübung einer außerbetrieblichen<br />

Tätigkeit gewinnt im landwirtschaftlichen Sektor zunehmende Bedeutung.<br />

Dabei kann die Arbeitsmarktpartizipation auch bei Haushaltsmitgliedern, die vergleichsweise<br />

große landwirtschaftliche Betriebe bewirtschaften, beobachtet werden. Die Autoren<br />

weisen für persönliche, familiäre sowie betriebliche Faktoren signifikante Einflüsse<br />

nach, so beispielsweise für die durch nichtlandwirtschaftliche Ausbildung verbesserten<br />

Opportunitäten zur landwirtschaftlichen Tätigkeit. Allerdings ist es insbesondere Milcherzeugern<br />

nicht möglich, etwaige betriebliche Unterbeschäftigung durch außerbetriebliche<br />

Beschäftigung zu kompensieren, was Investitionen in betriebliches Wachstum und dabei<br />

vor allem in weitere Spezialisierung in der Milcherzeugung aufgrund fehlender Opportunitäten<br />

vorzüglich erscheinen lässt. Durch die Entkopplung der Prämienzahlungen im<br />

Zuge der Agrarreform ist die grundlegende Umgestaltung betrieblicher Produktionsprozesse<br />

ohne Verlust der Transferzahlungen möglich, was die Aufnahme außerbetrieblicher<br />

Tätigkeiten tendenziell begünstigt.<br />

möser und herrmann untersuchen das Ausmaß der Preisrigidität, die Verbreitung psychologischer<br />

Preise sowie die Bedeutung psychologischer Preise für die Preisrigidität im<br />

Kaffeesektor des deutschen LEH und führen eine vergleichende Betrachtung mit einer<br />

breiten Auswahl von Lebensmitteln durch. Zu diesem Zweck werten sie einen umfangreicher<br />

Scannerdatensatz aus. Bei der Erklärung von Preisrigidität nimmt aus der Sicht<br />

von Ökonomen und vielen Managern die Marketingstrategie der Preissetzung unterhalb<br />

von psychologischen Preisschwellen nur geringe Bedeutung ein. Dennoch zeigt die Analyse,<br />

dass psychologische Preise bei der Preisgestaltung von Kaffee im speziellen und<br />

Lebensmitteln allgemein eine herausragende Rolle spielen. Dabei liegen Scannerdaten der<br />

Preise von sechs Kaffeemarken bzw. 20 Lebensmitteln <strong>über</strong> einen Zeitraum von 144 Wochen<br />

hinweg von 1996 bis 1999 in 38 Geschäften des deutschen LEH zugrunde. Bei der<br />

Analyse der Preise fällt auf, dass die Endziffer neun bei weitem die am häufigsten verwendete<br />

Endziffer darstellt. Bei den 20 Lebensmitteln ist zusätzlich eine Konzentration auf<br />

einige wenige psychologische Preise festzustellen. Demgegen<strong>über</strong> deuten die Ergebnisse<br />

an, dass bei Kaffee wichtige psychologische Preisschwellen nicht von Bedeutung sind,<br />

denn die Konzentration auf einige wenige psychologische Preise ist nicht ersichtlich. Die<br />

beobachteten Unterschiede in der Preisrigidität von Kaffee in den einzelnen Unternehmen<br />

lassen sich durch die unterschiedliche Bedeutung psychologischer Preise begründen, die<br />

durch unternehmensspezifische Strategien und den unterschiedlichen Einsatz von Preisaktionen<br />

zustande kommen. Damit üben Preisaktionen im Kaffeesektor keinen direkten


300 E. Bahrs, S. von Cramon-Taubadel, A. Spiller, L. Theuvsen, B. Voget und M. Zeller<br />

Einfluss auf die Preisrigidität aus, wie es in Strukturmodellen für eine breite Auswahl von<br />

Lebensmitteln bestätigt werden konnte. Kaffee ist also in vielerlei Hinsicht ein besonderes<br />

Lebensmittel in den Preisstrategien des LEH.<br />

gerlach, spiller und engelken widmen sich der Frage, wie die Perspektiven des<br />

Bio-Fachhandels zu beurteilen sind. Ausgehend von der Beobachtung, dass in den letzten<br />

Jahren Bio-Läden verstärkt Konkurrenz durch Bio-Supermärkte und den konventionellen<br />

Lebensmitteleinzelhandel bekommen haben, stellen die Autoren eine Befragung von Bio-<br />

Intensivkäufern zu ihren Einkaufsstättenpräferenzen und ihrer Wechselbereitschaft zu anderen<br />

Handelsbetriebsformen vor. Die Analyse von aus den ermittelten Daten gebildeten<br />

Kundenclustern zur Bestimmung von Abwanderungsgefahren und Kundenbindungsfaktoren<br />

mit Hilfe eines multinomialen Logit-Modells zeigt als Ergebnis, dass nur ein Drittel<br />

der bisherigen Kunden einkaufsstättentreu sind. Der größere Teil wandert dagegen bei entsprechenden<br />

Preisvorteilen zum Bio-Supermarkt ab. Der Wechsel in den konventionellen<br />

LEH spielt dagegen nur eine geringere Rolle. Über den konkreten Fall hinaus präsentieren<br />

die Autoren außerdem ein einfaches Modell zur Modellierung des Betriebsformenwettbewerbs,<br />

das sich auch für eine Online-Befragung eignet.<br />

petzholdt und enneking befassen sich mit der Untersuchung kaufrelevanter Eigenschaften<br />

bei Rotwein. Dazu analysieren sie anhand der Ergebnisse einer Conjoint Analyse<br />

die Wichtigkeit verschiedener extrinsischer Merkmale bei Dornfelder- und Beaujolais-<br />

Weinen und vergleichen diese mit den Resultaten hedonischer Tests zur Beurteilung des<br />

Gesamteindrucks. Die hedonischen Tests sind zusätzlich durchgeführt worden, um auch<br />

die intrinsische Komponente hinsichtlich ihrer Relevanz für die Kaufentscheidung des<br />

Verbrauchers zu berücksichtigen. Aufgrund zunehmender Konkurrenz aus der „Neuen<br />

Welt“ und eines Präferenzwandels von Weiss- zu Rotwein unterliegt der deutsche Weinmarkt<br />

seit längerem starken Veränderungen. Doch gerade die deutschen Rotweine scheinen<br />

geeignet, größere Marktanteile gewinnen zu können. Als Beispiel dient der Erfolg der<br />

Rebsorte Dornfelder. Ein Vergleich der Ergebnisse der Conjoint-Analyse und der hedonischen<br />

Tests zur Beurteilung des Gesamteindrucks zeigt, dass nur einige der untersuchten<br />

extrinsischen Eigenschaften geeignet sind, auf die intrinsischen Merkmale eines Weines<br />

zu schließen.<br />

4.2 <strong>Landwirtschaft</strong>, Agribusiness und Gesellschaft<br />

helmle stellt Thesen zu den Veränderungen der öffentlichen Kommunikation <strong>über</strong> <strong>Landwirtschaft</strong><br />

auf, die sie im Hinblick auf Veränderungen der Deutungsmacht politischer<br />

Akteure, kommunizierte Sinn-Ordnungen und das Vermögen der Bürger, Bilder und<br />

Sinn-Ordnungen zu erkennen, diskutiert. Ausgehend von einer Bestandsaufnahme jüngerer<br />

Arbeiten <strong>über</strong> Images der <strong>Landwirtschaft</strong> werden Überlegungen zur Veränderung der<br />

öffentlichen Kommunikation staatlicher Agrarpolitik und deren Wirkungen ausgeführt.<br />

Besondere Bedeutung kommt dabei bestimmten Vorstellungen von bäuerlicher Autonomie<br />

zu, denn in der <strong>Landwirtschaft</strong> hat sich die Macht <strong>über</strong> Deutungen dessen, was als erstrebenswert<br />

gilt, verändert. Dabei verteilen sich nicht nur die Möglichkeiten der Einflussnahme<br />

neu zwischen den Akteuren, sondern es kommen auch neue Akteure hinzu. Und<br />

auch die öffentliche Kommunikation staatlicher Agrarpolitik scheint sich zunehmend von<br />

dem abzulösen, was tatsächlich in der <strong>Landwirtschaft</strong> geschieht. Diese Kommunikation<br />

dient nicht bloß dazu, Bürger zu einem veränderten Verhalten anzuregen, sie dient auch<br />

dazu, staatliches Handeln zu legitimieren.<br />

Jäckel und spiller skizzieren ein Modell mit eher hypothesengenerierendem als<br />

-prüfendem Charakter zur Messung der Öffentlichkeitsorientierung (Public Orientation) in<br />

Anlehnung an die breite Theoriediskussion um die Marktorientierung von Unternehmen<br />

(Market Orientation). Die Liste der Themen, bei denen Unternehmen des Agribusiness


Unternehmen im Agrarbereich vor neuen Herausforderungen<br />

301<br />

auf gesellschaftliche Kritik stoßen, ist lang, denn die Agrarpolitik, vormals ein von der<br />

Öffentlichkeit eher wenig beachtetes Feld des Rent Seeking, wird zunehmend zum Gegenstand<br />

medialer Auseinandersetzungen. Durch eine Befragung von Public Relations<br />

(PR) Verantwortlichen der deutschen Agrar- und Ernährungsbranche zu ihrem Umgang<br />

mit gesellschaftlichen Stakeholdern <strong>über</strong>prüfen die Autoren ihr Modell empirisch. Mittels<br />

einer Regressionsanalyse können sie wichtige Elemente einer erfolgreichen PR-Politik<br />

identifizieren. Als Ergebnis der Analyse zeigt sich, dass viele Unternehmen Probleme im<br />

Umgang mit kritischen Anspruchsgruppen und Journalisten haben, da die kulturelle Distanz<br />

zwischen kritischen Stakeholdern und Unternehmen relativ groß ist.<br />

theUvsen, essmann und brand-sassen analysieren, ob es möglich ist, die Putenmast<br />

in Deutschland artgerechter zu gestalten, ohne dass der Standort an Wettbewerbsfähigkeit<br />

einbüßt. Dazu werden die Kosten verschiedener Maßnahmen zur Verbesserung der Artgerechtheit<br />

der Putenhaltung der Zahlungsbereitschaft der Verbraucher für diese Maßnahmen<br />

gegen<strong>über</strong>gestellt. Die Ergebnisse der eigenen Studie vergleichen die Autoren mit<br />

denen von zwei Markttests deutscher Putenfleischerzeuger; zusätzlich wird auf methodologische<br />

Probleme eingegangen. Tierhaltung und -mast haben in den Industrieländern<br />

einen besonderen Konflikt zu bestehen. Landwirte sehen sich dem Dilemma zwischen der<br />

Einhaltung ethischer Maßstäbe bei der Produktion, wie sie z. B. Nichtregierungsorganisationen<br />

(NGOs) und eine breite Öffentlichkeit fordern, einerseits und dem wirtschaftlichen<br />

Druck, im internationalen Wettbewerb zu bestehen, andererseits ausgesetzt. Die durchgeführte<br />

Studie zeigt jedoch, dass die Bereitschaft der Konsumenten für tiergerechtere<br />

Aufzuchtsysteme einen höheren Preis zu zahlen, die dem Erzeuger durch veränderte Haltungsbedingungen<br />

entstehenden Kosten <strong>über</strong>steigt.<br />

4.3 Regionale Auswirkungen der EU-Agrarreform<br />

Weinmann, schroers, sheridan und kUhlmann beschäftigen sich mit den langfristigen<br />

Auswirkungen der Entkopplung der Prämienzahlungen auf die regionale Landnutzung.<br />

Dazu werden mit dem Landnutzungsmodell ProLand für eine benachteiligte Region in<br />

Hessen (Lahn-Dill-Gebiet) die Landnutzung und ökonomische Indikatoren prognostiziert<br />

und die Konsequenzen diskutiert. Das Landnutzungsmodell ProLand ist ein komparativ-statisches<br />

Simulationsmodell zur Prognose von räumlich expliziten Landnutzungsverteilungen.<br />

Auf der Grundlage von Raumvarianten, natürlichen und wirtschaftlichen<br />

Standortbedingungen sowie unter Berücksichtigung der politischen Rahmenbedingungen<br />

und des Entscheidungsverhaltens der Landnutzer wird für jede räumliche Entscheidungseinheit<br />

die Landnutzung prognostiziert. Dabei wird unterstellt, dass die Landnutzer nach<br />

der Maximierung der Bodenrente streben und deshalb unter allen Landnutzungsalternativen<br />

die mit der höchsten Bodenrente auswählen. Ziel der Modellberechnungen ist<br />

es, durch den Vergleich der langfristig optimalen Landnutzung unter den Rahmenbedingungen<br />

der Agenda 2000 und der vollständigen Entkopplung der Prämienzahlungen den<br />

Einfluss dieser agrarpolitischen Rahmenbedingungen auf die Landnutzung aufzuzeigen.<br />

Neben der reinen Flächennutzung werden auch die ökonomischen Zielgrößen wie Bodenrente,<br />

Prämienzahlungen und Arbeitseinsatz in die Bewertung einbezogen. Es zeigen sich<br />

Unterschiede zwischen der Landnutzung unter den Bedingungen der Agenda 2000 und<br />

der Entkopplung der Prämienzahlung. Besonders auf marginalen Standorten mit hohem<br />

Niederschlag und geringer Temperatursumme werden in beiden Szenarien verschiedene<br />

Landnutzungen prognostiziert. Während unter den Bedingungen der Agenda 2000 diese<br />

Standorte verstärkt für Ackerbau genutzt werden, zeigt sich die Nutzung als Grünland bei<br />

der Entkopplung der Prämienzahlung als ökonomisch vorteilhafter. Insgesamt erhalten<br />

rund 75 % der Flächen mehr entkoppelte Prämienzahlungen als Flächen- und Tierprämien<br />

unter den Agenda 2000-Bedingungen. Die Schläge, die in beiden Szenarien eine unter-


302 E. Bahrs, S. von Cramon-Taubadel, A. Spiller, L. Theuvsen, B. Voget und M. Zeller<br />

schiedliche Landnutzung aufwiesen, erhalten weniger Prämienzahlungen als zuvor. Dies<br />

bedeutet, dass unter den Bedingungen der Agenda 2000 die Prämien die Landnutzung auf<br />

diesen Schlägen entscheidend beeinflusst haben.<br />

gay und osterbUrg geben einen Überblick <strong>über</strong> die Umsetzung der 2003-Reform<br />

der GAP und diskutieren die daraus resultierenden Implikationen für die Landnutzung<br />

in der EU-15. Mit der Agrarreform von 2003 wurde eine fundamentale Abkehr vom bisherigen<br />

Agrarförderungsschema durchgesetzt. Es erfolgte damit ein Schritt weg von der<br />

Förderung der agrarwirtschaftlichen Produktion hin zu an die bewirtschaftete Fläche gebundenen<br />

Zahlungen, deren Gewährung zudem an bestimmte vom Zahlungsempfänger<br />

einzuhaltende Bedingungen bezüglich Umwelt- und Tierschutz, Nahrungsmittelsicherheit<br />

und Arbeitsschutz geknüpft wird (compulsory Cross-Compliance). Die Modulation, d. h.<br />

die Umwidmung von Mitteln der so genannten Ersten Säule in die Zweite Säule der GAP,<br />

sowie nationale Rahmenbeträge (die es den Mitgliedstaaten ermöglichen, bis zu 10 %<br />

der jeweils für die Erste Säule der GAP zur Verfügung stehenden Summe umzuwidmen,<br />

um damit Bewirtschaftungsweisen zu fördern, die als wichtig im Sinne des Umwelt- und<br />

Naturschutzes erkannt werden) führen dazu, dass das Förderniveau für Umweltschutzmaßnahmen<br />

insgesamt steigt. Diese Reformschritte stellen einen signifikanten Fortschritt<br />

bezüglich der Integration von Umweltpolitik dar und könnten somit, je nach Umsetzung<br />

in den einzelnen Mitgliedstaaten der EU, besser zum Natur- und Landschaftsschutz beitragen.<br />

Da gleichzeitig mit der so genannten Entkopplung auch der nationale Gestaltungsspielraum<br />

bei der Implementierung der Reformbeschlüsse ausgebaut wurde, gilt es zudem<br />

zu untersuchen, wie sich die Landnutzungsmuster im Zuge der Umgestaltung der Förderungsmodalitäten<br />

verändern. Im Fokus stehen dabei die Zusammenhänge zwischen den<br />

Hauptaspekten der GAP-Reform (2003) als auch zwischen Landschaftspflege- und Biodiversitätsauflagen.<br />

Das Risiko des Brachfallens von Flächen als auch die Möglichkeit der<br />

Extensivierung werden vor diesem Hintergrund von den Autoren als ihre Hauptergebnisse<br />

präsentiert.<br />

schmidt und sinabell versuchen die Fragen zu beantworten, ob sich durch die Agrarreform<br />

von 2003 die für biologische Produktionsweise genutzte Fläche vergrößert oder<br />

verringert, inwiefern Futterflächen und Herdgrößen beeinflusst werden, welche Auswirkungen<br />

sich aus der Umverteilung ergeben, die mit der für 2007 erwarteten Einführung<br />

eines neuen Programms der ländlichen Entwicklung einhergeht, und welche Anstrengungen<br />

voraussichtlich notwendig werden, um die Vorgaben der Politik hinsichtlich des biologischen<br />

Landbaus zu erfüllen. Mit Hilfe eines regional und strukturell differenzierten<br />

Agrarsektormodells werden die Anpassungen österreichischer Landwirte an die entsprechenden<br />

Politikänderungen abgeschätzt. Besonderes Augenmerk richten die Autoren dabei<br />

auf die Konsequenzen für biologisch wirtschaftende Betriebe. Es ergibt sich, dass<br />

bei unveränderter Beibehaltung der Unterstützung für biologisch wirtschaftende Betriebe<br />

diese Art der Bewirtschaftung zukünftig für Landwirte insgesamt attraktiver wird.<br />

4.4 Genossenschaften<br />

raUchenecker und beckmann erweitern die bisherige juristische und politische Diskussion<br />

<strong>über</strong> die Aufhebung der Pflichtmitgliedschaft einzelner Grundeigentümer in Jagdgenossenschaften<br />

um eine institutionenökonomische Perspektive. Alle Eigentümer von<br />

land-, forst- oder fischereiwirtschaftlich nutzbaren Flächen unter 75 ha sind in Deutschland<br />

zur Mitgliedschaft in gemeinschaftlichen Jagdbezirken, so genannten Jagdgenossenschaften,<br />

zwangsverpflichtet. Seit einem im Jahr 1999 ergangenen Gerichtsurteil des<br />

Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zur Zwangsmitgliedschaft<br />

in französischen Jagdvereinen und der im Jahr 2002 angekündigten Novellierung des<br />

Bundesjagdgesetzes gibt es in Deutschland eine rege juristische und politische Debatte


Unternehmen im Agrarbereich vor neuen Herausforderungen<br />

303<br />

um die Befreiung einzelner Grundeigentümer von der Pflichtmitgliedschaft in Jagdgenossenschaften.<br />

Die Autoren analysieren die Auswirkungen einer Aufhebung der Zwangsmitgliedschaft<br />

auf (1) die Jagdgenossenschaft selbst, (2) die Transaktionskosten des gesamten<br />

Wildtiermanagements, (3) die Wildtierpopulation sowie (4) die Verteilung von Kosten und<br />

Nutzen auf unterschiedliche Akteursgruppen. Sie kommen zu dem Schluss, dass Zwang<br />

im Fall von Wildtiermanagement aus ökonomischen Gründen durchaus gerechtfertigt sein<br />

kann, solange die Kostenvorteile der Zwangsmitgliedschaft die Nutzenverluste jagdablehnender<br />

Grundeigentümer <strong>über</strong>wiegen. Angesichts einer zunehmenden Heterogenität der<br />

Nutzungsinteressen an Wildtieren stehen Jagdgenossenschaften jedoch vor der Herausforderung,<br />

neue Mechanismen des Interessenausgleichs und der Konfliktregulierung zu<br />

entwickeln.<br />

kühl und schWeickert zielen darauf ab, einige grundlegende Ausführungen zur aktuellen<br />

theoretisch begründeten Strategiediskussion darzulegen und zwei Strategiekonzepte<br />

einer ersten empirischen Überprüfung in der genossenschaftlichen Weinwirtschaft zu unterziehen.<br />

In der aktuellen Literatur zur Strategieforschung werden vor allem die beiden<br />

grundlegenden Strategieschulen des Market-Based-View (MBV) und des Resource-Based-View<br />

(RBV) diskutiert. Nach einer inhaltlich-konzeptionellen Diskussion der beiden<br />

Strategieansätze wird daher empirisch <strong>über</strong>prüft, welche der strategischen Grundpositionen<br />

in der genossenschaftlichen Weinwirtschaft zu finden sind. Datengrundlage ist eine<br />

schriftliche Befragung von insgesamt 94 Winzergenossenschaften in Deutschland (Rücklaufquote<br />

40 %). Dabei wird anhand wichtiger Strategieindikatoren, wie etwa des Preissetzungsverhaltens,<br />

der Einschätzung der eigenen Wettbewerbsvorteile und der zukünftigen<br />

Herausforderungen, die grundsätzliche Strategieorientierung der befragten Unternehmen<br />

untersucht. Mit Hilfe der Faktoranalyse können die Autoren zeigen, dass rund 42 % der<br />

Unternehmen den Produktionsaspekten (im Sinne des RBV-Ansatzes) in Zukunft eine<br />

große Bedeutung zumessen, während dies bei den Vermarktungsaspekten knapp 40 % der<br />

Unternehmen tun. Anhand der Ergebnisse wird deutlich, dass für die Winzergenossenschaften<br />

die Empfehlungen zur Ausgestaltung der Unternehmensstrategie im Wissenstransfer<br />

zwischen Wissenschaft und Praxis sehr differenziert auszugestalten sind. Allein<br />

Empfehlungen auf Basis des MBV-Ansatzes (im Sinne des Porter’schen Konzeptes von<br />

Kostenführerschaft oder Differenzierung) greifen zu kurz und berücksichtigen nicht die<br />

potenziellen Wettbewerbsvorteile, die sich aus einer Kompetenzorientierung der Unternehmen<br />

im Weinbau ergeben können.<br />

schWeickert und hanF analysieren die Struktur des genossenschaftlichen Weinsektors<br />

und konstruieren strategische Mitgliedergruppen (SMG) von Genossenschaften. Des<br />

Weiteren versuchen sie empirisch zu testen, ob das Zustandekommen solcher strategischer<br />

Gruppen ein Hauptgrund für den Erfolg von Genossenschaften ist. Unter einer SMG<br />

werden Cluster von Betrieben verstanden, die die gleiche Strategie verfolgen, dasselbe<br />

Marktsegment bedienen wollen, homogene Interessen haben und entweder gemeinsam<br />

eine einzelne Genossenschaft bilden oder Teil einer solchen sein können. Homogen in<br />

ihren eigenen Strukturen, sind SMG untereinander heterogen. Während Genossenschaften<br />

in Deutschland normalerweise als Schmelztiegel unterschiedlicher Interessen gesehen<br />

werden, haben die Mitglieder homogener Gruppen intern den Vorteil, bereits von vorneherein<br />

ein gleiches Ziel, wie z. B. die Produktion eines qualitativ hochwertigen Weines,<br />

zu verfolgen. Die Anreizkompatibilität spielt dabei eine besondere Rolle. Als Beispiel für<br />

SMG dienen solche Zusammenschlüsse innerhalb von Winzergenossenschaften, die ihre<br />

Weine gemäß dem neuen Profilwein-Konzept (mit der neuartigen Aufteilung in „Selection“<br />

für das Spitzensegment, „Classic“ für die gehobene Mittelklasse sowie die bereits<br />

eingeführte Bezeichnung „Qualitätswein b.A.“ für den einfachen Tafelwein) herstellen.<br />

Für diese speziellen SMG weisen die Autoren eine Qualitätssteigerung nach. In der empirischen<br />

Untersuchung zeigt sich, dass die Zugehörigkeit zur SMG, auf die der Quali-


304 E. Bahrs, S. von Cramon-Taubadel, A. Spiller, L. Theuvsen, B. Voget und M. Zeller<br />

tätssprung zurückzuführen ist, mit einem besseren Betriebsergebnis korreliert ist. Daher<br />

ist zu folgern, dass Winzergenossenschaften, die für ihre Erzeugnisse frühzeitig das neue<br />

Profilwein-Konzept adaptiert haben, gute Chancen auf ein Überleben in dem sehr wettbewerbsintensiven<br />

Markt haben, während für solche Winzergenossenschaften, die sich nicht<br />

an dem neuen Bezeichnungssystem beteiligt haben, das Ausscheiden aus dem Markt zu<br />

erwarten ist.<br />

5 Unternehmen in einem dynamischen Umfeld<br />

5.1 Finanzwirtschaftliche Herausforderungen<br />

schUlze-düllo erörtert in seinem Beitrag Auswirkungen der durch den Baseler Ausschuss<br />

für Bankenaufsicht erarbeiteten neuen Eigenkapitalrichtlinien – in Deutschland häufig<br />

Basel II genannt – und ihres Kernelements, der risikoorientierten Kreditvergabe, auf das<br />

landwirtschaftliche Kreditwesen. Er diskutiert ferner landwirtschaftliche Kreditrisiken<br />

und geht auf die Konzeption eines Kreditratings für die <strong>Landwirtschaft</strong> ein. Die generelle<br />

Skepsis gegen<strong>über</strong> Basel II, insbesondere auf Seiten der Kreditnehmer, hängt maßgeblich<br />

mit der bisher unzureichenden Kommunikationspolitik zu diesem Thema zusammen, obwohl<br />

Transparenz ein elementares Ziel von Basel II ist. Hinzu kommen Kreditzinserhöhungen<br />

und negative Kreditentscheide, die von Bankenseite fälschlicherweise mit Basel<br />

II-Effekten begründet werden. Alleiniger Grund hierfür sind der auch ohne Basel II bestehende<br />

Druck auf die Eigenkapitalrenditen bei kapitalmarktorientierten Banken und deren<br />

risikoaverseres Handeln im Kreditgeschäft. Durch eine gründliche und notwendige Vorbereitung<br />

beider Verhandlungsseiten beschleunigt sich der Kreditentscheidungsprozess<br />

und verbessert sich das Ergebnis für beide Seiten. Eine zuverlässige Schätzung der Ausfallwahrscheinlichkeit<br />

mit Hilfe eines Ratingsystems ist nur durch eine Kalibrierung der<br />

Parameter für das Kundensegment <strong>Landwirtschaft</strong> und eine sachgerechte Aufarbeitung der<br />

landwirtschaftlichen Kennzahlen möglich. Da die Berücksichtigung von Ausfallfaktoren<br />

und deren möglichen Risikoindikatoren unentbehrlich ist, hat der Autor eine Expertenbefragung<br />

durchgeführt, um die für landwirtschaftliche Kreditnehmer bedeutenden Ausfallrisiken<br />

zu identifizieren. Der Kreditnehmer kann mittels gezielter Eliminierung möglicher<br />

Risiken nicht nur sein Rating und damit den Kreditentscheid/-zins positiv beeinflussen,<br />

sondern auch die Betriebsstabilität erheblich verbessern. Durch die risikosensitivere Kreditzinsermittlung<br />

können die meisten landwirtschaftlichen Kreditnehmer, da sie mit guten<br />

Bonitäten und Sicherheiten ausgestattet sind, Einsparungen bei den Finanzierungskosten<br />

erzielen. Voraussetzung dafür ist eine gute, offene Zusammenarbeit mit qualifizierten Betreuern<br />

in Bank und Beratung.<br />

Vor dem Hintergrund der jüngsten EU-Agrarreform geht bahrs auf die in Zusammenhang<br />

mit der Einführung von Zahlungsansprüchen als völlig neuem und einzigartigem<br />

Wirtschaftsgut aufzuwerfende Frage nach der durch höchstrichterliche Finanzrechtsprechung<br />

sanktionierten Abspaltung immaterieller Wirtschaftsgüter vom Grund und Boden<br />

ein. Ausgelöst wurde diese Rechtsprechung durch die Implementierung von Milchlieferrechten<br />

1984 und den Verlust ihrer Flächenakzessorität 1993. Die Diskussion bezüglich<br />

der Abspaltungspotenziale von Buchwerten für Zahlungsansprüche vom Grund und Boden<br />

verdeutlicht mehrere Aspekte: Aufgrund der finanziell hohen Bedeutung dieser Möglichkeit<br />

werden die Finanzverwaltung und Finanzrechtsprechung nach Meinung des Autors in<br />

Zukunft gefordert sein. Je höher die Handelsintensität von Zahlungsansprüchen sein wird,<br />

desto bedeutender wird das Abspaltungsproblem. Die Konsequenz einer ex ante Abspaltung<br />

wären aus steuerrechtlicher Sicht nicht erwünschte Karussellgeschäfte mit negativen<br />

Effekten auf die Finanzhaushalte und einer Erhöhung der Reservationspreise für Zah-


Unternehmen im Agrarbereich vor neuen Herausforderungen<br />

305<br />

lungsansprüche gemäß dem steuerlichen Einsparpotenzial. Hauptprofiteure könnten entsprechend<br />

abstockende oder aufgebende Landwirte sein. Über die Fläche expandierende<br />

Landwirte wären potenzielle Verlierer einer solchen Regelung. Der Autor weist zusätzlich<br />

darauf hin, dass deutsche Landwirte bezüglich des Handels mit Zahlungsansprüchen<br />

nicht nur aus zivilrechtlicher Sicht verunsichert sein werden. Der Paradigmenwechsel im<br />

europäischen und nationalen Fördersystem der <strong>Landwirtschaft</strong> führt zusätzlich zu vielen<br />

potenziellen Fallstricken im Steuerrecht. Die Abspaltungstheorie ist dabei nur eine von<br />

mehreren steuerlich zu bewältigenden Herausforderungen. Daher ist der Finanzverwaltung<br />

zu empfehlen, präventiv Gesetzesanpassungen durchzuführen bzw. Richtlinien zu<br />

den vorab klärbaren Sachverhalten zu erlassen, bevor der Handel mit Zahlungsansprüchen<br />

einsetzt. Damit würde man den Steuerpflichtigen ein höheres Maß an Rechtssicherheit<br />

geben. Gleichzeitig sinkt die Gefahr, dass die Finanzverwaltung und -rechtsprechung zu<br />

späteren Zeitpunkten <strong>über</strong> Gebühr in Anspruch genommen werden.<br />

breUstedt und larson beschäftigen sich mit dem moral hazard-Problem bei Ernteversicherungen.<br />

Dazu testen sie empirisch einerseits eine multiple-peril crop insurance auf<br />

moral hazard und andererseits, ob solche Institutionen innerhalb der mexikanischen Fondos<br />

– Zusammenschlüsse von Landwirten zum Abschluss von Ernteversicherungen auf<br />

Gegenseitigkeit ausschließlich für Mitglieder der Versicherungsgemeinschaft – auch in<br />

der Realität moral hazard reduzieren. Die Autoren modellieren ein dynamisches stochastisches<br />

Kontrollproblem als moral hazard-Spiel und zeigen die optimale Reaktionsfunktion<br />

eines Landwirts bei Nichtkooperation bzw. bei Kooperation zwischen den Landwirten. Es<br />

wird aus theoretischer Sicht dargelegt, dass einige Institutionen des Systems einen Einfluss<br />

auf das Verhalten der Landwirte haben, Verluste zu vermeiden oder zu reduzieren.<br />

In der empirischen Analyse kann dann nachgewiesen werden, dass moral hazard im Versicherungssystem<br />

der multiple-peril crop insurance vorkommt, was hier zum ersten Mal<br />

als empirische Beweisführung gelingt, und dass die Institution des Fondos moral hazard<br />

reduzieren kann. Insofern könnte diese Art der Ernteversicherung als Blaupause für andere<br />

Entwicklungsländer dienen, um diese in die Lage zu setzen, effizient mit Ertragsrisiken<br />

umgehen zu können, Einkommensschwankungen der ländlichen Bevölkerung zu reduzieren<br />

und Kreditrisiken auszugleichen.<br />

5.2 Konsequenzen entkoppelter Direktzahlungen<br />

bahrs versucht die Fragen zu beantworten, welche Handelsarten und Handelsintensitäten<br />

sich im Zuge der Einführung entkoppelter Direktbeihilfen, die in Form personen- und produktionsungebundener,<br />

handelbarer Zahlungsansprüche gewährt werden, einstellen und<br />

insbesondere, welche Verhandlungslösungen (Preise) maßgeblich sein werden. Mit einem<br />

jährlichen Volumen von annähernd 5,5 Mrd. € haben die Auszahlungen der Zahlungsansprüche<br />

in Deutschland einen Gegenwartswert von weit mehr als 30 Mrd. €, wenn von<br />

einer Laufzeit bis mindestens 2013 ausgegangen wird. Allerdings wird nur ein kleiner Teil<br />

der Zahlungsansprüche tatsächlich gehandelt werden. Von einem Markt für Mengenanpasser<br />

wird zunächst nicht auszugehen sein. Eine Prognose von Preisen für Zahlungsansprüche<br />

wird sehr schwierig, zumal der Markt durch bilaterale Preisverhandlungen geprägt<br />

sein könnte, die nach außen nicht transparent sind. Der aufgezeigte axiomatische Lösungsansatz<br />

gemäß nash sowie die Focal Point Theory liefern weder einen angemessenen<br />

normativen Lösungsansatz noch ein ausreichendes Prognosepotenzial zukünftiger Handelspreise<br />

für Zahlungsansprüche. Allerdings zeigen sie die Probleme der zu erwartenden<br />

Verhandlungsprozesse auf. So kann sich der in der <strong>Landwirtschaft</strong> vielfach angewendete<br />

Halbteilungsgrundsatz, der auch durch die (symmetrische) Nash-Lösung sowie die Focal<br />

Point Theory widergespiegelt wird, in der Verhandlungspraxis als schwierig umsetzbar<br />

gestalten, solange keine vollkommene Information <strong>über</strong> die individuellen Rahmenbedin-


306 E. Bahrs, S. von Cramon-Taubadel, A. Spiller, L. Theuvsen, B. Voget und M. Zeller<br />

gungen des Handels mit Zahlungsansprüchen besteht. Verkäufer von Zahlungsansprüchen<br />

werden sich zu späteren Zeitpunkten wahrscheinlich mit vergleichsweise geringen Preisen<br />

abfinden müssen.<br />

hüttel, küpker, gocht, kleinhanss und oFFermann schätzen mit Hilfe des Modells<br />

FARMIS den Einfluss der GAP-Reform von 2003 auf den deutschen Agrarsektor ab. Zwei<br />

Umsetzungsszenarien werden berücksichtigt: ein Standardschema, das vollständig auf<br />

entkoppelten Direktzahlungen basiert, die aus betriebsindividuellen, historischen Referenzbeträgen<br />

abgeleitet werden (single farm payment, SFP), und die Variante, bei der die<br />

Zahlungsansprüche nach regionalen Durchschnitten errechnet werden (Regionalmodell,<br />

RM). Die Analyse zeigt, dass sich Faktorallokation und -angebot innerhalb der beiden<br />

Entkoppelungsszenarien gleich entwickeln. Allerdings gehen von beiden Szenarien unterschiedliche<br />

Einflüsse auf die Faktorpreisentwicklung aus. Ferner werden im RM-Modell<br />

Direktzahlungen umverteilt. Das hat zur Folge, dass Milch- und Rindfleischproduzenten in<br />

besonderer Weise von Einkommenseinbußen betroffen sind. Insofern gibt es in Bezug auf<br />

die Produktionszweige eine Abweichung zwischen den zwei Entkopplungsszenarien bei<br />

den jeweils prognostizierten Einkommenseffekten. Diese fallen allerdings bei der Betrachtung<br />

des Gesamtsektors nicht mehr ins Gewicht, denn hier sind die Einkommenseffekte<br />

nahezu identisch. Hinsichtlich der Preisentwicklung landwirtschaftlicher Vermögensgegenstände<br />

werden zwei Haupteffekte prognostiziert. Zum einen sinkt der Pachtpreis für<br />

Milchquote, was nicht auf die Art des Entkopplungsmodells, sondern vielmehr auf Preispolitikmaßnahmen<br />

in Verbindung mit der Entkopplung zurückzuführen ist. Zum anderen<br />

werden für das Regionalmodell konstante Pachtpreise für Ackerland und steigende Pachtpreise<br />

für Grünland vorausgesagt, während im Fall des SFP mit sinkenden Pachtpreisen<br />

zu rechnen ist. Steigende Landpreise behindern wachstumswillige Landwirte, sodass vor<br />

allem Investitionen in die Milcherzeugung gehemmt werden, denn die steigenden Pachtpreise<br />

für Grünland <strong>über</strong>kompensieren sinkende Quotenpreise.<br />

balkhaUsen, banse und grethe untersuchen die möglichen Effekte der Entkopplung<br />

auf die Flächenverteilung zwischen Grünland und Futterprodukten einerseits und anderen<br />

Anbaufrüchten andererseits. Zusätzlich analysieren sie die in unterschiedlichen Simulationsmodellen<br />

verwendeten Strukturen, die die simulierten Effekte einer Entkopplung auf<br />

die Verteilung zwischen Grandes Cultures- und Futterfläche beeinflussen. Dazu werden<br />

verschiedene Modelle im Hinblick auf die für die Simulation der Entkopplungseffekte<br />

relevanten Modellstrukturen miteinander verglichen. Der Mechanismus der Flächenallokation,<br />

die Modellierung der Verbindung zwischen tierischer und pflanzlicher Produktion<br />

sowie die Einbeziehung der Direktzahlungen in die Verhaltensfunktionen stehen im Vordergrund.<br />

Auf verschiedenen Simulationsmodellen basierende Analysen kommen einheitlich<br />

zu dem Ergebnis, dass die Getreide-, Silomais- und Stilllegungsflächen sowie die<br />

Wiederkäuerproduktion durch die Entkopplung der Direktzahlungen zurückgehen werden.<br />

In Bezug auf die Auswirkungen der Entkopplung auf die Ölsaaten- und Grünlandfläche<br />

hingegen lassen die Modellergebnisse keine eindeutigen Aussagen zu. Ein systematischer<br />

Einfluss von Modelltyp und Modellstruktur auf die Simulationsergebnisse kann nicht festgestellt<br />

werden. Es sind vielmehr die Annahmen bezüglich der Produktionswirkung von<br />

Direktzahlungen, die sich zwischen den Simulationsstudien unterscheiden und die Resultate<br />

stark beeinflussen.<br />

5.3 Unternehmenserfolg<br />

schmalen, kUnert und Weindlmaier geben einen systematischen Überblick <strong>über</strong> die<br />

methodische Vorgehensweise der Erfolgsfaktorenforschung. Zunächst werden die Leitidee<br />

und die Bedeutung der Erfolgsfaktorenforschung für die wissenschaftliche Praxis<br />

dargestellt. Das Ziel des Forschungsansatzes liegt darin, aus einer Fülle von möglichen


Unternehmen im Agrarbereich vor neuen Herausforderungen<br />

307<br />

Einflussgrößen diejenigen zu identifizieren, die maßgeblich zum Erfolg bzw. Misserfolg<br />

eines Untersuchungsobjektes (z. B. Produkt, Unternehmen) beitragen. Neben möglichen<br />

Untersuchungsobjekten erarbeiten die Autoren weiterhin Erfolgsmessgrößen sowie ein<br />

umfassendes Instrumentarium methodischer Ansätze zur Erfolgsfaktorenforschung. Aus<br />

den häufig auftretenden methodischen Defiziten werden wichtige Anforderungen an die<br />

Methodik der Erfolgsfaktorenforschung abgeleitet. Zwei Projekte aus der Ernährungsbranche<br />

zeigen schließlich auf, wie sich die methodischen Grundlagen und weiterführenden<br />

Überlegungen in wissenschaftliche und gleichzeitig anwendungsorientierte Forschungskonzepte<br />

<strong>über</strong>führen lassen. Zum einen werden die Erfolgsfaktoren mittelständischer<br />

Brauereien untersucht. Die Ergebnisse zeigen die Bedeutung der Unternehmensführung<br />

für deren Erfolg. Zum anderen werden Erfolgsfaktoren bei der Markteinführung von Produktinnovationen<br />

ermittelt. Dabei wird die gesamte Ernährungsindustrie berücksichtigt,<br />

allerdings liegt der Schwerpunkt auf der strategischen Gruppe der kleinen und mittelständischen<br />

Unternehmen (KMU), denn diese haben besondere Schwierigkeiten, ihre Produkte<br />

erfolgreich in den Regalen des Handels zu platzieren.<br />

ebneth zielt darauf ab, Unterschiede hinsichtlich Internationalisierung und finanzieller<br />

Performance verschiedener Molkereigenossenschaften zu ermitteln. Dazu stellt er eine<br />

Methode zur Messung des Internationalisierungsgrads (IG) vor und wendet diese auf<br />

ausgewählte genossenschaftliche Unternehmen an. Der Autor ermittelt durch Bilanzanalyse<br />

den Unternehmenserfolg der Genossenschaften und diskutiert, welche Unterschiede<br />

es im Hinblick auf Internationalisierung und unternehmerischen Erfolg zwischen deutschen<br />

und anderen europäischen Molkereigenossenschaften gibt. Unter den führenden<br />

Molkereigenossenschaften lassen sich erhebliche Divergenzen hinsichtlich Art und Ausmaß<br />

ihrer internationalen Geschäftstätigkeit konstatieren. Größere deutsche Genossenschaften<br />

zeigen dabei deutliche Wettbewerbsnachteile gegen<strong>über</strong> anderen europäischen<br />

Molkereiunternehmen. Gründe dafür sind einerseits der noch geringe Konzentrationsgrad<br />

innerhalb der deutschen Milchbranche, die schwache Wettbewerbsposition deutscher<br />

Genossenschaften sowie Spezifika der Corporate Governance in Genossenschaften. Die<br />

deutsche Molkereibranche wird daher zukünftig nicht umhin kommen, sich schneller als<br />

bisher zu konsolidieren und ihre strukturellen Probleme zu lösen. Bei einem Blick auf<br />

führende europäische Genossenschaften fällt auf, dass es die Erfolgreicheren frühzeitig<br />

verstanden haben, hohe Marktanteile in ihren jeweiligen Heimatmärkten zu gewinnen,<br />

um sich somit finanziellen Handlungsspielraum für weitere Internationalisierungsschritte<br />

zu schaffen. Vor großen strategischen Herausforderungen stehen vor allem die Kosten fokussierten<br />

großen deutschen Genossenschaften, die bisher weder eine reine Marken- noch<br />

eine reine Kostenführerschaftsstrategie realisieren konnten. Die Wahl letzterer Strategie<br />

fordert, Synergieeffekte zukünftig noch konsequenter zu nutzen und sich auf die Rolle<br />

eines schlanken Handelsmarken- und Industrieprodukte-Spezialisten zu konzentrieren. Da<br />

jedoch viele deutsche Genossenschaften alleine nicht die notwendige finanzielle Kraft zur<br />

Internationalisierung ihrer Aktivitäten besitzen, sind in der Zukunft weitere, auch grenz<strong>über</strong>schreitende<br />

Fusionen zu erwarten.<br />

UFFelmann und Weindlmaier konzentrieren sich in ihrem Beitrag auf die Potenziale<br />

zur Verbesserung der Wertschöpfungskette Fleisch hinsichtlich der Kriterien Produkt-<br />

sicherheit, Qualitätserhaltung sowie Kostenoptimierung. Am Beispiel der Schlachtung<br />

vergleichen sie die Kosten und die verfolgten Strategien der bayerischen Fleischwirtschaft<br />

mit jenen Dänemarks und der Niederlande. Die Autoren stellen die Ergebnisse einer empirischen<br />

Studie zur Umsetzung der Kriterien Produktsicherheit und Qualitätserhaltung im<br />

Fleischverarbeitungssektor vor, wozu die derzeit eingesetzten Verfahren in der Fleischgewinnung<br />

und Fleischverarbeitung hinsichtlich des Grades der Erfüllung der Kriterien evaluiert<br />

wurden. Darauf aufbauend untersuchen und vergleichen sie die Kosten für die Realisierung<br />

einer Umsetzung der in Rede stehenden Kriterien in bayerischen, dänischen und


308 E. Bahrs, S. von Cramon-Taubadel, A. Spiller, L. Theuvsen, B. Voget und M. Zeller<br />

niederländischen Betrieben. Die Ergebnisse zeigen, dass die bayerische Fleischwirtschaft<br />

sowohl hinsichtlich der Erfüllung der Kriterien Produktsicherheit und Qualitätserhaltung<br />

als auch hinsichtlich der Stückkosten erhebliche Nachteile aufweist. Als Strategien für<br />

den bayerischen und deutschen Fleischsektor kann abgeleitet werden, dass der Einsatz des<br />

strategischen Kostenmanagements eine Möglichkeit darstellt, die qualitätsbedingten Kosten-<br />

und Nutzenwirkungen bei der Planung explizit zu berücksichtigen. Schließlich gilt,<br />

dass die Perspektiven des Fleischverarbeitungssektors in Deutschland im Wesentlichen<br />

von der Erfüllung der Verbraucheranforderungen hinsichtlich Produktsicherheit und Qualitätserhaltung<br />

sowie von der Wettbewerbsfähigkeit hinsichtlich der Kosten abhängen.<br />

5.4 Agrarpolitik und Region<br />

In ihrem Beitrag quantifizieren mack, schaak und mann mit Hilfe des Schweizer Agrarsektormodells<br />

SILAS-dyn regionale und sektorale Auswirkungen einer EU-Mitgliedschaft<br />

für den Schweizer Agrarsektor im Jahre 2011. Sie vergleichen ein Alleingangsszenario<br />

mit zwei Integrationsszenarien, die das mögliche Preisspektrum im Jahr 2011 abdecken.<br />

Datengrundlagen für die Integrationsszenarien bilden Preisprognosen aus verschiedenen<br />

Modellen (CAPRI, FAPRI, GTAP, AGLINK). Die Reform der Schweizer <strong>Landwirtschaft</strong><br />

ist bis 2011 geprägt durch Preissenkungen, die nicht durch Direktzahlungserhöhungen<br />

kompensiert werden können. Die Modellrechnungen ergeben Einkommensverluste von<br />

bis zu 23 %. Im Beitrittsfall würde das landwirtschaftliche Einkommen des Schweizer<br />

Agrarsektors um bis zu 70 % zurückgehen. In der Bergregion würde die Nahrungsmittelproduktion<br />

zugunsten einer extensiven Bio-<strong>Landwirtschaft</strong> stark an Bedeutung verlieren.<br />

Diese Region würde allerdings bei einem EU-Beitritt durch Kostensenkungen und höhere<br />

Öko-Direktzahlungen weniger Einkommen als die Talregion verlieren. Die Berechnungen<br />

zeigen, dass die Schweizer <strong>Landwirtschaft</strong> im Falle eines Beitritts ihre Aktivitäten verstärkt<br />

auf die Vermarktung ihrer Produkte verlegen müsste, um die Einkommensverluste<br />

zu begrenzen. Die Steuerzahler und Konsumenten würden allerdings durch billigere Lebensmittel<br />

und geringere Steuerausgaben für die <strong>Landwirtschaft</strong> profitieren.<br />

hansen und harsche analysieren zwei Fragestellungen. Zum einen untersuchen sie,<br />

welche regionalen Auswirkungen die – bezogen auf einzelne Produkte – asymmetrische<br />

Agrarstützung der GAP hat. Dabei werden mit Hilfe eines Top-Down-Ansatzes die<br />

agrarpolitischen Bruttotransfers in Form des Producer Support Estimates (PSE) für die<br />

Bundesländer Deutschlands berechnet. Zum anderen zeigen die Autoren, welche Bestimmungsgründe<br />

die ungleiche EU-Agrarstützung einzelner Produkte hat. Hierfür werden<br />

basierend auf einer ökonometrischen Paneldatenanalyse relevante Einflussgrößen ermittelt.<br />

Die ungleiche Begünstigung landwirtschaftlicher Produkte führt zu einer heterogenen<br />

Verteilung der Bruttotransfers <strong>über</strong> Regionen. Aussagen dar<strong>über</strong>, ob die GAP mit dem<br />

Kohäsionsziel der EU konform ist, hängen von der Wahl des Indikators zur Messung<br />

regionaler Verteilungseffekte ab. Für Deutschland zeigt sich, dass die EU-Agrarstützung<br />

je Hektar nicht zu einem Abbau regionaler Disparitäten führt. Werden die agrarpolitisch<br />

induzierten Bruttotransfers dagegen je landwirtschaftlicher Arbeitskraft und je Betrieb<br />

berechnet, so wirkt die GAP sehr wohl in Richtung Kohäsion. Die in der EU-Agrar-<br />

reform 2003 beschlossene Entkopplung der Direktzahlungen von der Produktion erfolgt<br />

in Deutschland langfristig durch das Regionalmodell, wobei die Bundesländer bis auf die<br />

drei Stadtstaaten als einzelne Regionen gelten. Die Verteilung der Transferzahlungen <strong>über</strong><br />

die einzelnen Bundesländer bleibt weitestgehend bestehen. Innerhalb dieser sind jedoch<br />

vor dem Hintergrund erheblicher naturräumlicher bzw. produktionstechnologischer Unterschiede<br />

große Umverteilungseffekte zu erwarten. Die normative Bewertung einer derartigen<br />

intraregionalen Redistribution sollte sich in erster Linie an den agrar- bzw. regionalpolitischen<br />

Zielvorgaben orientieren. Im Hinblick auf die Determinanten der GAP lässt


Unternehmen im Agrarbereich vor neuen Herausforderungen<br />

309<br />

sich des Weiteren festhalten, dass die dargestellten Regressionsmodelle zweifellos dazu<br />

beitragen, bedeutsame Einflussgrößen für den Umfang der Agrarförderung zu identifizieren.<br />

Zu erwähnen sind insbesondere die Folgewirkungen, die von der relativen Bedeutsamkeit<br />

eines landwirtschaftlichen Produktionszweiges und von dessen komparativem<br />

Gewicht hinsichtlich der Importe in die EU ausgehen. Analoges gilt für agrarpolitische<br />

Reformkonzeptionen wie die GAP-Reform von 1992 und die Verhandlungsergebnisse der<br />

Uruguay-Runde. Diesbezüglich ist es von erheblichem Interesse, wie sich die für die GAP<br />

geplante weitgehende Umstellung auf entkoppelte Direktzahlungen auf das zukünftige<br />

Ausmaß der EU-Agrarstützung auswirken wird.<br />

lippert widmet sich den wesentlichen Inhalten der Neuen Wirtschaftsgeografie und<br />

ordnet sie mit Bezug zu den traditionellen wirtschaftstheoretischen Ansätzen ein, um ihren<br />

möglichen Beitrag zur Erklärung von räumlichen Konzentrationen im deutschen Agrarsektor<br />

zu untersuchen. Zu diesem Zweck <strong>über</strong>prüft er einige aus der Theorie abgeleitete<br />

Hypothesen mittels räumlicher Statistik bzw. anhand einer kurzen wirtschaftsgeschichtlichen<br />

Fallstudie zum Hopfenanbau. Die empirische Überprüfung mittels neuerer Methoden<br />

der räumlichen Statistik und aufgrund wirtschaftsgeschichtlicher Studien deutet auf<br />

eine Relevanz der Neuen Wirtschaftsgeografie auch für Teile des deutschen Agrarsektors<br />

hin. Wie der Autor anhand des Beispiels „Hopfen“ zeigt, können durch pfadabhängige<br />

Entwicklungen bedingte Agglomerationen auch im Agrarbereich anhaltenden wirtschaftlichen<br />

Erfolg ausmachen. Es scheint somit auch in Teilen des <strong>Landwirtschaft</strong>ssektors<br />

zu gelten: „History matters“. Trotz gezielter Förderpolitik dürften es allerdings häufig<br />

anfangs nicht erkennbare günstige Umstände, herausragende Unternehmerpersönlichkeiten<br />

oder schlicht Zufälle sein, die das Entstehen von Clustern bewirken. Der Erfolg<br />

strukturpolitischer Maßnahmen zur Clusterförderung ist damit nur schwer vorhersehbar.<br />

Räumliche Aspekte sowie Vor- und Nachteile von Konzentrationen sind Aspekte der<br />

Wirtschaftswissenschaften, die auch für die Agrarökonomie fruchtbar sein können, denn<br />

in Zeiten abnehmender Protektion und sinkender Transaktionskosten des internationalen<br />

Handels könnten Agglomerationseffekte für die Wettbewerbsfähigkeit des ‚Agrarstandorts<br />

Deutschland’ an Bedeutung gewinnen.<br />

5.5 Umweltökonomische Herausforderungen<br />

glebe analysiert Bezug nehmend auf die Multifunktionalitätsdiskussion die Wohlfahrtswirkungen<br />

von Handelsliberalisierung im Agrarsektor unter besonderer Berücksichtigung<br />

der positiven Umweltwirkungen der europäischen <strong>Landwirtschaft</strong>. Er zeigt mit Hilfe eines<br />

Handelsmodells mit partiellem Gleichgewicht, das aus zwei großen Ländern besteht, die<br />

mit einem homogenen landwirtschaftlichen Produkt handeln, dass Freihandel suboptimal<br />

ist, sofern keine Umweltpolitik implementiert ist, welche die multifunktionalen Aspekten<br />

der <strong>Landwirtschaft</strong> effizient internalisiert. Der Anreiz, eine Umweltpolitik einzuführen,<br />

wird jedoch durch den Abbau von Importzöllen erhöht. Obwohl eine durch Zollreduzierung<br />

herbeigeführte Umweltpolitik strategischen Handelsinteressen unterliegen mag, löst<br />

der Politikwechsel insgesamt eine Steigerung der Weltwohlfahrt aus.<br />

groth setzt sich in seinem Beitrag mit dem Einsatz von Ausschreibungen und der<br />

Ermittlung von Transaktionskosten der Landwirte in einem Konzept zur Honorierung ökologischer<br />

Leistungen der Agrarwirtschaft auseinander. Zur Weiterentwicklung und Verbesserung<br />

von Agrarumweltprogrammen wurde am Forschungs- und Studienzentrum <strong>Landwirtschaft</strong><br />

und Umwelt der Georg-August-Universität Göttingen ein ergebnisorientiertes<br />

Honorierungssystem für ökologische Leistungen der <strong>Landwirtschaft</strong> konzipiert, das sich<br />

grundlegend vom Status quo der Agrarumweltprogramme unterscheidet. Es ist ergebnisorientiert<br />

ausgerichtet, beinhaltet in Form eines Ausschreibungsverfahrens marktanaloge<br />

Elemente und ist unter Berücksichtigung des Subsidiaritätsprinzips regional verankert.


310<br />

E. Bahrs, S. von Cramon-Taubadel, A. Spiller, L. Theuvsen, B. Voget und M. Zeller<br />

Daher hat es das Potenzial, eine ökonomisch effiziente, ökologisch effektive und gesellschaftlich<br />

legitimierte institutionelle Neuerung in der zukünftigen Agrarumweltpolitik<br />

darzustellen. Im Rahmen der aktuellen Umsetzungsphase, die im Januar 2004 begann,<br />

wurden bislang das erste Ausschreibungsverfahren und zwei schriftliche Befragungen von<br />

Landwirten in der Modellregion durchgeführt, deren Ergebnisse für einen erfolgreichen<br />

praktischen Einsatz von Ausschreibungen in ihrer vom Autor zu Grunde gelegten Ausgestaltung<br />

sprechen.<br />

hartmann, hediger, peter und lehmann untersuchen mit Hilfe eines integrierten Allokationsmodells,<br />

welchen Beitrag die <strong>Landwirtschaft</strong> bis zum Jahr 2010 bei Fortführung<br />

der gegenwärtigen Agrarpolitik und zusätzlich mit gezielten Anreizen zur Klimapolitik<br />

leisten kann. Bei diesem Modell handelt es sich um ein lineares Optimierungsmodell<br />

mit einer rekursiven Verknüpfung dynamisch-ökonomischer Komponenten zur Abbildung<br />

der Strukturkosten und damit der Pfadabhängigkeit des Systems. Mit dem Modell wurde<br />

das gesamte landwirtschaftliche Einkommen (Arbeitseinkommen und Landrenten) für das<br />

<strong>Landwirtschaft</strong>ssystem Schweiz maximiert, d. h. die gesamte <strong>Landwirtschaft</strong> wird als ein<br />

gesamthaftes Unternehmen betrachtet. Die <strong>Landwirtschaft</strong> in der Schweiz hat seit 1990<br />

gut 10 % ihrer Treibhausgas-Emissionen reduziert und somit einen Beitrag von ca. 14 %<br />

zur Erreichung der Kyoto-Verpflichtung der Schweiz geleistet. Diese Reduktionen beruhen<br />

jedoch nicht auf klimapolitischen Maßnahmen, sondern auf einer Veränderung der<br />

agrarpolitischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Die Autoren können zeigen,<br />

dass die <strong>Landwirtschaft</strong> einen wesentlichen Beitrag zu weiteren Treibhausgas-Reduktionen<br />

beisteuern kann. Der anreizinduzierte Anteil ist allerdings, verglichen mit den gesamten<br />

Reduktionsverpflichtungen der Schweiz nach dem Kyoto-Protokoll, als eher gering einzustufen<br />

bei vergleichsweise hohen zu erwartenden Vermeidungs- und Monitoring-Kosten.<br />

Das legt aus volkswirtschaftlicher Sicht den Schluss nahe, auf weiterführende Maßnahmen<br />

durch die <strong>Landwirtschaft</strong> zu verzichten.<br />

6 Finanzierung der EU-Agrarpolitik<br />

Thema der Plenarveranstaltung am Ende der Tagung ist die Frage gewesen: „Wie viel<br />

darf uns die EU-Agrarpolitik kosten?“ Wille betont in seinem Eingangsstatement, dass<br />

die Organisation for Economic Cooperation and Developememt (OECD) und die WTO<br />

Wegbereiter für die marktorientierte Neuausrichtung der Agrarpolitik in den Industrieländern<br />

gewesen sind. Laut OECD müssten die zukünftigen Bemühungen der EU sich auf<br />

die Verbesserung des multilateralen Marktzugangs sowie die Fortsetzung des Umbaus zu<br />

zielgenaueren und weniger produktions- und handelsverzerrenden Stützungsformen unter<br />

Einbeziehung der Sektoren Milch und Zucker konzentrieren. Die vormalige rot-grüne<br />

Bundesregierung habe mit der Agenda 2000 und der Entkoppelungs-Agrarreform von<br />

2003 den Weg der WTO-konformen Reform der europäischen Agrarpolitik nachhaltig<br />

unterstützt. Im Inland habe sie dafür – vorsichtig ausgedrückt – nur begrenzt Unterstützung<br />

von Opposition und Deutschem Bauernverband erhalten. Eine neue Bundesregierung<br />

werde, in welcher Zusammensetzung auch immer, den Weg einer marktorientierten<br />

Agrarpolitik und den Umbau zu einer WTO-konformen Stützung fortsetzen und in der<br />

EU-Agrarpolitik werde es keinen „grundlegenden Richtungswechsel“ geben, denn mit der<br />

Agrarreform von 2003 habe sich die EU damit endgültig von der „Gemeinschaftspräferenz“<br />

und damit dem protektionistischen Geburtsfehler ihrer Agrarpolitik verabschiedet.<br />

Die neue Bundesregierung, führt Wille weiter aus, stehe vor dem Entscheidungsproblem<br />

zwischen striktem Sparkurs und Verteidigung des EU-Agrarkompromisses. Sobald das<br />

Agrarpaket aufgeschnürt würde, könne mit einem neuen Verhandlungspoker gerechnet<br />

werden, und es würden wahrscheinlich zwei Grundsatzfragen auf den Verhandlungstisch


Unternehmen im Agrarbereich vor neuen Herausforderungen<br />

311<br />

gelegt werden: die Kofinanzierung in der Ersten Säule und damit verbunden die Trennung<br />

des EU-Agrarhaushalts in eine Erste und Zweite Säule.<br />

Unabhängig von der Kernfrage der langfristigen Finanzierung müsse ständig nachgefragt<br />

werden, wie sinnvoll eigentlich die Agrarreform von 2003 gewesen ist und vor allem,<br />

wie sie in den Mitgliedstaaten implementiert werde. Wegen unterschiedlicher Umsetzung<br />

der Entkoppelung und abweichender Anwendung der Cross-Compliance-Regelung könne<br />

sich bald herausstellen, dass es nur noch wenige Gemeinsamkeiten in der EU-Agrarpolitik<br />

gebe. Deshalb sei es sinnvoll, die Implementierung der entkoppelten Agrarpolitik möglichst<br />

schnell (2008/09) einer Zwischenbewertung zu unterziehen. Es sei ferner schwer<br />

vorstellbar, dass in der ländlichen Entwicklungspolitik in Deutschland die Zuständigkeiten<br />

für die Durchführung und Finanzierung vollständig auf die Länder <strong>über</strong>tragen werden.<br />

Dann müssten nämlich die Länder alleine tragen, was der Bund in Brüssel beschließt, z. B.<br />

den Ausbau der kofinanzierten Zweiten Säule oder gar die Einführung einer generellen<br />

Kofinanzierung der EU-Agrarpolitik. Schon jetzt seien den Ländern mit der Umsetzung<br />

der entkoppelten Agrarpolitik hohe Lasten und (Anlastungs-) Risiken aufgebürdet worden.<br />

Und <strong>über</strong> die Cross-Compliance-Regelung hat der Bund die Möglichkeit, immer<br />

stärker in die Gestaltung der ländlichen Entwicklungspolitik einzugreifen. Wille zieht als<br />

Fazit, dass die neue Bundesregierung in der Agrar- und ländlichen Entwicklungspolitik<br />

die Aufgabenverteilung zwischen EU, Bund und Ländern neu regeln müsse. Die Frage,<br />

wie viel die Agrarpolitik kosten soll und darf, werde allerdings weder von Agrarpolitikern<br />

noch von Agrarwissenschaftlern entschieden. Es ist eine politische Frage, die von der<br />

neuen Bundesregierung bald zu beantworten sein wird.<br />

hermes und hemmerling kommentierten aus der Perspektive des Bundesministeriums<br />

der Finanzen, Referat für Europäische Agrarpolitik, und des Deutschen Bauernverbandes<br />

das Eröffnungsstatement von Wille und bezogen ihrerseits Stellung zu der Frage, in welchem<br />

Umfang finanzielle Ressourcen für die EU-Agrarpolitik eingesetzt werden sollen.<br />

Naturgemäß wurden die verschiedenen Sichtweisen sehr wesentlich durch die unterschiedlichen<br />

Interessenlagen beeinflusst, sodass sich unter Einbeziehung der Tagungsteilnehmer<br />

ein lebhaftes Streitgespräch zum Thema der Diskussionsveranstaltung entspann. Dabei<br />

wurde unter den anwesenden Wissenschaftlern eine eher kritische Einschätzung der gegenwärtigen<br />

Förderpraxis deutlich.<br />

Abschließend gilt es noch, die beiden Beiträge, die im Rahmen der Konferenz mit einer<br />

Best Paper-Prämierung ausgezeichnet worden sind, gesondert zu würdigen.<br />

hinrichs, mUsshoFF und odening befassen sich mit „Ökonomischer Hysterese in der<br />

Deutschen Veredelungsproduktion“. Ausgehend von den Beobachtungen, dass<br />

● die Veredelungsproduktion in Deutschland nur verhalten auf die erheblichen Preisschwankungen<br />

des Schweinemarktes reagiert,<br />

● die Erzeugung von Mastschweinen im Zeitablauf relativ konstant und dar<strong>über</strong> hinaus<br />

sehr ungleichmäßig im Raum verteilt ist,<br />

●<br />

die Rahmenbedingungen für Investitionsentscheidungen in der Veredelungsproduktion<br />

durch relativ hohe Marktrisiken, versunkene Kosten und Flexibilität des Entscheiders<br />

bezüglich des Durchführungszeitpunkts von Kapazitätsentscheidungen gekennzeichnet<br />

sind,<br />

halten es die Autoren für gerechtfertigt, die Realoptionstheorie als Erklärungsansatz für<br />

das von ihnen identifizierte Beharrungsvermögen heranzuziehen. Auf der Basis einzelbetrieblicher<br />

Paneldaten von spezialisierten Veredelungsbetrieben aus dem Testbetriebsnetz<br />

des Ministeriums schätzen hinrichs, mUsshoFF und odening ein Investitionsmodell und<br />

testen das Vorliegen ökonomischer Hysterese. Ihre Ergebnisse zeigen, dass sich Unsicherheit<br />

und Flexibilität hemmend auf die Investitions- und Desinvestitionsaktivität auswirken.


312 E. Bahrs, S. von Cramon-Taubadel, A. Spiller, L. Theuvsen, B. Voget und M. Zeller<br />

Jonas und rosen analysieren mittels einer zweistufigen Schätzung die Nachfrage nach<br />

ökologischer Milch auf Basis von Haushaltspaneldaten Weil der Marktanteil von Bioprodukten<br />

im Lebensmitteleinzelhandel in den vergangen Jahren stetig gewachsen ist, Biohandelsmarken<br />

im LEH beim Absatz von Bioprodukten immer bedeutender werden, aber<br />

es gleichzeitig nur wenige Studien gibt, die die Nachfrage nach ökologischen Produkten<br />

anhand von Haushaltspaneldaten analysieren, versuchen die Autoren mit ihrer Untersuchung,<br />

diese Lücke zu schließen. Die Ergebnisse zeigen eine Ausgabenelastizität von eins<br />

für die Milchnachfrage, und dass sich der Ausgabenanteil für alle Milchproduktgruppen<br />

mit dem Alter der haushaltsführenden Person ändert. Zusätzlich bestätigt die Studie, dass<br />

der Konsum ökologischer Milch mit wachsendem Einkommen steigt, was bereits durch<br />

Verbraucherbefragungen offen gelegt werden konnte. Der vergleichsweise hohe Wert der<br />

geschätzten Preiselastizität für ökologische Handelsmarkenmilch interpretieren Jonas und<br />

rosen als Zeichen für einen starken Wettbewerb im LEH, in dem sich auch die Handelsmarken<br />

für Biomilch behaupten müssen.<br />

Zusammenfassung<br />

Der Beitrag gibt einen zusammenfassenden Überblick <strong>über</strong> vier Vorträge, 45 Referate und eine<br />

abschließende Plenarveranstaltung der 45. Jahrestagung der Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften<br />

des Landbaues e. V., die vom 5. Oktober bis zum 7. Oktober 2005 in Göttingen<br />

stattfand. Die Tagung stand unter dem Rahmenthema „Unternehmen im Agrarbereich vor neuen<br />

Herausforderungen“ und versuchte aus agrarökonomischer Perspektive Antworten zu geben auf die<br />

Frage nach Strategien, mit denen Unternehmen des Agrarsektors auf jene Herausforderungen reagieren,<br />

die aus vielgestaltigem Anpassungsdruck einerseits und durch Globalisierungsprozesse sich<br />

erweiternden Möglichkeiten wirtschaftlicher Betätigung andererseits entstehen. Die Beiträge befassten<br />

sich im Einzelnen mit den Schwerpunktbereichen der aktuellen Entwicklungen im Agrarsektor,<br />

Markt und Politik, Produzenten und Konsumenten in Agrarsektor und Gesellschaft, Unternehmen in<br />

einem dynamischen Umfeld sowie der Finanzierung der EU-Agrarpolitik.<br />

Summary<br />

Enterprises in the Agri-Rural Sector Facing New Challenges<br />

– Report on the 45 th Annual Meeting of the Society for Economic and Social Sciences<br />

in Agriculture (GEWISOLA) in Göttingen in 2005 –<br />

This article provides a general résumé of four plenary speeches, 45 presentations and a final panel discussion<br />

held at the 45 th annual meeting of the Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften<br />

des Landbaues e. V. (Society for Economic and Social Sciences in Agriculture) (GEWISOLA), that<br />

took place in Göttingen from October 5 th to 7 th , 2005. The conference topic was: ‘Enterprises in the<br />

Agri-Rural Sector Facing New Challenges’. From an agricultural economic perspective, the attempt<br />

was made to give answers to questions concerning strategies chosen by agricultural and rural enterprises<br />

to cope with challenges resulting from diverse pressures to adjust as well as to respond to<br />

increasing opportunities opened up by globalisation. The individual contributions focused on the<br />

following priority areas: current developments in the agricultural sector, markets and policies, producers<br />

and consumers in the agricultural sector and in society, enterprises in a dynamic environment<br />

and, last but not least, the financing of the agricultural policy of the EU.<br />

Résumé<br />

Les entreprises du secteur agricole face à de nouveaux défis<br />

– Rapport de la 45 ème réunion annuelle de la Société de sciences économiques<br />

et sociales de l’agriculture (GEWISOLA) en 2005 à Göttingen –<br />

Le rapport donne un résumé des quatre présentations, 45 exposés ainsi que de la session de clôture<br />

de la 45ème réunion annuelle de la Gesellschaft für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften des Landbaues<br />

e. V. (Société de sciences économique et social de l’agriculture) organisée du 5 au 7 octobre<br />

2005 à Göttingen et placée sous le thème « Les entreprises du secteur agricole face à de nouveaux<br />

défis ». Du point de vue de l’économie agricole, les participants ont essayé de trouver des réponses<br />

sur la question à savoir quelles sont les stratégies choisies par les entreprises du secteur agricole


Unternehmen im Agrarbereich vor neuen Herausforderungen<br />

313<br />

pour réagir à ces défis résultant d’une part de diverses nécessités d’adaptation et d’autre part de<br />

l’élargissement des possibilités d’activités économiques dans le contexte des processus de mondialisation.<br />

Les interventions individuelles ont traité les sujets suivants : les évolutions actuelles dans<br />

le secteur agricole, le marché et la politique, les producteurs et les consommateurs dans le secteur<br />

agricole et dans la société, les entreprises dans un environnement dynamique, le financement de la<br />

politique agricole européenne.<br />

Autorenanschrift: Prof. Dr. enno bahrs, Prof. Dr. stephan von cramon-taUbadel, Prof.<br />

Dr. achim spiller, Prof. Dr. lUdWig theUvsen, bernhard g. voget,<br />

Georg-August-Universität Göttingen, Department für Agrarökonomie und Rurale<br />

Entwicklung, Platz der Göttinger Sieben 5, D-37073 Göttingen,<br />

Deutschland<br />

EBahrs@gwdg.de; SCramon@gwdg.de; A.Spiller@agr.uni-goettingen.de;<br />

Theuvsen@uni-goettingen.de; BVoget@gwdg.de<br />

Prof. Dr. manFred zeller, Universität Hohenheim, Fakultät Agrarwissen-<br />

schaften, D-70593 Stuttgart, Deutschland<br />

Manfred.Zeller@uni-hohenheim.de


314<br />

Faustzahlen für die <strong>Landwirtschaft</strong>.<br />

2005, 13. Auflage, 1129 S., 25 €, ISBN<br />

3-7843-2194-1, Best.-Nr. 19482 – Bestelladresse:<br />

KTBL-Schriftenvertrieb<br />

im <strong>Landwirtschaft</strong>sverlag GmbH, 48084<br />

Münster-Hiltrup, (Tel.: 02501/801-300,<br />

Fax: 02501/801-351), E-Mail: service@lv-h.de<br />

und KTBL, Bartningstr.<br />

49, 64289 Darmstadt Tel. 06151/7001-<br />

189, Fax: 06151/7001-123, E-Mail:<br />

vertrieb@ktbl.de<br />

Seit 1941 sind die „Faustzahlen für <strong>Landwirtschaft</strong><br />

und Gartenbau“ eines der bekanntesten<br />

und wichtigsten Standardwerke für produktionstechnische,<br />

betriebswirtschaftliche und unternehmerische<br />

Kenndaten für die <strong>Landwirtschaft</strong><br />

im deutschsprachigen Raum. Die Herausgabe<br />

der 12. Auflage der Faustzahlen durch die Hydro<br />

Agri Dülmen GmbH (heute YARA GmbH &<br />

Co.KG, Dülmen) liegt nunmehr 12 Jahre zurück.<br />

In dieser Zeit haben sich massive Veränderungen<br />

in der <strong>Landwirtschaft</strong> vollzogen.<br />

Die nun völlig neu bearbeitete 13. Auflage<br />

des Taschenbuches „Faustzahlen für die <strong>Landwirtschaft</strong>“<br />

entstand in Zusammenarbeit der<br />

YARA GmbH & Co. kg und des KTBL e. V.,<br />

Darmstadt.<br />

Auf 1100 Seiten beinhalten die Faustzahlen<br />

die wichtigsten Daten und Fakten zur landwirtschaftlichen<br />

Erzeugung und zum Freilandgartenbau,<br />

zusammengetragen von <strong>über</strong> 80 Autoren. Erweitert<br />

wurde das Buch um neue Themenbereiche;<br />

besonders zu erwähnen sind hier die Erneuerbaren<br />

Energien und der Ökologische Landbau.<br />

Strukturierte Tabellen, <strong>über</strong>sichtlich gestaltete<br />

Grafiken sowie kurze Texte ermöglichen es,<br />

zügig einen Überblick <strong>über</strong> die verschiedenen<br />

Themenbereiche zu bekommen.<br />

Mit diesem Nachschlagewerk werden nicht<br />

nur Landwirten, Auszubildenden, Ausbildern, Beratern,<br />

Gutachtern und Wissenschaftlern landwirtschaftlicher<br />

Fachrichtungen komprimierte Informationen<br />

und fundiertes Fachwissen vermittelt,<br />

auch Agrarindustrieunternehmen, politische Entscheidungsträger,<br />

Genehmigungsbehörden und<br />

Kommunen im ländlichen Raum erhalten damit<br />

einen Ratgeber für praxisnahe Fragestellungen.<br />

ktbl<br />

KTBL-Schrift 443: <strong>Landwirtschaft</strong>liche<br />

Wege. 2005, 126 S., 22 €, ISBN 3-<br />

7843-2191-7, Best.-Nr 11443 – Bestelladresse:<br />

KTBL-Schriftenvertrieb im<br />

Bücherschau<br />

<strong>Landwirtschaft</strong>sverlag GmbH, 48084<br />

Münster-Hiltrup, (Tel.: 02501/801-300,<br />

Fax: 02501/801-351), E-Mail: service@<br />

lv-h.de<br />

<strong>Landwirtschaft</strong>liche Wege sind ein wesentlicher<br />

Bestandteil der Infrastruktur der ländlichen<br />

Räume. Dabei dienen sie schon längst nicht<br />

mehr allein der Erschließung landwirtschaftlich<br />

genutzter Grundstücke und Gebäude. Vielmehr<br />

haben sich einhergehend mit der Funktionserweiterung<br />

der ländlichen Räume insgesamt auch<br />

die Aufgaben landwirtschaftlicher Wege zu einer<br />

echten Multifunktionalität hin erweitert. Der<br />

Kreis der Nutzer ist damit gewachsen und die<br />

Ansprüche an die Wege sind weiter geworden.<br />

Aus dem Bedeutungszuwachs der landwirtschaftlichen<br />

Wege aufgrund ihrer zunehmenden<br />

multifunktionalen Bestimmung und der neuen<br />

Anforderungen, die an sie gestellt werden, sind<br />

zukunftsweisende Wegekonzepte zu entwickeln,<br />

die neben der Beachtung technischer, ökonomisch-ökologischer<br />

und rechtlicher Aspekte<br />

auch Finanzierungs- bzw. Förderkonzepte enthalten.<br />

Die interdisziplinär zusammengesetzte Arbeitsgruppe<br />

„<strong>Landwirtschaft</strong>liche Wege“ des<br />

Kuratoriums für Technik und Bauwesen in der<br />

<strong>Landwirtschaft</strong> e. V. (KTBL) hat sich dieser Thematik<br />

angenommen und in dieser Schrift den<br />

Stand des Wissens zusammengetragen. Die vielfältigen<br />

Betrachtungsweisen der KTBL-Schrift<br />

tragen zu einem besseren Verständnis, aber auch<br />

zu einer tieferen Kenntnis dieser komplexen<br />

Materie bei. Die Ausführungen wenden sich<br />

hauptsächlich an Kommunen und andere Wegbetreiber.<br />

Aber auch Landwirte, landwirtschaftliche<br />

Berater und andere Betroffene finden hier<br />

Antworten und Anregungen zu ausgewählten<br />

Fragestellungen.<br />

ktbl<br />

KTBL-Heft 053: Clevere Landwirte geben<br />

Gas. Musterlösungen für landwirtschaftliche<br />

Biogasanlagen. 2005, 40 S.,<br />

8 €, Best.-Nr. 40053 – Bestelladresse:<br />

Kuratorium für Technik und Bauwesen<br />

in der <strong>Landwirtschaft</strong> e. V. (KTBL),<br />

Bartningstr. 49, 64289 Darmstadt; Tel.<br />

06151/7001-189, Fax: 06151/7001-123,<br />

E-Mail: vertrieb@ktbl.de


Die Energieerzeugung aus Biogas stellt für<br />

viele landwirtschaftliche Betriebe eine potenzielle<br />

zusätzliche Einkommensquelle dar. Die<br />

Erfahrungen aus der landwirtschaftlichen Produktion,<br />

z. B. bei der Ernte, der Bereitstellung<br />

von qualitativ hochwertigen Substraten und dem<br />

betrieblichen Management, prädestinieren im<br />

Besonderen landwirtschaftliche Betriebsleiter<br />

zur Umsetzung und Integration eines Biogasanlagenkonzeptes<br />

in ihren Betrieb.<br />

In der KTBL-Broschüre werden die Preisträger<br />

des vom KTBL im Auftrag des Bundesministeriums<br />

für Verbraucherschutz, Ernährung<br />

und <strong>Landwirtschaft</strong> (BMVEL) durchgeführten<br />

Modellvorhabens 2004/2005 „Musterlösungen<br />

für umweltgerechte und wirtschaftliche Energieerzeugung<br />

mit landwirtschaftlichen Biogasanlagen“<br />

vorgestellt. Die Anlagen wurden in einem<br />

bundesweiten Ausschreibungsverfahren ausgewählt,<br />

an dem sich insgesamt 41 Betreiber und<br />

Planer von landwirtschaftlichen Biogasanlagen<br />

beteiligt haben. Beurteilungskriterien waren<br />

–<br />

–<br />

–<br />

Arbeitswirtschaft und Ökonomie,<br />

bauliche und technische Ausstattung sowie<br />

Prozessstabilität und<br />

Gesundheitsvorsorge und Landschaftsschutz.<br />

Die fünf ausgezeichneten Anlagenkonzepte<br />

haben diese Anforderungen in hohem Maße<br />

erfüllt. Sie zeigen vorteilhafte Lösungen aus unterschiedlichen<br />

Bereichen der Biogaserzeugung,<br />

von denen sowohl zukünftige als auch bereits<br />

praktizierende Betreiber, aber auch Behördenvertreter,<br />

Planer und Hersteller lernen können.<br />

ktbl<br />

KTBL-Schrift 441: Aktuelle Arbeiten<br />

zur artgemäßen Tierhaltung 2005,<br />

37. Tagung „Angewandte Ethologie bei<br />

Nutztieren“ der DVG, 2005, 286 S.,<br />

20 €, ISBN 3-7843-2189-5, Best.-Nr<br />

11441 – Bestelladresse: KTBL-Schriftenvertrieb<br />

im <strong>Landwirtschaft</strong>sverlag<br />

GmbH, 48084 Münster-Hiltrup, (Tel.:<br />

02501/801-300, Fax: 02501/801-351),<br />

E-Mail: service@lv-h.de und KTBL,<br />

Bartningstr. 49, 64289 Darmstadt Tel.<br />

06151/7001-189, Fax: 06151/7001-123,<br />

E-Mail: vertrieb@ktbl.de<br />

Zum nunmehr 37-ten Mal fand im November<br />

2005 die Internationale Tagung Angewandte<br />

Ethologie der Deutschen Veterinärmedizinischen<br />

Gesellschaft statt. Im traditionellen<br />

Veranstaltungsort Freiburg im Breisgau wurden<br />

einmal mehr die neuesten wissenschaftlichen<br />

Erkenntnisse zur Ethologie von Heim- und Versuchstieren<br />

vorgestellt.<br />

Bücherschau<br />

315<br />

Im Themenkomplex „Kognition und Befindlichkeiten“<br />

wurden hauptsächlich die<br />

Gegebenheiten der modernen Schweinehaltung<br />

untersucht. Untersuchungen im Bereich der<br />

Rinderhaltung wie beispielsweise die Trennung<br />

und Entwöhnung in der Mutter gebundenen<br />

Kälberaufzucht bei Milchvieh rundeten das<br />

Thema ab.<br />

Im zweiten Themenblock wurden Studien zu<br />

Verhaltenstests bei Nutz- und Heimtieren unter<br />

besonderer Berücksichtigung von Mastgeflügel<br />

wie Puten und Enten vorgestellt. Ein Vortrag<br />

beschäftigte sich mit dem Wohlbefinden von<br />

Straußen unter winterlichen Bedingungen in<br />

Deutschland.<br />

Der extensiven Tierhaltung wurde der letzte<br />

Themenblock gewidmet. Ein besonderes Augenmerk<br />

wurde hier auf die Grenzen der ganzjährigen<br />

Freilandhaltung gelegt.<br />

Hinzu kommt eine Fülle von Themen, die<br />

dem besseren Verständnis der Bedürfnisse und<br />

der artgerechten Haltung gehaltener Tiere dienen.<br />

Ihrer wirtschaftlichen Bedeutung entsprechend<br />

stehen Rinder, Schweine und Hühner im<br />

Vordergrund, doch kommen auch Heimtiere<br />

nicht zu kurz.<br />

Erstmals wurden verschiedene Versuchsergebnisse<br />

und Fragestellungen auch anhand einer<br />

Posterpräsentation verdeutlicht. Alle Referate<br />

und die mit Postern behandelten Fragestellungen<br />

sind in der KTBL-Schrift wiedergegeben.<br />

ktbl<br />

norbert Fröba und mathias FUnk, Dieselkraftstoffbedarf<br />

bei landwirtschaftlichen<br />

Arbeiten. 2005, 32 S.,<br />

5 €, Best.-Nr. 40058 – Bestelladresse:<br />

Kuratorium für Technik und Bauwesen<br />

in der <strong>Landwirtschaft</strong> e. V. (KTBL),<br />

Bartningstr. 49, 64289 Darmstadt; Tel.<br />

06151/7001-189, Fax: 06151/7001-123,<br />

E-Mail: vertrieb@ktbl.de<br />

Die Kenntnis des Dieselbedarfs der einzelnen<br />

landwirtschaftlichen Maschinen bietet die<br />

Chance, den Energieeinsatz in der Produktion<br />

landwirtschaftlicher Güter zu verringern. Aber<br />

auch vor dem Hintergrund der ab 2005 gültigen<br />

Änderungen des Agrardieselgesetzes sind<br />

Dieselbedarfswerte von großem Nutzen, da im<br />

Antrag für die Mineralölsteuervergütung für<br />

Arbeiten, die zum Beispiel von einem Lohnunternehmen<br />

durchgeführt wurden, die tatsächlich<br />

verbrauchte Dieselmenge anzugeben ist.<br />

Das KTBL hat deshalb ein Kompendium des<br />

Dieselbedarfs bei landwirtschaftlichen Arbeiten<br />

zusammengestellt. Für die Arbeitsgänge von der<br />

Bodenbearbeitung bis zur Ernte und zu Ladearbeiten<br />

auf dem Hof sind typische Maschinen und


316 Bücherschau<br />

Maschinenkombinationen zusammengestellt.<br />

Für diese wird der Dieselbedarf in Abhängigkeit<br />

von der Schlaggröße und weiteren Einflussgrößen,<br />

etwa der Ausbringmenge, der Erntemenge<br />

oder des Bodenbearbeitungswiderstandes, in Liter<br />

je Hektar ausgewiesen. Der Dieselbedarf ist<br />

dabei nach dem sehr exakten teilzeitspezifischen<br />

Kalkulationsmodell ermittelt, in dem die von der<br />

Schlaggröße abhängigen Verbrauchsanteile für<br />

zum Beispiel Wendungen am Feldende berücksichtigt<br />

werden.<br />

In diesem Heft können alle, die sich für den<br />

Dieselbedarf bei landwirtschaftlichen Arbeiten<br />

interessieren, schnell die benötigten Bedarfswerte<br />

nachschlagen. Ein kurzer Überblick <strong>über</strong><br />

die aktuellen Gesetzesänderungen rundet die<br />

Veröffentlichung ab.<br />

Dieselbedarfsrechner online:<br />

Für die, die es genau wissen wollen, hat das<br />

KTBL einen Dieselbedarfsrechner entwickelt.<br />

Mit diesem Rechner können Sie (Landwirt, Maschinengemeinschaft,<br />

Lohnunternehmer, Maschinering,…)<br />

den Dieselbedarf für nahezu alle<br />

Feldarbeiten berechnen.<br />

Ausgangspunkt für die Berechnung ist das<br />

Arbeitsverfahren. Nach Auswahl der relevanten<br />

Maschinekombination können Sie dann Parzellengröße,<br />

Hof-Feld- Entfernung und wenn<br />

benötigt auch die Ernte- bzw. Ausbringmenge<br />

individuell eingeben. Bei vielen Verfahren ist<br />

auch der Bodenbearbeitungswiderstand (leicht,<br />

mittel, schwer) zu variieren.<br />

Als Ergebnis erhalten Sie den Dieselbedarf<br />

pro Hektar, und pro Parzelle für die jeweiligen<br />

Teilarbeiten. Die Ergebnisse können Sie ausdrucken<br />

oder in Excel <strong>über</strong>nehmen.<br />

Den KTBL- Dieselbedarfsrechner finden Sie<br />

unter: www.ktbl.de/dieselbedarf Der Preis beträgt<br />

1,50€ für eine Sitzung von bis zu 3 Stunden.<br />

ktbl<br />

Brennpunkt Energie–Reduktion von Energiekosten<br />

im Gartenbau. Beiträge<br />

der IPM-Lehrschau 2006 vom 2. – 5.<br />

Februar 2006 in Essen. 2006, 64 S., 8 €,<br />

ISBN 3-939371-01-7, Best.-Nr. 40056 –<br />

Bestelladresse: Kuratorium für Technik<br />

und Bauwesen in der <strong>Landwirtschaft</strong><br />

e. V. (KTBL), Bartningstr. 49, 64289<br />

Darmstadt; Tel. 06151/7001-189, Fax:<br />

06151/7001-123, E-Mail: vertrieb@<br />

ktbl.de<br />

Die Heizkosten für Gewächshäuser stellen einen<br />

wichtigen Kostenfaktor der Unterglasproduktion<br />

im Gartenbau dar. Nach den Energiepreissteigerungen<br />

der letzten Zeit hat ihre Bedeutung wei-<br />

ter zugenommen. Die Betriebe des Gartenbaus<br />

müssen große Anstrengungen unternehmen, um<br />

durch die Senkung der Heizkosten ihre Zukunft<br />

zu sichern. Dazu müssen Energie eingespart, die<br />

Energieeffizienz erhöht und teure Energieträger<br />

durch preiswertere ersetzt werden.<br />

Umfassende Informationen zu dieser Thematik<br />

haben Versuchs-, Forschungs- und<br />

Beratungseinrichtungen aus ganz Deutschland<br />

in insgesamt 17 Einzelbeiträgen auf der Lehrschau<br />

„Brennpunkt Energie“ präsentiert, die im<br />

Rahmen des Infocenters Gartenbau auf der Internationalen<br />

Pflanzenmesse (IPM) 2006 in Essen<br />

stattfand. Es wurde gezeigt, wie durch pflanzenbauliche<br />

Maßnahmen, eine Optimierung des<br />

Technikeinsatzes und die Nutzung alternativer<br />

Brennstoffe der Aufwand für die Beheizung von<br />

Gewächshäusern gesenkt und damit der CO 2 -<br />

Ausstoß verringert werden kann.<br />

Das KTBL-Heft fasst die Ergebnisse und<br />

Empfehlungen der Lehrschau zusammen. Zusätzliche<br />

Beiträge geben einen Überblick <strong>über</strong><br />

den gegenwärtigen Stand der Diskussion hinsichtlich<br />

der Wärmeversorgung von Gewächshäusern<br />

und machen deutlich, dass vielfältige<br />

Handlungsmöglichkeiten bestehen, um steigenden<br />

Energiepreisen zu begegnen.<br />

Die Veröffentlichung wendet sich in erster<br />

Linie an Inhaber von Gartenbaubetrieben und<br />

ihre Berater, aber auch an Energieversorger<br />

einschließlich der Anbieter von erneuerbarer<br />

Energie und dar<strong>über</strong> hinaus an alle, denen der<br />

sparsame Umgang mit Energieressourcen ein<br />

Anliegen ist.<br />

ktbl<br />

KTBL-Heft 55: Gesunde Milchkühe<br />

im Ökologischen Landbau.<br />

Ein Leitfaden für die Praxis.<br />

2006, 64 S., 8 €, ISBN 3-939371-00-<br />

9 / ISBN 978-3-939371-00-7, Best.-<br />

Nr. 40055 – Bestelladresse: Kuratorium<br />

für Technik und Bauwesen in der <strong>Landwirtschaft</strong><br />

e. V. (KTBL), Bartningstr.<br />

49, 64289 Darmstadt; Tel. 06151/7001-<br />

189, Fax: 06151/7001-123, E-Mail:<br />

vertrieb@ktbl.de<br />

Ein hoher Gesundheitsstatus in der Herde gehört<br />

zum Leitbild jeder ökologischen Milchviehhaltung<br />

– er ist ethisch und wirtschaftlich<br />

unverzichtbar. In der Praxis zeigen sich jedoch<br />

häufig Defizite, welche sich in einer niedrigen<br />

Milchleistung und einer oft mangelhaften Tiergesundheit<br />

äußern. Aus der Sicht von Experten<br />

sind diese Gesundheitsprobleme vor allem darauf<br />

zurückzuführen, dass die Haltungsbedingungen<br />

häufig nicht optimal sind und übliche Empfehlungen<br />

zum Praxismanagement nicht umgesetzt


werden. Besonders bei der Mastitisvorbeugung<br />

fehlen zuverlässige Empfehlungen für die Praxis.<br />

Im vorliegenden Heft werden auf 64 Seiten<br />

Beratungsempfehlungen und Checklisten für<br />

die Praxis anschaulich mit Tabellen und Bildern<br />

zusammengestellt. Namhafte Autoren analysieren<br />

in prägnanter Form relevante Bereiche der<br />

Tiergesundheitsprävention. Die zusammengetragenen<br />

Erfahrungen und Ratschläge beziehen<br />

sich vor allem auf die Aspekte, mit denen der<br />

Landwirt täglich umgeht oder die zumindest<br />

ohne großen (finanziellen) Aufwand umsetzbar<br />

sind.<br />

Anhand konkreter Fragestellungen werden<br />

in knapper Form die Bereiche Euter- und<br />

Gliedmaßengesundheit, Fruchtbarkeit und<br />

Milchqualität genauso behandelt wie die Kälberaufzucht<br />

und der Bereich der Fütterung. Die<br />

Überprüfung der Tiergerechtheit des eingesetzten<br />

Haltungsverfahrens, der Arbeitseffizienz<br />

des Herdenmanagements, des Qualitätsmanagements<br />

und der ökonomischen Gesamtsituation<br />

sind dar<strong>über</strong> hinaus ebenso Bestandteil dieses<br />

Heftes wie die Frage, ob die Milchviehhaltung<br />

im eigenen Betrieb den ökologischen Anforderungen<br />

umfassend gerecht wird.<br />

ktbl<br />

KTBL-Heft 057: Bauern unter Sonnen-<br />

Strom. Technik und Wirtschaftlichkeit<br />

von Photovoltaikanlagen in der<br />

<strong>Landwirtschaft</strong>. 2006, 28 S., 5 €, ISBN<br />

3-939371-02-5, ISBN 978-3-939371-<br />

02-1, Best.-Nr. 40057 – Bestelladresse:<br />

Kuratorium für Technik und Bauwesen<br />

Bücherschau<br />

317<br />

in der <strong>Landwirtschaft</strong> e. V. (KTBL),<br />

Bartningstr. 49, 64289 Darmstadt; Tel.<br />

06151/7001-189, Fax: 06151/7001-123,<br />

E-Mail: vertrieb@ktbl.de<br />

In Deutschland ist die Erzeugung von Strom<br />

mit Photovoltaikanlagen seit der Änderung des<br />

Erneuerbare- Energiengesetzes (EEG) zu einer<br />

interessanten Einkommensalternative geworden.<br />

Über 55 Cent pro eingespeiste Kilowattstunde<br />

können für Strom aus Photovoltaikanlagen erlöst<br />

werden. Das EEG bietet außerdem eine<br />

Preis- und Abnahmegarantie <strong>über</strong> 20 Jahre.<br />

Die <strong>Landwirtschaft</strong> verfügt <strong>über</strong> gute Voraussetzungen<br />

für die Photovoltaik. Meist stehen<br />

große Dachflächen zur Verfügung, die statisch<br />

für die Montage von Photovoltaikanlagen geeignet<br />

sind. Investitionen müssen jedoch wohl<br />

<strong>über</strong>legt und gut geplant sein.<br />

Im KTBL-Heft werden im Einzelnen die<br />

technischen Grundlagen der Photovoltaik dargestellt.<br />

Dabei wird u. a. <strong>über</strong> Solarzellentypen,<br />

die Verschaltung von Solarzellen zu Modulen<br />

und Generatoren, die Arbeitsweise einer Netz<br />

gekoppelten Solaranlage und den Netzanschluss<br />

informiert. Ausführungen <strong>über</strong> die Planung sowie<br />

den Betrieb und die Wartung einer Solaranlage<br />

schließen sich an. Abschließend werden<br />

ausführlich die Voraussetzungen für einen wirtschaftlichen<br />

Betrieb Netz gekoppelter Photovoltaikanlagen<br />

dargestellt.<br />

Für alle Landwirte, die sich mit dem Gedanken<br />

tragen, eine Photovoltaikanlage zu bauen<br />

und zu betreiben, und ihre Berater ist das KTBL-<br />

Heft eine unentbehrliche Informationsquelle.<br />

ktbl

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