Einstweiliger Rechtsschutz im Arbeitsgerichtsverfahren

Einstweiliger Rechtsschutz im Arbeitsgerichtsverfahren Einstweiliger Rechtsschutz im Arbeitsgerichtsverfahren

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Der Beschäftigungsanspruch während des Arbeitsverhältnisses Rz. 78 I Eine geltungserhaltende Reduktion kommt nicht in Betracht. Insbesondere kann die Freistellungsbefugnis nicht während der Dauer des Verfügungsverfahrens dadurch in die Zulässigkeit „hineinwachsen“, dass der dann noch verbleibende Zeitraum bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zu kurz ist, um ein Beschäftigungsinteresse zu begründen 1 . Die Kürze der Kündigungsfrist kann mE ohnehin nur in Ausnahmefällen der einstweiligen Verfügung entgegenstehen, jedoch bestimmt nicht in den Fällen, in denen der Arbeitgeber durch sein rechtswidriges Verhalten de facto erreicht hat, dass der Arbeitnehmer für eine erhebliche Zeit der Kündigungsfrist nicht beschäftigt worden ist. Auch bei einer wirksamen Freistellungsklausel unterliegt die konkrete Freistellung einer Überprüfung auf die Einhaltung billigen Ermessens iSv. § 315 BGB 2 . Der Betriebsrat hat kein Mitbestimmungsrecht gemäß § 99 BetrVG bei Freistellungen, da es sich nicht um Versetzungen iSv. § 99 BetrVG handelt 3 . c) Interessenabwägung Grundsätzlich besteht somit ein Verfügungsanspruch, es sei denn, überwiegende und schutzwürdige Interessen des Arbeitgebers stehen dem im Rahmen einer Interessenabwägung entgegen 4 . Der Arbeitgeber hat sein Interesse an der Nichtbeschäftigung im Sinne einer Einwendung vorzubringen und ist für deren Bestehen darlegungs- und beweispflichtig 5 . In einer abschließenden Interessenabwägung müssen die wechselseitig vorgebrachten Argumente abgewogen werden. Bei einem non liquet ist der Verfügungsanspruch gegeben. Es muss ein über das Beendigungsinteresse hinausgehender 6 sachlicher Grund vorliegen, nicht hingegen ein wichtiger Grund iSv. § 626 BGB 7 . 1 So aber LAG München v. 7.5.2004 – 5 Sa 297/03. 2 LAG Hamm v. 3.2.2004 – 19 Sa 120/04, wobei jedoch m.E. die Frage der allgemeinen Zulässigkeit der Klausel mit der Ausübung billigen Ermessens im Einzelfall unzulässigerweise vermengt wird. 3 BAG v, 28.3.2000 – 1 ABR 17/99; Sibben, NZA 1998, 1266. 4 Vgl. BAG v. 19.8.1976 – 3 AZR 173/75; LAG Berlin v. 9.1.1997 – 14 Ta 19/96, n.v.; ArbG Leipzig v. 8.8.1996 – 18 Ga 37/96, BB 1997, 366 m. Anm. Keßler. 5 LAG München v. 7.5.2003 – 5 Sa 344/03 u.v. 19.8.1992 – 5 Ta 185/92, NZA-RR 1993, 1130; aA LAG Hamm v. 18.2.1998 – 3 Sa 297/98, NZA 1998, 422; s. zu den dogmatischen Einzelheiten Krause, NZA-Beilage 1/2005, 51, 52. 6 Krause, NZA-Beilage 1/2005, 51, 53. 7 Reinhard/Kliemt, NZA 2005, 545, 547; aA (wichtiger Grund) LAG Köln v. 21.3.2001 – 6 Ta 46/01. 233 75 76 77 78

I Rz. 79 Die einstweilige Verfügung im Individualarbeitsrecht Die arbeitgeberseitigen Interessen an der Nichtbeschäftigung können vielfältiger Natur sein. aa) Betriebsbedingt 79 Der Arbeitsplatz des Arbeitnehmers kann durch organisatorische Maßnahmen weggefallen sein1 . Hier entfällt der Beschäftigungsanspruch aber nur dann, wenn es dem Arbeitgeber auch nicht möglich ist, dem Arbeitnehmer durch Direktionsrecht einen anderen Arbeitsplatz zuzuweisen2 . Der Unternehmerentscheidung kommt hier nicht dieselbe Bedeutung zu wie beim Kündigungsentschluss, denn es geht um die Einschränkung vertraglicher Rechte innerhalb eines fortbestehenden Arbeitsverhältnisses3 . Es ist nicht ausreichend, dass der Arbeitgeber die Tätigkeiten schon einem anderen Arbeitnehmer übertragen hat4 . Auch sonstige Unternehmerentscheidungen, wie etwa der Wegfall einer Führungsposition, können rechtsmissbräuchlich sein, wenn sie mit der Intention getroffen werden, den Beschäftigungsanspruch zu untergraben5 . 80 Eine wirtschaftliche Unzumutbarkeit kann es beim Beschäftigungsanspruch anders als beim Weiterbeschäftigungsanspruch kaum geben. Insbesondere ist sie nicht bereits dann anzunehmen, wenn der Arbeitgeber ohne sein Verschulden an einem wirtschaftlich sinnvollen Einsatz des Arbeitnehmers gehindert ist 6 . Die Entgeltfortzahlungspflicht besteht ohnehin grundsätzlich bis zum rechtlichen Ende des Arbeitsverhältnisses fort. In aller Regel hat der Arbeitgeber aber die wirtschaftlichen Belastungen durch die Entgeltzahlung auch bei einer Freistellung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zu tragen. Darin liegt der entscheidende Unterschied zu der Wertung des § 102 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 BetrVG, wonach sich der Arbeitgeber von der betriebsverfassungsrechtlichen Weiterbeschäftigungspflicht entbinden lassen kann, wenn die Weiterbeschäftigung zu unzumutbaren wirtschaftlichen Belastungen führen würde 7 . In diesem Fall verursacht die Weiterbeschäftigung erst die Pflicht zur Entgeltzahlung und löst somit die möglicherweise unzumutbaren wirtschaftlichen Belastungen aus. Somit kommt eine wirtschaftliche Unzumutbarkeit nur dann in Betracht, wenn der Arbeitgeber zur 1 Vgl. BAG v. 13.6.1990 – 5 AZR 350/89; LAG Hamm v. 15.1.1991 – 7 Ta 28/91 und LAG Köln v. 24.10.1995 – 13 (5) Ta 245/95. 2 ArbG Berlin v. 7.6.2005 – 84 Ga 10842/05. 3 ArbG Berlin v. 25.1.2006 – 40 Ca 22605/05. 4 LAG München v. 19.8.1992 – 5 Ta 182/92, Krause, NZA-Beilage 1/2005, 51, 55. 5 LAG Hamm v. 5.5.1983 – 8 Sa 255/83; LAG Köln v. 23.8.2001 – 7 (13) Ta 190/01 – für die Auflösung eines Amtes. 6 So aber Erman/Edenfeld, 11. Aufl., § 611 Rz. 355. 7AARuhl/Kassebohm, NZA 1995, 497, 501. 234

Der Beschäftigungsanspruch während des Arbeitsverhältnisses Rz. 78 I<br />

Eine geltungserhaltende Reduktion kommt nicht in Betracht. Insbesondere<br />

kann die Freistellungsbefugnis nicht während der Dauer des Verfügungsverfahrens<br />

dadurch in die Zulässigkeit „hineinwachsen“, dass<br />

der dann noch verbleibende Zeitraum bis zum Ablauf der Kündigungsfrist<br />

zu kurz ist, um ein Beschäftigungsinteresse zu begründen 1 . Die<br />

Kürze der Kündigungsfrist kann mE ohnehin nur in Ausnahmefällen<br />

der einstweiligen Verfügung entgegenstehen, jedoch best<strong>im</strong>mt nicht in<br />

den Fällen, in denen der Arbeitgeber durch sein rechtswidriges Verhalten<br />

de facto erreicht hat, dass der Arbeitnehmer für eine erhebliche Zeit<br />

der Kündigungsfrist nicht beschäftigt worden ist.<br />

Auch bei einer wirksamen Freistellungsklausel unterliegt die konkrete<br />

Freistellung einer Überprüfung auf die Einhaltung billigen Ermessens<br />

iSv. § 315 BGB 2 .<br />

Der Betriebsrat hat kein Mitbest<strong>im</strong>mungsrecht gemäß § 99 BetrVG bei<br />

Freistellungen, da es sich nicht um Versetzungen iSv. § 99 BetrVG handelt<br />

3 .<br />

c) Interessenabwägung<br />

Grundsätzlich besteht somit ein Verfügungsanspruch, es sei denn, überwiegende<br />

und schutzwürdige Interessen des Arbeitgebers stehen dem<br />

<strong>im</strong> Rahmen einer Interessenabwägung entgegen 4 . Der Arbeitgeber hat<br />

sein Interesse an der Nichtbeschäftigung <strong>im</strong> Sinne einer Einwendung<br />

vorzubringen und ist für deren Bestehen darlegungs- und beweispflichtig<br />

5 . In einer abschließenden Interessenabwägung müssen die wechselseitig<br />

vorgebrachten Argumente abgewogen werden. Bei einem non liquet<br />

ist der Verfügungsanspruch gegeben.<br />

Es muss ein über das Beendigungsinteresse hinausgehender 6 sachlicher<br />

Grund vorliegen, nicht hingegen ein wichtiger Grund iSv. § 626 BGB 7 .<br />

1 So aber LAG München v. 7.5.2004 – 5 Sa 297/03.<br />

2 LAG Hamm v. 3.2.2004 – 19 Sa 120/04, wobei jedoch m.E. die Frage der allgemeinen<br />

Zulässigkeit der Klausel mit der Ausübung billigen Ermessens <strong>im</strong><br />

Einzelfall unzulässigerweise vermengt wird.<br />

3 BAG v, 28.3.2000 – 1 ABR 17/99; Sibben, NZA 1998, 1266.<br />

4 Vgl. BAG v. 19.8.1976 – 3 AZR 173/75; LAG Berlin v. 9.1.1997 – 14 Ta 19/96,<br />

n.v.; ArbG Leipzig v. 8.8.1996 – 18 Ga 37/96, BB 1997, 366 m. Anm. Keßler.<br />

5 LAG München v. 7.5.2003 – 5 Sa 344/03 u.v. 19.8.1992 – 5 Ta 185/92, NZA-RR<br />

1993, 1130; aA LAG Hamm v. 18.2.1998 – 3 Sa 297/98, NZA 1998, 422; s. zu<br />

den dogmatischen Einzelheiten Krause, NZA-Beilage 1/2005, 51, 52.<br />

6 Krause, NZA-Beilage 1/2005, 51, 53.<br />

7 Reinhard/Kliemt, NZA 2005, 545, 547; aA (wichtiger Grund) LAG Köln v.<br />

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