Einstweiliger Rechtsschutz im Arbeitsgerichtsverfahren
Einstweiliger Rechtsschutz im Arbeitsgerichtsverfahren
Einstweiliger Rechtsschutz im Arbeitsgerichtsverfahren
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Leseprobe zu<br />
Korinth<br />
<strong>Einstweiliger</strong> <strong>Rechtsschutz</strong> <strong>im</strong> <strong>Arbeitsgerichtsverfahren</strong>, 2. Auflage<br />
2007, 572 S., Lexikonformat, gbd,<br />
ISBN 978-3-504-42636-1<br />
Verlag Dr. Otto Schmidt, Köln<br />
www.otto-schmidt.de
Der Beschäftigungsanspruch während des Arbeitsverhältnisses Rz. 62 I<br />
Alternativ:<br />
Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, den Antragsteller bis zu einer rechtskräftigen<br />
Entscheidung <strong>im</strong> Verfahren … Ca …/… weiter in der Filiale … zu beschäftigen.<br />
Ergänzende Begründung<br />
Arbeitsvertraglich ist nur eine Beschäftigung in dieser Filiale möglich, weil (näher<br />
ausführen).<br />
Unterschrift<br />
VI. Der Beschäftigungsanspruch während des Arbeitsverhältnisses<br />
1. Abgrenzung vom Weiterbeschäftigungsanspruch<br />
Die Freistellung des Arbeitnehmers von der Arbeitspflicht unter Fortzahlung<br />
der Bezüge kann in verschiedenen Situationen vorkommen: So<br />
kann der Arbeitgeber eine Veranlassung sehen, den Arbeitnehmer aufgrund<br />
best<strong>im</strong>mter Vorkommnisse <strong>im</strong> Betrieb zunächst zu suspendieren,<br />
damit die Vorfälle geklärt werden können. Die Nichtzuweisung von Arbeit<br />
kann in Einzelfällen auch aus reiner Schikane geschehen. Am häufigsten<br />
ist jedoch der Fall, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nach<br />
einer erfolgten fristgemäßen Kündigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist<br />
von der Arbeitsleistung freistellt.<br />
Terminologisch muss man zwischen dem Beschäftigungsanspruch und<br />
dem Weiterbeschäftigungsanspruch unterscheiden. Von einem Beschäftigungsanspruch<br />
spricht man dann, wenn das Arbeitsverhältnis unstreitig<br />
fortbesteht oder – in Ausnahmefällen – das diesbezügliche Bestreiten<br />
des Arbeitgebers offensichtlich unbegründet ist 1 . Ein Weiterbeschäftigungsanspruch,<br />
und zwar in der Form des allgemeinen wie des betriebsverfassungsrechtlichen<br />
Weiterbeschäftigungsanspruchs, kommt für die<br />
Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist in Betracht oder in sonstigen Fällen,<br />
in denen der Arbeitgeber den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses<br />
bestreitet.<br />
1 LAG Hamburg v. 3.9.1994 – 3 Sa 72/94.<br />
227<br />
61<br />
62
I Rz. 63 Die einstweilige Verfügung <strong>im</strong> Individualarbeitsrecht<br />
2. Grundsätze<br />
63 Der Arbeitnehmer hat <strong>im</strong> unbestritten bestehenden Arbeitsverhältnis<br />
grundsätzlich einen Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung 1 . Rechtsgrundlage<br />
des Beschäftigungsanspruches sind die §§ 611, 613 BGB<br />
i.V.m. § 242 BGB. Dieser wird ausgefüllt durch die Wertentscheidung<br />
der Art. 1, 2 und 12 GG. Danach ist die tatsächliche Beschäftigung <strong>im</strong><br />
Arbeitsleben neben der reinen Vergütungszahlung ein wesentliches Element<br />
bei der sozialen Wertschätzung des Arbeitnehmers. Eine Freistellung<br />
auch <strong>im</strong> Rahmen eines tarifvertraglich angelegten unfreiwilligen<br />
Vorruhestandes greift gravierend in das Grundrecht des Arbeitnehmers<br />
aus Art. 12 GG ein 2 .<br />
64 Voraussetzung für den Beschäftigungsanspruch ist das Bestehen eines<br />
Arbeitsvertrages. Der Anspruch auf Abschluss eines solchen reicht<br />
nicht aus 3 . Bei einem rechtskräftigen Urteil, das die Willenserklärung<br />
des Arbeitgebers ersetzt, ist dies mE jedoch anders, da aufgrund dieser<br />
Entscheidung das Bestehen eines Arbeitsvertrages feststeht 4 . Die Beschäftigungspflicht<br />
besteht auch dann, wenn der Arbeitsvertrag zwar<br />
abgeschlossen, aber noch nicht in Vollzug gesetzt wurde. Hat der Betriebsrat<br />
jedoch seine gemäß § 99 BetrVG notwendige Zust<strong>im</strong>mung zur<br />
Einstellung nicht erteilt, besteht ein Beschäftigungshindernis 5 . Dieses<br />
kann der Arbeitgeber grundsätzlich dem Beschäftigungsanspruch entgegenhalten,<br />
auch wenn er das Zust<strong>im</strong>mungsersetzungsverfahren nicht<br />
einleitet. Etwas anderes kann gelten, wenn die Zust<strong>im</strong>mungsverweigerung<br />
offensichtlich unbegründet ist oder gar auf einem kollusiven Zusammenwirken<br />
zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat beruht.<br />
65 Der Anspruch ist auf eine vertragsgemäße Beschäftigung gerichtet. Die<br />
Zuweisung anderer Tätigkeiten stellt keine Erfüllung des Beschäftigungsanspruchs<br />
dar. Darüber hinaus steht dem Arbeitnehmer ein Anspruch<br />
zu, mit best<strong>im</strong>mten Tätigkeiten nicht beschäftigt zu werden, etwa<br />
solchen, die seiner Gewissensentscheidung zuwiderlaufen oder vom<br />
Arbeitsvertragsinhalt nicht gedeckt sind. Ein solcher Unterlassungs-<br />
1 St. Rspr. des BAG, s. nur Beschluss des Großen Senats des BAG v. 27.2.1985 –<br />
GS 1/84; Überblick über die Grundzüge bei Stück, AuA 2005, 704.<br />
2 BAG v. 27.2.2002 – 9 AZR 562/00 unter B II 4a der Entscheidungsgründe zum<br />
TV Ruhestand be<strong>im</strong> Südwestrundfunk.<br />
3 BAG v. 28.9.1983 – 5 AZR 255/81 – LAG Schl.-Holst. v. 25.3.1985 – 5 Sa 65/85,<br />
Erman/Edenfeld, § 611 Rz. 354, MünchArbR/Blomeyer, § 95 Rz. 15.<br />
4 AA zum Arbeitnehmerüberlassungsrecht LAG Köln v. 3.7.1992 – 13 Sa 130/92<br />
sowie ohne Begründung Erman/Edenfeld, 11. Aufl., § 611 Rz. 354.<br />
5 Herbert/Oberrath, NZA 2001, 121, 128.<br />
228
Der Beschäftigungsanspruch während des Arbeitsverhältnisses Rz. 67 I<br />
anspruch ergänzt notwendigerweise den Beschäftigungsanspruch 1 . Die<br />
Möglichkeit des Arbeitnehmers, die Ausübung der Tätigkeit zu verweigern,<br />
steht dem Anspruch nicht entgegen. Angesichts des Prognoserisikos<br />
des Arbeitnehmers hinsichtlich der Rechtswirksamkeit einer vom<br />
Arbeitgeber bei einer schlichten Verweigerung der Anweisung ausgesprochenen<br />
Kündigung erscheint es sachgerecht, den Anspruch auf<br />
vertragsgemäße Beschäftigung mit einem Anspruch zu flankieren, dem<br />
Arbeitnehmer keine vertragswidrigen Weisungen zu erteilen. Angesichts<br />
der Herleitung des Beschäftigungsanspruchs aus dem allgemeinen<br />
Persönlichkeitsrecht erscheint es aber angebracht, den Anspruch<br />
auf die Fälle zu beschränken, in denen sich die rechtswidrige Weisung<br />
zugleich als ein konkreter Verstoß gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht<br />
darstellt. Ist eine solche Weisung bereits erteilt worden,<br />
kommt ein Beseitigungsanspruch entsprechend § 1004 BGB in Betracht.<br />
Der Erlass einer einstweiligen Verfügung erfordert aber einen Verfügungsgrund<br />
für diesen Anspruch auf Nichtzuweisung einer best<strong>im</strong>mten<br />
Tätigkeit (s. dazu unter Direktionsrecht, I Rz. 50).<br />
3. Beschäftigungspflicht bei Betriebsübergang<br />
Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn ein Betriebsübergang iSv.<br />
§ 613a BGB behauptet wird 2 . Aufhebungsverträge, verbunden mit einer<br />
Verpflichtung des Betriebserwerbers zur Neueinstellung, stellen eine<br />
Umgehung des § 613a BGB dar und sind unwirksam, wenn sie lediglich<br />
die Beseitigung der Kontinuität des Arbeitsverhältnisses bei gleichzeitigem<br />
Erhalt des Arbeitsplatzes bezwecken (Arbeitnehmer erhält sofort<br />
ein Angebot zur Weiterarbeit be<strong>im</strong> Betriebserwerber, dieser will nur den<br />
„sozialen Besitzstand“ nicht wahren). Ist der Aufhebungsvertrag hingegen<br />
auf das endgültige Ausscheiden des Arbeitnehmers aus dem Betrieb<br />
gerichtet, liegt keine Nichtigkeit vor 3 . Solange hier die Wirksamkeit<br />
des Aufhebungsvertrages nicht wegen Anfechtung, Wegfalls der<br />
Geschäftsgrundlage oder aus einem anderen Grunde beseitigt worden<br />
ist, besteht kein Fortsetzungsanspruch gegen den Betriebsübernehmer.<br />
Mithin kann auch kein Verfügungsanspruch <strong>im</strong> Eilverfahren bestehen.<br />
Ein Beschäftigungsanspruch gegen den Betriebsveräußerer besteht<br />
grundsätzlich auch denn, wenn der Arbeitnehmer dem Übergang seines<br />
Arbeitsverhältnisses widersprochen hat. Ausnahmen bestehen nur<br />
dann, wenn eine Beschäftigung unmöglich ist oder in den engen Aus-<br />
1 LAG Thüringen v. 10.4.2001 – 5 Sa 403/2000 unter III 3b dd der Entscheidungsgründe;<br />
aA LAG München v. 1.12.2004 – 5 Sa 913/04.<br />
2 LAG Hamburg v. 3.9.1994 – 3 Sa 72/94.<br />
3 BAG v. 10.12.1998 – 8 AZR 324/97.<br />
229<br />
66<br />
67
I Rz. 68 Die einstweilige Verfügung <strong>im</strong> Individualarbeitsrecht<br />
nahmefällen der wirtschaftlichen Unzumutbarkeit 1 . Dabei ist nicht auf<br />
den Beschäftigungsbetrieb abzustellen, sondern auf das Unternehmen.<br />
Dies ergibt sich aus der Wertung des § 1 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b KSchG,<br />
wonach die Kündigung auch dann unwirksam ist, wenn der Arbeitnehmer<br />
auf einem anderen freien Arbeitsplatz in einem anderen Betrieb<br />
desselben Unternehmens beschäftigt werden kann. Der Beschäftigungsanspruch<br />
steht <strong>im</strong> inneren Zusammenhang mit dem Bestandsschutz<br />
des Arbeitsverhältnisses. Daher müssen die Wertungen des Kündigungsrechts<br />
auch auf diesen Bereich übertragen werden 2 . Umgekehrt<br />
hat der Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Beschäftigung bei einem anderen<br />
Unternehmen desselben Konzerns, wenn der Betrieb geschlossen<br />
wird, in dem er bislang beschäftigt war 3 .<br />
68 Ein Beschäftigungsanspruch gegen den Betriebserwerber besteht bei einem<br />
unstreitig erfolgten Betriebsübergang. Er ist auch dann gegeben,<br />
wenn es zu einem zunächst nicht beabsichtigten Betriebsübergang erst<br />
während des Laufs der Kündigungsfrist der vom Veräußerer ausgesprochenen<br />
Kündigung kommt. Auf deren Wirksamkeit kommt es für den<br />
Beschäftigungsanspruch bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht an 4 .<br />
4. Besonderheiten <strong>im</strong> gekündigten Arbeitsverhältnis<br />
69 Der Beschäftigungsanspruch besteht grundsätzlich auch nach Ausspruch<br />
einer Kündigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist 5 . Dem<br />
kann ausnahmsweise ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers entgegenstehen<br />
(s. dazu unter Interessenabwägung, I Rz. 77). Der Arbeitgeber<br />
hat auch grundsätzlich die Möglichkeit, den Urlaub einseitig in<br />
der Kündigungsfrist gewähren. Der Arbeitnehmer hat kein Recht, die<br />
Annahme dieses Urlaubs zu verweigern, um einen Anspruch auf Urlaubsabgeltung<br />
gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG zu erwerben 6 . Eine Ausnahme<br />
kann nur dann gelten, wenn der Urlaub bereits vor der Kündigung für<br />
einen Zeitraum nach Ablauf der Kündigungsfrist gewährt worden ist.<br />
Wenn der Arbeitnehmer <strong>im</strong> Vertrauen darauf bereits Dispositionen ge-<br />
1 ArbG Berlin v. 7.6.2005 – 84 Ga 10842/05; s. zu den Einzelheiten I Rz. 80.<br />
2 ArbG Berlin v. 7.6.2005 – 84 Ga 10842/05; s. hierzu auch BAG v. 27.2.2002 – 9<br />
AZR 562/00 unter B II 4b der Entscheidungsgründe, worin der Eingriff der Tarifparteien<br />
in Art. 12 Abs. 1 GG für gerechtfertigt angesehen wurde, weil Wertentscheidungen<br />
des KSchG berücksichtigt wurden.<br />
3 Ruhl/Kassebohm, NZA 1995, 497, 500; vgl. BAG v. 14.10.1982 – 2 AZR<br />
568/80, SAE 1984, 139 u. v. 22.5.1986 – 2 AZR 612/85, SAE 1987, 129 zu den<br />
kündigungsrechtlichen Wertungen.<br />
4 LAG Köln v. 3.8.2001 – 11 Sa 215/01; s. weiter LAG Hamm v. 9.6.2006 – 19 Sa<br />
881/06.<br />
5 BAG v. 19.8.1976 – 3 AZR 173/75 u. v. 26.5.1977 – 2 AZR 632/76.<br />
6 LAG Köln v. 16.3.2000 – 10/11 Sa 1280/99.<br />
230
Der Beschäftigungsanspruch während des Arbeitsverhältnisses Rz. 71 I<br />
troffen hat, kann er die Annahme des Urlaubs verweigern 1 . Wenn der<br />
Arbeitgeber ohne weitere Angaben lediglich die Freistellung vorn<strong>im</strong>mt,<br />
muss er Urlaubsabgeltung leisten, auch wenn die Freistellung unwiderruflich<br />
erfolgt ist. Eine solche Freistellung ist keine Erfüllungshandlung<br />
iSv. § 7 Abs. 1 BUrlG 2 .<br />
5. Vertraglicher Ausschluss der Weiterbeschäftigung<br />
a) Individualvereinbarung<br />
In einem individuell ausgehandelten Arbeitsvertrag kann wirksam vereinbart<br />
werden, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer während der<br />
Dauer der Kündigungsfrist unter Fortzahlung der Bezüge von der Arbeitsleistung<br />
freistellen kann 3 . Der Arbeitgeber hat dann ein einseitiges<br />
Leistungsbest<strong>im</strong>mungsrecht iSv. § 315 BGB, das er nach billigem Ermessen<br />
ausüben kann. Trotz einer generellen Wirksamkeit der Freistellungsklausel<br />
kann die konkrete Ausübung daher unwirksam sein 4 . Die<br />
vertragliche Vereinbarung kann auch vorsehen, dass dies unter Anrechnung<br />
auf Urlaubsansprüche erfolgt 5 .<br />
Die Vereinbarung einer Suspendierungsmöglichkeit ohne Entgeltfortzahlung<br />
ist jedoch mE auch in individuell ausgehandelten Verträgen unwirksam.<br />
Dies käme von den Rechtsfolgen her einer fristlosen außerordentlichen<br />
Kündigung gleich. Eine solche Klausel wäre daher eine<br />
Umgehung zwingenden Gesetzesrechts (§ 626 Abs. 1 BGB). Unzulässig<br />
ist es auch, eine Art außerordentlicher Kündigung zweiter Klasse auszusprechen,<br />
bei der lediglich eine gesteigerte soziale Rechtfertigung iSv.<br />
§ 1 Abs. 2 KSchG, nicht hingegen die Voraussetzungen für eine außerordentlich<br />
Kündigung vorliegen. Ist der Tatbestand von § 626 Abs. 1<br />
BGB erfüllt, kann der Arbeitgeber die ordentliche Kündigung verbunden<br />
mit einer Suspendierung unter Fortzahlung der Bezüge erklären 6 . Nur<br />
in extremen Ausnahmefällen kann es an einem ordnungsgemäßen Angebot<br />
der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer fehlen, wenn dieser<br />
etwa die Arbeit unter Besch<strong>im</strong>pfungen und Drohungen anbietet 7 . Meist<br />
geht es aber hier nur um die Zeit bis zum Zugang der fristlosen Kündigung.<br />
1 HWK/Schinz, § 7 BUrlG Rz. 36.<br />
2 HWK/Schinz, § 7 BUrlG Rz. 6.<br />
3 LAG Köln v. 20.8.1998 – 6 Sa 241/98; Sächs. LAG v. 12.6.2003 – 2 Sa 715/02<br />
für leitende Angestellte.<br />
4 Beckmann, NZA 2004, 1131, 1132.<br />
5 HWK/Thüsing, § 611 BGB Rz. 175.<br />
6 Vgl. ErfK/Preis, § 611 BGB Rz. 706.<br />
7 Krause, NZA-Beilage 1/2005, 51, 56; ErfK/Preis, § 611 BGB Rz. 706.<br />
231<br />
70<br />
71
I Rz. 72 Die einstweilige Verfügung <strong>im</strong> Individualarbeitsrecht<br />
72 Gegen die Annahmeverzugsansprüche des Arbeitnehmers kann der Arbeitgeber<br />
nicht den Einwand des böswilligen Unterlassens von Zwischenverdienst<br />
einwenden 1 .<br />
73 Zulässig ist ein gerichtlicher Vergleich, nach dem für einen best<strong>im</strong>mten<br />
Zeitraum (zB die Kündigungsfrist bei Umwandlung der außerordentlichen<br />
in eine ordentliche Kündigung) aus tatsächlichen Gründen kein<br />
Annahmeverzug des Arbeitgebers und daher kein Entgeltanspruch des<br />
Arbeitnehmers bestand.<br />
b) Formularvertrag<br />
74 Eine formularvertragliche Klausel, die dem Arbeitgeber ohne weitere<br />
Voraussetzungen ein Freistellungsrecht gibt, ist unwirksam2 . Seit<br />
Inkrafttreten der Schuldrechtsreform ist streitig3 , ob und ggf. unter welchen<br />
Voraussetzungen die Parteien des Arbeitsvertrages wirksam vereinbaren<br />
können, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nach Ausspruch<br />
einer Kündigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist von der Arbeitsleistung<br />
freistellen kann4 . M.E. ist eine Formularklausel, die die Freistellungsbefugnis<br />
nur von dem Ausspruch einer ordentlichen Kündigung abhängig<br />
macht, unwirksam, weil sie mit wesentlichen Grundgedanken<br />
einer Regelung iSv. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht zu vereinbaren ist. Zwar<br />
gibt es keine gesetzliche Fixierung der Beschäftigungspflicht, aber der<br />
Anspruch wird von der Rechtsprechung hergeleitet aus §§ 611 Abs. 1,<br />
613 BGB iVm. § 242 BGB, wobei dieser ausgefüllt wird durch die Wertentscheidungen<br />
der Art. 1 und 2 GG5 . Daher gibt es ein Leitbild iSv. § 307<br />
Abs. 2 Nr. 1 BGB. Hiervon kann nur bei Bestehen eines berechtigten Interesses<br />
abgewichen werden, das in der Vertragsklausel selbst genannt werden<br />
muss. Der Arbeitgeber muss also die berechtigten Interessen (unten I<br />
Rz. 77 ff.) in der Freistellungsklausel aufnehmen. Da er bei deren Vorliegen<br />
den Arbeitnehmer aber ohnehin ausnahmsweise freistellen kann,<br />
dürfte eine solche Klausel keine entscheidende Bedeutung mehr haben6 .<br />
1 LAG Köln v. 27.4.2005 – 7 Sa 1282/04.<br />
2 LAG München v. 7.5.2004 – 5 Sa 297/03, das allerdings eine m.E. unzulässige<br />
geltungserhaltende Reduktion vorn<strong>im</strong>mt.<br />
3 S. die Nachweise bei HWK/Thüsing, § 622 BGB Rz. 176 ff.<br />
4 Bejahend zur alten Rechtslage LAG Hamburg v. 10.6.1994 – 6 Sa 42/94; ebenso<br />
für Freistellungsklausel unter Anrechnung auf Urlaub LAG Köln v. 20.2.2006 –<br />
14 (10) 1394/05.<br />
5 ArbG Stuttgart v. 18.3.2005 – 26 Ga 4/05.<br />
6 S. auch ArbG Berlin v. 4.2.2005 – 9 Ga 1155/05, wo eine solche Formularklausel<br />
auch dann für unwirksam gehalten wird, wenn sie nur gegenüber Führungskräften<br />
und außertariflichen Mitarbeitern verwandt wird; ArbG Frankfurt/M v.<br />
19.11.2003 – 2 GA 251/03; aA ArbG Stralsund v. 11.8.2004 – 3 Ga 7/04; aA Krause,<br />
NZA-Beilage 1/2005, 51, 63, der eine gewisse Typisierung für zulässig hält.<br />
232
Der Beschäftigungsanspruch während des Arbeitsverhältnisses Rz. 78 I<br />
Eine geltungserhaltende Reduktion kommt nicht in Betracht. Insbesondere<br />
kann die Freistellungsbefugnis nicht während der Dauer des Verfügungsverfahrens<br />
dadurch in die Zulässigkeit „hineinwachsen“, dass<br />
der dann noch verbleibende Zeitraum bis zum Ablauf der Kündigungsfrist<br />
zu kurz ist, um ein Beschäftigungsinteresse zu begründen 1 . Die<br />
Kürze der Kündigungsfrist kann mE ohnehin nur in Ausnahmefällen<br />
der einstweiligen Verfügung entgegenstehen, jedoch best<strong>im</strong>mt nicht in<br />
den Fällen, in denen der Arbeitgeber durch sein rechtswidriges Verhalten<br />
de facto erreicht hat, dass der Arbeitnehmer für eine erhebliche Zeit<br />
der Kündigungsfrist nicht beschäftigt worden ist.<br />
Auch bei einer wirksamen Freistellungsklausel unterliegt die konkrete<br />
Freistellung einer Überprüfung auf die Einhaltung billigen Ermessens<br />
iSv. § 315 BGB 2 .<br />
Der Betriebsrat hat kein Mitbest<strong>im</strong>mungsrecht gemäß § 99 BetrVG bei<br />
Freistellungen, da es sich nicht um Versetzungen iSv. § 99 BetrVG handelt<br />
3 .<br />
c) Interessenabwägung<br />
Grundsätzlich besteht somit ein Verfügungsanspruch, es sei denn, überwiegende<br />
und schutzwürdige Interessen des Arbeitgebers stehen dem<br />
<strong>im</strong> Rahmen einer Interessenabwägung entgegen 4 . Der Arbeitgeber hat<br />
sein Interesse an der Nichtbeschäftigung <strong>im</strong> Sinne einer Einwendung<br />
vorzubringen und ist für deren Bestehen darlegungs- und beweispflichtig<br />
5 . In einer abschließenden Interessenabwägung müssen die wechselseitig<br />
vorgebrachten Argumente abgewogen werden. Bei einem non liquet<br />
ist der Verfügungsanspruch gegeben.<br />
Es muss ein über das Beendigungsinteresse hinausgehender 6 sachlicher<br />
Grund vorliegen, nicht hingegen ein wichtiger Grund iSv. § 626 BGB 7 .<br />
1 So aber LAG München v. 7.5.2004 – 5 Sa 297/03.<br />
2 LAG Hamm v. 3.2.2004 – 19 Sa 120/04, wobei jedoch m.E. die Frage der allgemeinen<br />
Zulässigkeit der Klausel mit der Ausübung billigen Ermessens <strong>im</strong><br />
Einzelfall unzulässigerweise vermengt wird.<br />
3 BAG v, 28.3.2000 – 1 ABR 17/99; Sibben, NZA 1998, 1266.<br />
4 Vgl. BAG v. 19.8.1976 – 3 AZR 173/75; LAG Berlin v. 9.1.1997 – 14 Ta 19/96,<br />
n.v.; ArbG Leipzig v. 8.8.1996 – 18 Ga 37/96, BB 1997, 366 m. Anm. Keßler.<br />
5 LAG München v. 7.5.2003 – 5 Sa 344/03 u.v. 19.8.1992 – 5 Ta 185/92, NZA-RR<br />
1993, 1130; aA LAG Hamm v. 18.2.1998 – 3 Sa 297/98, NZA 1998, 422; s. zu<br />
den dogmatischen Einzelheiten Krause, NZA-Beilage 1/2005, 51, 52.<br />
6 Krause, NZA-Beilage 1/2005, 51, 53.<br />
7 Reinhard/Kliemt, NZA 2005, 545, 547; aA (wichtiger Grund) LAG Köln v.<br />
21.3.2001 – 6 Ta 46/01.<br />
233<br />
75<br />
76<br />
77<br />
78
I Rz. 79 Die einstweilige Verfügung <strong>im</strong> Individualarbeitsrecht<br />
Die arbeitgeberseitigen Interessen an der Nichtbeschäftigung können<br />
vielfältiger Natur sein.<br />
aa) Betriebsbedingt<br />
79 Der Arbeitsplatz des Arbeitnehmers kann durch organisatorische Maßnahmen<br />
weggefallen sein1 . Hier entfällt der Beschäftigungsanspruch<br />
aber nur dann, wenn es dem Arbeitgeber auch nicht möglich ist, dem<br />
Arbeitnehmer durch Direktionsrecht einen anderen Arbeitsplatz zuzuweisen2<br />
. Der Unternehmerentscheidung kommt hier nicht dieselbe<br />
Bedeutung zu wie be<strong>im</strong> Kündigungsentschluss, denn es geht um die<br />
Einschränkung vertraglicher Rechte innerhalb eines fortbestehenden<br />
Arbeitsverhältnisses3 . Es ist nicht ausreichend, dass der Arbeitgeber die<br />
Tätigkeiten schon einem anderen Arbeitnehmer übertragen hat4 . Auch<br />
sonstige Unternehmerentscheidungen, wie etwa der Wegfall einer Führungsposition,<br />
können rechtsmissbräuchlich sein, wenn sie mit der Intention<br />
getroffen werden, den Beschäftigungsanspruch zu untergraben5 .<br />
80 Eine wirtschaftliche Unzumutbarkeit kann es be<strong>im</strong> Beschäftigungsanspruch<br />
anders als be<strong>im</strong> Weiterbeschäftigungsanspruch kaum geben.<br />
Insbesondere ist sie nicht bereits dann anzunehmen, wenn der Arbeitgeber<br />
ohne sein Verschulden an einem wirtschaftlich sinnvollen Einsatz<br />
des Arbeitnehmers gehindert ist 6 . Die Entgeltfortzahlungspflicht<br />
besteht ohnehin grundsätzlich bis zum rechtlichen Ende des Arbeitsverhältnisses<br />
fort. In aller Regel hat der Arbeitgeber aber die wirtschaftlichen<br />
Belastungen durch die Entgeltzahlung auch bei einer Freistellung<br />
bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zu tragen. Darin liegt der entscheidende<br />
Unterschied zu der Wertung des § 102 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 BetrVG,<br />
wonach sich der Arbeitgeber von der betriebsverfassungsrechtlichen<br />
Weiterbeschäftigungspflicht entbinden lassen kann, wenn die Weiterbeschäftigung<br />
zu unzumutbaren wirtschaftlichen Belastungen führen<br />
würde 7 . In diesem Fall verursacht die Weiterbeschäftigung erst die<br />
Pflicht zur Entgeltzahlung und löst somit die möglicherweise unzumutbaren<br />
wirtschaftlichen Belastungen aus. Somit kommt eine wirtschaftliche<br />
Unzumutbarkeit nur dann in Betracht, wenn der Arbeitgeber zur<br />
1 Vgl. BAG v. 13.6.1990 – 5 AZR 350/89; LAG Hamm v. 15.1.1991 – 7 Ta 28/91<br />
und LAG Köln v. 24.10.1995 – 13 (5) Ta 245/95.<br />
2 ArbG Berlin v. 7.6.2005 – 84 Ga 10842/05.<br />
3 ArbG Berlin v. 25.1.2006 – 40 Ca 22605/05.<br />
4 LAG München v. 19.8.1992 – 5 Ta 182/92, Krause, NZA-Beilage 1/2005, 51,<br />
55.<br />
5 LAG Hamm v. 5.5.1983 – 8 Sa 255/83; LAG Köln v. 23.8.2001 – 7 (13) Ta<br />
190/01 – für die Auflösung eines Amtes.<br />
6 So aber Erman/Edenfeld, 11. Aufl., § 611 Rz. 355.<br />
7AARuhl/Kassebohm, NZA 1995, 497, 501.<br />
234
Der Beschäftigungsanspruch während des Arbeitsverhältnisses Rz. 83 I<br />
Ermöglichung der Beschäftigung unzumutbare Aufwendungen tätigen<br />
müsste, also zB aufwendige technische Einrichtungen installieren<br />
müsste, um den Arbeitnehmer vertragsgemäß zu beschäftigen 1 .<br />
Die Beschäftigungspflicht entfällt bei Betriebseinstellung vor Ablauf<br />
der Kündigungsfrist 2 , sofern nicht eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit<br />
in einem anderen Betrieb desselben Unternehmens besteht 3 . Der<br />
Arbeitnehmer hat also keinen Anspruch darauf, dass der Betrieb nur zur<br />
Erfüllung seines Beschäftigungsanspruchs bis zum Ablauf der Kündigungsfrist<br />
aufrechterhalten wird.<br />
Der Insolvenzverwalter kann nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit<br />
nach § 209 InsO aus insolvenzspezifischen Gründen berechtigt sein,<br />
Teile der Belegschaft, für die der Beschäftigungsbedarf entfallen ist, ohne<br />
Vergütungsanspruch von der Arbeitsleistung freizustellen 4 . Der Gesetzgeber<br />
setzt das Bestehen eines Freistellungsrechts in §§ 55 Abs. 2,<br />
209 Abs. 2 InsO voraus 5 . Dabei muss er billiges Ermessen iSv. § 315<br />
BGB walten lassen. Die Freistellung ist jedoch unbillig und damit unwirksam,<br />
wenn der Insolvenzverwalter nicht unverzüglich Maßnahmen<br />
zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses ergreift 6 .<br />
Bei dem billigen Ermessen können auch soziale Gesichtspunkte wie Alter,<br />
Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten und besondere finanzielle<br />
Interessen der Betroffenen von Bedeutung sein. In diesen Fällen kann<br />
eine einstweilige Verfügung auf Beschäftigung nur ergehen, wenn die<br />
Auswahlentscheidung des Insolvenzverwalters willkürlich ist und besondere<br />
Beschäftigungsinteressen dies zur Abwendung wesentlicher<br />
Nachteile für die Betroffenen gebieten 7 . Die insolvenzrechtliche Freistellung<br />
eines Betriebsratsmitgliedes kann nicht damit begründet wer-<br />
1 ArbG Berlin v. 7.6.2005 – 84 Ga 10842/05; vgl. weiter LAG München v.<br />
1.8.2005 – 4 Ta 250/05.<br />
2 LAG Hamm v. 18.9.2003 – 17 Sa 1275/03; s. hierzu bezogen auf die Schließung<br />
der Staatlichen Schauspielbühnen Berlins die Entscheidung des Bezirks-Bühnenschiedsgerichts<br />
Berlin v. 19.1.1994 – 78/93, zust<strong>im</strong>mend zitiert von Ruhl/<br />
Kassebohm, NZA 1995, 497, 502.<br />
3 S. hierzu ArbG Berlin v. 7.6.2005 – 84 Ga 10842/05.<br />
4 LAG Nürnberg v. 30.8.2005 – 6 Sa 273/05; umfassend LAG Hamm v. 27.9.2000<br />
– 2 Sa 1178/00, jeweils für das Verfügungsverfahren; BAG v. 4.6.2003 – 10 AZR<br />
586/02; kritisch hierzu LAG Hess. v. 6.6.2002 – 11 Sa 505/01 – bezogen auf die<br />
Sozialauswahl, LAG Düsseldorf v. v. 4.12.2002 – 6 Sa 1411/02 – zur konkreten<br />
Billigkeit und ArbG Berlin v. 18.6.1996 – 9 Ga 17108/96.<br />
5 LAG Hamm v. 12.2.2001 – 4 Ta 277/00 und v. 27.9.2000 – 2 Sa 1178/00; Moderegger,<br />
ArbRB 2004, 188 mit dem Hinweis, dass dadurch die Vergütungspflicht<br />
bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht entfällt.<br />
6 LAG Nürnberg v. 30.8.2005 – 6 Sa 273/05 – unter 2 b) der Entscheidungsgründe.<br />
7 LAG Hamm v. 27.9.2000 – 2 Sa 1178/00.<br />
235<br />
81<br />
82<br />
83
I Rz. 84 Die einstweilige Verfügung <strong>im</strong> Individualarbeitsrecht<br />
den, er habe <strong>im</strong> Wesentlichen Betriebsratstätigkeiten ausgeübt und<br />
kaum Arbeitsleistung erbracht 1 . Meines Erachtens besteht in diesen<br />
Fällen kein Mitbest<strong>im</strong>mungsrecht des Betriebsrats, da es sich nicht um<br />
eine vorübergehende Verkürzung der betriebsüblichen Arbeitszeit handelt,<br />
sondern um die völlige Freistellung eines Teils der Arbeitnehmer 2 .<br />
84 Bei einer unwirksamen insolvenzbedingten Freistellung besteht auch<br />
ein Verfügungsgrund, der ausnahmsweise in den finanziellen Folgen der<br />
Freistellung liegt 3 . Der Verfügungsgrund besteht aber nur, wenn ansonsten<br />
eine wirtschaftliche Notlage einträte 4 .<br />
bb) Personen- und verhaltensbedingt<br />
85 Ansteckende Krankheiten können ein Recht zur Freistellung begründen.<br />
86 Kann der Arbeitgeber eine Gefährdung der Wahrung von Betriebsgehe<strong>im</strong>nissen<br />
durch den Arbeitnehmer glaubhaft machen, spricht dies<br />
gegen eine Beschäftigungspflicht. Auch die Gefährdung des Betriebsfriedens<br />
durch den Arbeitnehmer kann den Ausschluss der Weiterbeschäftigungspflicht<br />
begründen, jedoch muss der Arbeitgeber hier eingehend<br />
vortragen, worin diese bestehen soll und warum er dem nicht mit zumutbarem<br />
Aufwand entgegentreten kann. Weiter ist es denkbar, dass<br />
das Vertrauensverhältnis zwischen den Arbeitsvertragsparteien derartig<br />
zerrüttet ist, dass es dem Arbeitgeber nicht zumutbar ist, den Arbeitnehmer<br />
bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zu beschäftigen 5 . Dabei<br />
kann auch die Stellung des Arbeitnehmers eine gewichtige Rolle spielen<br />
(s.u. I Rz. 87 zu den leitenden Angestellten). Eine Freistellung ist<br />
grundsätzlich auch gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer in der Kündigungsfrist<br />
versucht, andere Arbeitnehmer für eine spätere Konkurrenztätigkeit<br />
zu werben 6 . Dies gilt auch dann, wenn dabei keine sittenwidrigen<br />
Methoden angewandt werden und/oder der Versuch erfolglos<br />
bleibt. Weiter kann die Ankündigung des Arbeitnehmers, sich für die<br />
von ihm als ungerechtfertigt empfundene Kündigung zu „revanchieren“,<br />
dessen Weiterbeschäftigung unzumutbar machen, wenn der Arbeitgeber<br />
daraufhin befürchten muss, dass der Arbeitnehmer während<br />
1 LAG Nürnberg v. 30.8.2005 – 6 Sa 273/05 – unter 2 c) der Entscheidungsgründe.<br />
2 Vgl. BAG v, 28.3.2000 – 1 ABR 17/99 – zum fehlenden MBR des BR gemäß § 99<br />
BetrVG bei der Freistellung einzelner Arbeitnehmer.<br />
3 LAG Nürnberg v. 30.8.2005 – 6 Sa 273/05 – unter 2 d) der Entscheidungsgründe.<br />
4 LAG Hamm v. 26.10.2005 – 2 Sa 1682/05.<br />
5 MünchArbR/Blomeyer, § 95 Rz. 18.<br />
6 Schmiedl, BB 2003, 1120,1123.<br />
236
Der Beschäftigungsanspruch während des Arbeitsverhältnisses Rz. 87 I<br />
der Dauer der Kündigungsfrist schädigende Handlungen vorn<strong>im</strong>mt, wie<br />
etwa eine Manipulation am EDV-System.<br />
cc) Führungskräfte – Außenwirkung der Beschäftigung<br />
Es besteht kein Automatismus, dass Führungskräfte, auch wenn sie unter<br />
§ 14 Abs. 2 Satz 1 KSchG fallen, generell keinen Beschäftigungsanspruch<br />
während der Kündigungsfrist hätten 1 . Dies folgt auch nicht<br />
<strong>im</strong> Wege des Erst-Recht-Schlusses daraus, dass das Gericht auf Antrag<br />
des Arbeitgebers gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 KSchG das Arbeitsverhältnis<br />
auflösen muss, auch wenn hierfür keine Begründung vorgetragen wird.<br />
Dies hat keine Auswirkungen auf die Rechte dieser Arbeitnehmergruppe<br />
während der Dauer des Arbeitsverhältnisses. Vielmehr sind auch hier<br />
die Umstände des Einzelfalls abzuwägen 2 . So ist etwa die Beschäftigung<br />
eines leitenden Arbeitnehmers, der über die Befugnis zur Einstellung<br />
und Entlassung von Personal verfügt, an ein größeres Vertrauensverhältnis<br />
gebunden als das eines einfachen Angestellten. Auch wenn ein<br />
Arbeitnehmer in exponierter Stellung ohne nachvertragliches Wettbewerbsverbot<br />
nach Ablauf der Kündigungsfrist zur Konkurrenz wechseln<br />
möchte, kann die Beschäftigung uU unzumutbar sein, insbesondere<br />
bei einer langen Kündigungsfrist 3 . Gleiches wurde für eine<br />
Büroleiterin entschieden, mit der der Arbeitgeber täglich eng zusammengearbeitet<br />
hat 4 . Der Arbeitgeber muss aber mildere Mittel als die<br />
vollständige Freistellung vorziehen, wenn diese ausreichen, um seine<br />
Interessen zu wahren. Sieht der Arbeitsvertrag verschiedene Einsatzmöglichkeiten<br />
vor und besteht die Gefahr der Weitergabe aktueller Firmeninterna<br />
nur bei einer dieser Tätigkeiten, muss der Arbeitgeber ihm<br />
andere vertragsgemäße Tätigkeiten zuweisen und kann ihn nicht vollkommen<br />
freistellen. Umgekehrt muss der Arbeitnehmer hinnehmen,<br />
dass er mit best<strong>im</strong>mten Tätigkeiten nicht mehr betraut wird und uU<br />
best<strong>im</strong>mte Kompetenzen nicht mehr hat. Voraussetzung ist aber stets,<br />
dass auch die ihm nunmehr übertragene Tätigkeit vom Arbeitsvertrag<br />
umfasst ist. Eine Beschäftigung als GmbH-Geschäftsführer ist wegen<br />
der gemäß § 38 GmbHG jederzeitigen Möglichkeit der Abberufung<br />
nicht durchsetzbar. Liegt ein Arbeitsvertrag zugrunde, kann eine Beschäftigung<br />
„als Angestellter“ begehrt werden. Dabei sollten die Einzel-<br />
1 So aber Bauer, Arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge, 7. Aufl., Rz. IV 15; wie<br />
hier: Beckmann, NZA 2004, 1131, 1134 f.<br />
2 Krause, NZA-Beilage 1/2005, 51, 53.<br />
3 LAG Hamm v. 3.11.1993 – 15 Sa 1592/93, HWK/Thüsing, § 611 BGB Rz. 173;<br />
Reinhard/Kliemt, NZA 2005, 545, 547.<br />
4 LAG Köln v. 13.5.2005 – 4 Sa 400/05.<br />
237<br />
87
I Rz. 88 Die einstweilige Verfügung <strong>im</strong> Individualarbeitsrecht<br />
heiten der begehrten Beschäftigung <strong>im</strong> Antrag möglichst präzise wiedergegeben<br />
werden 1 .<br />
88 Zu beachten ist auch die potentielle Außenwirkung der Weiterbeschäftigung<br />
des Arbeitnehmers. So kann dem Arbeitgeber die weitere Beschäftigung<br />
unzumutbar werden, wenn die Kündigung etwa aufgrund<br />
massiver Kundenbeschwerden erfolgte, die ihrerseits mit einem Abbruch<br />
der Geschäftsbeziehungen für den Fall der Weiterbeschäftigung<br />
des Arbeitnehmers gedroht haben. Auch in Berufen, in denen es entscheidend<br />
auf die Zuverlässigkeit der Arbeitnehmer ankommt (Ärzte,<br />
Pflegepersonal etc.) kann ein überwiegendes Nichtbeschäftigungsinteresse<br />
des Arbeitgebers bestehen, wenn aufgrund vorangegangener Umstände<br />
Zweifel an der Zuverlässigkeit des Arbeitnehmers auftreten.<br />
89 Kein hinreichenden Gründe sind hingegen;<br />
– die vom Arbeitgeber behauptete Nichterreichung von Zielvorgaben2 ;<br />
– die Behauptung, die Tätigkeit des Arbeitnehmers entspreche nicht<br />
den aktuellen Anforderungen des Marktes3 ;<br />
– die allgemeine, nicht durch konkrete Anhaltspunkte belegte Befürchtung,<br />
der Arbeitnehmer werde zur Konkurrenz gehen4 ;<br />
– die unternehmerische Entscheidung zur Freistellung; eine Parallele<br />
zu einer die Kündigung rechtfertigenden unternehmerischen Entscheidung<br />
kommt nicht in Betracht, da ansonsten der grundrechtlich<br />
geschützte Beschäftigungsanspruch ausgehöhlt würde5 .<br />
dd) Bühnenkünstler<br />
90 Für den künstlerischen Bereich bestehen tarifvertragliche Regelungen 6 .<br />
So best<strong>im</strong>mt § 6 Abs. 1 des Normalvertrages (NV) Solo 7 , dass das Mitglied<br />
angemessen zu beschäftigen ist. Die Beschäftigung muss sich <strong>im</strong><br />
Rahmen des Kunstfachs bzw. des vertraglich vereinbarten Rollengebiets<br />
halten. Der Auftritt in zwei Rollen des Kunstfachs mit Premieren wird<br />
als angemessen angesehen 8 . Ein Anspruch auf eine best<strong>im</strong>mte Rolle be-<br />
1 Beckmann, NZA 2004, 1131, 1135.<br />
2 LAG Köln v. 20.3.2001 – 6 Ta 46/01.<br />
3 ArbG Frankfurt/M. v. 8.10.1998 – 2 Ga 214/98.<br />
4 LAG Nürnberg v. 12.3.1982 – 6 Sa 10/82.<br />
5 LAG München v. 7.5.2003 – 5 Sa 344/03.<br />
6 S. <strong>im</strong> Einzelnen MünchArbR/Richardi/Pallasch, § 199 Rz. 69 ff.; Ruhl/Kassebohm,<br />
NZA 1995, 497<br />
7 NV Solo, abgedruckt in: Loseblattsammlung Bühnen- und Musikrecht unter<br />
IA2.<br />
8 MünchArbR/Richardi/Pallasch, § 199 Rz. 71 unter Hinweis auf Vogel, Bühnenarbeitsrecht,<br />
Rz. 102 und der dort nachgewiesenen Rechtsprechung des<br />
BOSchG.<br />
238
Der Beschäftigungsanspruch während des Arbeitsverhältnisses Rz. 91 I<br />
steht jedoch nur bei einer entsprechenden vertraglichen Vereinbarung 1 .<br />
Zur angemessenen Beschäftigung iSd. NV Solo gehört auch die Teilnahme<br />
an Proben und die Übertragung so genannter Ansehrollen 2 . Gemäß<br />
§ 11 Abs. 2a NV Solo kann sich der Arbeitgeber nicht vertraglich das<br />
Recht vorbehalten, durch einseitige Erklärungen das Mitglied unter<br />
Kürzung oder Wegfall der vertraglichen Vergütung zu beurlauben. Ähnliche<br />
Regelungen finden sich in § 4 Abs. 5, § 2 Abs. 2b NV Tanz und § 4<br />
Abs. 4, § 2 Abs. 3b NV Chor. Allerdings kann der Arbeitgeber in Einzelfällen<br />
berechtigt sein, die Arbeitspflicht vorübergehend zu suspendieren,<br />
wenn der hinreichende Verdacht einer Pflichtverletzung besteht.<br />
Schließlich kommt bei einer Kündigung wegen Versagens der künstlerischen<br />
Leistungen eines Berufsmusikers gemäß § 42 Abs. 1b des Tarifvertrages<br />
für die Musiker in Kulturorchestern (TVK) ein Ausschluss des<br />
Beschäftigungsanspruches während der sozialen Auslauffrist in Betracht.<br />
Dabei ist auf der einen Seite zu beachten, dass ein Berufsmusiker<br />
ein starkes Interesse an der tatsächlichen Beschäftigung hat, da es für<br />
ihn darum geht, seine beruflichen Fertigkeiten gerade <strong>im</strong> Zusammenspiel<br />
zu erhalten. Auf der anderen Seite ist jedoch das arbeitgeberseitige<br />
Interesse schützenswert, bei Auftritten vor Publikum eine einwandfreie<br />
und den künstlerischen Ansprüchen genügende Orchesterleistung präsentieren<br />
zu können. Wenn die künstlerische Gesamtwirkung des Orchesters<br />
durch erhebliche Leistungsmängel eines einzelnen Mitgliedes<br />
gestört wird, kommt eine Suspendierung für die Zeit bis zum Ablauf<br />
der Kündigungsfrist in Betracht 3 .<br />
ee) Betriebsratsamt<br />
Eine besondere Bedeutung kommt dem Betriebsratsamt des Arbeitnehmers<br />
zu. Verweigert der Betriebsrat die Zust<strong>im</strong>mung zur Kündigung eines<br />
seiner Mitglieder, muss der Arbeitgeber gemäß § 103 BetrVG bei<br />
den Gerichten für Arbeitssachen die Ersetzung der Zust<strong>im</strong>mung beantragen.<br />
Bis hierüber rechtskräftig entschieden ist, hat das betroffene Betriebsratsmitglied<br />
grundsätzlich einen Beschäftigungsanspruch (zu dem<br />
davon unabhängigen Anspruch auf Amtsausübung s. K Rz. 15). Dieser<br />
entfällt nur dann, wenn der Weiterbeschäftigung überwiegende und<br />
schutzwürdige Interessen des Arbeitgebers entgegenstehen, die eine<br />
Verhinderung der Beschäftigung geradezu gebieten. Dies wurde von der<br />
Rechtsprechung angenommen bei dem objektiven Bestehen erheblicher<br />
Gefahren für den Betrieb oder dort beschäftigte Personen oder eines<br />
durch objektive Tatsachen gesicherten dringenden Verdachts einer strafbaren<br />
Handlung oder einer sonstigen schweren Arbeitsvertragsverlet-<br />
1 § 6 Abs. 3 NV Solo.<br />
2 MünchArbR/Richardi/Pallasch, § 199 Rz. 71.<br />
3 LAG Berlin v. 9.1.1997 – 14 Ta 19/96, n.v.<br />
239<br />
91
I Rz. 92 Die einstweilige Verfügung <strong>im</strong> Individualarbeitsrecht<br />
zung 1 . Eine Störung des Betriebsfriedens kommt mE jedoch nur dann in<br />
Betracht, wenn sie erheblich ist 2 . Auch dann kommt eine einstweilige<br />
Verfügung auf Zust<strong>im</strong>mung gem. § 103 BetrVG nicht in Betracht 3 .<br />
ff) Allgemeine Interessenabwägung<br />
92 Diese Interessen des Arbeitgebers sind dann in einer Gesamtschau gegen<br />
ein möglicherweise bestehendes besonderes Beschäftigungsinteresse<br />
des Arbeitnehmers abzuwägen. Der Arbeitnehmer kann aufgrund seiner<br />
besonderen beruflichen Situation ein gesteigertes Interesse an der<br />
Beschäftigung haben, wie zB das „Im-Geschäft-Bleiben“ <strong>im</strong> Verkaufsbereich,<br />
den Erhalt best<strong>im</strong>mter technischer oder handwerklicher Fähigkeiten<br />
etc. In diesem Zusammenhang ist streitig, ob Bewerbungen aus<br />
einem aktiven Arbeitsverhältnis erfolgversprechender sind als solche,<br />
die während einer Freistellung erfolgen4 .<br />
93 Ein Berufsfußballspieler kann seinen Anspruch auf Teilnahme am Training<br />
durchsetzen, wenn er glaubhaft macht, dass auch durch die zeitweilige<br />
Nichtteilnahme seine Chancen auf dem Markt erheblich sinken<br />
würden 5 .<br />
d) Verfügungsgrund<br />
94 Es ist streitig, ob der Verfügungsgrund in diesen Fällen bereits dadurch<br />
vorgegeben ist, dass der Verfügungsanspruch besteht und durch Zeitablauf<br />
vereitelt wird, wenn dem Arbeitgeber die Beschäftigung nicht per<br />
einstweiliger Verfügung aufgegeben wird6 , oder ob der Arbeitnehmer<br />
auch vortragen und glaubhaft machen muss, dass er wegen einer Notlage<br />
auf die sofortige Erfüllung des Beschäftigungsanspruches dringend<br />
1 LAG Köln v. 2.8.2005 – 1 Sa 952/05 unter 2a cc der Entscheidungsgründe; LAG<br />
Hamm v. 21.9.2004 – 12 SaGa 1212/04 und v. 12.12.2001 – 10 Sa 1741/01; 311;<br />
LAG Sachsen v. 14.4.2000 – 3 Sa 298/00; LAG Sachsen v. 14.4.2000 – 3 Sa<br />
298/00 – lässt es hingegen ausreichen, dass den Kündigungsgründen „einiges<br />
Gewicht“ zukommt.<br />
2 LAG Hamm v. 12.12.2001 – 10 Sa 1741/01 – lässt bereits eine einfache Störung<br />
ausreichen und nennt weiterhin betriebliche Ablaufstörungen; zur fortbestehenden<br />
Wählbarkeit eines Arbeitnehmers s. BAG v. 10.11.2004 – 7 ABR 12/04.<br />
3 DKK/Kittner, § 103 Rz. 46.<br />
4 Dafür ArbG Stuttgart v. 18.3.2005 – 26 Ga 4/05, dagegen LAG Köln v.<br />
13.5.2005 – 4 Sa 400/05.<br />
5 ArbG Solingen v. 16.1.1996 – 2 Ga 1/96; s. in diesem Zusammenhang zum<br />
Rechtsweg LAG Köln v. 22.4.2002 – 8 (13) Ta 8/02.<br />
6 So LAG Hess. v. 3.3.2005 – 9 SaGa 2286/04 – und v. 19.8.2002 – 16 Sa Ga<br />
1118/02, LAG München v. 7.5.2003 – 5 Sa 344/03 und v. 19.8.1992 – 5 Ta<br />
185/92; Walker, Rz. 686; ArbG Stuttgart v. 18.3.2005 – 26 Ga 4/05.<br />
240
Der Beschäftigungsanspruch während des Arbeitsverhältnisses Rz. 95 I<br />
angewiesen ist, etwa um seine beruflichen Chancen zu erhalten 1 . Dabei<br />
ist mE zu beachten, dass das Beschäftigungsinteresse, wie der Große Senat<br />
des BAG definiert hat, ein ideelles ist. Etwaige Gegeninteressen des<br />
Arbeitgebers sind bereits in die Interessenabwägung be<strong>im</strong> Verfügungsanspruch<br />
einzubeziehen 2 . Besteht der Verfügungsanspruch, so bleibt für<br />
die Verneinung des Verfügungsgrundes kein Raum mehr, da das be<strong>im</strong><br />
Anspruchsgrund als vorrangig befundene ideelle Interesse des Arbeitnehmers<br />
an der Beschäftigung ansonsten durch Zeitablauf nicht mehr<br />
realisierbar wäre. Einer besonderen Dringlichkeitssituation bedarf es<br />
nicht, da die einstweilige Verfügung gerade den Zweck hat, den endgültigen<br />
Rechtsverlust durch die lange Dauer des Hauptsacheverfahrens zu<br />
vermeiden 3 . Dies gilt insbesondere in Ausbildungsverhältnissen 4 . Weiter<br />
ist auch hier zu beachten, dass die Anforderungen an den Verfügungsgrund<br />
umso geringer sind, je schwerer und offensichtlicher die<br />
drohende oder bestehende Rechtsverletzung ist 5 . Etwas anderes kann<br />
gelten, wenn der Arbeitgeber nicht die Beschäftigung insgesamt ablehnt,<br />
sondern nur zu den vom Arbeitnehmer gewünschten Bedingungen. Hier<br />
muss der Arbeitnehmer eingehend vortragen, warum die Beschäftigung<br />
mit einer anderen als der zuvor innegehabten Beschäftigung sein ideelles<br />
Interesse in einer Weise berührt, die eine Regelungsverfügung notwendig<br />
macht 6 (zum Verfügungsgrund für den Antrag auf Nichtzuweisung<br />
best<strong>im</strong>mter Tätigkeiten s. unter Direktionsrecht, I Rz. 51).<br />
Beraterhinweis: In der Praxis sollte der Arbeitnehmervertreter stets vorsorglich<br />
substantiierte Argumente für ein besonderes Weiterbeschäftigungsinteresse<br />
vortragen.<br />
1 So LAG Köln v. 13.5.2005 – 4 Sa 400/05; LAG Hamm v. 18.2.1998 – 3 Sa<br />
297/98; LAG Köln v. 31.7.1985 – 7 Sa 555/85; LAG Hamburg v. 8.9.1982 – 5 Sa<br />
112/82; für die Weiterbeschäftigung zu den bisherigen Bedingungen nach Änderungskündigung;<br />
LAG Hess. v. 23.3.1987 – 1 SaGa 316/87; LAG Hess. v. 23.3<br />
1987 – 1 SaGa 316/87; ArbG Stralsund v. 11.8.2004 – 3 Ga 7/04; Baur, Teil B<br />
Rz. 99 mwN.); Bader/Creutzfeld/Friedrich, ArbGG, § 62 Rz. 102; Ostrowicz/<br />
Künzl/Schäfer, S. 457.<br />
2 LAG München v. 7.5.2003 – 5 Sa 344/03.<br />
3 In diesem Sinne auch Schäfer, Rz. 68; vgl. weiter LAG Hess. v. 23.3.2004 – 15<br />
SaGa 401/04; darin auch zum Problem der Nichtbeschäftigung wegen gesundheitlicher<br />
Probleme des Arbeitnehmers und der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers;<br />
LAG Sachs. v. 8.3.1996 – 3 Sa 77/96.<br />
4 ArbG Köln v. 1.2.2005 – 14 (12) Ga 13/05.<br />
5 LAG Köln v. 13.5.2004 – 4Sa 400/05; LAG München v. 7.5.2003 – 5 Sa 344/03;<br />
LAG Köln v. 24.11.1998 – 13 Sa 940/98; Moderegger, ArbRB 2004, 188.<br />
6 LAG Hess. v. 19.8.2002 – 16 SaGa 1118/02 und v. 23.1.1995 – 16 GaSa 2127/94;<br />
s. weiter unter „Versetzung“ I Rz. 56.<br />
241<br />
95
I Rz. 232 Die einstweilige Verfügung <strong>im</strong> Individualarbeitsrecht<br />
Fiktionswirkung des § 894 Abs. 1 ZPO liegt. Die Fiktion der Abgabe der Willenserklärung<br />
durch das Urteil tritt jedoch erst mit seiner Rechtskraft ein.<br />
Selbst wenn man die Rechtskraft <strong>im</strong> Verfügungsverfahren ausreichen lässt,<br />
dürfte diese in der Regel nicht vor dem Urlaubsantritt eintreten, da der Arbeitgeber<br />
gegen eine ohne mündliche Verhandlung ergangene einstweilige Verfügung<br />
zeitlich unbefristet Widerspruch und gegen ein entsprechendes Urteil<br />
binnen der Berufungsfrist von einem Monat Berufung einlegen könnte. Darüber<br />
hinaus ist zu beachten, dass die Urlaubsgewährung mittels einer einstweiligen<br />
Verfügung eine Befriedigungswirkung entfaltet. Eine Vorwegnahme der Hauptsache<br />
ist jedoch <strong>im</strong> Verfügungsverfahren so weit wie möglich zu vermeiden.<br />
Sie ist nur zulässig, wenn effektiver <strong>Rechtsschutz</strong> nicht auf andere Weise gewährt<br />
werden kann. Mit der Gestattung des Fernbleibens der Arbeit wird eine<br />
Erfüllung des Urlaubsanspruchs und somit eine Vorwegnahme der Hauptsache<br />
vermieden und erreicht, dass der Arbeitnehmer seine an sich fortbestehende<br />
Arbeitspflicht nicht verletzt. Auch bedarf es keiner Vollstreckungsakte, da zumindest<br />
die formlose Übergabe einer schriftlichen Ausfertigung als Vollziehung<br />
der gerichtlichen Gestattung ausreicht. Über den Vergütungsanspruch ist dann<br />
erforderlichenfalls <strong>im</strong> Hauptsacheverfahren zu entscheiden (Corts, NZA 1998,<br />
357).<br />
(ggf. weitere Mittel der Glaubhaftmachung)<br />
Unterschrift<br />
XI. Entgeltzahlung<br />
Literatur: Reich, Die einstweilige Verfügung auf Lohn- und Gehaltszahlung während<br />
des Rechtsstreits über den Bestand des Arbeitsverhältnisses, DB 1996, Beilage<br />
10; Keßler, Die auf Vergütungszahlung gerichtete einstweilige Verfügung,<br />
AuA 1996, 419; Korinth, Durchsetzung v. Vergütungsforderungen bei noch laufendem<br />
Kündigungsrechtsstreit, ArbRB 2004, 94; Vossen, Die auf Zahlung der<br />
Arbeitsvergütung gerichtete einstweilige Verfügung, RdA 1991, 216<br />
1. Grundsatz – Verhältnis zum Arrest<br />
232 Zur vorläufigen Sicherung des Vergütungsanspruches steht dem Arbeitnehmer<br />
grundsätzlich nur der Arrest zur Verfügung, da es sich um einen<br />
reinen Geldanspruch handelt 1 . Mit dem Arrest erreicht der Arbeitnehmer<br />
jedoch nur die Sicherung seines Anspruches und keine vorläufige<br />
Befriedigung. Dies kann nur mittels einer Leistungsverfügung geschehen.<br />
Zur Behebung einer existentiellen Notlage kann der Arbeitnehmer<br />
daher auch eine einstweilige Verfügung beantragen, die auf die Zahlung<br />
von Arbeitsentgelt gerichtet ist. Dabei kann er jedoch regelmäßig nur<br />
1 Heinze, RdA 1986, 281.<br />
310
Entgeltzahlung Rz. 234 I<br />
einen Teil der Vergütung fordern. Hier kann es zu einem Nebeneinander<br />
von Arrest und einstweiliger Verfügung kommen. Hinsichtlich eines<br />
Teils der gesamten Entgeltforderung können die Voraussetzungen<br />
für den Erlass einer Befriedigungsverfügung vorliegen. Gleichzeitig<br />
kann aber eine Gefährdung der Gesamtforderung vorliegen, etwa wenn<br />
der Arbeitgeber Betriebs- und Privatvermögen ins Ausland verlagert<br />
(§ 917 Abs. 2 ZPO). Somit würde hinsichtlich des Gesamtanspruches<br />
ein Arrestbefehl beantragt werden können und hinsichtlich eines Teilanspruches<br />
ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Befriedigungsverfügung.<br />
Diese Formen einstweiligen <strong>Rechtsschutz</strong>es können auch in<br />
einem Verfahren beantragt werden 1 . Weiter ist auch die hilfsweise Staffelung<br />
von Anträgen auf Befriedigungswirkung und Arrest möglich.<br />
Wenn es dem Antragsteller in erster Linie auf eine Befriedigungsverfügung<br />
ankommt, er aber gleichzeitig die Voraussetzungen eines Arrestes<br />
glaubhaft macht, kann er hinsichtlich der gesamten Forderung einen<br />
Arrestbefehl beantragen und hinsichtlich einer Teilforderung eine einstweilige<br />
Verfügung auf Zahlung. Der Arrestantrag kann allerdings nur<br />
insoweit Erfolg haben, wie er über den Zahlungsantrag hinausgeht,<br />
denn bezogen auf eine Forderung können Arrest und einstweilige Verfügung<br />
nicht kumulativ ergehen.<br />
2. Verhältnis zur Hauptsacheklage<br />
Das Verfügungsverfahren kann nur eine vorläufige und meist teilweise<br />
Befriedigung bieten. Zur vollständigen Realisierung der Forderungen ist<br />
es daher aus Arbeitnehmersicht sachgerecht, zugleich mit dem Verfügungsantrag<br />
Klage in der Hauptsache über den vollen ausstehenden<br />
Betrag zu erheben. Dies bereitet den Verfahrensbevollmächtigten nicht<br />
viel Mehraufwand, denn die Begründung des Verfügungsantrages enthält<br />
bereits als Teilmenge die Darlegung des Anspruchs.<br />
Beraterhinweis: Wenn das Gericht, wie meistens, nicht ohne mündliche<br />
Verhandlung über den Verfügungsantrag entscheiden möchte, empfiehlt<br />
sich die Anregung, die Güteverhandlung in dem zeitgleich eingeleiteten<br />
Hauptsacheverfahren zur gleichen Terminstunde anzusetzen,<br />
um möglicherweise ein Versäumnis- oder Anerkenntnisurteil über die<br />
gesamte Forderung zu erwirken.<br />
1 Walker, S. 115 Rz. 159.<br />
311<br />
233<br />
234
I Rz. 235 Die einstweilige Verfügung <strong>im</strong> Individualarbeitsrecht<br />
3. Verfügungsanspruch<br />
a) Anspruch nach erfolgter Arbeitsleistung<br />
235 Der Arrest- und Verfügungsanspruch beruht bei einem fortbestehenden<br />
Arbeitsverhältnis regelmäßig auf § 611 BGB. Der Arbeitnehmer muss<br />
also darlegen und glaubhaft machen, dass ein Arbeitsverhältnis besteht,<br />
aufgrund dessen der Arbeitgeber zur Zahlung der arbeitsvertraglichen<br />
Vergütung verpflichtet ist. Entsprechendes gilt für ein zugesagtes Ruhegeld1<br />
. Im fortbestehenden Arbeitsverhältnis muss der Arbeitnehmer<br />
auch darlegen, dass er die vertraglich geschuldeten Dienste erbracht<br />
hat, um den Anspruch aus § 611 BGB schlüssig darzulegen. Ein solcher<br />
Sachvortrag ist deswegen erforderlich, weil der Arbeitnehmer gemäß<br />
§ 614 BGB grundsätzlich vorleistungspflichtig ist und der Vergütungsanspruch<br />
erst nach der Bewirkung der Arbeitsleistung fällig ist. Einen<br />
etwa vertraglich vereinbarten Ausnahmetatbestand hat der Arbeitnehmer<br />
vorzutragen und glaubhaft zu machen.<br />
b) Annahmeverzug<br />
236 Hat der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung nicht erbracht, so kommt unter<br />
dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges ein Anspruch aus § 615<br />
BGB in Betracht. Ein solcher kann während des ungekündigten Arbeitsverhältnisses<br />
entstehen, wenn der Arbeitgeber die ihm obliegenden<br />
Mitwirkungshandlungen (Zurverfügungstellung eines funktionsfähigen<br />
Arbeitsplatzes und Zuweisung von Arbeit) unterlässt. Auch die Zahlung<br />
von Vergütung nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz fällt hierunter.<br />
Problematisch kann die Darlegung des Verfügungsanspruches bei einem<br />
gekündigten Arbeitsverhältnis nach Ablauf der Kündigungsfrist sein,<br />
wenn über die Wirksamkeit der Kündigung noch nicht befunden worden<br />
ist. Hier ist der Arbeitnehmer gehalten, darzulegen und glaubhaft<br />
zu machen, dass die Kündigung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit<br />
unwirksam ist2 . Auch die Voraussetzungen des Annahmeverzugs müssen<br />
dargestellt werden, wobei es in der Regel ausreicht, Kündigungsschutzklage<br />
zu erheben3 . Bestehen Zweifel an der Arbeitsfähigkeit, hat<br />
der Arbeitnehmer auch deren Bestehen zu beweisen4 . Als Anspruchsgrundlage<br />
kommt auch § 615 BGB i.V.m. § 102 Abs. 5 BetrVG in Betracht,<br />
wenn der Betriebsrat der ordentlichen Kündigung ordnungsgemäß<br />
widersprochen hat (zu den einzelnen Voraussetzungen s.o.<br />
I Rz. 162 ff.). In diesem Fall wird das Arbeitsverhältnis kraft Gesetzes<br />
1 Schäfer, Rz. 136.<br />
2 LAG Köln v. 26.6.2002 – 8 Ta 221/02.<br />
3 LAG Köln v. 26.6.2002 – 8 Ta 221/02.<br />
4 LAG Hess. v. 9.7.1995 – 13 Ta 242/95.<br />
312
Entgeltzahlung Rz. 239 I<br />
bis zum Eintritt der auflösenden Bedingung der rechtskräftigen Abweisung<br />
der Kündigungsschutzklage fortgesetzt, so dass hieraus auch<br />
Vergütungsansprüche resultieren können 1 . Hat der Arbeitnehmer <strong>im</strong><br />
Kündigungsschutzverfahren erster Instanz einen allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch<br />
gegen den Arbeitgeber erstritten und weigert sich<br />
dieser, ihn zu erfüllen, so kommt mangels eines weiterbestehenden Arbeitsverhältnisses<br />
kein Annahmeverzugsanspruch iSv. § 615 BGB in Betracht,<br />
nach einer Literaturauffassung wohl aber Schadensersatzansprüche<br />
2 .<br />
c) Sonstiges<br />
Auch das Betriebsratsmitglied kann mittels einstweiliger Verfügung<br />
den Notunterhalt begehren, wenn es notwendige Betriebsratstätigkeit<br />
geleistet hat, deren Vergütung vom Arbeitgeber verweigert wird. Dabei<br />
muss zu Art und Umfang der Betriebsratstätigkeit eingehend vorgetragen<br />
und der Sachvortrag glaubhaft gemacht werden 3 .<br />
Es kann rechtsmissbräuchlich sein, wenn ein Arbeitnehmer, nachdem<br />
die Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechtskräftig festgestellt worden<br />
ist, ständig neue Anträge auf Erlass einer einstweiligen Verfügung<br />
in fotokopierter Form stellt, mit dem der frühere Arbeitgeber zur Entgeltzahlung<br />
verpflichtet werden soll. Wenn ein solcher Antrag einmal<br />
zurückgewiesen worden ist, braucht das Gericht die Wiederholungen<br />
nur noch zu den Akten zu nehmen und nicht mehr zu bearbeiten 4 .<br />
d) Aufrechnung des Arbeitgebers<br />
Nach Ausspruch einer Kündigung erklärt der Arbeitgeber bisweilen die<br />
Aufrechnung mit vermeintlichen Gegenforderungen, die aus einer etwa<br />
erfolgten Überzahlung oder aus Schadensersatzansprüchen resultieren<br />
können. Hat der Arbeitgeber diese Gegenforderungen <strong>im</strong> Verfügungsverfahren<br />
geltend gemacht, so muss der Arbeitnehmer dem so substantiiert<br />
entgegentreten wie die Ansprüche begründet worden sind. Die Rechtsverteidigung<br />
kann hierbei darin bestehen, dass er das Bestehen des Gegenanspruches<br />
bestreitet oder die Nichteinhaltung der Pfändungsfreigrenzen<br />
rügt. Bei Einhaltung der Pfändungsfreigrenzen kommt eine<br />
einstweilige Verfügung auf Entgeltzahlung jedoch regelmäßig nicht in<br />
Betracht, da der Arbeitnehmer so viel von seiner Vergütung ausbezahlt<br />
1 S. KR/Etzel, § 102 Rz. 215 f. m. ausführlicher Darlegung der rechtsdogmatischen<br />
Grundlagen.<br />
2 ErfK/Preis, Rz. 10 zu § 615.<br />
3 ArbG Frankfurt v. 16.1.2001 – 5 Ga 2/01.<br />
4 LAG Hess. v. 29.10.1992 – 9 Ta 390/92, n.v.<br />
313<br />
237<br />
238<br />
239
I Rz. 240 Die einstweilige Verfügung <strong>im</strong> Individualarbeitsrecht<br />
erhält, wie der Gesetzgeber zur Bestreitung seines unabweisbaren Lebensunterhaltes<br />
für erforderlich gehalten hat. Lediglich in Ausnahmefällen<br />
kann der Arbeitnehmer darlegen, dass er gleichwohl existentiell<br />
auf die Zahlung eines noch darüber hinausgehenden Betrages angewiesen<br />
ist, etwa bei hohen Abzahlungsverpflichtungen aus dem Bau eines<br />
Eigenhe<strong>im</strong>s 1 .<br />
240 Der Arbeitnehmer ist zunächst nur verpflichtet, die Entstehungsvoraussetzungen<br />
für seinen Vergütungsanspruch darzulegen und glaubhaft zu<br />
machen. Da über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung<br />
auf Entgeltzahlung regelmäßig nicht ohne mündliche Verhandlung entschieden<br />
werden wird, ist es jedoch <strong>im</strong> Sinne der Prozessförderung sachdienlich,<br />
bereits vom Arbeitgeber geltend gemachte Gegenansprüche in<br />
der Antragsbegründung aufzugreifen und ihnen entgegenzutreten.<br />
e) Höhe des Verfügungsanspruchs<br />
241 Der Arbeitgeber kann <strong>im</strong> Verfügungsverfahren nur zur Zahlung einer<br />
Nettosumme verpflichtet werden, da dem Arbeitnehmer allein diese<br />
und nicht Steuern und Sozialabgaben zufließen 2 . Über die Zahlung eines<br />
Bruttobetrages kann <strong>im</strong> Hauptsacheverfahren entschieden werden.<br />
242 Es besteht Einigkeit darüber, dass die Verurteilung <strong>im</strong> Eilverfahren regelmäßig<br />
nicht die volle Höhe der Vergütung umfasst. Ausnahmen hiervon<br />
sind denkbar, aber vom Arbeitnehmer substantiiert darzulegen.<br />
Streitig ist in der Literatur, welcher Satz ausreichend ist, um eine existentielle<br />
Notlage zu beseitigen. Häufig wird auf den pfändungsfreien Betrag<br />
abgestellt 3 , bisweilen auch auf das pfändungsfreie Einkommen 4 .<br />
Meines Erachtens ist wegen der Lohnersatzfunktion in der Regel die<br />
Höhe des Arbeitslosengeldes maßgeblich, während die Höhe des pfändungsfreien<br />
Betrages auch von einer Anreizfunktion für den Arbeitnehmer<br />
best<strong>im</strong>mt ist 5 .<br />
243 Mittels einstweiliger Verfügung können regelmäßig nur Ansprüche<br />
durchgesetzt werden, deren Fälligkeit unmittelbar vor Antragstellung<br />
eingetreten ist oder unmittelbar bevorsteht. Sonstige rückständige Vergütung<br />
kann in aller Regel mittels einstweiliger Verfügung nicht durchgesetzt<br />
werden, da der Arbeitnehmer die durch den Zahlungsverzug des<br />
1 Schäfer, Rz. 141.<br />
2 Reinhard/Kliemt, NZA 2005, 545, 552.<br />
3 LAG Bremen v. 5.12.1997 – 4 Sa 258/97; GMPM/Germelmann, § 62 Rz. 82.<br />
4 Dunkl/Moeller/Baur/Feldmeier/Baur, Teil B Rz. 50.<br />
5 Dunkl/Moeller/Baur/Feldmeier/Baur, Teil B Rz. 50; Reinhard/Kliemt, NZA<br />
2005, 545, 552 fordern eine konkrete Bedarfsberechnung.<br />
314
Entgeltzahlung Rz. 247 I<br />
Arbeitgebers entstandene Notlage überbrückt und seinen Lebensbedarf<br />
anderweitig gedeckt hat 1 . Eine Verpflichtung zur Zahlung rückständigen<br />
Arbeitsentgeltes kommt nur ausnahmsweise in Betracht, wenn der<br />
Arbeitnehmer substantiiert darlegt und glaubhaft macht, dass auch das<br />
rückständige Arbeitsentgelt zur Behebung der Notlage erforderlich ist.<br />
Letztlich kann die Höhe des Betrags, der zur Behebung der Notlage erforderlich<br />
ist, nicht <strong>im</strong>mer generell abstrakt festgestellt werden, sondern<br />
es können nur Regelfälle gebildet werden. Der Einzelfall kann jeweils<br />
eine andere Beurteilung nötig machen.<br />
Ob eine Notsituation vorliegt, ist nach den Verhältnissen zu beurteilen,<br />
die zum Zeitpunkt der Antragstellung herrschten. Die Dauer des Verfügungsverfahrens<br />
kann nicht zu Lasten des Antragstellers gehen.<br />
Bei der Titulierung rückständiger Ansprüche ist auch zu beachten, dass<br />
diese möglicherweise unstreitig oder die Einwendungen des Arbeitgebers<br />
substanzlos sind, während der künftige Anspruch <strong>im</strong> Streite<br />
steht oder die diesbezügliche Rechtslage kompliziert ist. In einer solchen<br />
Situation ist auch die Befriedigung rückständiger Ansprüche geeignet,<br />
die Notlage zu beseitigen. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass<br />
der Arbeitnehmer die Eilbedürftigkeit widerlegt, wenn eine vorherige<br />
Leistungsklage möglich gewesen wäre. Daher kann die Beurteilung nur<br />
für einen relativ kurzen Zeitraum von ein bis zwei Monaten erfolgen.<br />
Die Dauer der Verurteilung ist regelmäßig beschränkt auf die eines potentiellen<br />
Hauptsacheverfahrens. Bei Ansprüchen nach Ablauf der Kündigungsfrist<br />
ist hier der Verkündungstermin des Urteils <strong>im</strong> Kündigungsschutzverfahren<br />
maßgeblich, da der Arbeitnehmer regelmäßig in der<br />
Lage ist, die Verurteilung zu Entgeltzahlungen <strong>im</strong> Wege der objektiven<br />
Klagehäufung in das Kündigungsschutzverfahren einzuführen.<br />
4. Verfügungsgrund<br />
Der Verfügungsgrund besteht in einer existentiellen wirtschaftlichen<br />
Notlage des Arbeitnehmers, die typischerweise daraus resultiert, dass er<br />
auf die nun ausbleibenden regelmäßigen Entgeltzahlungen zur Sicherung<br />
seines Lebensunterhaltes angewiesen ist. Dies ist jedoch nicht notwendigerweise<br />
der Fall, vielmehr können dem Arbeitnehmer auch Ersparnisse<br />
zur Verfügung stehen, die eine Notlage ausschließen. Der<br />
Arbeitnehmer kann nicht auf die Aufnahme eines Bankkredites verwiesen<br />
werden. Wurde ein solcher jedoch bereits eingeräumt, fehlt es an einer<br />
aktuellen Notlage, da die mit der Verfügung begehrte Zahlung nur<br />
1 Vgl. Vossen, RdA 1991, 223 mwN; Schäfer, Rz. 144.<br />
315<br />
244<br />
245<br />
246<br />
247
I Rz. 248 Die einstweilige Verfügung <strong>im</strong> Individualarbeitsrecht<br />
dazu dienen würde, den Kredit zurückzuführen 1 . Wegen des Subsidiaritätsgrundsatzes<br />
kann der Arbeitnehmer auch nicht darauf verwiesen<br />
werden, staatliche Unterstützung zu beantragen. Erhält der Arbeitnehmer<br />
diese jedoch bereits, so muss er darlegen und glaubhaft machen,<br />
dass gleichwohl eine existentielle Notlage besteht, was den Ausnahmefall<br />
darstellen dürfte 2 . Ein Verfügungsgrund besteht nicht, wenn der Arbeitnehmer<br />
über eine leicht realisierbare Forderung gegen einen Dritten<br />
verfügt und es unterlässt, diese durchzusetzen 3 .<br />
248 Zinsen können <strong>im</strong> Verfügungsverfahren nicht verlangt werden.<br />
249 Generell sind jedoch an die Voraussetzungen des Verfügungsgrundes<br />
strenge Anforderungen zu stellen, da die auf Befriedigung gerichtete<br />
Verfügung den krassen Ausnahmefall darstellt 4 . Zu beachten ist dabei<br />
auch die Wechselwirkung zwischen Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund.<br />
Je eindeutiger der Verfügungsgrund gegeben ist, desto geringere<br />
Voraussetzungen sind an den Verfügungsanspruch zu stellen 5 .<br />
5. Vollziehung<br />
250 Die Vollziehung der Geldleistungsverfügung erfolgt durch Pfändung.<br />
Wenn die einstweilige Verfügung durch Urteil erlassen worden ist,<br />
bedarf es neben der Amtszustellung keiner weiteren Zustellung <strong>im</strong> Parteibetrieb<br />
(streitig, s. F Rz. 29 f.). Sind nach der Geldleistungsverfügung<br />
mehrere Teilbeträge zu unterschiedlichen Zeitpunkten fällig (jeweilige<br />
Monatsvergütung), so ist die Vollziehungsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO für<br />
die Vollziehung des ersten Teilbetrages zu beachten. Wenn der Arbeitnehmer<br />
also die Vollstreckungsfrist hinsichtlich der ersten Teilleistung<br />
versäumt, wird diesbezüglich der Wegfall des Verfügungsgrundes unwiderlegbar<br />
vermutet 6 . Nach zutreffender Auffassung gilt dies auch für<br />
die folgenden, noch nicht fälligen Teilbeträge, da es sich um einen einheitlichen<br />
Titel handelt und nicht um eine für jede Teilleistung neu zu<br />
erlassende Verfügung 7 . Für die folgenden titulierten Teilleistungen bedarf<br />
es jedoch nicht der Einhaltung der Vollziehungsfrist, da das Gesetz<br />
nur die Verpflichtung zur erstmaligen Vollziehung kennt und auch die<br />
1 Dunkl/Moeller/Baur/Feldmeier/Baur, Teil B Rz. 49.<br />
2 Vgl. Dunkl/Moeller/Baur/Feldmeier/Baur, Teil B Rz. 49 m. Rechtsprechungsnachweisen;<br />
GMPM/Germelmann, § 62 Rz. 82.<br />
3 ArbG Frankfurt/M. v. 6.1.1999 – 2 Ga 267/98; GMPM/Germelmann, §62<br />
Rz. 82.<br />
4 LAG Hess. v. 9.7.1995 – 13 Ta 242/95.<br />
5 Vgl. Schäfer, Rz. 139.<br />
6 Walker, Rz. 587.<br />
7 Walker, Rz. 588; zu weiteren Nachweisen Walker, Rz. 692.<br />
316
Entgeltzahlung Rz. 252 I<br />
Interessenlage des Schuldners eine ergänzende Auslegung nicht gebietet<br />
1 .<br />
6. Streitwert<br />
Der Streitwert richtet sich nach der Höhe der geltend gemachten Forderung,<br />
wobei ein Abschlag wegen der Befriedigungswirkung der einstweiligen<br />
Verfügung nicht vorzunehmen ist.<br />
Muster 39<br />
Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Entgeltzahlung<br />
An das<br />
Arbeitsgericht<br />
Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung<br />
In Sachen<br />
des …<br />
– Antragsteller –<br />
Prozessbevollmächtigter: …<br />
gegen<br />
Firma …<br />
– Antragsgegnerin –<br />
beantrage ich <strong>im</strong> Namen und mit Auftrag des Antragstellers, wegen Dringlichkeit<br />
des Falles ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden allein,<br />
hilfsweise unter Abkürzung der Ladungsfrist aufgrund einer unverzüglich anzuberaumenden<br />
mündlichen Verhandlung den<br />
Erlass nachstehender einstweiliger Verfügung:<br />
Die Antragsgegnerin wird verurteilt, bis zur erstinstanzlichen Entscheidung<br />
über den zwischen den Parteien be<strong>im</strong> Arbeitsgericht … unter dem Geschäftszeichen<br />
… Ca …/… anhängigen Rechtsstreit als Abschlag auf die Entgeltansprüche<br />
des Antragstellers zur Sicherung dessen Lebensunterhalts monatlich<br />
bis zum 3. eines jeden Monats, beginnend mit dem Monat …/… einen<br />
angemessenen Betrag, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt<br />
wird, der jedoch mindestens …Euro netto betragen sollte, zu zahlen.<br />
Weiter wird schon jetzt für den Fall des Obsiegens beantragt, eine vollstreckbare<br />
Kurzausfertigung der Entscheidung (ohne Tatbestand und Entscheidungsgründe)<br />
zu erteilen.<br />
1 Vgl. zur näheren Begründung Walker, Rz. 589.<br />
317<br />
251<br />
252
I Rz. 252 Die einstweilige Verfügung <strong>im</strong> Individualarbeitsrecht<br />
Begründung<br />
Der Antragsteller macht <strong>im</strong> Wege des Antrages auf Erlass einer einstweiligen<br />
Verfügung Abschlagszahlungen auf die ihm erwachsenden Entgeltansprüche<br />
aus dem zwischen ihm und der Antragsgegnerin nach dem Obsiegen des <strong>im</strong><br />
Antrag genannten Rechtsstreits fortbestehenden Arbeitsverhältnis geltend.<br />
Der Antragsteller ist … Jahre alt, verheiratet und hat unterhaltsberechtigte Kinder<br />
<strong>im</strong> Alter von … Jahren. Die Ehefrau des Antragstellers ist nicht berufstätig.<br />
Der Antragsteller wurde mit Arbeitsvertrag vom … von der Antragsgegnerin als<br />
… eingestellt. Auf der Basis einer wöchentlichen Arbeitszeit von zuletzt …<br />
Stunden erhielt er ein Arbeitsentgelt von monatlich … Euro brutto.<br />
Die Antragsgegnerin hat das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom … unter Einhaltung<br />
der Kündigungsfrist ordentlich zum … aus betriebsbedingten Gründen<br />
gekündigt.<br />
Hiergegen hat der Antragsteller mit Klageschrift vom … be<strong>im</strong> Arbeitsgericht …<br />
fristgerecht Kündigungsschutzklage erhoben.<br />
Der Antragsteller macht in seiner Klage geltend, dass die betriebsbedingte<br />
Kündigung aus folgenden Gründen sozial ungerechtfertigt iSv. § 1 KSchG ist:<br />
(näher ausführen)<br />
Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld I oder II, weil …<br />
Glaubhaftmachung:<br />
1. Arbeitsvertrag vom …, als Anlage K1 in Ablichtung anbei.<br />
2. Kündigungsschreiben vom …, als Anlage K2 in Ablichtung anbei.<br />
3. Protokoll der Güteverhandlung vor dem Arbeitsgericht … vom …, als Anlage<br />
K3 in Ablichtung anbei.<br />
4. Vergütungsabrechnung für Monat …, als Anlage K4 in Ablichtung anbei.<br />
5. Bescheid der Agentur für Arbeit … vom …, als Anlage K5 in Ablichtung anbei.<br />
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist begründet, weil der Antragsteller<br />
zur Deckung seines Lebensunterhalts monatlich für sich und seine<br />
Familie einen angemessenen Betrag benötigt. Die Höhe des Betrags wird in<br />
das Ermessen des Gerichts gestellt. Als Mindestbetrag für die Deckung des<br />
dringend notwendigen Unterhaltsbedarfs ist dem Antragsteller der Betrag zuzusprechen,<br />
den er erhalten würde, wenn er die Voraussetzungen für den Bezug<br />
von Arbeitslosengeld erfüllen würde, da dieses eine Lohnersatzleistung<br />
darstellt (vgl. Dunkl/Baur, Handbuch des vorläufigen <strong>Rechtsschutz</strong>es, Teil B,<br />
Rz. 50). Das Arbeitslosengeld würde in diesem Fall unter Berücksichtigung der<br />
persönlichen Verhältnisse des Antragstellers wöchentlich … Euro betragen.<br />
Umgerechnet auf einen Monat ergibt sich auf der Basis einer Durchschnittsleistung<br />
von 13 Wochen ein Betrag von … Euro. Diesen Betrag beansprucht<br />
der Antragsteller als Mindestbetrag.<br />
Der Verfügungsanspruch ergibt sich aus der Tatsache, dass der Antragsteller<br />
aus den og.Gründen mit hoher Wahrscheinlichkeit den og. Kündigungsschutz-<br />
318
Herausgabe von Firmeneigentum Rz. 253 I<br />
prozess gewinnen wird. Dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung<br />
des Antragstellers bei der Antragsgegnerin entgegenstehen, bestehen<br />
nicht. Selbst wenn dringende betriebsbedingte Erfordernisse für eine<br />
Kündigung vorlägen, ist die gegenüber dem Antragsteller ausgesprochene<br />
Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, weil die von der Antragsgegnerin<br />
vorgenommene Sozialauswahl fehlerhaft ist. Insofern wird auf die obigen Darstellungen<br />
verwiesen.<br />
Gründe in der Person des Antragstellers, die eine personen- oder verhaltensbedingte<br />
Kündigung rechtfertigen würden, liegen ebenfalls nicht vor (erforderlichenfalls<br />
näher ausführen).<br />
Da der Antragsteller mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit<br />
den Kündigungsschutzprozess gewinnen wird und damit das Arbeitsverhältnis<br />
mit der Antragsgegnerin über das Ende der Kündigungsfrist hinaus fortbesteht,<br />
erwachsen ihm nach §§ 611, 615 BGB Entgeltansprüche, die er jeweils bei Fälligkeit<br />
einklagen wird. Mit einer der Kündigungsschutzklage stattgebenden<br />
Entscheidung des Arbeitsgerichts kann jedoch nach Auskunft des zuständigen<br />
Kammervorsitzenden nicht vor dem … gerechnet werden. Der Termin zur<br />
mündlichen Verhandlung vor der Kammer findet erst am … statt.<br />
Unterschrift<br />
XII. Herausgabe von Firmeneigentum<br />
1. Arbeitsmittel<br />
Hinsichtlich der ihm überlassenen Arbeitsmittel wie etwa tragbarer<br />
Rechner, Mobiltelefon, Musterkoffer, Kundenlisten und Prospekte etc.<br />
ist der Arbeitnehmer nicht Besitzer, sondern lediglich Besitzdiener iSv.<br />
§ 855 BGB. Der Arbeitgeber hat somit einen Herausgabeanspruch gemäß<br />
§ 985 BGB. Leistet der Arbeitnehmer einem Herausgabeverlangen<br />
nicht Folge, so begeht er verbotene Eigenmacht. Dies gilt auch dann,<br />
wenn er den Zugriff des besitzenden Arbeitgebers behindert oder sonst<br />
weisungswidrig mit den Sachen in einer Art und Weise verfährt, die den<br />
Besitz des Besitzherrn beeinträchtigt 1 . Bei geleasten Betriebsmitteln beruht<br />
der Herausgabenanspruch auf der analogen Anwendung der §§ 666,<br />
667 BGB 2 . Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitnehmer Gegenansprüche<br />
geltend macht. Eines besonderen Verfügungsgrundes bedarf es zur<br />
Abwehr verbotener Eigenmacht nicht 3 . In einer solchen Situation kann<br />
der Arbeitgeber mittels einstweiliger Verfügung nicht nur die Heraus-<br />
1 MünchKomm/BGB/Joost, § 860 Rz. 4.<br />
2 MünchArbR/Wank, § 130 Rz. 11.<br />
3 OLG Stuttgart v. 19.1.1996 – 2 U 164/95; LG Bremen v. 22.6.1989 – 9 T 385/89;<br />
Schmiedl, BB 2002, 992, 995.<br />
319<br />
253
I Rz. 232 Die einstweilige Verfügung <strong>im</strong> Individualarbeitsrecht<br />
Fiktionswirkung des § 894 Abs. 1 ZPO liegt. Die Fiktion der Abgabe der Willenserklärung<br />
durch das Urteil tritt jedoch erst mit seiner Rechtskraft ein.<br />
Selbst wenn man die Rechtskraft <strong>im</strong> Verfügungsverfahren ausreichen lässt,<br />
dürfte diese in der Regel nicht vor dem Urlaubsantritt eintreten, da der Arbeitgeber<br />
gegen eine ohne mündliche Verhandlung ergangene einstweilige Verfügung<br />
zeitlich unbefristet Widerspruch und gegen ein entsprechendes Urteil<br />
binnen der Berufungsfrist von einem Monat Berufung einlegen könnte. Darüber<br />
hinaus ist zu beachten, dass die Urlaubsgewährung mittels einer einstweiligen<br />
Verfügung eine Befriedigungswirkung entfaltet. Eine Vorwegnahme der Hauptsache<br />
ist jedoch <strong>im</strong> Verfügungsverfahren so weit wie möglich zu vermeiden.<br />
Sie ist nur zulässig, wenn effektiver <strong>Rechtsschutz</strong> nicht auf andere Weise gewährt<br />
werden kann. Mit der Gestattung des Fernbleibens der Arbeit wird eine<br />
Erfüllung des Urlaubsanspruchs und somit eine Vorwegnahme der Hauptsache<br />
vermieden und erreicht, dass der Arbeitnehmer seine an sich fortbestehende<br />
Arbeitspflicht nicht verletzt. Auch bedarf es keiner Vollstreckungsakte, da zumindest<br />
die formlose Übergabe einer schriftlichen Ausfertigung als Vollziehung<br />
der gerichtlichen Gestattung ausreicht. Über den Vergütungsanspruch ist dann<br />
erforderlichenfalls <strong>im</strong> Hauptsacheverfahren zu entscheiden (Corts, NZA 1998,<br />
357).<br />
(ggf. weitere Mittel der Glaubhaftmachung)<br />
Unterschrift<br />
XI. Entgeltzahlung<br />
Literatur: Reich, Die einstweilige Verfügung auf Lohn- und Gehaltszahlung während<br />
des Rechtsstreits über den Bestand des Arbeitsverhältnisses, DB 1996, Beilage<br />
10; Keßler, Die auf Vergütungszahlung gerichtete einstweilige Verfügung,<br />
AuA 1996, 419; Korinth, Durchsetzung v. Vergütungsforderungen bei noch laufendem<br />
Kündigungsrechtsstreit, ArbRB 2004, 94; Vossen, Die auf Zahlung der<br />
Arbeitsvergütung gerichtete einstweilige Verfügung, RdA 1991, 216<br />
1. Grundsatz – Verhältnis zum Arrest<br />
232 Zur vorläufigen Sicherung des Vergütungsanspruches steht dem Arbeitnehmer<br />
grundsätzlich nur der Arrest zur Verfügung, da es sich um einen<br />
reinen Geldanspruch handelt 1 . Mit dem Arrest erreicht der Arbeitnehmer<br />
jedoch nur die Sicherung seines Anspruches und keine vorläufige<br />
Befriedigung. Dies kann nur mittels einer Leistungsverfügung geschehen.<br />
Zur Behebung einer existentiellen Notlage kann der Arbeitnehmer<br />
daher auch eine einstweilige Verfügung beantragen, die auf die Zahlung<br />
von Arbeitsentgelt gerichtet ist. Dabei kann er jedoch regelmäßig nur<br />
1 Heinze, RdA 1986, 281.<br />
310
Entgeltzahlung Rz. 234 I<br />
einen Teil der Vergütung fordern. Hier kann es zu einem Nebeneinander<br />
von Arrest und einstweiliger Verfügung kommen. Hinsichtlich eines<br />
Teils der gesamten Entgeltforderung können die Voraussetzungen<br />
für den Erlass einer Befriedigungsverfügung vorliegen. Gleichzeitig<br />
kann aber eine Gefährdung der Gesamtforderung vorliegen, etwa wenn<br />
der Arbeitgeber Betriebs- und Privatvermögen ins Ausland verlagert<br />
(§ 917 Abs. 2 ZPO). Somit würde hinsichtlich des Gesamtanspruches<br />
ein Arrestbefehl beantragt werden können und hinsichtlich eines Teilanspruches<br />
ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Befriedigungsverfügung.<br />
Diese Formen einstweiligen <strong>Rechtsschutz</strong>es können auch in<br />
einem Verfahren beantragt werden 1 . Weiter ist auch die hilfsweise Staffelung<br />
von Anträgen auf Befriedigungswirkung und Arrest möglich.<br />
Wenn es dem Antragsteller in erster Linie auf eine Befriedigungsverfügung<br />
ankommt, er aber gleichzeitig die Voraussetzungen eines Arrestes<br />
glaubhaft macht, kann er hinsichtlich der gesamten Forderung einen<br />
Arrestbefehl beantragen und hinsichtlich einer Teilforderung eine einstweilige<br />
Verfügung auf Zahlung. Der Arrestantrag kann allerdings nur<br />
insoweit Erfolg haben, wie er über den Zahlungsantrag hinausgeht,<br />
denn bezogen auf eine Forderung können Arrest und einstweilige Verfügung<br />
nicht kumulativ ergehen.<br />
2. Verhältnis zur Hauptsacheklage<br />
Das Verfügungsverfahren kann nur eine vorläufige und meist teilweise<br />
Befriedigung bieten. Zur vollständigen Realisierung der Forderungen ist<br />
es daher aus Arbeitnehmersicht sachgerecht, zugleich mit dem Verfügungsantrag<br />
Klage in der Hauptsache über den vollen ausstehenden<br />
Betrag zu erheben. Dies bereitet den Verfahrensbevollmächtigten nicht<br />
viel Mehraufwand, denn die Begründung des Verfügungsantrages enthält<br />
bereits als Teilmenge die Darlegung des Anspruchs.<br />
Beraterhinweis: Wenn das Gericht, wie meistens, nicht ohne mündliche<br />
Verhandlung über den Verfügungsantrag entscheiden möchte, empfiehlt<br />
sich die Anregung, die Güteverhandlung in dem zeitgleich eingeleiteten<br />
Hauptsacheverfahren zur gleichen Terminstunde anzusetzen,<br />
um möglicherweise ein Versäumnis- oder Anerkenntnisurteil über die<br />
gesamte Forderung zu erwirken.<br />
1 Walker, S. 115 Rz. 159.<br />
311<br />
233<br />
234
I Rz. 235 Die einstweilige Verfügung <strong>im</strong> Individualarbeitsrecht<br />
3. Verfügungsanspruch<br />
a) Anspruch nach erfolgter Arbeitsleistung<br />
235 Der Arrest- und Verfügungsanspruch beruht bei einem fortbestehenden<br />
Arbeitsverhältnis regelmäßig auf § 611 BGB. Der Arbeitnehmer muss<br />
also darlegen und glaubhaft machen, dass ein Arbeitsverhältnis besteht,<br />
aufgrund dessen der Arbeitgeber zur Zahlung der arbeitsvertraglichen<br />
Vergütung verpflichtet ist. Entsprechendes gilt für ein zugesagtes Ruhegeld1<br />
. Im fortbestehenden Arbeitsverhältnis muss der Arbeitnehmer<br />
auch darlegen, dass er die vertraglich geschuldeten Dienste erbracht<br />
hat, um den Anspruch aus § 611 BGB schlüssig darzulegen. Ein solcher<br />
Sachvortrag ist deswegen erforderlich, weil der Arbeitnehmer gemäß<br />
§ 614 BGB grundsätzlich vorleistungspflichtig ist und der Vergütungsanspruch<br />
erst nach der Bewirkung der Arbeitsleistung fällig ist. Einen<br />
etwa vertraglich vereinbarten Ausnahmetatbestand hat der Arbeitnehmer<br />
vorzutragen und glaubhaft zu machen.<br />
b) Annahmeverzug<br />
236 Hat der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung nicht erbracht, so kommt unter<br />
dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges ein Anspruch aus § 615<br />
BGB in Betracht. Ein solcher kann während des ungekündigten Arbeitsverhältnisses<br />
entstehen, wenn der Arbeitgeber die ihm obliegenden<br />
Mitwirkungshandlungen (Zurverfügungstellung eines funktionsfähigen<br />
Arbeitsplatzes und Zuweisung von Arbeit) unterlässt. Auch die Zahlung<br />
von Vergütung nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz fällt hierunter.<br />
Problematisch kann die Darlegung des Verfügungsanspruches bei einem<br />
gekündigten Arbeitsverhältnis nach Ablauf der Kündigungsfrist sein,<br />
wenn über die Wirksamkeit der Kündigung noch nicht befunden worden<br />
ist. Hier ist der Arbeitnehmer gehalten, darzulegen und glaubhaft<br />
zu machen, dass die Kündigung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit<br />
unwirksam ist2 . Auch die Voraussetzungen des Annahmeverzugs müssen<br />
dargestellt werden, wobei es in der Regel ausreicht, Kündigungsschutzklage<br />
zu erheben3 . Bestehen Zweifel an der Arbeitsfähigkeit, hat<br />
der Arbeitnehmer auch deren Bestehen zu beweisen4 . Als Anspruchsgrundlage<br />
kommt auch § 615 BGB i.V.m. § 102 Abs. 5 BetrVG in Betracht,<br />
wenn der Betriebsrat der ordentlichen Kündigung ordnungsgemäß<br />
widersprochen hat (zu den einzelnen Voraussetzungen s.o.<br />
I Rz. 162 ff.). In diesem Fall wird das Arbeitsverhältnis kraft Gesetzes<br />
1 Schäfer, Rz. 136.<br />
2 LAG Köln v. 26.6.2002 – 8 Ta 221/02.<br />
3 LAG Köln v. 26.6.2002 – 8 Ta 221/02.<br />
4 LAG Hess. v. 9.7.1995 – 13 Ta 242/95.<br />
312
Entgeltzahlung Rz. 239 I<br />
bis zum Eintritt der auflösenden Bedingung der rechtskräftigen Abweisung<br />
der Kündigungsschutzklage fortgesetzt, so dass hieraus auch<br />
Vergütungsansprüche resultieren können 1 . Hat der Arbeitnehmer <strong>im</strong><br />
Kündigungsschutzverfahren erster Instanz einen allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch<br />
gegen den Arbeitgeber erstritten und weigert sich<br />
dieser, ihn zu erfüllen, so kommt mangels eines weiterbestehenden Arbeitsverhältnisses<br />
kein Annahmeverzugsanspruch iSv. § 615 BGB in Betracht,<br />
nach einer Literaturauffassung wohl aber Schadensersatzansprüche<br />
2 .<br />
c) Sonstiges<br />
Auch das Betriebsratsmitglied kann mittels einstweiliger Verfügung<br />
den Notunterhalt begehren, wenn es notwendige Betriebsratstätigkeit<br />
geleistet hat, deren Vergütung vom Arbeitgeber verweigert wird. Dabei<br />
muss zu Art und Umfang der Betriebsratstätigkeit eingehend vorgetragen<br />
und der Sachvortrag glaubhaft gemacht werden 3 .<br />
Es kann rechtsmissbräuchlich sein, wenn ein Arbeitnehmer, nachdem<br />
die Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechtskräftig festgestellt worden<br />
ist, ständig neue Anträge auf Erlass einer einstweiligen Verfügung<br />
in fotokopierter Form stellt, mit dem der frühere Arbeitgeber zur Entgeltzahlung<br />
verpflichtet werden soll. Wenn ein solcher Antrag einmal<br />
zurückgewiesen worden ist, braucht das Gericht die Wiederholungen<br />
nur noch zu den Akten zu nehmen und nicht mehr zu bearbeiten 4 .<br />
d) Aufrechnung des Arbeitgebers<br />
Nach Ausspruch einer Kündigung erklärt der Arbeitgeber bisweilen die<br />
Aufrechnung mit vermeintlichen Gegenforderungen, die aus einer etwa<br />
erfolgten Überzahlung oder aus Schadensersatzansprüchen resultieren<br />
können. Hat der Arbeitgeber diese Gegenforderungen <strong>im</strong> Verfügungsverfahren<br />
geltend gemacht, so muss der Arbeitnehmer dem so substantiiert<br />
entgegentreten wie die Ansprüche begründet worden sind. Die Rechtsverteidigung<br />
kann hierbei darin bestehen, dass er das Bestehen des Gegenanspruches<br />
bestreitet oder die Nichteinhaltung der Pfändungsfreigrenzen<br />
rügt. Bei Einhaltung der Pfändungsfreigrenzen kommt eine<br />
einstweilige Verfügung auf Entgeltzahlung jedoch regelmäßig nicht in<br />
Betracht, da der Arbeitnehmer so viel von seiner Vergütung ausbezahlt<br />
1 S. KR/Etzel, § 102 Rz. 215 f. m. ausführlicher Darlegung der rechtsdogmatischen<br />
Grundlagen.<br />
2 ErfK/Preis, Rz. 10 zu § 615.<br />
3 ArbG Frankfurt v. 16.1.2001 – 5 Ga 2/01.<br />
4 LAG Hess. v. 29.10.1992 – 9 Ta 390/92, n.v.<br />
313<br />
237<br />
238<br />
239
I Rz. 240 Die einstweilige Verfügung <strong>im</strong> Individualarbeitsrecht<br />
erhält, wie der Gesetzgeber zur Bestreitung seines unabweisbaren Lebensunterhaltes<br />
für erforderlich gehalten hat. Lediglich in Ausnahmefällen<br />
kann der Arbeitnehmer darlegen, dass er gleichwohl existentiell<br />
auf die Zahlung eines noch darüber hinausgehenden Betrages angewiesen<br />
ist, etwa bei hohen Abzahlungsverpflichtungen aus dem Bau eines<br />
Eigenhe<strong>im</strong>s 1 .<br />
240 Der Arbeitnehmer ist zunächst nur verpflichtet, die Entstehungsvoraussetzungen<br />
für seinen Vergütungsanspruch darzulegen und glaubhaft zu<br />
machen. Da über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung<br />
auf Entgeltzahlung regelmäßig nicht ohne mündliche Verhandlung entschieden<br />
werden wird, ist es jedoch <strong>im</strong> Sinne der Prozessförderung sachdienlich,<br />
bereits vom Arbeitgeber geltend gemachte Gegenansprüche in<br />
der Antragsbegründung aufzugreifen und ihnen entgegenzutreten.<br />
e) Höhe des Verfügungsanspruchs<br />
241 Der Arbeitgeber kann <strong>im</strong> Verfügungsverfahren nur zur Zahlung einer<br />
Nettosumme verpflichtet werden, da dem Arbeitnehmer allein diese<br />
und nicht Steuern und Sozialabgaben zufließen 2 . Über die Zahlung eines<br />
Bruttobetrages kann <strong>im</strong> Hauptsacheverfahren entschieden werden.<br />
242 Es besteht Einigkeit darüber, dass die Verurteilung <strong>im</strong> Eilverfahren regelmäßig<br />
nicht die volle Höhe der Vergütung umfasst. Ausnahmen hiervon<br />
sind denkbar, aber vom Arbeitnehmer substantiiert darzulegen.<br />
Streitig ist in der Literatur, welcher Satz ausreichend ist, um eine existentielle<br />
Notlage zu beseitigen. Häufig wird auf den pfändungsfreien Betrag<br />
abgestellt 3 , bisweilen auch auf das pfändungsfreie Einkommen 4 .<br />
Meines Erachtens ist wegen der Lohnersatzfunktion in der Regel die<br />
Höhe des Arbeitslosengeldes maßgeblich, während die Höhe des pfändungsfreien<br />
Betrages auch von einer Anreizfunktion für den Arbeitnehmer<br />
best<strong>im</strong>mt ist 5 .<br />
243 Mittels einstweiliger Verfügung können regelmäßig nur Ansprüche<br />
durchgesetzt werden, deren Fälligkeit unmittelbar vor Antragstellung<br />
eingetreten ist oder unmittelbar bevorsteht. Sonstige rückständige Vergütung<br />
kann in aller Regel mittels einstweiliger Verfügung nicht durchgesetzt<br />
werden, da der Arbeitnehmer die durch den Zahlungsverzug des<br />
1 Schäfer, Rz. 141.<br />
2 Reinhard/Kliemt, NZA 2005, 545, 552.<br />
3 LAG Bremen v. 5.12.1997 – 4 Sa 258/97; GMPM/Germelmann, § 62 Rz. 82.<br />
4 Dunkl/Moeller/Baur/Feldmeier/Baur, Teil B Rz. 50.<br />
5 Dunkl/Moeller/Baur/Feldmeier/Baur, Teil B Rz. 50; Reinhard/Kliemt, NZA<br />
2005, 545, 552 fordern eine konkrete Bedarfsberechnung.<br />
314
Entgeltzahlung Rz. 247 I<br />
Arbeitgebers entstandene Notlage überbrückt und seinen Lebensbedarf<br />
anderweitig gedeckt hat 1 . Eine Verpflichtung zur Zahlung rückständigen<br />
Arbeitsentgeltes kommt nur ausnahmsweise in Betracht, wenn der<br />
Arbeitnehmer substantiiert darlegt und glaubhaft macht, dass auch das<br />
rückständige Arbeitsentgelt zur Behebung der Notlage erforderlich ist.<br />
Letztlich kann die Höhe des Betrags, der zur Behebung der Notlage erforderlich<br />
ist, nicht <strong>im</strong>mer generell abstrakt festgestellt werden, sondern<br />
es können nur Regelfälle gebildet werden. Der Einzelfall kann jeweils<br />
eine andere Beurteilung nötig machen.<br />
Ob eine Notsituation vorliegt, ist nach den Verhältnissen zu beurteilen,<br />
die zum Zeitpunkt der Antragstellung herrschten. Die Dauer des Verfügungsverfahrens<br />
kann nicht zu Lasten des Antragstellers gehen.<br />
Bei der Titulierung rückständiger Ansprüche ist auch zu beachten, dass<br />
diese möglicherweise unstreitig oder die Einwendungen des Arbeitgebers<br />
substanzlos sind, während der künftige Anspruch <strong>im</strong> Streite<br />
steht oder die diesbezügliche Rechtslage kompliziert ist. In einer solchen<br />
Situation ist auch die Befriedigung rückständiger Ansprüche geeignet,<br />
die Notlage zu beseitigen. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass<br />
der Arbeitnehmer die Eilbedürftigkeit widerlegt, wenn eine vorherige<br />
Leistungsklage möglich gewesen wäre. Daher kann die Beurteilung nur<br />
für einen relativ kurzen Zeitraum von ein bis zwei Monaten erfolgen.<br />
Die Dauer der Verurteilung ist regelmäßig beschränkt auf die eines potentiellen<br />
Hauptsacheverfahrens. Bei Ansprüchen nach Ablauf der Kündigungsfrist<br />
ist hier der Verkündungstermin des Urteils <strong>im</strong> Kündigungsschutzverfahren<br />
maßgeblich, da der Arbeitnehmer regelmäßig in der<br />
Lage ist, die Verurteilung zu Entgeltzahlungen <strong>im</strong> Wege der objektiven<br />
Klagehäufung in das Kündigungsschutzverfahren einzuführen.<br />
4. Verfügungsgrund<br />
Der Verfügungsgrund besteht in einer existentiellen wirtschaftlichen<br />
Notlage des Arbeitnehmers, die typischerweise daraus resultiert, dass er<br />
auf die nun ausbleibenden regelmäßigen Entgeltzahlungen zur Sicherung<br />
seines Lebensunterhaltes angewiesen ist. Dies ist jedoch nicht notwendigerweise<br />
der Fall, vielmehr können dem Arbeitnehmer auch Ersparnisse<br />
zur Verfügung stehen, die eine Notlage ausschließen. Der<br />
Arbeitnehmer kann nicht auf die Aufnahme eines Bankkredites verwiesen<br />
werden. Wurde ein solcher jedoch bereits eingeräumt, fehlt es an einer<br />
aktuellen Notlage, da die mit der Verfügung begehrte Zahlung nur<br />
1 Vgl. Vossen, RdA 1991, 223 mwN; Schäfer, Rz. 144.<br />
315<br />
244<br />
245<br />
246<br />
247
I Rz. 248 Die einstweilige Verfügung <strong>im</strong> Individualarbeitsrecht<br />
dazu dienen würde, den Kredit zurückzuführen 1 . Wegen des Subsidiaritätsgrundsatzes<br />
kann der Arbeitnehmer auch nicht darauf verwiesen<br />
werden, staatliche Unterstützung zu beantragen. Erhält der Arbeitnehmer<br />
diese jedoch bereits, so muss er darlegen und glaubhaft machen,<br />
dass gleichwohl eine existentielle Notlage besteht, was den Ausnahmefall<br />
darstellen dürfte 2 . Ein Verfügungsgrund besteht nicht, wenn der Arbeitnehmer<br />
über eine leicht realisierbare Forderung gegen einen Dritten<br />
verfügt und es unterlässt, diese durchzusetzen 3 .<br />
248 Zinsen können <strong>im</strong> Verfügungsverfahren nicht verlangt werden.<br />
249 Generell sind jedoch an die Voraussetzungen des Verfügungsgrundes<br />
strenge Anforderungen zu stellen, da die auf Befriedigung gerichtete<br />
Verfügung den krassen Ausnahmefall darstellt 4 . Zu beachten ist dabei<br />
auch die Wechselwirkung zwischen Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund.<br />
Je eindeutiger der Verfügungsgrund gegeben ist, desto geringere<br />
Voraussetzungen sind an den Verfügungsanspruch zu stellen 5 .<br />
5. Vollziehung<br />
250 Die Vollziehung der Geldleistungsverfügung erfolgt durch Pfändung.<br />
Wenn die einstweilige Verfügung durch Urteil erlassen worden ist,<br />
bedarf es neben der Amtszustellung keiner weiteren Zustellung <strong>im</strong> Parteibetrieb<br />
(streitig, s. F Rz. 29 f.). Sind nach der Geldleistungsverfügung<br />
mehrere Teilbeträge zu unterschiedlichen Zeitpunkten fällig (jeweilige<br />
Monatsvergütung), so ist die Vollziehungsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO für<br />
die Vollziehung des ersten Teilbetrages zu beachten. Wenn der Arbeitnehmer<br />
also die Vollstreckungsfrist hinsichtlich der ersten Teilleistung<br />
versäumt, wird diesbezüglich der Wegfall des Verfügungsgrundes unwiderlegbar<br />
vermutet 6 . Nach zutreffender Auffassung gilt dies auch für<br />
die folgenden, noch nicht fälligen Teilbeträge, da es sich um einen einheitlichen<br />
Titel handelt und nicht um eine für jede Teilleistung neu zu<br />
erlassende Verfügung 7 . Für die folgenden titulierten Teilleistungen bedarf<br />
es jedoch nicht der Einhaltung der Vollziehungsfrist, da das Gesetz<br />
nur die Verpflichtung zur erstmaligen Vollziehung kennt und auch die<br />
1 Dunkl/Moeller/Baur/Feldmeier/Baur, Teil B Rz. 49.<br />
2 Vgl. Dunkl/Moeller/Baur/Feldmeier/Baur, Teil B Rz. 49 m. Rechtsprechungsnachweisen;<br />
GMPM/Germelmann, § 62 Rz. 82.<br />
3 ArbG Frankfurt/M. v. 6.1.1999 – 2 Ga 267/98; GMPM/Germelmann, §62<br />
Rz. 82.<br />
4 LAG Hess. v. 9.7.1995 – 13 Ta 242/95.<br />
5 Vgl. Schäfer, Rz. 139.<br />
6 Walker, Rz. 587.<br />
7 Walker, Rz. 588; zu weiteren Nachweisen Walker, Rz. 692.<br />
316
Entgeltzahlung Rz. 252 I<br />
Interessenlage des Schuldners eine ergänzende Auslegung nicht gebietet<br />
1 .<br />
6. Streitwert<br />
Der Streitwert richtet sich nach der Höhe der geltend gemachten Forderung,<br />
wobei ein Abschlag wegen der Befriedigungswirkung der einstweiligen<br />
Verfügung nicht vorzunehmen ist.<br />
Muster 39<br />
Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Entgeltzahlung<br />
An das<br />
Arbeitsgericht<br />
Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung<br />
In Sachen<br />
des …<br />
– Antragsteller –<br />
Prozessbevollmächtigter: …<br />
gegen<br />
Firma …<br />
– Antragsgegnerin –<br />
beantrage ich <strong>im</strong> Namen und mit Auftrag des Antragstellers, wegen Dringlichkeit<br />
des Falles ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden allein,<br />
hilfsweise unter Abkürzung der Ladungsfrist aufgrund einer unverzüglich anzuberaumenden<br />
mündlichen Verhandlung den<br />
Erlass nachstehender einstweiliger Verfügung:<br />
Die Antragsgegnerin wird verurteilt, bis zur erstinstanzlichen Entscheidung<br />
über den zwischen den Parteien be<strong>im</strong> Arbeitsgericht … unter dem Geschäftszeichen<br />
… Ca …/… anhängigen Rechtsstreit als Abschlag auf die Entgeltansprüche<br />
des Antragstellers zur Sicherung dessen Lebensunterhalts monatlich<br />
bis zum 3. eines jeden Monats, beginnend mit dem Monat …/… einen<br />
angemessenen Betrag, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt<br />
wird, der jedoch mindestens …Euro netto betragen sollte, zu zahlen.<br />
Weiter wird schon jetzt für den Fall des Obsiegens beantragt, eine vollstreckbare<br />
Kurzausfertigung der Entscheidung (ohne Tatbestand und Entscheidungsgründe)<br />
zu erteilen.<br />
1 Vgl. zur näheren Begründung Walker, Rz. 589.<br />
317<br />
251<br />
252
I Rz. 252 Die einstweilige Verfügung <strong>im</strong> Individualarbeitsrecht<br />
Begründung<br />
Der Antragsteller macht <strong>im</strong> Wege des Antrages auf Erlass einer einstweiligen<br />
Verfügung Abschlagszahlungen auf die ihm erwachsenden Entgeltansprüche<br />
aus dem zwischen ihm und der Antragsgegnerin nach dem Obsiegen des <strong>im</strong><br />
Antrag genannten Rechtsstreits fortbestehenden Arbeitsverhältnis geltend.<br />
Der Antragsteller ist … Jahre alt, verheiratet und hat unterhaltsberechtigte Kinder<br />
<strong>im</strong> Alter von … Jahren. Die Ehefrau des Antragstellers ist nicht berufstätig.<br />
Der Antragsteller wurde mit Arbeitsvertrag vom … von der Antragsgegnerin als<br />
… eingestellt. Auf der Basis einer wöchentlichen Arbeitszeit von zuletzt …<br />
Stunden erhielt er ein Arbeitsentgelt von monatlich … Euro brutto.<br />
Die Antragsgegnerin hat das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom … unter Einhaltung<br />
der Kündigungsfrist ordentlich zum … aus betriebsbedingten Gründen<br />
gekündigt.<br />
Hiergegen hat der Antragsteller mit Klageschrift vom … be<strong>im</strong> Arbeitsgericht …<br />
fristgerecht Kündigungsschutzklage erhoben.<br />
Der Antragsteller macht in seiner Klage geltend, dass die betriebsbedingte<br />
Kündigung aus folgenden Gründen sozial ungerechtfertigt iSv. § 1 KSchG ist:<br />
(näher ausführen)<br />
Der Antragsteller hat keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld I oder II, weil …<br />
Glaubhaftmachung:<br />
1. Arbeitsvertrag vom …, als Anlage K1 in Ablichtung anbei.<br />
2. Kündigungsschreiben vom …, als Anlage K2 in Ablichtung anbei.<br />
3. Protokoll der Güteverhandlung vor dem Arbeitsgericht … vom …, als Anlage<br />
K3 in Ablichtung anbei.<br />
4. Vergütungsabrechnung für Monat …, als Anlage K4 in Ablichtung anbei.<br />
5. Bescheid der Agentur für Arbeit … vom …, als Anlage K5 in Ablichtung anbei.<br />
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist begründet, weil der Antragsteller<br />
zur Deckung seines Lebensunterhalts monatlich für sich und seine<br />
Familie einen angemessenen Betrag benötigt. Die Höhe des Betrags wird in<br />
das Ermessen des Gerichts gestellt. Als Mindestbetrag für die Deckung des<br />
dringend notwendigen Unterhaltsbedarfs ist dem Antragsteller der Betrag zuzusprechen,<br />
den er erhalten würde, wenn er die Voraussetzungen für den Bezug<br />
von Arbeitslosengeld erfüllen würde, da dieses eine Lohnersatzleistung<br />
darstellt (vgl. Dunkl/Baur, Handbuch des vorläufigen <strong>Rechtsschutz</strong>es, Teil B,<br />
Rz. 50). Das Arbeitslosengeld würde in diesem Fall unter Berücksichtigung der<br />
persönlichen Verhältnisse des Antragstellers wöchentlich … Euro betragen.<br />
Umgerechnet auf einen Monat ergibt sich auf der Basis einer Durchschnittsleistung<br />
von 13 Wochen ein Betrag von … Euro. Diesen Betrag beansprucht<br />
der Antragsteller als Mindestbetrag.<br />
Der Verfügungsanspruch ergibt sich aus der Tatsache, dass der Antragsteller<br />
aus den og.Gründen mit hoher Wahrscheinlichkeit den og. Kündigungsschutz-<br />
318
Herausgabe von Firmeneigentum Rz. 253 I<br />
prozess gewinnen wird. Dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung<br />
des Antragstellers bei der Antragsgegnerin entgegenstehen, bestehen<br />
nicht. Selbst wenn dringende betriebsbedingte Erfordernisse für eine<br />
Kündigung vorlägen, ist die gegenüber dem Antragsteller ausgesprochene<br />
Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, weil die von der Antragsgegnerin<br />
vorgenommene Sozialauswahl fehlerhaft ist. Insofern wird auf die obigen Darstellungen<br />
verwiesen.<br />
Gründe in der Person des Antragstellers, die eine personen- oder verhaltensbedingte<br />
Kündigung rechtfertigen würden, liegen ebenfalls nicht vor (erforderlichenfalls<br />
näher ausführen).<br />
Da der Antragsteller mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit<br />
den Kündigungsschutzprozess gewinnen wird und damit das Arbeitsverhältnis<br />
mit der Antragsgegnerin über das Ende der Kündigungsfrist hinaus fortbesteht,<br />
erwachsen ihm nach §§ 611, 615 BGB Entgeltansprüche, die er jeweils bei Fälligkeit<br />
einklagen wird. Mit einer der Kündigungsschutzklage stattgebenden<br />
Entscheidung des Arbeitsgerichts kann jedoch nach Auskunft des zuständigen<br />
Kammervorsitzenden nicht vor dem … gerechnet werden. Der Termin zur<br />
mündlichen Verhandlung vor der Kammer findet erst am … statt.<br />
Unterschrift<br />
XII. Herausgabe von Firmeneigentum<br />
1. Arbeitsmittel<br />
Hinsichtlich der ihm überlassenen Arbeitsmittel wie etwa tragbarer<br />
Rechner, Mobiltelefon, Musterkoffer, Kundenlisten und Prospekte etc.<br />
ist der Arbeitnehmer nicht Besitzer, sondern lediglich Besitzdiener iSv.<br />
§ 855 BGB. Der Arbeitgeber hat somit einen Herausgabeanspruch gemäß<br />
§ 985 BGB. Leistet der Arbeitnehmer einem Herausgabeverlangen<br />
nicht Folge, so begeht er verbotene Eigenmacht. Dies gilt auch dann,<br />
wenn er den Zugriff des besitzenden Arbeitgebers behindert oder sonst<br />
weisungswidrig mit den Sachen in einer Art und Weise verfährt, die den<br />
Besitz des Besitzherrn beeinträchtigt 1 . Bei geleasten Betriebsmitteln beruht<br />
der Herausgabenanspruch auf der analogen Anwendung der §§ 666,<br />
667 BGB 2 . Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitnehmer Gegenansprüche<br />
geltend macht. Eines besonderen Verfügungsgrundes bedarf es zur<br />
Abwehr verbotener Eigenmacht nicht 3 . In einer solchen Situation kann<br />
der Arbeitgeber mittels einstweiliger Verfügung nicht nur die Heraus-<br />
1 MünchKomm/BGB/Joost, § 860 Rz. 4.<br />
2 MünchArbR/Wank, § 130 Rz. 11.<br />
3 OLG Stuttgart v. 19.1.1996 – 2 U 164/95; LG Bremen v. 22.6.1989 – 9 T 385/89;<br />
Schmiedl, BB 2002, 992, 995.<br />
319<br />
253