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Vortrag von Dr. Astrid Sahm - Internationales Bildungs

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<strong>Vortrag</strong> <strong>von</strong> <strong>Dr</strong>. <strong>Astrid</strong> <strong>Sahm</strong>:<br />

Grenzüberschreitende Projektpartnerschaften<br />

Potentiale zivilgesellschaftlicher Kooperationen zwischen Deutschland, Belarus und der<br />

Ukraine<br />

Liebe aktive Partner, liebe potentielle Partner!<br />

Diese Tagung ist in der Tat eine Premiere: Erstmals haben sich Vertreter <strong>von</strong><br />

Partnerschaftsinitiaitven aus Belarus, Deutschland und der Ukraine in so großer Zahl<br />

versammelt, um sich über ihre Arbeit auszutauschen und gemeinsame Kooperationsperspektiven<br />

zu diskutieren. Allerdings stellt sich die Frage, warum sich dieses offensichtlich beträchtliche<br />

Interesse an einer trilateralen Kooperation nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt gezeigt hat.<br />

Denn bereits seit längerem gibt es viele Gemeinsamkeiten in der deutsch-belarussischen und<br />

deutsch-ukrainischen Kooperation, welche eine Zusammenarbeit nahelegen. Als wichtigste sind<br />

zu nennen:<br />

Ä das Streben nach Versöhnung vor dem Hintergrund der während der deutschen<br />

Besatzung im Zweiten Weltkrieg begangenen Verbrechen – dabei ist zu berücksichtigen,<br />

dass die nationalsozialistische Herrschaft nicht nur zur Konfrontation zwischen den<br />

Ländern, sondern auch zu innergesellschaftlichen Spaltungen in den jeweiligen Ländern<br />

geführt hat, welche zum Teil bis heute nicht überwunden sind. „Lernen aus der<br />

Geschichte“ heißt daher bewusst das Thema einer unserer Arbeitsgruppen während dieser<br />

Tagung.<br />

Ä die Erfahrung und die Lehren aus den Folgen der Reaktorkatastrophe <strong>von</strong> Tschernobyl,<br />

welche uns nachdrücklich auf unsere Verantwortung für den Erhalt der<br />

Lebensgrundlagen zukünftiger Generationen hingewiesen hat. Die Arbeitsgruppen zu den<br />

Themen nachhaltige Entwicklung und erneuerbare Energien versuchen auf das<br />

Vermächtnis <strong>von</strong> Tschernobyl im Rahmen dieser Tagung zu reagieren.<br />

Ä die Erfahrung postsozialistischer Transformationsprozesse und die Neugestaltung des<br />

europäischen Kontinents, wobei die Frage nach sozialer Gerechtigkeit <strong>von</strong> besonderer<br />

Bedeutung ist. Den sozialen Fragen ist daher ebenfalls eine eigenständige Arbeitsgruppe<br />

gewidmet.<br />

All dies sind jedoch, wie gesagt, keine neue Gemeinsamkeiten, die das gestiegene Interesse an<br />

einem trilateralen Austausch ausreichend erklären könnten. Zu den neuen Faktoren, welche nach<br />

einer breiteren grenzüberschreitenden Zusammenarbeit auf zivilgesellschaftlicher Ebene<br />

verlangen, gehören zum einen die 2004 erfolgte EU-Osterweiterung, wobei die deutschbelarussischen<br />

und die deutsch-ukrainischen Initiativen die Angst vor einem Ausschluss der<br />

neuen EU-Nachbarländer aus dem gemeinsamen Haus Europa vereint. Und zum anderen hat<br />

nach der orangenen Revolution in der Ukraine sowie dem vorläufigen Scheitern des EU-<br />

Verfassungsprozesses die Bedeutung <strong>von</strong> Zivilgesellschaft als relevantem Akteur bei der<br />

Gestaltung des gemeinsamen Hauses Europa deutlich zugenommen – nicht zuletzt in den Augen<br />

der Politik.<br />

Die Situation der Zivilgesellschaften in Belarus, Deutschland und der Ukraine unterscheidet<br />

sich selbstverständlich beträchtlich:<br />

In Belarus wird das zivilgesellschaftliche Potential durch die weiterhin bestehenden politischen<br />

Konflikte beeinträchtigt: Da sich ein Teil der zivilgesellschaftlichen Organisationen der<br />

politischen Opposition zurechnet, wird die Zivilgesellschaft insgesamt vom Staat eher restriktiv<br />

behandelt und die sich ausschließlich als Vertreter konkreter sozialer, ökologischer u.a.<br />

Interessen verstehenden NGOs werden bisweilen einem allgemeinen Diffamierungsverdacht


ausgesetzt. Gleichzeitig müssen diese politisch neutralen, unabhängigen NGOs neben den<br />

staatlich protegierten NGOs bestehen, die über etliche Privilegien und damit bessere<br />

Startbedingungen im Wettbewerb um soziale Dienstleistungen etc. verfügen. Eine weitere<br />

Besonderheit besteht darin, dass infolge der mehrmaligen Neuregistrierungserfordernis und<br />

anderer Auflagen das NGO-Spektrum zahlenmäßig vergleichsweise übersichtlich ist. Dafür gibt<br />

es andererseits faktisch keine „NGO-Leichen“, d.h. nur auf dem Papier bestehende<br />

Organisationen. Die vorhandenen NGOs sind vielmehr vergleichsweise starke, professionelle<br />

Organisationen.<br />

In der Ukraine erscheint das zivilgesellschaftliche Spektrum auf den ersten Blick hingegen um<br />

ein Vielfaches größer. Es lässt sich hier jedoch eine wesentlich stärkerer Diskrepanz zwischen<br />

einigen erfolgreichen, professionellen NGOs und zahlreichen kleineren, weniger professionellen<br />

und schwachen NGOs beobachten. Die vorhandenen liberalen Rahmenbedingungen schaffen<br />

zudem auch spezifische Risiken, <strong>von</strong> denen das größte in der Gefahr einer zu hohen<br />

Kommerzialisierung der NGOs bestehen dürfte.<br />

Deutschland verfügte über wesentlich mehr Zeit zum Aufbau einer funktionierenden<br />

Zivilgesellschaft und eines partnerschaftlichen Verhältnisses <strong>von</strong> Staat und Zivilgesellschaft als<br />

Belarus und die Ukraine. Doch muss dieses ebenfalls immer wieder neu hergestellt und gegen<br />

Risiken geschützt werden. Zu diesen Risiken zählt insbesondere die Gefahr des Missbrauchs des<br />

Ehrenamtes zum Ausgleich <strong>von</strong> staatlichen Finanzierungslücken im kulturellen und sozialen<br />

Bereich. Angesichts der demographischen Veränderungen in einer immer älter werdenden<br />

Gesellschaft sehen sich Gewerkschaften, Kirche und Vereine zudem mit einem<br />

Mitgliederschwund konfrontiert. Es muss sich noch zeigen, welche dauerhaften Formen<br />

zivilgesellschaftlichen Engagements die jüngeren Generationen entwickeln.<br />

Der unterschiedlichen Entwicklung der Zivilgesellschaften in den drei Ländern entsprechen die<br />

erkennbaren Differenzen in der Kooperation der deutsch-ukrainischen und deutschbelarussischen<br />

Partnerschaftsinitiativen.<br />

Die belarussisch-deutsche Kooperation zeichnet sich zum einen durch die größere Zahl der<br />

Initiativen aus: Von den zwischenzeitlich etwa 1.000 deutsch-belarussischen Tschernobyl-<br />

Initiativen sind derzeit immer noch etwa 600 aktiv. Neben der Tschernobyl-Hilfe engagieren sie<br />

sich insbesondere zu den Themen Energie und Umwelt, Erwachsenenbildung, Integration <strong>von</strong><br />

Behinderten etc. Mit den Namen belarussisch-deutscher Partnerschaftsinitiativen werden in<br />

Belarus konkrete Pilotprojekte <strong>von</strong> konzeptioneller Bedeutung verbunden, wie die Installation<br />

der ersten Windkraftanlagen oder der Aufbau <strong>von</strong> Behindertenwerkstätten. Zur Konsolidierung<br />

des Spektrums der deutsch-belarussischen Partnerschaftsthemen haben insbesondere<br />

beigetragen:<br />

Ä die seit Mitte der 1990er Jahre vom Internationalen <strong>Bildungs</strong>- und Begegnungswerk<br />

jährlich organisierten Partnerschaftstagungen, welche die Vernetzung und die<br />

Überwindung bestehender Konflikte befördert haben,<br />

Ä die Erfahrung des erfolgreichen gemeinsamen Lobby-Prozess für das Förderprogramm<br />

Belarus in 2001 und die Umsetzung dieses Programms seit 2002.<br />

Zentrale Elemente des Förderprogramms Belarus sind:<br />

Ä die Förderung <strong>von</strong> über 90 Projekten zu den Bereichen Bildung, Soziales, Umwelt und<br />

Energie sowie wirtschaftliche und regionale Entwicklung in den Jahren 2002-2006;<br />

weitere 30 Projekte werden bis Ende 2008 gefördert;<br />

Ä die Durchführung eines Begleitprogramms, das den regionalen Dialog <strong>von</strong> NGOs,<br />

lokalen Behörden, Unternehmern, Kirchen etc. fördert, die Vernetzung zu den<br />

thematischen Förderbereichen durch thematische Gruppen und Großveranstaltungen<br />

(Festival der informellen Bildung, Soziales Forum, Konferenz zur Lokalen Agenda-


Entwicklung etc.) unterstützt sowie die Professionalisierung der NGOs und ihrer Partner<br />

auf lokaler Ebene durch Fortbildungen und individuelle Beratungen zu steigern versucht.<br />

Das Förderprogramm Belarus hat hierdurch spürbar zu einem ergebnisorientierten<br />

Erfahrungsaustausch und einer nachhaltigen Vernetzung beigetragen. Zudem gibt es zahlreiche<br />

Beispiele einer erfolgreichen Kooperation <strong>von</strong> NGOs und lokalen Behörden sowie der Bildung<br />

neuer institutioneller Kooperationsformen, wie beispielsweise die Bildung <strong>von</strong> gesellschaftlichen<br />

Räten zur Unterstützung der Entwicklung des Agro- und Ökotourismus bei lokalen Behörden.<br />

Innerhalb der deutsch-ukrainischen Kooperation scheinen die instititionellen Formen durch<br />

Städte- und Schulpartnerschaften besonders stark entwickelt zu sein. Hingegen fehlt es an der<br />

Selbstdarstellung und Wahrnehmung als eine gemeinsame innovative Kraft, welche Pilotprojekte<br />

für bestimmte Bereiche entwickelt. Zudem sind die Partnerschaftsinitiativen offensichtlich nicht<br />

in ausreichendem Maße in die vorhandenen Dialogformen, wie die Kiewer Gespräche,<br />

einbezogen. Die bisherigen vier <strong>von</strong> der Friedrich-Ebert-Stiftung organisierten<br />

Partnerschaftstagung haben zwar wichtige Impulse gegeben. Für eine nachhaltige Vernetzung<br />

sind jedoch weitere Anstrengungen erforderlich. Hier könnte die Idee des<br />

Partnerschaftsprogramms Ukraine ansetzen, dessen Entwurf in Kurz- oder Langfassung an<br />

die Konferenzteilnehmer verteilt wurde. Die Autoren des Entwurfs sind dabei aufgrund ihrer<br />

bisherigen Gespräche da<strong>von</strong> ausgegangen, dass die Förderschwerpunkte des Förderprogramms<br />

Belarus auch für die deutsch-ukrainischen Initiativen relevant sind und dass das<br />

Partnerschaftsprogramm Ukraine ebenfalls ein Begleitprogramm umfassen sollte, welches auf<br />

die Professionalisierung der schwachen NGOs und die Verbesserung interregionaler<br />

Kooperationsformen zielen sollte. Der vorliegende Entwurf ist jedoch vorerst lediglich eine rohe<br />

Skizze, welche wir im Laufe der Tagung gemeinsam diskutieren wollen. Seine konkrete<br />

Ausgestaltung und Weiterentwicklung soll wie auch im Falle des Förderprogramms Belarus <strong>von</strong><br />

unten durch alle Beteiligten erfolgen.<br />

Am Ende der Tagung möchten wir eine gemeinsame Erklärung verabschieden, welche ihnen im<br />

Entwurf bereits vorliegt und in denen wir uns gemeinsam einsetzen wollen<br />

Ä für die Verabschiedung eines Partnerschaftsprogramms Ukraine,<br />

Ä für die Einladung der Partnerschaftsinitiativen zum Tag der Ukraine im deutschen<br />

Bundestag in 2008,<br />

Ä für die Fortsetzung des Förderprogramms Belarus über 2008 hinaus<br />

Ä sowie für die Erleichterung der Visaregeln und die Verbesserung der<br />

Rahmenbedingungen für unsere Kooperation insgesamt.<br />

Unser Kooperationsdreieck wäre jedoch nicht vollständig ohne die Einbeziehung der<br />

belarussisch-ukrainischen Kooperation. Diese sieht sich leider dem Problem ausgesetzt, dass<br />

sie häufig vor allem unter politischen Gesichtspunkten betrachtet wird – sei es mit dem Ziel oder<br />

dem Verdacht, die orangene Revolution nach Belarus zu exportieren. In der Tat haben sich in<br />

den letzten zwei Jahren mehrere in Belarus verbotene oder liquidierte Organisationen in der<br />

Ukraine neu registriert bzw. belarussische NGOs führen häufiger ihre Veranstaltungen in der<br />

Ukraine durch, da sie in Belarus keine Räumlichkeiten finden können. Dies führt auch zu einem<br />

wachsenden Kooperationsinteresse. Allerdings ergibt sich daraus auch das Risiko, dass sich<br />

keine gleichberechtigte Partnerschaft entwickelt und die ukrainischen Akteure in der Rolle des<br />

Lehrers auftreten – ein Problem, dem auch deutsche Initiativen zum Teil ausgesetzt sind. Zudem<br />

droht die auf thematische Sektoren konzentrierte Kooperation, die beispielsweise im Bereich des<br />

Agrotourismus sich entwickelt, ausgeblendet und durch die politischen Aktivitäten anderer<br />

Gruppierungen beeinträchtigt zu werden.<br />

Insgesamt gibt es bisher jedoch nur eine punktuelle zivilgesellschaftliche Kooperation zwischen<br />

Belarus und der Ukraine. Übergreifende Förderprogramm, wie sie noch Ende der 1990er Jahre


finanziert wurden, sind nicht mehr existent. Vereinzelte Maßnahmen, wie beispielsweise der<br />

Friedrich-Ebert-Stiftung, konzentrieren sich vor allem auf Studienreisen, fördern aber keine<br />

Projekte. Durch die EU-Nachbarschaftsprogramme könnten sich mittelfristig neue Impulse<br />

ergeben. Bisher streben diese Programme jedoch die grenzüberschreitende zivilgesellschaftliche<br />

Kooperation zwischen den beiden Ländern nicht als eine ihrer Prioritäten an.<br />

Noch weniger Erfahrungen scheint es im Bereich der trilateralen Kooperation zu geben.<br />

Etliche Inititiativen in den drei Ländern verfügen allerdings über Partner in den jeweils beiden<br />

anderen Ländern. Diese wären daher in besonderem Maße aufgerufen, ihre vorhandenen<br />

Partnerschaften zu vernetzen!<br />

Ich hoffe daher darauf, dass sich durch diese Tagung neue gemeinsame Projektideen entwickeln<br />

lassen. Ich wünsche mir, dass wir durch diese Tagung zeigen, dass die zivilgesellschaftlichen<br />

Partnerschaften eine konstruktive Kraft der Veränderung in ihren Ländern und in Europa sind.<br />

Und ich bin da<strong>von</strong> überzeugt, dass wir einen zentralen Beitrag leisten zur Herausbildung einer<br />

europäischen Zivilgesellschaft, ohne die Europa als politisches Projekt keine Zukunft hat. In<br />

diesem Europa werden Belarus und die Ukraine aktive Mitglieder und keine Zaungäste sein.

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