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Presseunterlage Forschungsprojekt "Sozialbetrug"

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Pressekonferenz<br />

Sozialbetrugsbekämpfung<br />

26. Juni 2012<br />

Bundesminister Rudolf Hundstorfer


Pressekonferenz <strong>Forschungsprojekt</strong> Sozialbetrug<br />

1. Ausgangslage und Forschungsauftrag<br />

» Durch Sozialbetrug – besonders durch Scheinfirmen in der Baubranche –<br />

entstehen der Republik, der Sozialversicherung und dem Insolvenz-Entgelt-<br />

Fonds jährlich enorme Schäden.<br />

» In den letzten Jahren wurden eine Reihe von gesetzlichen Initiativen zur<br />

Bekämpfung von Sozialbetrug gesetzt: die Arbeitnehmer müssen bei der Sozial-<br />

versicherung vor dem 1. Arbeitstag angemeldet werden, Auftraggeberhaftung<br />

bei Sozialversicherung und Lohnsteuer sowie das Lohn- und Sozialdumpingbe-<br />

kämpfungsgesetz. Trotz dieser Initiativen konnte der Sozialbetrug nicht aus-<br />

reichend eingedämmt werden.<br />

» Daher wurden in einem <strong>Forschungsprojekt</strong> des BMASK und der Universität<br />

Wien Vorschläge zur Effektivitätssteigerung bei der Bekämpfung des Sozial-<br />

betrugs (Vermeidung von Abgabenhinterziehung) erstellt (Beginn März 2010).<br />

Forschungsteam der Universität Wien:<br />

� Univ. Prof. Dr. Susanne Reindl-Krauskopf<br />

� Univ. Prof. Dr. Sabine Kirchmayr-Schliesselberger<br />

� Ao. Univ. Prof. Mag. Dr. Michaela Windisch-Graetz<br />

� Mag. Martin Meissnitzer<br />

» Zusätzlich Steuerungsgruppe zur fachlichen Begleitung des Projektes mit<br />

Ministerien (neben BMASK, BMF, BMG, BMI, BMJ), Sozialversicherung und<br />

Sozialpartner.<br />

» Der Forschungsauftrag wurde durch Verknüpfung traditioneller juristischer<br />

Text- und Judikaturanalysen mit Methoden der qualitativen Sozialforschung<br />

erfüllt.<br />

1


» Die getroffenen Vorschläge beruhen zu einem beträchtlichen Teil auf „Feld-<br />

forschung“ durch die Autoren direkt bei den Behörden (Beobachtung von<br />

Arbeitsabläufen, Beratungsterminen, verwaltungsbehördlichen Kontrollen, Akten-<br />

wegen, strafprozessualen Vernehmungen usw). Die gewonnen Erfahrungen<br />

stammen damit „direkt aus der Praxis und aus erster Hand“.<br />

» Geplant ist eine Fortsetzung des Projektes mit der Universität Wien;<br />

Dabei sollen einerseits die Umsetzungsarbeiten der Ministerien wissen-<br />

schaftlich begleitet werden; andererseits soll eine Analyse der gesamtwirt-<br />

schaftlichen Auswirkung der Abgabenhinterziehung durch Sozialbetrug<br />

vorgenommen, insbesondere die Höhe der verursachten Schäden abge-<br />

schätzt werden. Derzeit wird auf Basis früherer grober Schätzungen aus 2004<br />

in Zusammenhang mit dem damaligen Sozialbetrugsgesetz von jährlichen<br />

Schäden in der Höhe von 800 Mio. € bis 1 Mrd. € ausgegangen.<br />

2. Erscheinungsformen des Sozialbetrugs<br />

Begriff des Sozialbetrugs<br />

» Der Ausdruck „Sozialbetrug“ hat sich seit einiger Zeit als Überbegriff für ver-<br />

schiedene widerrechtliche Verhaltensweisen etabliert, durch die sozialstaatliche<br />

Institutionen wie Sozialversicherung oder Finanzbehörde direkt oder mit-<br />

telbar geschädigt werden.<br />

» In ihrer Gesamtheit stellen sie eine ernstzunehmende Gefahr insbesondere<br />

für die Finanzierung der Sozialversicherung im Rahmen des österreichischen<br />

Umlageverfahrens dar.<br />

» Üblicherweise konzentriert sich die Debatte auf die Begriffe des Sozial-<br />

betrugs, der Schwarzarbeit bzw. illegalen Erwerbstätigkeit, die in ihrer<br />

Begrifflichkeit allerdings höchst unbestimmt sind.<br />

Erscheinungsformen des Sozialbetruges<br />

Die während des <strong>Forschungsprojekt</strong>s festgestellten Erscheinungsformen des<br />

Sozialbetrugs lassen sich in folgende Kategorien gliedern:<br />

2


» Sozialbetrug mittels Scheinfirmen: vermögenslose Firma (reiner Firmen-<br />

mantel, Briefkastenfirma), die nur der Anmeldung von Arbeitnehmern bei der<br />

Sozialversicherung oder der Scheinverrechnung dient; kein eigenes Geschäfts-<br />

lokal, sondern residiert z.B. in verwaisten Kellerabteilen oder Lagerräumen in<br />

Innenhöfen; die Anmeldung der Firma erfolgt z.B. durch Strohmänner mit meist<br />

falschen Identitäten<br />

» Manipulationen der Lohnbuchhaltung<br />

» Doppelte Lohnverrechnung zur Verschleierung der tatsächlich bezahlten Löhne<br />

– externe Buchhaltung entsprechend den gesetzlichen Regelungen, interne Buch-<br />

haltung, die die tatsächlichen Verhältnisse wiedergibt.<br />

» Scheingeringfügigkeit: Anmeldung des Arbeitnehmers bei der Sozialver-<br />

sicherung als geringfügig Beschäftigten, in Wahrheit liegt aber eine Vollbe-<br />

schäftigung vor.<br />

» Lohnsplitting: buchhalterische Aufteilung des Lohnes eines Vollbeschäftigten<br />

auf mehrere Personen, damit das Entgelt etwa unter der ASVG- Geringfügikeits-<br />

grenze liegt und weniger Sozialabgaben anfallen.<br />

» Scheinselbständigkeit: Paradebeispiel: „der polnische Gipskartonspachtler“,<br />

eine Tätigkeit wird nicht im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses, sondern als<br />

Selbständiger und damit billiger erbracht.<br />

» Scheinentsendung: Briefkastenfirma im Ausland entsendet zum Schein<br />

Arbeitnehmer, die in Wahrheit im Inland rekrutiert werden, um v.a. Entgelt-<br />

regelungen in Kollektivverträgen und Sozialversicherungsregelungen zu umgehen.<br />

» eigentliche Schwarzarbeit: keine Anmeldung zur Sozialversicherung, keine<br />

Entrichtung von Lohnabgaben<br />

Die geschilderten Szenarien betreffen vielfach das Bau- und Baunebengewerbe,<br />

das auch Adressat der überwiegenden Mehrheit der gesetzgeberischen Initiativen<br />

zur Sozialbetrugs- und Schwarzarbeitsbekämpfung war.<br />

Die Feldforschungen haben allerdings gezeigt, dass die beschriebenen Umgehungs-<br />

szenarien mittlerweile branchenübergreifende Bedeutung erlangt haben und<br />

keineswegs bloß auf den Baubereich beschränkt sind.<br />

3


3. Sozialbetrug durch Scheinfirmen<br />

» Für das BMASK als Auftraggeber ist der organisierte Sozialbetrug mittels<br />

Scheinfirmen als weit verbreitete Form und dementsprechend hohen Schäden<br />

eine besonders relevante Erscheinungsform. Daher konzentrierte sich das<br />

<strong>Forschungsprojekt</strong> überwiegend auf Aspekte im Umgang mit Scheinfirmen.<br />

» Von zentraler Bedeutung ist dabei die Früherkennung von Scheinfirmen,<br />

die aktuell zumeist im Rahmen von Kontrollen durch Finanzpolizei, Gebiets-<br />

krankenkassen und BUAK erfolgt.<br />

» Möglichkeiten automationsunterstützter Auswertung von Indikatoren, die<br />

die Aktivierung eines neuen Scheinfirmenmantels wahrscheinlich erscheinen<br />

lassen, werden allerdings – von einzelnen Pilotprojekten abgesehen – noch<br />

nicht hinreichend genutzt.<br />

» Zwischen allen beteiligten Behörden und der Sozialversicherung abge-<br />

stimmten Handlungskonzepten zur Bekämpfung des Sozialbetrugs mangelt<br />

es bis dato. Immer wieder gab es Einzelprojekte bzw. Einzelinitiativen, die z.T.<br />

auch durchaus erfolgreich waren, aber als bloße Insellösungen im Bereich<br />

einer Behörde oder gar einzelner Organisationseinheiten derselben Behörde<br />

nie in einen strategischen Handlungsrahmen eingebettet wurden.<br />

» Als Kernproblem erscheint dabei stets die Frage, wer als arbeits- oder SV-<br />

rechtlicher Dienstgeber der auf die Scheinfirma angemeldeten Personen<br />

anzusehen ist.<br />

» Eine vergleichbare Problematik lässt sich im Bereich der Behandlung von<br />

Scheinfirmen und der in ihrem Namen ausgestellten Rechnungen, im Bereich<br />

der Anwendung der Auftraggeberhaftungen, sowie hinsichtlich der Be-<br />

rücksichtigung von Dienstverhältnissen zu Scheinfirmen im Rahmen der<br />

Arbeitnehmer-Veranlagung zur Einkommensteuer konstatieren.<br />

» Darüber hinaus lässt sich auch Optimierungspotential im Bereich der be-<br />

hördenübergreifenden Kooperation feststellen, die bis dato nicht hinreichend<br />

institutionalisiert werden konnte.<br />

4


4. Einrichtung einer Arbeitsgruppe - Arbeitsprogramm dieser Arbeitsgruppe<br />

(Empfehlungen der Autoren)<br />

Einrichtung der Arbeitsgruppe zur Umsetzung der Vorschläge aus dem<br />

<strong>Forschungsprojekt</strong>:<br />

» Arbeitsgruppe aus BMI, BMF, BMJ, BMG und BMASK, Sozialversicherung<br />

und Sozialpartner, die die Vorschläge prüfen und Umsetzungsmaßnahmen<br />

erarbeiten soll;<br />

» Wesentlich für die Qualität und Nachhaltigkeit der Umsetzungs-<br />

ergebnisse ist eine gemeinsame und abgestimmte Vorgehensweise der<br />

Ministerien in der Arbeitsgruppe.<br />

» Nächster Schritt ist Konstituierung der Arbeitsgruppe mit dem Ziel, der Politik<br />

im Herbst Vorschläge entsprechend dem Arbeitsprogramm zu unterbreiten.<br />

Arbeitsprogramm - Vorschläge aus dem Bericht<br />

Die Baustellendatenbank zur Erleichterung der Kontrolltätigkeit ist bereits<br />

eingeführt worden – sie ist seit 1.4.2012 in Betrieb.<br />

Die Baustellendatenbank ist eine gemeinsame Webapplikation der BUAK mit der<br />

Arbeitsinspektion und dem Verkehrs-Arbeitsinspektorat.<br />

Durch die Einrichtung der Baustellendatenbank wird ein Überblick über neu beginnende<br />

Baustellen gewonnen (Meldung der Baustelle, arbeitsschutzrechtliche<br />

Vorschriften, Meldung von Asbestarbeiten usw.)<br />

Andere Behörden – GKK und Finanzpolizei – sind berechtigt, die Baustellendatenbank<br />

zu benutzen.<br />

Dadurch können gezielte und planmäßige Kontrollen sowohl durch das Arbeitsinspektorat<br />

und die BUAK als auch durch andere Behörden durchgeführt werden.<br />

Mit einer elektronischen Meldung ist gleichzeitig die Meldeverpflichtung gegenüber<br />

Arbeitsinspektion/Verkehrs-Arbeitsinspektorat und BUAK erfüllt.<br />

» Es wird geprüft, ob Erhebungsdienste auch bei anderen Krankenver-<br />

sicherungsträgern als der Wiener Gebietskrankenkasse eingeführt werden können.<br />

» Automationsunterstützte Softwarelösungen zur Früherkennung von<br />

Scheinfirmen sollen ausgearbeitet werden. Firmennamen, Firmensitz, Dienst-<br />

5


nehmer- Anzahl, Branche, Meldemoral, Beitragsrückstände u.ä. führen bei<br />

Scheinfirmen häufig zu ähnlichen Mustern. Aufgrund dieser Verdachtsfälle<br />

können dann rasch Überprüfungen angesetzt werden.<br />

Anmeldung von Dienstnehmern (BMASK, BMG)<br />

» Abschaffung von Dienstnehmeranmeldungen zur Sozialversicherung in<br />

Papierform, Anmeldung nur noch elektronisch (ELDA) und damit die weit-<br />

gehende Reduzierung des Missbrauchspotentials. Durch die elektronische<br />

Anmeldung können die Daten wesentlich schneller zwischen den Behörden ab-<br />

geglichen und Verdachtsmomente besser herausgearbeitet werden.<br />

Scheinfirmen und (lohn)abgabenrechtliche Prüfung (BMF)<br />

» Standardisierte und einheitliche elektronische Zurverfügungstellung der<br />

hinsichtlich der Scheinfirma bereits gesammelten Feststellungen und Beweise<br />

im Rahmen der Abgabenverwaltung.<br />

Behördenübergreifende Zusammenarbeit (alle beteiligten Ministerien)<br />

» Schaffung einer einheitlichen Verpflichtung zur Zusammenarbeit in allen<br />

Belangen illegaler Erwerbstätigkeit sowie Implementierung einer soliden daten-<br />

schutzrechtlichen Grundlage für den erforderlichen Informationsaustausch.<br />

Institutionelle Verankerung der Sozialbetrugsverfolgung (BMF, BMJ, BMI)<br />

» Einrichtung von Kernkompetenzen für Sozialbetrug bei den Staatsan-<br />

waltschaften zur Gewährleistung einer engen Kooperation und Anleitung mit<br />

der Kriminalpolizei und Steuerfahndung.<br />

» Beibehaltung der behördenübergreifenden Kooperation – insbesondere<br />

zwischen Polizei und Finanz – Sicherung des know how‘s der Task Force<br />

Merlin.<br />

Die Task Force Merlin wurde im April 2010 gegründet und ist eine spezialisierte<br />

6


Einheit zur Bekämpfung von Sozialbetrug. Sie setzt sich aus Kriminalisten des<br />

LKA (Landeskriminalamt) Wien, Steiermark und Niederösterreich sowie aus Mit-<br />

arbeitern der Steuerfahndung und Mitarbeitern der KIAB (jetzt Finanzpolizei)<br />

zusammen. Zusätzlich stehen Erheber aus der Baugruppe der WGKK im Be-<br />

darfsfall zur Verfügung.<br />

» Grundlegende Positionierung der Rolle der Finanz- und Polizeibehörden<br />

im Bereich des Sozialbetrugs: Abgesehen von der Einbindung in die Task Force<br />

Merlin oder in ähnliche Kooperationen ist weiter zu überlegen, inwiefern die Polizei<br />

Aufgaben der Sozialbetrugsverfolgung übernehmen sollte. Eine endgültige Über-<br />

tragung der Verfolgungstätigkeit auf die Organe der Finanzverwaltung sollte jeden-<br />

falls erst dann erfolgen, wenn die umfassende Handlungsfähigkeit der Steuer-<br />

fahndung auch österreichweit gewährleistet ist.<br />

Kriminalstrafrecht (BMJ, BMF)<br />

» Überarbeitung und Verbesserung der spezifischen Sozialbetrugsdelikte,<br />

da diese in der Praxis bisher nicht den gewünschten Effekt erzielt haben<br />

(zu prüfen ist insbesondere eine Abkehr vom Dienstgeberbegriff zur Definition<br />

des Täterkreises, der Abkehr von der Differenzierung zwischen tatsächlich Be-<br />

schäftigten und zum Schein gemeldeten Personen und von Überlegungen hin-<br />

sichtlich einer Harmonisierung des Beitragsstrafrechts mit dem Finanzstrafge-<br />

setz, damit die Regelungen gegen Sozialbetrug effektiver als bisher durchgesetzt<br />

werden können, sprich Täter auch verurteilt werden können).<br />

7

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