GeotechnischeRisikobewertung_2002_de.pdf - iC group of companies
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SCHUBERT UND BERGMAIR: GEOTECHNISCHE RISIKOBEWERTUNG UND RISIKOMANAGEMENT<br />
Geotechnische Risikobewertung<br />
und Risikomanagement –<br />
Methodologie und Fallbeispiele<br />
Von Peter Schubert und Michael Bergmair<br />
Risiko ist für alle Bauleute, die mit <strong>de</strong>m Baugrund<br />
zu tun haben, ein ständiger und unvermeidbarer<br />
Begleiter. Zu vielfältig ist die Natur,<br />
um vollständig beschrieben zu wer<strong>de</strong>n, und<br />
zu beschei<strong>de</strong>n sind die Möglichkeiten <strong>de</strong>r Erkundung.<br />
Wenn man unter Risiko „die Möglichkeit<br />
einer ungünstigen Verän<strong>de</strong>rung eines geplanten<br />
Vorgangs“ versteht, dann ist Risiko in je<strong>de</strong>m<br />
Tiefbau o<strong>de</strong>r Untertagebau ein inhärenter Bestandteil.<br />
Risiko entsteht aus unerwarteten geotechnischen<br />
Umstän<strong>de</strong>n, die entwe<strong>de</strong>r durch seltene<br />
und nicht ausreichend berücksichtigte Belastungen<br />
(zum Beispiel Erdbeben) o<strong>de</strong>r durch unerwartete<br />
Baugrun<strong>de</strong>igenschaften begrün<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n.<br />
Die Toleranz <strong>de</strong>r öffentlichen Auftraggeber<br />
und <strong>de</strong>ren Aufsichtsorgane und <strong>de</strong>r Auftragnehmer<br />
zur pragmatischen Handhabung von Risiken<br />
ist immer mehr im Sinken begriffen. Zu gering ist<br />
vielfach das Verständnis für diese unvermeidliche<br />
Unsicherheit von geplanten Baukosten, und<br />
zu heftig ist <strong>de</strong>r Wettbewerb bei <strong>de</strong>n Anbietern.<br />
Dazu kommen ein zunehmend gesteigertes Sicherheitsbewußtsein<br />
und die Notwendigkeit,<br />
Entscheidungsprozesse laufend transparent darzustellen.<br />
Risikomanagement im Bauprojekt kann als<br />
Teil eines umfassen<strong>de</strong>n Qualitätsmanagementsystems<br />
verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n. In diesem Sinn ist es<br />
auch natürlich und zweckmäßig, Risikomanagement<br />
als begleiten<strong>de</strong>n Prozeß <strong>de</strong>r Planung und<br />
Ausführung zu verstehen. Risiken sollen in einer<br />
möglichst frühen Projektphase erkannt und nach<br />
Möglichkeit durch Projektoptimierung und konstruktive<br />
Maßnahmen reduziert o<strong>de</strong>r abgewen<strong>de</strong>t<br />
wer<strong>de</strong>n. Die verbleiben<strong>de</strong>n Restrisiken bei<br />
<strong>de</strong>r Ausführung bedürfen einer Methodik zum<br />
rechtzeitigen Erkennen von ungünstigen Entwicklungen<br />
und zur Umsetzung von Gegenmaßnahmen.<br />
Methodologie <strong>de</strong>s<br />
Risikomanagements<br />
Risikobewertung und -management wer<strong>de</strong>n in<br />
zahlreichen Gebieten <strong>de</strong>r Wissenschaft und <strong>de</strong>s<br />
Geschäftslebens durchgeführt, beson<strong>de</strong>rs in <strong>de</strong>r<br />
Finanzwelt zur Beurteilung von Anlagestrategien,<br />
im Bereich <strong>de</strong>r chemischen und nuklearen<br />
Industrie wegen <strong>de</strong>r möglichen großen Auswirkung<br />
von Störfällen auf die Öffentlichkeit, ebenso<br />
im Bereich <strong>de</strong>r Medizin und <strong>de</strong>r Umwelt. Auch im<br />
Bauwesen fin<strong>de</strong>t Risikobewertung als Teil eines<br />
neuen gesamtheitlichen Sicherheitskonzepts zunehmend<br />
Anwendung, zum Beispiel in <strong>de</strong>r neuen<br />
DIN 19 700 für die Sicherheit von Talsperren (1).<br />
Die grundsätzliche Vorgehensweise ist in allen<br />
Gebieten dieselbe und glie<strong>de</strong>rt sich in folgen<strong>de</strong><br />
Schritte:<br />
➮ Risikoi<strong>de</strong>ntifikation,<br />
➮ Risikobewertung in bezug auf Eintretenswahrscheinlichkeit<br />
und Scha<strong>de</strong>nshöhe, entwe<strong>de</strong>r<br />
quantitativ bei finanziellen Fragestellungen<br />
o<strong>de</strong>r mit Bewertungsziffern bei qualitativen<br />
Fragen wie im Fall <strong>de</strong>r Gefährdung von<br />
Gesundheit und Leben,<br />
➮ Risikoreduktion o<strong>de</strong>r -vermeidung durch gezielte<br />
Vorkehrungen o<strong>de</strong>r Maßnahmen,<br />
➮ Risikomanagement (auch Sicherheitsplan) für<br />
die Kontrolle <strong>de</strong>r Restrisiken.<br />
Diese Schritte lassen sich ohne Einschränkung<br />
auf Probleme <strong>de</strong>s Bauwesens anwen<strong>de</strong>n. Geotechnisches<br />
Risikomanagement erfolgt in allen<br />
Projektphasen (Bild 1 und Tabelle 1). Die Detaillierung<br />
<strong>de</strong>r Risikoeinschätzung nimmt mit <strong>de</strong>r<br />
Projektentwicklung zu, von generellen geologischen<br />
Fragen zu Beginn eines Projekts bis zu<br />
<strong>de</strong>taillierten bauverfahrensspezifischen Fragestellungen<br />
in <strong>de</strong>r Detailplanung. Im Vor<strong>de</strong>rgrund<br />
sollte bei <strong>de</strong>r Projektierung die Minimierung von<br />
Risiken stehen zur Optimierung eines Bauwerks<br />
über die gesamte Lebensdauer, beginnend von<br />
<strong>de</strong>r Planung über die Herstellung bis zum Betrieb.<br />
Am Beginn <strong>de</strong>s Planungsprozesses steht die<br />
zentrale Frage <strong>de</strong>r Risikoi<strong>de</strong>ntifikation. Diese<br />
Risk Assessment and Risk Management –<br />
Methodology and Case Histories<br />
Risk management is a process during the complete life <strong>of</strong> a project<br />
from corridorstudies to the completion <strong>of</strong> the construction. The usual<br />
steps such as risk i<strong>de</strong>ntification, avoidance and reduction, sharing<br />
and management <strong>of</strong> the residual risk during construction can be<br />
applied to geotechnical problems. The methodology is presented in<br />
theory and at three case histories.<br />
Risikomanagement ist ein projektbegleiten<strong>de</strong>r Prozeß von <strong>de</strong>r Trassen-<br />
o<strong>de</strong>r Standortauswahl bis zur Fertigstellung. Die üblichen<br />
Schritte, Risikoi<strong>de</strong>ntifikation, Vermeidung, Reduktion, Teilen und<br />
Kontrolle <strong>de</strong>s Restrisikos während <strong>de</strong>r Ausführung, können auf geotechnische<br />
Problemstellungen angewandt wer<strong>de</strong>n. Die Methodik<br />
wird in <strong>de</strong>r Theorie und an drei Fallbeispielen erläutert.<br />
RISIKOANALYSE<br />
FELSBAU 20 (<strong>2002</strong>) NR. 5 31
RISIKOANALYSE<br />
32<br />
SCHUBERT UND BERGMAIR: GEOTECHNISCHE RISIKOBEWERTUNG UND RISIKOMANAGEMENT<br />
Bild 1 Risikomanagement<br />
und Reduktion<br />
während <strong>de</strong>r Projektphasen.<br />
Fig. 1 Risk management<br />
and risk reduction<br />
during the project<br />
phases.<br />
FELSBAU 20 (<strong>2002</strong>) NR. 5<br />
muß während <strong>de</strong>r Projektentwicklung fortgeschrieben<br />
wer<strong>de</strong>n, da möglicherweise durch die<br />
Zunahme von Detailwissen o<strong>de</strong>r Projektentwicklungen<br />
neue Risiken erkannt wer<strong>de</strong>n und alte<br />
wegfallen. Typische geotechnische Risiken können<br />
zum Beispiel sein:<br />
➮ Rutschhänge bei Straßen- und Eisenbahntrassen<br />
beziehungsweise Tunnelportalen,<br />
➮ Probleme beim Bau durch geologische Störungen,<br />
geringe Festigkeit <strong>de</strong>s Gebirges, geringe<br />
Standsicherheit <strong>de</strong>s Gebirges und Druckhaftigkeit,<br />
➮ Auswirkung <strong>de</strong>s Projekts auf die Umwelt durch<br />
Setzungen o<strong>de</strong>r Erschütterungen,<br />
➮ Felssturz bei Einschnitten, Tagbauten, Trassen<br />
in <strong>de</strong>r Nähe von Felsböschungen,<br />
➮ Beeinträchtigung <strong>de</strong>s natürlichen Wasserhaushalts,<br />
Wassereinbrüche im Tunnel,<br />
➮ Karsthöhlen,<br />
➮ Erdbebeneinwirkungen.<br />
In <strong>de</strong>r Detailplanung wer<strong>de</strong>n die Risiken <strong>de</strong>s<br />
konkreten Projekts nach ihrer Eintretenswahr-<br />
Tabelle 1 Risikomanagementaktivitäten während <strong>de</strong>r Projektphasen.<br />
Table 1 Risk management activities during the project phases.<br />
scheinlichkeit und möglichen Scha<strong>de</strong>nshöhe beurteilt.<br />
Da hier in <strong>de</strong>r Regel keine exakten Daten<br />
vorliegen, spielen dabei die subjektive Beurteilung<br />
von Experten, auch „Delphi“-Verfahren genannt<br />
(ÖNORM EN 1050) (2), und die Verwendung<br />
von Bandbreiten eine wesentliche Rolle. Die<br />
dokumentierte Einschätzung von mehreren Experten<br />
wird dabei sehr hoch geschätzt, meist<br />
mehr als irgendwelche Berechnungen.<br />
Die Größe <strong>de</strong>r Risiken ergibt sich aus <strong>de</strong>m<br />
Produkt aus Eintretenswahrscheinlichkeit und<br />
Scha<strong>de</strong>nshöhe. Bei einer <strong>de</strong>terministischen<br />
Einschätzung in Form eines konkreten Werts ist<br />
diese Berechnung trivial, bei probabilistischen<br />
Annahmen in Form von Bandbreiten und statistischen<br />
Verteilungen erfor<strong>de</strong>rt die Produktbildung<br />
komplexere Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Statistik. Ein<br />
Gesamtrisiko ergibt sich auch in <strong>de</strong>r Regel aus<br />
<strong>de</strong>r Summe verschie<strong>de</strong>ner Einzelrisiken. Für<br />
die Berechnung <strong>de</strong>s Gesamtrisikos aus mehreren<br />
probabilistischen Eingabegrößen ist die bekannteste<br />
und am meisten angewen<strong>de</strong>te die<br />
sogenannte Monte-Carlo-Metho<strong>de</strong>. Diese beruht<br />
auf einem Zufallsgenerator und <strong>de</strong>r Berechnung<br />
einer großen Anzahl von gewichteten<br />
Einzelprodukten, die in ihrer Summe wie<strong>de</strong>r<br />
repräsentative statistische Verteilungen ergeben.<br />
Grundsätzlich ist es möglich, eine Verknüpfung<br />
zwischen <strong>de</strong>r quantitativen Risikoanalyse<br />
und <strong>de</strong>m Leistungsverzeichnis einer Ausschreibung<br />
herzustellen. Dabei sollten jene Positionen,<br />
bei <strong>de</strong>nen eine wesentliche Unsicherheit in bezug<br />
auf die ausgeschriebenen Massen besteht, und<br />
die Eventualpositionen in ihrer Vollständigkeit<br />
und ihrem Vor<strong>de</strong>rsatz mit <strong>de</strong>r Risikoanalyse in<br />
Einklang gebracht wer<strong>de</strong>n. Mit <strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Risikoanalyse<br />
dargestellten Bandbreiten können die<br />
Preisspiegel zum Vergleich <strong>de</strong>r Angebote erstellt<br />
wer<strong>de</strong>n.<br />
Am Beginn <strong>de</strong>r Bauausführung eines Projekts<br />
verbleiben in <strong>de</strong>r Regel als Resultat <strong>de</strong>r Unsicherheit<br />
<strong>de</strong>s Baugrunds und <strong>de</strong>r natürlichen Einwirkungen<br />
sogenannte Restrisiken, solche, die man<br />
Trassenplanung Detailplanung Ausschreibung Ausführung<br />
Vorprojekt Vergabe<br />
➮ Generelle geologische ➮ Risikobewertung für ➮ Abrechnungssysteme ➮ Sicherheitsplan<br />
Risiken i<strong>de</strong>ntifizieren konkrete Trasse und für risikobehaftete ➮ Beobachtungs-<br />
➮ Grobbewertung, Bauverfahren verfeinern Elemente vorsehen metho<strong>de</strong> aufbauen<br />
Prioritäten setzen ➮ Eintretenswahrschein- ➮ Risikogesteuerten und durchführen<br />
➮ Trasse o<strong>de</strong>r Standort lichkeiten und Auswir- Preisspiegel erstellen<br />
optimieren kungen abschätzen ➮ Bieter in Risikoein-<br />
➮ Bauverfahren nach ➮ Durch Projektanpassung schätzung einbin<strong>de</strong>n<br />
Risiken bewerten und und konstruktive Maßauswählen<br />
nahmen Risiken minimieren<br />
➮ Restrisiken <strong>de</strong>finieren,<br />
Erwartungsmo<strong>de</strong>ll und<br />
Verhalten <strong>de</strong>finieren<br />
➮ Beobachtungskriterien<br />
festlegen
SCHUBERT UND BERGMAIR: GEOTECHNISCHE RISIKOBEWERTUNG UND RISIKOMANAGEMENT<br />
RISIKOANALYSE<br />
FELSBAU 20 (<strong>2002</strong>) NR. 5 33
RISIKOANALYSE<br />
34<br />
SCHUBERT UND BERGMAIR: GEOTECHNISCHE RISIKOBEWERTUNG UND RISIKOMANAGEMENT<br />
Bild 2 Risikomanagement<br />
während <strong>de</strong>r<br />
Bauausführung durch<br />
die Beobachtungsmetho<strong>de</strong><br />
nach EC 7.<br />
Fig. 2 Risk management<br />
during construction<br />
after the observational<br />
method<br />
according to EC 7.<br />
Bild 3 E-W Schnitt<br />
durch das Museum<br />
im Mönchsberg mit<br />
einer schematischen<br />
Darstellung <strong>de</strong>r geologisch-geotechnischen<br />
Risik<strong>of</strong>aktoren:<br />
1 – Lockermaterialähnliches<br />
Gebirge;<br />
2 – Wasserzutritte;<br />
3 – Keilversagen durch<br />
Großklüfte;<br />
4 – Antreffen von<br />
natürlichen Höhlen.<br />
Fig. 3 E-W section<br />
through the museum<br />
complex with geotechnical<br />
risk factors:<br />
1 – unconsolidated<br />
rocks,<br />
2 – water ingress,<br />
3 – wedge failure at<br />
geological structures<br />
and 4 – natural caves.<br />
FELSBAU 20 (<strong>2002</strong>) NR. 5<br />
kennt, und solche, die nie erkannt wur<strong>de</strong>n. Entsprechend<br />
<strong>de</strong>n rechtlichen Randbedingungen<br />
und <strong>de</strong>n Bedingungen <strong>de</strong>s Bauvertrags tragen<br />
<strong>de</strong>r Auftraggeber und <strong>de</strong>r Auftragnehmer unterschiedliche<br />
Anteile am Restrisiko. Im allgemeinen<br />
trägt <strong>de</strong>r Auftraggeber das Risiko <strong>de</strong>r Baugrundverhältnisse<br />
und <strong>de</strong>r Auftragnehmer das<br />
Risiko <strong>de</strong>s <strong>de</strong>taillierten Bauverfahrens und <strong>de</strong>s<br />
Ressourceneinsatzes. Für <strong>de</strong>n Bereich <strong>de</strong>r Sicherheit<br />
können für österreichische Verhältnisse<br />
das Risiko <strong>de</strong>r Standsicherheit <strong>de</strong>m Auftraggeber<br />
und das Risiko <strong>de</strong>r Arbeitssicherheit <strong>de</strong>m Auftragnehmer<br />
zugeordnet wer<strong>de</strong>n. Natürlich gibt<br />
es dort, wo ein Mangel an Standsicherheit die<br />
Sicherheit <strong>de</strong>r Arbeitnehmer gefähr<strong>de</strong>n kann,<br />
eine starke Überschneidung <strong>de</strong>r Verantwortung.<br />
Traditionell wur<strong>de</strong> diese Problematik zum Beispiel<br />
durch die gemeinsame Ausbaufestlegung<br />
<strong>de</strong>r befugten Vertreter <strong>de</strong>s Auftraggebers und<br />
Auftragnehmers im Konsens gelöst.<br />
Im Sinn <strong>de</strong>r gestiegenen Anfor<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r<br />
Sicherheit im allgemeinen und <strong>de</strong>r Nachvollziehbarkeit<br />
<strong>de</strong>r Entscheidungsprozesse ist es heute<br />
erfor<strong>de</strong>rlich und sinnvoll, als Teil eines Projektmanagementsystems<br />
einen Risikomanagementplan<br />
(auch Sicherheitsplan genannt) für die Ausführung<br />
zu erstellen. Aus <strong>de</strong>r Perspektive <strong>de</strong>s<br />
Auftraggebers, <strong>de</strong>r primär für die Standsicherheit<br />
<strong>de</strong>s Bauwerks Sorge zu tragen hat, sind die<br />
Grundpfeiler <strong>de</strong>s Sicherheitsplans folgen<strong>de</strong>:<br />
➮ Die Definition <strong>de</strong>s erwarteten Verhaltens <strong>de</strong>s<br />
Bauwerks während <strong>de</strong>r Herstellung mit <strong>de</strong>r<br />
Angabe von meß- o<strong>de</strong>r beobachtbaren Toleranzgrenzen,<br />
➮ Der Aufbau einer Organisation und Technik<br />
zur Überwachung <strong>de</strong>r für das Verhalten <strong>de</strong>s<br />
Bauwerks wichtigen Eigenschaften und Größen<br />
wie geologische Dokumentation und Vorhersage<br />
und geotechnische Messungen und<br />
<strong>de</strong>ren Interpretation,<br />
➮ Der Soll-Ist-Vergleich zwischen erwartetem<br />
Verhalten und tatsächlichem Verhalten und<br />
die Fortschreibung <strong>de</strong>s erwarteten Verhaltens<br />
aufgrund von neuen Erkenntnissen, die während<br />
<strong>de</strong>r Bauausführung gewonnen wer<strong>de</strong>n,<br />
➮ Die dokumentierte Reaktion auf Abweichungen<br />
vom Sollverhalten,<br />
➮ Alarmkriterien, Organisation, Schutzprioritäten<br />
und Vorgangsweisen im Krisenfall.<br />
Hier kreuzen sich heute die Wege <strong>de</strong>r NÖT mit<br />
ihrem traditionellen Ansatz <strong>de</strong>r Ausbaufestlegung<br />
aufgrund von Beobachtungskriterien (3)<br />
und <strong>de</strong>m anglo-amerikanischen, mehr formalen<br />
Ansatz <strong>de</strong>r „observational method“ (4) und <strong>de</strong>ssen<br />
Variante im Euroco<strong>de</strong> 7 (5). Im EC 7 wer<strong>de</strong>n<br />
für <strong>de</strong>n Nachweis <strong>de</strong>r Standsicherheit in <strong>de</strong>r<br />
Geotechnik neben einer geeigneten Berechnung<br />
die Beobachtungsmetho<strong>de</strong>, eine Probebelastung<br />
o<strong>de</strong>r konstruktive Maßnahmen zugelassen. Die<br />
Beobachtungsmetho<strong>de</strong> benötigt als hinreichen<strong>de</strong><br />
Bedingungen:<br />
➮ Eine Prognose und <strong>de</strong>finierte Toleranzgrenzen,<br />
➮ Die Messungen am Bauwerk zur Bestätigung,<br />
daß das wirkliche Verhalten innerhalb <strong>de</strong>r<br />
akzeptierten Grenzen liegt und<br />
➮ Eine hinreichen<strong>de</strong> Reaktionszeit bei Abweichungen<br />
für die Einleitung und Umsetzung von<br />
Korrekturmaßnahmen.<br />
Diese Systematik läßt sich sehr gut auf kritische<br />
Tunnelbauwerke während <strong>de</strong>r Ausführung
anwen<strong>de</strong>n (Bild 2). Beson<strong>de</strong>rs beachtenswert<br />
sind unseres Erachtens die Fragen <strong>de</strong>r ausreichen<strong>de</strong>n<br />
Reaktionszeit und <strong>de</strong>r Fortschreibung<br />
<strong>de</strong>s erwarteten Verhaltens. In <strong>de</strong>r Realität wird<br />
man nämlich sehr häufig feststellen, daß die Prognosewerte<br />
aus <strong>de</strong>r Planung während <strong>de</strong>r Ausführung<br />
verletzt wer<strong>de</strong>n, aber genügend an<strong>de</strong>re<br />
Beurteilungselemente zur Verfügung stehen, die<br />
eine ausreichen<strong>de</strong> Sicherheit annehmen lassen.<br />
Deshalb müssen Instrumente vorgesehen wer<strong>de</strong>n,<br />
die gewährleisten, daß das erwartete Verhalten<br />
durch neue Information während <strong>de</strong>r Ausführung<br />
fortgeschrieben wer<strong>de</strong>n kann. Diesen Zweck<br />
können direkte Messungen von Beanspruchungen,<br />
neue geeichte Rückrechnungen, neue Baugrundbewertungen<br />
und die statistische Auswertung<br />
von rezenten Meßergebnissen erfüllen.<br />
Bei konsequenter Anwendung <strong>de</strong>r in Bild 2<br />
dargestellten Vorgehensweise kann nicht nur das<br />
faktische Sicherheitsniveau bei <strong>de</strong>r Ausführung<br />
eines schwierigen geotechnischen Bauwerks signifikant<br />
angehoben wer<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn auch ein<br />
formal korrekter und hinreichen<strong>de</strong>r Nachweis<br />
für die Sicherheit erfolgen.<br />
Fallbeispiel Museum<br />
im Mönchsberg<br />
Das Museum im Mönchsberg beschäftigt seit etwas<br />
mehr als zehn Jahren die Salzburger Politik<br />
und die internationale Architekturszene. Der Entwurf<br />
von Pr<strong>of</strong>essor Hans Hollein sieht einen großteils<br />
unterirdisch angelegten Museumskomplex<br />
vor, mit Ausstellungshallen, Vortragssälen, Depots,<br />
Museumsshops und diversen Infrastrukturbauten<br />
wie Zufahrtstunnels und Versorgungsschächte.<br />
Herzstück <strong>de</strong>r Anlage ist die sogenannte<br />
Rotun<strong>de</strong>, ein sich nach unten verjüngen<strong>de</strong>r<br />
Schacht mit einem Anfangsdurchmesser von etwa<br />
30 m. Dieses Bauteil muß nach <strong>de</strong>n Vorstellungen<br />
von Pr<strong>of</strong>essor Hollein ohne sichtbare Stützmittel<br />
o<strong>de</strong>r Auskleidung bleiben, das anstehen<strong>de</strong> Gebirge<br />
soll als architektonisches Element <strong>de</strong>n Charakter<br />
dieses Zentralraums formen.<br />
Im Jahr 1990 wur<strong>de</strong> zu <strong>de</strong>m Museumsprojekt<br />
eine Machbarkeitsstudie erstellt, die damals<br />
ohne Erkundungsbohrungen auskommen mußte.<br />
Eine neue Studie im Jahr 2001 konnte neben<br />
<strong>de</strong>n geologisch-geotechnischen Erkenntnissen<br />
vom Bau <strong>de</strong>r Luftschutzstollen während <strong>de</strong>s<br />
2. Weltkriegs und <strong>de</strong>r Errichtung <strong>de</strong>r Parkgaragen<br />
auch auf zwei Kernbohrungen im Bereich <strong>de</strong>r<br />
Rotun<strong>de</strong> und mehrere Baggerschürfe sowie auf<br />
Felslabordaten zurückgreifen. Die neue Machbarkeitsstudie<br />
2001 sollte mehr als die Studie<br />
1990 auf die geotechnischen Risiken <strong>de</strong>s Bauvorhabens<br />
eingehen und insbeson<strong>de</strong>re die Machbarkeit<br />
<strong>de</strong>r freien Felsoberflächen überprüfen.<br />
Der gesamte Komplex liegt im Mönchsberg,<br />
<strong>de</strong>r natürlichen westlichen Begrenzung <strong>de</strong>r Altstadt<br />
Salzburgs. Der Mönchsberg ist <strong>de</strong>r Rest<br />
eines nacheiszeitlichen Schotter<strong>de</strong>ltas, das durch<br />
Zementationsvorgänge zu Konglomerat verfe-<br />
SCHUBERT UND BERGMAIR: GEOTECHNISCHE RISIKOBEWERTUNG UND RISIKOMANAGEMENT<br />
stigt wur<strong>de</strong>. Im Rahmen <strong>de</strong>r geotechnischen Bearbeitung<br />
<strong>de</strong>s Projekts wur<strong>de</strong>n folgen<strong>de</strong> Risikoszenarien<br />
i<strong>de</strong>ntifiziert (Bild 3):<br />
➮ Örtlich gering o<strong>de</strong>r nicht verfestigtes, lockergesteinsähnliches<br />
Konglomerat besitzt keine<br />
ausreichen<strong>de</strong> Festigkeit. Neben <strong>de</strong>n zu erwarten<strong>de</strong>n<br />
Schwierigkeiten beim Ausbruch wer<strong>de</strong>n<br />
Verfestigungsinjektionen o<strong>de</strong>r eine Oberflächenbehandlung<br />
<strong>de</strong>s Konglomerats erfor<strong>de</strong>rlich.<br />
➮ Wasser tritt aus <strong>de</strong>n freien Felsoberflächen zu,<br />
die Folge ist unzulässig hohe Feuchtigkeit in<br />
<strong>de</strong>n Besucherräumen mit hohem Klimatisierungsaufwand.<br />
➮ Durch <strong>de</strong>n ungünstigen Verschnitt von Großklüften<br />
kommt es zu Instabilitäten in Hohlraumnähe,<br />
umfangreiche Sicherungsmaßnahmen<br />
(zum Beispiel mit vorgespannten Ankern)<br />
müssen getr<strong>of</strong>fen wer<strong>de</strong>n.<br />
➮ Natürliche Höhlen liegen im Bereich <strong>de</strong>s Ausbruchrands.<br />
Daraus resultieren<strong>de</strong> Stabilitätsprobleme<br />
bedingen Verfüll- und Sicherungsarbeiten.<br />
Für die Eingangsdaten <strong>de</strong>r Risikoanalyse<br />
wur<strong>de</strong>n Lösungsansätze, die sich während <strong>de</strong>r<br />
Bearbeitung <strong>de</strong>s Projekts ergaben, berücksichtigt.<br />
So konnte für das Problem <strong>de</strong>r Wasserzutritte<br />
eine innovative technische Lösung gefun<strong>de</strong>n<br />
wer<strong>de</strong>n, die das finanzielle Risiko stark<br />
RISIKOANALYSE<br />
FELSBAU 20 (<strong>2002</strong>) NR. 5 35
RISIKOANALYSE<br />
36<br />
SCHUBERT UND BERGMAIR: GEOTECHNISCHE RISIKOBEWERTUNG UND RISIKOMANAGEMENT<br />
Tabelle 2 Eingangsdaten für die geologisch-geotechnische Risikoanalyse.<br />
Table 2 Input data for the geotechnical risk analysis.<br />
Geotechnische Risik<strong>of</strong>aktoren<br />
R1 Antreffen von lockergesteinsähnlichem<br />
Gebirge .. 1 3 96 000 m3 R2 Erfor<strong>de</strong>rnis von Verfestigungsinjektionen<br />
.................. 5 10 12 000 m3 R3 Erfor<strong>de</strong>rnis von Oberflächenbehandlung<br />
<strong>de</strong>s<br />
Konglomerats ....................... 30 70 3 000 m2 R4 Antreffen von<br />
signifikanten Wassererschwernissen<br />
.................... 0 2 96 000 m3 R5 Antreffen einer Großkluft<br />
– Einbau vorgespannter<br />
Anker ....................................<br />
R6 Antreffen von<br />
50 150 10 Stk<br />
Hohlräumen .......................... 110 130 1 000 m3 Bild 4 Erwartete<br />
Bandbreite <strong>de</strong>r Kosten<br />
aus <strong>de</strong>n geologischgeotechnischenRisiken.<br />
Fig. 4 Expected<br />
variation <strong>of</strong> cost from<br />
the geotechnical risk<br />
factors.<br />
FELSBAU 20 (<strong>2002</strong>) NR. 5<br />
Risik<strong>of</strong>aktoren aus Geologie und Geotechnik<br />
Auftretenswahrscheinlichkeit<br />
[%]<br />
von bis<br />
Menge Einheit<br />
reduzierte: Durch einen gesägten Schlitz mit<br />
eingezogener Dichtungsbahn rund um die Rotun<strong>de</strong><br />
konnte ein Wasserzutritt im Bereich <strong>de</strong>r<br />
freien Felsflächen praktisch ausgeschlossen<br />
wer<strong>de</strong>n. Dementsprechend niedrig wur<strong>de</strong> das<br />
Risiko für Wassererschwernisse beurteilt (Tabelle<br />
2).<br />
Als wesentliches Ergebnis <strong>de</strong>r Risikoanalyse<br />
konnten die Kosten aus geotechnischen Risiken<br />
klar eingegrenzt wer<strong>de</strong>n. Der Mittelwert <strong>de</strong>r Ko-<br />
Tabelle 3 Bewertungsmatrix <strong>de</strong>r US Navy, (6).<br />
Table 3 Risk matrix according to (6).<br />
Häufigkeit<br />
Katastrophal<br />
Scha<strong>de</strong>nsausmaß<br />
Sehr<br />
schwer<br />
Schwer Gering<br />
Häufig .................. 1 3 7 13<br />
Wahrscheinlich .... 2 5 9 16<br />
Gelegentlich ......... 4 6 11 18<br />
Selten .................. 8 10 14 19<br />
Unwahrscheinlich .. 12 15 17 20<br />
1 - 5 Sehr hoch, S<strong>of</strong>ortmaßnahmen erfor<strong>de</strong>rlich.<br />
6 - 9 Hoch, Maßnahme mittelfristig erfor<strong>de</strong>rlich.<br />
10 - 17 Mittel, Maßnahme empfohlen.<br />
18 - 20 Gering, akzeptables Risiko.<br />
sten aus geotechnischen Risiken liegt bei etwa<br />
0,47 Mill. EUR, mit 90 % Wahrscheinlichkeit sind<br />
die Kosten geringer als 0,58 Mill. EUR (Bild 4).<br />
Eine Sensitivitätsanalyse zeigte, daß schlecht<br />
verkittetes, als Lockermaterial vorliegen<strong>de</strong>s Konglomerat<br />
die höchsten Zusatzkosten für <strong>de</strong>n Bau<br />
<strong>de</strong>r Hohlräume verursacht. Zukünftige Baugrunduntersuchungen<br />
und Beschreibungen<br />
müssen dieses Ergebnis beson<strong>de</strong>rs berücksichtigen.<br />
Fallbeispiel Autobahn<br />
Suao-Hualien, Taiwan<br />
Dieses Fallbeispiel bezieht sich ebenfalls auf eine<br />
sehr frühe Phase <strong>de</strong>r Planung eines Autobahnabschnitts<br />
an <strong>de</strong>r Ostküste von Taiwan. Es han<strong>de</strong>lt<br />
sich hierbei um eine steile Küstenflanke innerhalb<br />
<strong>de</strong>r üblicherweise sehr komplexen geologischen<br />
Verhältnisse von Taiwan. Das dominieren<strong>de</strong><br />
Element in diesem Abschnitt sind schichtungsparallele<br />
Überschiebungen hauptsächlich im<br />
Phyllit und quer dazu Zerrstrukturen in Form von<br />
trichterförmigen Abschiebungen, begrün<strong>de</strong>t<br />
durch die plattentektonische Situation an <strong>de</strong>r<br />
Ostküste Taiwans. Die Komplexität <strong>de</strong>r geologischen<br />
Situation und die dramatischen Erfahrungen<br />
mit Tunnelbauten in dieser Region (zum<br />
Beispiel Pinglin Tunnel) waren Anlaß, <strong>de</strong>m Planer<br />
eine Risikostudie in zwei Phasen vorzuschlagen.<br />
In <strong>de</strong>r ersten Phase, nach einer generellen<br />
geologischen Einschätzung und Sichtung von<br />
Unterlagen von Projekten in <strong>de</strong>r Nähe, sollten die<br />
Risik<strong>of</strong>aktoren i<strong>de</strong>ntifiziert und in einer groben<br />
Priorität gereiht wer<strong>de</strong>n. In einer zweiten Phase,<br />
nach <strong>de</strong>n Bohrungen und Erstellen eines generellen<br />
Projekts und einer ersten Kostenschätzung,<br />
sollen die finanziellen Wagnisse dieses Projekts<br />
in Form einer probabilistischen quantitativen<br />
Risikoanalyse abgeschätzt wer<strong>de</strong>n. Hier wird<br />
über die Systematik <strong>de</strong>r ersten Phase berichtet.<br />
Grundlage dazu bil<strong>de</strong>t eine Risikobewertungsmatrix<br />
<strong>de</strong>r US Navy (8) (Tabelle 3).<br />
Bezogen auf die konkreten Risik<strong>of</strong>aktoren <strong>de</strong>s<br />
Projekts ergab sich daraus eine Prioritätenreihung<br />
gemäß <strong>de</strong>r Tabelle 4. Aufgrund <strong>de</strong>r Wechselfolge<br />
von wenig durchlässigen mit durchlässigen<br />
Gebirgsabschnitten und durch die zu erwarten<strong>de</strong><br />
abdichten<strong>de</strong> Wirkung von bestimmten Störungen<br />
wur<strong>de</strong> die Möglichkeit eines Wassereinbruchs<br />
als beson<strong>de</strong>rs wahrscheinlich und<br />
schwerwiegend eingeschätzt. Etwas geringer<br />
wur<strong>de</strong> die Wahrscheinlichkeit eines massiven<br />
Überbruchs an <strong>de</strong>r Ortsbrust, bedingt durch das<br />
ungünstige Einfallen <strong>de</strong>r Schichtung, und die<br />
Gefahr eines größeren Keilversagens bewertet.<br />
Darauf folgten mehrere Risiken mit mittlerer<br />
Bewertung, zum Beispiel absehbare Schwierigkeiten<br />
bei <strong>de</strong>n Tunnelportalen und beim Antreffen<br />
von Karstphänomenen. Die Auswirkungen<br />
von Erdbeben auf <strong>de</strong>n Tunnel in Bau und Betrieb<br />
wer<strong>de</strong>n schließlich als gering eingestuft.
Fallbeispiel Lainzer Tunnel,<br />
Baulos LT 22<br />
Der Lainzer Tunnel am Rand Wiens bil<strong>de</strong>t eine<br />
12,8 km lange Verbindung zwischen <strong>de</strong>r Westbahn,<br />
<strong>de</strong>r Südbahn und <strong>de</strong>r Donaulän<strong>de</strong>bahn.<br />
Das Baulos LT 22 besteht aus zwei einspurigen<br />
Eisenbahntunneln, die einen Hügel sowie die<br />
ÖBB-Gleise <strong>de</strong>r Westbahn unterqueren. Die Länge<br />
<strong>de</strong>r Tunnel beträgt 750 und 900 m, die Überlagerung<br />
beträgt im Durchschnitt etwa 10 m. Die<br />
bei<strong>de</strong>n Röhren wer<strong>de</strong>n bergmännisch nach <strong>de</strong>n<br />
Grundsätzen <strong>de</strong>r NÖT aufgefahren.<br />
Aufbauend auf das bei <strong>de</strong>r Eisenbahn Hochleistungsstrecken<br />
AG (HL-AG) bereits bei einigen<br />
Projekten angewandte System <strong>de</strong>r Rahmenplanung<br />
für Tunnelbauwerke wur<strong>de</strong> beim Lainzer<br />
Tunnel ein „geotechnischer Sicherheitsund<br />
Krisenplan“ erstellt und bei <strong>de</strong>r Ausführung<br />
<strong>de</strong>r schwierigen Tunnelbauarbeiten benutzt.<br />
Dieser Plan beinhaltet unter an<strong>de</strong>rem<br />
folgen<strong>de</strong> Punkte:<br />
➮ Verantwortung <strong>de</strong>r am Sicherheitsmanagement<br />
Beteiligten,<br />
➮ Planmäßiges Verhalten <strong>de</strong>s Hohlraums,<br />
Grenzwerte,<br />
➮ Meß- und Beobachtungsprogramm, Umfang,<br />
Frequenzen und Informationsfluß,<br />
➮ Geotechnische Besprechungen,<br />
➮ Krisenszenarien, Warnstufen,<br />
➮ Vorgangsweise im Krisenfall,<br />
➮ Organisation im Krisenfall,<br />
➮ Vorhalten von Mitteln zum Vermei<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s<br />
Krisenfalls.<br />
Über die Details <strong>de</strong>s angewandten Systems<br />
wur<strong>de</strong> von (7) berichtet. An dieser Stelle seien<br />
nochmals das einfache und übersichtliche tägliche<br />
Berichtswesen und das Warnsystem <strong>de</strong>s Sicherheitsplans<br />
angeführt.<br />
In diesem Projekt wur<strong>de</strong> die tägliche Hauptinformation<br />
in einer Tabelle dargestellt, aus <strong>de</strong>r auf<br />
<strong>de</strong>n ersten Blick ersichtlich ist, in welchen Bereichen<br />
<strong>de</strong>s Tunnels <strong>de</strong>r Geotechniker „Normalverhalten“<br />
diagnostiziert und wo Abweichungen<br />
beziehungsweise Unstetigkeiten vorliegen. Im<br />
Fall abweichen<strong>de</strong>n Verhaltens müssen eine geotechnische<br />
Analyse durchgeführt und ein Vorschlag<br />
für zusätzliche Maßnahmen (Tabelle 5)<br />
vorgelegt wer<strong>de</strong>n. In <strong>de</strong>r Tabelle wird auch auf<br />
die Warnstufe Bezug genommen.<br />
Wie bereits oben erwähnt, stellt sich in <strong>de</strong>r<br />
Wirklichkeit das Problem, daß bei wechselhaften<br />
Baugrundverhältnissen Prognose- und Warnwerte<br />
im Sinn von Verschiebungen o<strong>de</strong>r Setzungen<br />
häufig überschritten wer<strong>de</strong>n, während zahlreiche<br />
an<strong>de</strong>re Beobachtungselemente eine hinreichen<strong>de</strong><br />
Sicherheit ableiten lassen. Aus diesem<br />
Grund hat man in diesem Projekt bei <strong>de</strong>n Warnstufen<br />
zusätzlich zu <strong>de</strong>n Prognosewerten aus <strong>de</strong>r<br />
Planung eine Reihe von qualitativen Warnkriterien<br />
aufgestellt (Tabelle 6).<br />
Nach <strong>de</strong>n Erfahrungen <strong>de</strong>s Projekts können<br />
und sollen in Zukunft bei kritischen Tunneln mit<br />
SCHUBERT UND BERGMAIR: GEOTECHNISCHE RISIKOBEWERTUNG UND RISIKOMANAGEMENT<br />
Tabelle 4 Gewichtung ausgewählter Risik<strong>of</strong>aktoren bei <strong>de</strong>n Tunneln 6 und 7<br />
<strong>de</strong>r geplanten Autobahn Suao-Hualien in Taiwan.<br />
Table 4 Priorities <strong>of</strong> selected risk factors at tunnels 6 and 7 <strong>of</strong> the motorway<br />
Suao-Hualien.<br />
Beschreibung Scha<strong>de</strong>nsausmaß<br />
Wassereinbruch mit<br />
Lockermaterial ............ Sehr schwer Häufig 3 Sehr hoch<br />
Großer Überbruch<br />
an <strong>de</strong>r Ortsbrust und<br />
im ungesicherten<br />
Bereich ....................... Schwer Häufig 7 Hoch<br />
Keilversagen im<br />
gestützten Tunnelabschnitt<br />
..................... Schwer Wahrscheinlich 9 Hoch<br />
Bergsturz beim<br />
Südportal <strong>de</strong>s<br />
Tunnels 7 .................... Schwer Gelegentlich 11 Mittel<br />
Größere Konvergenzen<br />
durch druckhaftes<br />
Gebirge ............ Gering Häufig 13 Mittel<br />
Kriechhang am Nordportal<br />
von Tunnel 6 ..... Gering Wahrscheinlich 16 Mittel<br />
Karsthöhlen im Marmorabschnitt<br />
............... Gering Wahrscheinlich 16 Mittel<br />
Erdbebeneinwirkung<br />
auf <strong>de</strong>n Tunnel ............ Gering Selten 19 Gering<br />
Tabelle 5 Täglicher geotechnischer Bericht, Auszug.<br />
Table 5 Daily geotechnical report, extract.<br />
Vortrieb MQ<br />
Normal<br />
(0)<br />
Verhalten/<br />
Warnstufe<br />
Abweichend<br />
(1)<br />
Häufigkeit Risiko<br />
In<strong>de</strong>x<br />
Kritisch<br />
(2/3)<br />
geringer Überlagerung zusätzlich folgen<strong>de</strong> Aspekte<br />
Berücksichtigung fin<strong>de</strong>n:<br />
➮ Die Schwierigkeit <strong>de</strong>r Zuordnung <strong>de</strong>s Prognosemo<strong>de</strong>lls<br />
auf die aktuellen Baugrundverhältnisse<br />
beziehungsweise die laufen<strong>de</strong> und aktu-<br />
Geotechnische<br />
Erläuterung<br />
siehe ( )<br />
Bewertung<br />
BW7 MQ237-UT ✓<br />
MQ246-UT ✓<br />
MQ255-UT ✓<br />
MQ264-UT ! (2) Verstärkte<br />
Stützung <strong>de</strong>r<br />
Ortsbrust<br />
BL7 MQ138-UT ✓<br />
MQ147-UT ! (1) Festigkeitsent-<br />
MQ156-UT ! (1) wicklung<br />
MQ165-UT ! (1) Spritzbeton<br />
überprüfen<br />
MQ174-UT ✓<br />
MQ183-UT ✓<br />
MQ191-UT ✓<br />
MQ200-UT<br />
.....<br />
.....<br />
.....<br />
✓<br />
(1) Geotechnische Erläuterung 1: .....<br />
(2) Geotechnische Erläuterung 2: ......<br />
Erfor<strong>de</strong>rliche<br />
Maßnahmen<br />
RISIKOANALYSE<br />
FELSBAU 20 (<strong>2002</strong>) NR. 5 37
RISIKOANALYSE<br />
38<br />
SCHUBERT UND BERGMAIR: GEOTECHNISCHE RISIKOBEWERTUNG UND RISIKOMANAGEMENT<br />
Tabelle 6 Stufen <strong>de</strong>s geotechnischen Warnsystems.<br />
Table 6 Levels <strong>of</strong> the geotechnical warning system.<br />
Warnstufe 0 Systemverhalten innerhalb <strong>de</strong>r erwarteten Bandbreite<br />
Normalverhalten gemäß Vorgaben <strong>de</strong>r Rahmenplanung,<br />
keine Warnwerte erreicht, keine beson<strong>de</strong>ren Beobachtungen<br />
Warnstufe 1 Abweichung vom Normalverhalten, Eintritt eines Warnkriteriums<br />
Als Warnkriterium kann zum Beispiel gelten:<br />
➮ Überschreiten eines Warnwerts gemäß Angaben <strong>de</strong>s Planers<br />
➮ Untypisches Verschiebungsverhalten <strong>de</strong>s Tunnels o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r<br />
Oberfläche wie plötzliche Verschiebungszuwächse, Abkippen<br />
<strong>de</strong>r Trendlinie, Verletzung von Verträglichkeitsbedingungen<br />
in <strong>de</strong>r Tunnelschale<br />
➮ Kleinere unvorhergesehene Ereignisse im Tunnel wie Überbruch,<br />
größere Wasserzutritte<br />
Warnstufe 2 Gefahr in Verzug, Risiko ist auf die Baustelle begrenzt<br />
Eintritt eines Alarmkriteriums, jedoch nicht im Einflußbereich <strong>de</strong>r<br />
befahrenen ÖBB-Anlagen. Als Alarmkriterium kann gelten:<br />
➮ Gefahr eines Verbruchs im Tunnel<br />
➮ Verletzung <strong>de</strong>r ÖBB-Grenzwerte<br />
➮ Wie<strong>de</strong>rholt progressive Verschiebungsten<strong>de</strong>nzen im Tunnel<br />
➮ Nachhaltige Zweifel an <strong>de</strong>r Standsicherheit <strong>de</strong>r Tunnelschale,<br />
Überbeanspruchung, Risse<br />
➮ Flutung <strong>de</strong>s Tunnels durch Hochwasser<br />
Warnstufe 3 Gefahr in Verzug, Risiko geht über die Baustelle hinaus und<br />
betrifft auch die Öffentlichkeit<br />
Eintritt eines Alarmkriteriums, mit möglicher Auswirkung <strong>de</strong>r<br />
befahrenen ÖBB-Anlagen<br />
FELSBAU 20 (<strong>2002</strong>) NR. 5<br />
elle Definition <strong>de</strong>s Soll-Verhaltens bei sehr<br />
wechselhaften Bedingungen wie beim vorliegen<strong>de</strong>n<br />
Baulos. Hierzu wer<strong>de</strong>n anstatt einer<br />
festen vorhergehen<strong>de</strong>n Homogenbereichs<strong>de</strong>finition<br />
ein Raster von Lösungen und Zuordnungskriterien<br />
zweckmäßig sein beziehungsweise<br />
eine Vorgehensweise, wie aus <strong>de</strong>n aktuellen<br />
Messungen eine Fortschreibung <strong>de</strong>s Soll-<br />
Verhaltens nachvollziehbar begrün<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n<br />
kann.<br />
➮ Eine Ergänzung im Sicherheitsplan hinsichtlich<br />
Prioritäten im Krisenfall.<br />
➮ Eine bessere Abstimmung verschie<strong>de</strong>ner Dokumente<br />
im Umfeld <strong>de</strong>r Sicherheit und <strong>de</strong>s<br />
Krisenmanagements, zum Beispiel Alarmplan<br />
<strong>de</strong>s Auftragnehmers, SIGE-Plan, Pläne öffent-<br />
»Dieser Beitrag interessiert unsere Geschäftsfreun<strong>de</strong><br />
ganz beson<strong>de</strong>rs!« Das haben Sie sich sicherlich schon<br />
öfter beim Lesen unserer Fachzeitschriften gesagt.<br />
Warum bestellen Sie nicht einfach Son<strong>de</strong>rdrucke?<br />
Individuell mit Ihrem Werbezusatz o<strong>de</strong>r im Original,<br />
ganz nach Ihrem Wunsch!<br />
For<strong>de</strong>rn Sie ein Angebot an.<br />
licher Organisationen und Behör<strong>de</strong>n wie Feuerwehr<br />
und Bezirkshauptmannschaften.<br />
➮ Eventuell Durchführen einer Krisenübung mit<br />
<strong>de</strong>n betr<strong>of</strong>fenen Projektbeteiligten.<br />
Schlußfolgerung<br />
Geotechnisches Risikomanagement erfor<strong>de</strong>rt<br />
keine beson<strong>de</strong>rs schwierigen Metho<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r<br />
Technologien. Gleich wie bei Leitsätzen im Management<br />
kann festgestellt wer<strong>de</strong>n, daß die han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n<br />
Personen erstens ihr Geschäft verstehen<br />
müssen und zweitens entsprechend han<strong>de</strong>ln<br />
müssen. Mit <strong>de</strong>r Befolgung von wenigen Prinzipien<br />
kann die Frage <strong>de</strong>s geotechnischen Risikos<br />
durch alle Projektphasen hindurch zu einer wesentlich<br />
verbesserten Transparenz sowie zu einer<br />
Optimierung <strong>de</strong>r Bauwerkssicherheit und <strong>de</strong>r<br />
Herstellungskosten und -zeiten führen.<br />
Quellennachweis<br />
1. Rissler, P.: Dimensioning <strong>of</strong> the <strong>de</strong>sign flood as part <strong>of</strong> a<br />
reservoir safety concept. Internetseite <strong>de</strong>s Deutschen Talsperren<br />
Komitees (DTK) www.germannatcom-icold.<strong>de</strong><br />
2. ÖNORM EN 1050. Sicherheit von Maschinen, Leitsätze zur<br />
Risikobeurteilung. 1997.<br />
3. Pacher, F. ; Rabcewicz, L.v. ; Golser, J.: Zum <strong>de</strong>rzeitigen<br />
Stand <strong>de</strong>r Gebirgsklassifizierung im Stollen- und Tunnelbau.<br />
Proceedings XXII, Geomechanik Kolloquium Salzburg, 1974,<br />
S. 51-58.<br />
4. Peck, R.B.: Advantages and limitations <strong>of</strong> the observational<br />
method in applied soil mechanics. In: Geotechnique 19<br />
(1969), No. 2.<br />
5. Euroco<strong>de</strong> 7: Entwurf, Berechnung und Bemessung in <strong>de</strong>r<br />
Geotechnik. ÖNORM ENV 1997-1.<br />
6. Naval Surface Warfare Center Car<strong>de</strong>rock Division: Standard<br />
Operating Procedure. www.dt.navy.mil/env/co<strong>de</strong><br />
0073sop.html<br />
7. Vavrovsky, G.M. ; Ayaydin, N. ; Schubert, P.: Geotechnisches<br />
Sicherheitsmanagement im oberflächennahen Tunnelbau.<br />
In: Felsbau 19 (2001), Nr. 5, S. 133-139.<br />
Autoren<br />
Dipl.-Ing. Dr. Peter Schubert und Dr. Michael Bergmair, <strong>iC</strong><br />
consulenten Ziviltechniker GesmbH, Zollhausweg 1, 5101<br />
Bergheim, Österreich.<br />
VG<br />
Verlag Glückauf Essen<br />
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Postfach 18 56 20 . 45206 Essen<br />
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