aia 1 pdf - Slavko Kacunko
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the complete<br />
artintact<br />
komplett<br />
Textarchiv<br />
Vol.1–5 1994–1999
artintact1<br />
CD-ROMagazin<br />
interaktiver Kunst<br />
ZKM/Zentrum<br />
für Kunst<br />
und Medientechnologie<br />
Karlsruhe<br />
Artists’ interactive<br />
CD-ROMagazine<br />
ZKM/Center<br />
for Art and Media<br />
Karlsruhe<br />
Hatje Cantz [1994/2002]
artintact 1<br />
Inhalt<br />
7<br />
Editorial<br />
9<br />
Ars ex machina<br />
Dieter Daniels<br />
Bill Seaman: The Exquisite<br />
Mechanism of Shivers<br />
19<br />
Bill Seaman: Ex.Mech<br />
Dieter Daniels
Jean-Louis Boissier:<br />
Flora petrinsularis<br />
31<br />
Zwei Arten Bücher<br />
zu machen<br />
Jean-Louis Boissier<br />
Eric Lanz:<br />
Manuskript<br />
45<br />
L/Lanz<br />
Anne-Marie Duguet<br />
55<br />
Biografische Notizen:<br />
Künstler<br />
62<br />
Biografische Notizen:<br />
Autoren<br />
64<br />
Impressum<br />
artintact 1
Als Stiftung des öffentlichen Rechts 1989<br />
gegründet, ist das ZKM/Zentrum für Kunst<br />
und Medientechnologie Karlsruhe eine<br />
bedeutende institutionelle Initiative zur<br />
Förderung der Produktion und Präsentation<br />
von Medienkunst im Bild- und Musikbereich.<br />
Innerhalb des ZKM konzentriert<br />
sich das Institut für Bildmedien auf Forschung<br />
und Entwicklung in den Bereichen<br />
Computergrafik, Multimedia, Telekommunikation,<br />
Interaktivität, Simulation und<br />
Virtual Reality. Professionelle Künstler aus<br />
der ganzen Welt werden eingeladen, die<br />
hier zur Verfügung gestellten intellektuellen<br />
und technischen Ressourcen zu nutzen.<br />
Viele der am ZKM arbeitenden Künstler<br />
entwickeln interaktive Installationen, die<br />
nur ein relativ kleines Publikum durch<br />
Ausstellungen in Museen, bei Festivals oder<br />
Konferenzen erreichen können. Das Aufkommen<br />
der CD-ROM-Technologie bietet<br />
erstmals ein potentielles Massenmedium für<br />
die Publikation interaktiver Kunstwerke.<br />
Das ZKM hat ein Multimedia-Laboratorium<br />
mit Ausstattung für die Produktion<br />
von CD-ROM aufgebaut. Durch enge Zusammenarbeit<br />
mit dem Cantz Verlag<br />
konnte das CD-ROM-Magazin artintact eingeführt<br />
werden. Es ermöglicht den Gastkünstlern<br />
des ZKM, interaktive Arbeiten zu<br />
kreieren und zu veröffentlichen.<br />
Zwar sind Umgebung und Kontext<br />
der CD-ROM durch den Monitor auf dem<br />
Schreibtisch und die Maus als standardisiertes<br />
Interface festgelegt, dennoch hat die<br />
Editorial<br />
Möglichkeit zur Verbreitung als Massenprodukt<br />
viele Künstler gereizt, eine andere<br />
Version ihrer ursprünglichen Installation<br />
für dieses kompaktere Medium zu entwickeln.<br />
Durch die Abstimmung auf das<br />
CD-ROM-Format sind Arbeiten entstanden,<br />
die wirkungsvolle neue und eigenständige<br />
Kunstwerke sind. Wir sind überzeugt, daß<br />
der Erfolg dieser ersten Versuche andere<br />
Künstler inspirieren wird, die CD-ROM als<br />
gegeigneten Kontext künstlerischen Ausdrucks<br />
zu nutzen. Ohne die Hypertext-<br />
Möglichkeiten der CD-ROM zu leugnen,<br />
haben wir uns entschieden, artintact mit<br />
dem traditionellen Printmedium Buch zu<br />
verbinden, in dem wissenschaftliche Essays<br />
und Abbildungen die interaktiven Kunstwerke,<br />
die auf der CD-ROM präsentiert<br />
werden, begleiten. Somit wird die cd zur<br />
›Galerie‹ und das Buch zum ›Katalog‹.<br />
CD-ROM ist eine der ersten von vielen<br />
neuen Formen des information-highway,<br />
der die Modalitäten von Präsentation,<br />
Publikation und Rezeption/Konsum von<br />
Medienkunst in der nahen Zukunft radikal<br />
erweitern wird. Diese medien-extensive<br />
und letztendlich telematische Verbreitung<br />
von Kunst schafft ein ›virtuelles Museum‹,<br />
das universell zugänglich ist und an den<br />
aktuellen kulturellen Diskursen teilnehmen<br />
läßt.<br />
Jeffrey Shaw<br />
Leiter des Instituts für Bildmedien<br />
am ZKM<br />
7<br />
artintact 1
Ars ex machina<br />
Von Dieter Daniels<br />
›Kann eine CD-ROM ein Kunstwerk sein?‹ Dies mag eine unsinnige Frage<br />
sein, doch sie wird sich zu Beginn eines Projektes wie artintact kaum vermeiden<br />
lassen.<br />
Wenn wir Zuflucht bei der Kunstgeschichte als zuständiger Disziplin<br />
suchen, stellen wir fest, daß es viele Wege und Perspektiven gibt, unter<br />
denen die Geschichte der Kunst durchquert und dargestellt werden kann.<br />
Eine dieser Möglichkeiten ist die Entwicklung der Techniken und Medien<br />
der Kunst. Neben der Ikonografie und der Stilgeschichte ist in letzter Zeit<br />
der Aspekt der Mediengeschichte immer deutlicher in den Vordergrund<br />
gerückt, vor allem hinsichtlich der Frage, inwieweit die Techniken und<br />
Medien die Inhalte der Kunst beeinflussen oder sogar bestimmen.<br />
Dieser Zusammenhang zeigt sich schon lange vor den elektronischen<br />
Medien. Zum Beispiel läßt sich die Entwicklung der druckgrafischen<br />
Techniken – vom Holzschnitt über Kupferstich und Radierung bis zu<br />
Siebdruck und Offset – in enge Beziehung zur sozialen und politischen<br />
Rolle der Künste stellen. Vor allem seit Beginn des 20. Jahrhunderts ist es<br />
ein wesentliches Charakteristikum der Avantgarde, daß Künstler auf die<br />
medialen Bedingungen von Kunst reagieren und sie gezielt verändern und<br />
erweitern. Von den Collagen und Montagen des Kubismus, Futurismus<br />
und Dadaismus bis zu den neuen Formen der 1960er Jahre (Environment,<br />
Installation, Multiple, Performance, Expanded Cinema, Videokunst)<br />
9<br />
artintact 1
10<br />
artintact 1<br />
zieht sich eine Entwicklungslinie, die immer wieder nach der Rolle der<br />
Kunst in einer durch Massenmedien bestimmten Gesellschaft fragt.<br />
Die Geschichte der Avantgarde läßt sich darstellen als eine permanente<br />
Selbstanalyse der Kunst in bezug auf die wissenschaftlichen, technischen<br />
und medialen Innovationen des 20. Jahrhunderts. Aus dieser Selbstanalyse<br />
resultieren unter anderem folgende Erkenntnisse: Das benutzte Medium<br />
bestimmt den kulturellen Kontext, in dem das Werk wahrgenommen<br />
wird. Und: Jedes neue Medium trägt in sich den Anspruch auf eine neue<br />
Definition der sozialen Rolle und ästhetischen Funktion von Kunst.<br />
Dies hat Walter Benjamin bereits in den 1930er Jahren schlüssig zusammengefaßt,<br />
wenn er schreibt, daß ›man vordem vielen vergeblichen<br />
Scharfsinn an die Entscheidung der Frage gewandt hatte, ob die Photographie<br />
eine Kunst sei – ohne sich die Vorfrage gestellt zu haben: ob nicht<br />
durch die Erfindung der Photographie der Gesamtcharakter der Kunst<br />
sich verändert habe...‹ 1<br />
Die unvermeidlich auftauchende Frage ›Kann eine CD-ROM ein Kunstwerk<br />
sein?‹ ist also weder durch technische Spezifikationen noch durch<br />
den Verweis auf prominente Künstlernamen zu erledigen. Sie richtet sich<br />
auf die Grenzen unserer Terminologie, die durch dieses neue Medium<br />
einer Überprüfung unterzogen werden muß. Wie nennen wir den Menschen,<br />
der eine CD-ROM verwendet: Betrachter, Leser, Benutzer, user?<br />
Und wie den, der eine CD-ROM macht: Künstler, Autor, Regisseur, Designer,<br />
Produzent?<br />
Wir versuchen also, unsere gewohnten kulturellen Paradigmen der<br />
1. Walter Benjamin: ›Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit.‹<br />
– Illuminationen, Frankfurt a. M., 1977, S. 149.
Gattungen Literatur, Film und Kunst in irgendeiner Form auf das neue<br />
Medium zu übertragen, ohne ihm damit gerecht werden zu können. Dies<br />
ist jedoch nicht nur ein Streit um Worte. Es zeigt sich, daß die Gattungen<br />
und Kategorien so stark die ästhetische Wahrnehmung prägen, daß es<br />
schwierig ist, zu einer interdisziplinären Ästhetik zu gelangen, wie sie<br />
multimediale Kunstformen fordern. Die ästhetische Theoriebildung ist<br />
dabei weit hinter der künstlerischen Praxis zurück, denn viele wesentliche<br />
Impulse der Avantgarde dieses Jahrhunderts sind gerade aus einer Interferenz<br />
der Gattungen entstanden. So kam es durch die Begegnung von Impulsen<br />
aus Literatur und Kunst zu einem neuen Verhältnis von Bild und<br />
Schrift in den Werken Mallarmés, den Wortcollagen der Kubisten, den<br />
Kalligrammen Apollinaires, den Parole in Libertà der Futuristen und der<br />
neuen Typografie des Dadaismus, um nur einige Beispiele zu nennen.<br />
Da alle Beiträge der vorliegenden CD-ROM-Edition aus Installationen<br />
hervorgegangen sind, die als räumliche Situationen im Umfeld der bildenden<br />
Kunst stehen, können wir sie in diesem Kontext diskutieren. Für<br />
den Käufer, der die Datenstruktur, die vorher als Installation im Museum<br />
gezeigt wurde, nun als Edition auf einer silbernen Scheibe im Buchladen<br />
oder Softwareshop erworben hat und sie zu Hause in seinem Bücherregal<br />
oder neben seinen Game-CDs aufbewahrt, ergeben sich jedoch vermutlich<br />
mehr Verbindungen zum Buch oder zu Videospielen als zum Museum.<br />
Und wenn sich in Zukunft das Medium CD-ROM auch nur als Übergang<br />
erweist und wir ähnliche Datenstrukturen on-line durch das Netzwerk erhalten<br />
und deshalb auf solch nette Begleitpublikationen wie das Buch, das<br />
Sie in Händen halten, verzichten müssen – welchem Kontext ordnen wir<br />
das Ganze dann zu?<br />
Der Erfolg der elektronischen Medien beruht auf der Ubiquität ihrer<br />
Inhalte. Dies bedingt eine immanente Tendenz zur Auflösung jeglicher<br />
11<br />
artintact 1
12<br />
artintact 1<br />
kulturell bestimmten Kontexte. Die Verwendung elektronischer Medien<br />
durch Künstler nutzt diese Tendenz zur Auflösung des Kontextes, um<br />
dem als einengend oder wirkungslos empfundenen institutionellen Rahmen<br />
von bildender Kunst zu entkommen. Zugleich leidet die Medienkunst<br />
aber an der Ubiquität der Medien und versucht, sich an skulpturale<br />
und raumbezogene Präsentationen zu klammern, wie sie der problematische<br />
Begriff ›Videoskulptur‹ verkörpert, um nicht ihren fragilen Diskurs-<br />
Hintergrund im kleinen, elitären Bereich der zeitgenösssischen Kunst zu<br />
verlieren.<br />
Dieser Zwiespalt kennzeichnet schon lange vor den elektronischen<br />
Medien alle Versuche, mit neuen Techniken neue Multiplikationsformen<br />
und Distributionswege für Kunst zu finden. Das Problem liegt immer<br />
wieder darin, dem Kult des Originals eine Absage zu erteilen, ohne dabei<br />
aus dem System der Kunst herauszufallen. In den 1960er Jahren gab es<br />
mehrere Ansätze in dieser Richtung, wie etwa die von Daniel Spoerri<br />
begründete Edition mat oder die von George Maciunas edierten Fluxus-<br />
Boxen. Die kinetischen Auflage-Objekte der Edition mat und die für<br />
wenige Dollar per Mailorder angebotenen spielerischen Fluxuseditionen<br />
enthalten bereits den Ansatz zum interaktiven Kunstwerk, das sich erst<br />
dem individuellen Benutzer erschließt und deshalb mehr für den Heimgebrauch<br />
als fürs Museum geschaffen ist. So kann man mittels Jean<br />
Tinguelys Constante indeterminée (Edition mat 1960) kleine alltägliche<br />
Objekte durch schnelle Rotation in virtuelle Volumina verwandeln. Oder<br />
man läßt durch die Kombination zweier Spieluhren in einer Flux-Musicbox<br />
von Joe Jones eine im Prinzip unbegrenzte Zahl neuer Kompositionen<br />
ablaufen. Die Idee des Kunstwerks als interaktives Erfahrungsstück<br />
ist hier bereits vor allen elektronischen Medien realisiert.<br />
Letztlich waren diese Ansätze jedoch wenig erfolgreich, da sie nicht
wirklich in die Alltagskultur vordrangen und schließlich doch der Musealisierung<br />
anheim fielen. Der Prototyp für all diese Versuche und zugleich<br />
für ihr Scheitern sind zweifellos Duchamps Rotoreliefs, ein Set von bedruckten<br />
Pappscheiben, die, auf dem heimischen Plattenteller in Rotation<br />
versetzt, jeweils bestimmte optische Effekte erzeugen. Duchamp hatte in<br />
den 1930er Jahren tatsächlich die Hoffnung, diese Scheiben als preiswertes<br />
Massenprodukt zu vermarkten, was jedoch schon beim allerersten Testlauf<br />
auf der Pariser Erfindermesse des Concours Lepiné 1935 zum völligen<br />
Mißerfolg geriet. Sowohl die Rotoreliefs als auch die Edition mat und die<br />
Fluxusboxen waren Versuche, ein neues Genre oder Medium zu lancieren,<br />
das nicht in die bestehenden Distributionsstrukturen von Kunst paßt<br />
– aber diese letztlich weder überwinden noch verändern konnte.<br />
Vor allem die Rotoreliefs haben überraschende Parallelen zur Idee von<br />
Kunst auf CD-ROM, versuchte Duchamp doch, mit diesen Scheiben eine<br />
neue ›Software‹ auf den Markt zu bringen, die den sonst nur akustisch<br />
funktionierenden Plattenspieler in ein audiovisuelles, d.h. ›multimediales‹<br />
Gerät verwandelt. Tatsächlich vollzieht sich heute die Verwandlung der<br />
vor zehn Jahren auf den Markt gebrachten Audio-cd in einen multimedialen<br />
Datenträger als CD-ROM. Damit hören die Parallelen aber schon auf,<br />
denn Duchamps wenig erfolgreiches Experiment ist natürlich völlig irrelevant<br />
für den CD-ROM-Boom. Es fällt schwer, beides überhaupt zu vergleichen,<br />
da es keinen gemeinsamen Hintergrund gibt. Dies zeigt die generelle<br />
Schwierigkeit, künstlerische Modelle und Visionen in Beziehung zur<br />
industriellen und technologischen Realität zu setzen – sogar wenn die<br />
künstlerische Vision der Technologie um Jahrzehnte vorausgeeilt ist.<br />
Die Idee, Kunst auf CD-ROM zu publizieren, trägt in sich die Geschichte<br />
dieser erprobten, erfüllten oder enttäuschten Versuche einer Grenzüber-<br />
13<br />
artintact 1
14<br />
artintact 1<br />
schreitung. Sie unterscheidet sich jedoch in einem wesentlichen Punkt von<br />
allen bisherigen Ansätzen: sie versucht ihr Ziel nicht über die Herstellung<br />
und Verbreitung einer neuen Form von Objekten zu erreichen, sondern<br />
ihre Produkte sind kompatibel zu einem Massenmedium, das derzeit<br />
einen großen Zuwachs in seiner Verbreitung erlebt. Kunst auf CD-ROM<br />
hat somit die Chance, an der Ubiquität der elektronischen Medien teilzuhaben.<br />
Daß die Wahrnehmung dieser Chance nicht nur eine Frage der verwendeten<br />
Technik, sondern auch der kulturellen Bedingungen ist, zeigt die<br />
Entwicklung der Videokunst. Als Künstler Mitte der 1960er Jahre begannen,<br />
mit Video zu arbeiten, trafen sie im Fernsehen bereits auf einen übermächtigen<br />
Gegner, der institutionell und kommerziell schon lange vor der<br />
Erfindung von Video etabliert wurde. Die anfangs technisch primitiven<br />
Produkte der Videokünstler hatten nie die Chance, wirklich in die Massenmedien<br />
vorzudringen. Als Anfang der 1980er mit der Verbreitung des<br />
Heimvideomarkts erstmals eine Alternative zum tv entstand, waren die<br />
wesentlichen Entwicklungen der Videokunst bereits in eine andere Richtung<br />
verlaufen.<br />
Die Anfänge von Kunst auf CD-ROM treffen insofern auf eine andere<br />
Situation, als der Markt für digitale Datenträger sich gerade erst entwickelt<br />
und seine offene Struktur genug Nischen für kulturelle Zwecke<br />
bietet – und zu mehr als einer Nische wird es Kunst auf dem CD-ROM-<br />
Markt gewiß nie bringen. Vor allem aber hat sich die gesamte Tendenz der<br />
Medienentwicklung verändert: an die Stelle der flächendeckenden, alles<br />
beherrschenden Massenmedien tritt durch die Vielfalt digitaler Techniken<br />
immer stärker eine Individualisierung einzelner Bereiche. Das Fernsehen<br />
wird sich in Zukunft zu einem interaktiven, breit gestreuten multimedialen<br />
Angebot verändern.
Einer der zentralen Punkte der zukünftigen Medienentwicklung liegt<br />
im Bereich der Gestaltung des Interface, also derjenigen Stelle, an der<br />
Mensch und Maschine in Dialog treten. Der Weg zu einem intuitiven Umgang<br />
mit solchen Benutzeroberflächen und die Entwicklung neuer, nichtlinearer<br />
Darstellungsformen von audiovisuellen Welten ist zugleich eine<br />
der wenigen Stellen, wo künstlerische Arbeit noch eine Rolle bei der Medienentwicklung<br />
spielen kann.<br />
Um nur ein Beispiel herauszugreifen: Alle drei Künstlerbeiträge auf<br />
artintact befassen sich mit der Relation von Text und Bild – und jeder<br />
liefert neue Vorschläge für eine Verbindung dieser beiden Elemente.<br />
Jean-Louis Boissier läßt uns in zwei Büchern Jean-Jacques Rousseaus<br />
blättern, die beide während Rousseaus Exil auf der Insel Saint-Pierre im<br />
Bieler See entstanden: die erotischen Erlebnisse seiner Confessions stehen<br />
den in sein Herbarium eingeklebten Pflanzen gegenüber, die intime Sprache<br />
begegnet der wortlosen Vegetation. Boissier verbindet diese beiden<br />
Bücher Rousseaus zu einem neuen, virtuellen Buch, dessen kurze Videosequenzen<br />
zum Teil an Originalschauplätzen der Insel Saint-Pierre gedreht<br />
wurden. Die Illustration überbrückt somit die Jahrhunderte zur<br />
Entstehung des Texts – so wie das virtuelle Buch darauf verweist, daß<br />
jedes gedruckte und gebundene Buch letztlich ein ›interaktives Medium‹<br />
ist, das sich dem Betrachter durchs Blättern erschließt.<br />
Eric Lanz formt aus Werkzeugen eine kryptische Zeichenschrift,<br />
deren einzelne Elemente sich erst im Gebrauch zu erkennen geben. Mit<br />
etwas Ironie kann man sich Wittgensteins Dictum, die Bedeutung der<br />
Sprache sei ihr Gebrauch, in Erinnerung rufen. So wie Wittgenstein sich<br />
vieler Beispiele aus dem Bereich einfacher Handlungen und Werkzeuge<br />
bedient, bleibt auch Lanz bei der Vorführung des Faktischen,<br />
ohne daraus eine allgemeine Theorie abzuleiten: Die scheinbar kryp-<br />
15<br />
artintact 1
16<br />
artintact 1<br />
tische Zeichensprache besteht letztlich nur aus Bildern und Beispielen.<br />
Bill Seaman schafft eine komplexe wechselseitige Steuerung von Worten<br />
und Bildern, die den Betrachter zum Komponisten neuer Bild/<br />
Wort/Ton-Folgen macht und die Idee des ›offenen Kunstwerks‹ bis zu<br />
einer Verschmelzung von Dichtung, Musik und Videografie bringt.<br />
Tatsächlich liefert die genannte Geschichte der Avantgarde mit der Interferenz<br />
von Literatur und Kunst von Mallarmé zu den Kubisten, Futuristen<br />
und Dadaisten, aber auch die neue Analyse dieser Fragen durch die<br />
Konkrete Poesie und die Konzeptkunst seit den 1960er Jahren einen entscheidenden<br />
historischen Hintergrund für diese künstlerischen Ansätze.<br />
Vor allem während der 1960er Jahre, auf der Suche nach neuen Distributionswegen<br />
für Kunst, spielte das Künstlerbuch und Buchobjekt eine wichtige<br />
Rolle. Künstler wie Maciunas oder Spoerri, die sich in einer editorischen<br />
Tätigkeit versuchten, haben bewußt einen Mittelweg zwischen dem<br />
Unikat der Kunst und der Publikation des Buches gesucht. Dies führte bis<br />
zu den Anfängen der Medienkunst unter dem Slogan ›Neue Medien für<br />
ein neues Publikum‹.<br />
Im digitalen Medium ist der Kult des Originals obsolet geworden<br />
durch die identische Reproduzierbarkeit des binären Codes. Auf dem<br />
Bildschirm und in der multimedialen Datenstruktur sind Schrift und Bild<br />
per se nicht mehr getrennt. Viele der von der Avantgarde diskutierten<br />
Punkte sind deshalb fast selbstverständlich geworden: Das Kunstwerk ist<br />
kein Unikat mehr, die ästhetische Relation von Sprache und Bild bedarf<br />
einer neuen Analyse und neue Wege der Distribution für multimediale<br />
Produkte müssen gesucht werden.<br />
Soll man vermuten, daß die Forderungen der Avantgarde der 1960er<br />
im digitalen Medium überflüssig geworden sind? Walter Benjamin hat
auch zu diesem Punkt bereits in den 1930er Jahren bemerkenswertes<br />
geschrieben:<br />
Es ist von jeher eine der wichtigsten Aufgaben der Kunst gewesen, eine Nachfrage zu erzeugen,<br />
für deren volle Befriedigung die Stunde noch nicht gekommen ist. Die Geschichte<br />
jeder Kunstform hat kritische Zeiten, in denen diese Form auf Effekte hindrängt, die sich<br />
zwanglos erst bei einem veränderten technischen Standard, d.h. in einer neuen Kunstform,<br />
ergeben können. 2<br />
Ich vermute, an dieser Stelle befinden wir uns mit dem Beginn von Kunst<br />
auf CD-ROM wieder einmal.<br />
2. Walter Benjamin, a.a.O., S. 162f.<br />
17<br />
artintact 1
Bill Seaman: Ex.Mech<br />
Von Dieter Daniels<br />
Zur Annäherung an ein Stück von solcher Komplexität wie The Exquisite<br />
Mechanism of Shivers, kurz Ex.Mech genannt, beginnt man am besten mit<br />
dem Ende. Die credits für das Stück lauten: ›Kamera, Musik, Text, Schnitt,<br />
Stimme, Programmierung, Konzept von Bill Seaman‹. Jede Kategorisierung<br />
von Ex.Mech in der Terminologie von Kunst, Film, Musik, Literatur<br />
oder Medientechnik kann deshalb immer nur einen Teilaspekt des<br />
Ganzen erfassen. Seamans Arbeit ist also das beste Beispiel für die Interferenz<br />
der Gattungen und Medien, die im multimedialen und zugleich interdisziplinären<br />
Kunstwerk zu einer neuen Kunstform führen, die kaum<br />
mehr mit den gewohnten Begriffen zu beschreiben ist.<br />
Seamans persönliche Arbeitsweise war es von Anfang an, alle Elemente<br />
seiner Werke selbst zu schaffen, anstatt sich der gerade in der Medienkunst<br />
üblichen Montage von Zitaten aus tv, Literatur und Musik zu bedienen.<br />
Er läßt sich aber auch nicht auf das im multimedialen Bereich<br />
immer häufigere Teamwork z.B. eines Komponisten, Videomachers und<br />
Programmierers ein, sondern ist einer der wenigen Künstler, der als echtes<br />
›multimediales Multitalent‹ alle Aspekte in einer one man band vereinigt.<br />
Der hierin begründete beachtliche Aufwand ist eine Erklärung dafür,<br />
warum Seamans Werkliste seit 1979 nur neun Videoarbeiten nennt.<br />
Während die früheren Stücke größtenteils Videotapes oder Installationen<br />
sind, ist Ex.Mech bisher das komplexeste Werk Seamans, insofern es<br />
Bill Seaman: The Exquisite Mechanism of Shivers, 1991/94, Screenshot.<br />
19<br />
artintact 1
20<br />
artintact 1<br />
in zahlreichen unterschiedlichen Versionen existiert. Die Grundlage all<br />
dieser Varianten ist ein Videotape von 28 Minuten, mit 33 kurzen Bildund<br />
Musiksequenzen, von denen jede auf einem Satz aus zehn Worten beruht.<br />
Dies führt zu einer Gesamtzahl von 330 Worten, die sozusagen das<br />
poetische Menue des gesamten Werks enthalten. Auf dieser Grundlage<br />
basieren insgesamt fünf verschiedene Varianten der Präsentation und Installation<br />
des Stücks: als lineares Videotape, als lineare Installation mit<br />
zehn Videoprojektionen, als interaktive Installation mit einem Steuerungs-Terminal<br />
und einer Videoprojektion, nur der Sound als Audio-cd<br />
und schließlich die vorliegende CD-ROM-Version. Ex.Mech ist also ein<br />
multimediales Kunstwerk im eigentlichen Sinn. Seine Software ist nicht<br />
mehr an eine bestimmte Hardware gebunden, sondern kann sich in verschiedenen<br />
Formen und Kontexten manifestieren.<br />
In der CD-ROM-Edition kommt vor allem der interaktive Aspekt von<br />
Ex.Mech zum Tragen. Der Prozeß der Interaktivität gibt dem Benutzer<br />
dabei die Möglichkeit, verschiedene Sätze aus den 330 Worten des poetischen<br />
Menues zu kombinieren, die dann jeweils die Abfolge der Videound<br />
Audiosequenzen steuern. Ex.Mech ist also kein völlig offenes System,<br />
aber auch keine Interaktion mit einem klaren Ziel, die ähnlich einem Videospiel<br />
zur Lösung einer bestimmten Aufgabe führen würde. Die Interaktivität<br />
von Ex.Mech führt vielmehr zu einer Begegnung zwischen<br />
Künstler und Benutzer auf halbem Wege: Der Benutzer spielt mit Elementen<br />
der Imagination des Künstlers und ist dazu aufgefordert, aus den<br />
gelieferten Bausteinen neue Kompositionen, d.h. neue Sätze und damit<br />
Bildfolgen und Musiksequenzen, zu montieren. Er kann aber auch dem<br />
Zufall die Auswahl mittels eines sentence players überlassen. Die Grundlage<br />
des Stücks ist also die Generierung von sinnvollen, unsinnigen, banalen<br />
oder poetischen Sätzen mit Hilfe eines Menues von 330 Worten. Diese
Sprachgebilde steuern dann die Bild- und Klangfolgen. Ex.Mech thematisiert<br />
die Überlagerung der drei Ebenen Sprache/Bild/Ton. Aber es geht<br />
nicht nur darum, diese drei Ebenen zusammen ablaufen zu lassen, wie<br />
letztlich jeder Spielfilm auch Text und Musik enthält, sondern es geht um<br />
eine Analyse ihrer wechselseitigen Beeinflussung in unserer Wahrnehmung<br />
und in unserer Bildung von Assoziationen.<br />
Seaman untersucht schon in seinen früheren Arbeiten mit geradezu methodischer<br />
Gründlichkeit verschiedene Beziehungen zwischen Sprechen,<br />
Sehen und Hören. Eine seiner ersten öffentlichen Aktionen Architectural<br />
hearing aids von 1980 zeigt dies in exemplarischer Form: Gemeinsam mit<br />
Carlos Hernandez wurden Besuchergruppen in einem kleinen Bus zu<br />
Ausblickspunkten in der San Francisco Bay gefahren, wo eine im Auto installierte<br />
Stereoanlage zu bestimmten architektonischen Situationen speziell<br />
komponierte Audiostücke abspielte. Die Aktion vollzieht eine Umkehrung<br />
des Verhältnisses von Film und Begleitmusik und transformiert<br />
die Realität im Blick aus dem Autofenster durch den passenden Sound<br />
zum imaginären Film. Bereits hier berührt Seaman die grundsätzliche<br />
Frage der Entstehung von Imagination durch die Verbindung von Sprache,<br />
Blick und Ton.<br />
Eine Fortsetzung findet dies 1985 durch die Installation des Videotapes<br />
S.He in einem Zug von New York nach Hartford, Connecticut. Das<br />
Video zeigt Bilder, die aus eben diesem fahrenden Zug aufgenommen<br />
wurden und die nun als Sound- und Videoinstallation mit vier Monitoren<br />
wiederum die reale Zugfahrt auf eine metaphorische und poetische Ebene<br />
heben.<br />
S.He ist ein ambivalentes Wort, zusammengezogen aus She und He.<br />
Diesem Subjekt zwischen Mann und Frau werden im Text des Videos die<br />
21<br />
artintact 1
22<br />
artintact 1<br />
unterschiedlichsten Qualitäten zugesprochen. Schon Marcel Duchamp<br />
verband die sprachliche Ambivalenz mit der geschlechtlichen Zweideutigkeit,<br />
indem er sein weibliches Alter ego ›Rrose Sélavy‹ als Autor seiner<br />
Sprachspiele auftreten läßt. Genau diesem Vorbild widmet Seaman sein<br />
erstes Video How to revive dead Rroses von 1979.<br />
In dem Video Telling Motions (1986) wird das musikalische Kompositionsprinzip,<br />
Motive zu wiederholen und zu variieren, auf die Bildmontage<br />
übertragen, so daß die gleichen Bilder in immer neuen Folgen<br />
erscheinen und dadurch zu wechselnden Assoziationen führen. Seamans<br />
erste interaktive Videodisk-Installation The Watch Detail (1990) bietet<br />
ein Repertoire von Bild-Ton-Folgen in verschiedenen Kategorien wie<br />
›Holz‹, ›Stein‹, ›Der Flughafen‹, ›Architektur‹ an, wobei jedoch manche<br />
Bilder in mehreren Kategorien Verwendung finden und somit die Möglichkeit<br />
einer klaren Zuordnung wieder in Frage gestellt wird. Die zweifache<br />
Lesbarkeit der Titel gilt auch für diese beiden Werke – motions sind<br />
ebenso Bewegungen wie Emotionen und The Watch Detail kann sowohl<br />
ein kleines Teil als auch eine Besonderheit eines Wächters oder einer Uhr<br />
assoziieren.<br />
In diesen Arbeiten kündigt sich bereits das Thema der grundsätzlichen<br />
Ambivalenz aller Bedeutungen von Worten und Bildern an, das in The<br />
Exquisite Mechanism of Shivers zum Prinzip der Interaktion mit dem<br />
Werk wird. Jedes Wort nimmt durch die Verbindung mit anderen Worten<br />
oder durch die Zuordnung zu einem Bild ständig wechselnde Bedeutungen<br />
an. Shivers kann ebenso ›Splitter‹ wie ›Zittern‹ bedeuten. Sowohl<br />
das Fragmentarische des ›Splitters‹ als auch die Oszillation des ›Zitterns‹<br />
löst passende Assoziationen aus, denn die Sinnzusammenhänge des<br />
Stücks setzen sich aus den 330 Fragmenten des Menues zu Sätzen von oszillierendem<br />
Sinn zusammen.
Worte und Bilder steuern sich gegenseitig: In der Installation liegt der<br />
Schwerpunkt auf der Steuerung über das Wortmenue, auf der CD-ROM<br />
ermöglicht ein neues Interface einen mehr visuellen und intuitiven Zugang<br />
über die Kombination von Bildern. Seaman spricht vom Betrachter als<br />
einem ›Navigator‹ durch das System von Ex.Mech: ›Content is generated<br />
through the viewers process of navigation‹. 1 Die ständig wechselnde Abfolge<br />
der Bilder, Töne und Worte befreit von der Illusion, eine bestimmte<br />
Botschaft transportieren zu können. ›The work becomes a kind of paradox<br />
generator. Words are to images as thoughts are to the receiver/navigator.‹<br />
2<br />
Wir sind es gewohnt, Worte in Bildern zu lesen, zum Beispiel bei tv-Sendungen<br />
oder Filmen mit Untertiteln. Doch Ex.Mech schafft keine 1:1 Relation<br />
von Text und Bild. Deshalb treten interessante Probleme auf, wenn<br />
Ex.Mech in eine andere Sprache übertragen werden soll. Eine einfache<br />
Übersetzung genügt nicht, sondern das ganze Konstrukt der 330 Worte<br />
muß sozusagen nachgedichtet werden, damit die technische ebenso wie<br />
die poetische Funktion erhalten bleibt.<br />
Tatsächlich hat es Bill Seaman auf sich genommen, für die japanische<br />
Version von Ex.Mech, die 1994 am InterCommunication Center (icc) in<br />
Tokio produziert wurde, mehrere Wochen mit einem japanischen Übersetzer<br />
an diesen 330 Worten und ihren möglichen Kombinationen zu arbeiten.<br />
Er hat außerdem die japanische Aussprache gelernt, um die Worte<br />
wie in der englischen Version selbst auf das Video zu sprechen. Und<br />
natürlich mußte auch die ganze Steuerung des Interface ins Japanische<br />
übersetzt werden. Man kann in der Installation von Ex.Mech nun zwi-<br />
1. Bill Seaman in: Ex. Mech, ICC Gallery, Tokio, 1994.<br />
2. Ebd.<br />
23<br />
artintact 1
24<br />
artintact 1<br />
schen der japanischen und der englischen Version hin- und herschalten.<br />
Diese Zweisprachigkeit fügt dem Werk eine neue Dimension hinzu, denn<br />
wir leben mit zunehmender Internationalisierung der Medien in einer<br />
Welt der Untertitel und werden im Multimedia-Bereich völlig neue Möglichkeiten<br />
der Mehrsprachigkeit erleben, d.h. Probleme, die bisher nur für<br />
kommerzielle Software-Entwicklung relevant waren, erhalten eine kulturelle<br />
Dimension.<br />
Die eigentliche Botschaft von Ex.Mech liegt in dieser Überlagerung von<br />
Technik und Inhalt: die poetische Konstruktion und die technische Funktion<br />
können nicht voneinander getrennt werden. Dies berührt grundsätzliche<br />
Fragen der Verbindung von Medien und Kunst, denn es wird<br />
heutzutage zunehmend klar, daß diese Verbindung nicht nur in der Verwendung<br />
von elektronischen Geräten für die Zwecke der Kunst besteht,<br />
sondern daß beide Bereiche ihre Grundlagen in Frage stellen müssen,<br />
wenn es zu einer fruchtbaren Interferenz kommen soll.<br />
Solche Fragen stellen sich jedoch nicht erst seit der elektronischen Ära –<br />
sie haben das Verhältnis von Kunst und Technik von Anfang an begleitet.<br />
Beispielsweise steht Ex.Mech in der Tradition der poetischen Automaten<br />
und der mechanisierten Sprache, einer Tradition, die weit zurückreicht<br />
und die weit entlegene Stellen der Geistesgeschichte miteinander verknüpft.<br />
3<br />
Schon Ende des 13. Jahrhunderts, zur Hochzeit der Scholastik, hat ein<br />
gewisser Raymundus Lullus eine Maschine zur Kombination von theolo-<br />
3. Ich folge hier der besten Darstellung dieser Geschichte der poetischen Automaten und<br />
der Bedeutung der Kombinatorik für den Surrealismus von Hans Holländer: ›Ars inveniendi<br />
et investigandi.‹ – Surrealismus, Hrsg. Peter Bürger, Darmstadt, 1982.
gischen Begriffen aus konzentrischen, drehbaren Scheiben entwickelt, die<br />
als die ›lullische Kunst‹ zum Beweis von theologischen Sätzen zu einiger<br />
Berühmtheit gekommen ist. Einige Jahrhunderte später erwähnt Jonathan<br />
Swift in Gullivers Reisen (1726) eine ähnliche Maschine, die ein Professor<br />
der ›großen Akademie von Lagado im Land Balnibarbi‹ entwickelt hat<br />
und deren Funktionsweise Gulliver folgendermaßen beschreibt:<br />
Sie maß zwanzig Fuß im Quadrat und stund mitten im Saal. Sichtbar waren nur zahlreiche<br />
kleine Holzwürfel, welche mit Fäden locker verbunden und auf allen Seiten mit aufgeleimtem<br />
Papier überzogen waren. Auf ihm stunden alle Wörter ihrer Sprache in verschiedenen<br />
Modis, Temporibus und Deklinationibus in scheinbar völliger Willkür aufgeschrieben. Der<br />
gelehrte Mann bat mich, acht zu geben, da er jetzt die Maschine laufen lasse. Um ihren Rand<br />
waren vierzig Hebel angebracht, wovon jeder Schüler auf seinen Geheiß einen ergriff. Dann<br />
drehten sie nach dem Kommando ihres Lehrers plötzlich um, so daß die Wörter eine ganz<br />
andere Stellung einnahmen. Nun befahl der Meister [...], langsam die verschiedenen Wörterreihen,<br />
wie sie auf der Maschine sichtbar geworden waren, abzulesen. Wo drei oder vier<br />
Wörter, welche einen Satz bilden konnten, zusammenkamen, diktierten sie dieselben den<br />
übrigen vier Schülern [...] in die Feder. [...] Der Professor zeigte mir viele dickleibige Folianten,<br />
welche bereits mit solchen Fragmentsentenzen angefüllt waren; in Kürze gedachte er sie<br />
in Ordnung zu bringen und aus diesem unerschöpflichen Vorrat der Welt ein vollkommenes<br />
System aller Künste und Wissenschaften zu liefern. 4<br />
Im 20. Jahrhundert sind solche kombinatorischen Techniken vor allem<br />
von der künstlerischen Avantgarde zu einer Auseinandersetzung mit einer<br />
immer weniger als Einheit darstellbaren Welt verwendet worden. Die<br />
Collagen und Montagen der Kubisten und Futuristen und die Simultanlesungen<br />
der Dadaisten sind das Vorspiel zu einer methodischen Fassung<br />
dieser künstlerischen Arbeitstechnik im Surrealismus. Entscheidende Impulse<br />
kommen dabei von einer Interferenz der Gattungen: Schriftstellerei,<br />
Malerei und Musik stehen nicht mehr wie zu Zeiten der Renaissance im<br />
4. Jonathan Swift, Lemuel Gullivers Reisen, Berlin, 1935, S. 271f.<br />
25<br />
artintact 1
26<br />
artintact 1<br />
Wettstreit des Paragone gegeneinander, sondern treten in eine wechselseitige<br />
Stimulation durch den Austausch von Modellen, Methoden und<br />
künstlerischen Verfahren.<br />
Ein gutes Beispiel hierfür ist der Cadavre exquis der Surrealisten, der<br />
als kombinatorische Methode von der Literatur auf die bildenden Künste<br />
übertragen wird und ein Paradigma der surrealistischen Suche nach einem<br />
kollektiven Unterbewußten liefert. André Breton gibt im Lexikon des<br />
Surrealismus folgende Definition:<br />
Cadavre exquis – Spiel mit gefaltetem Papier, in dem es darum geht, einen Satz oder eine<br />
Zeichnung durch mehrere Personen konstruieren zu lassen, ohne daß ein Mitspieler von der<br />
jeweils vorhergehenden Mitarbeit Kenntnis erlangen kann. Das klassisch gewordene Beispiel,<br />
das dem Spiel seinen Namen gegeben hat, stammt aus dem ersten auf diese Weise gewonnenen<br />
Satz: ›Le cadavre exquis boira le vin nouveau‹ (Der köstliche Leichnam trinkt den<br />
neuen Wein). 5<br />
Die Geschichte der Sinngenese durch kombinatorische Techniken wird<br />
von den Surrealisten bewußt bis zu Raymundus Lullus und Jonathan<br />
Swift zurückverfolgt – André Breton nennt im ersten Manifest des Surrealismus<br />
sowohl Lullus als auch Swift in der ›Ahnengalerie‹ der historischen<br />
Vorläufer der neuen Bewegung 6 . Der Kreis von der Scholastik über die<br />
Avantgarde des 20. Jahrhunderts bis zum digitalen Zeitalter schließt sich,<br />
indem sich Bill Seaman mit dem Titel seines Exquisite mechanism of shivers<br />
auf den exquisite corpse der Surrealisten und das verwandte Verfahren<br />
zur Herstellung von ambivalenten Sätzen bezieht.<br />
Von den mechanischen Apparaten bei Swift und Lullus über die psychischen<br />
Techniken des Surrealismus bis hin zu den digitalen Medien bei<br />
5. André Breton u.a., Dictionnaire abrégé du surréalisme, Paris, 1938.<br />
6. Siehe dazu ausführlich Hans Holländer, a.a.O.
Seaman werden Worte durch ein Verfahren kombiniert, das nicht der völligen<br />
Kontrolle unterliegt und neue Sinnzusammenhänge provoziert.<br />
Lullus nutzt seinen Apparat für die theologisch begründete Demonstration,<br />
daß jede Gewißheit durch eine andere ersetzt werden kann, um so<br />
den Irrglauben der Heiden zu widerlegen und sie zum Christentum zu<br />
führen. Swift nimmt diese Technik der Welterklärung ironisch aufs Korn,<br />
die Surrealisten machen sie wieder fruchtbar als Grundlage eines anti-aufklärerischen<br />
und nicht-rationalen Weltverständnisses, Seaman nimmt sie<br />
als Mittel zur Schaffung einer Ambivalenz aller Bedeutungen in einer multimedialen<br />
Weltsicht. Die genannte Interferenz der Gattungen in der<br />
Avantgarde ist bei Seaman von vorneherein durch die audiovisuelle Verbindung<br />
von Sprache, Bild und Musik integraler Teil des Werks.<br />
All diesen Visionen von der Scholastik bis heute ist trotz ihrer verschiedenen<br />
Absichten eines gemeinsam: Sie stellen die Frage, ob der Mensch<br />
der einzige ist, der Sinn schaffen kann, oder ob er sich dieses Privileg<br />
mit anderen Instanzen teilen muß, sei es mit Gott wie bei Lullus, mit einer<br />
Welt- erklärungsmaschine wie bei Swift oder mit dem Unterbewußten bei<br />
den Surrealisten. Seamans audiovisuelle Poesiemaschine stellt diese Frage<br />
erneut angesichts des digitalen Zeitalters und berührt damit einen der<br />
zentralen Punkte unserer derzeitigen Kultur, den Allan Turing 1950<br />
mit den Worten formulierte: ›Kann eine Maschine denken?‹. Schon bei<br />
Turing geht es dabei nicht nur um solch simple Aufgaben wie Rechnen<br />
oder Fragen beantworten. In dem nach ihm benannten ›Turing-Test‹<br />
werden zur Untersuchung der Unterschiede zwischen Mensch und<br />
Maschine auch Aufgaben aus dem Bereich der Poesie herangezogen,<br />
die in einem von Turing angegebenen Beispiel für einen möglichen<br />
Testverlauf des Mensch-Maschine-Dialogs allerdings nicht weit führen:<br />
27<br />
artintact 1
28<br />
artintact 1<br />
F: Schreiben Sie ein Gedicht über die Firth of Forth-Brücke.<br />
A: Ich passe; ich könnte nie ein Gedicht schreiben.<br />
F: Addieren Sie die beiden Zahlen 34957 und 70764.<br />
A: (nach einer Pause von 30 Sekunden) 105 621. 7<br />
Der Test fragt, ob der Antwortende A ein Mensch oder eine Maschine sei,<br />
und laut Turing vor allem, ob er männlich oder weiblich sei – letzteres<br />
wird in populären Darstellungen meistens übersehen. Auch bei Turing<br />
verbindet sich die Ambivalenz der Bedeutung von Sprache mit der geschlechtlichen<br />
Ambivalenz, wie schon zuvor bei Marcel Duchamp und erneut<br />
bei Bill Seaman. Der Computer hat laut Turing die Qualität einer<br />
universellen Maschine, in der Tendenz hebt er deshalb die Differenz zwischen<br />
Mensch und Maschine ebenso auf wie diejenige zwischen männlich<br />
und weiblich. Der Computer ist mit einem Begriff Duchamps eine ›Junggesellenmaschine‹<br />
ebenso wie mit Seamans Worten ein World Generator –<br />
so der Arbeitstitel für sein neuestes Projekt. Wir treten der digitalen Welt<br />
deshalb nicht als einem externen Phänomen gegenüber, sondern wir sind<br />
Teil von ihr, ohne es zu wollen oder zu wissen.<br />
Wir befinden uns in der Rolle des ›Navigators‹, wie Seaman seinen Betrachter<br />
nennt. Navigation stammt vom lateinischen navis, d.h. ›Schiff‹,<br />
und liefert Methoden, um auf dem Meer ohne feste Anhaltspunkte doch<br />
eine ungefähre Bestimmung des Standorts vornehmen zu können. Dieser<br />
Terminus des ›Navigierens‹ findet auch bei der Wegfindung durch das ins<br />
Uferlose wachsende und damit immer schwerer überschaubare elektronische<br />
Netzwerk des Internet Verwendung. Bill Seaman bestimmt die Rolle<br />
des Navigators in künstlichen Systemen wie Ex.Mech wie folgt:<br />
7. Allan Turing, ›Kann eine Maschine denken?‹ – Kursbuch Nr.8, März 1967, S. 108.
Die Definition des Wortes ›künstlich‹ steht in Frage, da wir ein zunehmend telematisches<br />
Leben führen, wo ›echte‹ Gefühle und Verhaltensweisen durch abstrakte Strukturen und<br />
Illusionen hervorgerufen werden. So wird die ›Navigation‹ durch das ›Set‹ illusionistischer<br />
Erfahrungen nichtsdestotrotz eine wirkliche Erfahrung. 8<br />
Die digitale Technik hat die Tendenz, ein komplettes Ebenbild, d.h. eine<br />
binäre backup-Kopie der Welt, zu schaffen. Durch das universelle Netzwerk<br />
des Internet in Verbindung mit der universellen Maschine des Computers<br />
wird die ironische Vision von Swift, ›der Welt ein vollkommenes<br />
System aller Künste und Wissenschaften zu liefern‹, in greifbare Nähe<br />
gerückt. Müssen wir uns deswegen Sorgen machen oder können wir uns<br />
weiter der Kunst widmen? Versuchen wir The Exquisite Mechanism of<br />
Shivers wie ein Orakel zum zukünftigen Verhältnis von Mensch und<br />
Maschine zu befragen, so erhalten wir eine Reihe interessanter Antworten,<br />
die jeder Benutzer der CD-ROM um weitere Beispiele bereichern<br />
möge:<br />
A mathematical machine merges with a self reflexive guidance system to transcend the<br />
shifting concept of an egocentric intuition.<br />
A sensual apparatus collides with a cybernetic network to be immersed in the subconscious<br />
memory of an electric mechanism.<br />
A spiritual illusion mixes with a flexible magnetism to amplify the ambiguous history of<br />
a technological identity.<br />
e.t.c.<br />
8. Bill Seaman, ›Anmerkungen und Beobachtungen zu künstlichen Spielen.‹ – Künstliche<br />
Spiele, Hrsg. Georg Hartwagner u.a., München, 1993, S. 329.<br />
29<br />
artintact 1
Zwei Arten Bücher zu machen<br />
Arbeitsnotizen zu Flora petrinsularis<br />
Von Jean-Louis Boissier<br />
Zuerst hatte ich die Intuition, daß das Werk Jean-Jacques Rousseaus geeignet<br />
sei, mich schöpferisch mit den interaktiven Beziehungen der neuen<br />
technologischen Medien auseinanderzusetzen. Und zwar, weil es sich<br />
grundsätzlich mit dem Verhältnis zur Welt beschäftigt. 1 Der Stand der<br />
Technik veranlaßt uns, nach einer Definition von Schrift für die Hypermedien<br />
zu suchen und über die Gestalt des interaktiven Bildschirms<br />
nachzudenken. Damit müßte sich auch das Büchermachen verändern.<br />
Und Rousseau, so habe ich festgestellt, hat ebenfalls zwei Arten des<br />
Büchermachens entwickelt.<br />
Sagen, Zeigen<br />
Das während einer Krise auf der Insel Saint-Pierre angelegte Herbarium<br />
Rousseaus wurde für ihn zum Anlaß, sich über ein neues Verfahren<br />
des Schreibens Gedanken zu machen. Im Alter von fünfzig Jahren wurde<br />
1. Diese Arbeit verdankt wesentliche Impulse der interessierten Teilnahme Raymond<br />
Bellours. Er hat mich eingeladen, darüber einen Vortrag zu halten – ›Le logiciel comme<br />
rêverie‹ im Rahmen des 1990 in Valence abgehaltenen Kolloquiums Cinéma et littérature.<br />
Le temps des machines. Im Kontext der Beschäftigung mit Interaktivität in Alain Resnais<br />
Film Smoking – No Smoking analysiert Raymond Bellour auch Flora petrinsularis in dem<br />
Aufsatz ›Avant, après‹ in Trafic Nr. 10, 1994.<br />
Jean-Lous Boissier: Flora petrinsularis, 1993/94. Screenshot.<br />
31<br />
artintact 1
32<br />
artintact 1<br />
Rousseau ins Exil getrieben. Zunächst fand er Zuflucht in Môtiers, in den<br />
Bergen des Fürstentums Neuchâtel, von wo er 1765 erneut fliehen mußte,<br />
diesmal auf die Insel Saint-Pierre im Bieler See. Verfolgt und an Verfolgungswahn<br />
leidend, sucht er im Schreiben die Ursache für sein Unglück.<br />
Auf der Insel angekommen findet er Gefallen an dem Gedanken, nicht<br />
mehr zu schreiben : ›Eine meiner größten Freuden war es, meine Bücher<br />
immer noch wohl eingepackt zu lassen und kein Schreibzeug zu haben.<br />
[...] Anstatt mit traurigem Papierkram und all diesen Scharteken füllte ich<br />
mein Zimmer mit Blumen...‹. Um die Tage auszufüllen, nahm er sich vor,<br />
›eine Flora petrinsularis anzufertigen und alle Pflanzen der Insel zu beschreiben,<br />
ohne eine einzige auszulassen, und das mit einer Genauigkeit,<br />
die hinreichend wäre, mich den Rest meines Lebens zu beschäftigen.‹ 2<br />
›Beschreiben‹ bedeutet hier pflücken, erkennen, sammeln: eine andere<br />
Art Buch anzulegen. So entstand das mich inspirierende Herbarium:<br />
Alle meine botanischen Spaziergänge, die verschiedenen Eindrücke der Orte, an welchen mir<br />
Pflanzen auffielen, die Gedanken, auf die mich diese Umgebung brachte, die Begebenheiten,<br />
welche dabei vorfielen, – all dies hat Eindrücke in mir hinterlassen, die sich beim Anblick der<br />
Pflanzen erneuern, welche ich an selbigen Orten gesammelt habe. Ich werde diese schönen<br />
Landschaften, diese Wälder, diese Seen, diese Gebüsche, diese Felsen, diese Berge niemals<br />
wiedersehen, deren Anblick allzeit mein Herz gerührt hat. Aber nun, da ich nicht mehr jene<br />
glücklichen Gefilde durchwandern kann, brauche ich nur meine Pflanzensammlung zu<br />
öffnen und sogleich bin ich dorthin versetzt. Die Bruchstücke der Pflanzen, welche ich dort<br />
gesammelt habe, genügen, um mir diesen ganzen herrlichen Anblick in Erinnerung zu bringen.<br />
Diese Pflanzensammlung ist für mich ein Tagebuch der botanischen Spaziergänge, mit<br />
seiner Hilfe kann ich sie von neuem beginnen und sie gewinnen wieder einen frischen Reiz,<br />
es ist, als ob ein Guckkasten sie erneut vor meinem Auge ausbreitet. 3<br />
2. Jean-Jacques Rousseau, Les rêveries du promeneur solitaire, ›Cinquième promenade‹,<br />
Œuvres complètes, Bd. 1, Paris, 1976, S. 1042, 1043.<br />
3. Les rêveries, ›Septième promenade‹, a.a.O., S. 1073.
Zur gleichen Zeit verstärken sich trotz Entfernung und Isolation die Vorwürfe<br />
gegen ihn. Rousseau beschließt, seine Memoiren zu schreiben – um<br />
sich zu rechtfertigen und um das ihn ständig begleitende Schuldgefühl<br />
zurückzudrängen. Nicht nur die Blumen, sondern auch andere Objekte/Bilder,<br />
andere Erinnerungszeichen werden ihm bewußt, ›kurze Augenblicke<br />
des Taumels und der Leidenschaft‹, ›vereinzelte Punkte auf der<br />
Linie des Lebens‹ 4 , eines schmerzhaften und unbeständigen Glücks.<br />
Auf diese Weise überkommt ihn ein neues und zwingendes Bedürfnis<br />
zu schreiben. Je länger und intensiver er sich damit beschäftigt, um so stärker<br />
wird ein Widerspruch deutlich, den wir beim Übergang vom ersten<br />
›objektiven‹, sozusagen fotografischen Erinnerungsprozeß zur zweiten<br />
Stufe der Bewußtwerdung, dem interaktiven Moment der Interpretation,<br />
erkennen:<br />
Es handelt sich im Folgenden um mein Portrait und nicht um ein Buch. Ich werde sozusagen<br />
in der dunklen Kammer arbeiten; und dafür muß ich nicht mehr können, als genau den<br />
Zügen zu folgen, welche ich erkenne. [...] Indem ich mich gleichermaßen der Erinnerung<br />
eines Eindrucks als auch des dadurch hervorgerufenen Gefühls hingebe, werde ich ein doppeltes<br />
Bild meiner Seele zeichnen und weiß dabei um den Moment der Erfahrung und den<br />
Moment der Beschreibung derselben. 5<br />
Deswegen gibt es in meinem ›Buch‹ zwei Teile: Les estampes (Die Drucke)<br />
und L’herbier (Das Herbarium). Ich bin in den Schweizer Jura gefahren,<br />
um dort meine Herbarienforschungen fortzusetzen und um den für die<br />
Entstehung des Textes der Confessions wichtigen kurzen Liebesszenen<br />
und den Momenten der Bedrohung nachzugehen. Der Versuch, das hypermediale<br />
Werk Flora petrinsularis zu schaffen, folgt der Versuchung, ein<br />
4. Les rêveries, ›Cinquième promenade‹, a.a.O., S. 1046.<br />
5. Jean-Jacques Rousseau, Ebauches des confessions, Œuvres complètes, Bd. 1, Paris, 1976,<br />
S. 1154.<br />
33<br />
artintact 1
34<br />
artintact 1<br />
Buch zu machen, das, wenn schon nicht ohne Schrift, so doch ohne die<br />
Sprache der Worte auskommt. Das zu Sehen, zu Erfahren gibt, ohne<br />
wahrhaftig etwas zu sagen zu haben.<br />
Buch<br />
Für Flora petrinsularis wollte ich das Modell des Buches erhalten. Ich<br />
hatte mit Vergnügen festgestellt, daß die Technik des Bucheinbandes in<br />
ihrer oft nicht mehr wahrgenommenen, weil heute selbstverständlichen<br />
Zweckmäßigkeit eine erste, wenn auch primitive Form von ›Interaktivität‹<br />
darstellt. Seit Bestehen des Codex in Antike und Mittelalter sind die Seiten<br />
in einer bestimmten Reihenfolge zusammengehalten. Man kann sie einzeln<br />
lesen, sie wiederfinden, sie auswählen, von einer zur anderen blättern.<br />
Die Beteiligung an den virtuellen, gemeinsam nutzbaren, ständig aktualisierten<br />
und offenen Informationsräumen im Netz wird sicher zunehmen.<br />
Man wird aber auch hinterfragen müssen, wo diese Informationen ihren<br />
Ursprung haben, wieviel reale Zeit es beansprucht, sie aufzunehmen und<br />
wie sehr sich dies auf Kosten der zur Reflexion notwendigen Zeit innerhalb<br />
eines beherrschbaren Kontextes auswirkt. Von einem sorgfältig für<br />
die Maschine vorbereiteten interaktiven Programm, das in das Metall<br />
einer CD-ROM (›read only memory‹) gepreßt wird, bleibt von der virtuellen<br />
Erfahrung im Cyberspace nur die dem unabhängigen Leser eigene<br />
Aktualisierung.<br />
Dieser persönliche Aktualisierungsprozeß ist für mich der wesentliche<br />
Grund, an der Entwicklung dieser neuen Arten des Büchermachens teilzunehmen.<br />
Die neuen Bücher werden sich sehr stark von den alten unterscheiden,<br />
schließlich aber vielleicht neben ihnen bestehen können. Es gilt<br />
nun, an der Verschiedenheit dieser beiden Buchformen zu arbeiten.
Flora petrinsularis war zunächst eine Installation6 und konnte im Alkoven<br />
eines Zimmers betrachtet werden. Der Vorgang des Blätterns durch den<br />
Besucher im Buch (einem einfachen, realen Ordner) wird von einer Kamera<br />
aufgenommen und auf dem Bildschirm eines Computers aus dem<br />
Blickwinkel des Betrachters wiedergegeben. Der Ordner liegt zwischen<br />
Betrachter und Maschine, in einem beiden zugehörigen Raum, der den<br />
Zugriff auf das ›Buch‹, sein Double und seine Ausdehnung im numerischen<br />
Gedächtnis, ermöglicht.<br />
In dieser Version also bedeutet die Verwendung eines klassischen Buches<br />
ein Manifest, oder einfacher gesagt, einen Übergangsmodus, einen in<br />
unserer Kultur gebräuchlichen Zugang zur Information. Die Typografie<br />
des Textes mit seinen Zitaten und der getrockneten Pflanzensammlung<br />
hat die Aufgabe, die einzigartige stoffliche Präsenz erfahrbar zu machen.<br />
Und der Akt des ›Umblätterns‹ kann in diesem Falle wörtlich genommen<br />
werden.<br />
Als Teil des automatischen Wiedererkennungsprozesses offenbart das<br />
Buch eine Eigenschaft, die im allgemeinen vernachlässigt wird: der intermediäre<br />
Zustand des ›Zwischen-den-Seiten-Stehens‹, bei dem die Seite<br />
weder geöffnet noch geschlossen ist. Dieser vom Computer als ›Fehler‹ interpretierte<br />
Zustand ergab einen dritten, sich aus der zentralen Dialektik<br />
der Flora petrinsularis entwickelnden: zwischen der direkten, zwar gelungenen<br />
aber eingeschränkten Beziehung der Welt der gepreßten Pflanzen<br />
und der imaginären Rekonstruktion von Erinnerungsszenen, die immer<br />
wieder unterbrochen werden, in der Schwebe sind und sich verschieben,<br />
zwischen diesen beiden Typen von Fetisch also, beiden von Rousseau<br />
6. Zuerst gezeigt im November 1993 zur Multimediale 3, Karlsruhe, dann in Saint-Gervais,<br />
Genf, im Mai 1994.<br />
35<br />
artintact 1
36<br />
artintact 1<br />
inspirierten Arten des Büchermachens, bleibt Raum für einen im einsamen<br />
Müßiggang gepflegten Hang zur Imagination, einer Träumerei<br />
ohne Inhalt, einer Rückkehr zu einem vorgeburtlichen Stadium – zu<br />
dessen Geräuschen –, zu einem willenlos auf dem Bieler See umhertreibenden<br />
Boot:<br />
Das Her- und Zurückfluten des Wassers, sein immerwährendes Geplätscher, das jedoch von<br />
Zeit zu Zeit anschwoll und unaufhörlich an mein Ohr drang und meinen Blick gefangenhielt,<br />
ersetzten die innere Bewegung, welche die Träumerei zum Schweigen brachte und dies war<br />
hinreichend, um mich mein Dasein mit Behagen empfinden zu lassen und um mich der Mühe<br />
des Denkens zu entheben. 7<br />
Der hier beschriebene Prozeß eines Nebeneinanders von Realität und Virtualität<br />
bestimmte die Logik des Programms; deswegen bleibt er in der<br />
CD-ROM-Version filigran erhalten.<br />
Dramaturgie<br />
Das von Rousseau nicht trennbare Gefühl der Schuld soll sich allmählich<br />
auf den Leser/Manipulator übertragen. Mit der gleichen Bewegung<br />
aber wird er von aller Schuld freigesprochen, schließlich sind es nur Bilder,<br />
und außerdem hat in jedem Fall die Maschine die Auswahl getroffen.<br />
Ich nehme hier eine in den Confessions von Rousseau oft beschriebene Situation<br />
aus seiner Kindheit und Jugend wieder auf: Er sieht sich von einem<br />
schuldhaften Verlangen, das ihn angesichts schamhafter Begierde befällt,<br />
freigesprochen, weil er sich einerseits über die Vorgänge im klaren ist, andererseits<br />
durch sein Verharren in der Rolle des Passiven und Einsamen<br />
seinen Partnern immer den ersten Schritt überlassen hat. 8<br />
7. Les rêveries, ›Cinquième promenade‹, a.a.O., S. 1044.<br />
8. Jean Starobinski, L’ Œil vivant, Paris, 1961, S. 107.
Flora petrinsularis ist nicht der Versuch, Rousseaus Utopie nachzuvollziehen.<br />
Es geht auch nicht darum, das Werk Rousseaus neu zu interpretieren<br />
oder zu illustrieren, auch wenn ein solches Unterfangen durchaus<br />
legitim und ausreichend wäre. Vielmehr ist sie mir Ausgangspunkt, innerhalb<br />
der dort angelegten interaktiven Formen nach Situationen, Wahrnehmungen,<br />
Gefühlen und Widersprüchen zu suchen, um sie in einen<br />
auch für uns relevanten und durchaus ironischen Kontext zu stellen.<br />
Genau dies wird durch die Interaktivität möglich, weil sie Präsentation<br />
und Simulation vereint und so die Ambiguität verlängert und sowohl<br />
einen fiktiven und distanzierten Nachvollzug der Rousseau’schen Situation<br />
erlaubt, als auch eine, zumindest provisorische, direkte persönliche<br />
Auseinandersetzung eines jeden Lesers annhand der Zeichen, Bilder und<br />
Gesten ermöglicht.<br />
Der Entwurf einer Dramaturgie für ein interaktives Kunstwerk entlehnt<br />
Elemente aus Literatur, Theater, Musik und Gartenbaukunst. Die<br />
Dramaturgie stellt außerdem die Aussagekraft von Wort und Bild gegeneinander.<br />
Und nicht zuletzt spielt sie mit den gegensätzlichen Prinzipien<br />
von Verlangen und Verbot, Lust und Frustration, Aktion und Passivität,<br />
Entfesselung und Innehalten, Abweichung und Wiederholung, Durchlässigkeit<br />
und Hindernis, Vernunft und Ungewißheit, mit all diesen Begriffen<br />
aus Rousseaus kritischem Vokabular.<br />
Fetisch<br />
Jede Szene wird durch ein Objekt mit Fetischcharakter eingeführt. Ein<br />
Band, eine Spitzenborte, ein Schlüssel, eine Kirsche. Anhand dieser Zeichen<br />
und Bilder ist die Loslösung vom Text, von seiner typografischen<br />
Materialität, seiner Stofflichkeit, am Schatten auf dem Papier erkennbar,<br />
möglich. Auch Rousseau ist so vorgegangen, jeder Voyeurismus bedient<br />
37<br />
artintact 1
38<br />
artintact 1<br />
sich bestimmter Bilder, die, jederzeit wiederabfragbar, zum Fetisch werden<br />
und somit nicht mehr nur Objektcharakter haben, sondern zum Auslöser<br />
für die Einbildungskraft werden können und uns ein intensiveres<br />
Erleben als in der Realität ermöglichen, abrufbar in Einsamkeit und Unschuld.<br />
Die Zeichen sollten gefühlt werden können, ohne sie lesen zu müssen.<br />
›So wie das Schreiben offenlegt, daß die Krise der Sprache von ihren »Bildern«<br />
lebt‹ 9 , so wird bei der Beschäftigung mit Bildern, ungeachtet ihrer<br />
wichtigen repräsentativen Funktion, klar, welch ›geradezu gefährliche Ergänzung,<br />
die die Natur verfälscht, sie bedeuten‹ 10 – Onanismus – und so<br />
wäre die künstlich perfektionistische Konstruktion einer Kommunikation<br />
denkbar, also Kunst, die die natürliche Kommunikation für immer<br />
ersetzt und uns von der Sprache der Worte befreit.<br />
Haptik<br />
Zwangsläufig muß der bestehende Zusammenhang zwischen Sehen<br />
und Berühren konsequent behandelt werden: er ist Voraussetzung für die<br />
mit großer Präzision ausgeführte Tätigkeit des Sammelns, bei der die<br />
Empfindung Sinn stiftet. Schon die Geste, mit der man auf etwas zeigt, ist<br />
besitzergreifend: dabei kann diese Bemächtigung schon einen Verlust an<br />
Realität bedeuten, eine Verschiebung, eine Anpassung, eine sofortige Einordnung<br />
in ein System der Zeichen und der ›Intellektion‹. Etwas ergreifen<br />
heißt, es zu begreifen.<br />
Das Herbarium, eine Sammlung tatsächlich ausgerupfter Pflanzen, die<br />
dazu bestimmt sind, auf ewig real zu bleiben, wird immer einen Aspekt<br />
9. Jacques Derrida, De la Grammatologie, Paris, 1967, S. 19.<br />
10. Jean-Jacques Rousseau, Les confessions, Œuvres complètes, Bd. 1, Paris, 1976, S.109.
ehalten, der dem zum Zeichen, oder besser gesagt zum Bild werdenden<br />
Objekt, unabhängig von Wahrnehmung und Interpretation seine Zugehörigkeit<br />
zur rohen Wirklichkeit nicht absprechen kann. Gerade diese<br />
Art von Musterbüchern, Sammlungen und Herbarien, die sich von<br />
gewöhnlichen Büchern sehr unterscheiden, ermöglichen anhand ihrer<br />
gepreßten und zwischen den Seiten eingeklemmten, in Indizien verwandelten<br />
Fragmente eine besondere Rezeption als sicht- und entzifferbare<br />
Bilder, als Reliquie oder als Erzählung.<br />
Man vermeidet im allgemeinen, darauf hinzuweisen, in welchem Ausmaß<br />
die Qualität der haptischen Bilderfahrung fotografisch ersetzt werden<br />
kann. Beim automatischen Aufnahmevorgang des Sichtbaren in seiner<br />
strengen Räumlichkeit, mit seiner Subtilität von Materialien und Texturen,<br />
Bewegungen und Vibrationen, wird das wahrhaft Optische beinahe<br />
zwangsläufig taktil.<br />
Cursor und Maus bilden das Standard-Interface des Computers zur<br />
Auswahl eines Gegenstandes mit Hand und Auge, ein wiederum manueller,<br />
ja taktiler Vorgang. Die im interaktiven Raum videografisch eingeschriebenen<br />
Bilder sollen, wenn schon nicht effektiv berührt, so doch ausgewählt,<br />
bezeichnet, mit einer Geste gestreichelt werden. Diese Geste<br />
bleibt natürlich auf Distanz, ›hinter dem Spiegel‹, wie es das Los eines<br />
jeden Bildes ist. Hier überträgt sich unser Körper auf mentaler Ebene und<br />
auch materiell ganz und gar in das Bild, und zwar über einen Umweg im<br />
Inneren der Maschine. Der von meiner Hand geführte und vom Auge wie<br />
eine aktive Projektion gedeutete Pfeil bleibt auf jeden Fall immer im Bild,<br />
auf derselben Ebene wie die Hand, zwischen den Pixeln, von denen kürzlich<br />
gesagt wurde, daß sie von eindringlichster Präsenz seien. Ein solch<br />
manueller Eingriff in die Intimität des Bildes ist unschuldig, um so mehr,<br />
als er dort sensiblen Funktionen, die dem Bild übertragen wurden, begeg-<br />
39<br />
artintact 1
40<br />
artintact 1<br />
net. Das Bild hat sich, so könnte man sagen, gleichzeitig mit den Figuren,<br />
bei seinem Transfer, so natürlich scheint seine Wiederherstellung, gewisse<br />
Fähigkeiten wie ›fühlen‹ und ›reagieren‹ bewahrt. Die sinnliche Kartographie<br />
des interaktiven Bildes kann dazu führen, daß man die Bedeutung der<br />
Begriffe Karte und Territorium verwechselt.<br />
Tiefe<br />
Ob Buch oder Bildschirm, beide haben als Voraussetzung eine plane<br />
Oberfläche. Diese Flächigkeit ist ebenso dem weißen Blatt Papier, der gepreßten<br />
Blume im Herbarium und der optische Projektion eigen. Man<br />
könnte also versucht sein, reliefartige Oberflächen zu gestalten. Wie die<br />
Figuren in der tiefenlosen Kartenwelt von Alice im Wunderland ›wird<br />
man gleitend auf die andere Seite kommen, denn auf der anderen Seite ist<br />
nichts Anderes, sondern alles nur umgekehrt‹ 11 .<br />
Ich verwende aus der Stereoskopie nur den Vorgang der stereoskopischen<br />
Verdoppelung der Bilder und stelle je zwei gleiche Bilder mit leichter<br />
Verzögerung, wie in einem Kanon, nebeneinander. Vielleicht entsteht<br />
so die von Rousseau in seinem Cahiers des charges von den Illustratoren<br />
geforderte zeitliche Verzögerung: ›Man muß bei den Figuren in Bewegung<br />
erkennen können, wer vorangeht und wer folgt und der Handlung<br />
Zeit geben, sich zu entfalten; sonst wird man den Moment, den es auszudrücken<br />
gilt, nicht erfassen.‹ 12<br />
Im Zuge der Wiederholung und Unterscheidung haben wir hier nun<br />
eine Strategie für den Leser entwickelt, beim Blättern jedes flimmernde<br />
11. Gilles Deleuze, Logique du sens, Paris, 1969, S. 19.<br />
12. Jean-Jacques Rousseau, La nouvelle Héloise, Appendix II, ›Sujets d’estampes‹, Œuvres<br />
complètes, Bd. 2, Paris, 1976, S. 28.
Bild mit einer Hin- und Herbewegung zu berühren, was dazu führt, daß<br />
kein Bild verschwindet, ohne daß man es mit seinem Doppel hätte vergleichen<br />
können, wobei gleichzeitig eine größtmögliche Sparsamkeit im Umgang<br />
mit den Bildern angestrebt wird.<br />
Erklärung<br />
In diesem Fall kann der Leser selbst die Erklärungen für Zeichen und<br />
Bilder abrufen. Er ist Fragensteller und Erklärer in einer Person. Da er<br />
selbst gleichzeitig die Zeichen bezeichnet, richten sich die Bilder an seine<br />
persönliche Subjektivität. Rousseau, der heimlich Madame Basile, die<br />
stickend an ihrem Fenster sitzt, beobachtet, wäre, durch einen Spiegel<br />
verraten, von ihr entdeckt worden. Eine Geste ihrerseits als Aufforderung<br />
zur Annäherung deutend, wirft er sich der jungen, sehr schönen Frau zu<br />
Füßen. Dieser stumme und unschuldige Dialog zweier Bilder13 zeigt uns<br />
eine konkrete Möglichkeit des interaktiven Schauspiels.<br />
Das Kino muß akzeptieren, daß vom Zuschauer keine Antwort zu<br />
erwarten ist. Im Gegensatz zum Fernsehen, das seinem Publikum zur<br />
Zeitgenossenschaft verpflichtet ist und den ›Kamerablick‹, ein festes Stilmittel<br />
des frühen Films, als ›Symbol der Begegnung zwischen Realität und<br />
Betrachter‹ verwendet, ›eine Begegnung, die immer erwünscht, immer<br />
verpaßt und manchmal gestreift wird.‹ 14<br />
Für Flora petrinsularis gilt, daß das Bild – die Kamera – immer den<br />
Standpunkt Rousseaus einnimmt, anders kann er nicht vertreten sein.<br />
Dem Betrachter bleibt nichts anderes übrig, als seinen Platz, der ihm a<br />
priori zukommt, mit Rousseau zu teilen. Er wird, bewußt oder unbewußt,<br />
13. Jean Starobinski, a.a.O., S. 111.<br />
14. Christian Metz, L’énonciation impersonelle ou le site du film, Paris, 1991, S. 22.<br />
41<br />
artintact 1
42<br />
artintact 1<br />
dessen Vergnügen und Beschämung teilen müssen. Es scheint hier möglich,<br />
auf zwei Ebenen der Evokation zu arbeiten: zum einen die Ebene der<br />
Begegnung, zum anderen kann der Zuschauer dadurch, daß er tatsächlich<br />
bezeichnet wird, unter den Schauspielern herausgehoben werden.<br />
In einem noch so minimalen interaktiven Programm tauchen doch<br />
Elemente auf, die normalerweise dem Sprachgebrauch persönlicher Beziehungen<br />
vorbehalten sind, die shifters (Kulissenschieber), die Kuppler,<br />
das ›Ich‹ oder das ›Du‹, das ›Hier‹ und ›Jetzt‹, wovon Barthes spricht15 und die, verallgemeinert gesagt, das ›amouröse Fluidum einer Gemeinschaft‹<br />
bilden – man meint, das Rousseau’sche Fest zu erleben, seltene<br />
Gelegenheit einer wahrhaftigen Kommunikation.<br />
Übersetzung: Rebecca Picht<br />
15. Roland Barthes: ›Le shifter comme utopie.‹ – Ders., Roland Barthes par lui-même, Paris,<br />
1975, S. 168.
43<br />
artintact 1
L/Lanz<br />
Von Anne-Marie Duguet<br />
In einer Zeit, die von schneller technischer Entwicklung geprägt ist und<br />
damit neuen Mythen Stoff gibt, wird ein Künstler zwangsläufig versuchen,<br />
›Verspätungen‹ zu produzieren und Strategien zu entwickeln, um<br />
die neuen Ausdrucksmittel zu untersuchen und gleichzeitig zu kommentieren,<br />
mit ihnen zu spielen und sich in ihnen Spielraum zu verschaffen.<br />
Eine solch schräge, diagonale Annäherung an die Technologie beruht auf<br />
einer Hinterfragung ihres Verhältnisses zu Kultur und Geschichte. Eric<br />
Lanz manifestiert in Anbetracht dieser Entwicklungen ein ausgeprägt<br />
skeptisches Interesse, eine feine Distanz, die nicht ohne Ironie Verhaltensweisen,<br />
Codes und Stereotypen ins Auge faßt, die sich im Zuge des aktuellen<br />
Techniksystems, beispielsweise der Interaktivität, etablieren. Darüberhinaus<br />
zeugt seine Arbeit von einer Beschäftigung mit Erinnerung<br />
und mit der Rolle von Wissen und Geschichte in der Gesellschaft: Fragen,<br />
die immer dringlicher gestellt werden müssen, bedenkt man die wachsenden<br />
Speicherkapazitäten und die Möglichkeiten ›informatischer‹ Datensammlungen.<br />
Heute bedienen sich Künstler in ihren Arbeiten der Archivierung,<br />
Inventarisierung und Sammlung ebenso wie wissenschaftlicher<br />
Konzepte und Methoden. Allerdings werden diese Methoden im Laufe<br />
der Auseinandersetzung verdreht, umgangen und gesprengt, in eine Fiktion<br />
umgewandelt und die technologische Sachlichkeit gegen einen poetischen<br />
Taumel eingetauscht.<br />
Eric Lanz: Manuskript, 1994. Screenshot.<br />
45<br />
artintact 1
46<br />
artintact 1<br />
Video ist das bevorzugte Medium der Arbeiten von Eric Lanz, der seit<br />
1983 Videobänder und Installationen realisiert und die Beziehung zwischen<br />
traditionellen Techniken und Technologie zum Hauptthema seiner<br />
Arbeit macht. Ort der Konfrontation, einem Seziertisch gleich, ist das<br />
elektronische Bild. Eric Lanz macht sich die Techniken zu eigen, indem er<br />
sie inszeniert und beschreibt. Dabei treibt er eine Reihe von einzigartigen<br />
Versuchen mit Eigensinn, Sorgfalt und System voran. Mit der klassischen<br />
Erzählung des Kinos verbindet sie nichts, vielmehr sind Einflüsse von und<br />
Berührungspunkte mit dem experimentellen Film, der Archäologie und<br />
Ethnologie und sicherlich mit der bildenden Kunst zu finden.<br />
Seine ersten Arbeiten können den am Anfang der 80er Jahre aufkommenden<br />
›neuen Fiktionen‹ zugeordnet werden; ihre Struktur beruht auf<br />
Logik und Prinzipien der Musik oder der Poesie, in denen der assoziative<br />
Modus über den kausalen Vorrang hat. Erzählerische Elemente, die von<br />
mythologischen Figuren inspiriert werden, bleiben bestehen, sie dienen<br />
dem Künstler aber nur als Vorwand und Grundlage für eine ›imaginäre<br />
Anordnung‹.<br />
Die Titel dieser Arbeiten sind bezeichnend. Sie sind wie ein Alphabet<br />
geordnet: S/Sisyphe, P/Pygmalion, V/Vénus, O/Orphée, E/Echo usw.,<br />
werden später auf einzelne Buchstaben reduziert: T, I, Y, um dann Sans<br />
titre (ohne Titel) oder auch Triptyque (Triptychon) zu heißen, als der<br />
schon dünne Faden eines narrativen Aufbaus vollends verschwunden ist.<br />
Seit 1990 entstehen die Serien Les Matières (Die Materien), Les Outils<br />
(Die Werkzeuge), Les Gants (Die Handschuhe), Les Gestes (Die Gesten),<br />
die formal wie ein Anschauungsunterricht wirken. Zunächst wird eine<br />
zentrale Idee formuliert und ein Prinzip definiert, dessen Erkundung die<br />
verschiedenen Handlungen bestimmt.<br />
Der Bildschirm wird also zum Ort eines Inventars – ähnlich wie die Sei-
ten einer Enzyklopädie oder eines Katalogs, von denen die Surrealisten so<br />
fasziniert waren –, er ist eine Experimentierstätte, wo sich Dinge vergleichen<br />
und ähnliche Vorgänge gegenüberstellen lassen, die nach Form oder<br />
Funktion sortiert sind. Die Anordnung der Gegenstände ist genau festgelegt<br />
und folgt den Regeln einer strengen Geometrie. Geste und Blick werden<br />
entlang des stellenweise sichtbaren Rasters gelenkt, das eine ordnende<br />
Funktion hat und die nahen Gegenstände getrennt hält.<br />
Eric Lanz sammelt, registriert, zählt auf und klassifiziert, all dies mit<br />
einer gänzlich simulierten Genauigkeit. Die taxinomische Tätigkeit mit<br />
dem Ziel, Ordnung in das Universum der Dinge zu bringen, wird aber<br />
ständig überfordert. Sowohl durch das Spiel der Assoziationen als auch<br />
durch die eindringliche Präsenz von Körper und Materie entsteht eine solche<br />
Spannung, daß eine Kontrolle fast unmöglich ist und die Subjektivität<br />
die Oberhand behält. Innerhalb der Sammlung aus ihrem ursprünglichen<br />
Kontext und Gebrauch losgelöst, sind die Werkzeuge nur Teile einer<br />
Liste, werden aber nun ihrem Gebrauch, der Berührung und der Handhabung<br />
zurückgegeben, in ihre alltägliche Situation zurückgeführt.<br />
Das Werkzeug wird nie benannt, es wird in seiner Funktion beschrieben<br />
und kann nur am Bild seines spezifischen Gebrauchs wiedererkannt<br />
werden: schälen, graben, schneiden, usw. ›Das Werkzeug existiert erst mit<br />
der Geste, die es technisch wirksam macht‹, sagt André Leroi-Gourhan1 .<br />
Von Bedeutung ist allein die durch das Werkzeug mögliche Transformation<br />
von Materie.<br />
Unter den uns wohlbekannten Gegenständen, wie zum Beispiel den<br />
Handschuhen oder bestimmten Küchengeräten, gibt es auch seltene, hy-<br />
1. André Leroi-Gourhan, ‘La mémoire et les rythmes.’ – Le geste et la parole, Bd. 2, Paris,<br />
1965, S. 35.<br />
47<br />
artintact 1
48<br />
artintact 1<br />
perspezialisierte und deswegen vergessene Gegenstände aus ungewöhnlichem<br />
Material und von extravagantem Aussehen. Die Auswahl der Gegenstände<br />
und die durch Geräusche belebte elektronische Nahaufnahme<br />
ihres Gebrauchs enthebt sie jeder Banalisierung, läßt sie als Kuriositäten<br />
erscheinen. Die isolierte, präzise Handbewegung ist auf die Ausführung<br />
einer ganz spezifischen Funktion beschränkt, deren Aufmerksamkeit auf<br />
jeweils nur einem einzigen Vorgang liegt. Für Unbestimmtes ist kein<br />
Platz.<br />
Es gilt, einen Zugang zu schaffen zu diesen Sammlungen, diesem aus<br />
Werkzeugen und Gesten zusammengetragenen Gedächtnis der modernen<br />
Zeit. Dafür hat Eric Lanz ein zweites Inventar angelegt, nämlich eines von<br />
gängigen interaktiven Prozessen, deren Aufruf- und Bewegungsmodalitäten<br />
er inszeniert. Auswählen, fortfahren, anhalten, zurückkommen,<br />
Geschwindigkeit regeln sind einige elementare Funktionen daraus.<br />
In den ersten Serien zitiert er das Prinzip des touchscreen. Man muß<br />
berühren, um zu sehen. Im Darstellungsprozeß wird ein weiterer Sinn<br />
mobilisiert, der Erkundungsvorgang wird durch den Kontakt zwischen<br />
Körper und Bild ausgelöst: von Gattung zu Gattung, von dieser zum einzelnen<br />
Werkzeug und schließlich zu der Tätigkeit, die es definiert. In Les<br />
Outils 4 und 5 ist die Stimme das Befehlsinstrument.<br />
Ein simuliertes Programm steuert diese Überleitungen. 2 Seine Logik<br />
erschließt sich nicht sofort, man hat zunächst den Eindruck einer Vielschichtigkeit,<br />
die es abzurufen und zu durchdringen gilt. Das Programm<br />
2. So wie in der Serie Les Outils, wo ein Gegenstand unter acht anderen ausgewählt werden<br />
kann und sich acht neue Möglichkeiten ergeben. Der letzte ausgewählte Gegenstand steht<br />
im Zentrum der neun Felder, umlagert von acht anderen, die gemäß acht Parametern<br />
gruppiert sind (Form, Gattung, Funktion, Geste, Objekt, Bereich, Handlung, Prinzip).
entspricht dem inhaltlichen Konzept und erlaubt uns, von einer Handlung<br />
zur nächsten zu kommen oder das richtige Werkzeug für eine gegebene<br />
Situation zu finden.<br />
In diesen Serien werden die verschiedenen Funktionen der Hand<br />
›durchdekliniert‹ : die bezeichnende und die behandelnde Hand, die eine<br />
Handlung auslösende und die sie ausführende, die Hand, die die Materien<br />
berührt, um sie zu erkennen. Die Hand, Ausgangspunkt aller Technizität<br />
und somit Symbol des Handwerks, erhält auch die Funktion eines Interface.<br />
Sie setzt nicht nur das gesprochene Wort frei, wie André Leroi-<br />
Gourhan in Le geste et la parole analysiert (ein Text, über den Eric Lanz<br />
geschrieben hat), sondern ist selbst Teil einer Sprache, ein mediales Instrument.<br />
In seinen jüngsten Arbeiten setzt Eric Lanz sein Inventar der Gesten<br />
und die Simulation virtueller Handhabungen fort, führt sie aber zu einem<br />
anderen Abstraktionsgrad. Wiedererkennung und Ausführung der Gesten<br />
am Bildschirm in den Arbeiten Dictée (Diktat), Synthèse (Synthese)<br />
oder Index (Index) sind über den Gebrauch des Monitors als einem Experimentierfeld<br />
möglich. Im fiktiven Raum des Monitors koexistieren zwei<br />
Aufnahmen von Händen, die sich eigentlich in zwei unterschiedlichen<br />
Räumen befinden. Die eine erteilt der anderen einen Befehl. Durch die unmittelbare<br />
Ausführung des Befehls stehen sich anweisende und ausführende<br />
Geste direkt gegenüber. Ihre Kommunikation wäre jedoch nur<br />
mittels einer Maschine, eines Ortungssystems, einer Berechnung, also<br />
einer zweiten Sprache, denkbar. Objekte oder Instrumente bleiben unsichtbar,<br />
ihre durch die Geste angedeutete Identifikation wird allein über<br />
ein Geräusch bestätigt. Nur die Beziehung der Zeichen zueinander ist von<br />
Bedeutung. Gefragt ist nicht mehr die direkte Berührung, sondern das bezeichnen<br />
und interpretieren.<br />
49<br />
artintact 1
artintact 1<br />
50 Diese auf dem Bildschirm erscheinenden Hände sind abgeschnitten,<br />
verlangen nach Ergänzung durch einen Körper. Der Körper des Betrachters<br />
kann sich gewissermaßen verlängern und sich in die Position des<br />
Agierenden versetzen. Auch wird durch den kleinen Ausschnitt, die Nahaufnahme<br />
und den Blickwinkel eine Identifikation mit der Kamera nahegelegt.<br />
Diese Aufmerksamkeit für Position und Einbeziehung des Betrachters<br />
in die Bildszene finden wir auch bei Eric Lanz’ Installationen. Sie sind<br />
immer sehr einfach, er arbeitet mit maximal drei auf Sockeln stehenden<br />
Monitoren oder einigen Videoprojektionen. Es gibt keine Sitzgelegenheiten,<br />
die dem Betrachter die Teilnahme an einer Vorführung suggerieren<br />
könnten. Vielmehr ist er aufgefordert, in Bewegung zu bleiben, zu kommen<br />
und zu gehen (als navigiere er in einem Hypermedium), seine Entfernung<br />
zum Bildschirm selbst regelnd, die eine oder andere Sequenz zufällig<br />
auf einem Bildschirm erfassend, selbst über die Zeitdauer entscheidend.<br />
Die einzige ihn direkt beeinflussende und in Frage stellende Intervention,<br />
zum Beispiel in der Installation Y von 1988, wird durch seine eigene,<br />
durch Infrarotsensoren erfaßte Bewegungsveränderung möglich und<br />
führt zu einem Wechsel der gezeigten Sequenz. Gefangen in dieser kurzen<br />
aber tatsächlichen Interaktion wird er zum Gegenstand einer fiktiven<br />
Überwachung. Tatsächlich zeigt eine der Sequenzen ein binoculares Teleskop,<br />
wie es für Panoramen in Gebrauch war. Es scheint den Galerieraum<br />
wie ein Kontrollinstrument abzutasten und richtet, man beachte die<br />
metaphorische Umkehrung, das Auge auf den Betrachter.<br />
Die Videoinstallationen, Multimediawerke par excellence, erlauben es<br />
seit langem, andere Beziehungen zur Repräsentation durchzuspielen. Es<br />
werden andere kinematografische Anordnungen ausgearbeitet, die dem<br />
Betrachter neue ästhetische Erfahrungen ermöglichen und die ihn dazu
führen, unablässig neue Beziehungen innerhalb der verschiedenen Pole<br />
eines Systems zu knüpfen, deren Teil er ist und in dem das Bild nur mehr<br />
ein Element ist.<br />
Manuskript, das Werk, das Eric Lanz für die vorliegende Edition konzipiert<br />
hat, geht von Fotografien seiner Objektsammlung und gefilmten Bildern<br />
für die Serie Les Gestes aus. Der interaktive Prozeß wird hier nicht<br />
mehr nur als Möglichkeit zitiert, er findet statt. Die ironische Distanz, die<br />
durch die videografische Wiedergabe möglich war, ist aufgehoben, statt<br />
dessen kann direkt recherchiert werden und die Dateien können mit Hilfe<br />
von Zugangsmodalitäten abgefragt werden, die auf den Film, die Schrift<br />
und das Lesen zurückgehen.<br />
Wie mit einem Zoom bewegt man sich etappenweise durch einen ersten<br />
Block nicht entzifferbarer Grafiken, um zunächst Zeilen, dann die sie bildenden<br />
Zeichen zu sehen, die man schließlich als Bilder von Werkzeugen<br />
erkennt. Sie sind auf einem weißen Hintergrund angeordnet, sorgfältig<br />
aufgereiht und gruppiert; sie gleichen Buchstaben, die, zu wortähnlichen<br />
Gebilden zusammengesetzt, wie Hieroglyphen einer fremden Schrift erscheinen.<br />
Es ist möglich, eine Zeile vorbeiziehen zu lassen, um ein Werkzeug<br />
auszusuchen, ganz so als führe man auf einer Seite mit dem Finger<br />
eine Zeile entlang. Die Zeilen sind wie eine Videoschleife endlos lesbar, die<br />
Katalogseite setzt sich über den Bildschirm hinaus fort – oder vielmehr<br />
wird hier die Aufteilung in Seiten überhaupt in Frage gestellt. Das<br />
Anklicken eines Gegenstandes öffnet ein Fenster, in dem der entsprechende<br />
Gebrauch vorgestellt wird. Erst dann werden Zeichen und Gegenstand<br />
gegenübergestellt, das interpretierende Auge und die ausführende<br />
Hand.<br />
51<br />
artintact 1
artintact 1<br />
52 Das Hypermedium erlaubt den nicht-linearen Zugriff auf die gespeicherte<br />
Information, lädt ein, darin spazierenzugehen und verschiedene Medien<br />
zu kombinieren. Wieder handelt es sich hier um die paradoxe Aneignung<br />
einer Technik. Eric Lanz multipliziert nicht die Schichten von Information,<br />
er fügt weder Titel noch Definitionen oder Grafik hinzu, bietet kein<br />
abfragbares Überangebot, genau wie er nie elektronischen Spezialeffekten<br />
verfiel. Er scheint auf eine ausgesprochene Kritik der Technologie zu verzichten,<br />
sich ihrer aber nicht ohne inneren Widerstand zu bedienen. Zwar<br />
beherrscht Eric Lanz die technischen Möglichkeiten, nutzt sie aber minimal<br />
und sozusagen gegen den Strich.<br />
Übersetzung: Rebecca Picht
53<br />
artintact 1
Biografische Notizen / Biographical Notes<br />
Künstler / Artists<br />
Geboren 1945, promovierte 1979 in Ästhetik<br />
und ist Professor und Forschungsleiter<br />
an der Université Paris 8. Als Lehrer, Forscher<br />
und Kurator ebenso wie als Künstler<br />
beschäftigt sich Boissier mit den ästhetischen<br />
Veränderungen von Kunst und Bild<br />
in Verbindung mit Interaktivität und Virtualität.<br />
Seine multimedialen Werke untersuchen<br />
neue Formen von Narration und<br />
Fiktion.<br />
Werke (Auswahl) / Selected works<br />
Le Bus, interactive video disk, 1985<br />
Pékin, pour mémoire, interactive video<br />
disk, 1986<br />
Anthologie d’images de synthèse scientifiques,<br />
interactive video disk, 1990<br />
Anthologie du virtuel, interactive video<br />
disk, 1992<br />
Globus oculi, interactive installation, 1992<br />
Flora petrinsularis, interactive installation,<br />
1993<br />
Mutatis mutandis, interactive installation,<br />
1995<br />
3e Biennale d’art contemporain de Lyon,<br />
Jean-Louis Boissier<br />
Born in 1945, Jean-Louis Boissier obtained<br />
a PhD in Aesthetics in 1979, and is a professor<br />
and research director at the Université<br />
Paris 8. His work as a teacher, researcher,<br />
curator and artist has been concerned with<br />
the aesthetic changes occurring in images<br />
and the arts in connection with interactivity<br />
and virtuality. His multimedia works explore<br />
new forms of narration and fiction.<br />
CD-ROM, Paris: Réunion des musées nationaux,<br />
1995<br />
Mémoire de crayons, interactive installation,<br />
1995<br />
Actualité du virtuel, CD-ROM, Paris:<br />
Centre Georges Pompidou, 1997<br />
Le billet circulaire, Website, 1997<br />
La deuxième promenade, interactive installation,<br />
1998<br />
La morale sensitive, interactive installation,<br />
Cité des sciences, Paris, 1999<br />
Moments de Jean-Jacques Rousseau, CD-<br />
ROM, Geneva: Centre pour l’image contemporaine,<br />
and Paris: Éditions Gallimard,<br />
2000<br />
55<br />
artintact 1
artintact 1<br />
56 Einzelausstellungen (Auswahl) / Version originale, Musée d’art contempo-<br />
Selected solo exhibitions<br />
rain de Lyon, Lyon, 1997<br />
Art virtuel, Boulogne Billancourt, 1998<br />
Musée de l’Élysée, Lausanne, 1990<br />
Interactivités, Centre Georges Pompidou,<br />
Centre pour l’image contemporaine,<br />
Geneva, 1994/99<br />
Credac, Ivry, Paris, 1995<br />
Paris, 2001<br />
InterCommunication Center Gallery, Ausstellungen (als Kurator) /<br />
Tokyo, 1995<br />
Studio national des arts contemporains,<br />
Le Fresnoy, 1998<br />
Kunst und Ausstellungshalle der Bundesrepublik<br />
Deutschland, Medien-<br />
KunstRaum, Bonn, 1998<br />
Kyoto Art Center, Kyoto, 2000<br />
Exhibitions (as curator)<br />
Gruppenausstellungen (Auswahl) /<br />
Selected group exhibitions<br />
Les immatériaux, Centre Georges<br />
Pompidou, Paris, 1985<br />
Venice Biennale, Venice, 1986<br />
Passages de l’image, Centre Georges<br />
Pompidou, Paris, 1990<br />
Arslab, Turin, 1992<br />
Ars Electronica, Linz, 1992<br />
Multimediale 3, ZKM, Karlsruhe, 1993<br />
Version 1.0, Centre pour l’image contemporaine,<br />
Geneva, 1994<br />
Interactive Media Festival, Los Angeles,<br />
1994<br />
ISEA ’94, Helsinki, 1994<br />
The Interaction ’95, Gifu, Japan, 1995<br />
InfoArt, Kwangju Biennale, Kwangju,<br />
Korea, 1995<br />
3e Biennale d’art contemporain de Lyon,<br />
Lyon, 1995<br />
Lab 6, Centre for Contemporary Art,<br />
Zamek Ujazdowski, Warsaw, 1997<br />
Electra, Musée d’art moderne de la ville de<br />
Paris, Paris, 1984<br />
Image calculée, Cité des sciences, Paris,<br />
1988<br />
Biennale Artifices, Saint-Denis, Paris,<br />
1990/92/94/96<br />
Machines à communiquer, Cité des sciences,<br />
Paris, 1991–1992<br />
Revue virtuelle, Centre Georges Pompidou,<br />
Paris, 1992–1996<br />
L’image n’est pas seule, Saint-Denis, Paris,<br />
1998<br />
Veröffentlichungen (Auswahl) /<br />
Selected bibliography<br />
‘Dramaturgie de l’interactivité.’ – Vers une<br />
culture de l´interactivité. Colloquium,<br />
Paris: Cité des sciences, 1989.<br />
‘Bambous, pour que poussent les images.’ –<br />
Les Chemins du virtuel. Cahiers du CCI,<br />
Paris: Centre Georges Pompidou, 1989.<br />
‘Le logiciel comme rêverie.’ – Le temps des<br />
machines. Valence, 1990.<br />
‘Machines à communiquer faites œuvres.’ –<br />
La communication, sous la direction de<br />
Lucien Sfez, Paris/La Villette: Presses<br />
Universitaires de France, 1991.<br />
‘Le virtuel s’expose-t-il?’ – Ars technica,
Paris, 1992.<br />
‘Vertus des mondes bornés.’ – Cahiers de<br />
l’Ircam, Paris: Centre Georges Pompidou,<br />
1992.<br />
‘Une esthétique de la saisie.’ – Revue d´esthétique,<br />
Paris, 1994.<br />
Programmes interactifs, catalogue, Ivry-sur-<br />
Seine: CREDAC, 1995.<br />
‘Langages en perspective.’ – Artifices 4, catalogue,<br />
Saint-Denis, 1996.<br />
‘Esthétique du virtuel.’ – Actualité du<br />
virtuel, CD-ROM, Paris: Centre Georges<br />
Pompidou, 1997.<br />
‘Arts du virtuel.’ – Encyclopaedia Universalis,<br />
Paris, 1997.<br />
Geboren 1962 in Biel (Schweiz), studierte<br />
an der Ecole supérieure d’art visuel in Genf<br />
und an der Kunstakademie in Düsseldorf.<br />
Seit 1998 hat er einen Lehrauftrag an der<br />
Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe.<br />
Eric Lanz lebt in Düsseldorf und Genf.<br />
Auszeichnungen und Stipendien /<br />
Awards and stipends<br />
Prix Montres Bréguet d’Art Contemporain,<br />
Fribourg, 1993<br />
Siemens Stipend, ZKM, Karlsruhe, 1994<br />
Künstlerhaus Bethanien, Berlin, 1995<br />
Akademie Schloss Solitude, Stuttgart, 1998<br />
Künstlerdorf Schöppingen, 2000<br />
Eric Lanz<br />
L’image n’est pas seule, catalogue, Paris:<br />
Bibliothèque de l’Université Paris 8,<br />
1998.<br />
‘L’interactivité comme perspective.’ – Traversées<br />
de l’image, Beaux-Arts du Mans,<br />
1998.<br />
‘L’hyper-estampe.’ – Les nouvelles de l’estampe,<br />
Paris: Bibliothèque Nationale,<br />
1999.<br />
‘Le moment interactif.’ – Moments de Jean-<br />
Jacques Rousseau, CD-ROM, Paris:<br />
Gallimard, 2000.<br />
‘Lisibilité, visibilité, jouabilité.’ – Revue<br />
d’esthétique, Paris, 2001.<br />
Born in Biel (Switzerland) in 1962, Eric<br />
Lanz studied at the Ecole supérieure d’art<br />
visuel in Geneva and at the Kunstakademie<br />
in Dusseldorf. Since 1998, he has been<br />
teaching on assignment at the Academy of<br />
Design, Karlsruhe. He lives and works in<br />
Dusseldorf and Geneva.<br />
Werke (Auswahl) / Selected works<br />
Video-Alphabet, Reihe von Installationen<br />
und Bändern / installation-and-tape series,<br />
1985–1990<br />
Les matières [Die Materien / The Materials],<br />
Reihe von Videos für Monitor /<br />
videotape series for monitor, 1991<br />
Les outils [Die Werkzeuge / The Tools],<br />
Reihe von Videos für Monitor / videotape<br />
series for monitor, 1991–1994<br />
57<br />
artintact 1
artintact 1<br />
58 Les gants [Die Handschuhe / The Gloves],<br />
Reihe von Installationen und Videos für<br />
Monitor / installation-and-video series<br />
for monitor, 1991–1993<br />
Les gestes [Die Gesten /The Gestures],<br />
Reihe von Videoprojektionen / videoprojection<br />
series, 1993–1995<br />
Les mains [Die Hände / The Hands], Reihe<br />
von Videos für Monitor / videotape series<br />
for monitor, 1994<br />
Les pulls; les maillots; les torses [Die<br />
Pullover; die Leibchen; die Büsten / The<br />
Pullovers; The Bodices; The Torsos],<br />
Reihe von Installationen und Videos für<br />
Monitor / installation-and-video series<br />
for monitor, 1995<br />
Les habits [Die Kleider / The Clothes],<br />
Reihe von Installationen und Videoprojektionen<br />
/ installation-and-video-projection<br />
series, 1996–1998<br />
Les choses [Die Dinge / The Things], Reihe<br />
von Installationen und Videoprojektionen<br />
/ installation-and-video-projection<br />
series, 1999–2001<br />
La pâte [Der Teig / The Dough], Video für<br />
Monitor / videotape for monitor, 2000<br />
Intervention, Videoinstallation / video installation,<br />
2001<br />
Einzelausstellungen (Auswahl) /<br />
Selected solo exhibitions<br />
Centre Culturel Suisse, Paris, 1986<br />
Société des Arts, Palais de l’Athénée,<br />
Geneva, 1989<br />
Le Magasin, Centre National d’Art Contemporain,<br />
Grenoble, 1991<br />
Kunsthalle Fri-Art, Fribourg, 1993<br />
Festival Videoart, Museo Cannobbio,<br />
Locarno, 1994<br />
Künstlerhaus Bethanien, Berlin, 1995<br />
Centro dí Arte Contemporanea, Bellinzona,<br />
1996<br />
Fondation Claude Verdan (Handmuseum),<br />
Lausanne, 1997<br />
Saint-Gervais Images (Vitrines), Geneva,<br />
1997<br />
Galerie Bochynek, Düsseldorf, 1998<br />
Forum d’Art Contemporain, Sierre, 1998<br />
Espace Croisé, Lille, 1998<br />
Akademie Schloss Solitude, Stuttgart, 1999<br />
Kunstverein (Artothek), Bonn, 2000<br />
Schloss Ringenberg, Hamminkeln, 2001<br />
Spiegel, Munich, 2001<br />
Gruppenausstellungen (Auswahl) /<br />
Selected group exhibitions<br />
Von Bildern, Kunsthalle, Bern, 1986<br />
Stiller Nachmittag, Kunsthaus, Zurich, 1987<br />
Centre d’Art Contemporain, Geneva, 1988<br />
Transformacoes, Fundacao Gulbenkian,<br />
Lisbon, 1990<br />
Projekt Schweiz, Kunsthalle, Basel, 1992<br />
Et passim, Kunsthalle, Bern, 1994<br />
Artifices 3, Saint-Denis, Paris, 1994<br />
La revue virtuelle 10, Centre Georges Pompidou,<br />
Paris, 1994<br />
Ohne Titel, Kunsthaus, Aarau, 1995<br />
Multimediale 4, ZKM, Karlsruhe, 1995<br />
Video Visions, El Hanager Center of Arts,<br />
Cairo, 1995<br />
Burning the Interface, Museum of Contemporary<br />
Art, Sydney, 1996<br />
Version 2.2, Saint-Gervais, Geneva, 1996<br />
Cabines de bain, Schwimmbad La Motta,<br />
Fribourg, 1996
The thing between, Technische Sammlungen,<br />
Dresden, 1996<br />
Nonchalance, Centre Pasqu’Art, Biel/<br />
Bienne, 1997<br />
Nonchanlance revisited, Akademie der<br />
Künste, Berlin, 1998<br />
Serien und Konzepte, Museum Ludwig,<br />
Geboren 1956, erhielt den Master of Science<br />
in Visual Studies 1985 am Massachusetts<br />
Institute of Technology (MIT) und promovierte<br />
1999 am Centre for Advanced<br />
Inquiry in the Interactive Arts (CaiiA),<br />
University of Wales, Newport; als Komponist<br />
und Musiker ist er Autodidakt.<br />
Seaman ist Professor am Department of<br />
Design | Media Arts, University of California,<br />
Los Angeles. In seinen Arbeiten (Installationen,<br />
Virtual Reality, Video, Laserdisk,<br />
computergestütze Medien-, Fotografieund<br />
studiobasierte Audiokompositionen)<br />
untersucht er Verbindungen von Text, Bild<br />
und/oder Ton.<br />
Auszeichnungen (Auswahl) /<br />
Selected awards<br />
First Prize, San Francisco Art Institute<br />
Sound Art, San Francisco, 1979<br />
Best Sound, Geneva International Video<br />
Festival, Geneva, 1985<br />
First Prize, 2nd International Biennal,<br />
Ljubljana, 1985<br />
Awards in the Visual Arts, Rockefeller<br />
Foundation, Winston-Salem, 1986<br />
Cannon Europe Prize, World Wide Video<br />
Bill Seaman<br />
Cologne, 1999<br />
Wash & Wear, Kubus, Hanover and<br />
Hoesch-Museum, Düren, 1999;<br />
Kunsthaus, Hamburg, 2000<br />
Untragbar – Mode, Siemens Kulturprogamm,<br />
Museum für Angewandte<br />
Kunst, Cologne, 2001<br />
Born in 1956, Bill Seaman received an MSc<br />
in Visual Studies from the Massachusetts<br />
Institute of Technology (MIT) in 1985, followed<br />
in 1999 by a PhD from the Centre for<br />
Advanced Inquiry in the Interactive Arts<br />
(CAiiA), University of Wales, Newport. A<br />
self-taught composer and musician, Seaman<br />
holds a professorship at the Department of<br />
Design | Media Arts, UCLA. His work explores<br />
text, image and/or sound relationships<br />
through technological installation,<br />
virtual reality, linear video, computer-controlled<br />
laser disk and other computer-based<br />
media-, photography-, and studio-based<br />
audio compositions.<br />
Festival, The Hague, 1987<br />
National Endowment for the Arts Fellowship,<br />
Washington D.C., 1987<br />
Zone Video Festival Prize, Springfield, 1989<br />
Award of Distinction in Interactive Art,<br />
Prix Ars Electronica, Linz, 1992<br />
Best International Video, Cadíz, 1992<br />
Award of Distinction in Interactive Art,<br />
Prix Ars Electronica, Linz, 1995<br />
International Award for Video Art, ZKM<br />
Karlsruhe, SWF Baden-Baden, ORF<br />
Austria, 1995<br />
59<br />
artintact 1
artintact 1<br />
60 Bonn Videonale Prize, Bonn, 1996<br />
Interaction Design Award, software for virtual<br />
and spatial performances, Hanover,<br />
1998<br />
Intel Research Gift, UCLA, Los Angeles,<br />
2000/2001<br />
Chancellor’s Fund for Academic Border<br />
Crossing, UCLA, with Dr. Ingrid Verbauwhede,<br />
Electrical Engineering, 2001<br />
Werke (Auswahl) / Selected works<br />
How to Revive Dead Roses, linear video,<br />
1981<br />
Home – Homeostatic Range, linear video,<br />
1981<br />
S.HE, linear video, 1983<br />
The Water Catalogue, linear video, 1984<br />
Telling Motions, linear video, 1986<br />
Boxer’s Puzzle, linear video, 1986<br />
Shear, linear video, 1986<br />
Details from the Book of Notice, site-specific<br />
sign-and-sound installation, 1989<br />
The Design of the Grip, 9-channel video installation,<br />
1989<br />
The Watch Detail, linear video and interactive<br />
video disk, 1990<br />
The Exquisite Mechanism of Shivers, linear<br />
video and interactive video disk, 1991<br />
Abstraction Machine, auto-generative computer-based<br />
work, 1993<br />
Shop and the Necessary Orgy (with Open<br />
City Theatre), interactive video disk for<br />
theatrical production, 1994<br />
Passage Sets / One Pulls Pivots at the Tip of<br />
the Tongue, linear video and interactive<br />
video disk, 1995<br />
The Engine of Desire, linear video and inter-<br />
active video disk, 1996<br />
The World Generator / The Engine of Desire<br />
(with Gideon May), virtual environment,<br />
1996–97<br />
Red Dice / Dés Chiffrés, interactive installation<br />
and linear video, 2000<br />
Exchange Fields (with Regina Van Berkel),<br />
interactive installation and linear video,<br />
2000<br />
Hybrid Invention Generator, computerbased<br />
interactive installation, work-inprogress,<br />
2001<br />
Inversion (with Regina Van Berkel), dance<br />
and interactive installation/set, work-inprogress,<br />
2001<br />
Einzelausstellungen (Auswahl) /<br />
Selected solo exhibitions<br />
Rhode Island School of Design Museum,<br />
Providence, Rhode Island, 1985<br />
Institute of Contemporary Art, Boston,<br />
1989<br />
Experimental Art Foundation, Adelaide,<br />
1992<br />
NTT Media Lab, Tokyo, 1994<br />
Art Gallery of New South Wales, Sydney,<br />
1995<br />
Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik<br />
Deutschland, Medien-<br />
KunstRaum, Bonn, 1996<br />
Sprengelmuseum, Hanover, 1997<br />
c 3 – Centre for Culture and Communication,<br />
Budapest, 1997<br />
Canadian National Gallery, Ottawa, 2000<br />
The Daniel Langlois Foundation, Cinémateque<br />
Québecoise, Montreal, 2001
Gruppenausstellungen (Auswahl) /<br />
Selected group exhibitions<br />
New Music America, Miami, Florida, 1989<br />
Institute of Contemporary Art, Boston,<br />
Mass., 1989/90<br />
Siggraph, Las Vegas, Nevada, 1991<br />
Frankfurt Art Institute, Frankfurt, 1992<br />
Experimenta ’92, Melbourne, 1992<br />
Bitte Berühren, ZKM, Karlsruhe, 1992<br />
FISEA , Minneapolis, Minnesota, 1992<br />
Ars Electronica, Linz, 1992/95<br />
9th Biennale of Sydney, Sydney, 1992–93<br />
Tomorrow’s Realities, Siggraph, Anaheim,<br />
California, 1993<br />
Artificial Games, Munich, 1993<br />
Ivan Dougherty Gallery, Sydney, 1993<br />
CAVS, MIT 25 Year Retrospective, Cambridge,<br />
Mass., 1994<br />
ISEA ’95, Montreal, 1995<br />
Multimediale 4, ZKM, Karlsruhe, 1995<br />
Electra, Oslo, 1996<br />
Guggenheim Downtown New York, New<br />
York, 1996<br />
Dutch Electronic Art Festival, Rotterdam,<br />
1996<br />
Serious Games, Barbican Gallery, London,<br />
1997<br />
Wilhelm Lembruck Museum, Duisburg,<br />
1997<br />
IT Conference Exhibition, VR connecting<br />
ZKM, Karlsruhe and Brussels, Belgium,<br />
1997<br />
Surrogate, ZKM Karlsruhe, VR connecting<br />
ZKM and InterCommunication Centre,<br />
Tokyo, 1998<br />
Body Mécanique, Wexner Center for the<br />
Arts, Columbus, Ohio, 1998<br />
Digital Traces, Pittsburgh Art Center, Pittsburgh,<br />
1999<br />
Adelaide Festival, Adelaide, 2000<br />
Vision Ruhr, Dortmund, 2000<br />
Website<br />
http://www.cda.ucla.edu/faculty/seaman/<br />
61<br />
artintact 1
62<br />
artintact 1<br />
Biografische Notizen / Biographical Notes<br />
Autoren / Authors<br />
Dieter Daniels initiierte 1984 die Videonale<br />
Bonn, leitete von 1991–94 die Videothek<br />
am ZKM und ist seit 1993 Professor für<br />
Kunstgeschichte und Medientheorie an der<br />
Hochschule für Grafik und Buchkunst,<br />
Leipzig. Neben zahlreichen Veröffentlichungen<br />
(u.a. Duchamp und die anderen.<br />
Der Modellfall einer künstlerischen Wirkungsgeschichte<br />
in der Moderne, 1992;<br />
Medien Kunst Interaktion. Die 80er und<br />
90er Jahre in Deutschland, mit Rudolf<br />
Frieling, 2000) und Tätigkeiten als Kurator<br />
(u.a. Minima Media, MedienBiennale<br />
Leipzig, 1994) ist Dieter Daniels seit 2000<br />
Co-Redakteur des Internet-Projekts<br />
›medienkunstnetz.de‹.<br />
Jean-Louis Boissier<br />
siehe Seite 55 see page 55<br />
Dieter Daniels<br />
Dieter Daniels initiated the Videonale Bonn<br />
in 1984, was director of the ZKM Video<br />
Library from 1992 to 1994, and since 1993<br />
has been Professor of Art History and<br />
Media Theory at the Leipzig Academy of<br />
Visual Design. As well as authoring and<br />
editing numerous publications (incl.<br />
Duchamp und die anderen. Der Modellfall<br />
einer künstlerischen Wirkungsgeschichte in<br />
der Moderne, 1992; Media Art Interaction.<br />
The 1980s and 1990s in Germany, with<br />
Rudolf Frieling, 2000), and curating many<br />
exhibitions (e.g. Minima Media, Medien-<br />
Biennale Leipzig, 1994), he co-edits the Net<br />
project ‘mediaartnet.org’.
Anne-Marie Duguet ist Professorin an der<br />
Université Paris 1 und leitet dort das Centre<br />
de Recherches d‘Esthétique du Cinéma et<br />
des Arts audiovisuels. Neben ihrer Tätigkeit<br />
als Kuratorin publiziert sie zu Themen<br />
zeitgenössischer Kunst, neuen Technologien<br />
und Video. Sie ist Initiatorin und Herausgeberin<br />
der Publikationsreihe ‘anarchive’,<br />
die DVD-ROM und Internet-Projekte<br />
dokumentiert und Co-Autorin der<br />
ersten Ausgabe Muntadas: Media Architecture<br />
Installations (CD-ROM, 1999) sowie<br />
Co-Autorin des Buchs Jeffrey Shaw – a<br />
user’s manual / eine Gebrauchsanweisung:<br />
Vom Expanded Cinema zur Virtuellen<br />
Realität (1997).<br />
Anne-Marie Duguet<br />
A professor at the Université Paris 1, Anne-<br />
Marie Duguet is head of the Centre de<br />
Recherches d‘Esthétique du Cinéma et des<br />
Arts audiovisuels. Alongside her curatorial<br />
activities, she writes on contemporary art,<br />
new technologies and video. She established<br />
and edits the ‘anarchive’ series documenting<br />
DVD-ROM and Internet projects, and<br />
co-authored the first issue Muntadas:<br />
Media Architecture Installations (CD-ROM,<br />
1999) as well as the book Jeffrey Shaw – a<br />
user’s manual: From Expanded Cinema to<br />
Virtual Reality (1997).<br />
63<br />
artintact 1
64<br />
artintact 1<br />
Herausgeber /<br />
Publisher<br />
ZKM /Zentrum für Kunst<br />
und Medientechnologie<br />
Karlsruhe<br />
Konzept / Concept<br />
Jeffrey Shaw<br />
Redaktion / Editor<br />
Astrid Sommer<br />
Gestaltung / Design<br />
Holger Jost<br />
Übersetzungen /<br />
Translators<br />
Anina Helmsley<br />
Rebecca Picht<br />
Paul Smith<br />
Mitarbeit /Assistance:<br />
Eddie Shanken<br />
Impressum / Colophon<br />
Benutzeroberfläche /<br />
Interface Design<br />
Holger Jost<br />
Volker Kuchelmeister<br />
CD-ROM-Adaption<br />
der Werke von Eric Lanz<br />
und Bill Seaman /<br />
CD-ROM adaptation<br />
of the works of Eric Lanz<br />
and Bill Seaman:<br />
Volker Kuchelmeister<br />
CD-ROM-Adaption<br />
des Werks von<br />
Jean-Louis Boissier /<br />
CD-ROM adaptation<br />
of the work of<br />
Jean-Louis Boissier:<br />
Jean-Louis Boissier<br />
© 2002 der Essays<br />
bei den Autoren und<br />
ZKM Karlsruhe / Essays<br />
© 2002 by the authors and<br />
ZKM Karlsruhe<br />
© 2002 der Werke bei den<br />
Künstlern / Artworks<br />
© 2002 by the artists<br />
© 2002 der Screenshots bei<br />
den Künstlern / Screenshots<br />
© 2002 by the artists
65<br />
artintact 1
artintact 2<br />
CD-ROMagazin<br />
interaktiver Kunst<br />
ZKM/Zentrum<br />
für Kunst<br />
und Medientechnologie<br />
Karlsruhe<br />
Artists’ interactive<br />
CD-ROMagazine<br />
ZKM/Center<br />
for Art and Media<br />
Karlsruhe<br />
Hatje Cantz [1995/2002]
artintact 2<br />
Inhalt<br />
71<br />
Editorial<br />
73<br />
Walter Benjamin<br />
und die CD-ROM –<br />
Zu einer neuen<br />
Medienform<br />
Christoph Blase<br />
Luc Courchesne:<br />
Portrait One<br />
85<br />
Blind Date im<br />
Cyberspace oder<br />
die sprechende Figur<br />
Jean Gagnon
Miroslaw Rogala:<br />
Lovers Leap<br />
97<br />
Lovers Leap –<br />
Den Sprung wagen:<br />
Einstiegspunkte …<br />
Ausgangspunkte<br />
Timothy Druckrey<br />
Tamás Waliczky:<br />
Der Wald<br />
111<br />
Tamás Waliczky:<br />
Der Wald<br />
Anna Szepesi<br />
121<br />
Biografische Notizen:<br />
Künstler<br />
130<br />
Biografische Notizen:<br />
Autoren<br />
132<br />
Impressum<br />
artintact 2
Auf der Frankfurter Buchmesse im Herbst<br />
1994 haben wir artintact 1 der Öffentlichkeit<br />
vorgestellt. Dies war ein erster Versuch,<br />
interaktive Medienkunst auf einem adäquaten<br />
und zeitgemäßen Datenträger zu<br />
speichern und gleichzeitig ein ökonomisches<br />
Experiment, in Kooperation mit<br />
einem Buchverlag ein tatsächlich multimediales<br />
Kommunikationspaket auf den<br />
Markt zu bringen. Der überraschende<br />
Erfolg dieser ersten Ausgabe eines CD-<br />
ROM-Magazins interaktiver Kunst des<br />
ZKM/Zentrums für Kunst und Medientechnologie<br />
gab uns recht, und das große<br />
Interesse, das es bei Präsentationen auf<br />
nachfolgenden Festivals, Messen und Ausstellungen<br />
in Leipzig, Berlin, Paris und<br />
Cannes hervorrief, hat unser Konzept bestätigt:<br />
Kein anderer Informationsspeicher<br />
ist derzeit besser geeignet, die mediale Vielfalt<br />
interaktiver Kunstwerke individuell erlebbar<br />
und gleichzeitig multiplizierbar zu<br />
machen als die CD-ROM. In Verbindung mit<br />
einem Buch, das als konventionelles Medium<br />
die Autonomie der künstlerischen<br />
Arbeit selbst unberührt läßt, das sich dieser<br />
aber als Kommentar und kritische Reflexion<br />
zur Seite stellt, ist uns gleichsam die<br />
Vervielfältigung einer kleinen Galerie der<br />
Medienkunst gelungen.<br />
Die zweite Ausgabe von artintact erscheint<br />
zum Medienkunstfestival Multi-<br />
Mediale 4 des ZKM im Mai 1995. Unter<br />
der Leitung von Jeffrey Shaw haben wir<br />
wiederum einige Gastkünstler des Insti-<br />
Editorial<br />
tuts für Bildmedien des ZKM eingeladen,<br />
artintact 2 zu gestalten. Hiermit wollen<br />
wir zum einen unserer Chronistenpflicht<br />
Genüge leisten, indem wir bestimmte<br />
Ergebnisse unserer Forschungs- und<br />
Entwicklungsarbeit aufbereiten und dokumentieren.<br />
Denn die Gastkünstler des<br />
ZKM hinterlassen nicht nur intern ihre<br />
Spuren; sie legen auch ein beredtes Zeugnis<br />
ab für die aufs neue überraschenden Ausdrucksmittel,<br />
die die elektronischen Medien<br />
den Künstlern bieten können. Zum<br />
anderen aber ergibt sich mit der von uns<br />
gewählten Form von artintact als Magazin<br />
oder Journal für die Rezeption der Medienkunst<br />
insgesamt, insbesondere für Werke,<br />
die die Interaktion mit dem Betrachter bzw.<br />
Besucher voraussetzen, eine bisher noch<br />
kaum genutzte Chance: Die üblicherweise<br />
dem Kontext von Ausstellungen oder Festivals<br />
vorbehaltene öffentliche Präsentation<br />
und Auseinandersetzung mit Medienkunst<br />
wird hier als intimes Einzelereignis privatisiert<br />
und gleichzeitig für jedermann zugänglich<br />
gemacht. Wir sehen darin eine<br />
weiteren Beitrag, die Akzeptanz und das<br />
Selbstverständnis der Medienkunst im<br />
Diskurs der Kunst der Gegenwart zu fördern.<br />
Heinrich Klotz<br />
Vorstand des ZKM/Zentrum für Kunst<br />
und Medientechnologie Karlsruhe<br />
1989–1998<br />
71<br />
artintact 2
Walter Benjamin und die CD-ROM<br />
Zu einer neuen Medienform<br />
Von Christoph Blase<br />
Zitate von Walter Benjamin, Kapitel Das Kunstwerk im Zeitalter seiner<br />
technischen Reproduzierbarkeit1 , haben wieder verstärkt Konjunktur.<br />
Gedruckt erstmals 1936, werden sie heute mit der Hoffnung herangezogen,<br />
ihre prophetische Weitsicht könnte auch auf die CD-ROM zutreffen:<br />
Es ist von jeher eine der wichtigsten Aufgaben der Kunst gewesen, eine Nachfrage zu<br />
erzeugen, für deren volle Befriedigung die Stunde noch nicht gekommen ist. Die<br />
Geschichte jeder Kunstform hat kritische Zeiten, in denen diese Form auf Effekte hindrängt,<br />
die sich zwanglos erst bei einem veränderten technischen Standard, d.h. in einer<br />
neuen Kunstform ergeben. 2<br />
Benjamin bezog dies auf die Fotografie und besonders auf den Film.<br />
Heute kann das Zitat im Hinblick auf die CD-ROM verifiziert werden. Als<br />
konkretes Produkt steht sie hier stellvertretend für den gesamten Bereich<br />
der Neuen Medien. Gleichwohl stellt sie nur einen kleinen Ausschnitt<br />
daraus dar, allerdings jenen, der, was technische Reife, Zugänglichkeit und<br />
Benutzbarkeit betrifft, am weitesten vorangeschritten ist. Mit jeder Million<br />
neuer CD-ROM-Laufwerke läßt sich begründeter von einer neuen<br />
Form im Sinne der Benjamin’schen Kunstform sprechen.<br />
In der aktuellen Bildenden Kunst verstärkt sich seit gut fünf Jahren die<br />
Tendenz, in umfangreichen Kontexten zu arbeiten. Renée Green, Andrea<br />
Fraser, Fareed Armaly, Christian Philipp Müller, Regina Möller, Clegg &<br />
Guttmann, Peter Fend, Carsten Höller, Mark Dion, Stephan Dillemuth,<br />
Jason Rhodes – um wahllos nur einige zu nennen und gleichzeitig deutlich<br />
zu machen, daß es viele sind – lassen ihren Arbeiten eine Recherche<br />
1. Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit,<br />
Frankfurt am Main, 1977.<br />
2. Ebd., S. 36f.<br />
73<br />
artintact 2
74<br />
artintact 2<br />
nach Informationen vorausgehen oder erheben diese selber, um anschließend<br />
dieses Material für das Publikum zu inszenieren. Die Ansammlung<br />
von Informationen erreicht dabei einen solchen Umfang, daß kein<br />
Betrachter mehr alles rezipieren kann. Soweit es um Texte, Hefte oder<br />
Bücher, aber auch um Audioinformationen über Kopfhörer geht, kann<br />
zur gleichen Zeit meist jeweils nur ein Betrachter diese Informationen<br />
aufnehmen. Und kaum jemand liest oder hört genau dieselben Stellen wie<br />
der nächste, konzentriert sich auf die gleiche Interviewpassage, schaut<br />
sich dieselbe Videosequenz an, weiß im gleichen Umfang um die stillschweigend<br />
vorausgesetzten Zusammenhänge. Der Betrachter interagiert<br />
also mit dem Kunstwerk nach individuellem Gusto und zieht aus dem<br />
Informationspaket stets nur eine Teilprobe.<br />
Die Kunst provoziert damit eine unbefriedigende Situation, da das<br />
Kunstwerk Verästelungen und Verknüpfungen anbietet, die nur unter<br />
Mühen zu erfassen sind. Man fühlt sich jedoch genötigt, alles erfassen zu<br />
wollen, um wenigstens annähernd den Sinn der Arbeit zu begreifen und<br />
das Gefühl zu haben, sie beurteilen zu können. Regelmäßig bleibt der<br />
Eindruck zurück, etwas verpaßt zu haben, ein Detail nicht zur Kenntnis<br />
genommen zu haben, das vielleicht wesentlich gewesen wäre. So trifft den<br />
Künstler unterschwellig der Vorwurf, er würde ein unstrukturiertes und<br />
auch unerquickliches Sammelsurium anbieten. In Wirklichkeit hat seine<br />
Materialzusammenstellung sehr wohl eine Struktur, was ihr dagegen<br />
fehlt, ist das richtige Medium.<br />
Im Sinne des Benjamin’schen Zitates befindet sich die Kontext-Kunst<br />
der 90er Jahre in jenem Stadium, in dem ›für die volle Befriedigung die<br />
Stunde noch nicht gekommen ist‹, aber sie gleichwohl ›auf Effekte hindrängt‹,<br />
die sich ›zwanglos erst‹, mit der CD-ROM, ›in einer neuen Kunstform<br />
ergeben können‹.<br />
Der Effekt, auf den gezielt wird, der aber in der Ausstellungssituation<br />
nicht erreichbar ist, bildet jene vernetzte Materialfülle, die den Betrachter<br />
überfordert. Dies nicht zuletzt deshalb, weil ihm noch gar nicht bewußt
ist, daß dieses Angebot nicht vollständig studiert werden muß, sondern<br />
lediglich die Aufforderung zur individuellen Auswahl darstellt. Der Betrachter<br />
wird vor der Kunst zu einem ähnlichen Einzelrezipienten wie der<br />
Benutzer vor dem Computerbildschirm.<br />
Hat er das Material dagegen auf einer CD-ROM, könnte er sich sehr<br />
viel leichter und schneller, auch gezielter durch den mit Text, Bild, Sprache<br />
und Video gefüllten Datenraum bewegen. Die gewollte Struktur, jene<br />
Verknüpfungen, die bestimmte Assoziationen und Erlebnisse im Kopf<br />
des Benutzers auslösen, werden wirkungsvoller und zuverlässiger erreichbar<br />
als in einer Ausstellungssituation. Der Unterschied besteht in<br />
der Kunstform und genau dies macht wiederum die Akzeptanz beim<br />
Publikum aus.<br />
Benjamin weist vor 60 Jahren nach, daß die Dada-Bewegung oder der<br />
Surrealismus vom breiten Publikum nicht akzeptiert wurden, der Film<br />
allerdings sehr wohl: ›So muß dasselbe Publikum, das vor einem Groteskfilm<br />
fortschrittlich reagiert, vor dem Surrealismus zu einem rückständigen<br />
werden‹. 3 Picasso wird abgelehnt, Chaplin dagegen geliebt. Erklärbar<br />
wird dies dadurch, ›daß die Leistungen, die der Film vorführt, viel exakter<br />
und unter sehr viel zahlreicheren Gesichtspunkten analysierbar sind, als<br />
die Leistungen, die auf Gemälden oder auf der Szene sich darstellen‹. 4<br />
Auch die Kontext-Kunst der 90er Jahre wird von einem breiten Publikum,<br />
zu dem auch Galeristen und Museumsleute gehören, nur widerwillig<br />
rezipiert. Ihre Einordnung fällt genauso schwer wie ihr Konsum, man<br />
betrachtet sie nicht als logische Fortentwicklung der boomenden 80er<br />
Jahre. Gleichwohl ist ihre Stärke und Wichtigkeit spürbar. Denn sie, und<br />
nicht die Linie der Videoskulptur von Paik bis Lafontaine, symbolisiert<br />
jene Benjamin’schen ›kritische(n) Zeiten‹, die ›einem veränderten technischen<br />
Standard‹ vorausgehen.<br />
3. Ebd., S. 34.<br />
4. Ebd., S. 34f.<br />
75<br />
artintact 2
artintact 2<br />
76<br />
In der Kontext-Kunst der 90er Jahre wird der Betrachter nicht nur mit<br />
Material überfrachtet und auf eine individuelle Rezeption verwiesen, beides<br />
bei der CD-ROM positive Merkmale, sondern es lassen sich auch weitere<br />
Beobachtungen beschreiben, die aus dem falschen Medium heraus<br />
auf die richtige, die ›neue Kunstform‹ hindeuten. Ähnlich wie Benjamin<br />
dem Dadaismus bescheinigt, ›daß er die Marktwerte, die dem Film in so<br />
hohem Maße eignen, zugunsten bedeutsamerer Intentionen opfert‹ 5 , so<br />
kümmert sich auch der heutige Kontext-Künstler eher wenig um die<br />
Vermarktbarkeit seiner Arbeit, wenn nur seine Reise- und Produktionskosten<br />
halbwegs gedeckt sind, und die Einladung zu einem Symposium<br />
erfreut ihn mehr als der Verkauf einer Arbeit.<br />
Einher damit geht ein ausgeprägtes Interesse an Techniken und Ergebnissen<br />
aus dem wissenschaftlichen Bereich, die teilweise wieder in die<br />
künstlerische Arbeit einfließen. Auch diese Beobachtung findet sich<br />
schon bei Benjamin, wenn er dem Film prophezeit, eine seiner wichtigsten<br />
Funktionen werde sein, ›die künstlerische und die wissenschaftliche<br />
Verwertung der Photographie, die vordem meist auseinander fielen, als<br />
identisch erkennbar zu machen‹ 6 . Die CD-ROM als kleinste haptische Einheit<br />
der Neuen Medien hat ebenfalls die ›Tendenz, die gegenseitige<br />
Durchdringung von Kunst und Wissenschaft zu befördern‹. 7 Dies nicht<br />
zuletzt deshalb, da heute beide Seiten, die Kunst wie die Wissenschaft, mit<br />
denselben Computern und Programmen arbeiten, die ihnen dieselben<br />
Probleme bereiten. Eher am Rande sei bemerkt, daß viele Künstler mit<br />
ihren Computern versuchen, Texte zu produzieren und zu gestalten,<br />
während die Wissenschaftler daran interessiert sind, ihre Ergebnisse zu<br />
visualisieren. 8<br />
5. Ebd., S. 37.<br />
6. Ebd., S. 35.<br />
7. Ebd.<br />
8. Benjamin weist in einer Fußnote auf die historische Analogie in der Renaissancemalerei<br />
hin: ›Auch da begegnen wir einer Kunst, deren unvergleichlicher Aufschwung und
Doch auf welchem Stand ist die CD-ROM? Wie weit ist die schöne<br />
Aussage von Benjamin, ›wenn in der Lithographie virtuell die illustrierte<br />
Zeitung verborgen war, so in der Photographie der Tonfilm‹, 9 weiter gediehen?<br />
Haben wir es mit einem Bastard zu tun, so wie das Fernsehen einer<br />
ist, oder stehen wir ausgehend von Gutenberg, Senefelder und Daguerre<br />
vor dem Ergebnis der durch geschicktes Kreuzen erreichten<br />
idealen Medienzüchtung? Es existiert ein künstlerischer Film, kaum ein<br />
Fernsehen, wird eine künstlerische CD-ROM existieren?<br />
Die Frage kann mit Ja beantwortet werden, auch wenn die Beweislage<br />
noch etwas dürftig ausfällt. Denn selbst die Beiträge auf den artintact CD-<br />
ROMs behandeln jeweils nur Teilaspekte. Sie bedienen sich dieses Trägers,<br />
wurden aber adaptiert aus Installationen, um so auch für ein größeres<br />
Publikum sichtbar zu werden. Dies geschah so geschickt, daß der Benutzer<br />
es nicht bemerkt und selbst jener, der darum weiß, es schnell vergißt.<br />
Wenn wir uns durch den Wald von Tamás Waliczky bewegen, brauchen<br />
wir nicht die riesige Flugsimulatorplattform, das Blättern in einem realen<br />
Buch bei Flora petrinsularis von Jean-Louis Boissier (artintact 1) wird<br />
durch die Bewegung der Maus ersetzt, ohne daß die Arbeit an Intensität<br />
verliert. Die Kommunikation mit dem hinterhältig freundlichen Mädchen<br />
Luc Courchesnes ist vielleicht alleine am Computer sogar angenehmer<br />
als in einer Ausstellungssituation.<br />
Obwohl artintact ein Dokumentationsmedium ist, beweist sie ihre<br />
eigenständige Wirkungskraft, die sogar eine Überlegenheit andeutet.<br />
Denn dieselben Werke legen dem Benutzer in ihrer Ausführung als<br />
deren Bedeutung nicht zum wenigsten darauf beruht, daß sie eine Anzahl von neuen<br />
Wissenschaften oder doch von neuen Daten der Wissenschaft integriert. Sie beansprucht<br />
die Anatomie und die Perspektive, die Mathematik, die Meteorologie und die<br />
Farbenlehre‹. (a.a.O., S. 35.) Empfohlen sei zudem der Aufsatz ›Der Weg zur Welt im<br />
Kopf. Eine Kunstgeschichte der Medien – fast-forward‹ von Beat Wyss im Katalog<br />
RAM. Realität – Anspruch – Medien, S. 15–36, Auslieferung Buchhandlung Walther<br />
König, Köln 1995.<br />
9 Walter Benjamin, a.a.O., S. 11<br />
77<br />
artintact 2
artintact 2<br />
78<br />
Kunstinstallation gewisse Einschränkungen auf. Er muß sich zu einer<br />
bestimmten Zeit zu einem bestimmten Ort begeben, er ist nicht alleine, er<br />
wird beobachtet. Es ist so, als ob man Bücher nur öffentlich lesen könnte<br />
und jeder könnte beobachten, für welche Seiten man sich gerade interessiert.<br />
Das Kunstwerk CD-ROM stellt in seiner Handhabung wie das Buch<br />
etwas höchst Individuelles dar, vorgesehen für nur einen interagierenden<br />
Kopf und damit prädestiniert für den privaten Raum. Die Medieninstallation<br />
vor Ort verhält sich zur CD-ROM-Version wie das Kinoerlebnis zur<br />
Videokassette, nur daß die CD-ROM sehr viel mehr zu bieten hat.<br />
Innerhalb dieses Potentials untersuchen die Beiträge auf artintact 2<br />
isolierte Bereiche – das Bewegen im unendlichen Raum, das Erfassen des<br />
städtischen Raumes, die private Kommunikation mit einer simulierten<br />
realen Person –, die jeweils ein Kapitel in der Grammatik der neuen<br />
Kunstform CD-ROM bilden. Es sind künstlerische Forschungsergebnisse,<br />
die versuchen, in die Geheimnisse der interaktiven und multimedialen Semiotik<br />
vorzustoßen, die ihren Versuchsaufbau nun hinter sich lassen und<br />
mit der Publizierung in CD-ROM-Ausführung gleichzeitig ihren Nutzwert<br />
für gerade dieses Medium CD-ROM beweisen. Die Medienkunst ist<br />
die Forschungsabteilung für das Massenprodukt und die neue Kunstform<br />
CD-ROM. ›Der veränderte technische Standard‹ ist dabei inzwischen so<br />
weit fortgeschritten, daß zukünftige Entwicklungen auch gleich direkt in<br />
seiner Form stattfinden können und werden.<br />
Dabei wird ähnlich wie im Medium Buch nicht alles Kunst sein, aber<br />
es ist müßig, daß wir wieder einmal ›vielen vergeblichen Scharfsinn‹, um<br />
noch einmal Benjamins Worte aufzugreifen, in die Frage stecken, ob CD-<br />
ROM und Neue Medien nun Kunst seien, ›ohne die Vorfrage sich gestellt<br />
zu haben: ob nicht durch die Erfindung der Photographie‹, die wir hier<br />
durch CD-ROM ersetzen, ›der Gesamtcharakter der Kunst sich verändert<br />
habe‹. 10 Dies ist zweifellos der Fall, jedoch heute keinesfalls dramatisch,<br />
10. Ebd., S. 22.
da der Vorgang bereits begann, als der Ursprung aller Bilderzeugung, die<br />
Malerei und die Skulptur, erweitert wurden durch technische Medien.<br />
Die Veränderung des Gesamtcharakters Kunst geschieht seitdem nicht<br />
mehr schockartig, sondern in kleinen Wellen. Die CD-ROM ist eine solche<br />
Welle, genauso wie das Radio und das Fernsehen eine waren und das<br />
Internet eine ist. Die stetigen Wellen haben die Kunst immer mehr umspült,<br />
und so gewinnt die Meinung von Markus Lüpertz, daß es an der<br />
Zeit wäre, den Kunstbegriff wieder strikt auf Malerei und Skulptur zu<br />
begrenzen, durchaus Attraktivität.<br />
Man lasse einer solchen Kunst die Aura des Originals und eröffne in<br />
der Reihe der technisch reproduzierbaren Künste ein weiteres Forum für<br />
die CD-ROM. In Wirklichkeit ist dies längst geschehen, die Crux liegt<br />
darin, daß ein zweiter Begriff, der ähnlichen Wert und Nimbus wie das<br />
Wort ›Kunst‹ besitzt, nicht existiert. Doch gewinnt der Ausdruck<br />
›Medien‹ bereits eine integrierende Kraft, die ihn durchaus gleichwertig<br />
neben ›Kunst‹ erscheinen läßt. Die Diskussion über Qualität und Nichtqualität<br />
läßt sich sehr viel effektiver führen, wenn die CD-ROM nicht als<br />
neue Kunstform, sondern als neue Medienform betrachtet wird. Dies ist<br />
allerdings gleichbedeutend mit dem Eingeständnis, daß der jahrzehntelange<br />
Kampf um den Kunstcharakter der Fotografie ein Scheingefecht<br />
war. Der Begriff ›neue Medienform‹ für Fotografie ist vielleicht sogar<br />
noch stärker als lediglich eine ›neue Kunstform‹. Der Kunstcharakter<br />
kann zurückgegeben werden, was zählt ist der eigenständige Mediencharakter.<br />
Und einen solchen nimmt als bisherigen Höhepunkt in der<br />
Linie seit Erfindung der Fotografie die CD-ROM für sich in Anspruch.<br />
Doch was macht die Qualität der neuen Medienform CD-ROM aus? Als<br />
bekannt sei vorausgesetzt, daß sie erstaunlich viele Daten aller reproduzierbaren<br />
Medien speichern und interaktiv, also nonlinear, in erstaunlicher<br />
Schnelligkeit wieder ausgeben kann. Daß dies eigentlich noch<br />
immer nicht schnell genug geschieht, daß die Bildqualität zuweilen zu<br />
79<br />
artintact 2
artintact 2<br />
80<br />
wünschen übrig läßt, daß nicht jede Scheibe mit jedem System arbeiten<br />
möchte, all dies sei zudem als Kinderkrankheiten großzügig übersehen.<br />
Gesprochen wird auch nicht über technische Fragen. Es geht einzig um<br />
die Diskussion der inhaltlichen Qualitäten und die Kriterien ihrer Beurteilung<br />
gemessen an jenen Beispielen, wie sie dem Benutzer state of the<br />
art 1995 angeboten werden.<br />
Den bisherigen Produkten haftet noch ein verständlicher Hang zur<br />
Verwendung von bereits vorhandenem Material an und der Reiz liegt<br />
vor allem in der neuartigen Aufbereitung. Dies betrifft Werke wie den<br />
Beatles-Film A Hard Day’s Night, 11 bei dem sich zeitgleich zum Film das<br />
Drehbuch mitlesen läßt, oder Marvin Minsky’s Buch The Society of<br />
Mind12 , das vor allem durch seine mannigfachen Textverknüpfungen<br />
beeindruckt. Auch die zahlreichen CD-ROM über Museen und Kunstsammlungen<br />
orientieren sich stark an den bisherigen Techniken der<br />
Informationsaneignung und stellen vor allem einen riesigen elektronischen<br />
Zettelkasten dar, bei dem sich jeder Zettel bequem aufrufen läßt<br />
und logisch mit allen anderen Zetteln verknüpfbar ist. Aber auch hier<br />
kann man im Informationswust verlorengehen und interessante Details<br />
übersehen. Ein erstes wesentliches Kriterium für die CD-ROM ist somit<br />
ihre gewinnbringende Systematik in der Aufbereitung der Informationen.<br />
Die zur Zeit beste CD-ROM im Kunst-Bereich, jene über den<br />
Louvre13 , ist daher auch eher knapp in ihren einzelnen Kapiteln gehalten.<br />
Sie verweigert sich jedem Versuch, die Texte auszudrucken und setzt<br />
bewußt auf das gesprochene Wort. Dieses ertönt teilweise exklusiv, ist<br />
also nicht mitlesbar, sondern kann nur beliebig oft, natürlich gekoppelt<br />
mit visuellen Informationen, gehört werden. Wer möchte, kann sich<br />
11. The Beatles in A Hard Days Night, CD-ROM, Voyager, 1993.<br />
12. First person: Marvin Minsky – The Society of Mind, CD-ROM, Voyager, 1994.<br />
13. Le Louvre – peintures & palais, CD-ROM, Montparnasse Multimedia, 1994.
durch den Louvre klicken, ohne einen einzigen Text zu lesen. Weitere<br />
Feinheiten, wie zum Beispiel eine Vergrößerung des Bildes, die anstatt<br />
wie üblich statisch zu verharren, mit der Maus abtastbar ist, so daß die<br />
Hand den Blickwünschen des Auges vorauseilt, weisen ebenfalls auf eine<br />
nur der CD-ROM eigene Spezifik der Informationsvermittlung hin.<br />
Was hier auf der Fläche geschieht, ist bei anderen CD-ROM bereits im<br />
Raum möglich. Die Maus bestimmt die Blickrichtung, der Benutzer kann<br />
sich frei bewegen, um sich zum Beispiel in der neuen CD-ROM über die<br />
Barnes-Collection14 die gewünschten Bilder direkt von den Wänden zu<br />
holen oder zunächst einmal das ganze Gebäude zu erkunden.<br />
Es bedarf also einer völlig eigenen Kameraführung, wenn man Realität<br />
für die CD-ROM aufarbeiten möchte. Gefragt sind Panoramaszenen, die<br />
sich nicht nur in horizontaler Richtung, sondern auch vertikal durchfahren<br />
lassen, in deren Tiefe man einzoomen kann und die zudem von einem<br />
Raum in den anderen übergehen. Die CD-ROM ist ein raumabbildendes,<br />
ein raumschaffendes Medium, deren Qualität sich dadurch bestimmt, wie<br />
effektiv sich der Benutzer diesen Raum aneignen kann. Im animierten Bereich<br />
liegen dafür mit Werken wie Freak-Show15 , Myst16 oder der neuen<br />
P.A.W.S. 17 bereits stilbildende Szenarien vor.<br />
Ein weiteres dominierendes Merkmal der CD-ROM bildet die Möglichkeit,<br />
nach journalistischer Methode Zusammenhänge zu ordnen, um<br />
komplexe Sachverhalte effektiv zu präsentieren. So erscheint auf Doors of<br />
Perception 118 das Material einer zweitägigen Konferenz völlig subjektiv<br />
neu zusammengestellt. Es werden schlagwortartig Themenkomplexe wie<br />
›The book ist dead‹, ›New Media are good‹ oder ›Cyberspace will replace<br />
14. A Passion for ART – Renoir, Cézanne, Matisse and Dr. Barnes, CD-ROM, Corbis,<br />
1995.<br />
15. The Residents’ Freak Show, CD-ROM, Voyager, 1994.<br />
16. Myst, CD-ROM, Broderbund, 1994.<br />
17. P.A.W.S., CD-ROM, Voyager, 1995.<br />
18. Doors of Perception 1, CD-ROM, Mediamatic, 1994.<br />
81<br />
artintact 2
82<br />
artintact 2<br />
real space‹ angeboten, darunter ein Balken, der von rechts nach links das<br />
Meinungsspektrum von der Befürwortung bis zur Ablehnung anzeigt.<br />
Die Statements dazu kann man sich durch einfachen Mausklick holen.<br />
Das Interessante ist nun, daß es zu den jeweiligen Themen überhaupt<br />
keine Diskussion auf dem Symposium gegeben hat. Erst die Medienform<br />
CD-ROM machte diese Zusammenstellung möglich, indem sie ohne<br />
Rücksicht auf den ursprünglichen Kontext sich des Materials bedient.<br />
Gleichwohl gibt die CD-ROM Inhalt und Atmosphäre des Symposiums<br />
besser wieder als dies jeder zusammenfassende Kongreßbericht leisten<br />
könnte. In einem solchen Vorgehen liegen hohe Vermittlungschancen,<br />
allerdings erfordert es auch große Verantwortung im Umgang mit dem<br />
Material.<br />
Sehr viel freier kann sich bewegen, wer sein Material für die CD-ROM<br />
nach einem Drehbuch, einem interaktiven Script nur für diesen Zweck<br />
produziert oder beschafft. Die journalistische Methode wird zu einer literarischen.<br />
Material in nie gekannter Fülle wird in einem virtuellen Raumgebilde<br />
angeboten, über das der Benutzer subtil gesteuert anscheinend<br />
frei verfügen kann. So werden sich jene Lebensgefühle, die sich in der 20er<br />
Jahren adäquat in der Literatur spiegelten, in den 60er Jahren im Film,<br />
schon in Kürze über die neue Medienform CD-ROM in die Köpfe der Benutzer<br />
einbrennen. Die CD-ROM ist, neben vielem anderen, auch der ideale<br />
Roman der Kommunikationsgesellschaft.
83<br />
artintact 2
Blind Date im Cyberspace<br />
oder die sprechende Figur<br />
Von Jean Gagnon<br />
Luc Courchesnes Interesse gilt seit langem der Porträtkunst. Schon<br />
1982 – er studierte noch am Massachussets Institute of Technology – entstand<br />
das kurze fünfminütige Video Twelve of us, sein wohl bekanntestes<br />
Videoband, in dem verschiedene in der Halbtotale aufgenommene Personen<br />
versuchen, sich an die Geschichte von den drei Bären zu erinnern.<br />
Jede der Personen ist gefangen genommen von dem ihr eigenen Gesichtsausdruck<br />
und offenbart damit nicht nur die persönlichen Charakteristika<br />
ihres Gesichts, sondern auch die jeweiligen Strategien der Selbstdarstellung<br />
– gegenüber Courchesne, dem Videomacher und darüber hinaus<br />
auch gegenüber uns, den Betrachtern. Der Gesichtsausdruck verändert<br />
sich durch Intonation, Lachen, Kichern, usw. und gibt so in der Situation<br />
der Selbstoffenbarung vor der Kamera die innere Verfassung der Person<br />
wieder.<br />
In Twelve of us verwendete Courchesne ›sprechende Köpfe‹ und den<br />
anekdotenhaften Modus gesprochener Sprache. Dadurch deutete sich<br />
bereits in diesem Werk an, was in den interaktiven Porträts ins Zentrum<br />
rücken sollte: direkte Ansprache des Zuschauers, Dialog und Intersubjektivität.<br />
Er versuchte, verschiedene Aspekte einer Person sichtbar<br />
zu machen, indem er Kindheitserinnerungen wachrief und dadurch eine<br />
intime Verbindung zwischen sich und seinem Gegenstand, bzw. zwischen<br />
diesem und dem Betrachter herstellte, die auf der einfühlsamen Darstellung<br />
von Gesichtern, mündlicher Ausdruckskraft und kollektiven<br />
Erinnerungen basierte.<br />
So war es nur folgerichtig, daß Courchesne begann, sich mit interaktiven<br />
Porträts zu befassen. Er sagt selbst:<br />
Luc Courchesne: Portrait One, 1990/95. Screenshot.<br />
85<br />
artintact 2
artintact 2<br />
86<br />
Ich verwende Hypermedien, um Personen zu porträtieren. Das Porträt einer bestimmten<br />
Person ist die Beschreibung einer Begegnung zwischen ihr und dem Autor. Gemalte<br />
Porträts entstehen über einen längeren Zeitraum hinweg; aus diesem Grund sind sie konzeptueller<br />
als fotografische Porträts. In einem einzigen Bild konzentriert sich die viele<br />
Stunden dauernde Interaktion zwischen Maler und Modell. Die Fotografie hingegen stellt<br />
realistische Porträts her. Das Talent des Porträtfotografen besteht darin, abzuwarten und<br />
den richtigen Augenblick zu erhaschen, den Augenblick, in dem die Person die ganze<br />
Komplexität ihres Daseins ausdrückt. Im Warten auf diesen magischen Moment verbünden<br />
sich der Fotograf und sein Gegenstand. Meine Porträts bestehen aus der Aufzeichnung<br />
der gesamten Begegnung. Aus diesen Aufzeichnungen wird dann Material ausgewählt, um<br />
daraus eine interaktive Struktur zu erstellen, mit dessen Hilfe der Betrachter eigene<br />
Interviews führen kann. 1<br />
Courchesne bezieht sich hier vor allem auf seine Arbeit Family Portrait<br />
von 1993, in der der Gedanke der Begegnung im Mittelpunkt steht und<br />
die dem Betrachter einen Teil der ursprünglichen Begegnung zwischen<br />
dem Maler und den Personen, mit deren Porträts er interagieren kann, zur<br />
Verfügung stellt. Wie steht es dagegen mit dem früheren Werk Portrait<br />
One (1990), in dem wir einer fiktionalen Figur namens Marie begegnen?<br />
Ist die bruchstückhafte Dokumentation einer realen Begegnung wahrhaftiger<br />
als unser Gespräch mit einer fiktiven Person? In gewisser Weise<br />
muß die Antwort ›nein‹ lauten, denn beide Werke beruhen auf unserer<br />
subjektiven Anteilnahme, die für jede Form von Konversation und<br />
Dialog notwendig ist. Beide Arbeiten repräsentieren unsere subjektive<br />
Haltung, unser Sein für andere; sie rühren in uns, den Zuschauern, an die<br />
eigentlichen Grundlagen unserer Subjektivität.<br />
Interaktivität und Intersubjektivität<br />
Portrait One ist ein fiktionales Werk, eine abgegrenzte Begegnung mit<br />
einer Persönlichkeit. Aber im Gegensatz zu anderen interaktiven Arbeiten<br />
ist Portrait One nicht narrativ, wie vielschichtig es auch immer sein<br />
1. ›Family Portrait: The Art of Portraiture.‹ – Luc Courchesne: Interactive Portraits, ed.<br />
National Gallery of Canada, Ottawa, 1994, S. 3.
mag. Es ist so strukturiert, daß der Zuschauer sich mit Marie unterhalten<br />
kann. Durch seine Dialogstruktur beansprucht uns das Werk ebenso<br />
nachdrücklich wie eine ›wirkliche‹ Konversation. Es funktioniert auf<br />
vielen Ebenen, durch non-verbale Chiffren wie Gesichtsausdruck und<br />
Blickkontakt ebenso wie durch verbale Strategien, z. B. der direkten<br />
Anrede.<br />
Portrait One zu erfahren heißt, vereinfacht gesagt, Marie zu begegnen.<br />
Man muß sich auf die junge Frau einlassen, deren Gesicht wir auf dem<br />
Monitor sehen und sich mit ihr unterhalten. Eine andere Möglichkeit, das<br />
Werk zu erleben, gibt es nicht, denn ansonsten würde man sich lediglich<br />
einem statischen Bild gegenüber sehen, kaum belebter als eine Fotografie,<br />
allerdings in weit schlechterer Auflösung. Das Werk ist tatsächlich nur erfahrbar,<br />
wenn man innerhalb der Dialogsituation mit ihm interagiert.<br />
An dieser Stelle sollte ich die bisher verwendeten Begriffe ›Gespräch‹<br />
und ›Dialog‹ präzisieren. Bei der in Rede stehenden Begegnung ist unser<br />
Gegenüber eine Maschine – ein Videomonitor und eine computergesteuerte<br />
Videodisk (oder eine CD-ROM, wie in der vorliegenden Version). Daher<br />
ist das Gespräch oder der Dialog mit Marie natürlich kein wirkliches<br />
Gespräch und die Parameter der Unterhaltung – die Themen, über die wir<br />
reden können sowie die verschiedenen Wege, auf denen sich der Dialog<br />
entfalten kann – wurden vom Künstler vorbestimmt. Aber gleichzeitig<br />
setzt das Werk eine Form verbaler Interaktion in Gang, die viele Charakteristika<br />
des zwischenmenschlichen Austausches trägt. Wir bemerken<br />
zwei gleichzeitig existierende ›Subjekte‹, ein virtuelles (Marie) und ein reales<br />
(den Betrachter). Beide benutzen auf Personen weisende linguistische<br />
Zeichen wie die Pronomina ›Ich‹ und ›Du‹, die eine Äußerung markieren<br />
und kenntlich machen, und die zugleich, laut Francis Jacques2 , jeweils die<br />
wirklichen und virtuellen Personen des dialogischen Austausches sind.<br />
2. Francis Jacques, Dialogiques. Recherches logiques sur le dialogue, Presses Universitaire<br />
de France, Paris, 1979.<br />
87<br />
artintact 2
88<br />
artintact 2<br />
Während sich die Unterhaltung entfaltet, versuchen die Gesprächspartner<br />
durch sogenannte ›Co-Referenzen‹ eine gemeinsame Verständnisebene<br />
zu schaffen. Dafür bedienen sie sich situationsbezogener Indices,<br />
um sich auf den Gesprächskontext zurückzubeziehen. Diese Elemente<br />
können wir in der Tat auch in einem wirklichen Dialog zwischen zwei<br />
Personen finden.<br />
Portrait One unterscheidet sich natürlich erheblich von einem Fotografischen<br />
Porträt. Letzteres bezieht sich immer auf etwas Gewesenes<br />
und letztlich auf den Tod (Barthes), während Courchesnes interaktives<br />
Porträt nur in der Gegenwärtigkeit der Unterhaltung erfahrbar ist, obgleich<br />
es sich, wie wir sehen werden, auf die Vergangenheit beziehen<br />
kann, aber nicht wie auf etwas Gewesenes oder Totes, sondern eher wie<br />
auf etwas, das für immer in der Gegenwart der verbalen Interaktion stattfindet.<br />
Daher verlangt das interaktive Porträt nach mir, dem Gesprächspartner,<br />
und tatsächlich enthüllt es lange nicht so viel vom Porträtierten<br />
wie von mir, der ich mich auf die dialogische Dynamik des Austausches<br />
einlasse. Und daher ist es auch meine eigene subjektive Verortung, die sich<br />
in der Sprache vollzieht, in der sprachlichen Interaktion, im Aus/Tausch:<br />
indem ich mich außerhalb meiner Selbst stelle und die Position wechsele,<br />
indem ich sage, was ich sage und dadurch gegenüber meinem Gesprächspartner<br />
Stellung beziehe. 3 Dieser Aus/Tausch ist auch eine Überwindung<br />
meiner Egozentriertheit, da ich meiner selbst nur habhaft werden kann in<br />
der Begegnung mit einer anderen Person. Daher könnte man behaupten,<br />
der eigentliche Gegenstand von Courchesnes Portrait One sei ich selbst,<br />
der Betrachter.<br />
Subjektivität als Intersubjektivität zeigt sich als wesentlicher Kern<br />
dieser wie auch der folgenden Arbeit Family Portrait. Beide Werke beruhen<br />
auf Sprache und eignen sich daher für eine pragmatische Annäherung<br />
an subjektive Erfahrung. Was macht eine Person aus und was können wir<br />
3. Siehe François Flahault, La parole intermédiaire, Editions du Seuil, Paris, 1978.
über eine andere Person wissen? Gaston Bachelard schrieb, daß das Wissen<br />
über eine andere Person nur in dem besteht, was wir uns vorstellen.<br />
Dies faßt die ganze Bandbreite philosophischer Untersuchungen zu dieser<br />
Frage zusammen. Genauso war es eine der wichtigsten Entdeckungen<br />
der Psychoanalyse, daß Sprache, das gesprochene Wort, den Königsweg<br />
zum Unterbewußten bildet, und daß das Unterbewußte selbst wie eine<br />
Sprache strukturiert ist, um Jacques Lacans berühmtes Diktum zu zitieren.<br />
Wirklich offenbart sich eine Person, indem sie zu mir spricht – und<br />
selbst Descartes’ cogito (Ich denke, also bin ich) scheint sich auf eine tieferliegende,<br />
noch unreflektierte Dimension zu gründen: Ich rede, also<br />
denke ich. Viele Kritiker von Descartes’ brillanten Ausführungen über<br />
das cogito haben den darin enthaltenen Solipsismus hervorgehoben.<br />
Selbst phänomenologische Systeme wie das Sartres leiden daran, die Subjektivität<br />
von sich selbst auszuschließen, da von einer spiegelbildlichen<br />
Beziehung zwischen Ego und Alter ego ausgegangen wird, die auf dem<br />
Blick basiert, besonders in der Liebe.<br />
Das Interessante an Luc Courchesnes Arbeiten ist daher, daß sie Subjektivität<br />
als Intersubjektivität in den Rahmen verbaler Interaktionen<br />
stellen, Gespräch und Dialog, innerhalb der linguistischen Erscheinung<br />
des ›Ich‹. ›Ich‹ zu sagen bezieht sich zunächst auf einen diskursiven Akt,<br />
und erst in zweiter Linie auf den Sprecher. ›Ich‹ unterscheidet sich von<br />
einer anderen Person, dem ›Nicht-Ich‹, und vertritt innerhalb eines Satzes<br />
die Stelle des Subjektes der Aussage. Aber diese Situation kann umgekehrt<br />
werden, wenn der Adressat seinerseits ›Ich‹ sagt. Spätestens hier<br />
sehen wir, daß wir es nicht länger mit dem wohlabgerundeten Subjekt des<br />
cogito zu tun haben oder gar mit dem alles wahrnehmenden Subjekt des<br />
Kinos, sondern vielmehr mit einem fluktuierenden, fraktalen Subjekt im<br />
Aus/Tausch verbaler Interaktion. So wird der jeweils andere zur linguistischen<br />
Funktion innerhalb einer dialogischen Beziehung; das Erkennen<br />
des anderen ist eng mit der Sprachausübung verbunden, bei der beide, das<br />
Subjekt und der andere, beständig die Positionen aus/tauschen.<br />
89<br />
artintact 2
90<br />
artintact 2<br />
Fiktive Gespräche<br />
Aber natürlich ist Marie nicht real. Sie ist Bestandteil eines computergesteuerten<br />
Systems und der Zuschauer interagiert mit ihr, indem er mit<br />
Hilfe der Maus Fragen und Antworten auf dem Monitor auswählt. Die<br />
so geschaffene Dialogsituation fällt in die Kategorie des, nach Francis<br />
Jacques, ›spielerischen Kontextes‹, der eine Form ›verstümmelter Sprache‹<br />
darstellt, im Gegensatz zur ›wahren, aufrichtigen Sprache‹. In dieser<br />
Kategorie finden wir auch das paradoxe ›Ich‹ des Schauspielers und Rimbauds<br />
poetisches ›Ich ist ein anderer‹. Portrait One ist eine spielerische<br />
Repräsentation von Subjektivität als Intersubjektivität. Für den Betrachter<br />
besitzt es mehrere Objektivitätsebenen: die technologische Objektivität,<br />
die ihm die Apparatur entgegenstellt, die Objektivität der durch den<br />
Künstler vorprogrammierten lnteraktionsparameter, die ihm als Gesprächsteilnehmer<br />
zunächst unbekannt sind, die er aber während des<br />
Spiels mit dem System kennenlernen kann. Diese Objektivität gleicht der<br />
Objektivität eines Spiels, das sich durch seine Regeln von den alltäglichen<br />
Handlungen und Verhaltensweisen unterscheidet. Die Spieler müssen<br />
sich den Regeln unterordnen, um spielen zu können und sobald einer von<br />
ihnen mogelt, funktioniert das Spiel nicht mehr. Bei Portrait One muß<br />
man bereit sein, sich dem spielerischen Aspekt des Gesprächs zu beugen.<br />
Portrait One ist, anders als das dokumentarische Family Portrait, fiktional.<br />
Es ist wichtig, den fiktionalen Aspekt des Gesprächs hervorzuheben,<br />
denn er läßt auf, um es noch einmal zu sagen, den spielerischen Charakter<br />
der Sprache alltäglicher Situationen schließen. Die Art und Weise<br />
des fiktionalen Gesprächs steht dem ernsthaften Modus alltäglicher<br />
Handlungen und sozialer Verhaltensweisen entgegen. Das Muster der<br />
ernsthaften Sprache basiert auf Wahrhaftigkeit, dem Garant für die notwendige<br />
Kontinuität sozialer Zusammenhänge. Es basiert auf der Anerkennung<br />
von Rationalität und Effizienz. Neben diesem ernsthaften<br />
Modus des Alltäglichen gibt es die völlig andere Welt der Einbildungskraft:<br />
Tagträume, Spiel, Fiktion, Märchen, Mythen, Witze und ähnliches
mehr. All diese Dinge ermöglichen spezifische Modifikationen unserer<br />
Beziehung zur alltäglichen Realität. So konstituieren der Modus des<br />
ernsthaften Gesprächs und die dabei verwendeten Typen verbaler Interaktion<br />
Realität und konstruieren unsere auf praktische Ziele ausgerichtete<br />
Alltagsrealität. Die Modi des spielerischen Gesprächs weichen vom täglichen<br />
Gebrauch der Sprache – normal und normativ – ab, um eine Flucht<br />
in imaginäre Welten, in denen das Vergnügen herrscht, zu ermöglichen.<br />
Innerhalb dieses Modus’ ist das telos täglicher Leistungsfähigkeit von<br />
Sprache außer Kraft gesetzt, um einer anderen Art von Beziehung zur<br />
Realität und zum anderen Platz zu machen.<br />
Für das Gespräch läßt sich Fiktionalität wie folgt bestimmen: Fiktionalität<br />
ist ein ›Modus der Interaktion, d.h. ein Aspekt der Strukturierung<br />
verbaler Interaktionen in Bezug auf den realitätskonstituierenden Interpretationsakt<br />
des Sprechers‹ 4 . Realität darf nicht als objektiv gegebene<br />
Tatsache betrachtet werden, die durch die Sprache lediglich registriert<br />
wird, sondern sie besteht vielmehr aus einer ganzen Reihe situationsbedingter<br />
Tatsachen, die auf verschiedenartigen Annahmen und Kenntnissen<br />
beruhen, welche ihrerseits von persönlichen und allgemeinen<br />
Wertschätzungen und Intentionen beeinflußt sind. Diese Realitätskonstruktion<br />
manifestiert sich in der Auswahl bestimmter situationsrelevanter<br />
Objekte und Sachlagen. Daher kann eine Handlung (und so auch eine<br />
Sprachhandlung) nur in einem komplexen Kontext verstanden werden.<br />
Fiktion ist kontextkonstituierendes Handeln.<br />
Wenn wir einige Dialogbeispiele aus Portrait One betrachten, können<br />
wir feststellen, daß sowohl die wirkliche Person des Betrachters wie auch<br />
die virtuelle Person Maries unentwegt versuchen, einen entsprechenden<br />
Kontext für ihr Gespräch herzustellen. Als erstes versuchen sie, sich<br />
4. Pierre Bange, ›Une modalité des interactions verbales: Fiction dans la conversation.‹ –<br />
DLRAV. Revue de linguistique, Nr. 34/35, Centre de recherche de l’Université de Paris<br />
VIII, 1986, S. 215.<br />
91<br />
artintact 2
92<br />
artintact 2<br />
selbst zu identifizieren; wer sie sind und welche gemeinsamen Interessen<br />
sie haben könnten. Wenn Marie oder der Betrachter nicht zufrieden sind,<br />
so können sie sich abwenden. Dabei spielt Marie beständig auf ihre eigene<br />
Situation als virtuelles Wesen an:<br />
Sie gefallen mir auch. Leider ist es sehr schwer für mich, vorauszuplanen. Ich habe keine<br />
Zukunft! Ich bin nicht wie Sie …<br />
Ich habe nur meine Vergangenheit. Die Zeit ist für mich stehengeblieben an dem Tag, an<br />
dem ich geworden bin, was ich jetzt bin.<br />
Weil ich ein Porträt bin. Mein wirkliches Dasein ist anderswo.<br />
Aus diesen Ausschnitten können wir ersehen, daß Marie ihre eigene<br />
Situation in der fortdauernden Gegenwart der Vergangenheit ansiedelt,<br />
die jedesmal neu aktualisiert wird, wenn sie einen Dialog beginnt. Dasselbe<br />
gilt für ihren Gesprächspartner, der zugehörige Kontext ist der von<br />
Eingeschlossenheit in eine genau bestimmte Gegenwart. Es ist schwierig,<br />
alle möglichen Dialoge dieses Werkes nachzuzeichnen, aber dennoch sind<br />
die möglichen Kombinationen und Wege nicht unbegrenzt. Aber für den<br />
Betrachter und Gesprächspartner ist die Situation sowohl eine sichere<br />
(ich spreche mit einer vorprogrammierten Person, die nur in der Vergangenheit<br />
lebt und keine Zukunft besitzt) als auch eine ungewisse (ich kann<br />
nicht im voraus wissen, wohin mich meine Auswahl von Fragen und<br />
Antworten führen wird).<br />
Marie ist auch eine Verführerin und weiß das. Aber wie sie selbst sagt:<br />
Es stimmt, daß man Angst haben kann! Angst, geliebt zu werden. Die Liebe des anderen,<br />
die uns bedroht... Sehen Sie... ich könnte Ihnen sagen, daß ich Sie liebe … Ich liebe Sie!<br />
Aber inwieweit bindet mich das? Sie... haben Sie keine Angst?<br />
Mit mir ist es zu einfach. Ich kann nur die unmögliche Liebe sein, ein Umweg, der ohne<br />
Risiko das Verlangen erfüllt.<br />
Was zunächst jenen sogenannten erotisch-pornografischen CD-ROMs ähneln<br />
könnte, die mit den Simulacra der Intimität angefüllt sind, wird hier
dekonstruiert, indem Marie selbst auf die Leere des risikolosen Begehrens<br />
hinweist, das sie auslöst. Im virtuellen Kontext dieser Gesprächssituation<br />
– und hierin besteht der fiktive Teil des Spiels – bleiben illokutionäre Äußerungen<br />
folgenlos. Die Äußerung ›Ich liebe Dich‹ bedeutet Stellung zu<br />
beziehen und damit zu riskieren, daß der andere sich abwendet. Eine solche<br />
Äußerung hat eine illokutionäre Kraft, die die intersubjektive Stellung<br />
der Gesprächspartner untereinander verändert. Aber hier geht natürlich<br />
niemand irgendein Risiko ein:<br />
Ja, aber bei mir bleibt Ihre Geste leider ohne Folgen. Würden Sie sich genauso verhalten<br />
gegenüber der Person, die neben Ihnen steht?<br />
Es stimmt, daß ich unerreichbar bin – und daß Sie mich nicht ändern können. Aber schauen<br />
Sie sich doch die Leute um Sie herum an: sind sie so anders als ich? Sind sie erreichbar?<br />
Einige glauben, daß es unmöglich ist, mit jemand anderem in Verbindung zu treten … daß<br />
es eine großartige Illusion ist.<br />
Ich will Ihnen sagen, was ich denke: die anderen sind ganz nah und doch sind sie weit weg!<br />
Die schöpferischste Geste ist die, die zum Nächsten führt. Eine solche Geste ist niemals<br />
nutzlos. Verbindungen entstehen. Kinder werden geboren. Handlungen werden in Gang<br />
gesetzt, Systeme aufgebaut. All das wegen einer Geste, eines Wortes. Es ist verrückt! Wir<br />
sind das Produkt dieser zwischenmenschlichen Geste … und sie muß auf ewig wiederholt<br />
werden.<br />
Hier berührt Marie eine ethische Frage. Durch das von ihr repräsentierte<br />
leere Verlangen und die Art der Beziehung, die wir zu ihr haben können,<br />
zwingt sie uns, über die Authentizität unserer Anteilnahme und Verantwortung<br />
für Beziehungen im weiteren Rahmen des sozialen Zusammenlebens<br />
nachzudenken. Francis Jacques schreibt: ›Die Realität<br />
einer anderen Person kann nur dem problematisch werden, der sich seiner<br />
Verpflichtung nicht bewußt ist‹ 5 , der Verpflichtung zu Gegenseitigkeit<br />
und Reaktion, in unserem Falle der Verpflichtung zu spielen. Luc Courchesne<br />
stellt die wichtige Frage, wie wir anderen in der telekommuni-<br />
5. Francis Jacques, a.a.O., S. 17.<br />
93<br />
artintact 2
94<br />
artintact 2<br />
kativen Umgebung begegnen können und wie wir uns selbst, durch andere,<br />
begegnen können in einem virtuellen Umfeld wie dem der CD-ROM<br />
oder, allgemeiner gefaßt, im Umgang mit digitalen Medien, die uns zunehmend<br />
umgeben.<br />
In letzter Konsequenz stellt Courchesnes Werk die Frage nach der<br />
Bedeutung der sozialen Gemeinschaft. Eine hochmediatisierte Gesellschaft<br />
wie die unsere ist durch große Einsamkeit gekennzeichnet. Denn<br />
Einsamkeit bedeutet nichts anderes als das Risiko zu scheuen, sich in der<br />
Begegnung mit anderen aus/zutauschen und statt dessen die sichere<br />
Virtualität mediatisierter Begierden und Fantasien vorzuziehen: blind<br />
dates im Cyberspace anstelle der Begegnung von Angesicht zu Angesicht.<br />
Übersetzung: Welf Kienast
9595<br />
artintact 2
Lovers Leap – Den Sprung wagen:<br />
Einstiegspunkte … Ausgangspunkte<br />
Von Timothy Druckrey<br />
Der Begriff ›sehen‹ macht einen wirren Eindruck, weil wir uns vom Sehen als Ganzem<br />
nicht genug verwirren lassen. 1 Ludwig Wittgenstein<br />
I.<br />
Die Entwicklung der Fotografie basiert auf zwei zentralen Voraussetzungen:<br />
Zum einen der Gedanke, die Bildproduktion würde eine feste<br />
Beziehung zu den Ereignissen herstellen; zum anderen der Glaube, die<br />
Wahrnehmung des Bildes würde den Betrachter mit dem zeitlichen Raum<br />
des ursprünglichen Augenblicks kurzschließen. Beide könnten sich als<br />
Mythen entpuppen, wenn sie kritischer Überprüfung ausgesetzt werden,<br />
und beide könnten sich als falsch erweisen, wenn das Bild in seine Entstehungsbedingungen<br />
zurückversetzt wird. Heute wissen wir, daß das<br />
fotografische Bild aus einer Reihe weit komplexerer Beziehungen besteht,<br />
als uns eine rein historische Analyse glauben machen will. Obwohl<br />
das Bild in der Zeitlichkeit wurzelt, wird es durch eine Verbindung zu<br />
fortdauernden Ereignissen bestimmt, die mit bloßer Dialektik nicht ausreichend<br />
erkannt werden kann. Das diskursive Moment – das sich in dem<br />
Moment etabliert, in dem die Welt abgebildet wird – ist nicht auf Subjekt<br />
und Objekt beschränkt, sondern erstreckt sich eher auf einen Prozeß, in<br />
dem Subjekt und Objekt innerhalb eines Repräsentationssystems vermittelt<br />
dargestellt werden.<br />
Nicht zufällig entwickelten sich Fotografie, Technologie und<br />
1. Ludwig Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, Frankfurt am Main, 1967, S.234.<br />
Miroslaw Rogala: Lovers Leap, 1994/95. Screenshot.<br />
97<br />
artintact 2
98<br />
artintact 2<br />
Modernität auf parallelen Pfaden. Die industrielle Revolution und der<br />
Aufstieg des bürgerlichen Wirtschaftssystems verbanden Repräsentation<br />
sowohl mit den materiellen Gütern als auch mit der Beherrschung der<br />
Natur. Mehr als ein bloßes Zeugnis, bildet das Archiv der abgebildeten<br />
Erfahrung, durchkreuzt vom versteinerten Erinnern der Fotografie,<br />
eine Art dynamische Archäologie. Auf eine derart vom Bildkonsum<br />
berauschte Kultur scheint die Charakterisierung des 19. Jahrhunderts als<br />
einer ›Diktatur des Augenscheins‹, wie Martin Jay behauptet, oder als<br />
vom ›Wahn des Sichtbaren‹ besessen, wie Jean Louis Comolli vorschlägt,<br />
auf höchst bestürzende Weise zuzutreffen, jedenfalls was die Beziehung<br />
von Visuellem und Intelligiblen angeht. Es ist zu einer zunehmenden<br />
Verschmelzung von Wissen und Identität mit der Erfahrung von Repräsentation<br />
gekommen.<br />
Innerhalb der Moderne wies Repräsentation zugleich auf Fragen der<br />
Kontrolle und der Macht. In den zwingenden Darstellungen von Walter<br />
Benjamin, George Orwell, Michel Foucault, Martin Heidegger, Edward<br />
Said und vielen anderen erscheinen Bild, Wort, Technologie, Archiv und<br />
Imperialismus eingebettet in die Kontrollstrukturen, die in den Technologien<br />
der Repräsentation wurzeln. Kontingent, episodisch, komprimiert<br />
und zugleich in Echtzeit eingebettet, zwang die Fotografie die Kultur,<br />
ihrem eigenen Dasein als einem historisch-spezifischen und zeitlich<br />
bedingten gegenüberzutreten. Mit der Weiterentwicklung von Technologien<br />
der Reproduzierbarkeit nahm auch die Bedeutung des ›Sichtbarmachens‹<br />
zu. Was aufgezeichnet werden konnte, konnte auch kontrolliert<br />
werden. Empfindung und ihre Überwachung waren wie Szylla<br />
und Charybdis der Repräsentation. Die Beurteilung dieser gegensätzlichen<br />
Beziehung gehört zu den Hauptaufgaben der Fotografiegeschichte.<br />
Wie dieses Problem sich in der sogenannten Post-Fotografie<br />
entwickelt, ist entscheidend, um das Wesen des Bildes in der digitalen<br />
Kultur verstehen zu können. Wirklich gilt es, wie Edward Said schrieb,<br />
›jene Systeme der Repräsentation auszuschalten, die eine unterdrücke-
ische Autorität befördern, da sie jeden Eingriff von Seiten des Repräsentierten<br />
unterbinden beziehungsweise keinen Raum dafür lassen‹. 2<br />
Traditionelle Modelle der Repräsentation scheinen aufgrund ihrer<br />
Rückbezüglichkeit auf und ihrer Anhängigkeit an analoge Beziehungen<br />
zur materiellen Welt jede Wirksamkeit verloren zu haben. An ihre Stelle<br />
tritt die Faszination für das Digitale, das Künstliche, Simulierte und Virtuelle.<br />
Es macht den Eindruck, als könne die Fotografie den Ansprüchen<br />
einer elektronischen Kultur nicht länger genügen; aber angesichts einer<br />
so gänzlich in optische Metaphern versunkenen Erfahrung ist diese<br />
Annahme trügerisch. Die Beschleunigung der Bilder ändert heutzutage<br />
weit mehr als nur die Grundvoraussetzungen für eine optische Epistemologie,<br />
sie setzt nämlich eine kritische Betrachtung in Gang, deren Interesse<br />
mehr der Erkenntnis als der Wahrnehmung gilt. Es scheint an der<br />
Zeit zu sein, die Fotografie jenseits der engen Begrifflichkeiten von<br />
Ästhetik, Erinnerung, Empfindung oder Phänomenologie grundlegend<br />
neu zu orientieren. Das Bild müßte weniger als Signifikat betrachtet werden<br />
denn als Ereignis. Die Idee des Bildes als Ereignis hält zwar an der<br />
entscheidenden Verbindung von Fotografie und Wahrnehmung fest,<br />
erweitert aber seine Berechtigung als lediglich Beschreibendes, indem sie<br />
zum Ausdruck bringt, daß ein Bild auf Erfahrung beruht. Plötzlich<br />
könnte man sich unter der Steuerung des Bildes mehr vorstellen als eine<br />
Untersuchung seiner Bedeutungsträger, nämlich einen dynamischen Prozeß,<br />
in dem das Festhalten des Augenblicks selbst eine Erweiterung erfährt.<br />
Bei allem Trara um Simulation und Künstliche Welten bleibt die<br />
Theorie noch Rechenschaft schuldig über die Wirksamkeit des Bildes als<br />
Erfahrung. Und obwohl die Faszination an Technologien, die vollständige<br />
Immersion ermöglichen, oft munter über Übergangsphänomene<br />
hinwegsehen läßt, bleibt es eine Tatsache, daß die Möglichkeiten der<br />
2. Edward Said, ›The Imperialism of Representation, the Representation of Imperialism.‹<br />
– Wedge Nr. 7/8, New York, 1985, S. 5.<br />
99<br />
artintact 2
artintact 2<br />
100<br />
Fotografie noch keineswegs erschöpft sind – schon gar nicht im Falle ihrer<br />
Aufnahme in die Domäne des Digitalen. Hier ist vor allem die von<br />
Paul Virilio aufgezeigte Unterscheidung von Simulation und Substitution<br />
interessant und insbesondere die Anerkennung des Bildschirms – sei es<br />
von Fernseher oder Computer – als ›drittes Fenster‹.<br />
II.<br />
Die Welt hat ihre Hauptwurzel verloren, das Subjekt kann nicht einmal mehr Dichotomien<br />
konstruieren, sondern gelangt zu einer höheren Einheit, einer Einheit der Ambivalenz<br />
oder Überdeterminierung in einer Dimension, die zu der des Objekts immer als<br />
Ergänzung hinzukommt. […] Man könnte ein solches System Rhizom nennen. [...] das<br />
Rhizom, das eine Karte und keine Kopie ist. […] Es ist vielleicht eine der wichtigsten<br />
Eigenschaften des Rhizoms, immer vielfältige Zugangsmöglichkeiten zu bieten. 3<br />
Deleuze & Guattari<br />
Miroslaw Rogala beschreibt das Erlebnis von Lovers Leap (Sprung der<br />
Liebenden) in zweifacher Weise. Zum einen als jenen Augenblick, in dem<br />
sich ihm folgender Gegensatz aufdrängte: ›Auf einer Reise von Chicago<br />
nach Jamaica besuchte ich einen Ort namens »Lovers Leap« (ein legendärer<br />
Schauplatz tragischer Liebe – solche Orte gibt es überall auf der<br />
Welt). Dort stand eine militärische Radaranlage und suchte den Himmel<br />
ab. Diese tatsächliche Überraschung bewirkte auch einen konzeptuellen<br />
Sprung.‹ 4 Vereinigung und Entfremdung treffen in dem Augenblick aufeinander,<br />
in dem Gefühl und Technik miteinander in Beziehung treten.<br />
Zum anderen wird Lovers Leap als ›Bewegung in der Perspektive‹ beschrieben,<br />
als ein Projekt, in dem das Bild als Einstiegspunkt fungiert.<br />
Man könnte hier über eine ausgefeilte elektronische Geometrie spekulie-<br />
3. Gilles Deleuze, Felix Guattari, Kapitalismus und Schizophrenie – Tausend Plateaus,<br />
Berlin, 1992, S. 15f., 23f.<br />
4. Miroslaw Rogala, Prace Multimedialne/Multimedia Works, Ausstellungskatalog, Hrsg.<br />
Galeria Arsenal, Bialystok, 1995, unpaginiert.
en, bei der nicht-euklidische Turnübungen in einem computerisierten<br />
Environment ausgeführt werden. Aber Lovers Leap ist in der Tradition<br />
der Fotografie verwurzelt. Sein ›Raum‹ ist keineswegs virtuell. Seine Bilder<br />
sind nicht statisch. Es handelt sich um ein Ereignisbild, ein dynamisches<br />
System, in dem Bewegung und Perspektive zusammenhängen –<br />
nicht als ein Kriterium in der Tradition des statischen Beobachters, sondern<br />
als eine Folge der Neustrukturierung der Erfahrung von Perspektive<br />
als etwas Interaktives. Lovers Leap sieht im Bild eine Herausforderung an<br />
die objektive Geschichte linearer und flächiger Geometrie, indem es die<br />
Begegnung mit dem zufälligen und subjektiven Nebeneinander der Erfahrung<br />
in Betracht zieht. Indem es die Logik des Bildes als feste Form<br />
mißachtet, nutzt Lovers Leap es als Forschungsstätte. Es fällt bei diesem<br />
Werk sogleich auf, daß hier das Bild eine umfassende Ansicht eines<br />
Gegenstandes bieten kann, und zwar durch das Angebot der Partizipation.<br />
Eine der einzigartigen Möglichkeiten interaktiver Formen liegt eben<br />
in diesem Moment, da die Passivität der Betrachtung von der Notwendigkeit<br />
zum Handeln überwunden wird. So wird eine neue Art des Verstehens<br />
erforderlich, die sowohl generierend als auch analytisch vorgeht.<br />
Außerdem wird ein neues Verständnis von Subjektivität erforderlich, das<br />
sowohl der Reflexivität des Bildes als auch dem dadurch ausgelösten<br />
Verhalten Rechnung trägt. Aber die eigentliche Bedeutung interaktiver<br />
Medien besteht in der Ausweitung des Handelns auf die Gestaltung des<br />
Narrativen. In der Verbindung von räumlichen und narrativen Formen<br />
dramatisiert Lovers Leap den Augenblick, ohne dabei auf die einfachen<br />
Verknüpfungsmechanismen von Hypermedien zurückzugreifen. Statt<br />
dessen wird die Räumlichkeit zu einer Sphäre des Handelns und das Bild<br />
zu einem Ort der Reflexion.<br />
Durch die Koppelung des Bildes mit seiner Benutzung impliziert Lovers<br />
Leap mehr als es wiedergibt. Innerhalb des Bildes liegt eine Abfolge von<br />
teils kontrollierbaren, teils unkontrollierbaren Möglichkeiten. ›Dies<br />
101<br />
artintact 2
artintact 2<br />
102<br />
kommt auch‹, wie Rogala anmerkt, ›in der Liebe vor‹ 5 . In dieser neuen<br />
Ordnung von Repräsentation sind Metapher und Eingriffsmöglichkeit<br />
aufs Innigste verknüpft. Sich im Bild zu befinden bedeutet, sich innerhalb<br />
einer Abfolge von Bedingungen zu befinden, die reflexiv sind und sich<br />
gleichzeitig weiterentwickeln. Jede Nuance des Bildes erweitert die Bedeutung.<br />
Sehen wird, ganz wie Bewegung, durch Begehren hervorgerufen.<br />
›Was ist das aber für ein Begehren,‹ fragt Lacan, ›das sich in dem Bild<br />
fängt, sich im Bild festmacht – es aber ebenso motiviert, indem es ja den<br />
Künstler dazu bewegt, etwas, und was, ins Werk zu setzen.‹ 6 Die Inversion<br />
des Subjekts, bedingt durch die interaktive Geste, verlangt eine neue<br />
Form des Nachdenkens über die Stellung des Subjekts. ›Es ist ein strukturelles<br />
Faktum, wenn nicht ein struktureller Effekt, daß der Mensch, wenn<br />
er sich der symbolischen Ordnung fügt, schon von Anbeginn mit seinem<br />
ganzen Sein in ihr aufgeht und von ihr hervorgebracht wird, nicht als<br />
»Mensch«, sondern als Subjekt.‹ 7 In Lovers Leap ist man Gegenstand<br />
eines Spiels unkalkulierbarer Möglichkeiten, wie man seinerseits das Bild<br />
zum Gegenstand unabschließbarer Untersuchungen macht.<br />
›Augen lügen nicht/Sie sind, wohin sie wandern‹ 8 , schrieb Rogala in<br />
einem Gedicht zu seinem interaktiven Theaterprojekt Nature Is Leaving<br />
Us (1989). Das Schreckgespenst der Technik überwältigt in dieser Arbeit<br />
die Fähigkeit zur Reflexion. Rogala schreibt über dieses komplexe Video-<br />
Theaterstück, daß es ›aus der gleichzeitigen Aufrufung sich widerstrebender<br />
Rhythmen zusammengesetzt ist: eine Panorama-Polyphonie aus Urbanität<br />
und Natur, die zur Metapher für die Gleichzeitigkeit von<br />
5. Ebd.<br />
6. Jacques Lacan, Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse, Freiburg im Breisgau, 1978,<br />
S. 99.<br />
7. Hubert Damisch, The Origins of Perspective, Cambridge, 1994, S. 20.<br />
8. Nature Is Leaving Us, A Video Opera by Miroslaw Rogala, Programmheft, The<br />
Goodman Studio Theatre, Chicago, 1989, unpaginiert.
Erfahrungen im modernen Leben wird‹ 9 . Beschleunigung der Erfahrung<br />
ohne Beschleunigung der Reflexion. Nature Is Leaving Us ist Lob und<br />
Tadel gleichermaßen. Seine Botschaft liegt in dem Ungleichgewicht von<br />
Information und Sein. Ausgehend von, wie Paul Virilio es nennt, ›Vektoren<br />
der Darstellung, die im elektronischen Interface das Reich der Empfindungen<br />
berühren‹, fragt er: ›Wie können wir unseren eigenen Augen<br />
nicht mehr trauen und dann so widerstandslos den elektronischen Vektoren<br />
der Darstellung Glauben schenken?‹ 10 Indem der Satz ›Nature is<br />
leaving us‹ metaphorisch in Lovers Leap aufgerufen wird, wird er zum<br />
Ausdruck der Affinität von Wahrnehmungsmechanismen und Bewußtsein,<br />
von Beständigkeit der Wahrnehmung und Unbeständigkeit des Zufalls,<br />
von Technik und Liebe. Durch die Ausweitung dieser Beziehungen<br />
transformieren die Fragen, die im Spielen mit den Bildern von Lovers<br />
Leap aufgeworfen werden, die ›Phänomenologie der Perzeption‹ in eine<br />
Phänomenologie der Rezeption. Und sobald der Vorgang des Sehens<br />
eines Bildes nicht mehr mit Begriffen der Übereinstimmung, sondern des<br />
Verhaltens beschrieben wird, ist auch der ›Sprung‹ aus den Grenzen der<br />
Materialität des Bildes in das Reich des Erkennens getan. Interaktivität<br />
basiert überhaupt auf der Verwirklichung von Erfahrung durch bewußte<br />
Lenkung. Dies wird auf zwei Wegen erreicht.<br />
Lovers Leap verwendet die von Ford Oxaal neu entwickelte Software<br />
Mind’s EyeView 11 sowie ein 12-D-Design Environment von Ludger<br />
9. Miroslaw Rogala, Darrell Moore, ›Nature Is Leaving Us: A Video Theatre Work.‹ –<br />
Leonardo, Vol. 26, Nr. 1, MIT Press, Cambridge, 1993, S. 18.<br />
10. Paul Virilio, The Lost Dimension, Semiotext(e), New York, 1991, S. 52.<br />
11. Lovers Leap hätte ohne die enge Zusammenarbeit mit Ford Oxaal und Ludger<br />
Hovestadt nicht realisiert werden können. Ford Oxaal studierte bis 1979 an der<br />
University of Maryland (Bachelor of Science in Wirtschaftswissenschaften) und bis<br />
1992 am Rensselaer Polytechnic Institute in Troy, New York (Master of Science in<br />
Computerwissenschaften). Sein Hauptinteresse gilt der Geometrie, Philosophie und<br />
Malerei; seit 1975 Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet der Geometrie visueller<br />
Wahrnehmung, woraus Mind’s-Eye-View entwickelt wurde. Seine Studien be-<br />
103<br />
artintact 2
104<br />
artintact 2<br />
Hovestadt12 , um innerhalb des fotografischen Bildes ein Ereignis zu einer<br />
Umgebung werden zu lassen, durch die man navigieren kann. Zwei Fotografien,<br />
die mit einem Fischaugen-Objektiv aufgenommen wurden, erlauben<br />
zusammengesetzt einen Rundumblick von 360˚. Das digitalisierte<br />
Bild ist Einstiegspunkt in eine Erfahrung, die auf der Möglichkeit beruht,<br />
krummlinige Perspektiven als Prozeß wiederzugeben. Das Bild wird tatsächlich<br />
zu einer Geometrie, in die man eintauchen kann, so daß Traditionen<br />
wie z.B. der festliegende Betrachterstandpunkt in Bewegung geraten.<br />
Das einzelne Bild, das so lange als abgeschlossene Form betrachtet wurde,<br />
offenbart neue Möglichkeiten, vielleicht im Sinne des ›physiologischen<br />
Raums‹, von dem Ernst Cassirer gesprochen hat, oder auch einer psychologischen<br />
Optik. Die Verbindung von psychologischen mit mathematischen<br />
Raumkonzepten wirft die wichtige Frage auf, in welcher Hinsicht<br />
Bilder in der Lage sind, Bedeutung zu generieren. Dieser Raum könnte als<br />
eine Erzählform aufgefaßt werden, in der die Beschaffenheit des Augenblicks<br />
episodisch und von unentrinnbarer Gleichzeitigkeit ist. Im narrativen<br />
Raum ist man paradoxerweise Benutzer und Beobachter zugleich.<br />
Lovers Leap als Installation benutzt Mind’s Eye View als Orientierung<br />
innerhalb eines Koordinatensystems. Die Projektion des Bildes<br />
funktioniert über ›drei Parameter: Brennweite, Blickrichtung und Auswahl<br />
der Perspektive, die zwischen der traditionellen Perspektive und<br />
dem vollen 360˚-Blick variieren kann‹. 13 Jeder Stelle im Koordinatensy-<br />
inhalteten ebenso experimentelle großformatige Ölgemälde wie das Erproben geometrischer<br />
Theoreme und die Entwicklung von Unix-Software.<br />
12. Ludger Hovestadt studierte bis 1987 Architektur in Aachen und Wien. Seit 1987<br />
Grundlagenforschung am Institut für industrielle Bauproduktion der Universität<br />
Karlsruhe. 12-D-Design Environment ist das Ergebnis dieser Grundlagenforschung<br />
auf den Gebieten Architektur, CAD und Künstliche Intelligenz. Mit ihm können komplexe<br />
Gebäude in Gruppenarbeit entworfen und betrieben werden: die geplanten oder<br />
gebauten Gebäude werden durch virtuelle Gebäudekomponenten erweitert<br />
13. Miroslaw Rogala, ›Lovers Leap – Interactive Installation‹, unveröffentlichtes<br />
Manuskript, 1994.
stem entspricht eine Bildfolge, die mit deren Variablen verbunden ist. In<br />
der Installation verschmelzen Körper und Auge, die Geste verwandelt<br />
das Bild. Dieser verkörperte Raum basiert nicht nur auf den Möglichkeiten<br />
des einzelnen Bildes, sondern auch auf den Augenblicken, in denen<br />
die räumliche Erzählung von Episoden in Bild und Ton des tatsächlichen<br />
Ortes ›Lovers Leap‹ in Jamaika unterbrochen wird. Diese Augenblicke<br />
lassen die Grenzen zwischen Ort, Technik und Erwartung hinfällig werden<br />
und verlagern durch die Einführung von Diskontinuitäten den<br />
Schwerpunkt weg vom analytischen Bild. In Lovers Leap erinnert der Zufall<br />
daran, daß die Begegnung mit Technologie ebenso zu einem Zusammenstoß<br />
mit Heisenbergs Unschärferelation wie zu einem Rendezvous<br />
mit Repräsentation führt.<br />
Die vorliegende CD-ROM-Adaption betont mehr als die physikalische<br />
Verwandlung die kognitive. Die Bewegung des Auges läßt die des Körpers<br />
weit hinter sich, während das Bild durch die Bewegungen der Maus<br />
verändert wird. Jedoch tut dies der Logik des Werks keinen Abbruch.<br />
Vielmehr wird die Aufmerksamkeit vom Sehen zur Geste gelenkt. Der<br />
materielle Raum wird durch das Interface ersetzt. Der Bildschirm, selbst<br />
geometrischer Rahmen, überträgt das Bild als Projektionsraum. Kartographie<br />
und kognitive Verortung fallen zusammen. Darüber hinaus<br />
drängt die Version für den kleinen Monitor die theatralische Distanz der<br />
Installation in ›das dritte Fenster‹, einen Raum, in dem, wieder Virilio<br />
zitierend, ›das, was dem Auge als ein Nichts erschien, zu einem »Etwas«<br />
wird, und die größte Entfernung Erkenntnis nicht mehr ausschließt‹. 14<br />
14. Paul Virilio, a.a.O., S.41.<br />
105<br />
artintact 2
artintact 2<br />
106<br />
III.<br />
Die Stadt ist übervoll: Sie wiederholt sich, damit irgendetwas im Gedächtnis haften bleibt<br />
[...]. Das Gedächtnis ist übervoll: Es wiederholt die Zeichen, damit die Stadt zu existieren<br />
beginnt [...]. Der Katalog der Formen ist endlos: Solange nicht jede Form ihre Stadt gefunden<br />
hat, werden immerfort neue Städte entstehen. 15 Italo Calvino<br />
Jedes Instrument in einem Katalog wissenschaftlicher Geräte kann ein Sinnesorgan<br />
sein […]. 16 Norbert Wiener<br />
Calvinos Fabel und die Theorie von Wiener. Mensch-Maschine-Schnittstelle<br />
und die neugefaßte Funktion des Geschichtenerzählens sind verwandte<br />
Phänomene, die für die Entwicklung einer Begrifflichkeit auf dem<br />
Gebiet der interaktiven Medien von Bedeutung sind. Denn wenn das Problem<br />
von Raum und Dauer den Diskurs der Moderne geprägt hat, so sind<br />
die einander bedingenden Probleme von Interface und Erzählung in der<br />
Postmoderne Anzeichen einer wesentlich komplizierteren Situation.<br />
Überkommene Traditionen im Bereich der Öffentlichkeit, der Soziologie<br />
der postindustriellen Welt, der diskreten Präsenz sind einer Form verstreuter<br />
Einbettung – oder besser: Versenkung – des Selbst in die mediale<br />
Landschaft der Tele-Kultur gewichen, in der es kommunikative Praktiken<br />
zu entwickeln gilt, deren Grenzen nicht im materiellen Raum verzeichnet<br />
sind. Die neuen Medientechnologien entwerfen dagegen eine<br />
Geografie der Erkenntnis, der Rezeption und der Kommunikation; diese<br />
entstehen auf Gebieten, deren Stofflichkeit flüchtig, deren räumliche Situierung<br />
ungewiß ist, und deren Präsenz sich eher am Grad der Teilnahme<br />
als an Übereinstimmungen des Ortes bemißt.<br />
Die Erfahrbarkeit der Medien muß von einer erneuerten Theorie der<br />
Beziehung von Rezeption und Repräsentation begleitet werden. Die<br />
Frage nach der Bedeutung von Technologie für die Kreativität geht über<br />
15. Italo Calvino, Die unsichtbaren Städte, München, 1984, S. 24f., S. 161.<br />
16. Norbert Wiener, Mensch und Menschmaschine, Frankfurt am Main, 1952, S. 22.
loße verfahrenstechnische Probleme hinaus. Formen der Erfahrung und<br />
Formen der Erkenntnis können nicht mehr so leicht theoretisiert – geschweige<br />
denn ausgedrückt – werden. Dies in Verbindung mit der Entwicklung,<br />
wenn man so sagen kann, post-optischer Technologien zur<br />
Bildwahrnehmung macht klar, daß digitale Medien mehr als nur neue<br />
Techniken der Repräsentation liefern. Eine umfassende Beschreibung<br />
muß notwendigerweise die schnell veränderlichen Technologien der digitalen<br />
Medien berücksichtigen und die Zufälligkeit der Form als bestimmendes<br />
Prinzip annehmen. Gleichzeitig wird die Fähigkeit, einen algorithmischen<br />
Zusammenhang von Realem und Symbolischen zu denken,<br />
zur Herausforderung für die gesamte Geschichte des Bildermachens.<br />
Die Fotografie ist in Lovers Leap ein Absprungspunkt. Die verwickelten<br />
Beziehungen von Raum und Ein- oder Mehrfach-Perspektive, die<br />
Entwicklung unterschiedlicher Verfahren zur Darstellung krummliniger<br />
Perspektiven, die Fähigkeit des Computers, Geometrie darzustellen, der<br />
Rollenwechsel von Betrachter und Teilnehmer sowie das eher spekulative<br />
Modell vom Raum als Erzählung konvergieren und divergieren gleichzeitig<br />
– Information und Symbolik treffen aufeinander. In der Simulation,<br />
als Sequenz oder als Datenfeld, kann die Information Formen annehmen,<br />
die bewirken, daß das Einzelbild nicht mehr zur Erinnerung eines Ereignisses<br />
dienen kann, sondern daß die Ereignisse selbst als komplexe Anordnung<br />
von Erfahrung, Intention und Interpretation erscheinen. In diesem<br />
Sinne sind die elektronischen Texte eher nicht-linear und kinetisch als<br />
linear und potentiell. Das Bild bietet Übergänge an, nicht Auflösung. Um<br />
es noch treffender zu beschreiben, Lovers Leap formuliert das Problem<br />
der Unterscheidung zwischen physikalischem und visuellen Raum neu,<br />
indem beide miteinander verschmolzen werden: als Erfahrung und interaktiv.<br />
Das Bild der Stadt, der Bedeutungsträger des Gedächtnisses, die<br />
Technologie der Repräsentation: diese Metaphern der Geografie, des<br />
Bewußtseins und der Visualisierung stehen im Herzen von Lovers Leap.<br />
An seiner Peripherie befindet sich ein anderer Einstieg.<br />
107<br />
artintact 2
108<br />
artintact 2<br />
Coda<br />
Der ›unübersetzbare‹ Schlußsatz von Edward Tuftes herrlichem Buch<br />
Envisioning Information:<br />
Perhaps one day high-resolution computer visualizations, which combine slightly abstracted<br />
representations along with a dynamic and animated flatland, will lighten the laborious<br />
complexity of encodings – and yet still capture some worthwhile part of the subtlety of the<br />
human itinerary. 17<br />
Übersetzung: Welf Kienast (Mitarbeit Gerald Wildgruber)<br />
17. Edward Tufte, Envisioning Information, Chesire, Ct., 1990, S. 119.
109<br />
artintact 2
Tamás Waliczky: Der Wald<br />
Von Anna Szepesi<br />
Als unseres Lebens Mitte ich erklommen<br />
Befand ich mich in einem dunklen Wald,<br />
Da ich vom rechten Wege abgekommen.<br />
Wie schwer ist’s, zu beschreiben die Gestalt<br />
Der dichten, wilden, dornigen Waldeshallen,<br />
Die, denk ich dran, erneun der Furcht Gewalt!<br />
Kaum bittrer ist es in des Todes Krallen;<br />
Des Guten wegen, das er mir erwies,<br />
Bericht ich, was im Wald sonst vorgefallen.<br />
Dante, Die Göttliche Komödie,<br />
Erster Gesang, Vers 1–9<br />
Das Werk mit dem Titel Der Wald besteht aus drei Fassungen. Die erste<br />
Version ist eine viereinhalbminütige Computeranimation, die zweite eine<br />
interaktive Installation, die dritte schließlich ist die CD-ROM-Version, die<br />
mit artintact 2 vorgestellt wird. Alle drei Variationen des Werkes ähneln<br />
einander, die visuelle Ebene setzt sich jeweils aus den gleichen Grundelementen<br />
zusammen, aber die ihnen zugrundeliegende Struktur ist unterschiedlich,<br />
entsprechend den technischen Eigenheiten der verwendeten<br />
Medien. Den drei Arbeiten gemeinsam ist der schwarz-weiße, neblige, in<br />
alle Richtungen sich ausdehnende Wald, die visuelle Ausdrucksform der<br />
Ausweglosigkeit.<br />
Die vorliegende Studie möchte den Lesern die wichtigsten Stadien der<br />
künstlerischen Entwicklung Tamás Waliczkys aufzeigen und natürlich<br />
das Kunstwerk Der Wald vorstellen.<br />
Tamás Waliczky wurde in Ungarn geboren und verbrachte seine<br />
Kindheit in einem kleinen Dorf in Südungarn in der Nähe der jugoslawischen<br />
Grenze. Aufgrund dieser geografischen Lage konnte man dort das<br />
jugoslawische Fernsehen besser empfangen als das ungarische, ein wichti-<br />
Tamás Waliczky: Der Wald, 1993/95. Screenshot.<br />
111<br />
artintact 2
112<br />
artintact 2<br />
ger Punkt, weil Zagreb in den 60er und 70er Jahren eine Hochburg der<br />
Animation war und im Fernsehen sehr viele Trickfilme gesendet wurden.<br />
Ihrer Wirkung ist es zuzuschreiben, daß Waliczky als Neunjähriger begann,<br />
Trickfilme herzustellen. Aus technischen Gründen konnte der Ton<br />
der Fernsehsendungen nicht empfangen werden, so daß Waliczky die<br />
Zeichentrickfilme bis zu seinem vierzehnten Lebensjahr stumm gesehen<br />
hat. Vielleicht liegt hierin der Grund, daß seine Animationen in erster<br />
Linie visuelle Werke sind und die Musik – wenn auch oft ein wichtiges<br />
Gestaltungselement – immer nachträglich zum Bild hinzutritt. Seine<br />
frühen Zeichentrickfilme hat er nicht vertont, auch unter den späteren<br />
Computeranimationen sind stumme zu finden (z.B. Computer Mobiles –<br />
Human Motions, 1987). Die Wirkung der Zeichentrickfilme zeigt sich in<br />
der Anziehung, die zweidimensionale Figuren auf den Künstler ausgeübt<br />
haben. In den späteren Werken sehen wir zwar, daß er virtuos dreidimensionale<br />
Räume aufbaut, aber die Dreidimensionalität steht bei ihm immer<br />
in Anführungszeichen, so daß wir eigentlich eher von zweieinhalb als von<br />
drei Dimensionen sprechen sollten. In seinen Animationen greift das Verhältnis<br />
von Figur und Hintergrund oft auf traditionelle Lösungen des<br />
Zeichentrickfilms zurück.<br />
Nach seiner frühen Beschäftigung mit Trickfilmen lernte Waliczky<br />
autodidaktisch zeichnen und malen. Später hat er drei Jahre im Zeichentrickfilm-Studio<br />
Pannonia in Budapest gearbeitet, aber viel mehr als die<br />
gewerbeübliche Trickfilmproduktion interessierte ihn die Malerei. In<br />
seinen großformatigen Ölgemälden ging es ihm darum, einzelne Gegenstände<br />
oder Menschengestalten unter möglichst sparsamer Verwendung<br />
von darstellerischen Mitteln in ihrer Wesenhaftigkeit zu erfassen. Im Jahr<br />
1988 entsteht auf der Grundlage vergleichbarer Prinzipien die erste<br />
dreidimensionale Computeranimation mit dem Titel Is there any room<br />
for me here? In diesem Videofilm in Schwarzweiß bildet er unter sparsamer<br />
Ausgestaltung der Räumlichkeit eine nächtliche Wohnung mit<br />
ihren Möbeln ab. Mit sensiblen Licht-Schatten-Effekten, die an die Präg-
nanz des Pinselzuges chinesischer Tuschezeichnungen erinnern, hebt er<br />
die Gegenstände aus dem dunklen Hintergrund hervor. Die puritanische<br />
Schönheit der Formen und Bewegungen wird durch eine Cellosuite von<br />
Bach akzentuiert.<br />
Wir gehen nun an den Anfang der 80er Jahre zurück: 1983 verläßt<br />
Waliczky den traditionellen Trickfilmbetrieb und beginnt in einem Softwarestudio<br />
zu arbeiten, in dem vor allem Computerspiele auf amerikanische<br />
Bestellung entwickelt werden, aber auch Software für grafische<br />
Animation. Die verborgenen Möglichkeiten, die in den Computeranimationen<br />
stecken, beginnen ihn zu interessieren, zumal technische Apparaturen<br />
und Möglichkeiten ihn immer schon faszinierten. Die Lieblingslektüre<br />
seiner Kindheit war z.B. das Taschenbuch des Amateurfilms, das<br />
sich unter anderem mit Makrofotografie und der Berechnung von Brennweiten<br />
beschäftigte.<br />
Der Computer wurde über die Möglichkeiten des Geldverdienens<br />
hinaus ein Werkzeug künstlerischen Experiments. Um das Jahr 1987<br />
entstanden die ersten Computeranimationen, die Computer Mobiles, auf<br />
einem Atari 520 ST Homecomputer. Die Programmierer des Softwarestudios<br />
halfen ihm bei der Entwicklung der jeweiligen Software. Alle<br />
späteren Animationen basieren auf ganz oder zumindest teilweise für das<br />
jeweilige Werk individuell entwickelter Software. In seinen ersten Arbeiten<br />
hat Waliczky die Möglichkeit beschäftigt, daß der Ataricomputer aufgrund<br />
seiner Speicherkapazität in der Lage ist, eine bis zu vier Sekunden<br />
lange Animation endlos wiederzugeben. Die Stücke der Computer Mobiles<br />
betitelten Reihe bestehen aus solchen endlosen Sequenzen, aber auch<br />
für spätere Arbeiten ist die Aneinanderreihung von längeren und kürzeren<br />
Sequenzen charakteristisch.<br />
In einem der schönsten Mobiles mit dem Titel Balance hat Waliczky<br />
aus den digitalisierten Fotos einer männlichen und einer weiblichen<br />
Gestalt eine in der Senkrechten endlose Komposition zusammengestellt.<br />
Die beiden in akrobatischen Bewegungen erstarrten Gestalten helfen,<br />
113<br />
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114<br />
artintact 2<br />
bremsen oder ziehen sich gegenseitig, und diese zirkusartige Aufführung<br />
wird von der langsam nach oben schwenkenden Kamera verfolgt. Die<br />
kalligrafische Zeichnung dieser Komposition, ihre Vertikalität, wird<br />
wiederkehren in der Konzeption der Bäume, die die Animation des<br />
Waldes konstituiert. In der Serie Computer Mobiles tauchen bereits viele<br />
der künstlerischen und technischen Fragen auf, die in späteren Arbeiten<br />
wiederkehren und für Waliczkys Œuvre charakteristisch sind. So zum<br />
Beispiel das Prinzip der Farbanimation, wo durch Farbwechsel der Eindruck<br />
von Bewegung erreicht wird. Diese Wirkung können wir auch in<br />
den beiden Mobiles Wasservogel und Weinende Frau entdecken. Die<br />
technischen Lösungen, die hier gefunden wurden, ermöglichen wiederum<br />
erst die spezielle Gestalt der Bäume und anderer Hintergrundelemente in<br />
der Animation The Garden.<br />
Nachdem die Serie der Mobiles abgeschlossen ist, arbeitet Waliczky<br />
1988 an der fünfminütigen Computeranimation Pictures. Aus verschiedenen<br />
Fotos aus einem Familienalbum, die digital bearbeitet werden, entsteht<br />
eine virtuelle Bilderreise: eine fiktive Kamera vergrößert einzelne<br />
Details des ersten Fotos und mit jeder Vergrößerung wird ein neues Bild<br />
generiert. So werden immer weiter zurückliegende Momente aus der Geschichte<br />
eines Lebens erkennbar. Das erste und das letzte Bild der Animation<br />
sind identisch, der Kreis schließt sich und die Geschichte endet.<br />
1989 verfaßt Waliczky ein Manifest zur elektronischen Kunst, das er<br />
auf dem Festival Ars Electronica in Linz vorträgt (wo seine Grafik Grammophone<br />
mit der Goldenen Nica des Prix Ars Electronica ausgezeichnet<br />
wurde) und später auch auf der Imagina in Monte Carlo. Das Manifest<br />
wird im Katalog der ungarischen Ausstellung Digitart II abgedruckt.<br />
Waliczky berührt darin viele Fragen, die ihn auch in seinen späteren<br />
Arbeiten beschäftigen:<br />
Wenn wir schon mit dem Computer ein dreidimensionales Modell erstellt und an jenem<br />
dem menschlichen Gehirn bisher nicht zugänglichen Erlebnis teilgehabt haben, vor einem<br />
zweidimensionalen Monitor zu sitzen und zu sehen, daß wir eine Statue geschaffen haben,
und zwar dergestalt, daß sich diese Statue im Raum in alle Richtungen ausdehnt, eine<br />
Oberfläche, Masse, Farbe hat und das Licht entweder reflektieren oder absorbieren kann,<br />
mit anderen Worten in jeder Hinsicht eine wirkliche Statue ist und nur eben nach herkömmlicher<br />
Auffassung nicht existiert, dann wird uns bewußt, daß wir uns in einer neuen<br />
Welt so weit vorgewagt haben, daß das Festhalten an traditionellen Begriffen nur noch<br />
kleinliche Haarspalterei sein kann.<br />
Die neue Produktionsweise verändert die Dramaturgie.<br />
Das Verhältnis von Zuschauer und Künstler muß neu definiert werden, da wir vom eindimensionalen<br />
Geschichtenerzählen abweichen.<br />
Die computerbestimmte Bewegung kennt weder Anfang noch Ende. Es gibt keinen Film,<br />
keinen Zelluloidstreifen von meßbarer Länge und keinen Metallträger. Warum halten wir<br />
also an jenen Gewohnheiten fest, die die technische Beschränkung von Filmspule und<br />
Videoband mit sich gebracht haben?<br />
Das Drehbuch zu der Animation The Garden entstand 1991. Die Idee<br />
dazu lieferte eine alte, mehr als ein Jahrzehnt zuvor entstandene Filmaufnahme<br />
auf Super-8, auf der ein kleines Mädchen versunken in einem<br />
dörflichen Garten spielt. In dieser Animation wollte Waliczky die große<br />
Aufmerksamkeit und Entdeckerfreude, mit der ein kleines Kind seine<br />
Umwelt beobachtet, ebenso nachzeichnen wie die Zuneigung, die wir<br />
einem Kind gegenüber verspüren können. Zur Veranschaulichung dieser<br />
Kraftlinien hat Waliczky eine neue Art von Perspektive entwickelt: das<br />
Wassertropfen-Perspektivsystem. Dieses System weicht ab von dem seit<br />
der Renaissance gültigen Perspektiv-Gedanken, für den der Bildbetrachter<br />
der wichtigste Faktor ist, da sich ihm die dargestellte Welt eröffnet und<br />
er mit seiner Betrachtung das Bild vollendet. Das Spiegelbild seines<br />
Betrachterstandpunktes stellt jenen Fluchtpunkt dar, an dem alles<br />
verschwindet. Die Ordnung der Wassertropfen-Perspektive dagegen<br />
gestaltet jeden Gegenstand vom Standpunkt des kleinen Kindes aus, das<br />
sich im Raum bewegt. Wenn sich das Kind einem Gegenstand nähert, vergrößert<br />
sich dieser, wenn es sich entfernt, wird er kleiner. Diese Wirkung<br />
ist für alle Punkte im Raum gültig; dadurch werden die Gegenstände ver-<br />
115<br />
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116<br />
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zerrt, die ganze Welt ist kugelförmig und hat das kleine Kind als Mittelpunkt.<br />
Alles hängt ab von seinen Bewegungen, die gezeigte Welt ist seine<br />
eigene Welt. Der Betrachter steht außerhalb dieser Welt und sieht den<br />
Traum eines anderen.<br />
Im synthetischen Raum spielt ein eineinhalbjähriges Kind, dessen<br />
Gestalt der Künstler aus 16mm-Filmaufnahmen digitalisiert hat. Die<br />
Bewegungsabläufe des Kindes wurden im Computer analysiert, Bild für<br />
Bild bearbeitet und im Mittelpunkt des Gartens plaziert. Das Kind bleibt<br />
immer gleich groß und immer im Mittelpunkt des Bildes.<br />
Der von einer Kamera aufgenommene ›wirkliche‹ Darsteller innerhalb<br />
einer computergenerierten Welt ist ein vielfach wiederkehrendes<br />
Element in den Werken von Waliczky. Zum ersten Mal taucht dieses Motiv<br />
(neben vielen anderen) in der Serie Human Motions (oder: Computer<br />
Mobiles) auf, und zwar in der Animation Wheel. Eine digitalisierte und<br />
animierte männliche Gestalt aus einer der Fotoserien von Eadweard<br />
Muybridge läuft ununterbrochen in einem computergenerierten, dreidimensionalen<br />
Rad. Seine Bewegungsenergie wird vollständig dazu benötigt,<br />
das Rad in Gang zu halten.<br />
Die Arbeit an The Garden begann in Ungarn, das Video entstand dann<br />
in Deutschland mit Unterstützung des Zentrums für Kunst und Medientechnologie.<br />
Waliczky war zunächst als Stipendiat, ab 1993 als Mitarbeiter<br />
des Instituts für Bildmedien am ZKM. Alle nach The Garden entstandenen<br />
Arbeiten, wie z. B. Der Wald, der sich zeitlich anschließt,<br />
entstanden in den Studios des ZKM.<br />
Die erste Fassung von Der Wald entstand als Computeranimation. Der<br />
Anblick des dargestellten Waldes erweckt in uns die Vorstellung eines<br />
dreidimensionalen Raumes, dessen Bauelemente aber zweidimensional<br />
sind. Ausgangspunkt ist die Schwarzweiß-Zeichnung eines kahlen Baumes.<br />
Wie zuvor schon erwähnt, ist dieser Baum direkter Nachfahre des<br />
Balance betitelten Mobiles, das sich aus der kalligrafischen Zeichnung
von menschlichen Gestalten zusammensetzt. Man könnte den Wald auch<br />
als eine lange vertikale Komposition bezeichnen, die endlos abläuft. Die<br />
Wirkung der Endlosigkeit entsteht durch die Möglichkeit grenzenloser<br />
Auf- und Abwärtsbewegungen – für den Betrachter scheint es, als würde<br />
die Kamera sich entsprechend bewegen, ohne allerdings jemals die Baumkronen<br />
oder den Boden zu erreichen. Diese Bewegung der Bäume ist die<br />
erste Bewegungsrichtung der Animation. Die zweidimensionale Zeichnung<br />
des Baumes hat Waliczky vervielfältigt und auf dem Seitenmantel<br />
durchsichtiger Zylinder plaziert. In der Animation steckt hinter dem visuellen<br />
Eindruck des endlosen Waldes nichts anderes als diese sich aus<br />
kleineren und größeren Zylindern zusammensetzende Konstruktion.<br />
Zwischen den Zylindern ist eine virtuelle Kamera plaziert, die uns Bilder<br />
des Waldes liefern kann. Die Kamera ist viel kleiner als der kleinste Zylinder.<br />
So erhalten wir durch das Bild der Kamera keine Informationen darüber,<br />
daß sich die Bäume, die wir auf dem Bild sehen, nicht auf unterschiedlichen<br />
Ebenen hintereinander, sondern auf gewölbten Zylindermänteln<br />
befinden. Wenn sich diese (aus der Perspektive der Kamera riesigen)<br />
Zylinder zu drehen beginnen, entsteht im Betrachter die Empfindung,<br />
daß die Kamera nach rechts oder links schwenkt. Das ist die zweite Bewegungsrichtung,<br />
die Bewegung der Zylinder. Auch die virtuelle Kamera<br />
hat ihre Eigenbewegung: sie kann sich auf einer kreisförmigen Bahn vorwärts<br />
oder rückwärts innerhalb des Waldes bewegen – die dritte Bewegungsrichtung.<br />
Durch die Mischung der drei Arten von Bewegung sind<br />
Bewegungen in alle Richtungen möglich (z.B. diagonal, spiralförmig<br />
usw.). Mit dieser Struktur verändert Waliczky das Koordinatensystem,<br />
das die Grundlage räumlicher Darstellung bildet. Während normalerweise<br />
den drei Richtungen (x, y, z) gerade Vektoren entsprechen, verwendet<br />
Waliczky in seinem eigenen Koordinatensystem in sich selbst zurückkehrende<br />
Bögen, womit er das Gefühl von Unendlichkeit vermittelt: im<br />
Betrachter entsteht die Empfindung, daß aus diesem Wald, der in alle<br />
Richtungen unendlich ist, kein Weg herausführt. Die kahlen Bäume dre-<br />
117<br />
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118<br />
artintact 2<br />
hen sich kaleidoskopartig nebeneinander. Die Illusion ist vollkommen<br />
und zutiefst erschreckend: die Unendlichkeit des Blickes zeitigt Perspektivlosigkeit.<br />
Der Ton, der die Animation begleitet – Eisenbahngeräusche und Gesang<br />
(eine weibliche Stimme singt das deutsche Kinderlied Grün, grün,<br />
grün) – akzentuiert das Surreale der Bildebene und die Empfindung von<br />
Einsamkeit. Nach Abschluß der Animation auf Video begann Waliczky<br />
zusammen mit Jeffrey Shaw und Sebastian Egner an der zweiten, der<br />
interaktiven Variante des Werkes Der Wald zu arbeiten. Die Animation<br />
wird zum Teil einer interaktiven Installation: Grundlage bildet ein Flugsimulator,<br />
dessen Cockpit durch eine einfache Plattform ersetzt wurde,<br />
auf der sich ein Sessel und ein großer Monitor befinden. Der Betrachter<br />
kann selbst mit Hilfe der Steuerung (in Form eines Joysticks, der sich auf<br />
der Armlehne befindet) die Richtung seiner Bewegung im Wald, der auf<br />
dem Monitor gezeigt wird, bestimmen. Der Flugsimulator reagiert entsprechend,<br />
so daß Beschleunigung, Verlangsamung oder Richtungswechsel<br />
im Raum körperlich empfunden werden kann. Für diese Version hat<br />
Sebastian Egner, der die Programmierung und Steuerung der Plattform<br />
entwickelte, eine neue Bildkonstruktion entworfen, da die auf Zylindern<br />
beruhende Lösung sich aus technischen Gründen hier nicht eignete. In<br />
der neuen Version befinden sich die Zeichnungen der Bäume nicht auf<br />
Zylindermänteln, sondern sie sind im Innenraum eines riesigen Würfels<br />
nach dem Zufallsprinzip angeordnet. Die Kamera bewegt sich im Würfel<br />
entsprechend der Steuerung des Betrachters frei in alle Richtungen. Wenn<br />
die Kamera einen Rand des Würfels erreicht, findet sie sich zwar theoretisch<br />
in einem neuen Würfel wieder, in dem es dieselben Bäume gibt, tatsächlich<br />
tritt sie aber, von der entgegengesetzten Seite kommend, wieder<br />
in den gleichen Würfel ein. So wirkt auch dieser Raum unendlich.<br />
In der vorliegenden CD-ROM-Version hat Waliczky die Struktur der<br />
interaktiven Variante des Werkes Der Wald mit wenigen Abweichungen,
die aufgrund der Eigenheiten des anderen Mediums notwendig wurden,<br />
verwendet. Eine wesentliche Modifikation besteht darin, daß die verwendeten<br />
Farbtöne weiter reduziert wurden. Technisch war dies deshalb<br />
notwendig, weil die geringere Farbinformation eine höhere Projektionsgeschwindigkeit<br />
bedeutet und für Waliczky ein größeres Bildformat und<br />
weichere Bewegungen wichtiger waren als viele differenzierte Grautöne.<br />
An Stelle der Schwarzweißfotografien ähnelnden Welt der ursprünglichen<br />
Bilder mit vielen Abstufungen in Grau verwendet er hier nur reines<br />
Weiß und Schwarz, was die neue Animation betont grafisch erscheinen<br />
läßt. Wir erhalten sozusagen eine interaktive Illustration der ursprünglichen<br />
Animation, die gerade durch ihre Abweichung zum eigenständigen<br />
Kunstwerk wird.<br />
Übersetzung: Susanne Simor<br />
119<br />
artintact 2
Biografische Notizen / Biographical Notes<br />
Künstler /Artists<br />
Geboren 1952 in St-Léonard d’Aston,<br />
Québec, lebt und arbeitet in Montréal. Luc<br />
Courchesne erhielt den Bachelor of Design<br />
in Communication am Nova Scotia<br />
College of Art and Design, Halifax und<br />
den Master of Science in Visual Studies am<br />
Massachusetts Institute of Technology<br />
(MIT), Cambridge. Seit 1986 ist er Professor<br />
an der École de design industriel,<br />
Université de Montréal und seit 1996<br />
Präsident der Société des arts technologiques<br />
(SAT), Montréal. Seine Arbeiten<br />
befinden sich in zahlreichen Sammlungen,<br />
darunter in der National Gallery of<br />
Canada, Ottawa, im ZKM-Medienmuseum,<br />
Karlsruhe und im NTT Intercommunication<br />
Centre, Tokio.<br />
Arbeitsaufenthalte und Stipendien /<br />
Residencies and stipends<br />
Research fellow, Center for Advanced<br />
Visual Studies, MIT, Cambridge,<br />
1984–85<br />
Artist-in-residence, Institut Méditerranéen<br />
de Recherche et de Création (IMEREC),<br />
Marseille, 1991–93<br />
Artist-in-residence, ZKM, Karlsruhe, 1995<br />
Artist-in-residence, Museum of New<br />
Zealand, Wellington, 1997–98<br />
Luc Courchesne<br />
Born in St-Léonard d’Aston, Quebec, in<br />
1952, Luc Courchesne lives and works in<br />
Montreal. He obtained a Bachelor of<br />
Design in Communication at the Nova<br />
Scotia College of Art and Design, Halifax<br />
and an MSc in Visual Studies at the Massachusetts<br />
Institute of Technology (MIT),<br />
Cambridge. Since 1986, he has been a<br />
professor at the École de design industriel,<br />
Université de Montréal, and since 1996 has<br />
been president of the Technological Art<br />
Society (SAT), Montreal. His works are in<br />
numerous collections, including the<br />
National Gallery of Canada, Ottawa, the<br />
ZKM-Media Museum, Karlsruhe and the<br />
NTT Intercommunication Centre, Tokyo.<br />
Artist-in-residence, International<br />
Academy for Media Arts and Sciences<br />
(IAMAS), Ogaki City, Japan, 2000–01<br />
Auszeichnungen und Förderungen<br />
(Auswahl) / Selected awards and<br />
grants<br />
Grand Prize, Salon mondial des inventions,<br />
Brussels, 1979<br />
Silver Medal, Concours Lépine, Paris, 1980<br />
121<br />
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artintact 2<br />
122 Award of Excellence in Exhibition Design,<br />
Graphisme, Québec, 1984<br />
Project Grants, Canada Arts Council,<br />
1985/89/92/94<br />
Grant, Ministère de la Culture, France,<br />
1991<br />
Honourable Mention, Prix Ars Electronica,<br />
Linz, 1992<br />
Grand Prix, ICC Biennale ’97 , NTT<br />
InterCommunication Centre, Tokyo,<br />
1997<br />
Award of Distinction in Interactive Art,<br />
Prix Ars Electronica, Linz, 1999<br />
Werke (Auswahl) / Selected works<br />
Videobänder / Videotapes<br />
Bob Rosinsky’s Sister, 1982<br />
Twelve of Us, 1982<br />
Paula, 1983<br />
The Past and Future Wheel, 1983<br />
Letter to the Unknown, 1986<br />
Interaktive Installationen /<br />
Interactive installations<br />
Elastic Movies, 1984<br />
Encyclopedia Ciaroscuro, 1987<br />
Portrait One, 1990<br />
Portrait of Claude Jutra, 1991<br />
Bostonian Suite, 1992<br />
Family Portrait, 1993<br />
Portrait of Paula Dawson, 1994<br />
Hall of Shadows, 1996<br />
Landscape One, 1997<br />
Passages, 1998<br />
Jeu de chaises, 1998<br />
Portrait Collection (for the Museum of<br />
Communication, Bern), 1999<br />
Rendez-vous ... sur les bancs publics, 1999<br />
Panoscope 360, 2000<br />
The Visitor: Living by Number, 2001<br />
Bühnenbild / Stage design<br />
L’après-midi d’un faune, dance performance<br />
by Marie Chouinard, 1987<br />
Chroniques de la lumière, concert by<br />
composer Francis Dhomont, 1989<br />
Präsentationen und Ausstellungen<br />
(Auswahl) / Selected screenings and<br />
exhibitions<br />
MIT Film/Video Spring Screening,<br />
Cambridge, 1983<br />
12éme festival international du nouveau<br />
cinéma et de la video, Montreal, 1983<br />
Institute of Contemporary Art, Boston,<br />
1984<br />
Coastal Extremes, Video Free America,<br />
San Francisco, 1984<br />
Holland Festival, Amsterdam, 1985<br />
New York Film Market, New York, 1985<br />
Art New Vision ’86, Nippon High Technology<br />
Arts Festival, Tokyo, 1986<br />
Gen-Lock, Geneva, 1987<br />
Maison de la culture du Plateau Mont-<br />
Royal, Montreal, 1987<br />
Grey Art Gallery, New York, 1988<br />
Image Forum, Tokyo, 1988<br />
PRIM, Montreal, 1990<br />
Siggraph, 1991/93<br />
TISEA, Third International Symposium on<br />
Electronic Art, Sydney, 1992<br />
Muu Media Festival, Helsinki, 1993<br />
Centre de la Vieille Charité, Marseille,<br />
1990/93<br />
National Gallery of Canada, Ottawa, 1993
Musée d’Art, Nice, 1994<br />
Jan Potter Gallery, Melbourne, 1994<br />
Museum of Modern Art, New York, 1994<br />
Artifices 3, Saint-Denis, Paris, 1994<br />
Power Plant, Toronto, 1995<br />
Triennale di Milano, Milan, 1995<br />
MultiMediale 4, ZKM, Karlsruhe, 1995<br />
Kwangju Biennale, Kwangju, Korea, 1995<br />
Interaction 95, Gifu, Japan, 1995<br />
DEAF ’96, Rotterdam, 1996<br />
Ars Electronica, Linz, 1996/99<br />
The Art Gallery of New South Wales,<br />
Sydney, 1996<br />
Musée d’art contemporain de Montréal,<br />
Montreal,1996<br />
Multimediale 5, ZKM, Karlsruhe, 1997<br />
NTT InterCommunication Centre, Tokyo,<br />
1997/98<br />
Musée canadien de la photographie contemporaine,<br />
Ottawa, 1998<br />
Avatar, Amsterdam, 1998<br />
Tokyo Metropolitan Museum of Photography,<br />
Tokyo, 1998/2000<br />
Te Papa Tongarewa, Museum of New<br />
Zealand, Wellington, 1998<br />
Musée National des Arts et Traditions<br />
Populaires, Paris, 1999<br />
Kiasma, Museum of Contemporary Art,<br />
Helsinki, 1999<br />
Cité des Sciences et de l’Industrie, La<br />
Villette, Paris, 1999<br />
Musée de la communication, Bern, 1999<br />
Bonner Kunstverein, Bonn, 1999<br />
Siggraph 2000, New Orleans, 2000<br />
Rendez-vous Paris-Belfort, CICV,<br />
Hérimoncourt, 2000<br />
ACM ’01, San Jose, CA, 2001<br />
Art Gallery of New South Wales, Sydney,<br />
2001<br />
The Interaction ’01, Japan, 2001<br />
Website<br />
http://www.din.umontreal.ca/courchesne<br />
123<br />
artintact 2
artintact 2<br />
124 Miroslaw Rogala<br />
Geboren 1954 in Polen; studierte Musik<br />
und bildende Kunst in Krakau (Master of<br />
Fine Arts für Malerei, 1979) und an der<br />
School of the Art Institute, Chicago<br />
(Master of Fine Arts in Video, 1983).<br />
Rogala promovierte 2000 in interaktiver<br />
Kunst am Centre for Advanced Inquiry in<br />
the Interactive Arts (CAiiA), University of<br />
Wales, Newport. Er unterrichtete u.a. am<br />
Department of Computer Graphics, Arts<br />
and Television, Columbia College, Chicago<br />
(1987–1996), am Rennselaer Polytechnic<br />
Institute, Troy, New York<br />
(1991–1993) und war Associate Professor<br />
am Brooklyn College/City University of<br />
New York sowie Leiter des Program in<br />
Performance and Interactive Media Arts<br />
(PIMA, 2000-2001). Seine Arbeiten<br />
befinden sich in zahlreichen Sammlungen,<br />
u.a. Centre Georges Pompidou, Paris,<br />
Musée d’Art Contemporain, Lyon,<br />
Museum of Modern Art, New York und<br />
Museum of Contemporary Art, Chicago.<br />
Auszeichnungen und Förderungen<br />
(Auswahl) / Selected awards and<br />
grants<br />
Grant funded study at the Merce Cunningham<br />
Dance Theatre, New York, 1982<br />
Regional Fellowship Award, National<br />
Endowment for the Arts and the<br />
American Film Institute, 1984–85,<br />
1990–91, 1993<br />
The City of Chicago Department of<br />
Cultural Affairs Commission Award,<br />
1990<br />
New York City State Council for the Arts<br />
Grant, 1991–93<br />
Born in Poland in 1954, Miroslaw Rogala<br />
studied music and fine arts in Krakow<br />
(MFA in Painting, 1979) and at the School<br />
of the Art Institute, Chicago (MFA in<br />
Video, 1983). In 2000, he received a PhD<br />
from the Centre for Advanced Inquiry in<br />
the Interactive Arts (CAiiA), University of<br />
Wales, Newport. His teaching positions<br />
include: Department of Computer Graphics,<br />
Arts and Television, Columbia College,<br />
Chicago (1987–1996), Rennselaer Polytechnic<br />
Institute, Troy, New York<br />
(1991–1993), Associate Professor at<br />
Brooklyn College/City University of New<br />
York, and director of PIMA, Program in<br />
Performance and Interactive Media Arts<br />
(2000-2001). His works are in numerous<br />
collections, among them: Centre Georges<br />
Pompidou, Paris; Musée d’Art Contemporain,<br />
Lyon; Museum of Modern Art, New<br />
York; Museum of Contemporary Art,<br />
Chicago.<br />
American Film Institute Video Festival<br />
Award, 1991<br />
Intermedia Arts Award, National Endowment<br />
for the Arts, 1992<br />
Project Grant, Goethe Institute, Chicago,<br />
1993/95<br />
Artist-in-residence, ZKM, Karlsruhe,<br />
1994–95<br />
International Award for Video Art, ZKM<br />
Karlsruhe, SWF Baden-Baden and ORF<br />
Austria, 1995 (nomination)<br />
Babelfish Award, Interactiva, Potsdam,<br />
Germany, 1995 (artintact 2)<br />
Research Fellowship, online PhD<br />
Research Program, CAiiA,
University of Wales, Newport,<br />
1996–99<br />
Ausgewählte Werke / Selected works<br />
Videobänder und ihre Präsentationen<br />
(Auswahl) / Videotapes and screenings<br />
(selection)<br />
Polish Dance ’80, 1980 – Transcultura/<br />
Transmedia, Exit Art, New York, 1986;<br />
Museum of Contemporary Art, Los<br />
Angeles, 1991<br />
Four Simultaneous Provocations, 1982 –<br />
Video Roma, International Video<br />
Festival, Rome, 1982; The Center for<br />
New Television, Chicago, 1984<br />
Speech, 1982 – Film/Video Festival, Athens<br />
(Ohio), 1982; Anthology Film Archives,<br />
New York, 1984; Centre Georges<br />
Pompidou, Paris, 1987<br />
Questions To Another Nation, 1985 –<br />
International Video Festival, San<br />
Sebastian, 1984; Scan, Tokyo, 1987; 19th<br />
International Video Biennial, São Paulo,<br />
1987; Arsenal Gallery, BWA Bialystok,<br />
1995; Anthology Film Archives, New<br />
York, 1984<br />
Nature Is Leaving Us, 1987–88 – Australian<br />
Video Festival, Paddington,<br />
1988; International Film and Video<br />
Festival, San Francisco, 1989; Museum<br />
of Contemporary Art, Chicago, 1989;<br />
Ars Electronica, Linz, 1990<br />
The Witches Scenes/Macbeth, 1988 –<br />
Walker Arts Center, Minneapolis, 1990;<br />
The Kitchen, New York, 1991; Siggraph,<br />
Chicago, 1992; Iterations,<br />
International Center of Photography,<br />
New York, 1993, Brooklyn Art Museum,<br />
New York, 1990<br />
Instructions Per Second (with Carolee<br />
Schneemann), 1994 – Fylkingen,<br />
Stockholm, 1994; World Wide Video<br />
Festival, The Hague, 1996; International<br />
Festival of Films on Art, Montreal, 1996<br />
Video-, Multimedia- und interaktive<br />
Installationen und ihre Präsentationen<br />
(Auswahl) / Video, multimedia and<br />
interactive installations and places of<br />
presentation (selection)<br />
Pulso-Funktory, (pre)interactive sound and<br />
mixed media installation, 1977 –<br />
Walbrzych, Poland 1977; Centre for<br />
Contemporary Art, Ujazdowski Castle,<br />
Warsaw, 2001; Centre for Contemporary<br />
Art, Krakow, 2001<br />
Questions To Another Nation (sound with<br />
Christopher Wargin), video installation,<br />
1983 – The School of the Art Institute,<br />
Chicago, 1983<br />
Love Among Machines (with A. Osgood,<br />
J. Boesche; music: R. Woodbury), video<br />
installation, 1986 – Morning Dance<br />
Center, Chicago, 1987<br />
Remote Faces: Outerpretation (sound:<br />
Lucien Vector), video performance,<br />
1986 – New Generations, Museum of<br />
Contemporary Art, Chicago, 1986<br />
Nature Is Leaving Us (with U. Dudziak,<br />
L.Vector, R. Woodbury), opera/linear<br />
video, 1987–88 – Chicago International<br />
Art Exposition, Chicago, 1988<br />
Nature Is Leaving Us (with F. Abbinanti, J.<br />
Boesche, L. Book, U. Dudziak, W.<br />
Herterich, B. Jeffrey, W. Myers, A.<br />
Osgood, J. Reitzer, L. Vector, M. Ward,<br />
R. Woodbury), video theatre/multimedia<br />
opera, 1989 – The Goodman Theatre<br />
Studio, Chicago, 1989<br />
Artificial Intelligence: The Last Symposium<br />
125<br />
artintact 2
artintact 2<br />
126 (with K. Nordine, E. Paschke), multimedia<br />
installation, 1992 – Siggraph,<br />
Chicago, 1992<br />
Lovers Leap (with L. Hovestadt, F. Oxaal),<br />
interactive multimedia installation/CD-<br />
ROM, 1995 – MultiMediale 4, ZKM,<br />
Karlsruhe, 1995; V2, Rotterdam, 1995;<br />
3e Biennale d’art Contemporain, Lyon,<br />
1996; Perspektiven, Schlossmuseum<br />
Murnau, Murnau, Germany, 2000<br />
Electronic Garden/NatuRealization, sitespecific<br />
outdoor interactive sound<br />
installation, 1995 – Sculpture Chicago<br />
’96, Chicago, 1996<br />
Divided We Stand/Divided We Speak (with<br />
Art(n), R. Ascott, A. Arsenault; S.<br />
Boyer, A. Cruz, K. Nordine; J. Guo;<br />
U. Dudziak; J. Friedman, W. Herterich,<br />
M. Iber; J. Krieger, M. Rutan, J. Reitzer,<br />
C. Schandelmeier, F. Oxaal), interactive<br />
multimedia laboratory project, 1997 –<br />
Museum of Contemporary Art,<br />
Chicago, 1997<br />
Virtual Photography studies for Divided<br />
We Stand (with Art(n), Allan Cruz),<br />
interactive PHSCplograms, 1997 –<br />
Museum of Contemporary Art,<br />
Chicago, 1997; WRO 2000, Wroclaw,<br />
2000; Centre for Contemporary Art,<br />
Ujazdowski Castle, Warsaw, 2001;<br />
Centre for Contemporary Art, Krakow,<br />
Poland, 2001; Digital: Printmaking<br />
Now, Brooklyn Museum, New York,<br />
2001; Digital Innovation in Printmaking,<br />
Design Arts Gallery, Drexel<br />
University, Philadelphia, 2001<br />
Divided We Sing (vocals by U. Dudziak,<br />
J. Guo, K. Nordine), interactive sound<br />
installation, 1999 – Pittsburgh Center<br />
for the Arts, Pittsburgh, 1999; Universiteit<br />
Eindhoven, Eindhoven, 2000<br />
Divided We See (with J. Friedman, W.<br />
Herterich, R. Harmon, J. Reitzer),<br />
interactive media installation, 2001 –<br />
Drexel University Art Gallery, Philadelphia,<br />
2001<br />
Website<br />
http://www.rogala.org
Geboren 1959 in Ungarn, arbeitet in den<br />
Bereichen Trickfilm, Malerei und Computeranimation;<br />
er verwendet seit 1983<br />
Computer. 1992 erhielt Tamás Waliczky<br />
ein Stipendium des ZKM-Instituts für<br />
Bildmedien und war dort von 1993–97<br />
Mitarbeiter des Forschungsbereichs. Seit<br />
1997 ist er Gastprofessor an der Hochschule<br />
für Bildende Künste Saar, Saarbrücken,<br />
und war 1998/99 Gastkünstler an<br />
der International Academy for Media Arts<br />
and Sciences (IAMAS) in Gifu, Japan. Seine<br />
Arbeiten befinden sich in verschiedenen<br />
Sammlungen, darunter im Centre Georges<br />
Pompidou, Paris, der Oppenheimer<br />
Collection, Bonn und der Scan Video<br />
Gallery, Tokio.<br />
Auszeichnungen / Awards<br />
Third Prize, Digitart Computer Graphics<br />
Festival, Budapest, 1986<br />
Honourable Mention, distinction<br />
Animation, Prix Ars Electronica, Linz,<br />
1988<br />
First and Second Prize, distinctions 2-D<br />
and 3-D, P.L.E.I.A.S. Festival, Paris, 1988<br />
Golden Nica, distinction Computergraphics,<br />
Prix Ars Electronica,<br />
Linz, 1989<br />
Honourable Mention, distinction Interactive<br />
Art, Prix Ars Electronica, Linz,<br />
1990<br />
Third Prize, distinction Art, Imagina,<br />
Monte-Carlo, 1991<br />
World Graph Prize, Locarno Videoart<br />
Festival, Locarno, 1991<br />
Festival Prize, Internationales Festival des<br />
Animationsfilms, Berlin, 1991<br />
Tamás Waliczky<br />
Born in Hungary in 1959, Tamás Waliczky<br />
is an animator, painter and computer<br />
animator. He has been working with<br />
computers since 1983. He was artist-inresidence<br />
at the ZKM Institute for Visual<br />
Media in 1992, and subsequently joined the<br />
Institute’s research staff (1993-97) until<br />
taking up a guest professorship at the HBK<br />
Saar, Saarbrucken (1997 onward). He was<br />
artist-in-residence at the International<br />
Academy for Media Arts and Sciences<br />
(IAMAS) in Gifu, Japan, in 1998/99. His<br />
works are in various public collections,<br />
among them: Centre Georges Pompidou,<br />
Paris; Oppenheimer Collection, Bonn;<br />
Scan Video Gallery, Tokyo.<br />
Prize for the Best Animated Film,<br />
Hungarian Advertising Film Festival,<br />
Budapest, 1991<br />
Honourable Mention, distinction<br />
Education, IVCA Festival, London,<br />
1991<br />
Special Prize of the Polish Television’s<br />
Channel 2 and the festival’s Art<br />
Director, WRO ’93, Wroclaw, 1993<br />
Honourable Mention, distinction<br />
Animation, Ars Electronica, Linz, 1994<br />
First Prize, distinction 3-D workstation,<br />
Bit.Movie ’94, Riccione, 1994<br />
Special Prize of the Jury, VideoArt<br />
Festival, Locarno, 1994<br />
First Prize, Electronic d’Arte e Altre<br />
Scritture Festival, Torino, Milano,<br />
Bologna, Firenze, Roma, 1994<br />
Commission of Photoarts 2000, Year of<br />
Photography & the Electronic Image,<br />
Huddersfield, UK, 1996<br />
127<br />
artintact 2
128<br />
artintact 2<br />
Award of Distinction in Computer<br />
Animation, Prix Ars Electronica, Linz,<br />
1998<br />
Honourable Mention, distinction<br />
Interactive Art, Prix Ars Electronica,<br />
Linz, 1998<br />
First prize, distinction Animation,<br />
Mediawave festival, Györ, 2000<br />
First prize, distinction Video Art, Asolo<br />
Film Festival, Asolo, 2001<br />
Werke / Works<br />
Computer Mobiles – Human Motions,<br />
computer animations, 1986/87<br />
Pictures, computer animation, 1988<br />
Is there any room for me here?, computer<br />
animation, 1988<br />
Machines, computer graphic series, 1989<br />
Memory of Moholy-Nagy, computer<br />
animation, 1990<br />
Conversation, performance with Tibor<br />
Szemzö, 1990<br />
Studies for The Garden, computer<br />
animation, 1992<br />
The Garden, computer animation, 1993<br />
Der Wald, computer animation, 1993<br />
The Forest, interactive installation with<br />
Sebastian Egner und Jeffrey Shaw, 1993<br />
The Way, computer animation, 1994<br />
Asylphony, computer animation<br />
installation for a composition by<br />
Bojidar Spassow, 10 min., 1995<br />
Sculptures, computer animation/<br />
installation, 1996<br />
Landscape, 3-D computer animation, 1998<br />
Focus, interactive computer installation,<br />
1998<br />
Focusing, CD-ROM, 1998 (publ. in ZKM<br />
digital arts edition 1, ed. ZKM<br />
Karlsruhe, Ostfildern: Hatje Cantz,<br />
1998)<br />
The Fisherman and his Wife, computer<br />
animation, 30 min., 2000<br />
Ausstellungen und Festivals<br />
(Auswahl) / Selected exhibitions<br />
and festivals<br />
Digitart I., Museum of Fine Arts,<br />
Budapest, 1986<br />
Ars Electronica, Linz, 1988/89/90/94/98<br />
Video-Visions, Frankfurt, 1989<br />
Europa Electronica, Napoli, 1989<br />
Scan Video Festival, Tokyo, 1989<br />
Imagina, Monte Carlo, 1990/91/93<br />
Siggraph, 1990/91/92/93<br />
ISEA, International Symposium on<br />
Electronic Art, 1990<br />
Los Angeles International Film Festival,<br />
Los Angeles, 1990<br />
Tendances Multiples, Centre Georges<br />
Pompidou, Paris, 1990<br />
MOMI, Museum of the Moving Image,<br />
London, 1990<br />
Un art de machines?, Exhibition of<br />
Electronic Images, Reze, 1990<br />
Fujita Vente, Tokyo, 1991<br />
IVCA Festival, London, 1991<br />
Video Art, XII. Festival et forum international<br />
de Locarno, Locarno, 1991<br />
Internationales Festival des<br />
Animationsfilms, Berlin, 1991<br />
Le Festival du dessin animé et du film<br />
d’animation, Brussels, 1992<br />
TISEA, Third International Symposium<br />
on Electronic Art, Sydney, 1992<br />
Mediale, Hamburg, 1993<br />
MultiMediale 3, ZKM, Karlsruhe, 1993<br />
Mediawave, Györ, 1993<br />
WRO ’93, Wroclaw, 1993<br />
MUU Media Festival, Helsinki, 1993<br />
London Film Festival, London, 1993
Europa-Europa, Kunst und Ausstellungshalle<br />
der Bundesrepublik Deutschland,<br />
Bonn, 1994<br />
Version 1.0, Geneva, 1994<br />
Techno Art, Ontario Science Centre,<br />
Ontario, 1994<br />
Adelaide Festival, Melbourne, 1994<br />
7. Internationales Trickfilmfestival,<br />
Stuttgart, 1994<br />
Hong Kong International Film Festival,<br />
Hong Kong, 1994<br />
Les Rendezvous d’imagina, Paris, 1994<br />
Irrton, Festival virtueller Irritation, Berlin,<br />
1994<br />
Videonale, Bonn, 1994<br />
MultiMediale 4, ZKM Karlsruhe, 1995<br />
Tokyo Metropolitan Museum of<br />
Photography, Tokyo, 1995/2000<br />
Arslab, Torino, 1995<br />
Biennale de Lyon, Lyon, 1995<br />
The Butterfly Effect, Budapest, 1996<br />
NTT/ICC Gallery, Tokyo, 1996<br />
MultiMediale 5, ZKM, Karlsruhe, 1997<br />
Leeds Metropolitan University Gallery,<br />
Leeds, 1998<br />
The Fruitmarket Gallery, Edinburgh, 1998<br />
DEAF ’98, Rotterdam, 1998<br />
Perspectiva, Budapest, 1999<br />
The Interaction ’99, Ogaki, 1999<br />
MediaTime, Bolzano, 1999<br />
Enter Multimediale, Prague, 2000<br />
Digital Alice, Seoul, 2000<br />
Festival Internazionale del Film sull’Arte,<br />
Asolo, 2001<br />
Anteprima Bovisa, Milano Europa 2000,<br />
Milan, 2001<br />
Fourth Biennale – The World Forum for<br />
Media and Culture, Ogaki, Japan, 2001<br />
Website<br />
http://www.waliczky.com<br />
129<br />
artintact 2
130<br />
artintact 2<br />
Biografische Notizen / Biographical Notes<br />
Autoren / Authors<br />
Christoph Blase ist Chefredakteur der<br />
Kunstkritiksite www.blitzreview.de und<br />
schreibt als freier Mitarbeiter u.a. für die<br />
Frankfurter Allgemeine Zeitung und das<br />
Kunst-Bulletin. Er lebt in Berlin.<br />
Timothy Druckrey lebt in New York und<br />
ist als Kurator, Autor, Redakteur und<br />
Dozent tätig. Er beschäftigt sich mit den<br />
sozialen Auswirkungen der elektronischen<br />
Medien und der Transformation von<br />
Repräsentation und Kommunikation in<br />
interaktiven und vernetzten Umgebungen.<br />
Er war Mitorganisator des internationalen<br />
Symposiums Ideologies of Technology am<br />
Dia Center of the Arts (New York) und<br />
Co-Kurator der Ausstellung Iterations:<br />
The New Image am International Center<br />
of Photography (New York). Er ist<br />
Mitherausgeber von Culture on the Brink:<br />
Ideologies of Technology (1996), net_condition:<br />
art and global media (2000), edierte<br />
Electronic Culture: Technology and Visual<br />
Representation (1999), Ars Electronica:<br />
Facing the Future (2000) und ist verantwortlich<br />
für die Publikationsreihe<br />
Electronic Culture: History, Theory,<br />
Practice (MIT Press).<br />
Christoph Blase<br />
Timothy Druckrey<br />
Christoph Blase is editor-in-chief of the<br />
art-criticism Website www.blitzreview.de,<br />
and a freelance contributor to publications<br />
including the Frankfurter Allgemeine<br />
Zeitung and Kunst-Bulletin. He lives in<br />
Berlin.<br />
Timothy Druckrey, who lives in New<br />
York, is a curator, writer and editor. He<br />
lectures internationally on the social<br />
impact of electronic media and the transformation<br />
of representation and communication<br />
in interactive and networked<br />
environments. He co-organized the international<br />
symposium Ideologies of<br />
Technology at the Dia Center of the Arts<br />
(New York) and co-curated the exhibition<br />
Iterations: The New Image at the<br />
International Center of Photography<br />
(New York). He co-edited Culture on the<br />
Brink: Ideologies of Technology (1996),<br />
net_condition: art and global media<br />
(2000), edited Electronic Culture:<br />
Technology and Visual Representation<br />
(1999), Ars Electronica: Facing the Future<br />
(2000), and is series editor for Electronic<br />
Culture: History, Theory, Practice (MIT<br />
Press).
Jean Gagnon ist seit 1998 Programmdirektor<br />
der Daniel Langlois Foundation,<br />
Montréal. Von 1991 bis 1998 war er<br />
Kurator für Medienkunst an der National<br />
Gallery of Canada. 1994 lehrte er Theorie<br />
und Geschichte der Videokunst an der<br />
Concordia University, Montréal und an<br />
der Carleton University, Ottawa. Er war<br />
als freiberuflicher Fernseh- und Videoproduzent<br />
sowie als freier Kritiker und<br />
Kurator tätig. Zahlreiche Publikationen,<br />
u.a. Pornography in the Urban World<br />
(1988), Kritiken für Le Devoir und<br />
Vanguard und zahlreiche Artikel für<br />
Ausstellungskataloge und wichtige Publikationen<br />
zur Medienkunst.<br />
Anna Szepesi arbeitet als freiberufliche<br />
Kunsthistorikerin, organisiert Ausstellungen<br />
zeitgenössischer Kunst und ist<br />
als Redakteurin von Kunstbüchern, seit<br />
1998 vor allem als Autorin und Fotografin<br />
für verschiedene Architekturzeitschriften,<br />
tätig. Seit 1981 arbeitet sie mit Tamás<br />
Waliczky.<br />
Jean Gagnon<br />
Anna Szepesi<br />
Jean Gagnon has been Director of Programs<br />
at the Daniel Langlois Foundation,<br />
Montreal, since 1998. He was Associate<br />
Curator for Media Arts at the National<br />
Gallery of Canada from 1991 to 1998, and<br />
taught Theory and History of Video Art at<br />
the Concordia University, Montreal, and<br />
the Carleton University, Ottawa, in 1994.<br />
An independent video and television producer<br />
and also a freelance curator and<br />
critic, his publications include Pornography<br />
in the Urban World (1988), reviews for<br />
Le Devoir and Vanguard, as well as numerous<br />
articles for exhibition catalogues and<br />
major publications on media art.<br />
Anna Szepesi is a freelance art historian.<br />
In addition to organizing exhibitions of<br />
modern art and editing art books, since<br />
1998 she has worked primarily as a writer<br />
and photographer for a number of interior<br />
design journals. She began working with<br />
Tamás Waliczky in 1981.<br />
131<br />
artintact 2
artintact 2<br />
132 Impressum /Colophon<br />
Herausgeber /<br />
Publisher<br />
ZKM /Zentrum für Kunst<br />
und Medientechnologie<br />
Karlsruhe<br />
Konzept / Concept<br />
Jeffrey Shaw<br />
Redaktion / Editor<br />
Astrid Sommer<br />
Gestaltung / Design<br />
Holger Jost<br />
Übersetzungen /<br />
Translators<br />
John Blau<br />
Thomas Fife<br />
Welf Kienast<br />
John Ormrod<br />
Susanne Simor<br />
Benutzeroberfläche /<br />
Interface Design<br />
Holger Jost<br />
Volker Kuchelmeister<br />
CD-ROM-Produktion /<br />
CD-ROM production<br />
Volker Kuchelmeister<br />
Mitarbeit/assisted by:<br />
Silvia Molina Muro<br />
© 2002 der Essays bei den<br />
Autoren und ZKM<br />
Karlsruhe / Essays<br />
© 2002 by the authors and<br />
ZKM Karlsruhe<br />
© 2002 der Werke bei den<br />
Künstlern / Artworks<br />
© 2002 by the artists<br />
© 2002 der Screenshots bei<br />
den Künstlern /Screenshots<br />
© 2002 by the artists
133<br />
artintact 2
artintact 3<br />
CD-ROMagazin<br />
interaktiver Kunst<br />
ZKM/ Zentrum<br />
für Kunst<br />
und Medientechnologie<br />
Karlsruhe<br />
Artists’ interactive<br />
CD-ROMagazine<br />
ZKM/Center<br />
for Art and Media<br />
Karlsruhe<br />
Hatje Cantz [1996/2002]
artintact 3<br />
Inhalt<br />
139<br />
Editorial<br />
141<br />
Das post-gutenbergsche<br />
Buch<br />
Peter Weibel<br />
Ken Feingold:<br />
JCJ-Junkman<br />
153<br />
Interaktion in<br />
Surrealzeit<br />
Erkki Huhtamo
Perry Hoberman:<br />
The Sub-Division of the<br />
Electric Light<br />
165<br />
Klick: Bildlandschaft<br />
als Ruine<br />
Peter Lunenfeld<br />
171<br />
Raum für elektronische<br />
Unruhen<br />
Annika Blunck<br />
George Legrady:<br />
Slippery Traces<br />
179<br />
Die Spur der<br />
Postkarten<br />
George Legrady<br />
183<br />
Detaillierte Spuren<br />
von Geheimnissen<br />
Miklós Peternák<br />
189<br />
Spurensuche<br />
und Mise en scène<br />
Andrea Zapp<br />
195<br />
Biografische Notizen:<br />
Künstler<br />
205<br />
Biografische Notizen:<br />
Autoren<br />
209<br />
Impressum<br />
artintact 3
Schön an Ausstellungen auf CD-ROM ist,<br />
daß sie langlebig sind (zumindest theoretisch,<br />
zumindest solange es die passende<br />
Hardware gibt, um die CD-ROM abzuspielen,<br />
zumindest solange die Daten nicht auf<br />
geheimnisvolle Weise vom Datenträger<br />
verschwunden oder unleserlich geworden<br />
sind), daß sie, auf einem potentiellen<br />
Massenmedium präsentiert, überaus viele<br />
Menschen erreichen können, auch solche,<br />
die gewöhnlich kein Museum betreten und<br />
auch diejenigen, die sich immer erst dann<br />
entschließen, eine Ausstellung zu besuchen,<br />
wenn sie gerade wieder vorbei ist.*<br />
Es sind Ausstellungen ohne von außen<br />
diktierte Öffnungszeiten. Ihr Ereignischarakter<br />
ist vom öffentlichen in den privaten<br />
Raum verlegt; sie können lange im Bücherregal<br />
schlummern, ohne jedoch ganz in<br />
Vergessenheit zu geraten: In einem besonderen<br />
Moment wird man sie wieder zum<br />
Leben erwecken, zu Hause, am eigenen<br />
Computer. Und sie können ein Doppelleben<br />
führen, werden doch diese Ausstellungen<br />
en miniature wiederum eingeladen,<br />
gemeinsam mit anderen aufzutreten in den<br />
›großen‹ Ausstellungen und auf Festivals,<br />
werden also selbst wieder zu Ausstellungsobjekten<br />
und zum gemeinsam mit anderen<br />
erlebbaren sozialen Ereignis.<br />
Die CD-ROM führt ein Doppelleben<br />
noch in anderer Hinsicht: sie kann gleichzeitig<br />
Trägermedium der Ausstellung wie<br />
Mittel des künstlerischen Ausdrucks selbst<br />
sein – jedenfalls entwickelt sie sich in diese<br />
Richtung. artintact als Ausstellungsreihe<br />
reflektiert diesen Prozess: Enthielten die<br />
ersten beiden Ausgaben überwiegend<br />
Werke, die Adaptionen interaktiver<br />
(Raum-)Installationen waren, eingerichtet<br />
und modifiziert, ›kondensiert‹ für die<br />
kompaktere Umgebung der CD-ROM,<br />
Editorial<br />
werden nun Werke vorgestellt, die bei ihrer<br />
Entstehung das Medium, durch das sie sich<br />
dem Publikum präsentieren, im Blick<br />
hatten und – stärker als bislang – die<br />
spezifischen Möglichkeiten dieses multimedialen<br />
Datenträgers (be-)nutzen,<br />
ausloten, oder aber ad absurdum führen. Es<br />
sind Werke, die vom Konzept her nicht<br />
mehr den Raum, die Großprojektion, die<br />
Materialität der Installation mitdenken,<br />
sondern sich auf das Ensemble kleiner<br />
Bildschirm, Maus, ein Gegenüber – ein Ko-<br />
Autor im Idealfall – einlassen.<br />
Die Künstler der dritten Ausgabe von<br />
artintact sind, im Gegensatz zum bisherigen<br />
Konzept, keine Stipendiaten des ZKM.<br />
Das ZKM befindet sich, 1989 gegründet,<br />
noch im Aufbau, arbeitet in provisorischen<br />
Räumlichkeiten über die Stadt Karlsruhe<br />
verteilt. Der Umzug in das künftige<br />
Domizil ist mittlerweile in greifbare Nähe<br />
gerückt. Im Oktober 1997 wird das<br />
Zentrum für Kunst und Medientechnologie<br />
die Eröffnung all seiner Abteilungen<br />
und Sammlungen feiern. Alle Kräfte des<br />
ZKM sind auf Umzug und Eröffnung<br />
konzentriert, so daß das ZKM/Institut für<br />
Bildmedien 1996/97 kein Stipendiatenprogramm<br />
durchführen kann. Wir freuen uns<br />
deswegen besonders, daß es dennoch<br />
möglich war, den jährlichen Turnus des<br />
Magazins artintact beizubehalten und wir<br />
zur dritten Ausgabe die Künstler Ken<br />
Feingold, Perry Hoberman und George<br />
Legrady – alle drei seit langem ›Forscher‹ in<br />
verschiedenen Bereichen der interaktiven<br />
Medienkunst – mit neuen Arbeiten einladen<br />
konnten.<br />
Astrid Sommer, Redaktion<br />
* Vgl. Wunschmaschine Welterfindung.<br />
Hg. Brigitte Felderer. Wien, 1996, S. 1.<br />
139<br />
artintact 3
Das post-gutenbergsche Buch<br />
Die CD-ROM zwischen<br />
Index und Erzählung<br />
Von Peter Weibel<br />
I. (das Besondere Buch)<br />
Der Historiograph Jakob Mennel hat zwischen 1518 und 1521 ein besonderes<br />
Buch mit dem Titel Der Zaiger für Kaiser Maximilian I. herausgegeben:<br />
unter jedem Bild stand ein Satz und diese visuell-textuelle Einheit<br />
stellte jeweils ein Kapitel dar. In ähnlichen Büchern der Buchmalerei<br />
aus dieser Zeit sind Bilder zwischen Texten zu sehen, erläutern kurze<br />
Texte die Bilder und illustrieren die Bilder die Texte. Man möchte meinen,<br />
diese spezifische Form des Buches wäre für Analphabeten gedacht, denen<br />
mit Hilfe von Bildern anstatt von Buchstaben eine Botschaft übermittelt<br />
werden soll. Dem ist aber nicht so, denn damals gehörten die Analphabeten<br />
zu einer Klasse, die gar keinen Zugang zum Buch hatte. Der Zaiger<br />
war, genauso wie andere ›Besondere Bücher‹ (wie schon damals derartige<br />
bebilderte Bücher genannt wurden), selbstverständlich für die lesende<br />
Aristokratie gedacht. Das Besondere an dieser Buchform war, daß die<br />
Verknüpfung von Bild und Text die jeweilige Lesart definierte und unterstützte.<br />
Die Interpretation geschah durch die parallele Darstellung von<br />
Wissen, durch die Suggestionen der parallelen Verarbeitung von Bildund<br />
Textinformation. Die Verknüpfung war also die eigentliche Botschaft.<br />
Hier sehen wir bereits drei Charakteristika der CD-ROM angekündigt,<br />
nämlich Zugang zum Wissen (access), Vernetzung und parallele<br />
Darstellung von Information in mehreren Medien. Klarerweise waren<br />
aufgrund der technischen Beschränkung des gutenbergschen Buches<br />
diesen Eigenschaften Grenzen gesetzt. Für die Weiterentwicklung des<br />
Buches als Typus der Kommunikation mußte also nach einer Technologie<br />
gesucht werden, die diese drei Möglichkeiten optimiert.<br />
141<br />
artintact 3
artintact 3<br />
142<br />
Der Katalog, wie wir ihn heute als Dokument künstlerischer Arbeiten<br />
kennen, als Verbindung von fotografischen Dokumenten der Kunstwerke,<br />
von Legenden, Kommentaren und theoretischen Essays, ist ein<br />
weiterer wichtiger Schritt in der Entwicklung des ›Besonderen Buches‹<br />
gewesen. Ursprünglich war ja der Kunstkatalog nur eine Liste von Preisen<br />
und der dazugehörigen Werke. Im nächsten Schritt wurden, um den<br />
Kunden einen leichteren Zugang (access) zum Wissen zu gewähren, Abbildungen<br />
der Gemälde neben die Titel gesetzt. Dann wurden Erklärungen,<br />
Erläuterungen inseriert, anfangs nur Einführungen, später Texte von<br />
mehreren Autoren über den gesamten Katalog verstreut, um das Verständnis<br />
des Werks zu vertiefen, den Zugang zum Werk zu erleichtern<br />
und das symbolische Kapital zu erhöhen. Schließlich entstand daraus der<br />
heute übliche Kunstkatalog, ein wahres Kompendium des Wissens, ein<br />
Catalogue raisonné der künstlerischen Werke und Diskurse, dem schon<br />
oft durch die Beigabe eines Tonbandes, einer Schallplatte oder einer CD<br />
auch die akustische Dimension eröffnet wurde. Durch die vielfältige Darstellungsform<br />
des Kunstkataloges gerieten die ihm innewohnenden<br />
strukturellen Probleme außer Sichtweite. Auch im Kunstkatalog bedeutet<br />
die Verknüpfung von Bild und Text die eigentliche Botschaft, legitimieren<br />
die Texte die Bilder und illustrieren die Bilder die Texte. Der<br />
Kunstkatalog von heute ist im Grunde ein versteckter Kampf um Legitimation.<br />
Auf geheime Weise liegen dem Kunstkatalog Diskurse und Strategien<br />
der Legitimation zugrunde, die auf zwei Prinzipien zurückzuführen<br />
sind, nämlich auf die indexikalische und auf die erzählerische<br />
Struktur.<br />
II. (indexikalische Informationssysteme)<br />
Index, Atlas, Lexikon stellen Informationssysteme dar, die sich auf<br />
das Konzept der Enzyklopädie berufen. In diesem Konzept geht der Anspruch<br />
auf eine objektive Information über die Sachverhalte der Welt,<br />
möglichst ohne fiktionale Elemente. Eine enzyklopädische Darstellung
des Wissens der Zeit versteht sich als objektiver Atlas der einzelnen Wissensgebiete<br />
und als systematischer Katalog mit einer indexikalischen<br />
Struktur. Begriffe, Gegenstände oder Wissensgebiete werden alphabetisch<br />
aufgelistet, in Definitionen abgehandelt und in ihrer Entwicklung<br />
monokausal und scheinbar logisch abgeleitet. Dieser Vorstellung von<br />
Wissen liegt die Idee zugrunde, die Welt sei ein Pool von Daten und die<br />
systematische Katalogisierung und Registrierung jeglichen Wissens über<br />
alle Phänomene des Universums sei möglich. Daraus entsteht der universale<br />
Anspruch der Enzyklopädie. Das von der Indexstruktur abgeleitete<br />
und auf der Basis von Daten aufgebaute Informationssystem verspricht<br />
objektives und umfassendes, eben enzyklopädisches Wissen.<br />
Die meisten CD-ROMs sind diesem Enzyklopädiekonzept und der Indexstruktur<br />
verpflichtet. Sie versprechen alle Gemälde und Skulpturen<br />
der Tate Gallery oder des Louvre. Sie versprechen alle Ausgaben einer<br />
Zeitschrift seit ihrem Bestehen. Sie versprechen ein Lexikon aller Buchtitel,<br />
Operntitel und Theaterstücke. Sie versprechen das Wissen der Welt,<br />
feinsäuberlich registriert, alphabetisch geordnet und systematisch katalogisiert.<br />
Die indexikalische Struktur verhehlt aber, daß sie selbst gar kein Wissen<br />
darstellt und daher auch über kein Wissen verfügen kann. Auf die<br />
Frage, was ein Index sei, kann geantwortet werden: z.B. ein Katalog von<br />
Buchtiteln. Durch das Lesen des Katalogs erwirbt man sich aber kein<br />
Wissen, sondern erst durch das Lesen der Bücher selbst. Erst von der indexikalischen<br />
Struktur abweichende Darstellungsmethoden ermöglichen<br />
Wissen. Der Index ist also selbst gar kein Informationssystem, sondern<br />
nur der Schlüssel, der Zugang zu einem Informationssystem. Der Index<br />
als Register der Wahrheit ist eine Illusion. Erst die Immersion jenseits und<br />
hinter die indexikalische Struktur gewährt Wissen. 1<br />
1. Die Erzählungen von Jorge Luis Borges, z.B. Atlas von 1984, kreisen obsessiv um<br />
dieses Problem. (Jorge Luis Borges, Maria Kodama: Atlas. Buenos Aires: Sudamericana,<br />
1984, Anm. d. Red.)<br />
143<br />
artintact 3
artintact 3<br />
144<br />
III. (narrative Informationssysteme)<br />
Dem gegenüber steht ein Informationssystem, das nicht auf objektiver<br />
Darstellung und systematischer Katalogisierung beruht, sondern auf<br />
Fiktionen, auf unlogischen Verknüpfungen, Umwegen und Unterlassungen,<br />
Unvollständigkeiten und Unsystematik. Diese Vorgehensweise nennen<br />
wir Erzählung. Die Erzählung lebt u.a. davon, daß ihr Fortgang nicht<br />
voraussehbar ist. Sie knüpft ein Netz zwischen Ereignissen und Personen,<br />
dessen Verbindungen nicht immer gleichzeitig enthüllt und sichtbar<br />
werden. Die Narration ist daher per se eine Entdeckungsreise und der<br />
Held des Romans stellt eine Art Reiseführer dar. In der Narration bedeutet<br />
Selektion Information und die Verknüpfung ist die eigentliche Kunst.<br />
Die Narration ist zwar wie der Index ein Strukturkonzept, aber ihre<br />
Struktur ist nicht mechanisch und tot, sondern chaotisch und ›viabel‹. Sie<br />
lebt weniger von den Gegenständen und Personen, die sie darstellt, sondern<br />
eher von den dynamischen Verbindungen, die sie aus den Gegenständen<br />
und Personen herausholt bzw. zugänglich macht.<br />
Index und Narration stellen also zwei konträre Informationssysteme<br />
dar. Der Großteil der heute produzierten CD-ROMs ist von der Indexstruktur<br />
gekennzeichnet. Die Zukunft der CD-ROM ist aber die Narration<br />
auf der Basis von Daten, von Verweisen und Verzweigungen, von<br />
Vernetzungen und Verknüpfungen jenseits der indexikalischen Struktur.<br />
IV. (Hypertext-Paradigma)<br />
Nicht der Text selbst ist die Botschaft, sondern die verzweigte, nichtsequentielle<br />
Form des Textes, der ›Hypertext‹, wie diese Form des Schreibens<br />
in einem Computer-Environment 1965 von Ted Nelson genannt<br />
wurde. Idealerweise ist die Hypertext-Methode nur in dynamischen,<br />
interaktiven elektronischen Systemen möglich. Mit dem Internet, dessen<br />
Ursprünge auf das 1969 gegründete ARPANET2 zurückgehen, entstand<br />
2. Advanced Research Project Agency Network; digitales Informationsnetzwerk,
ein digitales Informationssystem, das indexikalische Struktur als Einstieg<br />
und narrative Struktur als Erforschung der Datenbasis verband. Mit dem<br />
World Wide Web und dem 1993 von Marc Andreesen entwickelten Programm<br />
Netscape, das es ermöglicht, sich durch dieses ständig wachsende<br />
Netzwerk eines weltweiten Computerverbundes zu bewegen, entstand<br />
eine neue Form des Flanierens. Der Zeitgenosse Flaneur bewegt sich<br />
nicht mehr durch eine Stadt, an Schaufenstern und Menschen vorbei, sondern<br />
durch eine weltweit vernetzte Datenlandschaft. Dieses Flanieren in<br />
virtuellen Städten und globalen Datenbanken nennt man ›browsen‹ oder<br />
›surfen‹.<br />
Das Hypertext-Paradigma, das zum weltweiten Computerverbund<br />
führte, bildet mit seinen Eigenschaften des Browsens, der nicht-sequentiellen<br />
Informationsgewinnung, der mosaikartigen Informationsverteilung<br />
und der fragmentierten, sprunghaften, gleichsam quantenhaften Informationsverarbeitung<br />
auch das Zentrum der CD-ROM. Um den<br />
Unterschied zwischen der indexikalischen Struktur einer Bibliothek und<br />
der Vernetzungsstruktur eines Hypertextes zu verdeutlichen, kann man<br />
vereinfachend sagen, daß beispielsweise eine einzige Web-Seite aufgrund<br />
der Hyperlinks die Tür zu allen anderen Seiten des Webs ist. Jede Informationsdatei<br />
ist so strukturiert, daß sie sowohl einen anderen Teil der<br />
gleichen Datei auffinden kann als auch eine beliebige andere Datei. Dabei<br />
sind die Dateien auch nicht wie Bücher in einer Bibliothek auf bestimmte<br />
Orte beschränkt. Neben der Nicht-Sequentialität und der Nicht-Linearität<br />
gehört also auch die Nicht-Lokalität zu den Eigenschaften des Netzes<br />
wie der CD-ROM. Im Web kann praktisch und theoretisch jedes Wort<br />
mit jedem Wort, irgendwo in der Welt, verbunden werden.<br />
Im Hypertext wird der Text präsentiert als eine Art Landschaft, die<br />
zum Teil unsichtbar ist, die erst erforscht werden muß, wo es aber keine<br />
ursprünglich geplant, um bei nuklearen Attacken auch segmentierte Botschaften über<br />
computerisierte telefonische Information transferieren zu können.<br />
145<br />
artintact 3
artintact 3<br />
146<br />
üblichen Distanzen geben muß. Ich habe nämlich von jedem Punkt der<br />
Landkarte zu jedem anderen Punkt die gleiche Distanz. In einer wirklichen<br />
Landschaft ist das nicht möglich. São Paulo ist von Paris weiter<br />
weg als Rom und Neuilly näher als Wien. Im Hypertext sind die Entfernungen<br />
zwischen Paris, Rom, Neuilly und São Paulo alle gleich.<br />
Die CD-ROM ist der kleine Bruder des Internet, ein konsumorientiertes,<br />
physikalisches Implement des internationalen Webs. Der Untertitel<br />
dieses Essays lautet: ›Die CD-ROM zwischen Index und Narration‹; nun<br />
können wir diese Position des Dazwischen definieren: Es ist das Hypertext-Paradigma,<br />
genauer gesagt, der konstruktive Hypertext. Der Benutzer<br />
verbindet die Punkte, indem er von Datei zu Datei springt und dabei<br />
selbst das Bild oder die Landkarte konstruiert. Die Barriere zwischen<br />
Autor und Leser ist aufgehoben. Der Hypertext ist also ein ungeschriebener,<br />
nicht-linearer Text, der erst vom Leser geschrieben wird. 3 Natürlich<br />
ist der Traum des Hypertexts auch schon in der Gutenberg-Galaxie geträumt<br />
worden, von Giambattista Vico bis Giordano Bruno, von James<br />
Joyce bis John Cage, von Phillip K. Dick bis William Gibson, von Roland<br />
Barthes bis Jacques Derrida, von den Collagen der Dadaisten bis zu den<br />
Cut-ups von William S. Burroughs.<br />
V. (neue Formen der Narration und der Autorenschaft)<br />
Wenn wir sagen, daß die CD-ROM die Form des ›Besonderen Buches‹<br />
fortsetzt, gilt dies nur relativ und eingeschränkt, denn die CD-ROM kennt<br />
die Grenze einer lokalen Seite nicht. Selbstverständlich ist die Datenbank<br />
beschränkt, so wie auch das Alphabet beschränkt ist, aber der Text, den<br />
ich daraus konstruiere, ist im Prinzip unendlich. Wenn also die Narration<br />
im Gutenberg-Zeitalter durch das mechanische Medium – Drucksatz,<br />
Seite, Buch – gekennzeichnet war, durch eine kausale Sequenz von Ereig-<br />
3. Vgl. Michael Choice: Of two minds: Hypertext Pedagogy and Poetics. University of<br />
Michigan Press, 1995.
nissen, wo die Welt in eine starre Abfolge von Buchstaben gefroren<br />
wurde, so handelt es sich beim elektronischen Buch, bei der CD-ROM, um<br />
eine Art Auftauen. Die Narrationsform, die daraus entsteht, könnte man<br />
Anti-Narration (wie wir sie bereits von den großen narrativen Experimenten<br />
des 20. Jahrhunderts von James Joyce bis Marguerite Duras<br />
kennen) nennen, da sie ja nicht-lineare, nicht-kausale, nicht-sequentielle,<br />
singuläre und fragmentarische Abfolgen und Verzweigungen von Information<br />
ermöglicht.<br />
Ebenso wie das Konzept der gutenbergschen Narration problematisiert<br />
die CD-ROM auch das Konzept des gutenbergschen Autors. Der<br />
Autor der CD-ROM ist ein Paradebeispiel für das postmoderne multiple<br />
Subjekt. Der Autor kann der Leser sein oder ein Kollektiv, also ein Netzwerk<br />
von Subjekten auf beiden Seiten der CD-ROM, denn der Benutzer<br />
sorgt ja durch seine Auswahl für die Interpretation und generiert die Information.<br />
Die Autoren der Datenbasis haben dasselbe getan, sie haben<br />
Verknüpfungsmöglichkeiten, Selektions- und Interpretationsmöglichkeiten<br />
vorgeschlagen und angelegt. Es gibt also nicht mehr die strikte<br />
Trennung zwischen dem Autor als Demiurg, als Konstrukteur des Textuniversums<br />
und dem Leser als Bewohner dieses vom Autor entworfenen<br />
Universums, sondern ein Kollektiv von Autoren im historischen Sinn hat<br />
verschiedene parallele Welten vorgeschlagen und der Benutzer, ehemals<br />
Leser, konstruiert aus diesen möglichen virtuellen Welten seine eigene<br />
singuläre, reale Welt. Man könnte also sagen, daß wir es mit einem Anti-<br />
Autor zu tun haben. Die CD-ROM ist das Produkt dieser neuen Form der<br />
Autorenschaft: Interdisziplinäre, kollektive Teams von Autoren stellen<br />
eine Datenlandschaft her, durch die der Surfer als digitaler Flaneur und<br />
Daten-Dandy auf der Suche nach der zugänglichen Information navigiert.<br />
147<br />
artintact 3
artintact 3<br />
148<br />
VI. (Virtualität, Variabilität, Viabilität)<br />
Mit der CD-ROM endet die Ära der Transkription und die Epoche der<br />
Transkodierung beginnt. Vor Gutenbergs Erfindung haben Hunderte<br />
von Mönchen ein vorhandenes Buch von Hand übertragen und dadurch<br />
vervielfältigt. Dabei wurden unabsichtlich Fehler gemacht oder aus ideologischen<br />
Gründen absichtlich Exegesen, Neuinterpretationen eingeführt.<br />
Obwohl ursprünglich die Multiplikation ein und desselben Buches<br />
vorgesehen war, sind bei den Transkriptionen doch immer wieder neue<br />
Bücher entstanden. Die CD-ROM hat das explosionsartig verstärkt. Jede<br />
neue Lesart der Datenbank liefert ein anderes Buch. Dies ist nur möglich,<br />
weil die Information nicht eingesperrt ist wie in einem Buch. Eine Seite ist<br />
eine geschlossene mechanische Maschine mit fixen Bestandteilen. Ein<br />
Buch besteht aus einer bestimmten Anzahl von solchen mechanischen<br />
Seiten, über die der Geist driftet. Durch die elektromechanische Speicherung<br />
der Information bei der CD-ROM nähert sich diese dem Verhalten<br />
von lebenden Systemen. Jede Information wird zu einer Variablen und<br />
jede Seite wird zu einem Feld von Variablen, das unmittelbar mit anderen<br />
Variablen auf anderen Seiten verknüpft werden kann. Die Information ist<br />
eine frei zugängliche und vielfältig bewertbare Variable. War das Buch<br />
mit einer mechanischen Maschine vergleichbar, wird die CD-ROM mit<br />
einem dynamischen System vergleichbar.<br />
Wenn ein System auf einen Input mit einem Output reagiert, der<br />
innerhalb eines limitierten und determinierten Feldes nicht exakt voraussagbar<br />
ist, nennen wir ein solches System ›viabel‹. Es zeigt lebensähnliches<br />
Verhalten. Man könnte also sagen, die CD-ROM nähert sich einem viablen<br />
System. Der Übergang von der Transkription (die Übertragung<br />
einer Botschaft innerhalb eines Mediums) zur Transkodierung (die Übertragung<br />
von einem Medium in ein anderes), wie es bei der CD-ROM der<br />
Fall ist, bezeichnet diesen offenen Horizont der Virtualität, Variabilität<br />
und Viabilität. Das Password zu diesem Horizont ist der Hypertext.
VII. (CD-ROM-Museen)<br />
Die bisherigen CD-ROM-Kataloge der großen Museen der Welt sind<br />
leider noch weit davon entfernt, uns die neuen Möglichkeiten dieses elektronischen<br />
Informationssystems zu zeigen. Sie wiederholen grosso modo<br />
bloß die indexikalische Struktur normaler und traditioneller Kataloge. Sie<br />
sind eine Art elektronischer Versandkatalog, in dem alle vorhandenen<br />
Werke bildlich und textlich aufgelistet sind. Es gibt aber schon einige CD-<br />
ROMs, die die neuen narrativen Möglichkeiten des CD-ROM-Kataloges<br />
demonstrieren und sogar darüber hinaus echte CD-ROM-Ausstellungen<br />
bzw. -Museen sind. Die vorliegende artintact-Edition beispielsweise enthält<br />
Kunstwerke, die eigens für das Medium der CD-ROM geschaffen<br />
worden sind und daher weit über die Möglichkeiten einer im realen Raum<br />
stattfindenden Ausstellung und die damit einhergehenden einschränkenden<br />
Verhaltensregeln im Umgang mit Kunstwerken hinausgeht.<br />
Der bildnerische Vorläufer der CD-ROM im 20. Jahrhundert kann im<br />
tragbaren Koffermuseum, der Boîte-en-Valise von Marcel Duchamp<br />
(oder Rrose Sélavy, seinem weiblichen Alter ego), gesehen werden. Die<br />
Idee dazu hatte Duchamp 1914, als er 14 Notizzettel und eine Zeichnung<br />
fotografierte und sie in Originalgröße auf Fotopapier vervielfältigte.<br />
Einzeln auf Kartonstücke aufgeklebt, wurden diese in Standardschachteln<br />
für Fotoplatten, in einer Auflage von drei Exemplaren, zusammengefaßt.<br />
4 1934 möchte Duchamp erneut eine Auswahl von Notizen zusammenfassen.<br />
Es sind nun aber über 70 Notizen und darüber hinaus eine<br />
ganze Reihe von Fotos und Diagrammen, die die Entwicklung der Arbeit<br />
Le Grand Verre aufzeigen. So entsteht die Boîte Verte, in einer Auflage<br />
von über 300 Exemplaren. 5 In fortgesetzter Arbeit werden aus Reproduktionen<br />
zuletzt Miniatur-Repliken. Statt einer Aneinanderreihung in<br />
4. Boîte de 1914 (Schachtel von 1914). Anm. d. Red.<br />
5. ›Le Grand Verre‹ (›Das Große Glas‹), ›La Boîte Verte‹ (›Die Grüne Schachtel‹), beide betitelt:<br />
La Mariée mise à nu par ses Célibataires, méme (Die Braut von ihren Junggesellen<br />
nackt entblößt, sogar). Anm. d. Red.<br />
149<br />
artintact 3
artintact 3<br />
150<br />
der linearen Sequenz eines Buches werden die 94 Elemente der Schachtel<br />
zu einem Ensemble zufälliger Kombinatorik. 1941 beginnt Duchamp,<br />
eine de Luxe-Version seiner ›Boîtes‹ herzustellen, die Boîte-en-Valise, die<br />
›Schachtel im Koffer‹. Diese Schachtel ist ein Miniaturmuseum, das grosso<br />
modo das Gesamtwerk von Duchamp in modifizierten, faltbaren Miniaturmodellen<br />
enthält: 69 Werkminiaturen (von Gemälden, Zeichnungen,<br />
Objekten, Ready-mades), verpackt in über 300 ›Boîtes‹, 24 davon deklariert<br />
als Boîte-en-Valise – gleichsam eine Retrospektive in Kofferform.<br />
Es ist zu vermuten, daß der Gedanke, ein Lebenswerk in einer großen<br />
Schachtel zusammenzufassen, auf Stéphane Mallarmé zurückgeht, und<br />
zwar einerseits auf das Gedicht Un coup de dés jamais n’abolira le<br />
hasard 6 , andererseits auf das nie vollendete große Projekt Le Livre 7 , in<br />
dem Mallarmé all sein Wissen und den ganzen Kosmos zusammenfassend<br />
darstellen wollte. Die Verteilung der Worte und Zeilen in großen Abständen<br />
über die weißen Seiten eines Buches (›Würfelwurf‹) erlaubt zahllose<br />
Möglichkeiten der Verknüpfung zwischen den Zeilen und Worten, die<br />
immer wieder verschiedene Lesarten und Bedeutungen ergeben. Mallarmés<br />
›Würfelwurf‹ ist also ein erstes Beispiel der Netzstruktur, der zufälligen<br />
Kombination, des multiple choice bzw. random access, der mehrfachen<br />
Auswahlmöglichkeit bzw. des Zufallszugangs zu einem Text oder<br />
Werk. Diese Netzstruktur und Zufallskombinatorik hat die extremsten<br />
Positionen des Gutenberg-Buches am Höhepunkt der Moderne gekennzeichnet<br />
und bereits entscheidende Charakteristika für das postgutenbergsche<br />
Buch – die CD-ROM – vorgegeben.<br />
Die neuen tragbaren Museen, die neuen Schachteln in Kofferform<br />
sind die silbrigen Scheiben der CD-ROM. Die Künstler, die sich mit der<br />
CD-ROM als Medium der Ausstellung, als neues Medium des Museums<br />
6. Ein Würfelwurf wird nie aufheben den Zufall, in einer ersten Fassung 1897 erschienen<br />
(in der Zeitschrift Cosmopolis), 1914 in Buchform.<br />
7. Le Livre (Das Buch), vgl. Jacques Scherer: Le ›Livre‹. Paris: Gallimard, 1957. Anm. d.<br />
Red.
eschäftigen, schaffen Werke, die die Möglichkeiten dieses elektronischen<br />
Mediums ausnutzen. Duchamps handgemachte ›CD-ROM‹ enthielt<br />
Werke, die für Ausstellungen im realen Raum, in der realen Zeit gemacht<br />
wurden. Die Künstler der vom ZKM herausgegebenen CD-ROM machen<br />
eigens elektronische Werke für eine elektronische ›Boîte-en-Valise‹, für<br />
virtuelle Räume, für eine Architektur im Cyberspace und für ein Flanieren<br />
bzw. Browsen in digitalen Museen. Der mit der CD-ROM angebotene<br />
Reichtum an Interaktivität und Variabilität wird für neue Formen der<br />
Begegnung mit Kunst, und zwar mit neuen Formen der Kunst, auf innovative<br />
und komplexe Weise benutzt. So kalt dieses elektronische Miniaturmuseum<br />
auch wirken mag, so groß ist dennoch der Erfahrungsreichtum,<br />
den es anbietet. Die für die vorliegende CD-ROM produzierten<br />
Kunstwerke entwerfen einen gültigen Horizont für die neuen Erfahrungsmöglichkeiten,<br />
die die elektronischen Medien anbieten.<br />
Der elektronische CD-ROM-Katalog der Zukunft wird das Territorium<br />
Artis über die historischen Beschränkungen einer Ausstellung (die<br />
durch die begrenzte physikalische Zugänglichkeit der Kunstwerke und<br />
der Information, durch die physikalischen Grenzen des Ausstellungsraumes<br />
und der Objekte sowie durch die begrenzte kuratorielle Autorenschaft<br />
gegeben sind) weit hinaus ausdehnen. Der elektronische CD-ROM-<br />
Katalog wird ein eigenes Territorium Artis bilden, das den klassischen<br />
Ausstellungen in vielen Fällen überlegen sein wird. Der Weg vom Katalog<br />
als begleitendes, dienendes Instrument der Kunstausstellung führt über<br />
seine Emanzipation als eigenständiges Medium sogar zur eventuellen Ersetzung<br />
des Ausstellungsmediums. Es besteht dabei natürlich die Gefahr,<br />
daß durch diese Kunst als Konserve die ästhetische Erfahrung als sinnliche<br />
Erfahrung verloren geht.<br />
151<br />
artintact 3
Interaktion in Surrealzeit<br />
oder Wie spricht man mit einer Puppe<br />
im magnetischen Spiegel?<br />
Von Erkki Huhtamo<br />
… diese ›Interaktivität‹ – eine neue Verführung, ein weiterer Bühneneffekt … Klar! Was<br />
sonst könnten wir uns je vorgestellt haben? Daß wir, ohne zu wissen, was das ist, ein<br />
›Kunstwerk‹ schaffen könnten, das ›sich selbst‹ kennt, ohne darin seinen Schöpfer zu<br />
reflektieren? 1 Ken Feingold<br />
Ein älterer, respektabler Professor, Ehrenmitglied der finnischen Akademie,<br />
bereits im Ruhestand, sagte mir einmal – ich war damals noch ein<br />
junger Student an der Universität: ›Ich glaube, in meinem ganzen Leben<br />
hat es nur einen einzigen Leitgedanken gegeben: diese ernste, sachliche<br />
Sorte von Menschen – sie erschienen mir immer irgendwie lächerlich.‹<br />
Ohne die stimulierende Wirkung seiner Lieblingssorte italienischen Rotweins,<br />
von dem er schon einige Gläser getrunken hatte (sein Fachgebiet<br />
war die Renaissance und er war Boccaccio-Spezialist), hätte er vielleicht<br />
die Worte etwas anders gewählt, hätte ›beschränkt‹ statt ›lächerlich‹ gesagt.<br />
Die Aufgabe, über Ken Feingolds Arbeiten zu schreiben, ließ diese<br />
lang ›vergessene‹ Szene unerwartet aus meinem Unterbewußtsein auftauchen.<br />
Ja, langsam beginne ich, die Verbindung zu erkennen. Nicht, daß<br />
Ken Feingold etwa dem ehrwürdigen Professor (der schon vor einigen<br />
Jahren von uns ging, und zwar – typisch – während eines Banketts, gerade<br />
1. Ken Feingold: ›The Magnetic Mirror‹, 1992/93 (unveröffentlichtes Manuskript; eine<br />
andere Version, ohne dieses Zitat, erschien in Cameraworks, San Francisco,<br />
Spring/Summer 1993).<br />
Ken Feingold: JCJ-Junkman, 1995. Screenshot.<br />
153<br />
artintact 3
artintact 3<br />
154<br />
als er dabei war, eine Rede zu halten) auch nur im geringsten ähnelte.<br />
Aber er ist offensichtlich ein zumindest entfernter Verwandter. Feingold<br />
ist ein ›artifex doctus‹, dessen Arbeiten – so ernst die zugrunde liegenden<br />
Themen und Motive auch sein mögen – uns immer an die Relativität, die<br />
Ungewißheit und Unbeständigkeit unserer Fragen und Einschätzungen<br />
auf diesem winzigen Planeten erinnern. Mit seinem schlauen Verstand<br />
und seinem spöttischen Lächeln weist er sein Publikum immer wieder<br />
daraufhin, nicht alles (oder vielmehr: überhaupt nichts) für bare Münze<br />
zu nehmen. Die Dinge sind nie, was sie scheinen. Immer gibt es eine andere<br />
Perspektive, und dann wieder eine andere. Die ›Wirklichkeit‹ entzieht<br />
sich uns; ihre Darstellung kann uns eine vorübergehende Ahnung<br />
geben, sollte aber nicht fälschlicherweise für ›das Ding an sich‹ gehalten<br />
werden. Um das zu erreichen, muß Feingold zuweilen sein Publikum<br />
schier zum Wahnsinn treiben. Obwohl viele es letztendlich begreifen,<br />
gibt es doch immer diese ›ernste, sachliche Sorte von Menschen‹, denen<br />
das Wesentliche des ›Feingoldschen Universums‹ entgeht, aber das sind<br />
ohnehin hoffnungslose Fälle.<br />
Im Laufe seiner Karriere hat Feingold unterschiedlichste Ausdrucksmittel<br />
benutzt, von Malerei bis Video und weiter zu interaktiven Installationen,<br />
Telerobotik, multimedialen CD-ROMs und Internetforschung.<br />
Besonders in den neunziger Jahren wendeten sich seine Arbeiten den<br />
unterschiedlichen (persönlichen, psychologischen, ideologischen, ökonomischen)<br />
Auswirkungen der fortschreitenden ›Mediatisierung‹ und<br />
Digitalisierung der Kultur zu (Themen, die bereits in seinen frühen<br />
Videoarbeiten verschiedentlich behandelt werden). Obwohl Feingold<br />
seine Fähigkeiten als Programmierer und Techniker gut zu nutzen weiß,<br />
ist seine künstlerische Orientierung eher philosophisch und konzeptuell<br />
als technologisch. Er benutzt die neueste Technik nicht zum Selbstzweck<br />
(wie manche ›Künstler-Techniker‹ dies tun), sondern als Mittel, um über<br />
ihre soziale und psychologische Bedeutung zu reflektieren – besonders<br />
über die Anomalien und Paradoxa, die ihre Anwendung immer begleiten,
eingeschlossen die Fragen nach ›armseligem Design‹ oder ›schlecht funktionierender‹<br />
Technik. Feingolds Arbeiten können als Meta-Kunstwerke<br />
bezeichnet werden, als technologische Stücke, die die Technologie in<br />
unterschiedlicher Umgebung oder Gestalt (indirekt) spiegeln. 2<br />
Ohne Zweifel bedeutet die Entwicklung der elektronischen und digitalen<br />
Medien und insbesondere ihr Zusammenschluß zu einflußreichen<br />
kulturellen, ideologischen und ökonomischen Kräften einen gewaltigen<br />
Schritt. Aber selbst wenn man nur soviel sagt, bedeutet das bereits, sich<br />
der Idee des Fortschritts zu unterwerfen (mit ständiger technischer<br />
Weiterentwicklung als eine der wesentlichen Folgen), ohne sich zunächst<br />
die Frage nach seinen Voraussetzungen zu stellen. In der Gründerzeit der<br />
digitalen Ära neigte man zu naiven Annahmen – und zu sofortiger Mythenbildung<br />
– über die Segnungen, die die Einführung immer besserer<br />
und ›interaktiverer‹ Apparate und die Ausweitung des Zugangs zum Cyberspace<br />
nahezu unausweichlich hervorbringen würden. Das nahe bevorstehende<br />
technologische Paradies auf Erden, erreichbar über den<br />
›elektronischen Superhighway‹ – der ultimative Mythos des ausgehenden<br />
20. Jahrhunderts – wurde von Regierungen wie von Unternehmen angepriesen;<br />
viele naive (und bisweilen unschuldige) Navigationsgenossen im<br />
Strom der Bits haben sich dem Chor angeschlossen und beleben die Slogans<br />
der Unternehmen unter dem Deckmäntelchen eines ›individuellen‹<br />
oder ›demokratischen‹ Vorhabens. Das Internet, wo jeder ein Verleger<br />
sein kann, oder ein Seifenopernstar (ganz ohne Silikon-Körperteile), oder<br />
Mitglied der ersten ›wirklich egalitären Gemeinschaft‹ – wenn auch einer<br />
virtuellen –, erhebt Anspruch darauf, das utopische Reich zu sein, das ein<br />
Thomas Morus, ein Robespierre oder ein Saint-Simon nicht liefern<br />
konnte.<br />
2. Detaillierter gehe ich auf diese Thematik ein in meinem Aufsatz: ›Seeking Deeper<br />
Contact: Interactive Art as Metacommentar.‹ – Convergence (UK), Bd. 1, Nr. 2<br />
(Autumn 1995), S. 81–104.<br />
155<br />
artintact 3
artintact 3<br />
156<br />
Wird es ›Junkmen‹, Datenmüllmänner, in diesem utopischen Reich<br />
geben? Ken Feingold scheint das anzunehmen – was also, wenn sich herausstellt,<br />
daß das Web aus nichts als Ramsch und Plunder, aus ›junk‹,<br />
besteht? Feingolds erste Arbeit für CD-ROM, JCJ-Junkman (1995), kann<br />
als metaphorischer Kommentar auf die ›verkabelte Welt‹ gelesen werden.<br />
Ist das Programm gestartet, taucht JCJ (oder Jimmy Charlie Jimmy, die<br />
Attrappe eines Bauchredners, die schon in einer früheren Installation<br />
Feingolds verwendet wurde) auf dem Bildschirm auf mit seinen starren,<br />
glasigen Augen, stumm, umgeben von einem schwarzen Raum voll<br />
unzähliger, kurz aufleuchtender Bilder (eine Art ›Web-bites‹, kleine<br />
Häppchen aus dem Netz, wie sich herausstellen wird). Der Benutzer sieht<br />
sich einer Situation ohne Anleitung oder Erläuterung gegenüber (typisch<br />
für Feingolds Œuvre), und beginnt wahrscheinlich, auf die aufblitzenden<br />
Bilder zu klicken, versucht, sie zu ›erhaschen‹. Ist sie oder er schnell genug,<br />
läuft eine Tonsequenz ab (oder vielmehr: kann ablaufen). Jimmy<br />
Charlie Jimmy öffnet sein klapperndes Mundwerk und beginnt, wiederverwertete<br />
Tonschleifen vorzutragen: verschiedene Stimmen, verschiedene<br />
Sprachen, merkwürdige Toneffekte. Manchmal können wir ganze<br />
Sätze erhaschen, manchmal eher unverständliche Fragmente – oder es<br />
passiert gar nichts. Das Ergebnis ist ein kakophonischer und aleatorischer<br />
Refrain, den der Mund einer lächerlichen Attrappe auf den Benutzer<br />
speit.<br />
Man beginnt, sich über die gegenwärtige Medienrealität (oder besser:<br />
Medienvirtualität) Gedanken zu machen, vor allem über das Internet (aus<br />
dem sämtliche Bilder und Töne kommen, auch wenn das zu Anfang nicht<br />
besonders auffällt). Ein chaotisches Durcheinander, ein Ort voller Datenmüll,<br />
ein Szenario der x-Millionen Kanäle. Zappen und surfen in diesem<br />
›Schrottplatz‹ der elektronischen Medien löscht alle geläufigen Syntaxen,<br />
alle Bedeutungszusammenhänge und produziert fragmentierte Subjektivität,<br />
schizophrene Ichs – dafür ist die brabbelnde Puppe natürlich nichts<br />
weiter als ein ›magnetischer Spiegel‹, unsere eigene ›Ersatz-Subjektivität‹
(ganz wie die traditionelle Bauchredner-Attrappe). Durch Verschieben,<br />
Nach-außen-Verlagern und Umformen unserer Wünsche macht JCJ-<br />
Junkman die andere Seite der Utopie sicht-(und hör-)bar: die fortschreitende<br />
Automatisierung und Vorprogrammierung unserer Wünsche. Die<br />
Wahl, die wir haben, ist wirklich eine Pseudo-Wahl: wir haben keinerlei<br />
Möglichkeiten, den Fluß des Datenmülls, den wir bereits verinnerlicht<br />
haben, zu kontrollieren; wir können lediglich damit spielen oder etwas<br />
hinzufügen. 3 Der Datenmüllmann, der aus uns geworden ist, sammelt<br />
den Müll nicht, um ihn auszusortieren oder ihn etwa wiederzuverwerten<br />
im ökologischen Sinn des Wortes. Wenn wir vielleicht auch anders denken:<br />
wir wiederholen doch nur den Kreislauf des Schrotts, der unseren<br />
Verstand mit der Medienrealität verbindet. 4 Die Schleife ist endlos (und<br />
entsprechend hat JCJ-Junkman weder Anfang noch Ende, ist keine<br />
Erzählung mit einem besänftigenden Schluß).<br />
JCJ-Junkman gibt uns Gelegenheit, unser Verhältnis zur online-Welt zu<br />
überprüfen; darüber hinaus befragt diese Arbeit auch unsere Beziehung<br />
zu Computern im allgemeinen. Wie Feingolds frühere Werke, z. B. The<br />
Surprising Spiral (1991) und where I can see my house from here so we are<br />
(1993/94), stellt auch JCJ-Junkman die Idee der Interaktivität in Frage,<br />
diesen anderen einflußreichen Mythos des ausgehenden 20. Jahrhunderts.<br />
›Interaktive Medien‹ (eigentlich ›interaktives Allerlei‹) wurde angeboten<br />
als das Heilmittel gegen alle Übel, die von der Hegemonie der traditionellen<br />
›Einbahn-Medien‹ mit ihren entfremdenden und usurpatorischen<br />
3. Feingold hat ein Programm geschrieben, das dem Benutzer erlaubt, ›Müll‹ aus dem<br />
Internet online der Welt von JCJ-Junkman hinzuzufügen. (Die artintact-Version beinhaltet<br />
diese Möglichkeit noch nicht.)<br />
4. Der grundlegende theoretische Text zum Thema Recycling im Umfeld der kommerziellen<br />
Medien (allerdings in Bezug auf das Fernsehen) ist: Beverle Houston: ›Viewing<br />
Television: The Metapsychology of Endless Consumption.‹ – Quarterly Review of<br />
Film Studies, Summer 1984, S. 183–195.<br />
157<br />
artintact 3
artintact 3<br />
158<br />
Eigenschaften ausgingen. Auf wundersame Weise reißen die interaktiven<br />
Medien den ›Couch Potato‹, den Dauerglotzer, von seinem Sofa und verwandeln<br />
ihn in einen aktiven ›Protagonisten‹, in den Schöpfer seiner eigenen<br />
Medienrealitäten und -fantasien. Im Gegenzug werden die interaktiven<br />
Medienmaschinen smart und beherbergen jede Menge ›intelligente<br />
Agenten‹. Das Resultat ist eine ›kreative Konversation‹, eine ›Mensch-<br />
Maschine-Interaktion in Echtzeit‹, die zu einer Art Symbiose von<br />
Mensch und Maschine führt. Schließlich wird daraus eine quasi Kopf-zu-<br />
Kopf-Kommunikation, ein hybridisiertes Bewußtsein auf höherer<br />
Ebene.<br />
Schon in The Surprising Spiral befaßte sich Feingold mit zwei entscheidenden<br />
Voraussetzungen für Interaktivität: der Idee (und dem Ideal)<br />
von Interaktion in Echtzeit und dem Bedürfnis nach einem ›pädagogischen<br />
Subtext‹ – einem eingebauten Übungskurs für den Benutzer.<br />
Feingold programmierte die Reaktionen auf Aktionen des Benutzers als<br />
entweder in Echtzeit oder verzögert; sie könnten auch durch einen vorherigen<br />
Benutzer hervorgerufen sein. Es gibt keine Möglichkeit, das<br />
genau festzustellen. Feingold nahm weder ›Pläne‹ noch ›Menüs‹ in die<br />
Arbeit auf, nicht einmal einen Hinweis darauf, daß die Arbeit ›interaktiv‹<br />
ist – der Besucher findet es selbst heraus oder eben nicht. In where I can<br />
see my house from here so we are, einer telerobotischen Arbeit zwischen<br />
drei Orten, verbunden durch das Mbone-Internet, können die Teilnehmer<br />
kleine (wirkliche, nicht virtuelle) Teleroboter fernsteuern, die sich<br />
innerhalb einer von Spiegeln begrenzten Arena befinden. 5 Die Teilnehmer<br />
kommunizieren mit den Robotern durch ›Sinnesorgane‹ (Video-<br />
Augen, Mikrofon-Ohren). Erneut hat Feingold die Situation bewußt<br />
verkompliziert. Die geringe Übertragungsrate des Mbone und die irreführende<br />
Wirkung der Spiegel machen es schwer, sich zu orientieren oder<br />
5. Meine Beschreibung der Arbeit bezieht sich auf die Version, die beim Interactive Media<br />
Festival in Los Angeles (4.–8. Juni 1995) gezeigt wurde.
auch nur zu erkennen, ob man mit einer ›Puppe‹ spricht oder mit seinem<br />
eigenen Spiegelbild. Die Bewegungen der Roboter werden außerdem<br />
durch ihre ›Nabelschnüre‹ – sichtbare Kordel – eingeschränkt. Das Wahrnehmungschaos<br />
verstärkt sich noch durch gelegentliche Unfälle, ein<br />
Roboter verheddert sich z.B. in seiner Nabelschnur und fällt um, oder das<br />
ganze System bricht zusammen. 6<br />
In JCJ-Junkman setzt Feingold die Beschäftigung mit diesen Themen<br />
fort. Wie bereits erwähnt, gibt es zu der Arbeit keine Bedienungsanleitung,<br />
und sie hat weder Anfang noch Ende. Die Bilder erscheinen<br />
unvorhersehbar und zufällig auf dem Bildschirm. Für die meisten der<br />
potentiellen Benutzer ist eine CD-ROM entweder eine elektronische<br />
Enzyklopädie oder ein Computerspiel. Dieser Erwartungshorizont wird<br />
bewußt und vollkommen enttäuscht, und der Benutzer wird dazu<br />
gedrängt, seine Beziehung zu diesem Medium zu überdenken (die andere<br />
Möglichkeit wäre, die CD-ROM als Frisbee zu benutzen). Feingold handelt<br />
Interaktion in ›Echtzeit‹ ab, indem er die Bilder so sehr beschleunigt,<br />
daß das Interagieren nahezu unmöglich wird (normalerweise werden<br />
Computersysteme ja wegen ihrer Langsamkeit kritisiert!). Das Ergebnis<br />
ist in der Tat eine Art Interaktion in Surrealzeit! Gleichzeitig wird die Idee<br />
des ›Dialogs mit Multimedia‹ und der ›intelligenten Agenten‹ ad absurdum<br />
geführt – es gibt zwar einen Partner oder ›Agenten‹ auf dem Bildschirm,<br />
aber eher als verzerrte Spiegelung der eigenen (mediatisierten)<br />
Subjektivität des Benutzers. Indem Feingold dem kommunikativen Akt<br />
Lärm (im kybernetischen Sinn des Wortes) hinzufügt, zerstört er die<br />
Konventionen von Kommunikation – nicht um Anarchie zu erzeugen,<br />
sondern um die vorherrschenden Meinungen (ob naiv oder kalkuliert)<br />
6. Mit seiner eigenen Charakterisierung der Arbeit trifft Feingold ins Schwarze: ›Ein virtueller<br />
Maskenball, ein MOO mit Spiegeln, ein Puppentheater mit Fernbedienung, eine<br />
Welt von »waldos«, eine dieser unerträglichen Höllen, oder der Beginn einer neuen Art<br />
öffentlicher Räume …‹ (›Notes on recent works.‹ – http://www2.sva.edu/ken/).<br />
159<br />
artintact 3
artintact 3<br />
160<br />
über Medien und Technologie der philosophischen und künstlerischen<br />
Überprüfung zu unterziehen. Die Interaktion liegt vornehmlich in der<br />
Tatsache, daß es dem Benutzer überlassen bleibt, daraus seine Schlüsse zu<br />
ziehen.<br />
Wie wichtig dieser zeitgenössische Bezugsrahmen auch ist, so ist er doch<br />
nicht der einzige. Feingolds Arbeiten führen auch einen historischen und<br />
theoretischen Dialog (oder besser: Polylog). Sie sind aufgeladen mit sorgfältig<br />
durchdachten kulturellen Bezügen. Das mag zwar nicht immer sofort<br />
ins Auge fallen, gibt den Arbeiten aber Solidität und weist ihnen einen<br />
Platz innerhalb semantischer und zeitbezogener Raster zu. Ein gutes<br />
Beispiel ist die Installation Childhood/Hot & Cold Wars (The Appearance<br />
of Nature) (1993), die verschiedenste Elemente versammelt (eine Standuhr,<br />
die gleichzeitig ein Videoscreen ist, ein durchsichtiges, kugelförmiges<br />
Interface, die Tür eines Vorstadthauses, eine Replik der ›Atombombenkuppel‹<br />
von Hiroshima) und so zu einer Art Zeitmaschine wird, die die<br />
Funktionsweise des Gedächtnisses wachruft. Die persönlichen Erinnerungen<br />
des Künstlers werden dabei gemischt mit ›objektivierten‹ Spuren<br />
einer Ära (den Film- und Fernsehausschnitten der fünfziger Jahre). 7 OU<br />
(1992–96), eine noch nicht abgeschlossene Arbeit, beschäftigt sich mit einer<br />
anderen Art von Archäologie, indem sie den Anfängen von Interaktivität<br />
bei alten Automaten und der ökonomischen Art und Weise, in der<br />
hier der ›Austausch‹ zwischen dem Kunden und der Maschine vor sich<br />
ging, nachspürt. OU ist eine weitere sprechende Puppe, ein anthropomorphisierter<br />
Wahrsage-Automat, der harte US-Dollars verlangt, ehe er<br />
bereit ist, dem Betrachter seine selbstgebraute Wirtschaftsphilosophie<br />
7. Mehr über die Ideen, die hinter dieser Arbeit stecken, findet sich in: Ken Feingold:<br />
›Childhood/Hot & Cold Wars (The Appearance of Nature).‹ – Iterations: The New<br />
Image, Hg. T. Druckrey, New York City und Cambridge, Mass.: International Center<br />
of Photography und MIT Press, 1993, S. 162–167.
mitzuteilen. 8 Eine raffinierte Art, zwischen der mechanisierten Unterhaltung<br />
des 19. Jahrhunderts und dem heutigen Kunstmarkt (ganz zu<br />
schweigen vom Web und seiner Funktionsweise) eine Brücke zu schlagen.<br />
Woher kommen die Puppen und Roboter in Feingolds Arbeiten? Man<br />
kann an alle möglichen Einflüsse denken. Da gab es z.B. die Bauchredner<br />
mit ihren grotesken Puppen-›Familien‹, die P.T. Barnum im 19. Jahrhundert<br />
ausstellte. 9 Man könnte sogar behaupten, daß die physische Entkörperlichung<br />
der Stimme, wie sie von diesen Illusionisten praktiziert<br />
wurde, deswegen so populär wurde, weil ›in der Luft lag‹, was das<br />
virtuelle Bauchreden ankündigte und was die neuen Telekommunikationsmethoden<br />
bald jedem beibringen sollten: die elektrische Übertragung<br />
der Stimme. In ähnlicher Weise könnte man auch darüber spekulieren,<br />
warum ›Buffalo Bob‹ Smith’ sprechende Puppe Howdy Doody<br />
einer der ersten Superstars des frühen amerikanischen Fernsehens<br />
wurde. 10 Genauso könnte man an Hans Bellmer und die Surrealisten denken.<br />
Oder an Kokoschkas Puppe, seine Begleiterin. Oder an die Entwikklungslinie<br />
von den klassischen Automaten zu den kybernetischen<br />
Kunstwerken der sechziger Jahre, dargestellt von Jack Burnham. 11 Oder<br />
an die Science Fiction der fünfziger Jahre. Und vielleicht auch an die intelligenten,<br />
mit Video-Augen ausgestatteten Missiles, die Stars des Golfkrieges<br />
…<br />
8. Mechanische Wahrsage-Automaten enthielten oftmals simulierte menschliche<br />
Figuren, die sprechen und sich bewegen konnten oder die die Vorhersage des<br />
Schicksals auf einem Streifen Papier durch einen Schlitz ausgaben. Ein Automat aus<br />
den sechziger Jahren, der Zoltan hieß, las die Zukunft durch einen Telefonhörer. (Vgl.<br />
Bill Kurtz: Slot Machines and Coin-Op Games. London: The Apple Press, 1991,<br />
S. 110.)<br />
9. Vgl. Philip B. Kunhardt Jr., Philip B.Kunhardt III & Peter W. Kunhardt: P. T. Barnum:<br />
America’s Greatest Showman. New York: Alfred A. Knopf, 1995, S. 254 f. u.a.<br />
10. Vgl. Rick Marshall: History of Television. London: Bison Books, 1986, S. 22 f.<br />
11. Jack Burnham: Beyond Modern Sculpture. New York: Georg Braziller, 1968; vgl. vor<br />
allem die Kapitel fünf und acht.<br />
161<br />
artintact 3
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162<br />
Sei es wie es will, für Feingold ist es letztendlich wichtiger, was eine<br />
Puppe sagt als was eine Puppe ist (sie ist auf jeden Fall ein Medium). Einer<br />
der wichtigsten Subtexte seines gesamten Œuvres ist die Beschäftigung<br />
mit Sprache als dem organisierenden Prinzip unserer Wahrnehmung. Seit<br />
seinen frühen Videoarbeiten (wie 5dim/Mind, 1983 und The Double,<br />
1984) hat Feingold sich bemüht, vorherrschende Syntaxen zu dekonstruieren<br />
und auf neue Konfigurationen und Taxonomien hinzuarbeiten. Das<br />
gilt auch für seine jüngsten Projekte im Web. 12 Die Logik des menschlichen<br />
Gehirns liefert das zentrale Modell. Dadaistische und surrealistische<br />
Einflüsse kann man gelegentlich spüren. 13 Die aleatorische Poesie<br />
der Dadaisten und das automatische Schreiben der Surrealisten trifft auf<br />
den Einfluß von Persönlichkeiten wie Jean Cocteau, Jorge Luis Borges,<br />
Alain Robbe-Grillet und Octavio Paz. Eine der letzten Arbeiten Ken<br />
Feingolds, Orpheus (1996), kann wie eine Hommage an Cocteaus großen<br />
Film Orphée (1950) gelesen werden. Orpheus, eine weitere sprechende<br />
Puppe, die Feingold an einem schwer zu erreichenden, aber doch nicht zu<br />
weit entfernten Ort plazieren möchte, gibt rätselhafte Sätze von sich,<br />
komponiert aus einem der Hauptthemen von Cocteaus Film: den poetischen,<br />
surrealen Nachrichten, die der Tod übers Radio sendet. Sie sind das<br />
semantische Grundmaterial für Feingolds Variationen. 14<br />
12. Vgl. ›REKD=HARDCORE PORNOGRAPHIE‹ und ›The Amazing Buttonizer‹, zu finden<br />
unter http://www2.sva.edu/ken/.<br />
13. Eine Analyse der Einflüsse in The Surprising Spiral liefert Regina Cornwell: ›Interactive<br />
Art: Touching the Body in the Mind.‹ – Discourse, Bd. 14, Nr. 2 (Spring 1992),<br />
S. 213f.<br />
14. Feingold erklärt: ›Der Text/die Texte in Orpheus entstanden folgendermaßen:<br />
Zunächst benutzte ich die (übersetzten) Originalsätze aus Cocteaus Film – all die<br />
Wendungen, die übers Radio gesprochen werden, der Reihe nach – als grammatikalische<br />
Matrix. Die Matrix ist somit eine Art Querschnitt des ursprünglichen<br />
Drehbuchs, wobei nur ein einziger Aspekt des Filmes beachtet wird – der Radiotrick,<br />
den der Tod arrangiert, um Orpheus in die Unterwelt zu locken, die »gefundenen<br />
Texte« aus dem Medium, die Orpheus hypnotisieren. Danach fügte ich Worte von mir
In diesem Sinne sind die kakophonischen Stimmen und Geräusche,<br />
die aus JCJ-Junkmans Mund kommen, keinesfalls planlos oder nur beschränkt<br />
auf den Kontext des Internets. In der Interaktion mit der Arbeit<br />
produziert der Benutzer ›Poesie‹, eine einzigartige Bild-Ton-Collage,<br />
verwandt mit den dadaistischen und surrealistischen Bemühungen. Inmitten<br />
des Lärms werden vielleicht neue linguistische Idiome wahrgenommen.<br />
Aber man sollte eine solche Interpretation nicht zu weit treiben.<br />
Im Falle eines wirklich ›offenen Werkes‹ (Umberto Eco), wie wir es<br />
hier vor uns haben, wird jede/r die ihr/ihm eigene Lesart finden. Es ist<br />
ebenso Teil des Spiels, daß für einige Benutzer eine einzige aufregende,<br />
gefährliche Sampling Session – oh, meine schmerzenden Handgelenke –<br />
mit JCJ-Junkman ausreicht. Oder vielleicht wird diese eine schon zuviel<br />
sein, aber das ist nicht Feingolds Problem.<br />
Übersetzung: Astrid Sommer<br />
als mögliche weitere Worte innerhalb der Matrix hinzu. Das Computerprogramm<br />
zieht aus der Matrix nach dem Zufallsprinzip Worte jedesmal durch die<br />
Endlosschleife des gesamten Stückes. So wurde z.B. der Satz »Silence goes faster backwards«<br />
(»Rückwärts vergeht das Schweigen schneller«) aus Cocteaus Film zu einer<br />
Matrix, zu der »Zeit«, die »langsamer« und »seitwärts« vergeht, hinzugefügt wurde.‹<br />
(Zitiert aus einem Brief Feingolds an den Autor vom 25. Juni 1996.) Auch wenn<br />
Cocteau streng genommen nie wirklich ein Surrealist war, sollte man doch den<br />
Einfluß der surrealistischen automatischen Poesie nicht vernachlässigen. Einige der<br />
›152 auf den neuesten Stand gebrachten Sprichwörter‹, die Éluard und Péret 1925 veröffentlichten,<br />
ähneln durchaus den Sätzen Cocteaus und Feingolds: ›Kaltes Fleisch<br />
löscht kein Feuer‹, ›Welke Haut steigt himmelwärts‹, ›Wer Wimpern sät, wird Stroh<br />
ernten‹, usw. (Vgl. Paul Éluard, Benjamin Péret: 152 Sprichwörter auf den neuesten<br />
Stand gebracht, hg. und übersetzt von U. Hörner und W. Kiepe. Gießen: Anabas,<br />
1995, Nr. 44, 48, 53. Die Originalfassung, ›152 proverbes mis au goût du jours‹,<br />
erschien erstmals in La Révolution Surréalistes, Hg. Bureau de recherches surréalistes,<br />
Paris, 1925. Anm. d. Red.)<br />
163<br />
artintact 3
Klick: Bildlandschaft als Ruine<br />
Von Peter Lunenfeld<br />
Diese Zeitspanne der Vernachlässigung muß ebenso sein wie eine gewisse Diskontinuität;<br />
religiös und künstlerisch ist beides wesentlich. Hierauf beziehe ich mich, wenn ich davon<br />
spreche, daß Ruinen notwendig sind: Ruinen liefern den Anreiz für Restaurierungen und<br />
für eine Rückkehr zu den Ursprüngen. 1 J. B. Jackson<br />
In der Vorführkabine startet ein 35-mm-Projektor und The Big Easy,<br />
eine Detektivgeschichte in New Orleans, beginnt mit einer langsamen<br />
Kamerafahrt bei Tageslicht durch die Marschlandschaften von Louisiana.<br />
Es wird dunkler und die Fahrt wird schneller, um schließlich durch den<br />
nächtlichen Stadthimmel hinunter auf Charles Moores klassisch inspirierte<br />
postmoderne Persiflage zu fahren – die Piazza d’Italia. Da es ein<br />
Krimi ist, gibt es natürlich auch eine Leiche im Brunnen, mit dem Gesicht<br />
nach unten. 2<br />
Als ich diesen Film zum ersten Mal sehe, kenne ich die Piazza d’Italia<br />
nur von Bildern in Architekturbänden. Aber hier sieht die Piazza – mit<br />
ihren hell erleuchteten falschen Säulen, ihren fließenden ›Wetopen‹ (diesen<br />
witzig-tropfenden Metopen) und der topographischen Karte des italienischen<br />
Stiefels – verführerischer aus als je zuvor. Schließlich ist es ein<br />
Film, und Menschen, Orte, Dinge haben im Film nun einmal besser auszusehen.<br />
3<br />
1. J. B. Jackson: The Necessity For Ruins. Cambridge, Mass.: MIT Press, 1980, S.101.<br />
2. Der Große Leichtsinn. USA, 1987. Regie: Jim McBride.<br />
3. Die Piazza d’Italia (1976–79) ist eine der bekanntesten Arbeiten des amerikanischen<br />
Architekten Charles W. Moore (1925–1993). Heinrich Klotz beschreibt die Piazza<br />
d’Italia als das ›wohl treffendste Beispiel postmodernen Bauens‹ in seinem enzyklopädischen<br />
Überblick Moderne und Postmoderne. Architektur der Gegenwart 1960-1980.<br />
Braunschweig/Wiesbaden: Vieweg & Sohn, 1984, S. 137.<br />
Perry Hoberman: The Sub-Division of the Electric Light, 1996. Screenshot.<br />
165<br />
artintact 3
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166<br />
Einige Jahre später, und ich gehe zum ersten Mal durch das Zentrum<br />
von New Orleans. Plötzlich stehe ich vor einer Ruine. Neonröhren fehlen<br />
oder sind zerbrochen, das Wasser wurde schon vor Jahren abgestellt,<br />
die Mauern sind rissig, der Putz blättert ab – ein merkwürdiges Bild der<br />
›witzigen‹ Konstruktion, deren Stahlrahmenkonstruktionen ursprünglich<br />
mit Stein verblendet waren und wo sich nun durch die Auswirkungen<br />
von Zeit und Vandalismus das eine vom anderen trennt. Die Piazza d’Italia<br />
braucht – nicht mehr als anderthalb Jahrzehnte nach ihrer Fertigstellung<br />
– keine Leiche mehr, um dem Schauplatz eines Verbrechens zu ähneln.<br />
Der Diskurs über zeitgenössische Architektur endet zu oft am Tage<br />
der Einweihung. Vielleicht sollte er seine Paradestücke wieder einmal<br />
aufsuchen und sehen, wie sie sich ihrer Umgebung, ihren Bewohnern und<br />
unerwarteten Nutzungen anpassen – und selbst ihrem ungerechten,<br />
ihrem schändlichen Schicksal. 4<br />
Weitere Jahre vergehen und ich bin wieder in New Orleans. Ich<br />
schaue mir den Prototyp von Perry Hobermans The Sub-Division of the<br />
Electric Light (Die Unterteilung des elektrischen Lichts) an. Ich bin aus<br />
Los Angeles gekommen, Hoberman aus New York – diese seltsame Triangulation,<br />
die Messe, Konferenz und Vortragsreihe auf die Geographie<br />
ausüben, hat uns im Schatten der Piazza d’Italia zusammengeführt. Es<br />
mag zwar Hobermans erstes Projekt speziell für CD-ROM sein, aber es<br />
steht in der Tradition seiner langjährigen und leidenschaftlichen Bemühungen,<br />
die Verknüpfungen von Technologie, Bildern und Nostalgie<br />
sichtbar zu machen. Hier, im Kontext der Piazza, läßt der Bildschirm die<br />
Landschaft der Bilder plötzlich als Ruine erscheinen.<br />
Klick. Uralte Projektoren surren in einer diffusen, phosphor-erleuchteten<br />
Leere. Klick, und die Projektoren erfüllen ihre Bestimmung; sie<br />
4. Besonders informativ ist Stewart Brand bezüglich dieser Nachlässigkeit des Architekturdiskurses<br />
in How Buildings Learn: What Happens After They’re Built. New<br />
York: Viking, 1994.
projizieren. Die Bilder, die sie quer durch den virtuellen Raum des Monitors<br />
werfen, bestehen aus Amateurfilmen, gefundenem Filmmaterial,<br />
Familiendias. Die Bildlandschaft ist eine genau kalkulierte Nostalgiemaschine,<br />
ausgerichtet an unseren Erinnerungen eines früheren Medienzeitalters:<br />
die Zeit der hellen Glühbirnen, der fotochemikalischen Lösungen,<br />
reflektierenden Oberflächen und Staubkörnchen, die ins Leben, ins<br />
Licht wirbeln. Hoberman unterteilt unsere kulturelle Erinnerung an<br />
Licht im Dienste der Medien. Im Monitor beschwört er die Projektion,<br />
um uns an die stetig zunehmende Geschwindigkeit zu erinnern, mit der<br />
wir Medientechnologien konsumieren und anschließend entsorgen – und<br />
daran, daß man mit jedem Schritt, mit dem man etwas gewinnt, auch<br />
etwas verliert. Zu einem Zeitpunkt, da der leidenschaftlichste Traum des<br />
Computermarktes sich mit ›full-screen, full-motion Video‹ zusammenfassen<br />
läßt, ist Hoberman ein Ikonoklast, der den Bildschirm zertrümmert,<br />
unterteilt und mit dessen vorgetäuschten zweieinhalb Tiefendimensionen<br />
spielt.<br />
Klick, und ein Szenario beginnt: ein alter 8-mm Bell & Howell-Projektor<br />
surrt in einer Ecke des Monitors ins Leben und erfüllt die Erwartungen<br />
nach Interaktion. Ein weiterer Klick, diesmal auf das verkleinerte<br />
Filmbild eines Babies, das auf einer Leinwand gurrt und gluckst, die<br />
schräg zum Projektor hängt – die Erwartungen werden herausgefordert.<br />
Dieser Klick beschwört den Alptraum eines jeden Filmvorführers herauf:<br />
das Bild wird unscharf, verrutscht, bleibt stehen und brennt von innen<br />
nach außen durch. Heute aber haben wir Angst davor, daß die Systeme<br />
abstürzen und nicht, daß ein Film sich verklemmt und in Flammen aufgeht<br />
– was die Frage aufwirft: Was geschieht mit alten Alpträumen, wenn<br />
sie niemand mehr träumt?<br />
Klick, und einer der kaum fertiggestellten Räume wird von einer Projektion<br />
überflutet. Ein überdimensionierter Ball rollt an der Wand entlang,<br />
fängt das Licht ein, transformiert es; eine Erinnerung daran, daß das<br />
bewegte Bild nicht immer an der sich vergrößernden Bildschirmdiagona-<br />
167<br />
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168<br />
len gemessen werden sollte. Klick, und die Projektion nimmt die Merkmale<br />
dessen an, worauf sie projiziert wird. Klick, und man wird an das<br />
große Vergnügen erinnert, das in der Unterbrechung, der Manipulation<br />
und der Einstellung des projizierten Lichts verborgen lag.<br />
Das Spielen mit Licht ist nicht einfach eine ästhetische Geste, es muß<br />
auch als Manipulation von Zeit gesehen werden, als Ergebnis der Tatsache,<br />
daß wir uns der Gesetze der Relativität und des Mantras des 20. Jahrhunderts<br />
– E = mc2 – bewußt sind. The Sub-Division of the Electric Light<br />
thematisiert auch die Parzellierung und Neuzuteilung von Zeit, die die<br />
dynamischen Medien mit sich bringen. Godard sprach vom Film als<br />
Wahrheit, 24 mal pro Sekunde; Videorekorder machten den Zeitsprung<br />
zu einem phänomenologischen Allgemeinplatz; der heilige Gral der<br />
Computergrafik ist die ›Echtzeit‹-Anwendung; die Ästhetik des World<br />
Wide Web wird zumindest ebenso von der Wartezeit zwischen den Bildern<br />
bestimmt wie von den online-Bildlandschaften selbst.<br />
Hoberman spielt genau diese Verbindung zwischen dem Visuellen<br />
und dem Zeitlichen gegeneinander aus. Klick, und jedes Szenario offenbart<br />
sich als einzigartig (oder als Gag, je nachdem), entweder durch einen<br />
weiteren Klick oder durch eine Bewegung der Maus: der Film läuft rückwärts,<br />
Lichtquellen verschieben sich, Dias klemmen, Objekte rotieren<br />
oder verformen sich; und einmal bewegt sich die Leinwand nach vorne<br />
bzw. nach hinten, einen Zeitgleiter im Raum schaffend. Klick, und Zeit<br />
wird verräumlicht. Klick, und Raum wird verzeitlicht. Hoberman<br />
schrieb zu diesem Projekt: ›Ich möchte etwas machen, bei dem Zeit niemals<br />
ganz anhält – aber nicht etwas, das einen in einem automatischen<br />
Uhrwerk gefangen hält – etwas, das es dem Benutzer erlaubt, mit Zeit zu<br />
spielen, das Zeit formbar macht – aber nicht etwas, daß es dem Benutzer<br />
erlaubt, Zeit zu kontrollieren (was sowieso unmöglich wäre).‹ 5<br />
Dieses Zitat ist auch eine Beschreibung von Erinnerung, dieses unfaß-<br />
5. Aus der e-mail-Korrespondenz des Künstlers mit Lorne Falk vom 27. Juni 1996.
aren Irgendwo, wo ›Zeit etwas Formbares ist‹. Und Erinnerung ist<br />
wesentlich in The Sub-Division of the Electric Light. Es gibt vergessene<br />
Erinnerungen: Edisons elektrische Glühbirne als Widerlegung der allgemein<br />
verbreiteten Überzeugung des 19. Jahrhunderts, daß die Domestizierung<br />
der künstlichen Beleuchtung im kleinen Maßstab unmöglich<br />
sei. 6 Es gibt schwache Erinnerungen: Verwaltungsbeamte, die den Desktop-Computer<br />
als Freizeitbeschäftigung des Hobbyisten ad acta legen –<br />
nichts, was dem Mandarin-Kastensystem der Großrechner gefährlich<br />
werden konnte. Es gibt persönliche Erinnerungen aus einer weit zurückliegenden<br />
Vergangenheit: Verwandte, die seltsame Maschinen hervorholen,<br />
um ihre Familienfilme zu zeigen oder die Dias ihrer Reisen. Es gibt<br />
professionelle Erinnerungen: Maschinen (der Apple II), Plattformen (der<br />
Amiga), Hardware (der Nadeldrucker), Software (Wordstar), Speichermedien<br />
(die 51 ⁄4"-Diskette) – sie waren einmal wesentlich für die Arbeit<br />
mit Computern, heute sind sie nur noch wie abgelegte Kleidungsstücke<br />
oder sogar schon endgültig ausgemustert.<br />
6. ›1877 schrieb Fontaine, ein angesehener französischer Ingenieur und Wissenschaftler,<br />
ein Buch über das Glühlampenlicht, in dem er seine Überzeugung zum Ausdruck<br />
brachte, daß die Unterteilung des elektrischen Lichts, d.h. die Entwicklung kleiner<br />
Beleuchtungseinheiten des elektrischen Lichts analog zu den Beleuchtungseinheiten<br />
der Gasversorgung, unmöglich sei … William H. Preece erläuterte in einem Vortrag vor<br />
der Royal United Service Institution am 15. Februar 1879: »Es ist jedoch leicht nachweisbar<br />
(und das heißt unter Beachtung ganz exakter und wohlbekannter wissenschaftlicher<br />
Gesetze), daß in einem Stromkreis, in dem die Stromstärke konstant ist,<br />
und in den wir zusätzliche Lampen einfügen, dann, wenn diese Lampen in einem einzigen<br />
Stromkreis, d. h. in Reihe verbunden sind, sich das Licht im umgekehrten<br />
Verhältnis zur Quadratzahl der Lampen im Stromkreis verändert, und daß, in der<br />
Parallelschaltung verbunden, das Licht sich vermindert, wie die Kubikzahl der eingefügten<br />
Lampen. Folglich ist eine Unterteilung des elektrischen Lichtes eine Illusion.«‹<br />
– Francis Jehl: Menlo Park Reminiscences, Band I. New York: Dover Books, 1990;<br />
Nachdruck der Ausgabe von 1937, Dearborn, MI: The Edison Institute. (W. H. Preece<br />
hier zit. nach: Ronald W. Clark: Edison. Übers. von L. Nürnberger, Frankfurt a.M.:<br />
Societäts-Verlag, 1981, S. 92. Anm. d. Red.) Mein Dank an den Künstler, mir die Quelle,<br />
die ihn zum Titel des Projektes inspirierte, zur Verfügung zu stellen.<br />
169<br />
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170<br />
Zurück also zur Architektur und zur postmodernen Ruine der Piazza<br />
d’Italia. Wir können sehen, daß der größte Teil der elektronischen Kunst –<br />
eher früher als später – das Schicksal des Mooreschen Monuments teilt:<br />
Das Silberoxid, das sich von den Ein-Zoll-Videobändern ablöst; die Pioniertaten<br />
im Bereich von Audio und Video, geleistet auf Computersystemen,<br />
für die es heute weder Handbücher noch Ersatzteile gibt; sogar die<br />
CD-ROM selbst, die von Anfang an als Übergangslösung bezeichnet<br />
wurde. So ist Perry Hoberman, dessen Arbeiten so oft auf Performances<br />
aufbauten, ein emblematischer Künstler für die CD-ROM. Es ist vielleicht<br />
ein Fehler, The Sub-Division of the Electric Light als Kunst-Objekt anzusehen,<br />
denn das impliziert eine gewisse Dauerhaftigkeit und Beständigkeit,<br />
die die Arbeit und ihr Medium nicht bieten. Man sollte es vielmehr<br />
als Performance denken, denn Performances, im Gegensatz zu<br />
Monumenten, hinterlassen keine Ruinen; sie hinterlassen Erinnerungen.<br />
Übersetzung: Angelika Haarkamp, Astrid Sommer
Raum für elektronische Unruhen<br />
Von Annika Blunck<br />
Mit seinen interaktiven Arbeiten richtet Perry Hoberman die Aufmerksamkeit<br />
auf die Begriffe Masse und Medium, um sie zu hinterfragen und<br />
um überkommene und oft einseitige Kritik zu differenzieren. Geradezu<br />
mit Emphase arbeitet Hoberman daran, die Wirklichkeitsmächtigkeit der<br />
Massenmedien zu brechen. Wo diese eben noch den Rezipienten mit Informationen<br />
bedienten und fast unmerklich sein Interesse definierten,<br />
greift er nun selbst in das Geschehen ein.<br />
Durch das Angebot zur Handlung, das vom interaktiven Kunstwerk<br />
gemacht wird, ergibt sich die Möglichkeit, den übertragenen Informationsgehalt<br />
selbst mitzubestimmen. Der Betrachter schert aus der Herde<br />
der andächtig Glotzenden aus und kann nun sein Verhalten als Individuum<br />
zum ausgestellten Werk selbst bestimmen. Die Macht des Mediums<br />
wird dadurch nicht nur gebrochen, sondern auch gestärkt. Weil der<br />
Informationsgehalt des Kunstwerks mitgestaltet werden kann, verliert er<br />
seine Macht, autoritär einen Wirklichkeitsausschnitt zu bestimmen. In<br />
diesem Moment wird auch der handelnde Betrachter an seine eigene Vermittlungsleistung<br />
erinnert, es entsteht ein zunächst ungewohnter Raum<br />
zwischen Mensch und Bild.<br />
Es ist der Traum der interaktiven Kunst, Begegnungsmöglichkeiten<br />
und Interaktionsangebote zu schaffen. Der im Werk angelegte Zwischenraum<br />
erlaubt es jedem Betrachter, seine Rolle immer wieder neu zu definieren<br />
und zu gestalten. Ebenso wie Hoberman gegenüber den Massenmedien<br />
ein neues Bewußtsein etablieren will, fordert er auch eine neue<br />
Art der Auseinandersetzung mit den Technologien. Deshalb setzt er in<br />
seiner Kunst etablierte Technologien ein, die aus den Laboren von Regierungen<br />
und Militäreinrichtungen, von Wirtschaft und Unterhaltungsindustrie<br />
kommen und die sich längst in unserem Alltagsleben auf eine<br />
171<br />
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172<br />
schwer durchschaubare Art festgesetzt haben. Sie zeichnen sich in der<br />
Nutzung durch gemeinsame Eigenschaften aus: Interaktivität, Unscheinbarkeit,<br />
die zeitweise in absolute Unsichtbarkeit umschlägt, und schließlich<br />
Unentbehrlichkeit.<br />
Aus dem Zusammenspiel dieser Eigenschaften baut sich das technologische<br />
Machtpotential auf. Und für Hoberman gilt es, dieses zu brechen:<br />
Die von den Geräten dem Benutzer allenthalben abgeforderten Reaktionen<br />
sind nämlich nicht unbedingt auf Emanzipation angelegt, sondern<br />
immer auch darauf, den Benutzer in ein Spiel hineinzuziehen, das letztlich<br />
gar nicht sein Spiel ist. Und es sind nur wenige, die einen Abstand<br />
gegenüber solchen Interaktionsangeboten halten können und dagegen<br />
einen praktischen Widerstand entwickeln, der sie davor bewahrt, nach<br />
vorgegebenen Regeln handeln zu müssen. Mit ein wenig Glück kann man<br />
im Rahmen einer Präsentation technologischer Neuentwicklungen zwischen<br />
all den Apparaturen jene Jugendlichen entdecken, deren einziges<br />
Ziel es ist, Unerläßlichkeit und Unsichtbarkeit der Technologien zu<br />
hintertreiben – indem sie mit ihrem Wissen die Macht der Systeme brechen<br />
und die Maschinen zum Absturz bringen.<br />
Perry Hoberman träumt mit seinen Werken den Traum der interaktiven<br />
Kunst weiter. Allerdings verwendet er die etablierten Technologien<br />
gerade dazu, auf den so notwendigen Widerstand aufmerksam zu machen,<br />
ihn einzubeziehen und zu fördern. Aus diesem doppelten Anliegen<br />
heraus – Interaktion nämlich dort herzustellen, wo sie bislang verweigert<br />
wird, und Interaktion dort zu verweigern, wo sie ein falsches Freiheitsversprechen<br />
gibt – entwickelte er zusammen mit Nick Philip 1995 die Installation<br />
Cathartic User Interface, kurz: CUI 1.0. Hier kann jeder dem<br />
Destruktionszwang, dem man zuweilen gegenüber dem eigenen Computer<br />
ausgesetzt ist, freien Lauf lassen: Mit einem Ball zielt man auf an der<br />
Wand befestigte Computertastaturen. Sobald man diese getroffen hat, erscheint<br />
eine aus dem Computeralltag bekannte, aber modifizierte User-<br />
Warnung auf dem Bildschirm. Manchmal wird dabei von den Besuchern
so hart geworfen, daß die Armaturen selbst stark beschädigt werden. Die<br />
Manipulation der Programmierung, die in den ›bösartigen‹ User-Warnungen<br />
sichtbar wird, verdeutlichen dem Benutzer seine Machtlosigkeit<br />
gegenüber dem Medium: die dramatisch formulierten Anzeigen verweisen<br />
auf das Ausgeliefertsein im Umgang mit Computertechnologie. Auch<br />
wird in diesen Momenten an reale Erfahrungen aus dem Alltagsleben erinnert<br />
und die Projektionsfläche von CUI um den eigenen Bildschirm zu<br />
Hause erweitert. Hoberman wählt die Technologien also nicht, um ihrem<br />
Dasein einen originär künstlerischen Sinn zu geben, sondern vielmehr um<br />
ihre eigentliche ›Berufung‹ zu pervertieren und so letztlich die Kunst des<br />
gesellschaftlichen Zusammenspiels zu thematisieren.<br />
Diese künstlerische Strategie – Sichtbarmachung der Technologien<br />
entgegen der einseitigen Ausrichtung von Massenmedien – wird von Hoberman<br />
immer wieder in gleichen Ebenen angelegt: ein Innenraum als<br />
Projektions- bzw. (Inter-)Aktionsfläche; ein Außenraum als Reaktionsraum;<br />
neugierige und aktive Besucher als Partner. Im Unterschied zu den<br />
meisten multimedialen interaktiven Kunstwerken ist der Außenraum, in<br />
dem sich der gesamte Interaktionsprozeß abspielt, sehr wichtig: er bestimmt<br />
die Atmosphäre, ist Kommunikationsraum und Landschaft zur<br />
Kunsterfahrung. Dieser Raum soll bei Hoberman nicht unscheinbar und<br />
vergessen sein, sondern bewußt um den Innenraum erweitert werden.<br />
Die dunklen ›Kästen‹, in denen die interaktiven Kunstwerke nur allzu oft<br />
präsentiert werden, dienen der vermeintlichen Immersion, dem Wunsch,<br />
den Benutzer ganz und gar in der Endlosigkeit der computergenerierten<br />
Bilder einzufangen, so daß er meint, die wirkliche Welt weit hinter sich<br />
lassen zu können.<br />
Dagegen will Perry Hoberman die Zusammengehörigkeit und gegenseitige<br />
Abhängigkeit dieser beiden Orte betonen. Und so entstand 1985<br />
Dead Space/Living Rooms, in der der Innenraum ein rein fiktionaler oder<br />
virtueller Raum war. An vier aufeinanderfolgenden Sonntagen wurde<br />
jeweils ein Science-Fiction-Film aus den 30er bzw. 50er Jahren gezeigt;<br />
173<br />
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174<br />
gemeinsam war diesen vier Filmen die Beschäftigung mit Tod und Auferstehung.<br />
Nach jeder Vorstellung wurde das Material des vorgeführten<br />
Filmes in die Installation integriert: Stehende Bilder wurden zwei- und<br />
dreidimensional auf jede sich im Ausstellungsraum bietende Fläche projiziert.<br />
Mit stereoskopischen Brillen bewegten sich die Zuschauer durch<br />
den Bilder-Raum, der mit einer Ton-Collage aus einzelnen Dialogen der<br />
Filme und den Filmmusiken unterlegt war. Bewegung kam in die unbeweglichen<br />
Bilder durch computergesteuerte Diaprojektoren, Überblendungen<br />
und die Tonspur. Im Laufe des Ausstellungszeitraums vermischten<br />
sich die Filme, beeinflussten einander, bildeten neue Erzählungen.<br />
Schließlich integrierte Hoberman sein eigenes Porträt in die Projektion<br />
und sprengte damit den Projektions- und Illusionsrahmen, die Grenzen<br />
zwischen Fiktion und Wirklichkeit waren verschoben.<br />
Indem sich der Besucher seine eigene Geschichte durch die Bewegung<br />
im Raum erschließt, verliert das Massenmedium Film seine dominante<br />
Machtposition, es ist zum Rohmaterial des Zuschauers geworden. Thema<br />
ist hier nicht das Abhängigkeitsverhältnis zwischen Mensch und Maschine,<br />
sondern die Neudefinition von Wirklichkeiten unter Verwendung<br />
und durch Brechung alter Illusionsmechanismen. Kreiert werden diese<br />
individuellen Wirklichkeiten jedoch inmitten einer hochtechnologischen<br />
Gesellschaft, in einer Umwelt, in der die neuentwickelten elektronischen<br />
Geräte einander selbstverständlich und manchmal unbeachtet ablösen. Es<br />
ist diese Apparatewelt, die Hoberman in seinen Arbeiten thematisiert,<br />
denn ihr Verständnis ist Voraussetzung für den intelligenten Benutzer,<br />
den interagierenden und kooperierenden Menschen.<br />
Perry Hoberman wendet sich deshalb der Unscheinbarkeit der elektrischen<br />
Haushaltsgeräte zu. Es gelang ihm mit Faraday’s Garden (1990)<br />
auf humoristische Weise, all diese unscheinbaren Gegenstände, die im<br />
täglichen Leben selbstverständlich präsent sind, sichtbar und spürbar zu<br />
machen und gleichzeitig die Absurdität all der ›Höher-Besser-Weiter‹-<br />
Werbeslogans zu verdeutlichen. Mit der selbstverschuldeten Technolo-
gie(ohn)macht wurde man auf einem Spaziergang durch Hobermans<br />
elektronischen Garten konfrontiert. Er konstruierte eine Szenerie aus unzähligen<br />
bekannten elektrischen Geräten: von längst veralteten und vergessenen<br />
Rührbesen, Toastern, elektrischen Messern, Ventilatoren bis hin<br />
zu den neuesten Filmprojektoren, Radios und Fernsehapparaten, deren<br />
Kabel wie Wurzeln herabhingen. Während man an den diversen Objekten<br />
vorbeiflanierte, aktivierte man, ohne sich dessen zuerst bewußt zu<br />
sein, über die am Boden liegenden Fußmatten die einzelnen Schalter der<br />
Geräte. Damit fand sich jeder Besucher von Faraday’s Garden immer in<br />
seiner eigenen, sich ständig verändernden Geräuschkulisse, die sich mit<br />
den Geräuschkulissen der anderen Spaziergänger mischte. Und wenn<br />
jeder seine ›elektrifizierte Umgebung‹ auch selbst beeinflussen konnte,<br />
entziehen konnte man sich ihr nur, indem man den Raum verließ …<br />
… und in das Bar Code Hotel (1994) eintrat. Hier finden sich die bereits<br />
beschriebenen Strategien wieder. Diese interaktive Installation besetzt<br />
einen ganzen Raum als Interface. Vollständig mit Strichcodesymbolen<br />
tapeziert, kann er von mehreren Teilnehmern gleichzeitig genutzt<br />
werden. Mit von der Decke herabhängenden Strichcode-Lesestiften kann<br />
jeder Gast die schwarz-weißen Informationen einscannen und so an das<br />
(unsichtbare) Computersystem vermitteln. Indem man einen der auf<br />
Würfeln aufgedruckten Strichcodes einscannt, verschafft man sich einen<br />
eigenen Repräsentanten in der virtuellen Umgebung. Nun kann man mit<br />
weiteren Strichcodebefehlen das Verhalten, die Bewegungen, die Position<br />
des Objektes verändern: es kann sich drehen, kann atmen, sich ausdehnen<br />
oder einen anderen Gegenstand verfolgen. Auch stellt sich nach einigen<br />
dieser interaktiven ›Gehversuche‹ heraus, daß die unterschiedlichen Objekte<br />
der einzelnen Gäste eigene Charakteristika aufweisen, die von ihrer<br />
spezifischen Größe oder ihrem Alter abhängig sind. Ständig verändert<br />
sich die virtuelle Umgebung und zwingt die einzelnen Gäste zu agieren<br />
und zu reagieren. Jedoch ist eine hundertprozentige Einschätzung der<br />
Lage durch unspezifische Strichcodebefehle wie ›Mauerblümchen‹ oder<br />
175<br />
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176<br />
›Angst‹ ausgeschlossen. So ergeben sich auch hier wieder unendlich viele<br />
Szenarien, die einmalig und nicht vorhersehbar sind und zu denen sich<br />
jeder Teilnehmer immer wieder neu verhalten muß. Dem universalen<br />
schwarz-weißen Produktcode gilt die zentrale Aufmerksamkeit! Wo<br />
sonst nur Informationen abgelesen werden, ist nun eine Rückkoppelung<br />
eingebaut, die Aktionen auslöst. Der Strichcode ist die Sprache, in der<br />
man sich auf der Projektionsfläche verständigt. Und die, die sich dort verständigen,<br />
stehen im realen Raum und entfalten in ihm die gruppendynamische<br />
Spannung.<br />
Die Besonderheit der Werke Hobermans ist, daß man in ihnen immer<br />
eine kleine Lücke findet, durch die man den alten Beziehungsmustern<br />
entkommen kann, die zwischen den etablierten Technologien und ihren<br />
versierten Nutzern gespannt sind. Die Lücke öffnet eben jenen ungewohnten<br />
Zwischenraum, in dem die Grenzen zwischen Mensch und Bild<br />
sich immer wieder neu definieren. Diese Lücke ist das Unvorhersehbare,<br />
das Nicht-Programmierte, hier kann sich die Mündigkeit und Verantwortung<br />
des zeitgenössischen Kunstfreundes etablieren. Diese Lücke<br />
nutzt der aktive Betrachter, um Innen- und Außenraum zu einem Kommunikationsraum<br />
mit eigener Zeitrechnung zu verbinden. Die Agierenden,<br />
sobald sie einmal in den Innenraum eingetreten sind, bauen eine Beziehung<br />
zu den anderen Agierenden auf, Bündnisse werden gestiftet, die<br />
konstant erweitert und erneuert werden müssen. Deutlich werden so<br />
auch die Schwierigkeiten, Hoffnungen und oft genug das Scheitern des<br />
gesellschaftlichen Zusammenspiels. Die eigene lokale Bestimmung wird<br />
durch die Intention der Beteiligung überschritten und fällt schließlich mit<br />
der Intention der anderen in der neuen Raumkonzeption zusammen. All<br />
diese Werke beteiligen die Individuen als Individuen, schaffen eine kleine<br />
Welt, die bearbeitbar ist, und erinnern damit die Handelnden an ihre Vermittlungsleistung,<br />
die bei der Konstitution von Gesellschaft notwendig<br />
ist.<br />
Denkt man dieses Konzept konsequent zuende, könnte man behaup-
ten, daß Perry Hobermans Kunstwerke sich als Medium mit dem Anspruch<br />
ausweisen, die vielen Betrachter als Individuen einzubeziehen, um<br />
ihnen die Verantwortung zur Kooperation und Kollaboration immer<br />
wieder neu zu übergeben.<br />
177<br />
artintact 3
Die Spur der Postkarten<br />
Von George Legrady<br />
Fotografie ist Erinnerung, die Spur eines Originals. Im postmodernen Zeitalter […] ist die<br />
Vergangenheit zu einer Sammlung von Fotografien, von Film- oder Fernsehbildern geworden.<br />
Wie die Replikanten [im Film Blade Runner] haben wir die Aufgabe, Geschichte<br />
zurückzugewinnen, indem wir sie reproduzieren. 1 Giuliana Bruno<br />
I.<br />
Slippery Traces ist eine non-lineare, visuelle Erzählung, durch die der<br />
Zuschauer in einem Netz aus 230 Postkarten navigiert. 2 Die Postkarten<br />
sind entsprechend der Bedeutungen, die sie im wörtlichen oder übertragenen<br />
Sinn besitzen, untereinander verbunden und in Gruppen geordnet.<br />
Jede Postkarte enthält ca. fünf ›Hot Spots‹ oder Verbindungen zu etwa<br />
zehn anderen Karten. Indem der Benutzer einen der Hot Spots anklickt,<br />
gelangt er zu einem anderen Bild und konstruiert so eine Sequenz miteinander<br />
verbundener Bilder. Diese Sequenz kann abgerufen werden, so daß<br />
die entstandene ›Meta-Erzählung‹ und die durch die persönliche Wahl geschaffenen<br />
Verbindungen nachvollziehbar sind.<br />
Die 230 Postkarten wurden ausgewählt aus meiner Sammlung von<br />
über 2000 Karten, die ich in den letzten 20 Jahren zusammengetragen<br />
habe. Nach der Grundauswahl wurden die Karten in 24 Kategorien geordnet.<br />
Aus diesem Prozeß der Klassifizierung tauchten Themen auf wie<br />
Natur/Kultur, Kolonialismus, Zukunft, Militär, Industrie, die Exotisierung<br />
des Anderen, Landschaftsansichten, moralische Erzählungen u.a.m.<br />
1. Giuliana Bruno: ›Ramble City: Postmodernism and Blade Runner.‹ – Alien Zone, Hg.<br />
Anette Kuhn. London: Verso, 1990, S. 193.<br />
2. Die Installations-Version von Slippery Traces beinhaltet 230 Postkarten. Aufgrund urheberrechtlicher<br />
Erwägungen wurde die CD-ROM-Version um ca. 50 Postkarten (vor<br />
allem aus jüngerer Zeit) reduziert. (Anm. d. Red.)<br />
George Legrady: Slippery Traces, 1996. Screenshot.<br />
179<br />
artintact 3
artintact 3<br />
180<br />
Bilder, die keine eigene Kategorie bildeten, wurden dem nächstliegenden<br />
Themenbereich zugeordnet. Dadurch erweiterte sich die Bedeutung der<br />
Gruppierung und es ergab sich ein Dialog, der den Kategorien über die<br />
einfache Klassifizierung hinaus eine erzählerische Aufgabe zuwies.<br />
Hinter dieser Auswahl von Postkarten steckt die Absicht, einen<br />
Überblick, einen Weltblick zur Verfügung zu stellen, der in kultureller<br />
wie ideologischer Hinsicht zeigt, wie die Mitte des 20. Jahrhunderts im<br />
Rahmen von globaler Entwicklung, Tourismus und kulturellem Austausch<br />
fotografisch repräsentiert wurde. Andere Kriterien waren kulturell<br />
bedeutsame Inhalte oder visuell interessante Kompositionen, die eine<br />
durch Fotografie geprägte Wahrnehmung verdeutlichen. Die Auswahl<br />
zielt nicht darauf ab, die Totalität der historischen Erfahrung des 20. Jahrhunderts<br />
darzustellen.<br />
In den frühen siebziger Jahren konzentrierte sich die künstlerische<br />
Fotografie auf die Entwicklung einer persönlichen Sichtweise. Postkarten<br />
wurden als konventionalisierte Zeichen verstanden, produziert nach<br />
ökonomischen Kriterien (des Tourismus vor allem), denen man einen von<br />
persönlichen Vorstellungen geprägten ästhetischen Wert absprach. Betrachtet<br />
man aber dieselben Postkarten von einem kritischen, sozialen<br />
Standpunkt aus, erhalten sie eine tiefere Bedeutung. Postkarten sind, da<br />
sie kulturelle Erwartungen und Überzeugungen kondensieren, ideologisch<br />
belastet. Sie zeigen in verschlüsselter Form, wie die Kultur, die sie<br />
hervorgebracht hat, die Welt sieht. Sie sind kodierte Darstellungen des<br />
Möglichen und des Unmöglichen (des Wirklichen und des Vorgestellten).<br />
Sie sind mythische, totemische Spuren, deren Bedeutungen sich im Laufe<br />
der Zeit enthüllen und die ideologischen Erzählungen und semiotischen<br />
Kodierungen an die Oberfläche gelangen lassen. Im Laufe der Zeit verwandelt<br />
sich das, was sie erzählen, wird durch andere Interpretationen<br />
wiederhergestellt oder neue Lesarten ergeben sich.
II.<br />
Seinen Ursprung hat Slippery Traces in einer Diashow mit zwei<br />
Projektoren, mit der ich erforschen wollte, wie sich die Bedeutung von<br />
Bildern verändert, wenn sie einander gegenübergestellt werden. Bilder<br />
werden im allgemeinen in Beziehung zu anderen gesehen, und so wie<br />
Worte, die zu Sätzen zusammengesetzt werden, schwingen sie gegeneinander,<br />
dehnen sich ein wenig aus, passen sich an, verändern unmerklich<br />
ihre Bedeutung durch die Gegenüberstellung, durch Assoziationen,<br />
Erweiterungen, Unterschiede usw. Übertragen in die non-lineare, dynamische<br />
Umgebung des Computers nehmen die Bedeutungsänderungen<br />
exponentiell zu: die Bilder sind aus ihrer linearen Stellung im Diamagazin<br />
befreit und werden nun aufgrund von Kriterien, die ein Computerprogramm<br />
definiert, in immer neue Beziehungen zueinander gebracht. Das<br />
Ergebnis ist ein imaginäres, drei-dimensionales, nervenzellenartiges<br />
Netzwerk, in dem alle 230 Bilder kreuz und quer mit über 2000 Verbindungen<br />
verknüpft sind und so eine Einheit bilden. Die Verbindungen<br />
oder Hot Spots haben thematisch etwas gemeinsam mit den Bildern, die<br />
sie aufrufen. Jedesmal, wenn ein Betrachter einen Hot Spot anklickt, um<br />
zu einem anderen Bild zu gelangen, webt sie oder er einen Pfad in dieses<br />
dichte Labyrinth der Verbindungen, der in eine Datenbank aufgenommen<br />
wird.<br />
Ein Ziel des Projekts ist es, den Betrachter in einer Umgebung, die<br />
durch meine Wahrnehmungsfilter bestimmt ist, seinen eigenen Wünschen<br />
folgen zu lassen. Mit Wahrnehmungsfilter meine ich nicht nur die<br />
Art und Weise, wie ich die Postkarten kategorisiert habe, sondern vor<br />
allem die Art, wie sie innerhalb der Programmstruktur funktionieren: die<br />
Art des Betrachtens steht im Gegensatz zum tatsächlichen Inhalt der Karten.<br />
Die Bedingungen, denen der Blick des Betrachters unterworfen ist,<br />
wurden durch die Programmierung kodiert, besonders durch die Benutzung<br />
dynamischer Datenbankstrukturen. Datenbanken, wie sie im Herz<br />
unserer sozialen Institutionen zu finden sind – von Marketing über Straf-<br />
181<br />
artintact 3
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182<br />
register bis zu Adressenlisten – existieren als Ergebnis statistischer Daten,<br />
die unsere Tätigkeiten erzeugen, und werden dazu benutzt, unsere kulturelle<br />
Umgebung neu zu definieren. Slippery Traces macht sich die organisatorischen<br />
Strukturen der Statistik zu eigen und benutzt sie, um sie für<br />
eine Analyse zu öffnen. Zusätzlich integriert der Ablauf von Navigation<br />
und Sequenzenbildung in Slippery Traces die Form und Funktion von<br />
Datenbankstrukturen als kreatives Werkzeug und unterstreicht eine<br />
philosophische Annäherung an Programmierung als ästhetische Praxis.<br />
Das Interface-Design von Slippery Traces bestimmt den Akt des<br />
Sehens in besonderer Weise. Es unterstützt ein ›forschendes Sehen‹, ein<br />
›Suchen und Erobern‹, einen technologischen Blick im Stil von ›Visionsmaschinen‹<br />
oder wie im Film Terminator veranschaulicht. In dieser<br />
fragmentierten ›Sehumgebung‹, die ständig in Bewegung ist, muß der<br />
Betrachter den Akt des Betrachtens tatsächlich stoppen (durch Einfrieren<br />
der Mausbewegung), um das ganze Bild sehen zu können. Als zentrales<br />
Modell für Slippery Traces fungiert die Bildanalysemaschine aus dem<br />
Film Blade Runner, mit deren Hilfe der Protagonist Deckard in die Fotografien<br />
der Replikanten hineingeht, um nach Spuren zu suchen. Deckard<br />
benutzt eine technische ›Sehprothese‹ 3 , um in das fotografische Bild einzudringen<br />
und durchbricht so die räumlichen Grenzen der traditionellen<br />
Fotografie – er bewegt sich durch das Bild. Er zwingt es, das Gesicht einer<br />
Frau zum Vorschein zu bringen – etwas, das er sucht, das aber anfangs<br />
nicht im Bild war: Er erfindet das Bild neu, um es seinen Wünschen anzupassen.<br />
Ein wichtiger Bezugspunkt für die Erzählweise in Slippery Traces ist<br />
Alain Robbe-Grillets L’année derniére à Marienbad4 , vor allem im Hin-<br />
3. Elissa Marder: ›Blade Runner’s Moving Still.‹ – Camera Obscura, No. 27, September<br />
1991, John Hopkins University Press, S. 102.<br />
4. Letztes Jahr in Marienbad. Frankreich/Italien, 1961. Regie: Alain Resnais, Drehbuch:<br />
Alain Robbe-Grillet (als gleichnamige Buchausgabe in der Übersetzung von Helmut<br />
Scheffel, München, 1961). (Anm. d. Red.)
lick auf die Matrix nicht-linearer Verbindungen. Die Struktur von Slippery<br />
Traces ist inspiriert durch die Art, wie der Film Zeit und Raum umstrukturiert,<br />
so daß Vergangenheit und Gegenwart, hier und dort verwoben<br />
und Bilder in verschiedenen Sequenzen wiederverwendet werden,<br />
um unterschiedliche Bedeutungen zu produzieren. Die Interaktion funktioniert<br />
im wesentlichen dadurch, daß sie dem Betrachter die Entwikklung<br />
der Erzählung in die Hand gibt. Der Betrachter sieht sich – um mit<br />
Robbe-Grillet zu sprechen – in die Lage versetzt, ›das Werk seinerseits zu<br />
erfinden‹.<br />
Übersetzung: Astrid Sommer<br />
Detaillierte Spuren von Geheimnissen<br />
Von Miklós Peternák<br />
Jede Fotografie ist Teil eines größeren Bildes, das es nicht gibt, nicht<br />
geben kann. Sie rahmt einen einmaligen, unwiederholbaren und doch abbildbaren<br />
Moment der Außenwelt ein, dort und damals, irgendwann und<br />
irgendwo. Der Betrachter, Jedermann, der diese selbstgefertigte oder gekaufte<br />
Ansichtsreliquie besitzt, besitzt sie nur zeitweise: als Gegenstand,<br />
Erinnerung, Abdruck eines unbewußten Wunschbildes, als Erlebnisersatz,<br />
Ansichtsessenz. Die Ansicht kann sich im Bewußtsein auf natürlichem<br />
Weg durch einen zufälligen Eindruck oder durch die bewußte oder<br />
unbewußte Betätigung eines beliebigen Apparates – z.B. eines Fotoapparates<br />
– zu einem Bild formen. Die Bilder, die so zustande gekommen sind,<br />
lassen sich entweder von einer beliebigen Ansicht herleiten oder sie machen<br />
etwas sichtbar, was zuvor (so) nicht sichtbar war. In jedem Fall sind<br />
sie einem zweiten Akt des Sehens ausgesetzt, bei dem das Bild nurmehr in<br />
seiner nicht mehr veränderbaren Form zur Kenntnis genommen werden<br />
183<br />
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184<br />
kann. Wird einem Betrachter ein Bild vorgesetzt, so ist immer er gefragt;<br />
die Repräsentation ist die einzige Möglichkeit, mit der ursprünglichen<br />
Ansicht oder dem Ursprung der Ansichtskonstruktion in Verbindung zu<br />
treten.<br />
Es gibt nicht ein Bild ›im Allgemeinen‹, es kann immer nur ganz konkret<br />
dieses eine, bestimmte Bild geben, über das wir sprechen, das wir in<br />
diesem bestimmten Moment sehen, und es ist dabei ganz unwesentlich,<br />
wieviele an welchem Ort und zu welcher Zeit dieses Bild betrachten oder<br />
betrachtet haben und schon ›dasselbe‹ gesehen haben. Das Bild, das wir<br />
sehen und über das wir sprechen können, ist in jedem Fall Akteur einer<br />
doppelten Beziehung, Element einer Verhältnisgleichung zwischen der<br />
Bildaufnahmesituation, wie sie einmal existierte, und der gegenwärtigen<br />
Bildbetrachtungssituation. Die Spur, der sichtbare Ausschnitt des unwiederholbar<br />
Vergangenen (z.B. die entstehende Fotografie), verhält sich<br />
also zu der bestimmten Situation dort und damals wie die konkrete, nicht<br />
analysierbare Ansichtskomposition (die fertige, vorhandene Fotografie),<br />
zu der von der Konvention bestimmten Interpretation des Betrachters,<br />
die auf das ewig Gegenwärtige trifft. Diese Verhältnisgleichung trifft vermutlich<br />
nur auf das fotografisch hergestellte Bild wirklich zu, und nur<br />
von der Fotografie läßt sich sagen, daß sie der Ausschnitt eines größeren<br />
Bildes ist, das nicht bekannt ist und deshalb auch nicht gedeutet werden<br />
kann. Das Gemälde, die Grafik usw. stellen hingegen ein Ganzes dar –<br />
jedenfalls in der Hinsicht, daß es über die Bildfläche und den Rahmen<br />
hinaus nichts gibt und nichts geben kann.<br />
Derjenige, der das Bild zeigt, ist ebenso wichtig wie der Betrachter:<br />
Was sagen z.B. die Eltern, wenn sie die Fotografie ihres Kindes zeigen,<br />
und was sagt ein Privatsammler, wenn er dasselbe Bild in den Händen<br />
hält? Was sagt ein Fotograf, der seine Aufnahme eines berühmten Gebäudes<br />
zur Vervielfältigung als Ansichtskarte vorschlägt, und was sagt der<br />
Architekt, der das Gebäude entworfen hat, von diesem Bild? Oder was<br />
sagt der Tourist, der auf die Rückseite dieser Ansichtskarte schreibt, daß
er dort war, es gesehen habe – vielleicht ohne sich die Karte überhaupt anzuschauen;<br />
das überläßt er dem Adressaten, dem Leser (›fernsehen‹ dank<br />
postalischer Vermittlung). Der Betrachter ist immer in einer anderen Zeit<br />
als der Zeit des Bildes.<br />
Eine Fotografie ist eine undynamische Beobachtungsform; sie ist Öffentlichkeit<br />
im Geheimen und Verborgenen. Ihre Existenz birgt die Gefahr<br />
in sich, daß nichts mehr vollständig verschwinden kann, sondern sich<br />
vielmehr nur in Raum und Zeit verschiebt und unkontrollierbar wird.<br />
Das Geheimnis kommt ans Licht, damit der Akt des Sehens beobachtet<br />
werden kann und zu einem Rätsel wird. Merkwürdig, daß die Postkarten<br />
– die ja größtenteils gemacht werden, um nicht dort zu sein, wo sie entstanden<br />
sind, sondern um diesen Schauplatz an andere Orte reisen zu lassen<br />
– zu Wächtern jener Zeit werden, die zu diesem Schauplatz gehört.<br />
Der Poststempel und die auf die Karte geschriebenen Zeilen werden zu<br />
einer zufälligen Chronologie des Zeitraums vom in ungewisse Ferne reichenden<br />
›Es war einmal‹ bis zum Heute. Das offenliegende Bild, das zur<br />
Versendung bestimmt ist, ist eines der seltsamsten Bilder: Es wird auf der<br />
Ansichtskarte mit beliebigen banalen persönlichen Nachrichten kombiniert.<br />
Auch wenn die Nachrichten in einige wenige Gruppen sortiert werden<br />
können, bedeuten drei Millionen verschickter Postkarten mit dem<br />
›Diskos von Phaistos‹ doch drei Millionen verschiedene Adressaten.<br />
Die Postbriefkarte und die nachfolgende Ansichtskarte sind ein Produkt<br />
der sechziger und siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts. In einem populären<br />
historischen Überblick heißt es: ›Die Idee wurde erstmals 1865<br />
auf dem 5. Deutschen Postkongreß in Karlsruhe von dem preußischen<br />
Rat Dr. Heinrich von Stephan vorgetragen [ ... ]. Er schlug die Einführung<br />
eines Postblattes in der Größe eines Briefumschlages mit eingedrucktem<br />
Postwertzeichen vor.‹ Man verwarf damals den Vorschlag, da man<br />
meinte, die offene Form der Mitteilung stehe im Widerspruch zum garantierten<br />
Postgeheimnis. Die Postkarte setzt sich jedoch durch, und mit der<br />
185<br />
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186<br />
Zeit kommt auf die ursprünglich der Nachricht vorbehaltenen Rückseite<br />
eine Abbildung, die die schriftliche Mitteilung auf die Anschriftenseite<br />
der Karte verdrängt. Das Bild selbst wird also zur Nachricht, schmuggelt<br />
das mißachtete Geheimnis wieder ein, und trägt – sicherer als im Briefumschlag<br />
– auf seiner Rückseite die meist stereotypen Zeilen des Absenders.<br />
Manchmal natürlich verlangt eine Nachricht mehr Platz und kehrt auf die<br />
Bildseite zurück, bricht deren Integrität und gestaltet sie unwillkürlich<br />
wieder zu einer Schreibfläche um.<br />
Heutige Ansichtskarten zeigen fotografisch hergestellte Bilder und<br />
kaum Text, allenfalls eine einfache Ortsbezeichnung. Die Existenz der<br />
Ansichtskarte ist ein unleugbarer Beweis und ein Antrieb für die Kommunikation<br />
zwischen dem ›Ich‹ und der ›Welt‹. Die im Laufe des Jahres<br />
eintreffenden Karten muß man – wenn man sie nicht sofort wegwirft –<br />
irgendwo verstauen, sie hierhin und dorthin legen. Das Ordnen in Gruppen<br />
aber ist eine Minimalform der Systematisierung, das, falls sich der<br />
rechte Zeitpunkt ergibt, unwillkürlich zur Kontextsuche und Kontextbildung<br />
führen kann. Kairos (der Gott des günstigen Zeitpunkts) ist vom<br />
entscheidenden Augenblick nicht zu trennen: Jede Fotografie ist das<br />
Zeichen eines entscheidenden Augenblicks, also ein günstiger Zeitpunkt<br />
zur Antwort. Als einzig richtige Antwort auf unlösbare Gleichungen<br />
kann man wieder nur eine günstige Situation schaffen, und zwar durch<br />
Ordnen und Umgruppieren. Segmentierung und Klassifikation sind aus<br />
der Linguistik bekannte Verfahren, um Bedeutung zu generieren. Da das<br />
Ausgangsmaterial aber kein sprachliches ist, müssen nur die Rahmen<br />
markiert werden. Rahmen können sich nur innerhalb der Bilder befinden;<br />
durch sie läßt sich das Unbegreifbare handhaben: Die markierten –<br />
ausgewählten und gerahmten – Bereiche können nun in einen Dialog<br />
treten, die Gliederung ermöglicht eine klare Zuordnung.<br />
Wo aber befinden sich die Rahmen? Der ursprüngliche Rahmen – der<br />
Bildrand, die Bildgrenze – wirft mehr Fragen und Rätsel auf als Möglichkeiten<br />
der Deutung; das ist das Assoziationsabenteuer des Interpreten.
Die Konvention der analytischen Betrachtung ist an die jeweilige Zeit gebunden<br />
und ändert sich im großen und ganzen alle 150 Jahre. Dieser Zeitraum<br />
läßt sich gerade am Beispiel der Geschichte der Fotografie aufzeigen<br />
und vielleicht auch beweisen. Man kann also behaupten, daß etwa<br />
anderthalb Jahrhunderte erforderlich sind für die Herausbildung bzw.<br />
Veränderung einer visuellen oder semantischen Konvention (gemeint ist<br />
eine Periode, in der die Konvention entsteht, sich ausbreitet, allgemein<br />
akzeptiert wird und parallel dazu sich schon wieder die Ablösung durch<br />
eine neue Konvention abzeichnet, die die vorherige schließlich ganz<br />
ersetzt). Die Authentizität der Fotografie, ihr sogenannter dokumentarischer<br />
Wert, ist dafür ein Beispiel. Seit Erfindung der Fotografie war<br />
Authentizität Gegenstand zahlloser Diskussionen und Interpretationen;<br />
über einen Punkt aber war man sich zumindest bis in die jüngste Zeit<br />
einig: Was auf der Fotografie zu sehen ist, war zum Zeitpunkt und an dem<br />
Ort, an dem die Fotografie aufgenommen wurde, tatsächlich ›vor der Kamera‹,<br />
denn sonst hätte es nicht abgebildet werden können. Diese Konvention<br />
ging mit dem Aufkommen des Computers rettungslos verloren.<br />
Der dokumentarische Wert wird unkontrollierbar und Bezeichnungen<br />
wie ›Fälschung‹ oder ›Manipulation‹ verlieren in diesem speziellen Kontext<br />
und in der gegenwärtigen Periode einer sich ausbreitenden neuen<br />
Konvention ihren Sinn. Alles ist wieder Fiktion, und wenn etwas keine<br />
Fiktion ist, könnte es eine sein. Dies ist die Botschaft des digitalen Bildes,<br />
das nicht überprüfbar ist, aber zu einer Bildgattung gehört, die exakter ist<br />
als alle vorherigen.<br />
So ist also alles beisammen, damit die Slippery Traces entstehen können.<br />
Es gibt nichts schöneres als 230 Ansichtskarten, die ich nie zusammen<br />
sehen kann, sondern nur Teile von ihnen in Gruppen oder Ausschnitte<br />
der einzelnen Bilder, ohne aber an diejenigen Details herankommen zu<br />
können, die sich in den eingefügten Markierungen befinden. Die Bruchstücke<br />
vervollständigen sich durch fortschreitende Fragmentierung;<br />
187<br />
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188<br />
wählt man einen markierten Ausschnitt, verschwindet das Bild, um seinen<br />
Platz einem anderen zu überlassen: die nicht-lineare Logik folgt einer<br />
holistischen Strategie – die Enthüllung von Details wird immer zufälliger,<br />
doch gleichzeitig auch immer konsequenter und weckt so ein Gefühl für<br />
das Ganze und den Wunsch nach Vollständigkeit.<br />
Wir könnten uns fragen, was passiert, wenn wir die Bilder ihres<br />
ursprünglichen historischen Kontextes berauben, sie wiederverwerten/<br />
benutzen, sie neu entdecken und neu einordnen. Doch es dürfte nun klar<br />
sein, daß es den Kontext nie gegeben hat, daß er immer erst gerade jetzt<br />
geschaffen wird. So, wie Geschichte nicht ohne den Geschichtsschreiber,<br />
der sie aufschreibt, existiert, muß auch die Bildgeschichte konstruiert<br />
werden, um die Kommunikation zwischen Welt, Mensch und Bild<br />
bewußt zu machen. Die unfaßbare Anhäufung von Bildern, dieses unartikulierte<br />
Chaos von Ansichtsmonaden, das weder Vorläufer noch<br />
Nachkommen hat, ist nicht uns ausgeliefert, sondern im Gegenteil:<br />
solange wir keinen Kontext schaffen, sind wir die beladenen, chaotischen<br />
Diener der Vergangenheitsentropie. Wenn wir keinen Kontext schaffen,<br />
liegt dies vielleicht daran, daß es einfacher für uns ist, unbemerkt durch<br />
die Finger des Fortschritts von Information/Geschichte zu gleiten, ohne<br />
Spuren zu hinterlassen.<br />
Übersetzung: Hannelore Schmör
Spurensuche und Mise en scène.<br />
Einige Gedanken zur Montage<br />
als offenem Zwiegespräch<br />
zwischen Autor und Zuschauer<br />
Von Andrea Zapp<br />
Vor mir liegt ein zerknittertes, vergilbtes Stückchen Papier. Darauf steht die geheimnisvolle<br />
Notiz: ›Koppelung = P‹ und ›Zusammenprall = E‹. Dies ist die materialisierte Spur eines feurigen<br />
Gefechts zum Thema Montage zwischen mir – E – und Pudowkin – P. Mittlerweile ist<br />
folgendes zum Brauch geworden: In regelmäßigen Abständen kommt er spätabends bei mir<br />
vorbei, und wir fallen hinter verschlossenen Türen übereinander her. So auch hier. Als Zögling<br />
der Kuleschowschen Schule verteidigte er eifrig den Montagebegriff als Koppelung von<br />
Abschnitten. ›Ziegelsteine‹. Ziegelsteine, die in Reihen einen Gedanken darlegen. Ich hielt<br />
ihm meinen Standpunkt über Montage als Zusammenprall entgegen. Ein Punkt, an dem<br />
durch Zusammenprall zweier Gegebenheiten ein Gedanke entsteht. 1<br />
Sergej Eisenstein<br />
Ansichten<br />
Americana, Bild 1, ›Beach Cartoon‹. Eine bunte Comic-Szenerie am<br />
Strand, ich möchte näherschauen, bewege das Fadenkreuz wie ein Zielfernrohr<br />
über die Bildfläche, ein metallisches Stakkato scheint jeden<br />
Millimeter festzuhalten. Ich wähle eine markierte Fläche in der Einstellung,<br />
im Hot Spot eine Bikinischönheit der fünfziger Jahre, ›someone<br />
with specific expectations‹ – die Bildunterschrift verspricht mir weitere<br />
Details. Aber der simplen Logik folgt die Enttäuschung, ich befinde mich<br />
nun über den Dächern einer amerikanischen Stadt, ein Seiltänzer balanciert<br />
die Stange hoch über den Köpfen der Zuschauer. Americana, Bild 2,<br />
›Wire walker‹. Someone with specific expectations? Ich fokussiere die<br />
Menschen am Boden, ›an expecting crowd‹. Und werde in eine Urlaubs-<br />
1. Sergej Eisenstein: ›Jenseits der Einstellung.‹ – Das dynamische Quadrat. Schriften zum<br />
Film, Leipzig, 1988, S. 72–89.<br />
189<br />
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190<br />
landschaft geschleudert, Orangenbäume am Meer, schneebedeckte Berge<br />
im Hintergrund, Americana, Bild 3. Gegenprobe in der abrufbaren<br />
Sequenzdarstellung: Mein bisheriger Weg reiht sich auf; in meiner Vision<br />
von Americana träumt das Pin-up-Girl von einem Mann mit Mut zum<br />
Risiko, im Land wo Milch und Honig fließen …2 Spurensuche<br />
Momentaufnahmen prallen zusammen, ein Gedanke wird zur persönlichen<br />
Ideologie. George Legrady umschreibt seine Arbeit als ein Aufeinandertreffen<br />
der kulturellen und ideologischen Perspektive des Künstlers<br />
mit der des Zuschauers. Die Postkarten spitzen diese Hintergründe zu,<br />
aber vor allem bedeuten sie ihm viel, entstammen offenbar einem persönlichen<br />
Archiv, in welchem romantische Schnappschüsse neben bedeutsamen<br />
Ereignissen ihren Platz eingenommen haben. Welche Bezüge der<br />
Autor hier selbst setzt, läßt sich nur erahnen.<br />
Das Blättern und Entdecken von Menschen, Orten und Plätzen in<br />
Legradys prall gefülltem Album führt zu einem eher metaphorischen und<br />
zufälligen Kontakt mit dem Autor innerhalb der interaktiven Schichten.<br />
Eine Analogie zur Montagetheorie Sergej Eisensteins schält sich heraus,<br />
er betrachtete das Filmemachen grundsätzlich als einen Prozeß, der dem<br />
Zuschauer Material in die Hand gibt und zum eigenen Denken und Handeln<br />
motiviert. Nur so kann sich ein komplexer und intellektueller Dialog<br />
zwischen Zuschauer und Werk entspinnen, eine Ebene, die mithin für die<br />
Konzeption interaktiver Medien eine der ersten Voraussetzungen ist.<br />
Im Fadenkreuz<br />
Die frühe Montagephilosophie Eisensteins allerdings war getragen<br />
vom erzieherischen Duktus, die Aussage als allgemeingültig anzuerken-<br />
2. Die CD-ROM-Version von Slippery Traces beinhaltet die beschriebenen Postkarten nicht<br />
mehr (siehe auch Anm. 2, S. 179). Anm. d. Red.
nen. Die Gestaltungsmomente in Slippery Traces hingegen sind explizit<br />
individuell, sie gehen über eine rein identifikatorische Nähe zum Inhalt<br />
hinaus und weisen dem Zuschauer eine aktive Aufgabe zu: Er übernimmt<br />
sowohl die Rolle des Dramaturgen als auch des Regisseurs und Kameramanns,<br />
die Bildfläche als Navigationsmetapher hebt diesen Tausch bewußt<br />
hervor. Das visuelle Material präsentiert sich im Scrollverfahren und<br />
Zooming als zu erkundendes Terrain, als Set oder Location. Der interaktive<br />
Zugriff verbildlicht sich im Fadenkreuz, welches das umherschauende<br />
Kameraauge repräsentiert, so daß der Zuschauer den gewählten<br />
Aufnahmewinkel plazieren kann. Die reduzierte Tonebene untermalt<br />
und unterstreicht nur diesen einen Vorgang, das Positionieren der Einstellung<br />
und den letztendlichen ›Schuß‹. Die Textinformation bezieht sich<br />
ähnlich einer Drehbuchvorlage auf essentielle Fakten – ›Arabic bride‹,<br />
›Snow-topped mountains‹, ›Hut in the background‹. Zusätzlich läßt sich<br />
der Gesamtaufbau des Bildes und der einzelnen Links, somit der vorgegebene<br />
und aufzulösende Gestaltungshintergrund, lokalisieren und dechiffrieren.<br />
Die dem Zuschauer übertragene Verantwortlichkeit für die eigentliche<br />
Narration – die Erstellung einzelner Sequenzen und Bedeutungszusammenhänge<br />
– kommt der Mise en scène sehr nah. Ein ausgeprägt achronologischer<br />
und episodenhafter Charakter prägt das gesamte Werk und<br />
knüpft so wiederum an filmische Traditionen der assoziativen Montage<br />
an. George Legrady setzt in seinen Erläuterungen einen direkten Bezug<br />
zum fragmentarischen, non-linearen Prozess des Nouvelle Vague-Films.<br />
Und durchbricht darüber hinaus diese Metapher, indem die für den Film<br />
typische Form der Erzählzeit als einem Closed Circuit ad absurdum<br />
geführt wird durch das unendliche, offene und niemals in der gleichen<br />
Konstellation wiederkehrende Navigationsprodukt.<br />
191<br />
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192<br />
Point of View<br />
Und dennoch – die beabsichtigte Zufälligkeit der Sequenzen und das<br />
filigrane und zerstiebende narrative Geflecht individueller Points of View<br />
führen ebenso wieder zurück zur filmischen Sprache – das der Filmwahrnehmung<br />
eigene Potential des stillen Beobachtens schwingt mit in der<br />
detektivischen und fokussierenden Navigation. Der suchende Blick wie<br />
durch ein Schlüsselloch manifestiert sich im Abtasten des Bildes und Aufspüren<br />
der Hot Spots. Das Medium Postkarte übernimmt in seinem<br />
speziellen und privaten Wert für den Künstler eine verstärkende symbolische<br />
Funktion: Der unsichtbare Dialog mit dem Autor anhand persönlich<br />
bedeutsamer Augenblicke, Déjà-vues und vergilbter Lieblingsstücke<br />
erinnert an das unerlaubte Aufziehen von Schubladen, an ein Herumstöbern<br />
in einem visualisierten Tagebuch; Interesse und Neugierde verbinden<br />
sich zu einem unterschwelligen Spannungsbogen.<br />
Grenzüberschreitungen<br />
Slippery Traces ist in vielerlei Hinsicht eine individuelle Reise durch<br />
unterschiedliche Kulturen, Epochen und historische Ereignisse. Die ›Ansichts‹karte<br />
als Abbild und das in der ersten Erkundung des Screens zuweilen<br />
schmerzliche Stoßen an den Bildrand werden bewußt aufgelöst in<br />
der Dynamik der unvorhersehbaren Verknüpfung von Ort und Zeit. Die<br />
Momentaufnahme erscheint nun vielmehr als kultureller Code für ein<br />
fortschreitendes Nomadentum, in dem die Menschen zu virtuellen Wanderern<br />
und die Bilder und Orte flüchtig werden. Die gewählte Form der<br />
Montage als Kollision von Schauplatz, Inhalt und individueller Formgebung<br />
verdichtet und vernetzt räumliche und zeitliche Ebenen und vermag<br />
so aus den Grenzen des Bildrahmens und Informationsrasters auszubrechen.<br />
Und damit in übertragenem Sinne aus vorgefaßten Formen medialer<br />
Sehgewohnheit sowie technologisch und gesellschaftlich abgesteckter<br />
Territorien.<br />
George Legrady sieht die computerisierte Erfassung und Festlegung
von Informationen als derzeit bestimmend für das soziale Dasein. Die ästhetischen,<br />
physischen und psychischen Nahaufnahmen und Grenzüberschreitungen<br />
der ›interactive database‹ in Slippery Traces setzen kreative<br />
und subjektive Kontrapunkte, sowohl für den Autor als auch für den Zuschauer.<br />
So formulieren wir die Anforderungen an ein Szenarium. Der traditionellen Form des<br />
›Drehbuchs‹ mit seinen Einzelnummern wird damit ein gefährlicher Stoß versetzt. Das Szenarium,<br />
das schlimmstenfalls von einem gewöhnlichen Handwerker seines Faches geschrieben<br />
wird, liefert die traditionelle optische Beschreibung dessen, was dem Zuschauer zu<br />
sehen bevorsteht. Das Geheimnis aber liegt darin, durch das Szenarium die Kette der Erlebnisse,<br />
die dem Zuschauer bevorstehen, zu schmieden! 3 Sergej Eisenstein<br />
›Ziegelsteine‹ werden zu Gedankengängen geordnet, die der Zuschauer<br />
goutiert.<br />
›Kettenglieder‹ werden zu realen Ereignissen geschmiedet, die dem<br />
Zuschauer bevorstehen.<br />
›Slippery Traces‹ führen zu imaginären Orten und Bedeutungsgefügen,<br />
die jeder einzelne Zuschauer für sich selbst entdeckt.<br />
3. Sergej Eisenstein: ›Drehbuch? Nein: Kino-Novelle!‹ – Frankfurter Zeitung, 4.2.1930,<br />
S.2. Zit. nach: Theorie des Kinos. Ideologiekritik an der Traumfabrik, Hg. Karsten Witte,<br />
Frankfurt/M., 1972, S. 96–98.<br />
193<br />
artintact 3
Biografische Notizen /Biographical Notes<br />
Künstler / Artists<br />
Geboren 1952 in Pittsburgh, USA, studierte<br />
am Antioch College und am California<br />
Institute of the Arts in Valencia, wo er 1974<br />
den Bachelor of Fine Arts und 1976 den<br />
Master of Fine Arts erhielt. Seine Arbeiten<br />
befinden sich in zahlreichen Sammlungen,<br />
u.a. Centre Georges Pompidou, Paris,<br />
Museum of Modern Art, New York,<br />
Nagoya City Art Museum, Nagoya, ZKM-<br />
Medienmuseum, Karlsruhe und Kiasma<br />
Museum of Contemporary Art, Helsinki.<br />
Ken Feingold wird von der Postmasters<br />
Gallery, New York, vertreten.<br />
Stipendien und Auszeichnungen<br />
(Auswahl) / Selected stipends and<br />
awards<br />
National Endowment for the Arts<br />
(Washington DC), fellowships,<br />
1979/81/88<br />
New York State Council on the Arts,<br />
production awards, 1985/88/91<br />
The Andrew Mellon Foundation, research<br />
fellowship, India, 1982<br />
The McKnight Foundation Fellowship for<br />
Artists, 1984<br />
The Contemporary Art Television Fund,<br />
Ken Feingold<br />
Ken Feingold was born in Pittsburgh, USA,<br />
in 1952. He studied at Antioch College and<br />
received a BFA (1974) and MFA (1976) in<br />
Fine Arts from the California Institute of<br />
the Arts, Valencia. His artworks have been<br />
included in numerous museum collections<br />
– among these, the Centre Georges Pompidou,<br />
Paris, the Museum of Modern Art,<br />
New York, the Nagoya City Art Museum,<br />
Nagoya, the ZKM-Media Museum, Karlsruhe,<br />
and the Kiasma Museum of Contemporary<br />
Art, Helsinki. He is represented by<br />
Postmasters Gallery, New York.<br />
Boston, video production award, 1985<br />
The Bush Foundation Fellowship for<br />
Artists, Southern Asia, 1986<br />
The Checkerboard Foundation, video<br />
postproduction award, 1987<br />
The Jerome Foundation, video installation<br />
production award, 1987<br />
US-Japan Friendship Commission Creative<br />
Artists’ Exchange Program,<br />
research fellowship, Japan, 1988,<br />
undertaken 1990<br />
Bonn Videonale Prize, Bonn, 1992<br />
Interactive Media Festival Awards exhibitions,<br />
Los Angeles, 1994/95<br />
195<br />
artintact 3
artintact 3<br />
196 Honourable Mention, distinction Interactive<br />
Art, Prix Ars Electronica, Linz,<br />
1996<br />
DNP Internet ’97 Interactive Award,<br />
Tokyo, 1996<br />
Honourable Mention, distinction Interactive<br />
Media, ID. Magazine, New York,<br />
1997 (artintact 3)<br />
Fundación Telefónica, Vida 3.0 award,<br />
Madrid, 2000<br />
Werke (Auswahl) / Selected works<br />
Filme / Films<br />
Mechanism Film (Supendulum Camera),<br />
2 min., 16mm, 1970<br />
Room, 3 min., 16mm, 1970<br />
Evidence, 1 min., 16mm, 1972<br />
Text and Context, 7 min., 16mm, 1972–73<br />
Reference Text, 3 min., 16mm, 1972–73<br />
Neutral Density, 8 min., 16mm, 1973<br />
Comparative Anatomy, 10 min., 16mm,<br />
1974<br />
Local Option, 12 min., 16mm, 1974<br />
Subject, 5 min., 16mm, 1974<br />
Four Incidents With Translations, 12 min.,<br />
16mm, 1974<br />
‘With Photos ...’, 9 min., 16mm, 1975<br />
The World Gets a Funny Light this Time of<br />
Day, 18 min., 16mm, 1976<br />
Hysteria, 30 min., 16mm, 1977<br />
Videobänder / Videotapes<br />
Speak Falling, 30 min., 1972<br />
Literal Illustration, 8 min., 1975<br />
In a Vacuum, 4:30 min., 1975<br />
Jumps, 2:30 min., 1975<br />
Secret Life, 11 min., 1978<br />
Narrow Jokes, 13 min., 1978<br />
Water Falling From One World to Another,<br />
36 min., 1980<br />
Purely Human Sleep, 28:43 min., 1980 –81<br />
Allegory of Oblivion, 168:30 min., 1981<br />
Relays that Destroy Instants, 35:15 min.,<br />
1981–1983, comprised of: Snakebite,<br />
0:42 min., 1983; Scattered Witness, 2:40<br />
min., 1982; Hell, 9:19 min., 1981;<br />
Region of Extreme Examples, 8:23 min.,<br />
1981; New Building Under the Water,<br />
11:38 min., 1982<br />
5dim/MIND, 29 min., 1983<br />
The Double, 29 min., 1984<br />
Irony (The Abyss of Speech), 28:50 min.,<br />
1985, Music: Ratso Harris, coproduction<br />
of Contemporary Art Television<br />
Fund, WGBH-TV, Boston and The<br />
Kitchen, New York<br />
India Time, 45:54 min., 1985–87<br />
The Smallest Particle, 7:53 min., 1986–87<br />
In Shadow City, 13 min., 1988, collaboration<br />
with Constance De Jong, Music:<br />
David Behrman, produced by The<br />
Kitchen, New York<br />
Un Chien Délicieux, 18:45 min., recorded<br />
1986, written and edited 1991<br />
La Vida es una Herida Absurda (with Nora<br />
Fisch), 3 min., recorded 1985, written<br />
1989, edited 1995<br />
Installationen / Installations<br />
Subject with Four Footnotes, 1975<br />
A. O. O. P. L. C. I. T. V. V. T. M. (An Object<br />
or Person Left Cooking is the Virtuoso<br />
Violinist Trifling Matter), installation<br />
series, 1976–78<br />
Previews of the Modern World, 1978<br />
Shortwave, 1978<br />
Sexual Jokes, 1979<br />
Red Cell, 1979<br />
Time Bomb, 1979
Ride for the 20th Century, 1979–80<br />
Who Do You Love?, 1980<br />
Signs Nos. 1–15, installation series, 1980–83<br />
July 24, 1895/Sleeping Room, 1983/88<br />
The Lost Soul, 1988<br />
The Surprising Spiral, 1991<br />
Jimmy Charlie Jimmy, 1992<br />
Childhood/Hot & Cold Wars, 1993<br />
where I can see my house from here so we<br />
are, 1993–94<br />
Orpheus, 1996<br />
Interior, 1997<br />
Séance box No.1, 1998–1999<br />
Head, 1999–2000<br />
Sinking Feeling, 2001<br />
If/Then, 2001<br />
Self Portrait as the Center of the Universe,<br />
2001<br />
Einzelausstellungen /<br />
Solo exhibitions<br />
Millennium, film exhibition, New York,<br />
1974<br />
Claire S. Copley Gallery, Los Angeles,<br />
1975<br />
Whitney Museum of American Art, New<br />
York, 1979<br />
Walker Art Center, Minneapolis, 1979<br />
Video Viewpoints: Ken Feingold, The<br />
Museum of Modern Art, New York,<br />
1985<br />
Galerie René Coelho, MonteVideo,<br />
Amsterdam, 1992<br />
Postmasters Gallery, New York, 1999/2001<br />
Gruppenausstellungen und Festivals<br />
(Auswahl) / Selected group exhibitions<br />
and festivals<br />
Southland Video Anthology, Long Beach<br />
Museum of Art, Long Beach, 1975<br />
Artists’ Space, film screening, New York,<br />
1975<br />
Films in exhibitions, Whitney Museum of<br />
American Art, New York, 1975/76<br />
Walker Art Center, Minneapolis, retrospective<br />
film screening, 1978; video<br />
screening, 1983<br />
Biennial Exhibition, Whitney Museum of<br />
American Art, New York, 1983/85/89<br />
Los Angeles Contemporary Exhibitions<br />
(L. A. C. E.), Los Angeles, 1983/91<br />
Film Festival Berlin, Berlin, 1984<br />
Museo Palazzo Fortuny, Venice, 1984<br />
The Institute of Contemporary Art,<br />
Boston, 1984/85/87<br />
Signs, The New Museum of Contemporary<br />
Art, New York, 1985<br />
Videonale Bonn, Bonn, 1986/88/92/94<br />
L’epoque, la mode, la morale, la passion,<br />
Centre Georges Pompidou, Paris, 1987<br />
Contemporary Art in Context, The<br />
Museum of Modern Art, New York,<br />
1988<br />
Image World, Whitney Museum of American<br />
Art, New York, 1988–89<br />
Installations, The Asia Society, New York,<br />
1988<br />
Nagoya City Art Museum, Nagoya, 1990<br />
Dream, The Museum of Modern Art, New<br />
York, 1990<br />
Video Art Internacional, Museo Nacional<br />
de Bellas Artes, Buenos Aires, 1990<br />
Fact/Fiction, The Museum of Modern Art,<br />
New York, 1991<br />
European Media Art Festival, Osnabrück,<br />
1991<br />
197<br />
artintact 3
artintact 3<br />
198<br />
Bitte berühren, ZKM, Karlsruhe, 1992<br />
Kunsthallen Brandts Klædefabrik, Odense,<br />
1992<br />
MUU Media Festival, Helsinki, 1992<br />
Rotterdam Film Festival, Rotterdam, 1992<br />
VideoFest Berlin, Berlin, 1992<br />
Desmontaje: Film, Video/Appropriacion,<br />
Reciclaje, Institut Valencia d’Art<br />
Modern, Valencia, 1993 [touring<br />
exhibition]<br />
Between Word and Image, The Museum of<br />
Modern Art, New York, 1993<br />
American Avante-Garde Film and Video<br />
Programs, Gallery Puskinskaya 10-10,<br />
St. Petersburg, 1993<br />
Iterations: The Digital Image, International<br />
Center of Photography, New York,<br />
1993–94<br />
Interactive Media Festival, Los Angeles,<br />
1994/95<br />
Homens Surrealismus, Museum of Contemporary<br />
Art, Gent, 1995<br />
Artists and the New Technologies Conference,<br />
Guggenheim Museum Soho, New<br />
York, 1995<br />
Biennale d’Art Contemporain de Lyon,<br />
Lyon, 1995–96<br />
Can You Digit?, Postmasters Gallery, New<br />
York, 1996<br />
Technology in the Nineties, Museum of<br />
Modern Art, New York, 1997<br />
Interact! Key Works of Interactive Art,<br />
Wilhelm Lehmbruck Museum,<br />
Duisburg, 1997<br />
Beware! In Playing the Phantom You<br />
Become One (production of Centre<br />
Georges Pompidou), Documenta X,<br />
Kassel, 1997<br />
Password: Ferdydurke, Postmasters<br />
Gallery, New York, 1997<br />
ICC Biennale ’97, InterCommunication<br />
Centre, Tokyo, 1997<br />
Glut/Fest, Kunsthalle, Dusseldorf, 1998<br />
Surrogate, ZKM, Karlsruhe, 1998<br />
Visual Extension – Fantasy and Reality,<br />
National Museum of Contemporary<br />
Art, Seoul, 1998–1999<br />
Dark Room, Museo Universitario Contempránero<br />
de Arte, Mexico City, 1999<br />
Lasipalatsi Film and Media Centre,<br />
Helsinki, 1999<br />
Pacific Film Archive, Berkeley, 1999<br />
net_condition, ZKM, Karlsruhe,<br />
1999–2000<br />
Alien Intelligence, Kiasma Museum of<br />
Contemporary Art, Helsinki, 2000<br />
Cyborg I, Kapelica Gallery, Ljubljana,<br />
2000<br />
Urban Futures, MTN Art Institute,<br />
Johannesburg, 2000<br />
SHIFT-CTRL: Computers, Games & Art,<br />
Beall Center for Art & Technology, UC<br />
Irvine, Irvine, 2000<br />
Video Time, The Museum of Modern Art,<br />
New York, 2000–01<br />
Under the Skin, Wilhelm Lehmbruck<br />
Museum, Duisburg, 2001<br />
In the Field of Letters. The Future of<br />
Literature, Neue Galerie Graz am<br />
Landesmuseum Joanneum, Graz, 2001<br />
Devices of Wonder, J. Paul Getty Museum,<br />
Los Angeles, 2001–02<br />
Website<br />
http://www.kenfeingold.com
Geboren 1954 in Cambridge, Mass.<br />
Installations- und Performance-Künstler,<br />
arbeitet mit den verschiedensten Medien –<br />
von völlig veraltet bis zum neuesten Stand<br />
der Technik. Perry Hoberman wird von der<br />
Postmasters Gallery, New York, vertreten<br />
und lehrt z.Zt. an der School of Visual Arts,<br />
New York.<br />
Stipendien und Auszeichnungen /<br />
Stipends and awards<br />
National Endowment for the Arts (Washington<br />
DC), fellowship, 1984<br />
New York Foundation for the Arts<br />
Fellowship, 1985/89<br />
Engelhart Foundation Award, 1985<br />
Archetype Award for Overall Excellence,<br />
Interactive Media Festival, Los Angeles,<br />
1995<br />
New York Foundation for the Arts<br />
(Computer Art), New York, 1997<br />
Honourable Mention, distinction Interactive<br />
Media, ID. Magazine, New York,<br />
1997 (artintact 3)<br />
First prize, arts’_edge prize for interactive<br />
multimedia works, Perth, Australia,<br />
1998<br />
Award of Distinction in Interactive Art,<br />
Prix Ars Electronica, Linz, 1999<br />
Grand Prix, ICC Biennale, Tokyo, 1999<br />
Werke (Auswahl) / Selected works<br />
Simulcasts, projection installation, 1982<br />
Out of the Picture, 3-D-projection installation,<br />
1983<br />
Smaller Than Life, 3-D-projection performance,<br />
1983<br />
Perry Hoberman<br />
Perry Hoberman was born in Cambridge,<br />
Mass., in 1954. An installation and performance<br />
artist who works with a wide<br />
variety of media ranging from utterly<br />
obsolete to state-of-the-art, he is represented<br />
by Postmasters Gallery, New York.<br />
He currently teaches at the School of Visual<br />
Arts, New York.<br />
Dead Space/Living Rooms, 3-D-projection<br />
installation, 1985<br />
Return to Sender (with Bill Obrecht), 3-Dprojection<br />
performance work, 1985<br />
Seven Wonderful Children We Have Never<br />
Seen (with Haim Steinbach), performance,<br />
1986<br />
Meat and Potatoes, interactive installation,<br />
1986<br />
Inferno, performance, 1987<br />
Revenge of Debris, 3-D-projection performance,<br />
1988<br />
No Salesman Will Call (with Christian<br />
Marclay), performance, 1989<br />
Means of Egress, interactive installation,<br />
1990<br />
Faraday’s Garden, interactive appliance<br />
installation, 1990<br />
Empty Orchestra Café (with SFAI<br />
students), neo-karaoke performance<br />
event, 1991<br />
Interstate, 3-D-projection performance,<br />
1991<br />
Runway, interactive appliance performance,<br />
1992<br />
Zombies, Has-Beens and Excess Baggage,<br />
sculpture installation, 1992<br />
Bar Code Hotel, interactive installation,<br />
1994<br />
Symphonic Appliance Orchestra, machine<br />
performance, 1995<br />
199<br />
artintact 3
artintact 3<br />
200<br />
Faraday’s Islands, interactive appliance<br />
installation, 1995<br />
Cathartic User Interface 1.0 (with Nick<br />
Philip), interactive installation, 1995<br />
Systems Maintenance, interactive installation,<br />
1998<br />
Lightpools o El Ball del Fanalet (with<br />
Galeria Virtual), interactive installation,<br />
1998<br />
Timetable, interactive installation, 1999<br />
C.U.I 2.0 (with Nick Philip), interactive<br />
installation, 2000<br />
ZOMBIAC (Zone Of Monitor-Based<br />
Inter-Amnesiac Contact), interactive<br />
installation, 2000<br />
Workaholic, interactive installation, 2000<br />
Einzelausstellungen /<br />
Solo exhibitions<br />
Out of the Picture, Hallwalls, Buffalo,<br />
New York, 1983<br />
Out of the Picture, Wake Forest University<br />
Fine Arts Gallery, North Carolina,<br />
1983<br />
Inside Out, Galerie Pon, Zurich, 1984<br />
Dead Space/Living Rooms, Capp Street<br />
Project, San Francisco, 1985<br />
Postmasters Gallery, New York,<br />
1985/86/88/90/92/2000<br />
Faraday’s Garden, Museum of Contemporary<br />
Art, Dayton, Ohio, 1991<br />
Bar Code Hotel, Walter Phillips Gallery,<br />
Banff Centre for the Arts, Alberta,<br />
Canada, 1994<br />
Faraday’s Islands, Boston University,<br />
Mass., 1995<br />
Unexpected Obstacles, Otso Gallery,<br />
Espoo, Finland, 1997<br />
Sorry We’re Open, Postmasters Gallery,<br />
New York, 1997<br />
Systems Maintenance/Faraday’s Garden,<br />
Cornerhouse Gallery, Manchester, 1998<br />
Lightpools or El Bal del Fanalet, Fundació<br />
Joan Miro, Barcelona, 1998<br />
Systems Maintenance/Faraday’s Garden,<br />
Ferens Gallery, Kingston-Upon-Hull,<br />
England, 1998<br />
Unexpected Obstacles, ZKM-Media<br />
Museum, Karlsruhe, 1998<br />
Faraday’s Garden, Hull Time Based Arts,<br />
Kingston-Upon-Hull, England, 1999<br />
Gruppenausstellungen (Auswahl) /<br />
Selected group exhibitions<br />
Constructed Color, Hayden Gallery, MIT,<br />
Boston, Mass., 1982<br />
Dark Rooms, Artists Space, New York,<br />
1983<br />
Between Science & Fiction, São Paulo<br />
Biennial, São Paulo, 1985<br />
Modern Machines, Whitney Museum at<br />
Philip Morris, New York, 1985<br />
Biennial Exhibition, Whitney Museum,<br />
New York, 1985<br />
Future Histories: The Impact of Changing<br />
Technology, Anderson Gallery, Richmond,<br />
Virginia, 1985<br />
The Fairy Tale, Artists Space, New York,<br />
1986<br />
CinemaObject, The Kitchen at City<br />
Gallery, New York, 1986<br />
Paintings/Objects, Postmasters Gallery,<br />
New York, 1986<br />
TV Generations, Los Angeles Contemporary<br />
Exhibitions, Los Angeles, 1986<br />
Film in the Cities, Minneapolis,<br />
Minnesota, 1986<br />
Poetic Justice, Ward-Nasse Gallery, New<br />
York, 1988<br />
Springworks, New York Hall of Science,<br />
New York, 1990<br />
The Living Room, San Francisco, 1991
Technorama, Barbara Toll Gallery, New<br />
York, 1992<br />
Art Show, Siggraph ’92, Chicago, Ill., 1992<br />
Machine Culture, Siggraph ’93, Anaheim,<br />
Cal., 1993<br />
Images du Futur 93, Montreal, 1993<br />
Cyber Art, Ars Electronica, Linz, 1994<br />
Resurrections: Objects with New Souls,<br />
William Benton Museum, Hartford,<br />
Connecticut, 1994<br />
Arc Gallery, International Media Festival,<br />
Los Angeles, 1995<br />
CeBIT ‘95, Deutsche Telekom stand,<br />
Hanover, 1995<br />
Electra, Henie-Onstad Art Centre, Oslo,<br />
1996<br />
Le laboratoire, Artifices 4, Saint-Denis,<br />
Paris, 1996<br />
Constriction, Pierogi 2000, Brooklyn, 1996<br />
Can You Digit?, Postmasters Gallery,<br />
New York, 1996<br />
Password: Ferdydurke, Postmasters<br />
Gallery, New York, 1997<br />
The Art of the Accident, DEAF ’98, Rotterdam,<br />
1998<br />
Cyber, Lisbon, 1999<br />
Interaction, ICC Biennal ’99, NTT Inter-<br />
Communication Center, Tokyo, 1999<br />
Cyberarts 99, Ars Electronica, Linz, 1999<br />
Beyond Technology, Brooklyn Museum of<br />
Art, New York, 1999<br />
Perspective, c 3 , Müscarnok, Budapest,<br />
1999<br />
Vision Ruhr, Dortmund, 2000<br />
Alien Intelligence, Kiasma Museum of<br />
Contemporary Art, Helsinki, 2000<br />
Microwave Festival, Hong Kong, 2000<br />
Website<br />
http://www.perryhoberman.com<br />
201<br />
artintact 3
artintact 3<br />
202<br />
Geboren 1950 in Budapest, kanadischer<br />
Staatsbürger seit 1961, lebt seit 1981 in<br />
Kalifornien. Von 1996 bis 2000 war<br />
Legrady Professor für elektronische<br />
Medien an der Merz Akademie in Stuttgart,<br />
z. Zt. ist er Professor für Digitale Medien an<br />
der University of California, Santa Barbara.<br />
Zuvor war er u.a. an der University of<br />
Southern California, am California Institute<br />
for the Arts in Los Angeles und an der<br />
University of Western Ontario in London,<br />
Kanada, tätig. Seine künstlerischen und<br />
wissenschaftlichen Arbeiten beschäftigen<br />
sich mit den kulturellen Auswirkungen der<br />
Technologieentwicklung im Hinblick auf<br />
Repräsentation und Gesellschaft. Er<br />
begann seine künstlerische Karriere 1970<br />
mit Fotografie, lernte 1981 Computerprogrammierung<br />
und verband beides Mitte der<br />
8oer Jahre. Seit 1992 entwickelt er alle<br />
Arbeiten mit interaktiven Medien.<br />
Jüngste Stipendien und Auszeichnungen<br />
(Auswahl) / Selected recent<br />
stipends and awards<br />
Honourable Mention, distinction<br />
Computer Graphics, Prix Ars<br />
Electronica, Linz, 1988<br />
Canada Council Computer-Aided Media<br />
Award, 1992/93, 1994/95, 1997/98<br />
Honourable Mention, distinction Interactive<br />
Art, Prix Ars Electronica, Linz,<br />
1994<br />
New Voices, New Visions prize, Voyager<br />
Co., Wired and Interval Research, 1994<br />
Visual Artist Fellowship, National Endowment<br />
for the Arts, Washington, 1994<br />
George Legrady<br />
George Legrady, who was born in Budapest<br />
in 1950, has been a Canadian citizen<br />
since 1961, and resident of California since<br />
1981. From 1996 to 2000, he was Professor<br />
of Electronic Media at the Merz Academy<br />
in Stuttgart, and currently holds a position<br />
as Professor of Digital Media at the University<br />
of California, Santa Barbara. Prior<br />
appointments include: University of<br />
Southern California and California Institute<br />
of the Arts in Los Angeles, University<br />
of Western Ontario in London, Canada.<br />
His work and research have focused on the<br />
cultural impact of emerging technologies<br />
on representation and the social environment.<br />
He took up photography in the early<br />
1970s, learned computer programming in<br />
1981 and integrated the two in the mid-<br />
1980s. Since 1992, all his work has been in<br />
interactive media.<br />
Artslink, National Endowment for the<br />
Arts, Washington, 1996<br />
Honourable Mention, distinction Interactive<br />
Media, ID. Magazine, New<br />
York, 1997 (artintact 3)<br />
Residency, Akademie Schloss Solitude,<br />
Stuttgart, 1997<br />
Residency, c 3 Media Center for Culture<br />
and Communication, Budapest, 1998<br />
international media art award, ZKM,<br />
Karlsruhe, 2000 (nomination)<br />
The Daniel Langlois Foundation for Art,<br />
Science and Technology, Montreal,<br />
2000
Installationen (Auswahl) / Selected<br />
installation works<br />
Equivalents II, interactive computer<br />
installation with text and four dyptichs<br />
(eight digital prints), 1992–94<br />
An Anecdoted Archive from the Cold War,<br />
interactive laser disk and CD-ROM<br />
installation, 1994<br />
[the Clearing], interactive work on disks,<br />
1994<br />
Slippery Traces, interactive installation and<br />
CD-ROM, 1996<br />
Tracing, interactive installation, 1997–98<br />
A Sense of Place, interactive installation,<br />
1998<br />
Transitional Spaces, interactive installation,<br />
1999<br />
Pockets Full of Memory, online and museum<br />
installation, 2001<br />
Ebner, Stolz & Partners Project, installation<br />
for Ebner, Stolz & Partners, Stuttgart,<br />
2001<br />
Einzelausstellungen (Auswahl) /<br />
Selected solo exhibitions<br />
George Legrady: Interactive Media Art,<br />
Rovaniemi Art Museum, Rovaniemi,<br />
Finland, 1995<br />
Open Space Gallery, Ansel Adams Center,<br />
San Francisco, 1996<br />
George Legrady: From Analogue to<br />
Digital, National Gallery of Canada,<br />
Ottawa, 1997<br />
Tracing, Kunst- und Ausstellungshalle der<br />
Bundesrepublik Deutschland,<br />
MedienKunstRaum, Bonn, 1997–98<br />
Canadian Museum of Contemporary<br />
Photography, Ottawa, 1998<br />
Tracing, Museum of Contemporary Art,<br />
Los Angeles, 1998<br />
Transitional Spaces, Rotunde, Siemens<br />
Headquarters, Munich, 1999<br />
Los Angeles Metro Rail Commission, 2001<br />
Gruppenausstellungen (Auswahl) /<br />
Selected group exhibitions<br />
Digital Photography, San Francisco<br />
Camera Works, San Francisco, [touring]<br />
1988–89<br />
Fotografie, Wissenschaft, Neue Technologien,<br />
Kunstmuseum Dusseldorf,<br />
1989–90<br />
Les Hypermédias: revue virtuelle, Centre<br />
Georges Pompidou, Paris, 1994<br />
Artifices 3, Saint-Denis, Paris, 1994<br />
ISEA ’94, Helsinki Museum of Contemporary<br />
Art, Helsinki, 1994<br />
New Langton Arts Gallery, San Francisco,<br />
1994<br />
Fifteen Years of Ars Electronica, Ars<br />
Electronica ‘94, Landesmuseum, Linz,<br />
1994<br />
Iterations: The Digital Image, International<br />
Center for Photography, New York,<br />
1994<br />
In|Out of the Cold, Center for the Arts,<br />
Yerba Buena Gardens, San Francisco,<br />
1994<br />
Obsessions: from Wunderkammer to<br />
Cyberspace, Rijksmuseum Twenthe,<br />
Enschede, 1995<br />
ISEA ’95, Montreal, 1995<br />
V2 Festival, Rotterdam, 1995<br />
VideoFest, Berlin, 1995<br />
Interactive Media Festival, Los Angeles,<br />
1995<br />
6th Fukui International Video Biennale,<br />
Fukui, Japan, 1995<br />
The Butterfly Effect, Soros Center for<br />
Contemporary Art, Mücsarnok,<br />
203<br />
artintact 3
artintact 3<br />
204<br />
Museum of Fine Arts, Budapest, 1995<br />
Biennale d’Art Contemporain de Lyon,<br />
Lyon, 1995–96<br />
Photography After Photography, Siemens<br />
Kultur Programm, Munich, [touring]<br />
1995–97<br />
European Media Art Festival, Osnabrück,<br />
1996<br />
Everybody’s Talking, Gemeente Museum<br />
Helmond, Helmond, Netherlands,<br />
1996<br />
Can You Digit?, Postmasters Gallery, New<br />
York, 1996<br />
Das digitale Wort, Word Up Festival,<br />
Vienna, 1996<br />
Deep Storage, Haus der Kunst, Munich,<br />
[touring] 1996–98<br />
Burning the Interface, Museum of Contemporary<br />
Art, Sydney, [touring]<br />
1996–98<br />
Selected Memories, Palais des beaux-arts de<br />
Bruxelles, Brussels, 1997<br />
Dawn of the Magicians, National Gallery,<br />
Prague, 1998<br />
Verbindingen / Jonctions, Palais des beauxarts<br />
de Bruxelles, Brussels, 1998<br />
Anticipation – Version 5.0, Centre d’art<br />
contemporain, Saint-Gervais, Geneva,<br />
1999<br />
Interactive Frictions, University of Southern<br />
California, Los Angeles, 1999<br />
Contact Zones, Cornell University, Ithaca,<br />
NY, [touring] 1999–2000<br />
ISEA, Ecole Nationale des Beaux-Arts,<br />
Paris, 2000<br />
Pockets Full of Memories, Centre<br />
Beaubourg/Pompidou, Paris, 2001<br />
New Media, Klaus Peter Goebel Gallery,<br />
Stuttgart, 2001<br />
Website<br />
http://www.georgelegrady.com
Biografische Notizen / Biographical Notes<br />
Autoren /Authors<br />
Annika Blunck studierte Kunstgeschichte<br />
(MA, Freie Universität Berlin) und ist Mitarbeiterin<br />
des Social Interface Design<br />
Teams bei Philips Design, Niederlande. Sie<br />
konzipierte zuvor verschiedene Projekte<br />
für internationale Medienkunstausstellungen<br />
und war von 1995 bis 2001 wissenschaftliche<br />
Mitarbeiterin am ZKM-Institut<br />
für Bildmedien, wo sie an verschiedenen<br />
interdisziplinären, EU-finanzierten Forschungsprojekten<br />
arbeitete. Ihr Interesse<br />
gilt der 3D-Visualisierung von Information,<br />
der Beziehung von realen und digitalen<br />
Welten sowie der Evaluation interaktiver<br />
Installationen im Hinblick auf die<br />
verwendete Informationstechnologie.<br />
Geboren 1958 in Helsinki, Gastprofessor<br />
an derUniversityof California,Los Angeles<br />
(UCLA), Department of Design | Media<br />
Arts. Erkki Huhtamo arbeitet als Forscher,<br />
Dozent und Kurator im Bereich der<br />
Medienkultur. Er publizierte zahlreiche<br />
Studien über die Geschichte der Medien<br />
und die Ästhetik der Medienkunst, hält<br />
weltweit Vorlesungen und realisierte<br />
Fernsehserien für das finnische Fernsehen.<br />
Als Kurator war er für wichtige Medien-<br />
Annika Blunck<br />
Erkki Huhtamo<br />
Annika Blunck (MPhil. in art history, Freie<br />
Universität Berlin) is member of the Social<br />
Interface Design Team at Philips Design in<br />
the Netherlands. Before joining Philips Design<br />
she developed a number of different<br />
projects for international media-art exhibitions.<br />
From 1995 to 2001, she worked as research<br />
associate at the ZKM-Institute for<br />
Visual Media on a number of interdisciplinary<br />
research projects funded at European<br />
level. Her interest focuses on 3-D information<br />
visualization, the relationship between<br />
physical and digital worlds, and the evaluation<br />
of interactive installations in relation to<br />
Information Technology.<br />
Born in Helsinki in 1958, Erkki Huhtamo is<br />
an associate professor at the Department of<br />
Design | Media Arts, University of California,<br />
Los Angeles (UCLA). A researcher,<br />
educator and curator working in the field of<br />
media culture, he has published numerous<br />
studies on media history and the aesthetics<br />
of media art, lectured widely around the<br />
world, and has written and directed television<br />
series for Finnish television. His curatorial<br />
credits include major media-art exhi-<br />
205<br />
artintact 3
artintact 3<br />
206<br />
kunstausstellungen verantwortlich, u.a. für<br />
die Retrospektiven zu Toshio Iwai (1994),<br />
Perry Hoberman (1997) und Paul DeMarinis<br />
(2000) sowie für die Gruppenausstellung<br />
Alien Intelligence (2000). Huhtamo<br />
arbeitet derzeit an einem Buch zur Medienarchäologie<br />
(MIT Press).<br />
Peter Lunenfeld gründete ›mediawork: The<br />
Southern California New Media Working<br />
Group‹ und ist Professor am Graduiertenprogramm<br />
für Mediendesign am Art<br />
Center College of Design, Pasadena. Er ist<br />
Autor von Snap to Grid: A User’s Guide to<br />
Digital Arts, Media, and Culture (2000),<br />
und Herausgeber von The Digital Dialectic:<br />
New Essays on New Media (1999). Er<br />
ist verantwortlicher Redakteur der Publikationsreihe<br />
Mediawork Pamphlets (MIT<br />
Press), die sich mit den Schnittstellen von<br />
Kunst, Technologie und utopischem<br />
Unternehmertum beschäftigt.<br />
George Legrady<br />
siehe Seite 202 see page 202<br />
Peter Lunenfeld<br />
bitions, such as retrospectives devoted to<br />
Toshio Iwai (1994), Perry Hoberman<br />
(1997) and Paul DeMarinis (2000) and the<br />
group show Alien Intelligence (2000). He is<br />
currently working on a book about media<br />
archaeology (MIT Press).<br />
Peter Lunenfeld is the founder of ‘mediawork:<br />
The Southern California New<br />
Media Working Group’. He is a professor<br />
in the Media Design graduate programme<br />
at the Art Center College of Design,<br />
Pasadena. Author of Snap to Grid: A<br />
User’s Guide to Digital Arts, Media, and<br />
Culture (2000), and editor of The Digital<br />
Dialectic: New Essays on New Media<br />
(1999), he is the editorial director for the<br />
Mediawork Pamphlets series (MIT Press)<br />
on the intersections of art, technology and<br />
utopian entrepreneurship.
Geboren 1956 in Esztergorn, Ungarn, lebt<br />
in Budapest. Miklós Peternák war von<br />
1981–87 Mitglied des Béla-Balázs-Studios,<br />
Budapest, arbeitete von 1981–83 an der<br />
Ungarischen Nationalgalerie und von<br />
1983–87 am Forschungsinstitut für Kunstgeschichte<br />
der Ungarischen Akademie der<br />
Wissenschaften. Seit 1991 leitet er das<br />
Intermedia-Institut an der Akademie der<br />
Schönen Künste und seit 1997 die Stiftung<br />
c 3 : Center for Culture and Communication,<br />
Budapest. Zahlreiche Film- und<br />
Videoproduktionen sowie Artikel- und<br />
Buchveröffentlichungen.<br />
Geboren 1944 in Odessa, studierte Literatur,<br />
Film, Mathematik, Medizin und<br />
Philosophie in Wien und Paris. Durch seine<br />
Aktivitäten als Künstler, Ausstellungskurator<br />
und Kunst- und Medientheoretiker<br />
wurde er zu einer zentralen Figur der<br />
europäischen Medienkunst. Peter Weibel<br />
hat zahlreiche Bücher und Essays über die<br />
Geschichte und Zukunft der visuellen<br />
Medien veröffentlicht und seit 1976 an<br />
vielen Universitäten und Akademien in<br />
Europa und den USA gelehrt. Er leitete<br />
von 1984 bis 1989 das Media Department<br />
der New York University, Buffalo, und<br />
gründete 1989 das Institut für neue Medien<br />
an der Städelschule in Frankfurt/Main. Von<br />
1986 bis 1995 war er künstlerischer Berater<br />
und später künstlerischer Leiter der Ars<br />
Electronica Linz, von 1993 bis 1998<br />
künstlerischer Leiter der Neuen Galerie am<br />
Landesmuseum Joanneum in Graz und<br />
1993–99 Österreich-Kommissar der<br />
Biennale von Venedig. Seit 1999 ist Peter<br />
Weibel Vorstand des ZKM Karlsruhe.<br />
Miklós Peternák<br />
Peter Weibel<br />
Miklós Peternák was born in Esztergom,<br />
Hungary, in 1956. He was a member of the<br />
Béla-Balázs-Studio, Budapest (1981–87),<br />
worked at the Hungarian National Gallery<br />
(1981–83) and at the Research Institute for<br />
Art History at the Hungarian Academy of<br />
Sciences (1983–87). Since 1991, he has been<br />
head of the Intermedia Department at the<br />
Hungarian Academy of Fine Arts, and<br />
since 1997 director of c 3 : Center for<br />
Culture and Communication Foundation,<br />
Budapest. He has produced several films<br />
and videos and published numerous<br />
articles and books. He lives in Budapest.<br />
Born in Odessa in 1944, Peter Weibel<br />
studied literature, medicine, logic, philosophy<br />
and film in Paris and Vienna. He<br />
became a central figure in European media<br />
art on account of his various activities as<br />
artist, media theorist and curator. Peter<br />
Weibel has published numerous books and<br />
essays on the history and future of visual<br />
media, and since 1976 has lectured widely<br />
at universities and academies in Europe and<br />
the US. After heading the digital arts<br />
laboratory at the Media Department of<br />
New York University in Buffalo from 1984<br />
to 1989, he founded the Institute of New<br />
Media at the Städelschule in Frankfurt-on-<br />
Main in 1989. Between 1986 and 1995, he<br />
was in charge of the Ars Electronica in<br />
Linz as artistic consultant and later artistic<br />
director, and from 1993 to 1998 he was<br />
curator at the Neue Galerie Graz. He<br />
commissioned the Austrian pavilions at the<br />
Venice Biennale from 1993 to 1999. Peter<br />
Weibel has been Chairman and CEO of the<br />
ZKM Karlsruhe since 1999.<br />
207<br />
artintact 3
artintact 3<br />
208<br />
Geboren in Deutschland, lebt zur Zeit in<br />
Manchester und arbeitet als Dozentin und<br />
Medienkünstlerin. Ihre Projekte beschäftigen<br />
sich mit digitalen Netzwerken als<br />
Modell für digitales Drama und für Benutzerbeteiligung.<br />
Andrea Zapp studierte<br />
Film- und Medientheorie sowie russische<br />
Sprache und Literatur (MA 1990). Sie<br />
unterrichtete an der Hochschule für Film<br />
und Fernsehen, Babelsberg, sowie in<br />
Lehraufträgen an den Universitäten<br />
Marburg, Leipzig, Liverpool u.a. und ist<br />
Co-Herausgeberin von New Screen Media.<br />
Cinema/Art/Narrative (Buch und DVD,<br />
British Film Institute London/ZKM<br />
Karlsruhe, 2001). Informationen über ihre<br />
Aktivitäten sind unter zu<br />
finden.<br />
Andrea Zapp<br />
Born in Germany, Andrea Zapp currently<br />
lives in Manchester and works as a lecturer<br />
and media artist. Her projects focus on<br />
digital networks as a model for digital<br />
drama and user participation. After studying<br />
film and media theory, Russian language<br />
and literature, she taught at the<br />
Academy for Film and Television in<br />
Babelsberg and was a guest lecturer at<br />
universities including Marburg and Leipzig<br />
in Germany and Liverpool in Britain. She is<br />
co-editor of New Screen Media. Cinema<br />
/Art/Narrative (book and DVD,<br />
British Film Institute London/ZKM<br />
Karlsruhe, 2001). Her activities are documented<br />
at .
Herausgeber /<br />
Publisher<br />
ZKM / Zentrum für Kunst<br />
und Medientechnologie<br />
Karlsruhe<br />
Konzept / Concept<br />
Jeffrey Shaw<br />
Redaktion / Editor<br />
Astrid Sommer<br />
Gestaltung / Design<br />
Holger Jost<br />
Übersetzungen /<br />
Translators<br />
Angelika Haarkamp<br />
Thomas Morrison<br />
Emma Roper-Evans<br />
Hannelore Schmör<br />
Astrid Sommer<br />
Englisches Lektorat /<br />
English proofreading<br />
Thomas Morrison<br />
Impressum /Colophon<br />
CD-ROM-Produktion /<br />
CD-ROM production<br />
Volker Kuchelmeister<br />
Mitarbeit / assisted by:<br />
Kevin Mc Tavish<br />
Wolfgang Münch<br />
Titel-Animation /<br />
Title animation<br />
Holger Jost<br />
Soundtrack:<br />
Torsten Belschner<br />
(Kooperation ZKM/<br />
Institut für Musik<br />
undAkustik)<br />
© 2002 der Essays bei den<br />
Autoren und ZKM Karlsruhe<br />
/ Essays © 2002 by the<br />
authors and ZKM Karlsruhe<br />
© 2002 der Werke bei den<br />
Künstlern / Artworks<br />
© 2002 by the artists<br />
© 2002 der Screenshots bei<br />
den Künstlern / Screenshots<br />
© 2002 by the artists<br />
209<br />
artintact 3
artintact 4<br />
CD-ROMagazin<br />
interaktiver Kunst<br />
ZKM/Zentrum<br />
für Kunst<br />
und Medientechnologie<br />
Karlsruhe<br />
Artists’interactive<br />
CD-ROMagazine<br />
ZKM/Center<br />
for Art and Media<br />
Karlsruhe<br />
Hatje Cantz [1997/2002]
artintact 4<br />
Inhalt<br />
215<br />
Editorial<br />
217<br />
Theater der<br />
Erinnerung<br />
John G. Hanhardt<br />
Marina Grˇzinić&<br />
Aina S ˇ mid: Troubles with<br />
Sex, Theory & History<br />
231<br />
Geschlecht,<br />
Geschichte, (Sub-)<br />
Kultur: Eine Revision<br />
Kathy Rae Huffman<br />
239<br />
Troubles with Sex,<br />
Theory & History<br />
oder Videoprozesse<br />
der Wiederaneignung<br />
Marina Grˇzinić
Dieter Kiessling:<br />
Continue<br />
249<br />
Unsichtbare Medien<br />
Carina Plath<br />
258<br />
Verweiser<br />
Astrid Sommer<br />
Anja Wiese :<br />
trance machine<br />
263<br />
Medien-<br />
Impressionismus<br />
Tilman Baumgärtel<br />
277<br />
Biografische Notizen:<br />
Künstler<br />
287<br />
Biografische Notizen:<br />
Autoren<br />
290<br />
Impressum<br />
artintact 4
In allen Fiktionen entscheidet sich ein<br />
Mensch angesichts verschiedener Möglichkeiten<br />
für eine und eliminiert die<br />
anderen; im Werk des schier unentwirrbaren<br />
Ts’ui Pên entscheidet er sich –<br />
gleichzeitig – für alle. Er erschafft so verschiedene<br />
Zukünfte, verschiedene Zeiten,<br />
die ebenfalls auswuchern und sich verzweigen.*<br />
Jorge Luis Borges<br />
1941 imaginiert Borges nicht nur die Auflösung<br />
des linearen Erzählens im ›unendlichen<br />
Buch‹, sondern geradezu prophetisch<br />
die Wucherungen des nicht-linearen Erzählens.<br />
Als Literat und Archivar hätte<br />
Borges gewußt, daß sich für zukünftige<br />
Generationen auch eine unscheinbare CD-<br />
ROM als von unschätzbarem (Sammler-)<br />
Wert erweisen kann, so sie denn einen<br />
Schatz birgt. Zur Eröffnung des eigenen<br />
Hauses im Oktober 1997 kann das ZKM/<br />
Zentrum für Kunst und Medientechnologie<br />
inzwischen auf eine Sammlung von Kunstschätzen<br />
ganz spezieller Art blicken: artintact<br />
ist eines der wenigen originären Beispiele<br />
spezifischer Konzepte für das<br />
Medium CD-ROM, wie sich immer deutlicher<br />
zeigt. Was sich bei der zweiten Ausgabe<br />
noch als ›kleine Galerie‹ darstellte, ist<br />
mit nunmehr vier Editionen ein facettenreicher<br />
Querschnitt der Medienkunst. Jede<br />
Edition wirft ein anderes Licht auf Ideen<br />
und Konzepte künstlerischer Praxis angesichts<br />
der vielfältigen Verzweigungen, die<br />
das Medium programmatisch bietet.<br />
Das ZKM widmet sich dezidiert dem Experimentieren/Produzieren<br />
und dem Sammeln.<br />
Dieses auch kritisch zu reflektieren<br />
und diskutierend zu begleiten, darin liegt<br />
der Erfolg von vier Jahren artintact. Der<br />
Editorial<br />
Internationale Videokunstpreis, von ZKM<br />
und Südwestfunk ebenfalls im jährlichen<br />
Turnus vergeben, kann 1997 auf eine sechsjährige<br />
Tradition zurückblicken. Im Zuge<br />
der diesjährigen Öffnung des Preises auch<br />
für CD-ROM und Internet-Kunst fügt es<br />
sich aufs beste, daß diese beiden ZKM-<br />
Initiativen zur Förderung und Verbreitung<br />
von Medienkunst nun eine synergetische<br />
Verbindung eingehen, denn mit Dieter<br />
Kiessling und Marina Grzˇinić &Aina Sˇ mid<br />
sind ehemalige Preisträger vertreten, wobei<br />
letztere mit ihrem Werk für artintact endlich<br />
den ihnen bereits 1993 zugesprochenen<br />
Förderpreis umsetzen konnten.<br />
Die Erzählung als die Realisation einer<br />
zeitlichen Folge von Ereignissen wird im<br />
barocken Universum der beiden Sloweninnen<br />
Grzˇinić & Sˇ mid zu einem lehrreichen<br />
Pfad durch die europäische Geschichte.<br />
Dieter Kiesslings minimalistische Konzeptkunst<br />
operiert mit dem Dualismus linearen<br />
Erzählens, das nur immer neue Anfänge<br />
kennt. Anja Wieses Semantik aus Licht und<br />
Ton ist dagegen eher raumbezogen und ein<br />
weiteres Beispiel der Modifikation eines<br />
Installationsprojekts für die interaktive<br />
Fläche. Bei allen Künstlern handelt es sich<br />
um Premieren insofern, als sie hier erstmals<br />
interaktive Kunstwerke geschaffen haben –<br />
die jedoch nicht so sehr spielerisch als vielmehr<br />
kritisch die Parameter unserer Entscheidung<br />
für einen bestimmten Weg in der<br />
Zeit und im Raum analysieren.<br />
Rudolf Frieling<br />
Kurator der ZKM/Mediathek 1994–2001<br />
* Jorge Luis Borges: ›Der Garten der<br />
Pfade, die sich verzweigen.‹ – Fiktionen.<br />
Erzählungen, Frankfurt/M., 1992, S. 86.<br />
215<br />
artintact 4
Theater der Erinnerung:<br />
Film und Video in einem Zeitalter<br />
der Neuen Medien<br />
Von John G. Hanhardt<br />
Die folgenden Bemerkungen bieten eine historisch-kritische Reflexion<br />
des Anspruchs der Neuen Medien auf eine Vorrangstellung vor den dominierenden<br />
Medien unserer Zeit: Film und Video. Wir befinden uns<br />
heute in einer Übergangsperiode, in der Kommunikationsmedien und<br />
-technologien Autorität und kulturelle Präsenz über ihren Ursprung im<br />
Kino und dessen einflußreiche Stellung erhalten. Die deutliche historische<br />
und theoretische Spur, die Film und Video in diesem Jahrhundert<br />
hinterlassen haben, kann in einem breitgefächerten Spektrum ihrer Geschichte<br />
als ästhetischer Diskurs gesehen werden, der sowohl Formen populärer<br />
Unterhaltung als auch der Avantgarde-Bewegung, die ich hier<br />
diskutieren möchte, einbezieht.<br />
Am Ende des 20. Jahrhunderts sind verschiedene Medien ins Blickfeld<br />
von Künstlern wie kapitalistischem Markt gerückt. Ein Beispiel dafür ist<br />
die Holografie, die, obwohl Teil der Installationskunst, niemals als eigenständiges<br />
Medium kreativen Ausdrucks akzeptiert wurde – von einigen<br />
wenigen Künstlern abgesehen. Obwohl in Wissenschaft und Militär,<br />
Kommerz und Unterhaltung eingesetzt, ist es dem Medium Holografie<br />
nicht gelungen, sich als eine nützliche, multi-diskursive Form, die auch in<br />
der Kunstwelt berücksichtigt wird, zu konstituieren. Vielleicht werden in<br />
Zukunft Wissenschaft, Technologie und Populärkultur einen Rahmen<br />
und Kontext etablieren, in dem die Holografie ihren Platz hat und in dem<br />
sie auch als künstlerisches Medium eingesetzt wird. Bislang betrachten<br />
wir die Holografie als ein Medium, das, von wenigen individuellen Aus-<br />
217<br />
artintact 4
artintact 4<br />
218<br />
nahmen abgesehen, lediglich eine spezialisierte Technologie ohne kritischen<br />
Kontext, ohne ausgereiften ästhetischen Diskurs geblieben ist.<br />
Die Herausforderungen an jedes neue Medium sind komplex und<br />
vielfältig: Es muß durch ein Gefüge von Fertigkeiten, durch die Präsenz<br />
einer Reihe von anerkannten Werken Autorität herstellen und durch die<br />
dialektische Verbindung von Künstler und Medium eine Sprache, eine<br />
spezifische Ausdrucksweise entwickeln. Dies entsteht in einem Prozeß,<br />
in dem die Vision des Künstlers das Medium transformiert und einen<br />
überzeugenden Diskurs entfaltet, der in der Lage ist, eine Verbindung zu<br />
den visuellen und linguistischen Sprachen der Kultur herzustellen – nicht<br />
nur durch Zitieren und Aneignen, sondern durch die Schaffung von Präsenz<br />
und durch die Einbeziehung der Imagination. Um einen ästhetischen<br />
Diskurs zu ermöglichen, müssen die spezifischen Eigenschaften<br />
des Mediums die Bildgestaltung bestimmen, sie müssen das Werk formen,<br />
so daß eine intertextuelle und komplexe Verbindung innerhalb und zwischen<br />
den visuellen, performativen und zeitabhängigen Künsten entstehen<br />
kann. Diese Transaktionen, deren Zeuge der Betrachter ist und an denen<br />
er teilhat, ermöglichen eine Reflexion über die Art und Weise, wie wir<br />
die uns umgebende Welt sehen und verstehen.<br />
Ein sinnvoller ästhetischer Diskurs kann sich nur dann entwickeln,<br />
wenn die CD-ROM kognitive Bedeutung aufgrund ihrer spezifischen<br />
Eigenschaften entfaltet: der komprimierten Zeit, der Mischung von stehenden<br />
und bewegten Bildern, der Integrierung von Ton, der intertextuellen<br />
Bewegung innerhalb des illusionistischen Raumes des Bildschirms,<br />
der direkten, interaktiven Beteiligung des Betrachters, um nur einige zu<br />
nennen. Die CD-ROM befindet sich an einem kritischen Punkt innerhalb<br />
der Entwicklung von Technologien der Kommunikation und Bilderzeugung.<br />
Sie hat die Möglichkeit, die Medienkünste des nächsten Jahrhunderts<br />
zu beeinflussen und zu erweitern – aufgrund ihrer Eigenschaft,<br />
einen interaktiven Austausch mit dem Betrachter zu initiieren. Mit jedem<br />
Betrachten müssen wir nicht nur Neues über den Text, sondern auch über
uns selbst erfahren können. Bislang ist die CD-ROM lediglich ein Instrument,<br />
eine Technologie, und wegen ihrer eingeschränkten Verbreitung<br />
und Zugänglichkeit ist sie ein Diskurs, an dem nur wenige teilhaben können.<br />
Herausragende Beispiele künstlerischer CD-ROM-Projekte deuten<br />
aber darauf hin, daß die CD-ROM durchaus ein kreatives Medium sein<br />
kann. Darüberhinaus wird sie in erster Linie im Kontext von Lehre und<br />
Museum eingesetzt, denn ihre Möglichkeiten im Hinblick auf Reproduktion<br />
und Didaktik sind offensichtlich. Um aber zu einem eigenständigen<br />
ästhetischen Diskurs zu werden, muß die CD-ROM Teil eines größeren<br />
Projektes sein, das die Imagination des Individuums wie der Gesellschaft<br />
anregt und unterstützt. Film und Video haben das im Laufe ihrer langen<br />
und komplexen Geschichte erreicht, und alle neuen Medien werden zur<br />
Zeit an dem historischen Paradigma dieser dominierenden Medien des<br />
bewegten Bildes gemessen.<br />
Die CD-ROM muß durch radikale Transformationen oder durch die<br />
Bereicherung der Traditionen der Expression eine Verbindung zur Welt<br />
herstellen, zu der sie einen Beitrag leistet. Andernfalls wird es der CD-<br />
ROM wie dem Hologramm ergehen, das noch auf seinen großen Auftritt<br />
wartet oder aber ganz im Archiv technologischer Experimente verschwinden<br />
wird. Die CD-ROM darf nicht bloß eine Leseerfahrung wiederholen<br />
oder sich als imaginäre Wunderkammer (im Orig. dt.) betrachten.<br />
Sie muß vielmehr zu einer Sprache werden, der wir zuhören müssen,<br />
die Geschichten erzählt, die wir lesen wollen, die multitextuelle Erfahrungen<br />
vermittelt, die wir wieder und wieder machen wollen, und die sich<br />
mit Theorien und Ideen befaßt. Dies sind die Mittel, um eine Erkenntnistheorie<br />
des Wissens und der Erfahrung zu konstruieren. Wir sind gespannt,<br />
ob die CD-ROM ein bloß temporäres Phänomen sein wird oder<br />
ein nachhaltiger Diskurs, ein Körper des Wissens, eine Erfahrung, die wir<br />
teilen und bewahren wollen.<br />
Um die multimediale Umgebung der sich entwickelnden Technologien<br />
besser erfassen und kritisch beleuchten zu können, möchte ich mich<br />
219<br />
artintact 4
artintact 4<br />
220<br />
sowohl auf das Verhältnis von Videos und Multimediainstallationen zu<br />
der historischen Verbindung von Film- und Videokunstpraktiken konzentrieren<br />
als auch darauf, wie diese Geschichte die Entwicklungen der<br />
neuen Technologien der Bilderzeugung und -verbreitung vorwegnimmt<br />
und bereichert. Schließlich werde ich kritisch die Rolle der kuratorischen<br />
und institutionellen Praktiken der Museen in Beziehung zur Konstruktion<br />
dieser Geschichte betrachten, sowie die Möglichkeiten dieser Institutionen<br />
im Hinblick auf die Zukunft unserer visuellen (Medien-)Kultur.<br />
Ich möchte betonen, daß dieser Essay notwendigerweise selektiv vorgeht<br />
und einige wenige Beispiele – die aus der Geschichte der Medienkunst der<br />
usa stammen – aus dem komplexen Netzwerk der Themen in Bezug auf<br />
die neue(n) Rolle(n) des Betrachters in der Konstruktion und Rezeption<br />
des ästhetischen Textes herausgreift.<br />
Während der hundertjährigen Geschichte des bewegten Bildes, der<br />
Entwicklung vom Film zum Fernsehen, ist die selbstreflexive Integration<br />
des Künstlers und des Zuschauers in den Text des Kunstwerks eine rhetorische<br />
Trope gewesen, die eingesetzt wurde, um ihn als Produktionsprozeß<br />
kenntlich zu machen und auf strategische Weise die traditionelle<br />
Bedeutung und Funktion des Kunstwerks in der Gesellschaft zu destabilisieren.<br />
Die im folgenden beschriebenen Werke verlangen nicht nur eine<br />
radikale Neustrukturierung des Mediums und der Produktionsbedingungen,<br />
sondern sie kritisieren auch die textuellen und ideologischen<br />
Kodes der populären Massenmedien und Unterhaltungsindustrien. Sie<br />
dekonstruieren die erkenntnistheoretischen Fundamente der Medien, indem<br />
sie die Komplexität der Interaktion des Betrachters mit dem zeitbezogenen<br />
Kunstwerk hervorheben. Auf diese Weise setzen sie sich als<br />
wichtige Referenzpunkte in Beziehung zur Verknüpfung von technologischen<br />
und kognitiven Fragen, die sich, so möchte ich behaupten, innerhalb<br />
der expandierenden multimedialen Umgebung globaler Ökonomien<br />
und Kulturen neu stellen.<br />
Ich beginne mit dem Medium Video, das Künstler anzog, da man mit
ihm sofort und unmittelbar bewegte Bilder aufzeichnen konnte. Mit<br />
Closed-Circuit- und Mehrkanal-Installationen versuchten die Künstler,<br />
auf Entwicklungen der Technologie zu reagieren und gleichzeitig neue<br />
Werkzeuge der Bilderzeugung zu entwickeln oder vorhandene zu modifizieren.<br />
Innerhalb einer interdisziplinären und multimedialen Kultur des<br />
Experimentierens in den sechziger und siebziger Jahren fanden Künstler<br />
Wege, ihre Arbeiten außerhalb der traditionellen Kunst- und Medienwelt<br />
zu realisieren.<br />
Um einen Aspekt dieser Tradition zu illustrieren, möchte ich mit den<br />
frühen Projekten des in Korea geborenen Künstlers Nam June Paik und<br />
des Deutschen Wolf Vostell beginnen, die sich kritisch mit der Institution<br />
und dem Modell des Fernsehens auseinandersetzten und versuchten, das<br />
Fernsehen und sein Instrumentarium zu transformieren. In einer Zeit, in<br />
der Künstler die Institutionen und die Bedingungen der Kunstproduktion<br />
in Frage stellten, eigneten sich Paik und Vostell den Fernsehapparat<br />
an – noch vor der Erfindung des Portapak Mitte der sechziger Jahre. Aus<br />
der von Fluxus und Happening inspirierten Transformation wurde eine<br />
Zersetzung und Neuformung des Mediums Fernsehen. Dies wurde durch<br />
die als ›dé-collage‹ bezeichnete Strategie (ein von Vostell 1959 geprägter<br />
Begriff) erreicht, mit der das Fernsehbild verzerrt und der Betrachter in<br />
eine neue Beziehung zum Fernsehapparat gebracht wurde. Paik begann<br />
1963, während seiner ersten Einzelausstellung in der Galerie Parnass,<br />
Wuppertal, den Fernseher als Objekt in die Kunst zu integrieren. Zur<br />
gleichen Zeit, in der Ausstellung TV Dé-Collage in der Galerie Smolin in<br />
New York, verzerrte Vostell gesendete Fernsehbilder und begrub einen<br />
Fernseher beim yam-Festival in New Jersey während einer Performance<br />
(mit den Künstlern Allan Kaprow und George Brecht). Paik bot Künstlern<br />
und Benutzern ein interaktives Modell von Video und Fernseher an;<br />
in seinen Händen wurde das Medium zu einem neuen Instrument, mit<br />
dessen Hilfe er die Bilder aus der Kathodenstrahlröhre formen konnte.<br />
Seit den frühen ›dé-collage‹-Experimenten, in denen der Fluß der gesen-<br />
221<br />
artintact 4
artintact 4<br />
222<br />
deten Fernsehbilder unterbrochen und gestört wurde und die in<br />
Videobändern wie Videotape Study #3 (1967–69, produziert von Nam<br />
June Paik und Jud Yalkut) erhalten sind, arbeitete Paik an der radikalen<br />
Neubestimmung des Mediums Fernsehen. Er behandelte es als abstraktes<br />
Medium der bewegten Bilder, und die Entwicklung des Paik-Abe-Video-<br />
Synthesizers ermöglichte ihm und anderen Künstlern, das aufgenomme<br />
Bild zu verändern, zu kolorieren, es zu transformieren.<br />
In den sechziger und Anfang der siebziger Jahre beschäftigten sich<br />
Künstler ebenfalls mit dem Film. Auf radikal neue Weise versuchten sie,<br />
die mechanischen Mittel der Aufnahme bewegter Bilder zu erweitern. Die<br />
gleichzeitig stattfindende Transformation von Filmen in Installationen<br />
bewirkte ein außergewöhnliches Zusammentreffen mit Entwicklungen<br />
im Videobereich und sprach für eine genauere Betrachtung der Einflüsse,<br />
die beide Medien in diesem entscheidenden Zeitraum gegenseitig aufeinander<br />
ausübten.<br />
Andy Warhols Schlüsselrolle in den sechziger Jahren in Bezug auf die<br />
Transformation der Kunstproduktion wurde in der Factory verkörpert,<br />
jenem Ort, an dem Warhol seine Persona gestaltete, den Prozeß des<br />
Filmemachens und dessen Materialität radikal neu dachte, die Beziehung<br />
von Filmemacher und Betrachter zum kinematografischen Apparat und<br />
zum Filminhalt veränderte. In Empire (1964) filmte Warhol ununterbrochen<br />
das Empire State Building aus einer statischen Perspektive und<br />
benutzte dazu 30-Meter-Filmrollen. Projiziert als 16-mm-Film in<br />
Stummfilmgeschwindigkeit, hat dies den Effekt einer erbarmungslosen<br />
Aufnahme, die die Bedingungen des Aufnehmens selbst hervorhebt und<br />
die Beziehung des bewegten Bildes zu den Begriffen Zeit und Repräsentation<br />
verdeutlicht.<br />
Die Trennung von Bild und Ton ist zentral für die Konstruktion und<br />
die Beteiligung des Betrachters in Hollis Framptons Film Nostalgia<br />
(1973). Das Bild bleibt hier konsequent hinter der Tonspur zurück. Jedesmal,<br />
wenn man eine Beschreibung hört, nimmt man das korrespondie-
ende Bild vorweg, und gleichzeitig weist jedes Filmbild zurück in die<br />
Vergangenheit der vorhergehenden Beschreibung. Auf diese Weise ist der<br />
Betrachter niemals in der Lage, den Moment der Gegenwart zu bestimmen.<br />
Die Ungleichzeitigkeit von Bild und Ton verlangt vom Betrachter,<br />
innerhalb des Films die Beziehungen, Mehrdeutigkeiten und Widersprüche<br />
zu analysieren, die die direkte Folge der nicht-zufälligen Struktur<br />
sind. Am Ende des Films weist die letzte Beschreibung des Erzählers auf<br />
ein Bild, das man niemals zu sehen bekommt – statt in der Ekstase eines<br />
versprochenen letzten Bildes endet der Film mit Bildern als Erinnerung<br />
und Sprache als Spur des Vergangenen.<br />
Die Beispiele legen nahe, daß diese Art von materialistischer Behandlung<br />
des Films, die als strukturalistische Filmbewegung bezeichnet<br />
wurde, interessante Parallelen und Beziehungen zur Konzeptkunst, zu<br />
prozeßorientierten Bewegungen in der Kunst dieser Zeit, zur Body- und<br />
Performance-Art sowie zu verschiedenen von Videokünstlern verfolgten<br />
Themen aufweist. Künstler, die mit beiden Medien arbeiten, behandelten<br />
die Analogie zwischen dem Prozeß des Betrachtens und dem des Bewußtseins<br />
als erkenntnistheoretisches Problem: So wie in diesen Beispielen<br />
Film bzw. Video durch Verzerrungen gefiltert wird, ist jede Wahrnehmung<br />
von Welt durch das individuelle Bewußtsein vermittelt. Das elektronische<br />
Medium Video wurde von Künstlern mit Hilfe verschiedener<br />
Strategien transformiert, um das Bild als Prozeß im Raum neu wahrzunehmen<br />
– entweder durch raumbezogene Installationen oder, im Falle<br />
des Fernsehapparats, indem der Betrachter als ›Empfänger‹ des gesendeten<br />
Programms angesprochen wurde. Das intertextuelle Wesen solcher<br />
Arbeiten, die Untersuchung des Mediums und der reflexive Bildaufbau<br />
sind Aspekte, die ich kurz anhand einer Auswahl künstlerischer Videoprojekte<br />
beschreiben möchte.<br />
In Bill Anastasis selbstreflexiver Arbeit Transfer (1968) beziehen sich<br />
ein Videomonitor und eine Kamera auf ihre Energiequelle – die Stromzufuhr,<br />
die die Apparate in Gang hält. Dieser selbstreflexive Einsatz des<br />
223<br />
artintact 4
artintact 4<br />
224<br />
Closed-Circuit-Systems wurde von Bruce Nauman mit seiner Installation<br />
Live/Taped Video Corridor (1969) aufgenommen: Am Ende eines<br />
schmalen Gangs, der aus zwei Wänden gebildet wird, befinden sich zwei<br />
Monitore übereinander. Einer von ihnen zeigt ein zuvor aufgenommenes<br />
Videoband des Gangs, der andere eine live Closed-Circuit-Aufnahme<br />
desselben Raums. Geht man den Gang entlang, kann man sich selbst in einem<br />
der Monitore sehen, während der andere den leeren Gang zeigt.<br />
In der Videoinstallation Mem (1973) von Peter Campus betreten die<br />
Betrachter einen vollkommen dunklen Raum, der mit Schwarzlicht beleuchtet<br />
ist. Eine Kamera, die sich im Raum befindet, nimmt den Körper<br />
des Betrachters auf und projiziert das Bild schräg auf eine Wand der Galerie.<br />
Auf diese Weise wird der Körper des Betrachters gleichzeitig Gegenstand<br />
und Mittel des vervollständigten Kunstwerks, das sich mit der (immateriellen)<br />
Dynamik des Prozesses enthüllt.<br />
Die Trope der Videokamera als drittes Auge der Wahrnehmung und<br />
der Selbsterkenntnis kann in Bill Violas einflußreichen Arbeiten beobachtet<br />
werden. In seiner Installation He Weeps for You (1979) nimmt die<br />
Kamera mit einem Makro-Objektiv einen sich formenden Wassertropfen<br />
auf. Der Tropfen landet anschließend auf der Oberfläche eines Tamburins.<br />
Das Auftreffen ist über Lautsprecher extrem verstärkt, so daß es<br />
wie ein lauter Schlagzeugton klingt. Das Mikrobild wird durch die Projektion<br />
auf eine Leinwand ebenfalls vergrößert. In diesem Fall erzeugt die<br />
Kamera ein Bild in Echtzeit als Teil einer Installation, die die Videokamera<br />
und -apparatur als neue Mittel, die Welt um uns herum zu sehen, erkennt.<br />
Violas I Do Not Know What It is I Am Like (1986), ein brillantes<br />
89-minütiges Videoband, ist die Suche nach Transzendenz und Selbsterkenntnis<br />
mit der Kamera als Instrument zur Konstruktion einer erkenntnistheoretischen<br />
Untersuchung des Wissens.<br />
Gary Hills Arbeiten setzen den Gebrauch von Video als erkenntnistheoretisches<br />
Werkzeug fort. Das Videoband Incidence of Catastrophe<br />
(1987/88) ist von dem Text Thomas der Dunkle des Autors und Philo-
sophen Maurice Blanchot inspiriert. Der Künstler selbst wird in die Phänomenologie<br />
des geschriebenen/gedruckten Textes eingewoben, indem<br />
sein Körper und sein Auge mit dem Text verschmelzen. Durch die Wölbung<br />
des Papiers und die gedruckten Buchstaben prägt sich die Sprache<br />
tief in unser Bewußtsein ein. Wir versuchen, der Entfaltung der Sprache<br />
und der Imagination durch Wahrnehmung in diesem eindrucksvollen<br />
Videoband zu folgen.<br />
Ich konzentriere mich auf diese Künstler, da sie für die Entwicklung<br />
von Strategien zur Untersuchung der erkenntnistheoretischen Aspekte<br />
von Repräsentation Beispiele geben. Technologie und Körper und die<br />
Frage nach ihrer gegenseitigen Bedingtheit im sozialen Umfeld werden<br />
zum Gegenstand einer ganzen Reihe formaler Strategien. Diese Strategien<br />
beziehen den Betrachter als integralen Bestandteil des Prozesses der Bilderzeugung<br />
ein. Ich bin außerdem der Meinung, daß diese Arbeiten die<br />
Protokolle der Kunstwelt mit ihrer vordergründigen Sichtweise von<br />
Ästhetik als kontemplativer und passiver Erfahrung konfrontieren.<br />
Wenn auch die Vielzahl der Zuschauerreaktionen einerseits und die phänomenologischen<br />
Interpretationen andererseits den Mythos vom passiven<br />
Betrachter in Frage gestellt haben, so sind es doch vor allem die Aktionen<br />
und Schriften dieser und anderer Künstler, die in formalen wie<br />
kritischen Begriffen die Vorstellung vom passiven Film- und Fernsehzuschauer<br />
als falsch entlarvt haben und die Auflösung der Grenzen zwischen<br />
Medien, Materialien und Diskursen, die wir heute in den neuen<br />
Entwicklungen der interaktiven Medienkünste beobachten können, vorweggenommen<br />
haben.<br />
Ich möchte mit einigen aktuelleren Beispielen von Installationen<br />
schließen, die sehr direkt Fragen historischer Erinnerung, Gender, Sexualität<br />
und Rasse behandeln, indem sie den Betrachter als Teil des sozialen<br />
und politischen Umfelds ansprechen. Es handelt sich dabei um Projekte,<br />
die formale und narrative Strategien verwenden, um die Autorität von<br />
Kunst, Museum und Technologie zu erschüttern. Sie erreichen dies durch<br />
225<br />
artintact 4
artintact 4<br />
226<br />
die direkte Konfrontation und Herausforderung des Betrachters. Ich<br />
beginne mit Francesco Torres The Haywain (1991), in dem als Bezugspunkt<br />
ein Gemälde von Hieronymus Bosch verwendet wird, das als<br />
Mittel der Reflexion über die Geschichte des Spektakels als karnevaleske<br />
Erscheinung und Form des politischen Widerstands dient. Die Arbeit<br />
verwendet Projektionen von Videobildern, Close-Ups der Oberfläche<br />
des Bosch-Gemäldes, zwischen die Sequenzen von Filmaufnahmen der<br />
studentischen Aufstände in Paris von 1968, Freudenfeuer in den Straßen<br />
spanischer Städte, die auf eine vorindustrielle Widerstandsbewegung<br />
zurückgehen sowie Bilder von Obdachlosen im heutigen Spanien geschnitten<br />
sind. Von LKWs überrollte Fahrräder verweisen schließlich auf<br />
den Tiananmen Platz und verkomplizieren unsere Lesart von Geschichte<br />
und Gewohnheit, von der Rolle des öffentlichen Raumes, der etwas anderes<br />
als ein bürgerlicher sozialer Ort sein könnte, noch mehr. Die Arbeit<br />
konfrontiert den Betrachter mit einem Spektakel, das ihn auffordert, Kultur<br />
und Politik nicht als Vergangenheit, sondern als bedeutsame Zeichen<br />
des Widerstands zu sehen, die heute anders eingesetzt werden müssen.<br />
Installationen können ebenso der konzeptuellen Neubestimmung der<br />
Medien als Mittel der Entlarvung ideologischer Bestimmungskodes dienen.<br />
In der Videoinstallation Out of the Corner (1990) entwickelt Adrian<br />
Piper eine überzeugende erkenntnistheoretische Reflexion über die soziale<br />
Konstruktion ethnischer Identität innerhalb der westlichen Gesellschaften.<br />
Ein Videoband Pipers erscheint auf einem großen Monitor, und<br />
wir hören ihr zu, wie sie über sich selbst und über ihre Eltern (sie hat einen<br />
weißen und einen schwarzen Elternteil) spricht. Sie erzählt, wie sie das<br />
Gesetz aufgrund ihrer Hautfarbe kategorisiert. Mehrere Videokanäle,<br />
Performer, Texte, Sprachen und Fotografien in der Installation verwickeln<br />
den Betrachter in eine subtile und dramatische Beziehung zu<br />
Sprache und Bild und entlarven die linguistischen Konventionen, die den<br />
täglichen sozialen Austausch bestimmen.<br />
Künstler bewegen sich heute auch zwischen den Medien, sie arbeiten
auf allen Ebenen technologischer Bilderzeugung und Kommunikation.<br />
Ein aktuelles Beispiel eines multimedialen Kunstwerks, das verschiedene<br />
Räume und Technologien einbezieht, ist Shu Lea Cheangs Bowling Alley<br />
(1996), das sie am Walker Art Center, Minneapolis, realisierte. Der Galerieraum<br />
war über Video mit einer Bowlingbahn in einem Vorort von<br />
Minneapolis verbunden. In der Galerie selbst war eine Bowlingbahn aufgebaut,<br />
außerdem gab es Projektionen von Bildern und Texten, die Sport<br />
und Bowling als Metaphern persönlicher Geschichten und verherrlichter<br />
Sexualität einsetzten. Über eine Website war das Projekt jedem Internetbenutzer<br />
zugänglich und operierte so auf mehreren Ebenen. Dieses<br />
multidimensionale Gemeinschaftsprojekt schuf Erzählweisen aus den individuellen<br />
und kollektiven Sprachen des Sports, der hier zu einer multitextuellen<br />
Metapher für die Definition des Körpers in öffentlichen und<br />
privaten sozialen und sexuellen Räumen wurde. Solche Projekte verneinen<br />
die traditionelle Definition des passiven Betrachters als Teil eines stabilen<br />
öffentlichen Bereichs. Die Künstler setzen die interaktiven Möglichkeiten<br />
der Wahrnehmung innerhalb multikultureller und sozialer<br />
Räume ein.<br />
Ich habe in diesem Text versucht, die Geschichte unabhängiger<br />
Videokunstpraktiken sowie ihre komplexen, vielschichtigen Formen und<br />
Themen zu reflektieren. Wenn wir das tun, müssen wir die Zukunft bedenken<br />
und anerkennen, daß Video als Medium nicht länger einem<br />
Grenzbereich angehört, sondern daß es Teil eines sich entwickelnden<br />
multimedialen Sets für Produktion und Distribution, bestehend aus virtueller<br />
Realität, CD-ROM, dvd (digitale Videodisk bzw. Digital Versatile<br />
Disk) und Websites, ist. Daraus ergeben sich neue Fragen, z.B. ob der virtuelle<br />
Raum simulierter Umgebungen eine neue Grundlage für das bewegte<br />
Bild und ein erweiterter Text der Medienkünste werden wird, ob<br />
interaktive Technologien zunehmend die Sprachen und Erfahrungen der<br />
Bildrezeption privatisieren oder ob sie zur Quelle hyperbolischer Unterhaltung<br />
als privater Zerstreuung werden. Die starke Ausdehnung der me-<br />
227<br />
artintact 4
artintact 4<br />
228<br />
dialen Umgebung führt dazu, daß die Idee einer visuellen Kultur in die<br />
einer komplexen Medienkultur transformiert wird.<br />
Es ist dringend notwendig, daß wir dieses Paradigma durch eine erneute<br />
Untersuchung der Modelle unserer jüngsten Vergangenheit theoretisieren.<br />
Es wäre außerdem hilfreich, wenn wir das ganze Spektrum der<br />
künstlerischen, gesellschaftlichen und kollektiven Nutzung von Medien<br />
auf niedrigem technischen Niveau ebenso berücksichtigen wie die Frage,<br />
auf welche Weise Zugang zu höchstentwickelter Hardware gewährt<br />
wurde und wird. Wir können an diesen Beispielen untersuchen, wie heute<br />
neue Möglichkeiten für Künstler etabliert werden und wie am besten ein<br />
wachsendes und sich veränderndes Weltpublikum erreicht werden kann.<br />
Ich möchte schließlich vorschlagen, am Ende dieses Jahrhunderts unsere<br />
Ziele und Möglichkeiten der Präsentation von historischen und<br />
neuen Arbeiten in den Museen zu überdenken. Schauen wir auf die enormen<br />
Veränderungen aller Bereiche unserer Gesellschaft, so wird deutlich,<br />
daß die gesamte Geschichte des Museums (einschließlich aktueller Entwicklungen<br />
seiner Funktionen und Aufgaben) bislang zu wenig untersucht<br />
und theoretisiert wurde. Während wir verstärkt daran arbeiten, die<br />
Vergangenheit der Medientechnologien zu bewahren und zu interpretieren,<br />
indem wir sie zu anderen Disziplinen in Beziehung setzen und versuchen,<br />
ihre Zukunft zu verstehen, sind wir gleichzeitig mit knapper werdenden<br />
finanziellen Mitteln für kulturelle Belange konfrontiert. Das<br />
führt zu der Frage, welche Möglichkeiten das Museum in Bezug auf die<br />
Unterstützung sehr verschiedener künstlerischer Praktiken und auf die<br />
Einbeziehung eines sich verändernden Publikums hat.<br />
Denn im Zentrum der komplexen Veränderungen und Herausforderungen<br />
steht das Publikum: Ein weltweites, in Bewegung geratenes Gemisch<br />
aus Gemeinschaften und Kulturen, das durch die Aneignung einer<br />
uniformen populären Kultur und durch die innovative Entwicklung<br />
lokaler und transkultureller Modelle das historische Paradigma der westlichen<br />
Kunstwelt und dessen nationalen Status destabilisiert und heraus-
fordert. Auf welche Weise die Ökonomien des Internets und die politischen<br />
Kulturen globaler Netzwerke eingesetzt werden, wird sich auf die<br />
Zukunft der im Schwinden begriffenen und isolierten traditonellen westlichen<br />
Kunstwelt (einer Kunstwelt, die sich allzu oft mit ihren festungsartigen<br />
Museen und den geschlossenen Paradigmen der Kunstproduktion<br />
den Herausforderungen und der Kritik verweigert), kritisch auswirken.<br />
Um zu überleben, müssen die Kulturinstitutionen einem Wandel ins Gesicht<br />
schauen. Es wird notwendig sein, daß wir die Entwicklung neuer<br />
Produktionsökonomien und neuer Gemeinschaften kultureller Praktiken<br />
unterstützen und die Kunstwelt zu einer grundsätzlichen, kritischen<br />
Debatte über die Art und Weise, wie Museen Kunst und Kultur repräsentieren<br />
und definieren, bringen. Dies führt bis zu den historischen Beständen<br />
in den Archiven und Sammlungen der Museen. Indem das Museum in<br />
einen kritischen Dialog mit der Geschichte und den unterschiedlichen<br />
Kunstpraktiken der Medienkünste – von Film bis Video und der intertextuellen<br />
Multimedialität von CD-ROM und Internet – einbezogen wird,<br />
wird es zu einem Ort, der dem Publikum die aktive Teilnahme an einer<br />
sich ausdehnenden globalen Medienkultur ermöglicht.<br />
Übersetzung: Astrid Sommer<br />
229<br />
artintact 4
Geschlecht, Geschichte, (Sub-)Kultur:<br />
Eine Revision<br />
Von Kathy Rae Huffman<br />
Interpretation von Geschichte und Kultur ist Bedingung für eine künstlerische<br />
Perspektive. Unser Weltbild, das politischer Indoktrination (d.h.<br />
Erziehung) unterliegt, steht in Beziehung zur sozialen Stellung, zum Geschlecht<br />
und zur Religionszugehörigkeit. Welche Möglichkeiten gibt es,<br />
diese begrenzte Sichtweise zu überschreiten? Martin Heidegger bezeichnet<br />
das ›Erleben‹ als eine ›Erscheinung der Neuzeit‹. 1 Künstler, die sich<br />
verschiedenster Medien bedienen, um Vorstellungen und das Leben um<br />
sie herum aufzuzeichnen, nutzen historische Bezüge für eine intellektuelle,<br />
psychologische und persönliche Sichtweise. Video eröffnete völlig<br />
neue Möglichkeiten, einen Standpunkt zu beziehen. Als persönliches<br />
Mittel, durch den ›Echtzeitmodus‹ und die Möglichkeit, das Aufgenommene<br />
sofort wiederzugeben, veränderte sich die Beziehung zwischen<br />
Subjekt, Betrachter und Künstler. Durch die prekäre Beziehung zum<br />
Fernsehen mußte man sich mit Themen wie der ›Ökonomie der Fülle‹<br />
auseinandersetzen und Video wurde, wie David Ross bemerkt, ›schnell<br />
aufgenommen von einer entfremdeten und tief zynischen Generation von<br />
Medienkünstlern, geschult an und beschäftigt mit postmoderner, postideologischer<br />
Politik von Identität und mißtrauisch gegenüber allen Insti-<br />
1. Martin Heidegger: ›The Age of the World Picture.‹ – Electronic Culture, Hg. Timothy<br />
Druckrey, New York: Aperture, 1996, S. 47. Vgl. Martin Heidegger: ›Die Zeit des Weltbildes.‹<br />
– Holzwege, Gesamtausgabe Bd. 5, Frankfurt/M.: Vittorio Klostermann, 1977,<br />
S. 69.<br />
Marina Grˇzinić & Aina S ˇ mid: Troubles with Sex, Theory & History, 1997. Screenshot.<br />
231<br />
artintact 4
artintact 4<br />
232<br />
tutionen, ihre eigene eingeschlossen.‹ 2 Das Fernsehen, der gigantische<br />
Marktplatz der Gesellschaft, war/ist die internationale Stimme politischer<br />
Überzeugungskraft und ökonomischer Macht.<br />
Medienkunst etablierte sich im Osten erst in den achtziger Jahren. Im<br />
Gegensatz zu der wichtigen Rolle, die sie in der internationalen Medienpraxis<br />
spielten, hatten Frauen in Osteuropa hier nur eine völlig marginale<br />
Stellung. Slavenka Draculić schrieb als Antwort auf die Frage einer Feministin<br />
nach dem Einfluß von (osteuropäischen) Frauen auf den öffentlichen<br />
Diskurs: ›Um Gottes Willen, was meint sie bloß? Es gibt so gut wie<br />
keine öffentliche Auseinandersetzung, außer über Politik. Frauen haben<br />
keinen Einfluß, sie haben ja kaum eine Stimme. Alle Medien sind nichtfeministisch,<br />
es gibt keine feministischen Medien. Worüber wir allenfalls<br />
reden könnten, wäre das Fehlen von Einfluß, Stimme, Auseinandersetzung,<br />
feministischer Bewegung.‹ 3 Diese Situation, die in den siebziger<br />
Jahren hingenommen worden war, begann in den achtziger Jahren für<br />
viele junge Frauen unerträglich zu werden. Sie waren über die feministischen<br />
Praktiken im Westen gut informiert, entwickelten aber aufgrund<br />
der nur eingeschränkt möglichen internationalen Kontakte einen eigenen<br />
Diskurs theoretisch fundierter Kunst und literarischer Arbeiten, in denen<br />
der politische Kontext eng mit einem starken und zuversichtlichen Frauenbild<br />
verwoben war.<br />
Die Entwicklung von Video zu Medienkunst in den Arbeiten von Grzˇinić<br />
& Sˇ mid beginnt mit ihren sorgfältig ausgearbeiteten Film- und Videoexperimenten<br />
– Werken, die den Einfluß der Medien auf die komplexe<br />
Kultur, in der sie leben, zitieren. Wie Vanesa Cvahte bemerkt: ›Die acht-<br />
2. David A. Ross: ›Radical Software Redux.‹ – Clicking In: Hotlinks to a Digital Culture,<br />
Hg. Lynn Hershman Leeson, Seattle: Bay Press, 1997, S. 346.<br />
3. Slavenka Drakulić : Wie wir den Kommunismus überstanden – und dennoch lachten.<br />
Berlin: Rowohlt, 1991, S. 147.
ziger Jahre waren eine Periode, während der visuelle Medien wie Kino<br />
und Fernsehen die Welt mit Bildern überfluteten, die sich auf Bilder aus<br />
diesen Medien beziehen und nicht auf Bilder der menschlichen Umgebung.‹<br />
4 Von den ersten Werken an beginnt sich eine komplexe Genealogie<br />
herauszubilden, eine Analyse der Propaganda didaktischer und<br />
klassischer Filme, des Fernsehens, von Kunstwerken. Grzˇinić & Sˇmid etablieren so eine Machtposition, die sie als Frauen, als Künstlerinnen<br />
und als Intellektuelle in der post-kommunistischen Gesellschaft einfordern.<br />
Außerdem ist der Beitrag, den sie zur Entwicklung einer<br />
Medienästhetik in Slowenien leisten, ebenso von Bedeutung wie ihre<br />
zahlreichen eigenen Präsentationen, die diese Ästhetik einem größeren,<br />
neugierigen und anerkennenden internationalen Publikum bekannt<br />
machen.<br />
Video in Jugoslawien war in den achtziger Jahren stark von der Filmtradition<br />
beeinflußt und machte regen Gebrauch von ikonischen und<br />
symbolistischen Zeichen. So wurde z. B. der rote Stern (der in der staatlich<br />
kontrollierten politischen Propaganda allgegenwärtig war) von vielen<br />
KünstlerInnen benutzt, aber nicht als das pro-nationalistische Symbol<br />
der Regierung, sondern in Anerkennung der Tatsache, daß dieses<br />
Symbol Identität zwischen Menschen unterschiedlicher Überzeugungen<br />
stiften konnte. Seine Benutzung war das erstaunlichste Beispiel eines<br />
künstlerisch eingesetzten politischen Zitats während der einmaligen politischen<br />
Geschichte der antifaschistischen/prokommunistischen Ideologie.<br />
›Die künstlerische Praxis der achtziger und neunziger Jahre offenbart<br />
die Notwendigkeit einer Neubewertung und Beurteilung der vermittelten<br />
Bilder, die neue Bedeutungen erzeugen.‹ 5 In dunklen, melancholischen<br />
Werken, die ein romantisches Unbehagen dem täglichen Leben gegenüber<br />
evozierten, wurde die Wiederverwertung alter Bilder und alter<br />
4. Media in Media, Vanesa Cvahte (Kuratorin), Katalog, scca Ljubljana, 1996, S. 20.<br />
5. Ebd.<br />
233<br />
artintact 4
artintact 4<br />
234<br />
Propaganda (mit engem Bezug zum öffentlichen Leben im Sozialismus<br />
und zu Tito) offensichtlich. Für die jugendliche Untergrundszene, wild<br />
und voller Selbstüberschätzung, war in der jugoslawischen Republik kein<br />
Platz. Belgrad duldete sie an ›unwichtigen‹ Orten wie der sˇkuc-Galerie<br />
in Ljubljana. Obwohl die sˇkuc-›Szene‹ fortschrittlich war, gemessen an<br />
osteuropäischen Standards, gab es viele Unterschiede zwischen slowenischen<br />
MedienkünstlerInnen und ihren NachbarInnen in Österreich, Italien<br />
und Ungarn.<br />
Für slowenische VideokünstlerInnen war die Produktion in den 80er<br />
Jahren ein großes Problem. Am sˇkuc (Studentisches Kunst- und Kulturzentrum)<br />
stand eine Videokamera zur Verfügung. Es gab aber keine einzige<br />
Medienabteilung an Universität, Kunstakademie oder Schulen. Die<br />
einzige Möglichkeit war, mit der privaten Ausrüstung, die KünstlerInnen<br />
für die Realisierung kommerzieller Aufträge angeschafft hatten, zu produzieren.<br />
Wie in vielen anderen osteuropäischen Ländern auch wurden<br />
hier KünstlerInnen zu Sponsoren ihrer KollegInnen, etablierten sich kooperative<br />
Beziehungen, wurden Fähigkeiten und Talente ausgetauscht.<br />
Es gab keine private oder staatliche finanzielle Unterstützung, keinen<br />
Vertrieb, keine Karriere für MedienkünstlerInnen. Selbst das Beschaffen<br />
von Abspielgeräten war ein Problem; oftmals wurden sie von ausländischen<br />
Institutionen (Goethe-Institut, Institut Français) geliehen. Die<br />
Produktionsbedingungen waren so schwierig, daß die Fertigstellung einer<br />
neuen Videoarbeit zu einem größeren Unterfangen wurde. Aber das<br />
Interesse an Video nahm zu, und die slowenischen VideokünstlerInnen<br />
wurden schließlich aufgrund ihres besonderen Stils und ihrer Energie bekannt.<br />
The Axis of Life von Grzˇinić & Sˇ mid erhielt bei der Dritten Internationalen<br />
Videobiennale Cankarjev Dom 1987 den ersten Preis. Ein provozierendes<br />
Werk, und die einzige Arbeit von Frauen unter den Einreichungen,<br />
die ernst genommen wurde. Grzˇinić & Sˇ mid wurden als ›junge<br />
Künstlerinnen‹ eingestuft, die in ›Amateurformat‹ (vhs) arbeiteten. Da-
mals wurde vhs mit Heimvideo assoziiert und als naiv angesehen aufgrund<br />
der niedrigen technischen Qualität. In einem Land, in dem viele<br />
Fernsehkameraleute einen Magister in Filmgeschichte besaßen, zählten<br />
solche Unterscheidungen viel. Aber die Ästhetik der schlechten technischen<br />
Qualität zog alle ausländischen Jurymitglieder in ihren Bann und<br />
wurde als glaubwürdige Sichtweise interpretiert. Wir zollten dem überzeugenden<br />
Beitrag dieser Frauen Anerkennung. The Axis of Life war auf<br />
U-matic low band in einem privaten Studio produziert worden, aber es<br />
war eine ›semi-professionelle‹ Arbeit, die durch die Adaption eines<br />
künstlichen Stils das ästhetische Bewußtsein des vhs-Formats bewahrt<br />
hatte.<br />
Die beiden vorhergehenden, sehr erfolgreichen Internationalen<br />
Videobiennalen (1983 und 1985) in Ljubljana hatten den einheimischen<br />
Intellektuellen einige Gelegenheit gegeben, sich mit dem Genre vertraut<br />
zu machen. Beeinflußt von Punk und Neuer Musik waren Grzˇinić &<br />
Sˇ mid in den achtziger Jahren bereits sehr aktiv in der slowenischen off-<br />
Szene gewesen. Der Preis machte sie von Amateuren (eine Kategorie, die<br />
von der Jury nie ernsthaft unterstützt worden war) zu anerkannten<br />
Künstlerinnen. Dies war wichtig in der dortigen Szene, denn im jugoslawischen<br />
System der achtziger Jahre war – wie in den meisten anderen osteuropäischen<br />
Ländern auch – Anerkennung gebunden an akademische<br />
Titel, soziale Klasse und die durch die Arbeiten gewonnene Reputation.<br />
Universitäts- und Filmakademieabschlüsse waren die Eintrittskarte zu<br />
speziellen ›Clubs‹. An diesen Orten (wie auch im Schauspieler-, im<br />
Schriftstellerclub usw.) fanden regelmäßig Diskussionen über Politik, Leben<br />
und Kultur statt, oft bis in die frühen Morgenstunden. Die alternative<br />
Kultur war sehr lebendig, aber die Grenzen waren klar gezogen.<br />
Viele jugoslawische Arbeiten wurden vom Fernsehen unterstützt,<br />
weil der ›Kunst‹ keine große Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Deswegen<br />
konnten die Künstler sich mit vielen Themen beschäftigen, auf unterschiedlichsten<br />
Bedeutungsebenen. Es würden noch ein oder zwei Jahre<br />
235<br />
artintact 4
artintact 4<br />
236<br />
vergehen, bis nicht nur die Arbeiten, sondern auch die Produzenten und<br />
Filmteams Ziel politischer Untersuchungen geworden waren. Das nationale<br />
Kulturprogramm ›TV Galerie‹, produziert von Dunja Blazˇević ,<br />
unterstützte Arbeiten von ›Autoren‹ und sendete sie von Belgrad aus in<br />
einem monatlichen Programm. Es hatte nur für sehr wenige Projekte<br />
Platz und bot den KünstlerInnen keine finanzielle, wohl aber technische<br />
Unterstützung und die Chance des Vertriebs durch das nationale Fernsehen.<br />
Slowenische VideokünstlerInnen hatten bis dahin wenig Kontakt<br />
zum lokalen Fernsehen gehabt, aber dies änderte sich nun. 6 Anfang<br />
der neunziger Jahre begann das ›Nationale Slowenische Fernsehen‹,<br />
KünstlerInnen zu unterstützen, die in der Lage waren, gut gemachte<br />
Inhalte zu liefern. Grzˇinić & Sˇ mid waren unter den Ersten, die vom Fernsehen<br />
wahrgenommen wurden.<br />
In den Videoarbeiten von Grzˇinić & Sˇmid wirkte die Oberfläche bereits<br />
wie ein Interface – ein frühes Anzeichen dafür, daß die Entwicklung<br />
hin zu Multimedia (Internet und CD-ROM) nur eine Frage der Zeit war.<br />
In Labyrinth führten sie ein Hypertextmodell ein, das nach Interaktion<br />
verlangt. Die kreisenden Verweise auf Filme durch die Verwendung der<br />
Techniken von Remake und Zitat sind eine weitere entschiedene Form<br />
der Nutzung unterschiedlicher Medien. Bezüge zum Bürgerkrieg im Ex-<br />
Jugoslawien der neunziger Jahre wurden bereits in Bilocation hergestellt,<br />
einer Arbeit, die durch die Vorfälle im Kosovo 1989 ausgelöst wurde. In<br />
diesem Video, besessen von Politik und historischen Präzedenzfällen,<br />
verwoben mit der ästhetischen Struktur des Films, werden Kunst und<br />
Propaganda zu Synonymen. Grzˇinić & Sˇmid sind hier wieder einen<br />
Schritt weitergegangen auf der Suche nach Lösungen mit dem Medium<br />
Video, die zu neuen Ausdrucksformen führen können. ›Wir befinden uns<br />
in allen Medien, in allen Körpern, an allen möglichen Orten zugleich.‹ 7<br />
6. Ein Video von Miha Vipotnik (Co-Direktorin der Videobiennale) wurde 1984 gesendet,<br />
eine gefeierte Ausnahme.<br />
7. Marina Grzˇinić im folgenden Artikel, S. 247.
Die Arbeit Transcentrala (mit irwin8 ) entwickelt den Prototyp einer<br />
Schnittstelle mit interaktiven Formaten (was es bisher so in Slowenien<br />
nicht gegeben hatte), indem Information rekontextualisiert wird durch<br />
sich überlagernde Texte, Bilder und Geschichten, wobei die Arbeit vor allem<br />
Ideen der achtziger und neunziger Jahre neu untersucht. Grzˇinić &<br />
Sˇ mid befinden sich heute, Ende der neunziger Jahre, in einer Phase des<br />
Übergangs von Film zu Multimedia. Axis of Life, ihre Internetseite auf<br />
dem Ljudmila-Server9 , läßt all ihre künstlerischen Arbeiten in einer interaktiven<br />
Spielshow zirkulieren. In der CD-ROM erlaubt ein Interface<br />
dem/der BetrachterIn Wahlmöglichkeiten, zumindest in dem Maße wie<br />
es die Künstlerinnen in ihrem eigenen politischen Umfeld erfahren haben.<br />
Mit der ihnen eigenen Sensibilität spielen Grzˇinić & Sˇ mid die Betrachter-<br />
Innen aus: je mehr man Kontrolle ausüben möchte, desto weniger hat<br />
man die Macht dazu. Es ist das alte sozialistische Spiel vom ›Wiederverwerten<br />
[…], »Säubern« und Wiederverwenden‹ 10 , das die Menschen glauben<br />
lassen sollte, sie hätten die Kontrolle über ihr tägliches Leben.<br />
Grzˇinić & Sˇmid weigern sich, sich austricksen zu lassen. Marina<br />
Grˇzinić erklärt:<br />
[…] in den achtziger Jahren versuchten wir, den gegenkulturellen Diskurs, die Mentalität<br />
und die Haltungen in Bezug auf Institutionen zu überwinden. Wir kämpften dafür, unsere<br />
eigenen Institutionen und unsere eigenen Kommunikationsnetzwerke bilden zu können<br />
[…], wir wollten die Bedingungen für unsere eigenen sozialen und mentalen Strukturen<br />
schaffen. 11<br />
8. Die Gruppe irwin, die Kunst als Abbild des Staates versteht, ist seit 1984 Teil des<br />
slowenischen Künstlerkollektivs ›Neue Slowenische Kunst‹ (nsk). Sie besteht aus den<br />
Künstlern Dusˇan Mandić, Miran Mohar, Andrej Savski, Roman Uranjek und Borut<br />
Vogelnik. Grzˇinić & Sˇ mid arbeiten mit irwin zusammen und realisierten das Video für<br />
Transcentrala, eine Installation, die erstmals 1995 im slowenischen Pavillon auf der<br />
Biennale von Venedig gezeigt wurde.<br />
9. http://www.ljudmila.org/quantum.east<br />
10. Cvahte, a.a.O., S. 20.<br />
11. Marina Grˇzinić: ›Art and Culture in the 80’s: The Slovenian Situation.‹ – IRWIN-NSK<br />
Embassy Moscow, Katalog, Hg. Ridzˇhina Galerie, 1992, S. 43f.<br />
237<br />
artintact 4
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238<br />
In der CD-ROM bietet sich die spielerische Interaktion als Lösung für die<br />
Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart an. Es handelt sich hier<br />
um einen nachdenklichen, künstlerischen Prozeß, der von Grˇzinić &<br />
Sˇ mid kontinuierlich mit ihren Videoarbeiten entwickelt wurde. Da dies<br />
auch eine Kunst für das Fernsehen ist, bezieht sie sich auf Fernsehen, Sex<br />
und Propaganda. Die Arbeiten von Grˇzinić & Sˇmid bezwingen die alles<br />
durchdringenden kulturellen Bilder, die sie zitieren, und eröffnen eine<br />
Alternative, die uns eine persönliche, provozierende Beziehung zu Geschichte<br />
und Kunst ermöglicht.<br />
Übersetzung: Astrid Sommer
Troubles with Sex, Theory & History<br />
oder Videoprozesse der Wiederaneignung<br />
– Wiederverwertung<br />
verschiedener Körper,<br />
Geschichten und Kulturen durch Video<br />
Von Marina Grˇzinić<br />
Ein verführerischer Frauenkörper, genau oberhalb der Brust abgeschnitten;<br />
an dieser Stelle beginnt plötzlich Blut herauszuspritzen: rot, dickflüssig,<br />
klebrig, ›real‹ – zumindest so real wie es die Transformation der statischen<br />
Abbildung des Blutes in eine der Überschwemmung des Körpers<br />
auf dem Bildschirm zuläßt. Der Körper, das Gesicht mit dem strahlenden<br />
Lächeln krümmt sich nicht vor Schmerzen oder Entsetzen, sondern in<br />
sinnlichem Entzücken. Es bereitet ihr (der Hauptdarstellerin) offensichtlich<br />
Vergnügen, sie tut nichts als rhythmisch zu atmen, während das Blut<br />
strömt. Es ist der Anfang des Videobandes The Axis of Life (Grzˇinić &<br />
Sˇ mid, 1987), und diese Szene mit der blutigen Madonna bezieht sich sowohl<br />
auf die Popikone Madonna als auch auf Caravaggios Gemälde<br />
Judith und Holofernes von 1598; der Körper wird hier heroisch exponiert<br />
und zugleich stigmatisiert.<br />
Die nächste Szene zeigt zwei Schauspielerinnen als Brustbilder, die –<br />
wie gewaltige Hügel oder Objekte – in eine synthetisch hergestellte rötliche<br />
Wüste eingepaßt sind. Am Horizont sind die letzten Buchstaben des<br />
Wortes ›Hollywood‹ zu sehen. Wie Jean Narboni es ausdrückte: ›Nicht<br />
nur Wahrnehmung und Gefühle stimmen nicht überein, sondern ebensowenig<br />
die Gesichter, die wahre Territorien sind.‹ 1 Ein Gesicht zu trans-<br />
1. Zit. in Pascal Bonitzer: Le Champ aveugle. Paris: Edition Cahiers du Cinéma/<br />
Gallimard, 1982.<br />
239<br />
artintact 4
artintact 4<br />
240<br />
formieren muß nicht unbedingt heißen, es als Territorium zu benutzen,<br />
durch das man spazieren kann – man kann es auch verdoppeln (oder multiplizieren,<br />
wie im Falle der Verdreifachung einer der Schauspielerinnen<br />
innerhalb eines Bildes), oder verleihen.<br />
In The Moments of Decision (Grzˇinić & Sˇ mid, 1985) leiht sich eine der<br />
Schauspielerinnen das Gesicht der Hauptdarstellerin aus dem gleichnamigen<br />
slowenischen Film von Frantisˇek Čap aus den fünfziger Jahren. So<br />
wird die Geschichte aus dem Film im Videobild fortgesetzt, erweitert<br />
durch neue ikonografische Elemente und live acting. Indem die weibliche<br />
Rolle aus Čaps Film exponiert wird, wird aus dem Partisanenfilm eine<br />
melodramatische Liebesgeschichte. Zeigt der Prozeß des Einpassens<br />
eines Filmes in ein Videoband nicht ein bestimmtes Schicksal des Films<br />
an, oder, allgemeiner, Originaltreue, vom Videostandpunkt aus gesehen?<br />
Am Ende des Jahrhunderts wird sich Video zu einem ›Betrachter‹ entwickelt<br />
haben, denn es ermöglicht uns, die Oberfläche zu lesen, durch sie<br />
hindurchzuschauen und die Zukunft zu erkennen. Christine Buci-<br />
Glucksmanns Worte paraphrasierend können wir sagen, daß Video eine<br />
Position einnimmt, in der ›Augen sehen können wie Augen sehen‹. 2<br />
›Ich habe alles durch Beobachten gelernt. Ohne diese Bilder würden wir<br />
gar nicht existieren‹, sagt die männliche Hauptfigur in dem Videoband<br />
Bare Spring (Grzˇinić & Sˇ mid, 1987). Dieses ›Road Video‹, den ›Road Movies‹<br />
Wim Wenders’ gewidmet, versucht, die Empfindsamkeit und Besonderheit<br />
der Rock-Generation der achtziger Jahre in Slowenien/Ex-Jugoslawien<br />
zu porträtieren. Die Identität dieser Generation wird nicht<br />
durch eine Psychologie des Individuums dargestellt, sondern durch die<br />
Gestaltung eines neuen visuellen und kulturellen Raums. Entsprechend<br />
gibt es im Videoband keine Psychologisierungen (entgegen den Erwar-<br />
2. Vgl. Christine Buci-Glucksmann: La folie du voir: de l’esthétiques baroque. Paris: Ed.<br />
Galilée, 1986.
tungen der Realismusdoktrin), außer wenn sie wesentlicher Bestandteil<br />
eines ›Zitats‹ oder eines ›Klischees‹ sind. Die beschriebenen Vorgänge resultieren<br />
in einem Körper des Bildes, dargeboten zum endlosen Abspielen,<br />
Einfügen und Verändern. In diesen Videoarbeiten werden wir Zeugen<br />
des Aktes der Inbesitznahme von Dokumenten, Fotografien, Bildern,<br />
Gesichtern und Körpern, die immer wieder als Typen, Prototypen und<br />
Stereotypen reproduziert werden – eine Art doppelter Verneinung von<br />
Identität und Körper.<br />
In dem Video A Girl with Orange (Grzˇinić & Sˇmid, 1987) wird eine<br />
Kopie von René Magrittes Dies ist keine Pfeife als Schlüsselszene verwendet.<br />
Die Bedeutung des Bildes wird im Kontext der Interpretation Michel<br />
Foucaults deutlich. 3 Die Benutzung von Zitaten und die Methode des<br />
Wiederverwertens legen Fragen nach Originalität und Wiederholung<br />
nahe, nach Realität und Simulation durch Medien. In A Girl with Orange<br />
ist die gesamte Umgebung real, die Szenen wurden in einem verlassenen<br />
Schloß gedreht, in einer Wohnung, auf der Straße, in einer Werkstatt.<br />
Auch wenn in den meisten Fällen die Orte, an denen die Videos entstanden,<br />
negativ belegt sind, ist ihre Position in der Machtstruktur des sozialen<br />
Systems nicht klar auszumachen: Es handelt(e) sich um private Wohnungen,<br />
Schlafzimmer, Badezimmer.<br />
Viele Videokünstler haben Alternativen zu den dominierenden Formen<br />
(post-)kommunistischer Repräsentation entwickelt, auch durch<br />
›Miß-Repräsentation‹. ›Miß-Repräsentationen‹ bieten, im Gegensatz zu<br />
den gängigen Modellen, selten das erwartete Vergnügen der Identifikation<br />
mit einer positiven Erzählung oder einer heldenhaften Figur. Auf der<br />
Basis dessen, was von der Repräsentation ausgeschlossen wurde (des<br />
nicht-repräsentierten Objekts), wird versucht, die Repräsentation zu zerstören,<br />
und zwar indem Bedeutung aus seiner Abwesenheit geschaffen<br />
wird und auf diese Weise (nach Jo Anna Isaak) die Mittel untersucht wer-<br />
3. Vgl. Michel Foucault: Dies ist keine Pfeife, München/Wien: Hanser, 1997.<br />
241<br />
artintact 4
artintact 4<br />
242<br />
den, mit deren Hilfe Subjekt und Körper produziert werden. 4 Ziel ist die<br />
Dezentrierung des Subjekts bis zu dem Punkt, an dem es statt Außen oder<br />
Innen eine starke dynamische Beziehung zwischen Außen und Innen,<br />
Abhängigkeit und Unabhängigkeit, Kunst und Natur und schließlich<br />
zwischen Realität und Fiktion gibt.<br />
Die Stellung des Körpers im sogenannten post-sozialistischen bzw.<br />
post-kommunistischen oder post-kapitalistischen Kontext und im Verhältnis<br />
zu Geschichte und Theorie kann sehr genau anhand von Bilocation<br />
(Grzˇinić & Sˇ mid, 1990) erfaßt werden. Bilokation bedeutet, daß sich<br />
Körper und Geist gleichzeitig an zwei verschiedenen Orten befinden. Es<br />
ist der passende Begriff für eine Skizzierung der Wirkungsweise des Mediums<br />
Video und für die Beschreibung von Geschichte im Verhältnis zum<br />
Körper. Der Körper wird als Waffe gegen die Amnesie verwendet, indem<br />
die Spannung in einer Weise verlagert wird, die uns zu einem tieferen Verständnis<br />
von Erinnerung und Geschichte, jenseits des Mediums Video,<br />
führt. Aber nicht nur das. Die Art und Weise, wie der Körper hier dargestellt<br />
wird, macht deutlich, daß der Körper im Video nichts als die Bildauflösung<br />
ist! In Bilocation wird originales dokumentarisches Material<br />
vom ›Bürgerkrieg‹ im Kosovo (einem Gebiet im Süden Ex-Jugoslawiens,<br />
das durch nationale Unruhen und Konflikte zwischen der albanischen<br />
und serbischen Bevölkerung erschüttert wurde) verwendet, das vom slowenischen<br />
Fernsehen aufgenommen wurde, und mit der imaginären Welt<br />
synthetischer Videobilder konfrontiert. Es entstehen Bilder von (historischen)<br />
Orten, durch die unsere eigenen Erinnerungen psychotisch und<br />
erotisch zugleich werden.<br />
Indem ich versuche, einige unserer Strategien der Wiederverwertung<br />
verschiedener Körper, Geschichten und Kulturen durch Video zu<br />
verallgemeinern, kann ich sagen, daß diese Prozesse besonders zwei<br />
4. Vgl. Jo Anna Isaak: ›Women: The Ruin of Representation.‹ – Afterimage, April 1985.
Bereiche reflektieren: 1. Körper in Beziehung zur Sexualität und dem<br />
›gesellschaftlichen Körper‹ und 2. Geschichte in Beziehung zur Politik.<br />
1. In den achtziger Jahren kam es zu einer Übersexualisierung des Mediums<br />
Video, die nicht nur die Folge künstlerisch-politischer Reflexion<br />
der Unterdrückung von Sexualität in Sozialismus und Kommunismus<br />
war, sondern auch der Versuch einer Distanzierung/Dissoziation des<br />
Mediums von seinen Geschwistern Film und Fernsehen. Dieser Prozeß<br />
erfolgte durch Externalisieren dessen, was als Sexualität wahrgenommen<br />
wurde, so, wie man es aus der Tradition des Untergrundfilms (Rainer<br />
Werner Fassbinder, Rosa von Praunheim, Andy Warhol) gelernt und<br />
übernommen hatte. Diese Filme waren in den achtziger Jahren in den<br />
Untergrundclubs Ljubljanas zu sehen gewesen. Die Externalisation von<br />
Sexualität zeigte sich in offen dargestellter Pornografie und der Vermischung<br />
schwuler, lesbischer und transvestiter sexueller Haltungen<br />
(gender-bending). Dieser Prozeß läßt sich sehr einfach erklären: Sexuelle<br />
Stereotypen ebenso wie Muster bürgerlichen Rechts wurden im und vom<br />
Untergrund nicht nur konsumiert, sondern auch sofort in Wohnungen<br />
und Schlafzimmern vor der vhs-Videokamera inszeniert. In diesen Arbeiten<br />
beantwortete die Maskerade der Wiederaneignung nicht nur die<br />
einfache Frage nach der Herstellung von künstlerischer oder subversiver<br />
Identität, sondern setzte auch einen Prozeß der Auseinandersetzung mit<br />
verschiedenen Realitäten in Gang, um doppeldeutige, nicht-ausbalancierte<br />
Situationen und Identitäten zu schaffen.<br />
In Osteuropa eigne(te)n sich die Künstler das Videomedium durch<br />
Begehren, Obszönität, Pornografie, Politik und Geschichte an. Das Medium<br />
verlor seine Unschuld, da es ein Index der Zeit und subjektiver Politik<br />
wurde. In Rußland passierte dasselbe; man muß sich nur den spirituellen<br />
Zustand Rußlands nach dem Kollaps der herrschenden Ordnung in<br />
den achtziger Jahren in Erinnerung rufen. Laut Slavoj Zˇ izˇek herrscht(e)<br />
eine Atmosphäre purer, mystischer Spiritualität, der gewalttätigen Verneinung<br />
von Körperlichkeit einerseits, begleitet von einer Besessenheit<br />
243<br />
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244<br />
von Pornografie und sexueller Perversion andererseits. Zynisch könnte<br />
man sagen, daß das perfekte Westeuropa in sein makelloses Bild das unvollkommene<br />
ehemalige Osteuropa aufnehmen muß.<br />
2. Sozialistische Gesellschaften funktionierten aufgrund einer<br />
schmerzhaften Zuflucht zu einem psychotischen Diskurs, mit dem<br />
versucht wurde, die Nebeneffekte relevanter Interpretationen und<br />
Produktionen zu neutralisieren: Verstecken, Maskieren, das Neuschreiben<br />
von Geschichte. Gegenwärtige politische und soziale Veränderungen<br />
repräsentieren eher den Wunsch nach Übernahme und Wiederaneignung<br />
von Geschichte als eine Sehnsucht nach der Vergangenheit. Und zwar<br />
nicht als Mittel, wieder von der Geschichte des Kommunismus – mit all<br />
ihren Deformationen – Besitz zu ergreifen, sondern um sich der blinden<br />
Vergeltung, dem Nationalismus und Rassismus zu verweigern, der aus<br />
den ›Ruinen des Krieges‹ entstehen kann und entsteht. Video ist auch das<br />
Auge der Geschichte.<br />
Das Videoband Three Sisters (Grzˇinić & Sˇ mid, 1992) zeigt eine andere<br />
Art der Visualisierung des klassischen Stücks Drei Schwestern von Anton<br />
P. Čechov – und bezieht sich auf einen völlig veränderten politischen und<br />
künstlerischen Kontext. Es kann auch als Versuch verstanden werden,<br />
über den Zerfall des Kommunismus zu sprechen, über Rassismus, Nationalismus<br />
und über die neue politische Maschinerie von Markt und Kapitalismus.<br />
So enthält das Video beispielsweise das Remake einer berühmten<br />
Benetton-Werbung. Es beschäftigt sich auch mit der Beziehung<br />
Čechov–Eisenstein (bezugnehmend auf Panzerkreuzer Potemkin von<br />
1925) und der Beziehung Čechov–Brian De Palma (bezugnehmend auf<br />
den Film The Untouchables – Die Unbestechlichen von 1987). Das Video<br />
wirkt wie eine virtuelle Explosion des ›rotierenden Hakenkreuzes‹; Splitter<br />
dieser Explosion führen uns zu den Eingeweiden der postkommunistischen<br />
Bedingungen, die nicht nur mit ›Blut und Schlamm‹ gesättigt<br />
sind, mit Kadavern und Monstern, sondern auch mit überaus haarsträubenden<br />
Utopien, Visionen, Strategien, dem Bewußtsein der Apokalypse<br />
und des Selbst am Ende des Jahrtausends.
In Three Sisters ist der letzte Ungehorsam des klischeehaften transvestiten<br />
Körpers (derselbe wie der der Heldin aus Liliana Cavanis Film Der<br />
Nachtportier von 1973) ihr Satz am Ende des Videos: ›Ich werde leben‹. Es<br />
geht nicht um eine Strategie des ›Fakes‹, sondern um die Entwicklung von<br />
Taktiken des Widerstands – wie es Homi K. Bhabha über eine besondere<br />
Art von Subjekt sagen würde, konstruiert im Moment des Zerfalls. Und<br />
hier mache ich das Gegenteil von Godard, der, die französische Nouvelle<br />
Vague überdenkend, sagte: ›Es ist kein Blut, es ist rot‹. Wir können dagegen<br />
vom Körper im Kommunismus lernen, daß ›es nicht rot ist, sondern<br />
Blut‹ – eine Art traumatische Wirklichkeit entsteht auf der Oberfläche des<br />
Videobildes in der (post-)kommunistischen Ära.<br />
Peter Weibel folgend5 können wir z.B. über die Idee nachdenken, was<br />
es bedeutet, eine historisch definierte Position zu verlassen, die – selbst in<br />
der Kunst – die natürliche Welt unserer Sinne imitiert. Unsere Erfahrung<br />
von Raum, Position usw. hängt von dem ab, was wir ›natürliches Interface‹<br />
nennen. Der Körper ist beispielsweise eine natürliche Schnittstelle,<br />
durch die wir einen natürlichen Zugang zu Raum und Zeit haben. Wir<br />
interpretieren die Medien aufgrund dessen, was wir durch die natürlichen<br />
Schnittstellen unserer Sinne und Organe erfahren, kanalisiert und vermittelt<br />
durch eine Ideologie der Natürlichkeit, die die Künstlichkeit der<br />
Medien verneint. Aber die heutigen Medien zeigen uns, daß es die<br />
Möglichkeit eines künstlichen Interfaces gibt: die Medien selbst. Das<br />
bedeutet, laut Weibel, daß Marshall McLuhan, als er die Medien als<br />
Erweiterung des Menschen definierte, versäumte, sie als künstliche<br />
Erweiterung zu bezeichnen. Wir sehen darüberhinaus in diesem künstlichen<br />
Raum der Medien, daß das grundlegende Konzept der Konstruktion<br />
5. Vgl. Peter Weibel: ›Ways of Contextualisation or The Exhibition as a Discrete Machine.‹<br />
– Place, Position, Presentation, Public. Hg. Ine Gevers, Maastricht und Amsterdam: Jan<br />
van Eyck Akademie und De Balie, 1992. Dt. vgl. u.a.: Peter Weibel: ›Kontextkunst. Zur<br />
sozialen Konstruktion von Kunst.‹ – Kontext Kunst. Hg. von Peter Weibel, Köln: Du-<br />
Mont, 1994, S. 1–68.<br />
245<br />
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von Raum, Zeit und Körper ein Beispiel von Nicht-Natürlichkeit ist.<br />
Dasselbe läßt sich von der CD-ROM Troubles with Sex, Theory &<br />
History sagen. Die Arbeit beginnt mit einer reinen Zufalls- oder Möglichkeitsoperation,<br />
die vom Benutzer ausgelöst wird, indem dieser zwischen<br />
zwei Zahlen, 1 oder 2, auswählt. Der Benutzer ist ein Spieler. Die Zahlen<br />
führen ihn zu verschiedenen Bildern, Texten und Interaktionen, wobei<br />
das gesamte Material aus den Videos, Filmen und theoretischen Arbeiten<br />
von Grzˇinić & Sˇ mid aus den Jahren 1982 bis 1997 stammt. Es wird hier in<br />
vier Wertekategorien eingeteilt: von -- zu -+ und von +- zu ++. Die Bilder<br />
und Interaktionen handeln einerseits von Funktionen und Redundanzen,<br />
andererseits von Sinn und Unsinn, Zufall, Schicksal, Leere. Es ist unmöglich,<br />
sich durch die vier verschiedenen ›Erzählstränge‹ zu bewegen, ohne<br />
diese dabei, abhängig von unserer eigenen Geschichte, Intimität, unseren<br />
Vorurteilen und Klischees, zu verändern. Anders als bei den meisten CD-<br />
ROMs ist es hier nicht möglich, frei zwischen den einzelnen Ebenen hinund<br />
herzuspringen, beliebig vor- und zurückzugehen. Hat man sich einmal<br />
für 1 oder 2 entschieden, muß man diesen Pfad bis zum Ende gehen –<br />
oder die Arbeit verlassen. Troubles with Sex, Theory & History ist eine<br />
Schnittstelle zwischen mindestens zwei Kraftfeldern: Zwischen einer<br />
Form des Inhalts, die aus reinen Kontingenzen besteht, und einer Art des<br />
Ausdrucks, die mit den interaktiven Antworten des Benutzers verknüpft<br />
ist und einen Prozeß der Übersetzung aus einer allgemeinen in eine persönliche<br />
Ordnung von Geschmack, Wissen, Ideen und ethischer Haltung<br />
in Gang setzt.<br />
Von hier aus können wir uns problemlos in der Videografie von<br />
Grzˇinić & Sˇmid vor- und zurückbewegen, da die Videoarbeiten und die<br />
CD-ROM übereinstimmen. In Labyrinth (Grzˇinić & Sˇ mid, 1993) werden<br />
wir Zeugen der Nebeneinanderstellung von künstlich konstruierten surrealistischen<br />
Bildern, die auf Magrittes Gemälden (Das vogelessende<br />
Mädchen, Die zentrale Geschichte, Die Liebenden u.a.) basieren, und<br />
dokumentarischen Aufnahmen aus den Flüchtlingslagern in Ljubljana, in
denen in den neunziger Jahren bosnische Flüchtlinge leben. Weitere<br />
Ebenen aus Zitaten aus anderen Filmen und Bildern produzieren ein<br />
Klischee, oder, besser gesagt, stellen alles in einen neuen Kontext. Dasselbe<br />
kann man vom Körper sagen; der Körper ist ein Artefakt, zusammengeschustert<br />
aus anderen Artefakten, und nicht aufgrund tiefgehender<br />
Lebenserfahrungen. Nicht, weil etwa unser Leben nicht natürlich sein<br />
könnte, sondern weil es ununterbrochen die Künstlichkeit des Rituals<br />
reproduziert. Unser Traum, weit weg zu gehen, den Dimensionen unseres<br />
Selbst, das ein Nichts ist, zu entfliehen, wird hier durch die Umkehrung<br />
des Körpers in Zeit und Raum und Raum in der Zeit verwirklicht. Es<br />
wird deutlich, welche Auswirkungen durch technische Eingriffe in die<br />
Linearität der Zeit erreicht werden können; das Rückwärtsgehen durch<br />
einfachen Wechsel der Laufrichtung des Videobandes ist manchmal der<br />
angemessenste Maßstab unserer Gefühle und Gedanken.<br />
›Alles, Überall, Jede/r‹ ist das Schlagwort der neunziger Jahre, das zu<br />
einer Verwirrung der Körper, Konzepte und Strategien führt, zu einem<br />
Gefühl des Subjekts, ›aus den Fugen zu geraten‹. Wir befinden uns in allen<br />
Medien, in allen Körpern, an allen möglichen Orten zugleich. Das Subjekt<br />
wird zu der Annahme gezwungen, daß sie oder er nicht das ist, was sie<br />
oder er zu sein dachte, sondern jemand/etwas anderes. Die Position der<br />
Identität wird neu bestimmt, es geht nicht darum, eine neue Identität zu<br />
erzeugen, sondern um etwas wesentlich Radikaleres: den vollständigen<br />
Verlust von Identität.<br />
Übersetzung: Astrid Sommer<br />
247<br />
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Unsichtbare Medien<br />
Von Carina Plath<br />
Bei einer Beschreibung von Dieter Kiesslings Videoarbeiten kann man die<br />
Materialität der Geräte, die minimalistische Reduktion der Installationen,<br />
die schwarze Verschwiegenheit der Bestandteile nicht unerwähnt lassen.<br />
Die Verknappung der Mittel und die Konzentration auf einen Sachverhalt<br />
sind ihr markantes Kennzeichen. Neben diesen äußeren Merkmalen ist<br />
jedoch eins wesentlich: in den Arbeiten gerät etwas in den Blick, das oft<br />
als unsichtbar beschrieben wird. Es handelt sich um die sogenannten<br />
›neuen Medien‹.<br />
Woraus resultiert diese Unsichtbarkeit? Der schnelle Wechsel der informativen<br />
Bilder sowie ihre ›inhaltliche‹ Überfrachtung entzieht die<br />
›neuen Medien‹ einer sinnlichen wie begrifflichen Verfolgung. Ihre Unsichtbarkeit<br />
ist jedoch weniger durch das tatsächliche Scheitern unserer<br />
Sinnesorgane, denn durch ihre Programmierung auf eine funktionale<br />
Sichtweise bestimmt. Schon McLuhan hat es deshalb vorgezogen, anstelle<br />
von der Unsichtbarkeit der Medien von einer Blindheit des Beobachters<br />
ihnen gegenüber zu sprechen. Sein Satz ›Das Medium ist die Botschaft‹<br />
wies darauf hin, daß der eigentliche Inhalt einer Medienkritik das Medium<br />
selbst als Bedingung einer Maßstab- und Schemaveränderung unserer<br />
Wahrnehmung sein müßte. 1<br />
1. Marshall McLuhan: Die magischen Kanäle (Understanding Media, 1964). Aus dem<br />
Engl. v. Meinrad Ammann. Dresden, Basel: Verlag der Kunst, 1995. Teil I,1: ›Das Medium<br />
ist die Botschaft.‹ S. 21–43. Zur Blindheit des Beobachters siehe S.23.<br />
Dieter Kiessling: Continue, 1997. Screenshot.<br />
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250<br />
Trotz vieler weiterer Aufforderungen, endlich zum ›Wesen‹ der Medien<br />
vorzudringen, gibt es wenig theoretische Versuche, das zu tun. Dies<br />
hat zahlreiche Gründe, von denen hier nur zwei benannt werden sollen.<br />
Erstens ist das bloße Medium tatsächlich unsichtbar: Fernsehen ohne Bild<br />
ist ›an sich‹ nicht existent. Der immaterielle Vorgang bedarf eines ›Inhalts‹,<br />
an dem er sich zeigen kann. Zweitens ist die Medienkritik immer<br />
Teil des Programms, das sie untersucht. Da das Denken inzwischen in<br />
medialen Kategorien erfolgt, ist die es vermittelnde Sprache genauso kritisch<br />
wie affirmativ.<br />
Das Werk ist hier gegenüber dem Text eindeutig im Vorteil. Der<br />
direkte, unvermittelte Zugriff des Künstlers auf die Apparate scheint<br />
die einzige Möglichkeit zu sein, die unsichtbaren Voraussetzungen der<br />
Medialität sichtbar zu machen. Die Medien lassen sich nicht entblößen,<br />
sondern nur hintergehen. Es gilt, eine Überlistungsstrategie zu finden, bei<br />
der sie mit ihren eigenen Mitteln geschlagen, von sich selbst eingenommen<br />
werden. In den Arbeiten von Dieter Kiessling ist eine solche Strategie<br />
gelungen. Sie besteht darin, die ›neuen Medien‹ in Situationen zu bringen,<br />
die ihnen nicht entsprechen: eine Kamera wird auf sich selbst gerichtet,<br />
ein Monitor zeigt sein eigenes Abbild. Aus diesen Rückkopplungen ergeben<br />
sich ›Kurzschlüsse‹, bei denen die Geräte gerade dadurch, daß sie<br />
aus unserer Sicht nicht ›richtig‹ funktionieren, ihre Funktionsweisen<br />
offenbaren. Der Inhalt von Kiesslings Medien sind sie selbst. 2 Sie werden<br />
zur Selbstanalyse mißbraucht und beobachten schließlich nur noch ihr<br />
eigenes Tun.<br />
2. Dies gilt nicht nur für die ›neuen Medien‹, sondern auch für herkömmliche Werkstoffe<br />
wie beispielsweise Steine, die Kiessling in anderen Arbeiten behandelte. Siehe dazu den<br />
Katalog des Städtischen Museum Abteiberg Mönchengladbach 1989/90 und den Katalog<br />
der Städtischen Kunsthalle Düsseldorf 1994. Zur weiteren Einführung in die Videoarbeiten<br />
und Projektionen siehe den Katalog der Gesellschaft für Aktuelle Kunst, Bremen<br />
1995 sowie den Aufsatz der Verfasserin: ›Kurzschlüsse. Zu den Videoarbeiten von<br />
Dieter Kiessling.‹ – Das Kunst-Bulletin, 5/97, S. 10–17.
Der Reiz, der von den neuen Medien auf Kiessling gewirkt haben mag,<br />
ist der Widerspruch zwischen dem Grad der Abstraktion, die etwas in<br />
dem Maße erlangt, in dem es nur als Vermitteltes existiert und seiner konkreten,<br />
alltäglichen Präsenz und Akzeptanz. Ein Beispiel für dieses Interesse<br />
sind Kiesslings Uhrenarbeiten (1985–88). Wie die Uhr für den Begriff<br />
der Zeit steht und Begriff und Objekt in eins fallen, wird durch einen<br />
simplen Eingriff des Künstlers bewußt, wenn sich das Vertauschen von<br />
Stunden- und Minutenzeiger unmittelbar auf den Zeitbegriff niederschlägt.<br />
3 Ebenso vertritt das jeweilige technische Bild nicht nur sein Medium,<br />
sondern eine ganze Vorstellungswelt und kann zu deren selbstbezogener<br />
Reflexion verleitet werden.<br />
Kiessling interessiert sich für die Grundlagen. Bevor er den Theorien<br />
des Verschwindens der Realität folgt, setzt er bei den fundamentalen<br />
Fragen an, die sich schon stellen, wenn man einen Fernseher nur einschaltet.<br />
Man könnte, in Anlehnung an Roland Barthes’ Untersuchungen<br />
zur Fotografie, von einem ›ontologischen Wunsch‹ des Künstlers gegenüber<br />
den ›neuen Medien‹ sprechen. Da das Medium ›an sich‹ jedoch ungreifbar<br />
ist, versucht er zunächst, das Umfeld abzutasten. Das bedeutet,<br />
über die Untersuchung der materialen Eigenschaften hinaus, die Vorurteile<br />
und Begriffe, die ein Medium umgeben und bestimmen, fragwürdig<br />
zu machen.<br />
In einer der ersten Arbeiten Kiesslings durchleuchtet die Kamera den<br />
mikrokosmischen Aufbau des Fernsehbildes. Sie nimmt einen kleinen<br />
Ausschnitt des Monitorbildes auf und gibt ihn stark vergrößert an den<br />
Monitor zurück. Das bunte Raster, aus dem jedes Fernsehbild besteht,<br />
wird flimmernd auf der Mattscheibe sichtbar (Raster, 1982). Doch vergleichbar<br />
dem Blick durch das Mikroskop auf ein mit bloßem Auge nicht<br />
zu erkennendes Lebewesen, wird auch hier nur die Unerreichbarkeit<br />
3. Zu den Uhrenarbeiten siehe den Text von Dierk Stemmler im Kat. Museum Abteiberg<br />
Mönchengladbach 1989/90, unpaginiert.<br />
251<br />
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252<br />
bewußt. Daß uns demonstriert wird, was wir normalerweise nicht sehen,<br />
zeigt uns nur, daß wir es nicht sehen können.<br />
In einer weiteren Arbeit ist der Fernseher von hinten geöffnet (o.T.,<br />
1989). Eine Kamera nimmt das Innenleben des Geräts von der Seite auf<br />
und gibt es an den Schirm weiter. Farbige, elegant geschwungene Kabel,<br />
das sanfte Auswölben der metallisch glänzenden Röhre, die Kleinteiligkeit<br />
der Platinen verraten eine verborgene Schönheit, die der Technik<br />
fremd zu sein scheint. Nicht nur der Akt der Öffnung des Geräts, sondern<br />
gerade die Tatsache, daß dieses Innere als Bild auf dem Monitor erscheint,<br />
macht die Apparatur ästhetisch interessant. Doch wie verhält sich das Abbild<br />
des Innenlebens zu seiner Funktion? Die Bloßlegung der Elektronik<br />
der ›black box‹ sagt uns noch lange nicht, wie wir den Vorgang der Bildgewinnung<br />
und das mediale Bild verstehen und bewerten sollen.<br />
In Kiesslings Videoinstallationen gibt es keine Erzählung. Er setzt bevorzugt<br />
den ›Closed circuit‹, die zeitgleiche Aufnahme- und Abspielmöglichkeit<br />
der Videokamera, ein. Jeder Teil des Kreislaufs, das Motiv, die<br />
Kamera, die Kabel, der Monitor, das Abbild, ist nicht nur vorhanden,<br />
sondern wird in einer formal geschlossenen Anordnung präsentiert. Zudem<br />
arbeitet Kiessling ausschließlich mit dem dauerhaften Videobild. Es<br />
wird wider seine Natur zum Stillstand gebracht, gezwungen, sich auf<br />
einen Sachverhalt zu konzentrieren und sich somit selbst zu zeigen. Der<br />
gedankliche Prozeß, der sich bei der Betrachtung der Installationen in<br />
Gang setzt, ist so nicht auf einen Ablauf gerichtet, sondern auf die sinnvolle<br />
Verbindung der einzelnen Teile der Installation. Dabei stößt man<br />
auf den Widerspruch, daß man alle Teile eines funktionalen Zusammenhangs<br />
sehen und sie dennoch nicht logisch verbinden kann. Durch die<br />
Geschlossenheit der Situation und die Simultanität von Ding und Bild<br />
entstehen gedankliche Paradoxa, denen man sich nur durch den Abbruch<br />
des gedanklichen Nachvollzugs entziehen kann. Man ist mit einem Zeitvakuum<br />
konfrontiert, in dem kein Raum für Projektionen des Betrachters<br />
zu sein scheint.
In der Installation Kerze (1988) ist eine nicht brennende Kerze in einem<br />
dunklen Raum deshalb zu sehen, weil sie von ihrem strahlenden Abbild<br />
auf dem nahen Monitor Licht erhält. 4 Das Abbild, das seinerseits<br />
ohne die reale Kerze undenkbar ist, ist damit ebenso von ihr abhängig,<br />
wie es ihre Erscheinung zugleich bestimmt. Durch seine Funktion als<br />
Lichtquelle gewinnt es einen realen, der realen Kerze äquivalenten Status.<br />
Der Grad der Fiktion der Kerze, die nicht brennt und im Dunkeln trotzdem<br />
zu sehen ist und des Abbilds der Kerze, dessen Entstehung mysteriös<br />
erscheint, ist annähernd derselbe. Hier wird ein doppeltes Spiel gespielt:<br />
indem die gegenseitige Abhängigkeit von Ding und Abbild überstrapaziert<br />
wird, erhält das Abbild eine Souveränität, die es wiederum aus<br />
diesem Abhängigkeitsverhältnis zu entlassen scheint. Das technische Bild<br />
ist damit emanzipiert von seiner realen Vorgabe. Die Frage, was zuerst da<br />
war, die Kerze oder das Bild der Kerze, läßt sich nicht klären. 5<br />
Die gleichberechtigte Existenz von Gegenstand und Bild wird um das<br />
Spiegelbild in einer Arbeit von 1988 (o.T.) erweitert. Eine Kamera nimmt<br />
die Reflexion ihres Umraums und ihrer selbst auf einem ausgeschalteten<br />
Monitor auf. Sie gibt das Bild direkt an einen zweiten Monitor weiter, der<br />
den aufgenommenen Reflex zeigt. Zugleich reflektiert sein Glasschirm<br />
wieder den realen Raum mit der Kamera: Aufnahme der Reflexion und<br />
4. Die Kerze, die in einem dunklen Raum steht, muß zu Beginn einmal mit einer Lampe angestrahlt<br />
werden, damit sie für die Kamera sichtbar wird. Im weiteren Verlauf erhält sich<br />
der Kreislauf mit Hilfe der Kamera, die die Kerze aufnimmt und des Videobilds, das die<br />
Kerze anstrahlt, jedoch selbst aufrecht.<br />
5. Hier sei die Beschreibung des Wandels durch die neuen Medien von Marshall McLuhan<br />
zitiert, die für die Arbeit Kerze geschrieben zu sein scheint: ›So kam es zum größten<br />
Umschwung durch die Elektrizität, die der Aufeinanderfolge ein Ende bereitete, indem<br />
sie alles instantan machte. Mit der instantanen Geschwindigkeit wurden uns die Ursachen<br />
der Dinge wieder deutlich bewußt, was nicht der Fall gewesen war, als man die<br />
Dinge in der Folge und damit in der Verkettung sah. Anstatt die Frage zu stellen, was zuerst<br />
war, das Huhn oder das Ei, schien es plötzlich so, daß das Huhn eine Idee des Eis sei,<br />
um weitere Eier zu bekommen.‹ McLuhan, a.a.O., S. 28.<br />
253<br />
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254<br />
›reale‹ Reflexion durchdringen sich. Das aufgenommene Spiegelbild hält<br />
die Kamera konstant fest. Es erlangt dadurch einen größeren Realitätsgehalt<br />
als das sich mit dem Betrachter bewegende, flüchtige Spiegelbild: der<br />
Widerschein, der als ungewiß gilt, erhält durch die Aufnahme einen positiven<br />
Status. Andererseits ist das Abbild der Reflexion nur schemenhaft<br />
erkennbar, aus einer unbestimmten Tiefe des Bildschirms scheint es hervor.<br />
Die Präsenz des leuchtenden Fernsehbildes, von dem man sich kaum<br />
abwenden kann, wird hier widerlegt mit einem Bild, das auch bei näherem<br />
Hinsehen ungreifbar scheint.Die Kamera wird mehr und mehr dematerialisiert,<br />
so daß am Ende eine schemenhafte Erscheinung übrigbleibt, die<br />
sich von ferne andeutet. Das technische Bild wird damit in Zweifel gezogen.<br />
Die Sprache gerät hier ins Taumeln, sie hat keine Begriffe, um die Realitätsgehalte<br />
zu differenzieren. Anstelle der Entlassung aus dem begrifflichen<br />
Denken, die uns die schnellen Bilder im Alltag gewähren, stellen die<br />
visuellen Rätsel Kiesslings die begriffliche Klärung erneut auf die Probe.<br />
In der zeitgleichen Konfrontation von Gegenstand und medialem Bild<br />
verunklären sich die Zustände gegenseitig, werden die Abhängigkeiten<br />
fraglich. Die Simultaneität von dreidimensionalem Gegenstand und<br />
zweidimensionaler Oberfläche offenbart eine Verschiedenheit, die wir<br />
nicht benennen können.<br />
Das magnetisch aufgezeichnete, analoge Videobild stellt sich aktuell<br />
als Übergangsstadium zwischen der Fotografie und der digitalen Bilderzeugung<br />
dar. Im Gegensatz zum digitalen Bild kann es sich nicht von der<br />
Außenwelt lösen. Gerade weil es, wie die Fotografie, eine Bindung an die<br />
Realität aufrechterhält, bleibt die Frage nach dem Verhältnis von Realität<br />
und Bild weiterhin brisant.<br />
Die Magie des technischen Bildes ist ein Produkt ihres Gebrauchs.<br />
Einige Arbeiten von Kiessling zeigen, indem sie diese Magie herzustellen<br />
und zu beschwören wissen, wie die alltägliche Haltung gegenüber den<br />
neuen Medien grundsätzlich irrational geprägt bleibt. Der Bannkreis der
medialen Macht wird von uns selbst erzeugt, indem wir sie stets in Bezug<br />
auf uns wahrnehmen. In der ›anderen‹ Realität der medialen Bilder versagen<br />
unsere Sinne. Sie können, von der Position der Medien aus beurteilt,<br />
nicht mehr ›richtig‹ wahrnehmen: das flimmernde, sich ständig erneuernde<br />
Bild wird als einheitliche Fläche gesehen, der Schnitt ist nur als<br />
Wechsel wahrnehmbar. Wo die Sinne versagen, werden die Sachverhalte<br />
zu Glaubensfragen. Da die Realität der technischen Bilder sich unserer rationalen<br />
wie sinnlichen Erfassung entzieht, setzen wir auf das Glaubensbekenntnis<br />
zur Simulation. Aus Technik wird Magie.<br />
Medium: das Wort deutet das Rätsel bereits an. Das Mittlere, das dazwischen<br />
liegt, der Mittler, der keine eigene Identität besitzt, außer daß er<br />
die Funktion zu über-mitteln hat. Das Medium, daß uns Botschaften<br />
überbringen kann, auf die wir keinen direkten Zugriff haben. Medial bedeutet<br />
entfernt.<br />
Beschwörend spricht ein im Dunkeln waberndes Bild zu uns: ›STAY‹<br />
(STAY, 1991). Diese Botschaft aus der medialen Welt mahnt, innezuhalten<br />
im Rausch der Bilder. Die introspektive Videokamera, die gegen<br />
ihre eigenen Bedingungen spricht, läßt Kiessling zu einem meditativen<br />
Instrument werden. ›STAY‹: aus der bloß funktionalen Anzeige scheint<br />
ein Befehl zu werden. Wie ein großes Auge zeichnet sich das Objektiv im<br />
Dunkeln auf der Wand ab. ›Stay with me‹: Die Kamera erhält darüberhinaus<br />
den komischen Effekt eines Geräts, das um Gesellschaft bettelt.<br />
Die Aufgabe der Kamera, sachliche Aufnahmen von der zu beobachtenden<br />
Umwelt zu liefern, wird durch ihre Introvertiertheit ins Absurde<br />
getrieben.<br />
Der Videokamera kommt in den Installationen Kiesslings eine besondere<br />
Aufgabe zu. Sie ist der Analytiker, der die anderen Geräte oder sich selbst<br />
untersucht. Dadurch, daß ihre Beobachtungsgabe ins Zentrum gerückt<br />
wird, wird die naive Gleichsetzung von Auge und Kamera hintergangen.<br />
Indem das Bild nicht unseren Erwartungen entspricht, zeigt es seine<br />
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Eigendynamik deutlich. In Kiesslings Arbeiten entsteht gerade durch das<br />
bloße Funktionieren der Apparate, das in seiner sturen Selbstgenügsamkeit<br />
absurde Züge annimmt, die Irritation.<br />
Die Geräte machen alles unter sich aus. In einer Arbeit von 1995 (o.T.)<br />
stehen sich zwei Kameras wie in einem Duell frontal gegenüber, nehmen<br />
unaufhörlich ihr Gegenstück auf. Der zu ihnen gestellte Monitor zeigt die<br />
Vorderansicht einer Kamera, eindringlich öffnet sich das schwarze Auge<br />
des Objektivs. Die auf dem Bildschirm zu sehenden Kabel verraten den<br />
Videomischer: die unzähligen Aufnahmen der zwei Kameras fließen in<br />
das eine, sich stetig erneuernde Bild. Die Potenz des sich stetig aktualisierenden<br />
Bildes scheint durch die Speisung von zwei Geräten verdoppelt.<br />
Dieser Eindruck steigert den Kontrast zwischen dem ›Schußwechsel‹ und<br />
der mahnenden Präsenz der einen, lauernden Kamera. Doch der Blick auf<br />
ihr Äußeres bedeutet nur eine weitere Leerstelle. Es ist nicht von Bedeutung,<br />
welche Kamera wir sehen können, eine Kamera ist wie die andere, in<br />
der stetigen Reproduktion ihrer selbst gefangen.<br />
Dieter Kiessling setzte die sinnlose Wiederkehr des Gleichen schon in<br />
seinem Film Paternoster (1987), in dem der Kreislauf der Kabinen zum<br />
Symbol der Redundanz der Bilder wurde, ein. Die sich selbst reproduzierende<br />
Schleife findet sich als zeitliche Form in weiteren Arbeiten wie dem<br />
Mauerfilm von 1982 und auch in der Arbeit o.T. (1982): ein senkrecht gekippter<br />
Filmprojektor zieht ein herabhängendes Stück Zelluloid in sich<br />
hinein und projiziert es dabei auf den Boden. Der Film zeigt den gegenläufigen<br />
Vorgang: in ihm gleitet ein dunkles Band herab und häuft sich<br />
mit der Fortsetzung des Films auf dem Boden, bis schließlich sein letztes<br />
Stück vom Projektor herabfällt. Am Ende ist das reale Filmband aufgespult,<br />
der ›Film im Film‹ liegt auf der Erde. Die beiden Abläufe heben sich<br />
gleichzeitig auf, als wenn nichts geschehen wäre. In all diesen Arbeiten<br />
wird der Betrachter Zeuge absurder Geschehen, die im Moment ihres Beginnens<br />
immer schon abgeschlossen sind. Als Bilder, deren Informationen<br />
nur um sich selbst kreisen, werden sie zu Gleichnissen für die strukturelle<br />
Immanenz des medialen Systems.
Das ständige Abseits des Betrachters, das in Kiesslings Installationen formal<br />
pointiert wird, ist nicht nur ein Kennzeichen der spezifischen Situation,<br />
sondern ein Wesensmerkmal der Medien. Es scheint keine Möglichkeit<br />
zu geben, einen subjektiven Standpunkt zu gewinnen. Stets bleibt der<br />
nichtssagende Blick auf die Oberfläche. Dieser Äußerlichkeit weiß Dieter<br />
Kiessling jedoch eine positive Wendung zu geben. Indem die Apparatur<br />
sich auf einmal selber bewacht, gerät der Mensch aus dem Brennpunkt<br />
und erhält gerade dadurch neuen Spielraum.<br />
Vilém Flusser hat in seiner Studie Für eine Philosophie der Fotografie<br />
die Möglichkeiten beschrieben, die einen Freiraum für den Menschen in<br />
einer automatisierten Welt schaffen könnten. Nach ihrer Aufzählung<br />
kommt er zu dem Schluß: ›Freiheit ist, gegen den Apparat zu spielen.‹ 6<br />
Kiessling tut genau das. Er verkehrt die Spielregeln: jetzt versagen nicht<br />
mehr unsere Sinne im Blick auf die Geräte, sondern die Geräte im Blick<br />
auf sich selbst. In ihrer Selbstbezogenheit werden die Medien zu dem, was<br />
sie sind: nicht mehr und nicht weniger als ein Medium.<br />
6. Vilém Flusser: Für eine Philosophie der Fotografie. Göttingen: European Photography,<br />
1994, S. 73.<br />
257<br />
artintact 4
artintact 4<br />
258<br />
Verweiser<br />
Von Astrid Sommer<br />
Am Nullpunkt der Malerei: Ein weißer Strich von bestimmter Länge auf<br />
dem Boden des Ausstellungsraumes, an seinem Ende ein Gipsblock in<br />
fragiler (dynamischer) Position, das Werkzeug, mit dem der Strich gezogen<br />
wurde, aber dessen eigentliche Bestimmung es nicht ist, eine Spur zu<br />
hinterlassen (o.T., 1983). Die wesentlichen Elemente der zeichnerischen<br />
Bilderzeugung sind hier versammelt, und sie markieren den dazu notwendigen<br />
Vorgang, ohne zu diesem Zweck ein Bild her/darstellen zu<br />
müssen. Es geht allein um die Essenz des Zeichnens/Malens, die Voraussetzungen<br />
des Abbildungsprozesses, oder, mit Lambert Wiesing: ›an die<br />
Stelle der Abbildung und Interpretation einer sichtbaren Wirklichkeit<br />
tritt die Erzeugung von Sichtbarkeit.‹ 1 Roland Barthes fragte im Reich der<br />
Zeichen: ›Wo beginnt die Schrift? Wo beginnt die Malerei?‹ 2<br />
Konsequent und kontinuierlich widmete sich Dieter Kiessling in den<br />
vergangenen 15 Jahren vor allem der Befragung und Erforschung der<br />
Bilderzeugung und -wiedergabe durch technische (analoge) Medien:<br />
Fernseher, Videokamera, Diaprojektor. So projiziert in o.T. (1994) ›ein<br />
Diaprojektor […] mit dem Licht der Projektionsbirne diese selbst auf die<br />
Wand, ohne daß ein Bildträger zwischen Objektiv und Lampe geschaltet<br />
wird.‹ 3 Das Bild der Glühlampe gibt Auskunft über die Funktionsbedin-<br />
1. Lambert Wiesing: Die Sichtbarkeit des Bildes. Hamburg, 1997, S. 267.<br />
2. Roland Barthes: Das Reich der Zeichen. Frankfurt/M., 1981, S. 35.<br />
3. Werkbeschreibung Dieter Kiessling, in: Dieter Kiessling. Projektionen und Videoinstallationen.<br />
Kat. Gesellschaft für Aktuelle Kunst, Bremen, 1995, S. 36.
gungen des Diaprojektors, über die elektrische Bilderzeugung selbst, es<br />
tritt als ›anschauliche Reflexion seiner eigenen Grundlage auf: seiner<br />
Sichtbarkeit‹ 4 – durch Licht.<br />
Der Computer, die Universalmaschine und offensichtlich prägendes<br />
Element unserer postindustriellen Gesellschaften am Ausgang des 20.<br />
Jahrhunderts, kann unter anderem auch der Bilderzeugung dienen. Konsequenterweise<br />
fragt Dieter Kiessling in Continue aber nicht (nur) nach<br />
dem Wesen der digitalen Bilderzeugung, sondern nach dem Wesen der<br />
Funktionsweise der Maschine überhaupt.<br />
Wir wissen um die Unerbittlichkeit der vom binären Code bestimmten<br />
Maschine. Sie reagiert auf 0/1, auf Ja/Nein, Entweder/Oder, Quit<br />
oder Continue. Sie ist unbestechlich und duldet keine Kompromisse, kein<br />
›Vielleicht‹. Sie kennt keine Zwischenräume zwischen 0 und 1. Weitergehen<br />
oder beenden? Die Frage ist die Essenz unserer Wahlmöglichkeiten<br />
gegenüber der Maschine. Gegenüber einem interaktiven Kunstwerk, das<br />
nach den Strukturen der digitalen Maschine funktioniert. Weitergehen<br />
oder beenden? Ja oder Nein? Schwarz oder Weiß? Gehen wir weiter, so<br />
vervielfältigt sich die Frage scheinbar unendlich in scheinbar unendlich<br />
viele immer gleiche Wahlmöglichkeiten: Weitergehen oder beenden? Sich<br />
einlassen oder sich abwenden? Dieser Prozeß in der Auseinandersetzung<br />
mit einem Kunstwerk wird hier vor Augen geführt. Ebenso die Banalität<br />
unserer Wahlmöglichkeiten: Ja oder Nein? 0 oder 1? Weiter oder Beenden?<br />
Tatsächlich ist die Unendlichkeit begrenzt: Ein Pixel ist die kleinste,<br />
unteilbare Einheit eines digitalen Bildes, und wenn die Stufe überschritten<br />
wird, in der jedes zweite Pixel mit ›Quit‹ und die anderen mit ›Continue‹<br />
belegt sind, gibt es keine weiteren Vervielfältigungen, sondern nur<br />
noch Zufallsoperationen.<br />
Als Mutterland der modernen Mathematik gilt Indien, und der usbekische<br />
Mathematiker Mohammed ibn Musa al-Chorezmi (um 780 bis<br />
4. Wiesing, a.a.O., S. 268.<br />
259<br />
artintact 4
artintact 4<br />
260<br />
nach 847), der nach Indien gegangen war, um seine mathematischen<br />
Kenntnisse zu vervollkommnen, gab, so wird erzählt, dem Algorithmus<br />
seinen Namen. Er zeigte Lösungsmethoden für quadratische Gleichungen,<br />
und dafür bediente er sich des auch der sogenannten Weizenkornlegende<br />
innewohnenden Logarithmensystems. Die Weizenkornlegende<br />
wird im allgemeinen mit den Ursprüngen des Schachspiels in Verbindung<br />
gebracht und liest sich so:<br />
Der weise Erfinder des Schachspiels habe sich vom König als Lohn nur Weizenkörner<br />
nach dem Prinzip erbeten: fürs erste Feld auf dem Schachbrett eins, fürs zweite zwei, fürs<br />
dritte vier, fürs vierte acht, fürs fünfte sechzehn usw. Das allgemeine Erstaunen über diese<br />
scheinbare Bescheidenheit wandelte sich beim König zum blanken Entsetzen, als sich<br />
schließlich herausstellte, daß allein für das 64. Schachfeld die ungeheure und nicht aufbringbare<br />
Summe von 9 223 372 036 854 775 808 Weizenkörner notwendig und damit insgesamt<br />
18 446 744 073 709 551 616 Weizenkörner erforderlich gewesen wären. In einem Buche<br />
wurde anschaulich demonstriert, daß ganz Europa und große Teile Afrikas hätten mit Weizen<br />
bedeckt werden müssen, wenn man dieser Bitte entsprechen wollte. 5<br />
Dank der Erkenntnisse al-Chorezmis wird später (im 11. Jahrhundert)<br />
die unaussprechlich große Zahl der Weizenkörner mit der etwas handhabbareren<br />
Größe 16 16-1 angegeben. Als ob Dieter Kiessling jetzt in der<br />
Umkehrung das Unfaßbare bestätigen wollte und dabei zugleich auf die<br />
historischen Anfänge der modernen Rechenkunst und damit auf die Ursprünge<br />
des Computers verweist, zeigen sich in Continue anschaulich die<br />
ersten Ebenen der Berechnung der Anzahl der Weizenkörner – und in der<br />
sechsten Ebene gleicht der Bildschirm tatsächlich einem Schachbrett.<br />
Doch selbstverständlich ist auch die Fläche des Bildschirms nicht ausreichend,<br />
um die Dimensionen, mit denen hier gehandelt wird, darzustellen.<br />
Auf der 19. Ebene hat der Betrachter 153 600 mal die Möglichkeit, ›Continue‹<br />
zu wählen, doch ist diese Zahl fast nur noch theoretisch von Bedeutung,<br />
da exakte Entscheidungen kaum mehr möglich sind. Schon in der<br />
20. Ebene, also, wenn man es überträgt, erst zu Beginn der dritten Reihe<br />
5. Joachim Petzold: Schach – Eine Kulturgeschichte. Leipzig, 1986, S. 13.
des Schachbretts, zeigt sich dem Betrachter nur noch eine einheitlich<br />
graue Fläche, mit der die Wahlmöglichkeit zur Zufallsentscheidung geworden<br />
ist.<br />
Zwar haben wir es hier scheinbar mit Verzweigungen zu tun (mit den<br />
Unterteilungen der Wahlmöglichkeiten), aber eigentlich handelt es sich<br />
um eine Einbahnstraße (›die Technik der Einbahnstraße ist der des Spielers<br />
verwandt‹ 6 ): Man kann nur immer wieder von vorne beginnen, und<br />
man wird immer wieder den exakt gleichen Weg gehen. Aber dies mit<br />
Vergnügen, denn Continue gaukelt uns nichts vor von den falschen Unendlichkeiten,<br />
für die das Medium CD-ROM allseits gepriesen wird, sondern<br />
führt uns an das andere Ende, oder, wenn man will, den Anfang: zum<br />
Nullpunkt des binären Codes.<br />
6. Theodor W. Adorno: ›Benjamins Einbahnstraße.‹ – Ders.: Über Walter Benjamin.<br />
Frankfurt/M., 1990, S. 29.<br />
261<br />
artintact 4
Medien-Impressionismus<br />
Zu Anja Wieses trance machine*<br />
Von Tilman Baumgärtel<br />
Eine Geschichte hat einen Anfang, einen Höhepunkt und ein Ende.<br />
Ein Satz hat einen Anfang und ein Ende. Subjekt, Prädikat, Objekt,<br />
Nebensatz und Hauptsätze.<br />
Geschichte besteht aus historischen Ereignissen. Aus Schlachten, Krönungen,<br />
Friedensschlüssen, Wahlen, Verträgen, dem Tod von Soldaten,<br />
der Bombardierung einer Brücke, dem Einmarsch der Alliierten.<br />
Im Raum gibt es oben und unten, links und rechts, Dinge, die im Vordergrund<br />
stehen, und Dinge, die sich im Hintergrund befinden.<br />
Die Wirklichkeit ist das große Ungeordnete. Sie gibt sensomotorische<br />
Signale ab, überflutet uns ununterbrochen mit audio-visuellen Daten.<br />
Das gilt nicht nur im verdichteten, mediatisierten Leben in der Großstadt;<br />
die Summe dessen, was man wahrnehmen und wissen kann, überschreitet<br />
schlichtweg überall die Aufnahmefähigkeit des Menschen. Dem<br />
Daueransturm des Wahrnehmbaren entgehen wir, indem wir unsere<br />
Kanäle gegen diesen Input teilweise abschotten. Um die Schwemme von<br />
Wirklichkeit verarbeiten zu können, organisieren wir unsere Sinnesein-<br />
* In der Buchausgabe von artintact 4 befindet sich zu den Arbeiten von Anja Wiese ein<br />
Text von Barbara Köhler. Die Autorin hat einer Wiederveröffentlichung nicht zugestimmt.<br />
Der vorliegende Text ist ein Originalbeitrag für diese DVD-Ausgabe. (Anm.<br />
d. Red.)<br />
Anja Wiese: trance machine, 1997. Screenshot.<br />
263<br />
artintact 4
artintact 4<br />
264 drücke und wir versuchen, ihrer Herr zu werden, indem wir einiges<br />
hervorheben, anderes unterdrücken. So wird aus dem, was wir erlebt<br />
haben, eine Geschichte, die Eindrücke und Wortbrocken in unserem Gehirn<br />
ordnen sich zu Sätzen. Die Dinge, die in der Welt geschehen, werden<br />
Geschichte oder vergessen, der Raum, der uns umgibt, erscheint als ein<br />
Ort mit Richtungen, mit oben und unten, links und rechts, Osten und<br />
Westen, Süden und Norden.<br />
Die Arbeiten von Anja Wiese arbeiten an dieser und gegen diese Ordnung<br />
der Dinge. In ihren Sound- und Video-Werken arbeitet sie mit den<br />
Daten, die auf unsere Augen und Ohren einströmen, aber sie zerteilt diesen<br />
Strom der Phänomene in kleine Einheiten, in ein Set von genau dosierten<br />
Reizen. Auch wenn ihre Arbeiten zunächst den Eindruck eines<br />
homogenen großen Ganzen vermitteln, geht es bei ihnen nicht um Synthese,<br />
sondern um Analyse, um die Isolierung und Neukombination von<br />
Ton- und Bildelementen. Dazu benutzt sie vor allem technische Medien:<br />
Tonbänder mit Endlosschleifen, Diktiergeräte, digitale Klangspeicher,<br />
Video.<br />
Anja Wiese betreibt eine Art Medien-Impressionismus. Ihre Methode<br />
erinnert in vieler Hinsicht an den historischen Impressionismus, welcher<br />
der direkten, heterogenen Widergabe unserer Wahrnehmung von Sinnesreizen<br />
den Vorrang gegenüber homogenisierenden Darstellungen des<br />
Ganzen gab. In der impressionistischen Malerei stehen die flüchtigen<br />
Reize des Lichts und der Atmosphäre, stehen Stimmungen und Erscheinungen<br />
im Mittelpunkt. Diese Impressionen entstanden nach Ansicht der<br />
Impressionisten durch den direkten Aufprall der Welt auf die Sinne. Es<br />
sind keine voll ausgebildeten Wahrnehmungen, sondern etwas von Wissen<br />
und Erfahrung zum Teil noch Unberührtes und Ungeformtes.<br />
Auch Anja Wiese liefert in ihren Arbeiten immer wieder solche ›Impressionen‹:<br />
statt eines totalisierenden Gesamtbilds bietet sie Ausschnitte<br />
und Bruchstücke von Wirklichkeit. Und so wie die Impressionisten in
ihrer Malerei eine Faszination mit den flüchtigen, irisierenden Eigenschaften<br />
von Farben und Licht zu Gemälden werden ließen, beschäftigt<br />
sich auch Anja Wiese in so gut wie allen ihren Werken mit Ephemerem:<br />
mit bewegten Bildern, flüchtigen Tönen und dem Licht, das auch für die<br />
Impressionisten eine so große Rolle gespielt hat. Ihre Arbeiten bekommen<br />
dadurch eine kristallisierende, ambivalente Qualität, die an die Sinne<br />
appelliert, ohne sinnlich zu sein, die den Phänomenen analytisch auf den<br />
Grund geht, ohne darum steril, abstrakt oder kalt zu sein. Während die<br />
Impressionisten versuchten, ihren eigenen ›naiven Blick‹ auf die Flut der<br />
Erscheinungen zu dokumentieren, geht es in Anja Wieses Arbeiten allerdings<br />
eher darum, Bedingungen zu schaffen, die dem Betrachter wieder<br />
einen von Vorprägung freien Blick auf die Phänomene erlauben – ein<br />
›jungfräuliches Sehen‹ (oder im Fall von Wieses Klanginstallationen:<br />
Hören), von dem in der Literatur über den Impressionismus so oft die<br />
Rede ist.<br />
Wer ein impressionistisches Gemälde aus nächster Nähe betrachtet,<br />
sieht oft nur Farbfelder und -punkte, die zunächst gar nichts ›darstellen‹.<br />
Erst wenn man weiter zurücktritt, entsteht aus diesen Fragmenten ein<br />
Bild. Die Impressionisten wollten in ihren Gemälden und Zeichnungen<br />
ihre eigene flüchtige, subjektive und bruchstückhafte Wahrnehmung<br />
festhalten und zeigten darum ihre ›Sicht der Welt‹ auf der Leinwand in<br />
kleine Farbfelder zerlegt. In kleine sensomotorische Wahrnehmungsfelder<br />
zerlegt erscheint die Wirklichkeit auch in den Arbeiten von Anja<br />
Wiese: Satzfetzen, Lichtpunkte und -felder, Videobilder, die der Betrachter<br />
zu eigenen Kompositionen zusammensetzten muss.<br />
Friedemann Malsch hat ein Environment von 1987, das als raumbezogene<br />
Arbeit für die Galerie Brusten in Wuppertal entstand und den bezeichnenden<br />
Titel Unbezähmbare Ambivalenz trägt, so beschrieben:<br />
Anja Wiese hatte Folien auf die Fenster geklebt, die sie mit unendlicher Geduld in vielen<br />
Arbeitsgängen purpurrot bemalte, in der farbigen Fläche jeweils unterschiedliche<br />
Binnenstrukturen hinterlassend. Diese Folien tauchten den Raum in ein diffuses, aber<br />
265<br />
artintact 4
artintact 4<br />
266<br />
äußerst intensives rotes Licht, das in seiner Aggressivität fast körperlich zu spüren war.<br />
Dazu ertönte eine serielle Montage mit starker Rhythmik vom Band, die aus zwei Sätzen<br />
bestand: ›Seien Sie ganz offen! Sagen Sie die Wahrheit!‹ Die Wirkung der Farbe war in der<br />
Tat so stark, dass der eintretende Besucher keine Möglichkeit hatte, sich im Raum zu<br />
orientieren; zu sehr war er mit den sinnlichen Eindrücken und der Abwehr der penetranten<br />
Aufforderung beschäftigt. Der Künstlerin war es gelungen, sich über die Dominanz der<br />
Architektur und ihrer Geometrie hinwegzusetzen, mehr noch: durch die Erzeugung eines<br />
Farbraums gelang ihr die Auflösung des Zentralraums in einen diffusen, struktur- und<br />
hierarchielosen Raum. 1<br />
Der letzte, hervorgehobene Teil liest sich fast wie die Beschreibung eines<br />
impressionistischen Gemäldes, etwa eines späten Monet. Auch in vielen<br />
anderen Arbeiten erzeugt Wiese diffuse, struktur- und hierarchielose<br />
›impressionistische‹ Situationen, so auch in ihrer Arbeit trance machine<br />
(1997), um die es in diesem Aufsatz gehen soll. Das CD-ROM-Projekt hat<br />
sich aus dem akustischen Environment Die Einzige (1995) entwickelt.<br />
Diese Arbeit soll im Folgenden im Zusammenhang mit ihrem übrigen<br />
Werk diskutiert werden, weil ich zeigen will, dass die Fragen und Themen,<br />
die bei Die Einzige im Mittelpunkt stehen, auch in ihren übrigen<br />
Arbeiten in modifizierter Form eine Rolle spielen: Genauso wie diese<br />
Arbeit die Erzählungen und Statements, mit denen sich ein Subjekt als<br />
Ich, als Person konstruiert, auseinander nimmt und in ihren Einzelteilen<br />
sichtbar macht, so zergliedert Anja Wiese in anderen Arbeiten andere<br />
Erzählungen, Geschichte, Orte. Das Raum-Zeit-Kontinuum ist in diesen<br />
Werken aufgebrochen. Sprache, Geschichte, Biografie, Raum sind keine<br />
Einheit mehr, sondern aufgelöst in einem opalisierenden Feld von Wahrnehmungsreizen.<br />
Die Einzige und trance machine repräsentieren die – fiktive oder<br />
tatsächliche – Biografie einer namenlosen, weiblichen Person. Die Selbst-<br />
1. Friedemann Malsch, ›Wagner, Jansen, Rentmeister, Wiese. Galerie Brusten, 28.8.1987–<br />
17.1.1988‹. – Kunstforum International Bd. 93, März 1988, S. 304 (meine Hervorhebung,<br />
T.B.).
auskünfte des sprechenden Ichs stellen diese Arbeiten dar und demontieren<br />
sie gleichzeitig. Der Benutzer/Betrachter von trance machine sieht<br />
auf dem Computermonitor ein rechteckiges, schwarzes Feld, auf dem 32<br />
graue Kreise rotieren, die wie stilisierte Tonbandspulen aussehen. Wenn<br />
der Benutzer einen dieser Kreise mit der Maus anklickt, hört er ein Satzfragment,<br />
das sich einige Male wiederholt und dabei langsam verklingt. Je<br />
mehr dieser Spulen er aktiviert, desto mehr Satzteile bekommt er zu<br />
hören, die zu einem Klangteppich, zu einem mehrschichtigen stream-ofconsciousness<br />
verschwimmen. Es ist eine Art innerer Monolog, der nur<br />
darauf zu warten scheint, abgerufen zu werden. Die Sätze werden alle von<br />
derselben weiblichen Stimme mit einem leicht ausländischen Akzent gesprochen.<br />
Manchmal vertauschen sich zwei Spulen, wenn man eine von<br />
ihnen anklickt, wechseln dann ihre Orte und ihre Drehrichtung. Jeweils<br />
vier Satzfragmente ergeben einen vollständigen Satz, zwischen den vier<br />
›zusammenpassenden‹ Spulen erscheint eine schmale graue Linie. Ansonsten<br />
bieten die grauen Spulen auf schwarzem Grund wenig visuelle<br />
Abwechslung und man konzentriert sich schnell auf das, was es zu hören<br />
gibt:<br />
Ich fühlte mich manchmal leicht und frei.<br />
Es war schwierig für mich, in unangenehmer Umgebung auszuharren.<br />
Ich hatte eine große Vorstellungskraft, viel zu viel, um mit dem Tatsächlichen zufrieden<br />
zu sein.<br />
Ich war hilfsbereit und großzügig.<br />
Ich war weich und zerbrechlich, aber ich wollte es nicht zeigen.<br />
Der Schlaf gehörte zu meiner Arbeit.<br />
Herausforderungen ließen mich nicht ruhen.<br />
Die Sätze, die die trance machine produziert, sind Reflexionen einer<br />
anonymen Frau, die einem trotz aller Selbstbeschreibung nicht näher<br />
kommt. Man kann darüber spekulieren, um wen es sich dabei handelt.<br />
Sind es autobiografische Betrachtungen der Künstlerin? Oder die Gedanken<br />
einer ausgedachten Person? Der ausländische Akzent macht die Sätze<br />
267<br />
artintact 4
artintact 4<br />
268 fremd. Je nachdem, in welcher Kombination man sie hört, scheinen sie<br />
auf eine Lebenskrise oder eine Phase der Selbstfindung hinzuweisen.<br />
Manchmal wirken sie traurig, manchmal weise, manchmal meint man<br />
Selbstmitleid zu hören, manchmal sachliche Einsicht in das eigene Wesen.<br />
Alle Sätze sind in der Vergangenheitsform, so dass es den Anschein hat,<br />
als spräche die Frau von einem vergangenen Leben.<br />
trance machine ist als CD-ROM-Arbeit für den Computer entworfen. Als<br />
eine Art digitales Multiple ist sie nicht auf ein Museum oder eine Galerie<br />
angewiesen, um gezeigt oder betrachtet zu werden, sondern kann mit<br />
nach Hause genommen und auf dem eigenen Computer angesehen werden.<br />
Das erlaubt einen privateren und genaueren Umgang mit der Arbeit,<br />
was zu den vertraulichen Offenbarungen der Frauenstimme passt. Man<br />
kann sie wieder und wieder ansehen/-hören, man ist nicht – wie bei Die<br />
Einzige – auf einen bestimmten Raum mit einer bestimmten Größe angewiesen,<br />
um die trance machine zu benutzten. Schon der Titel suggeriert,<br />
dass man sich mit der Arbeit längere Zeit beschäftigen kann, ja, dass sie<br />
einen umgeben soll wie ein länger anhaltender Rauschzustand.<br />
Anders als viele andere Arbeiten für computerbasierte Medien – wie<br />
CD-ROM oder Internet – ist die technische Natur des Rechners bei trance<br />
machine kein vorrangiges Thema. Zwar nutzt trance machine dessen<br />
genuine Eigenschaften: sie arbeitet mit der Verbindung von verschiedenen<br />
multimedialen Elementen wie akustischen Samples und Animationen.<br />
Sie erlaubt dem Benutzer, in Echtzeit mit der Arbeit zu interagieren,<br />
und sie stellt hypertextuelle Verbindungen zwischen verschiedenen,<br />
diskreten Elementen her. Damit ist die Arbeit durchaus medienspezifisch,<br />
weil sie so mit keinem anderen Medium dargestellt werden<br />
könnte. Doch sie ist nicht selbstreferentiell in Bezug auf ihr Medium; der<br />
Computer selbst ist kein Thema der Arbeit, sondern nur künstlerisches<br />
Mittel zum Zweck. Nur in einer Hinsicht ist die trance machine von dem<br />
Computer abhängig, auf dem sie läuft: Die Menge an Sound, die man
erzeugen und gleichzeitig hören kann, hängt vom Arbeitsspeicher des<br />
jeweiligen Rechners ab. Die Arbeit ist so programmiert, dass der Arbeitsspeicher<br />
(und die Klangfragmente, die in ihm gespeichert sind) im Betrieb<br />
fortlaufend gelöscht wird, damit die trance machine nicht stehen bleibt.<br />
trance machine entstand aus der Installation Die Einzige, die Anja Wiese<br />
1995 in den Düsseldorfer Kesselwerken als akustisches Environment gezeigt<br />
hat. Aus ihr stammen auch die Sätze oder Samples, die sie für die<br />
CD-ROM verwendet und so aus dem physischen Raum in den virtuellen<br />
Raum des Computers überträgt. War Die Einzige eine Art Gedicht, das<br />
in den Raum verpflanzt worden war, ein dreidimensionales, in einem ehemaligen<br />
Großraumbüro ausgebreitetes Selbstgespräch, so versetzt trance<br />
machine diese Sätze in eine Situation von größerer Nähe, die derjenigen<br />
ähnlicher ist, in welcher solche Selbstbeschreibungen normalerweise<br />
geäußert werden.<br />
Barbara Köhler beschreibt die Installation so:<br />
Die Einzige besteht aus 64 digitalen Klangspeicher- und Abrufeinheiten in Plexiglasboxen<br />
mit Blinkelement und Bewegungssensor, die im Abstand von einem Meter schachbrettartig<br />
am Boden eines dunklen Raumes angeordnet sind. Das Begehen der Installation aktiviert<br />
das Blinken und die Stimmen, jeder Satz wird in gleichbleibender Lautstärke ca. eine<br />
Minute lang wiederholt. Einerseits ließe sich mit Duchamp sagen, dass so der<br />
Betrachter/die Betrachterin das Kunstwerk macht, andererseits aber auch, ergänzend und<br />
präzisierend, dass sie zum Teil des Kunstwerks gemacht werden, das die Künstlerin in dieser<br />
Absicht gemacht hat. Das Gehen setzt die Arbeit in Gang, der Rhythmus der Schritte<br />
erzeugt einen (anderen) Rhythmus des Sprechens, jeder Weg eine Art Geschichte, einen<br />
möglichen Zusammenhang der Sätze. 2<br />
In beiden Arbeiten lässt Wiese die verschiedenen Satz-Elemente –<br />
ähnlich wie bei den Zufallsoperationen, mit denen John Cage bei seinen<br />
Kompositionen gearbeitet hat – durch arbiträre Akte (Gehen bzw.<br />
2. Barbara Köhler, ›Die Grammatik der Ersten Person Singular.‹ – artintact 4. Hg. ZKM<br />
Karlsruhe, Ostfildern: Hatje Cantz, 1997, S. 105.<br />
269<br />
artintact 4
artintact 4<br />
270<br />
Klicken) des Betrachters miteinander in Beziehung treten. Das verbindet<br />
sie mit vielen anderen ihrer Installationen, Klang- und Videoarbeiten,<br />
deren Gegenstand das audiovisuelle Rohmaterial unserer Erfahrung ist.<br />
Sie zerlegt die Wirklichkeit, wie wir sie uns normalerweise ordnen und<br />
zur leichteren Aufnehmbarkeit zurecht legen, in kleine Einheiten, und<br />
zergliedert große Erzählungen in kleine Teile. Wo andere mit Hilfe dieser<br />
Medien aus den Phänomenen der Dingwelt eine Synthese schaffen,<br />
nimmt sie die Erscheinungen auseinander und unterzieht sie einer künstlerischen<br />
Analyse.<br />
Ihre Methode wird dann besonders deutlich, wenn man sie damit vergleicht,<br />
wie Ton und Bild, ihre bevorzugten künstlerischen Materialien,<br />
›normalerweise‹ medial organisiert werden. Konventionelle Spiel- oder<br />
Dokumentarfilme ordnen ihr Material entlang eines Zeitstrahls und konstruieren<br />
aus ihren disparaten Elementen eine Story. Ähnlich verfährt ein<br />
Hörspiel oder ein Radiofeature mit Tönen. Film/Video und aufgezeichneter<br />
Ton gehorchen dabei einer streng linearen Ordnung. Wie ein Zug,<br />
der von Bahnhof zu Bahnhof, von Station zu Station fährt, spulen sie<br />
Ereignis nach Ereignis, Bild nach Bild, Ton nach Ton ab. Darin unterscheiden<br />
sich die Installationen Anja Wieses von ›normalen‹ Filmen oder<br />
Hörstücken: Muss der Zuschauer oder -hörer einem Film oder Hörspiel<br />
folgen, kann er sich zu ihren Arbeiten verhalten.<br />
Die Klang- und Videoinstallationen von Anja Wiese lösen die Bilder<br />
und die Töne aus der rigiden, linearen Ordnung und verlagern sie vom<br />
zweidimensionalen Ablauf in den dreidimensionalen Raum: die verschiedenen<br />
Ton- und Klangelemente spulen sich nicht mehr in einer vorgegebenen<br />
Reihenfolge ab, sondern überlassen es dem Betrachter, sich seinen<br />
Weg durch diese Daten zu suchen. Er kann sie abgehen oder an ihren einzelnen<br />
Elementen verweilen. Die Installation Geschichte (1992) löst so<br />
zum Beispiel historische Schilderungen zu einem Klangteppich auf, den<br />
der Betrachter selbst wieder in seine Einzelteile zerlegen und so wieder<br />
sinnvoll machen kann. Die Künstlerin beschreibt die Arbeit so:
Aus den Lautsprechern ertönen die persönlichen Geschichten von zwei Frauen, die die<br />
Zeit, in der Bunker in Betrieb waren, selbst miterlebt haben. Ihre Geschichten erzählen<br />
vom Leben in der nationalsozialistischen Diktatur und vom Zweiten Weltkrieg aus der<br />
Sicht von Zivilistinnen. Die Lautsprecher sind im Raum vernetzt an den Wänden angebracht.<br />
Alle Cassettenrecorder spielen gleichzeitig, so dass in der Mitte des Raumes ein allgemeines<br />
Gewisper zu hören ist. Die Wand erzählt, flüstert ihre Geschichte: das Prinzip<br />
der Gleichzeitigkeit von persönlichem Er-Leben, die Relativität der Einzelnen in<br />
Konfrontation mit dem Zeitgeschehen, der Wert des menschlichen Lebens in seiner<br />
Einzigartigkeit, die Vernetzung der Erinnerung, das Herumgehen von Lautsprecher zu<br />
Lautsprecher, das Lauschen und Sprechen, die eigene Stimme vermischt mit den vorhandenen<br />
[…]. 3<br />
Auch bei der Installation Verborgene Worte (1999), die für einen der<br />
Brückentürme der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Brücke von Remagen<br />
entstand, zeichnen Diktiergeräte an der Wand ein vielschichtiges Geschichtsbild.<br />
Computerstimmen rezitieren aus sieben Kriegstagebüchern<br />
aus verschiedenen Kriegen: dem Ersten Weltkrieg, aus Belgrad während<br />
der Bombardierung durch die NATO, aus dem Kosovokrieg, aus dem<br />
Augenzeugenbericht einer Frau aus Erpel (dem Ort, an dem einer der beiden<br />
Brückenköpfe stand) über den Zweiten Weltkrieg. In diesen<br />
Arbeiten zerfällt Geschichte in eine Vielheit einzelner Stimmen. Der Betrachter<br />
schafft durch Bewegung im Raum seine eigene Montage der geschilderten<br />
Vorgänge. Auch bei Die Einzige entsteht durch die Bewegung<br />
des Betrachters ein jeweils anderes Arrangement der Sätze, das allerdings<br />
in diesem Fall durch seine Bewegungen erst ausgelöst wird. So ergeben<br />
sich neue Zusammenhänge, Gegenüberstellungen, Kontraste, Überschneidungen.<br />
Die Installation Beep Little Signal (1997) treibt das Spiel mit der räumlichen<br />
und akustischen Desorientierung des Betrachters noch weiter als<br />
die oben von Friedemann Malsch beschriebene Arbeit Unbezähmbare<br />
3. Anja Wiese, ›Geschichte_History.‹ – Anja Wiese. Hg. Stadt Neuss – Der Oberstadtdirektor,<br />
Kulturforum Alte Post, Neuss, 1998, unpaginiert.<br />
271<br />
artintact 4
artintact 4<br />
272 Ambivalenz: Kleine akustisch-visuelle Signalgeber erzeugen unabhängig<br />
von einander alle zwei Minuten einen kurzen Piepton mit gleichzeitigem<br />
Lichtsignal. ›Die Installation wurde in Essen im Dunklen gezeigt. Hier<br />
werden die roten Lichtsignale jeweils für die kurze Dauer ihres Aufleuchtens<br />
zu Orientierungspunkten im Raum.‹ 4 Auch Civilized Animism<br />
(Gedichtmaschine) (1994) verschränkt Raum und Klang miteinander:<br />
[Die Arbeit] besteht aus 16 hintereinandergeschalteten, kreisförmig angeordneten<br />
Tonbandgeräten. Über die Tonköpfe der Maschinen wird eine Tonbandschleife transportiert.<br />
Die Lautstärke der Geräte ist unterschiedlich justiert, auf den Raum abgestimmt. Die<br />
Tonspur setzt sich zusammen aus hintereinanderkopierten, 1-Meter langen Tonsequenzen,<br />
auf denen eine menschliche Stimme (die der Künstlerin) Tierlaute imitiert. Die<br />
Lautsequenzen wiederholen sich auf unregelmässige Weise und es entsteht so ein (maschinell<br />
erzeugtes) Stimmen-/Lautorchester, das durch den Raumhall noch verstärkt wird. 5<br />
Noch weiter geht die Tonband-Installation Zeitmaschine (1994), die<br />
in den Flottmann-Hallen in Herne gezeigt wurde. Bei dieser Arbeit können<br />
die Besucher selbst über ein Mikrofon auf ein Endlosband sprechen,<br />
das von einem Tonbandgerät zum nächsten läuft, während von anderen<br />
Tonbändern vorher aufgenommene Klänge und Texte kommen:<br />
Das Aufgenommene wird […] mehrfach nacheinander abgespielt, von Tonband zu<br />
Tonband laufend, bis es wieder von einem anderen, präparierten Tonband gelöscht wird.<br />
[Die Installation] ist ein sich selbst und den Ort seiner Ausstellung reproduzierendes und<br />
thematisierendes Kunstwerk. 6<br />
Es wäre naheliegend, diese von Bewegungsmeldern, Mouse-Klicks oder<br />
das Sprechen in Mikrofone gesteuerten oder beeinflussten Arbeiten ›in-<br />
4. Anja Wiese, ›Beep Little Signal.‹ – Anja Wiese, a.a.O., unpaginiert. Die Arbeit wurde<br />
1997 im Forum Bildender Künstler, Essen und in der Galerie Gaby Kraushaar, Düsseldorf,<br />
gezeigt.<br />
5. Inke Arns, ›Gedicht(-Maschine).‹ – Minima Media – Handbuch zur Medienbienale<br />
Leipzig 1994. Hg. Dieter Daniels, Oberhausen: Pitt Verlag und Leipzig: Mencke Presse,<br />
S. 94.<br />
6. Anja Wiese, ›Zeitmaschine.‹ – Unterholz. Katalog zur Ausstellung in den Flottmann-<br />
Hallen Herne, 29.1.–13.3.1994. Hg. Stadt Herne, Emschertalmuseum, S. 42.
teraktiv‹ zu nennen. Doch dieser Begriff ist in den letzten Jahren zu Recht<br />
in Verruf geraten, und er trifft die Arbeiten von Anja Wiese auch nicht<br />
richtig. Als ›interaktive Medienkunst‹ galten in den 80er- und 90er-Jahren<br />
vor allem computerbasierte Arbeiten, bei denen der Betrachter durch<br />
Knopfdruck oder durch das Bedienen von Trackballs oder anderen Eingabeinstrumenten<br />
das Geschehen – in der Regel auf einem Bildschirm<br />
oder einer Videoprojektion – steuern und verändern konnte. Kritiker<br />
warfen vielen dieser Arbeiten zu Recht vor, dass die Wahlfreiheit der<br />
Betrachter durch die Setzungen des Künstlers stark eingeschränkt sei.<br />
Dem Publikum böte sich nicht – wie der Begriff ›interaktiv‹ suggeriert –<br />
die Möglichkeit zu wirklicher Interaktion mit der Arbeit, sondern lediglich<br />
zum Abrufen eines Programms oder einer Reihe von vorgegebenen<br />
Abläufen. Der Betrachter/Benutzer würde nicht zum Mitschöpfer des<br />
Werks, wie von einigen Künstlern und Theoretikern behauptet, eher reagiere<br />
er wie eine Art pawlowscher Hund auf Schlüsselreize, vorprogrammierte<br />
Alternativen und Handlungsvorgaben, bei denen er lediglich ausführe,<br />
was ihm der Künstler vorgesetzt habe. Im extremsten Fall würden<br />
derartige Arbeiten eine Manipulation des Betrachters darstellen statt ihn<br />
in das Entstehen oder das prozesshafte Existieren des Kunstwerks einzubeziehen.<br />
Anja Wieses Arbeiten sind nicht in diesem Sinne interaktiv, obwohl<br />
viele von ihnen ohne die Teilnahme der Betrachter lediglich Ansammlungen<br />
von Geräten, von toter Hardware wären. Doch in den meisten ihrer<br />
Installationen stellt Wiese ihr Publikum nicht vor einfache Alternativen<br />
oder lässt sie mit einem Set von Wahlmöglichkeiten alleine, wie viele interaktive<br />
Arbeiten dies tun. Vielmehr schafft sie für den Zuschauer und<br />
-hörer einen Möglichkeitsraum, in dem er sich selbst mit großer Freiheit<br />
bewegen kann.<br />
Die sensorischen Erfahrungen, die sie ihm bietet, mögen im Einzelfall<br />
verwirrend, ja sogar desorientierend sein. Doch ihre Arbeiten bieten dem<br />
Publikum immer die Möglichkeit, zu dem Gegenstand, zu den Klängen<br />
273<br />
artintact 4
artintact 4<br />
274 und Bildern, die sie ihm zur Verfügung stellt, eine Position einzunehmen<br />
– und das oft in einem sehr konkreten, physischen Sinn. Man kann sich<br />
um ihre Installationen herum, an ihnen vorbei oder in sie hinein begeben<br />
und dadurch zwar nicht das Werk mitschaffen, aber auf jeden Fall eine<br />
Vielzahl verschiedener sinnlicher Erfahrungen auslösen. Dabei stehen die<br />
einzelnen Elemente, aus denen sich diese Erfahrung speist, von vornherein<br />
fest, und Anja Wiese macht kein Geheimnis daraus, dass ihr Publikum<br />
keine Möglichkeit hat, an diesen Vorgaben etwas zu verändern. Trotzdem<br />
sind ihre künstlerischen Werke vieldeutiger, ambivalenter, in ihrem<br />
Sinn und in ihrer medial vermittelten Sinnlichkeit weniger fixiert als die<br />
meisten Werke der ›interaktiven Medienkunst‹.<br />
In vielen Arbeiten [von Anja Wiese] sind die Betrachter auch Beteiligte. Sie stehen ihnen<br />
nicht, jenseits einer ästhetischen Grenzziehung, gegenüber, sondern sind als Zeugen mitten<br />
in die Rauminstallationen hineingestellt. Sie greifen gewollt oder ungewollt, eher aber<br />
zufällig als willentlich, in den Ablauf des Gezeigten und des zu Hörenden ein. 7<br />
Die Arbeiten von Anja Wiese geben nie vor, ihrem Publikum völlige<br />
Freiheit bei der Re-Konstruktion des Materials, das sie vorlegt, zu lassen,<br />
doch sie ermöglicht ihrem Publikum eine Wahl, die über die simple Entscheidung<br />
zwischen einer Reihe von festgelegten Alternativen hinausgeht.<br />
Dabei scheinen ihre Arbeiten oft psychische Wahrnehmungsvorgänge<br />
nachzuvollziehen. Wenn sie einzelne Teile aus dem großen wahrgenommenen<br />
Ganzen herausschält und zu neuen, kursorischen und vielschichtigen<br />
Wahrnehmungsfeldern organisiert, kommt sie der Art und<br />
Weise, wie wir die Wirklichkeit sinnlich aufnehmen, näher als das ein<br />
konventioneller, linear geordneter Film oder ein Hörspiel könnte. In diesem<br />
Sinne sind ihre Arbeiten ›impressionistisch‹: so wie Cézanne von sich<br />
gesagt hat, er male Farbflecken, so arbeitet Anja Wiese mit visuellen und<br />
akustischen ›Flecken‹. Diese zu ordnen und in einen sinnhaften Zusammenhang<br />
zu setzen, überlässt sie dem Betrachter.<br />
7. Thomas Brandt, ›Unbezähmbare Ambivalenz.‹ – Anja Wiese, a.a.O., unpaginiert.
Die kleinen ›Klangflecken‹, die akustischen Samples, die sie in trance<br />
machine dem Betrachter liefert, sind lediglich kursorische Hinweise auf<br />
die Person oder den Bewusstseinszustand, den sie mit dieser Arbeit darstellen<br />
will. Die Arbeit zeichnet kein Bild der Frau, die durch die trance<br />
machine zu uns spricht, sie gibt uns lediglich einige karge, unpersönliche<br />
Hinweise auf Gestimmtheiten und Selbstbeschreibungen, aus denen wir<br />
uns ein eigenes Bild von dem Charakter machen müssen, der sich hier zugleich<br />
offenbart und doch nur wenig von sich preis gibt. Es ist keine große<br />
Selbstdarstellung, keine Heldengeschichte. Was uns die trance machine<br />
erzählt, ist ohne Pathos.<br />
Am Impressionismus wird gerne das Skizzenhafte der Bilder hervorgehoben,<br />
und auch trance machine zeichnet nur ein flüchtiges Portrait der<br />
Frau, die sich hier ausdrückt. trance machine ist wie ein Brettspiel organisiert.<br />
Wenn man lange genug auf die verschiedenen Spulen klickt, ordnen<br />
sich schließlich alle zu Vierergruppen und die Klangfragmente zu vollständigen<br />
Sätzen. Die dünnen, grauen Linien zwischen den Spulen scheinen<br />
einen Zusammenhang zwischen dem Gesagten herzustellen – und<br />
hinterlassen den Betrachter mit dem Wunsch, dass das, was nun übrig geblieben<br />
ist, nicht alles ist, was über die Person, die sich in trance machine<br />
darstellt, zu sagen ist.<br />
275<br />
artintact 4
Biografische Notizen / Biographical Notes<br />
Künstler / Artists<br />
Marina Grzˇinić, geboren 1958 in Rijeka<br />
(früher Jugoslawien, heute Kroatien), lebt<br />
und arbeitet seit 1977 in Ljubljana. Sie promovierte<br />
in Philosophie an der Philosophischen<br />
Fakultät und ist wissenschaftliche<br />
Mitarbeiterin am Institut für Philosophie an<br />
der ZRC SAZU (Wissenschafts- und Forschungszentrum<br />
der Slowenischen Akademie<br />
für Wissenschaft und Kunst), Ljubljana.<br />
Sie arbeitet außerdem freiberuflich als Medientheoretikerin,<br />
Kunstkritikerin und Kuratorin.<br />
Aina S ˇ mid, geboren 1957 in Ljubljana,<br />
lebt und arbeitet in Ljubljana. Sie studierte<br />
Kunstgeschichte an der Philosophischen<br />
Fakultät in Ljubljana und arbeitet als Redakteurin<br />
eines Kunst- und Designmagazins.<br />
Marina Grzˇinić und Aina S ˇ mid beschäftigen<br />
sich seit 1982 mit Videokunst.<br />
Sie haben seitdem in mehr als 30 Videokunstprojekten<br />
zusammengearbeitet, einen<br />
Kurzfilm und zahlreiche Video- und Medieninstallationen<br />
sowie mehrere Fernsehproduktionen<br />
und Dokumentarvideos realisiert.<br />
Marina Grzˇinić & Aina S ˇ mid<br />
Marina Grzˇinić was born in Rijeka (formerly<br />
Yugoslavia, today Republic of Croatia)<br />
in 1958, and has lived and worked in<br />
Ljubljana since 1977. She gained a PhD in<br />
Philosophy at the Faculty of Philosophy<br />
and works as researcher in the Institute of<br />
Philosophy at the ZRC SAZU (Scientific and<br />
Research Center of the Slovenian Academy<br />
of Science and Art), Ljubljana. She is also active<br />
as an independent media theorist, art<br />
critic and curator.<br />
Aina S ˇ mid was born in Ljubljana in<br />
1957, lives and works in Ljubljana. She is an<br />
art historian (Faculty of Philosophy, Ljubljana)<br />
and works as contributing editor for<br />
an art and design magazine.<br />
Marina Grzˇinić and Aina S ˇ mid have<br />
been involved in video art since 1982. Since<br />
that time, they have collaborated in more<br />
than 30 artists’ video projects, made a short<br />
film, and produced numerous video and<br />
media installations. They also directed several<br />
video documentaries and television<br />
productions.<br />
277<br />
artintact 4
artintact 4<br />
278<br />
Auszeichnungen (Auswahl) /<br />
Selected awards<br />
First prize, 3rd international video<br />
Biennial Cankarjev Dom, Ljubljana,<br />
1987<br />
First prize, Biennial video manifestation<br />
Video Susreti, Sarajevo, 1991<br />
First prize, Videonale 5, Bonn, 1992<br />
Special Award, German Award for Video<br />
Art, 1993<br />
First prize for an original video music<br />
composition at Il Coreografo<br />
Elettronico, Naples, 1994<br />
Award, 10th Festival TTVV Riccione, 1995<br />
Award, 38th San Francisco International<br />
Film Festival, San Francisco, 1995<br />
First video award and award as best<br />
women video artists, 1. International<br />
Video Festival, Buenos Aires, 1995<br />
Silver soire award winner, 39th San<br />
Francisco International Film Festival,<br />
San Francisco, 1996<br />
First prize, Video festival, Nuremberg,<br />
2000<br />
Stipendien (Auswahl) /<br />
Selected stipends<br />
Grant of the International Agency U.S.A.<br />
for video art research in New York,<br />
Boston, Chicago, Los Angeles and San<br />
Francisco, 1988 (Marina Grzˇinic´)<br />
Grant as resident artists at The Art Studio,<br />
Banff Centre for the Arts, Banff,<br />
Canada, 1990 (Grzˇinic´ & S ˇ mid)<br />
Fellowship of the Japan Society for the<br />
Promotion of Science, Tokyo, 1997/98<br />
(Marina Grzˇinic´)<br />
Apex curatorial fellowship, New York,<br />
2001 (Marina Grzˇinic´)<br />
Werke (Auswahl) / Selected works<br />
Trenutki odločitve (Moments of Decision),<br />
video, 1985<br />
Os zˇivljenja (Axis of Life), video, 1987<br />
Doma (At Home), 16 mm film, 1987<br />
Gola pomlad (Bare Spring), video, 1987<br />
Deklica z oranzˇo (The Girl With Orange),<br />
video, 1987<br />
Z ˇ ed (Thirst), video, 1989<br />
Bilokacija (Bilocation), video, 1990<br />
Moscow Portraits, video and video installation,<br />
1990<br />
Sejalec (The Sower), video and video<br />
installation, 1991<br />
Tri sestre (Three Sisters), video, 1992<br />
Z ˇ enska, ki nenehno govori (The Woman<br />
Who Constantly Talks), video, 1993<br />
Labirint (Labyrinth), video and video performance,<br />
1993<br />
Transcentrala, video and video installation,<br />
1993<br />
Rdeči čeveljčki (Red Shoes), video, 1994<br />
Luna 10, video and video installation (The<br />
Butterfly Effect of Geography), 1994<br />
Zgodba o metulju (The Butterfly Story),<br />
video and video installation (The<br />
Butterfly Effect), 1994/95<br />
A3 – Apatija, Aids in Antarktika (A3 –<br />
Apathy, Aids and Antarctica), video<br />
and video installation (The Butterfly<br />
Effect), 1995<br />
IRWIN CD-ROM, Model 2000, computer<br />
graphics and animation, 1995<br />
Os zˇivljenja (Axis of Life)<br />
, Website, 1996<br />
Post-socialism + Retro avant garde +<br />
IRWIN, video, 1997<br />
Dan D (Day D), video, 1997<br />
Zvezdogled (Stargazer), video, 1997<br />
LUNA PARK, interactive video installation,
produced by the ICC Biennial ’97,<br />
Tokyo, 1997<br />
O muhah s trznice (On the Flies of the<br />
Market Place), video, 1999<br />
NET.ART.ARCHIVE ,<br />
Website and<br />
interactive multimedia installation,<br />
1999<br />
SILENCE SILENCE SILENCE, video, 2001<br />
Präsentationen (Auswahl) /<br />
Selected screenings<br />
World Wide Video Festival, Den Haag,<br />
jährliche Teilnahme / annually<br />
1986–1995<br />
European Media Art Festival, Osnabrück,<br />
1988/1990/1994/1995/1997<br />
Muu Media Festival, Helsinki, 1990<br />
Videonale, Bonn, 1992<br />
International Video and TV Festival,<br />
Montbeliard, 1992<br />
Grand Prix Video Danse, Paris, 1993<br />
Viper, Lucerne, 1994<br />
London Film Festival, London, 1994<br />
Oberhausen Short Film Festival,<br />
Oberhausen, 1994/1995<br />
Pandæmonium, London Film Festival,<br />
London, 1996<br />
Mediopolis, Berlin, 1996<br />
Videoformes, Clermont-Ferrand, 1996<br />
Fundació La Caixa, Mediatheque,<br />
Barcelona, 1999<br />
Viper, Basel, 2000<br />
14. Stuttgarter Filmwinter, Stuttgart, 2001<br />
Ausstellungen (Auswahl) /<br />
Selected exhibitions<br />
Information Center of the Museum of<br />
Modern Art, Ljubljana, 1991<br />
Europa, Europa. Das Jahrhundert der<br />
Avantgarde in Mittel- und Osteuropa,<br />
Bonn, 1994<br />
I and the Other (Ik + De ander) at the<br />
Beurs Van Berlage, Amsterdam, 1994<br />
Video Viewpoints, Museum of Modern<br />
Art, New York, 1994<br />
ICC Biennial Manifestation, Tokyo, 1997<br />
net_condition, Steirischer Herbst, Graz,<br />
1999<br />
After the wall, Moderna Museet,<br />
Stockholm, 2000<br />
Positionen, Museum 20 Jahre, Vienna,<br />
2000<br />
Broadway gallery 450, New York, 2001<br />
(solo exhibition)<br />
Bibliografie (Asuwahl) /<br />
Selected bibliography<br />
Bücher und Texte von Marina Grzˇinić /<br />
Books and texts by Marina Grzˇinić<br />
Marina Grzˇinić , Alesˇ Erjavec, Ljubljana,<br />
Ljubljana. Ljubljana, 1991.<br />
Marina Grzˇinić, In a Line for Virtual<br />
Bread. Time, Space, the Subject and<br />
New Media in a Year 2000. Ljubljana,<br />
1996.<br />
––, Fiction Reconstructed. New Media,<br />
Video, Art, Post Socialism and the<br />
Retro-Avant-garde. Essays in Theory,<br />
Politics and Aesthetics, Ljubljana,<br />
1997.<br />
Spectralization of Technology: From<br />
Cyberfeminism to Elsewhere and Back.<br />
279<br />
artintact 4
artintact 4<br />
280<br />
Eds. Marina Grzˇinić , Adele Eisenstein,<br />
Maribor: MKC, 1999.<br />
The Body Caught in the Intestines of the<br />
Computer. Eds. Marina Grzˇinić , Adele<br />
Eisenstein, Maribor: MKC, 2000.<br />
Marina Grzˇinić, ‘Exposure Time, the<br />
Aura, and Telerobotics.’ – The Robot<br />
in the Garden: Telerobotics and<br />
Telepistemology in the Age of the<br />
Internet. Ed. Ken Goldberg<br />
Cambridge, Mass.: MIT Press, 2000.<br />
––, ‘Strategies of Visualisation and the<br />
Aesthetics of Video in the New<br />
Europe.’ – Culture and Technology in<br />
the New Europe: Civic Discourse in<br />
Transformation in Post-Communist<br />
Nations. Ed. Laura Lengel, London:<br />
Geboren 1957 in Münster, lebt in Düsseldorf<br />
und Karlsruhe. Studium an der Kunstakademie<br />
Münster 1978–86. 1997 Gastprofessur<br />
an der Hochschule für Künste<br />
Bremen, seit 1997 Professur für Medienkunst<br />
an der Staatlichen Hochschule für<br />
Gestaltung Karlsruhe.<br />
Stipendien und Auszeichnungen /<br />
Stipends and awards<br />
Production Prize, Videonale Bonn, 1986<br />
Karl Schmidt-Rottluff Stipendium, 1990<br />
Förderpreis des Kulturkreises im BDI, 1990<br />
Caspar-von-Zumbusch-Preis, 1990<br />
Förderpreis des Landes Nordrhein-Westfalen,<br />
1991<br />
Special Award, First German Award for<br />
Video Art, 1992<br />
Arbeitsstipendium des Kunstfonds<br />
Bonn, 1993<br />
Ablex Publishing Company, 2000.<br />
––, Fiction Reconstructed. Post Socialism<br />
and the Retro-Avantgarde. Vienna:<br />
Edition selene, 2000.<br />
––, ‘Spectralization of Europe.’ – net_condition.<br />
Eds. Timothy Druckrey, Peter<br />
Weibel, Cambridge, Mass.: MIT Press,<br />
2000.<br />
The Last Futurist Show. Ed. Marina<br />
Grzˇinić, Ljubljana, 2001.<br />
Gallery Dante Marino Cettina – Future<br />
perspectives. Ed. Marina Grzˇinić,<br />
Umag: Gallery Marino Cettina, 2001.<br />
Website<br />
Dieter Kiessling<br />
http://www.ljudmila.org/quantum.east/<br />
Dieter Kiessling was born in Munster in<br />
1957, and lives in Dusseldorf and Karlsruhe.<br />
He studied at the Kunstakademie, Munster,<br />
from 1978 to 1986. He was visiting professor<br />
at the Bremen Academy of Art in 1997,<br />
and in the same year was appointed Professor<br />
of Media Art at the State Academy of<br />
Design, Karlsruhe.<br />
Werke (Auswahl) / Selected works<br />
(o.T. = untitled)<br />
Filmarbeiten / Film works<br />
Mauerfilm (Wall Film), film performance,<br />
1982<br />
o.T. (aufwärts/abwärts laufender Film / upward/downward<br />
running film), film installation,<br />
1982<br />
o.T. (Wasseroberfläche / Water surface),<br />
film installation, 1986
Videobänder / Videotapes<br />
Vorhänge (Curtains), 1982/86<br />
Ausgrabung (Excavation), 1982/87<br />
Fallende Scheibe (Falling Disk), 1986<br />
Fallende Scheibe 3 (Falling Disk 3), 1986<br />
Paternoster, 1987<br />
Fallende Scheibe 4 (Falling Disk 4), 1992<br />
Videoinstallationen / Video installations<br />
Raster, 1982/86<br />
Pendelnder Fernseher (Pendulum TV),<br />
1982<br />
o.T. (Rückansicht der Bildröhre / rear view<br />
of picture tube), 1984<br />
Fallende Scheibe 2 (Falling Disk 2), 1986<br />
o.T. (eingeschalteter/ausgeschalteter<br />
Fernseher / TV set switched on /off),<br />
1988<br />
o.T. (Kerze /candle), 1988<br />
o.T. (Seitenansicht der Bildröhre / side view<br />
of picture tube), 1989<br />
o.T. (Seitenansichten zweier Kameras / side<br />
view of two cameras), 1990<br />
STAY, 1991<br />
o.T. (Video walkman), 1991<br />
Zug (Train), 1992<br />
o.T. (Fernseher mit umgekehrt eingesetzter<br />
Bildröhre / TV set with inverted picture<br />
tube), Fernseherskulptur / TV set sculpture,<br />
1992<br />
Schleuderstern, Fernseherskulptur / TV set<br />
sculpture, 1992<br />
o.T. (Projektion des Rasters eines LCD-<br />
Videoprojektors /projection of the<br />
raster of an LCD video projector), 1993<br />
o.T. (großer Fernseher auf schmalem<br />
Sockel / big TV set on narrow base),<br />
1993<br />
o.T. (rote Glühbirne / red bulb), 1994<br />
o.T. (Fernseher versetzt auf Sockel,<br />
stehend / TV set shifted on base,<br />
upright), 1994<br />
Ventilator, 1994<br />
o.T. (digital gemischte Vorderansichten<br />
zweier Kameras / digitally mixed frontal<br />
views of two cameras), 1995<br />
o.T. (zwei gemischte Ansichten eines<br />
Stabes, mehrere Fassungen / two mixed<br />
views of one rod, several versions), 1995<br />
o.T. (Gegenüberstellung zweier Kameras<br />
und eines Fernsehers / juxtaposition of<br />
two cameras and a TV set), 1995<br />
Staub (Dust), 1996<br />
o.T. (Reflexe zweier Lampen / reflections<br />
of two lamps), 1996<br />
o.T. (3/4 Kameras /3/4 cameras), 1997<br />
Würfel 2 (Dice 2), 2000<br />
Staub 2 (Dust 2), 2000<br />
Objective, 2001<br />
Projektionen / Projections<br />
o.T. (projizierte Neonwerbung / projected<br />
neon advertisement), Diaprojektion /<br />
slide projection, 1987<br />
o.T. (Akropolis / Acropolis), Diaprojektion<br />
/ slide projection, 1987<br />
o.T. (Projektion der Projektionsbirne /<br />
projection of the projection bulb), Projektion<br />
/ projection, 1994<br />
o.T. (Projektion auf vier Nägel / projection<br />
onto four nails), Projektion / projection,<br />
1994<br />
Skulpturen / Sculptures<br />
o.T. (Gipsblock, Strich / plaster block, line),<br />
Skulptur/Zeichnung / sculpture/drawing,<br />
1983<br />
o.T. (Gipswürfel, zwei Striche / plaster<br />
cube, two lines), Skulptur / Zeichnung /<br />
sculpture/drawing, 1983<br />
281<br />
artintact 4
artintact 4<br />
282<br />
o.T. (Kalksandsteine und Betonkeil / sandlime<br />
bricks and concrete wedge), 1984<br />
o.T. (Uhrenwaage /clock scales), 1986<br />
o.T. (Kalksandsteine, Papiertüten / sandlime<br />
bricks, paper bags), 1986<br />
o.T. (Kalksandsteine und Holzkeil / sandlime<br />
bricks and wooden wedge), 1986<br />
Das Messer (The Knife), 1988<br />
o.T. (Zigarettenverpackungskartons /<br />
cigarette cartons), 1989<br />
Die Taschenlampe (The Flashlight), 1989<br />
Schränkchen (Small Cabinet), 1992<br />
Teleskop (Telescope), 1992<br />
o.T. (Glasscheibe, zwei Nägel / glass pane,<br />
two nails), 1995<br />
o.T. (Zwei Fotolampen / Two photolamps),<br />
1999<br />
Verschiedene Fotoarbeiten seit 1987 /<br />
Diverse photo-works since 1987<br />
Ausstellungen (Auswahl) /<br />
Selected exhibitions<br />
(Kat. = Katalog / catalogue)<br />
Einzelausstellungen /<br />
Solo exhibitions<br />
Galerie Hake, Munster, 1987; Wiesbaden,<br />
1988<br />
Städt. Museum Abteiberg, Mönchengladbach,<br />
1989 (Kat.)<br />
Thomas Backhauß Galerie, Dusseldorf,<br />
1991<br />
Räume für neue Kunst, Rolf Hengesbach,<br />
Wuppertal, 1994/1996/2001<br />
Gesellschaft für Aktuelle Kunst, Bremen,<br />
1995 (Kat.)<br />
Kunstraum, Wuppertal, 1996<br />
Saint-Gervais Genève, Geneva, 1997<br />
Gruppenausstellungen (Auswahl) /<br />
Selected group exhibitions<br />
Videonale, Bonn, 1986/1988/1990 (Kat.)<br />
Elektronische Künste, Wissenschaftszentrum,<br />
Bonn, 1986 (Kat.)<br />
Infermental 6, Edition Vancouver, 1987<br />
Ars Electronica, Linz, 1987<br />
Neues Video aus der BRD, Museum für<br />
Gegenwartskunst, Basel, 1987 (Kat.)<br />
2nd Fukui International Video Biennal,<br />
Fukui, Japan, 1988 (Kat.)<br />
Video-Skulptur retrospektiv und aktuell<br />
1963 –1989, Kölnischer Kunstverein,<br />
Cologne; Kongresshalle, Berlin; Kunsthaus,<br />
Zurich, 1989 (Kat.)<br />
Multimediale, ZKM, Karlsruhe,<br />
1991/1993/1995 (Kat.)<br />
Wortlaut, Galerie Vaclava Spaly, Prague,<br />
1991 (Kat.)<br />
Avantgarde Reflex Ost-West, Altes<br />
Rathaus, Potsdam, 1992 (Kat.)<br />
Gegenbilder, Ausstellung in Münsteraner<br />
Kirchen, Munster, 1993 (Kat.)<br />
Medienbiennale, Leipzig, 1994 (Kat.)<br />
Videoskulptur in Deutschland seit 1963,<br />
Kunsthalle, Rostock; Centrum<br />
Beeldende Kunst, Groningen; World<br />
Wide Video Centre, The Hague; Museum<br />
van Hedendaagse Kunst, Ghent;<br />
Circulo de Bellas Artes, Madrid; Galeria<br />
Zach˛eta, Warsaw, 1994 (Kat.)<br />
Videobrasil, Sesc Pompeji, São Paulo, 1994<br />
(Kat.)<br />
Art & Electronics, Pao Gallerys, Hong<br />
Kong Arts Centre, Hong Kong, 1995<br />
(Kat.)<br />
European Media Art Festival, Osnabrück,<br />
1995 (Kat.)<br />
Kwangju Biennale, Kwangju, Korea, 1995<br />
(Kat.)
Electronic Undercurrents, Statens Museum<br />
for Kunst, Copenhagen, 1996 (Kat.)<br />
Objekt Video, Oberösterreichische Landesgalerie,<br />
Linz, 1996 (Kat.)<br />
Der Traum vom Sehen, Gasometer, Oberhausen,<br />
1997<br />
Video Positive: Escaping Gravity, Cornerhouse,<br />
Manchester, 1997 (Kat.)<br />
Galerie Gaby Kraushaar, Dusseldorf, 1997<br />
Zones of Disturbences, Steirischer Herbst,<br />
Graz, 1997 (Kat.)<br />
Minimal / Maximal, Neues Museum<br />
Weserburg, Bremen, 1998 (Kat.)<br />
Blickwechsel, Museum für Neue Kunst,<br />
ZKM, Karlsruhe, 1998<br />
11th Biennale of Sydney, Sydney, 1998<br />
(Kat.)<br />
Kunstpreis der Böttcherstrasse in Bremen,<br />
Kunsthalle, Bremen, 1999 (Kat.)<br />
Contact Zones: The Art of CD-ROM, Centro<br />
de la Imagen, Mexico City, 1999<br />
(Kat.)<br />
Minimal /Maximal, Centro Galego de Arte<br />
Contemporanea, Santiago de Com-<br />
postela, Spain, 1999 (Kat.)<br />
Rewind to the Future, Bonner Kunstverein,<br />
Bonn; Neuer Berliner Kunstverein,<br />
Berlin, 1999 (Kat.)<br />
Orbis Terrarum, Plantin-Moretus<br />
Museum, Antwerp, 2000 (Kat.)<br />
One of those Days, Mannheimer Kunstverein,<br />
Mannheim, 2000 (Kat.)<br />
Die Künstlerstiftung, 25 Jahre Karl<br />
Schmidt-Rottluff Stipendium, Kunsthalle<br />
Dusseldorf, 2000 (Kat.)<br />
Big Nothing, Staatliche Kunsthalle, Baden-<br />
Baden, 2001 (Kat.)<br />
Vor-Sicht Rück-Sicht, 8. Triennale Kleinplastik,<br />
Fellbach, 2001 (Kat.)<br />
Minimal / Maximal, Chiba City Museum of<br />
Art, Chiba; The National Museum of<br />
Art, Kyoto; Fukuoka Art Museum,<br />
Fukuoka, Japan, 2001 (Kat.)<br />
Website<br />
http://www.dieter-kiessling.de<br />
283<br />
artintact 4
artintact 4<br />
284<br />
Geboren 1962 im Ruhrgebiet, Deutschland.<br />
Sie studierte Bildende Kunst an der Kunstakademie<br />
Münster und Sozialwissenschaften<br />
an der Westfälischen Wilhelms Universität<br />
Münster. 1985 wechselte sie an die<br />
Kunstakademie Düsseldorf und wurde 1989<br />
Meisterschülerin von Guenther Uecker.<br />
1992 beendete sie ihr Studium mit dem ersten<br />
Staatsexamen und absolvierte anschließend<br />
ein Zusatzstudium der Audiovisuellen<br />
Medien an der Kunsthochschule für Medien<br />
in Köln. 1993–96 war sie künstlerische Mitarbeiterin<br />
an der Fakultät Gestaltung der<br />
Bauhaus Universität Weimar, seit 1996 ist<br />
sie Professorin für Gestaltungslehre, Rauminszenierung<br />
und Video im Fachbereich<br />
Gestaltung der Fachhochschule Bielefeld.<br />
Anja Wiese arbeitet mit neuen und alten<br />
Medien im Raum. Sie lebt in Düsseldorf.<br />
Werke / Works<br />
Lichtinstallationen / Light installations<br />
Tresor (Safe), 1986<br />
Lichtwürfel und Windmühle Kalkar (Light<br />
Cube and Windmill, Kalkar), 1988<br />
Sysiphus’ Atem (Sysiphus’ Breath), 1989<br />
Hommage à Richard Long, 1989<br />
Leucht-Turm (Light-Tower), 1991<br />
Klang- und Tonbandinstallationen /<br />
Sound and tape installations<br />
Romeo & Julia (Romeo & Juliet), 1988<br />
Das Pfingstwunder (The Pentecostal<br />
Miracle), 1990<br />
Erstes Rätsel (First Puzzle), 1992<br />
Zeitmaschine (Time Machine), 1994<br />
Anja Wiese<br />
Anja Wiese was born in the Ruhr district of<br />
Germany in 1962. She began her studies<br />
with Fine Arts at the Kunstakademie in<br />
Munster, and Social Sciences at the Westfälische<br />
Wilhelms Universität, Munster. In<br />
1985, she changed to the Kunstakademie in<br />
Dusseldorf, graduated in 1992, and completed<br />
a supplementary course of studies in<br />
Audiovisual Media at the Academy of<br />
Media Arts, Cologne. From 1993 to 1996<br />
she worked as artistic collaborator at the<br />
Design Faculty of the Bauhaus Universität,<br />
Weimar; since 1996 she has been Professor<br />
of Design Studies, ‘Rauminszenierung’ and<br />
Video in the Design Faculty of the Fachhochschule<br />
Bielefeld. She employs both<br />
new and traditional media in her installations<br />
and environments. She lives in Dusseldorf.<br />
Civilized Animism/Gedichtmaschine<br />
(Civilised Animism/Poem Machine),<br />
1994<br />
Hier-Jetzt Unterbrecher (Here-and-Now<br />
Interruptor), Tonbandinstallation / tape<br />
installation, 1996<br />
Erfassungsbereich (Registration Range), interaktive<br />
Klanginstallation / interactive<br />
sound installation, 1996<br />
Kriegstagebuch, Audio-Installation mit<br />
Diktiergeräten/Elektronik / audio<br />
installation with dictaphones and<br />
electronic equipment, 1999<br />
Videoinstallationen / Video installations<br />
Himmel auf Erden (Heaven On Earth),<br />
1993<br />
Zerteiler (Divider), 1995
Imperials, Audio-Videoinstallation für 21<br />
Monitore / audio-video installation for<br />
21 monitors, 1998<br />
Seven, Audio-Videoinstallation für 7 Monitore<br />
/ audio-video installation for<br />
7 monitors, 2000<br />
Environments<br />
Unbezähmbare Ambivalenz (Untameable<br />
Ambivalence), 1987<br />
Ähnliche Einsamkeit (Similar Loneliness),<br />
1987<br />
Geschichte (History), 1992<br />
Die Einzige (The Singular One), Interaktives<br />
Environment / interactive environment,<br />
1995<br />
Andere / Others<br />
Dschungelmusik (Jungle Music), Hologramm<br />
/ hologram, 1985<br />
To maintain the system, that’s stupid, I<br />
mean, Beschallung / acoustic irradiation,<br />
1986<br />
East-West-Drawing, Fax Konzept / fax<br />
concept, 1994<br />
Die Dritte Person (The Third Person)<br />
(mit/with Barbara Köhler), Wandinstallation<br />
mit Text auf Glas / wall installation<br />
with text on glass, 1998<br />
Ausstellungen (Auswahl) /<br />
Selected exhibitions<br />
(Kat. = Katalog / catalogue)<br />
Einzelausstellungen /<br />
Solo exhibitions<br />
Galerie Brusten, Wuppertal, 1987<br />
Galerie Raum 1, Dusseldorf, 1989<br />
Vereinigte Kesselwerke, Dusseldorf, 1995<br />
Kunstraum Dusseldorf, 1996 (Kat.)<br />
Kulturforum Alte Post, Neuss, 1998 (Kat.)<br />
Seven, ehemalige Synagoge, Drensteinfurt,<br />
2000<br />
Gruppenausstellungen(Auswahl) /<br />
Selected group exhibitions<br />
Gesehen, Akademieforum in Munster,<br />
1985<br />
Das Programmatische Sommerloch,<br />
Galerie Raum 1, Dusseldorf, 1986<br />
Raumformungen, Galerie der Hochschule<br />
der Künste, Braunschweig, 1987<br />
Das Geheimnis einer Jungen Haut,<br />
Emschertalmuseum Herne, 1988<br />
Forum Junger Kunst, Städtisches Museum<br />
Kalkar, 1989 (Kat.)<br />
Fremde, Galerie Maerz, Linz, 1990<br />
Knotenpunkt, ehemaliges Stasi-Hauptquartier,<br />
Chemnitz, 1990<br />
Forum Junger Kunst 91, Kunsthalle zu<br />
Kiel; Städtische Galerie Wolfsburg;<br />
Museum Bochum, 1991 (Kat.)<br />
Exakte Vertrauensgrenzen, Künstlerhaus<br />
Dortmund, 1991<br />
Tiefgang – Bildräume im Schloßbunker,<br />
Mannheim, 1992 (Kat.)<br />
Zehn Jahre Künstlerhaus Dortmund,<br />
Künstlerhaus Dortmund, 1993 (Kat.)<br />
The 7th Pusan Biennial, Pusan Cultural<br />
Center, South Korea, 1994 (Kat.)<br />
Medienbiennale, Leipzig, 1994 (Kat.)<br />
Klang-Telefon, Munster, 1995<br />
49. Bergische Kunstausstellung – Raumgreifende<br />
Kunst, Deutsches Klingenmuseum/Städtische<br />
Galerie Solingen,<br />
1995 (Kat.)<br />
Dialoge – Die verlorene Idee von der Ordnung<br />
der Dinge, Atatürk Kulturzentrum<br />
Istanbul; Kunstpalast Dusseldorf,<br />
285<br />
artintact 4
artintact 4<br />
286<br />
1996 (Kat.)<br />
Oir es Ver/Hören ist Sehen, radio project<br />
with exhibition, Expouniversidad ’96,<br />
Universidad De Antioquia, Medellin,<br />
1996 (Kat.)<br />
Letzter Aufguß, Saunaabteilung des ehemaligen<br />
Wellenbades Dusseldorf, 1996<br />
(Kat.)<br />
Un-Frieden. Sabotage von Wirklichkeiten,<br />
Kunstverein und Kunsthaus Hamburg,<br />
1996–97 (Kat.)<br />
Labor-Techno, Forum Bildender Künstler,<br />
Essen, 1997 (Kat.)<br />
Kimchi und Sauerkraut, Galerie Münsterland,<br />
Emsdetten1997, (Kat.)<br />
Galerie Gaby Kraushaar, Dusseldorf, 1997<br />
Am Fenster (mit/with Barbara Köhler),<br />
Landtag NRW, Dusseldorf, 1998<br />
Verborgene Orte, Brücke von Remagen,<br />
Erpel, 1999 (Kat.)<br />
Warum ist Zeichnung so schön, Galerie<br />
Gaby Kraushaar, Dusseldorf, 1999<br />
Bleibe!, Akademie der Wissenschaften,<br />
Berlin, 2000 (Kat.)<br />
Hören ist Sehen/oir es ver/to hear is to see,<br />
Austrian Cultural Institute Istanbul,<br />
Tercera, Bienal de Radio, Mexico, 2000<br />
(Kat.)<br />
von Haus zu Haus, Westdeutscher Künstlerbund<br />
im Museum der Stadt/Städtische<br />
Galerie Lüdenscheid, 2000 (Kat.)<br />
Gruppenausstellung koreanisch-deutscher<br />
Künstler in Seoul/Südkorea, Städtisches<br />
Museum, Seoul, 2001 (Kat.)<br />
Videos von Künstlern, Kunsthalle, Recklinghausen,<br />
2001<br />
total 3000, Projekt im Einkauszentrum, Essen-Altenessen,<br />
2002<br />
Kunstverein Münsterland (mit/with Suse<br />
Wiegand), Coesfeld, 2002<br />
Website<br />
http://www.anjawiese.de
Biografische Notizen / Biographical Notes<br />
Autoren / Authors<br />
Geboren 1966 in Würzburg, Redakteur der<br />
Berliner Zeitung. Tilman Baumgärtel ist<br />
Mitglied der Medieninitiative mikro e.V.,<br />
Berlin, und Mitgründer und Moderator von<br />
Rohrpost, einer Mailingliste für Netzkultur.<br />
Im Sommersemester 2000 hatte er eine Vertretungsprofessur<br />
für Medienwissenschaft<br />
an der Universität Paderborn und im Sommer<br />
2001 war er Gastdozent an der Kunstakademie<br />
Riga. Veröffentlichungen: Vom<br />
Guerillakino zum Essayfilm: Harun Farocki<br />
– Werkmonographie eines Autorenfilmers<br />
(1998), net.art – Materialien zur Netzkunst<br />
(1999), net.art 2.0 – Neue Materialien zur<br />
Netzkunst (2001).<br />
Tilman Baumgärtel<br />
Marina Grzˇinić<br />
siehe Seite 277 see page 277<br />
Tilman Baumgärtel was born in Würzburg<br />
in 1966. He is on the editorial staff of the<br />
Berliner Zeitung newspaper in Berlin,<br />
where he is also active in the ‘mikro’ project<br />
and a presenter of Rohrpost, a Net-culture<br />
mailing list that he co-founded. He was<br />
commissary professor of media studies at<br />
Paderborn University in summer semester<br />
2000, and guest lecturer at the Art Academy<br />
of Riga, Lithuania, in summer 2001. Publications:<br />
Vom Guerillakino zum Essayfilm:<br />
Harun Farocki – Werkmonographie eines<br />
Autorenfilmers (1998), net.art – Materialien<br />
zur Netzkunst (1999), net.art 2.0 – Neue<br />
Materialien zur Netzkunst (2001).<br />
287<br />
artintact 4
artintact 4<br />
288<br />
John G. Hanhardt ist leitender Kurator für<br />
Film und Medienkunst am Solomon R.<br />
Guggenheim Museum, New York. Zuvor<br />
war er über 20 Jahre Abteilungsleiter und<br />
Kurator für Film und Videokunst am Whitney<br />
Museum of American Art, New York.<br />
Er kuratierte dort u.a. die Ausstellungen<br />
Re-Visions: Projects and Proposals in Film<br />
and Video (1979), eine Retrospektive zu<br />
Nam June Paik (1982) sowie die erste<br />
Warhol-Museumsretrospektive The Films<br />
of Andy Warhol (1988). Außerdem war er<br />
für die Videoauswahl der Whitney Biennalen<br />
von 1975 bis 1995 verantwortlich. Von<br />
1972–74 war er Koordinator für Film am<br />
Walker Art Center, Minneapolis. Er hat an<br />
verschiedenen Universitäten und Hochschulen<br />
unterrichtet, u.a. an der Columbia<br />
University und am School of the Art Institute<br />
of Chicago.<br />
Kathy Rae Huffman ist seit 2000 Leiterin<br />
der Hull Time Based Arts, Hull. Von<br />
1998–2000 war sie Gastprofessorin für<br />
elektronische Kunst und Leiterin des Programms<br />
Electronic Media Arts and Communication<br />
(EMAC) am Rensselaer Polytechnic<br />
Institute, Troy, New York. Als<br />
freiberufliche Kuratorin, Künstlerin, Autorin<br />
und Netzwerkerin lebte sie von 1991–98<br />
in Österreich. Als Autorin schreibt Huffman<br />
u.a. für Telepolis, Rhizome, ISEA und<br />
andere online-Magazine. Zu ihren aktuellen<br />
Projekten als Kuratorin gehört [e]dentity,<br />
ein Programm, das Videoarbeiten von<br />
Künstlerinnen vorstellt und zeigt, auf welche<br />
Weise sich weibliche Identität in online-Umgebungen<br />
ausdrückt.<br />
John G. Hanhardt<br />
Kathy Rae Huffman<br />
John G. Hanhardt is Senior Curator of Film<br />
and Media Arts at the Solomon R. Guggenheim<br />
Museum, New York, where for over<br />
20 years he was Curator of Film and Video<br />
and Head of the Department at the Whitney<br />
Museum of American Art. During that<br />
time he curated exhibitions including Re-<br />
Visions: Projects and Proposals in Film and<br />
Video (1979), the retrospective Nam June<br />
Paik (1982) and, as the first museum retrospective<br />
devoted to Warhol, The Films of<br />
Andy Warhol (1988). Additionally, he made<br />
the film and video selections for the Whitney<br />
Biennials from 1975 to 1995. He was<br />
Film Coordinator at the Walker Art Center<br />
in Minneapolis from 1972 to 1974. He has<br />
taught at a number of institutions, including<br />
Columbia University and the School of the<br />
Art Institute of Chicago.<br />
Before being appointed director of Hull<br />
Time Based Arts in 2000, Kathy Rae Huffman<br />
was from 1998 to 2000 Associate Professor<br />
of Electronic Art, and director of<br />
EMAC, the Electronic Media Arts and<br />
Communication program, at Rensselaer<br />
Polytechnic Institute, Troy, New York.<br />
From 1991 to 1998, she was based in Austria<br />
as a freelance artist, curator, writer and networker.<br />
She writes for Telepolis, Rhizome,<br />
ISEA and other online journals. Huffman‘s<br />
recent curatorial work includes [e]dentity, a<br />
program of video works by women showing<br />
how female identity is expressed in online<br />
environments.
Geboren 1966 in Münster (Westfalen), lebt<br />
in Münster. Carina Plath studierte Kunstgeschichte,<br />
Klassische Archäologie und Romanistik<br />
in Münster, Bologna, München<br />
und Bochum, promovierte über Maria<br />
Nordman und die kalifornische Kunst der<br />
70er Jahre und war als Kunstkritikerin u.a.<br />
für Das Kunst-Bulletin, Zürich, tätig. Von<br />
1999–2001 nahm sie am Kuratorenprogramm<br />
des Center for Curatorial Studies,<br />
Bard College, New York, teil und kuratierte<br />
dort die Ausstellung image a new.<br />
Seit 2001 ist sie Direktorin des Westfälischen<br />
Kunstvereins Münster.<br />
Astrid Sommer studierte Angewandte<br />
Theaterwissenschaft in Giessen und<br />
arbeitet als freiberufliche Redakteurin,<br />
Dramaturgin und Übersetzerin, u.a. seit<br />
1993 für das ZKM-Institut für Bildmedien.<br />
Carina Plath<br />
Astrid Sommer<br />
Carina Plath was born in Munster, Westphalia,<br />
in 1966. After studying art history,<br />
classical archaeology and Romance languages<br />
and literatures in Munster, Bologna,<br />
Munich and Bochum, she obtained a PhD<br />
on Maria Nordman and 1970s Californian<br />
Art. She was an art critic for journals including<br />
Das Kunst-Bulletin, Zurich. From<br />
1999 to 2001, she attended the Center for<br />
Curatorial Studies, Bard College, New<br />
York, where she curated the show image a<br />
new. She was appointed director of the<br />
Westfälischer Kunstverein, Munster, in<br />
2001.<br />
A graduate of theatre studies, Astrid Sommer<br />
works as a freelance editor, dramaturg<br />
and translator, and has been associated with<br />
the ZKM-Institute for Visual Media since<br />
1993.<br />
289<br />
artintact 4
artintact 4<br />
290 Impressum /Colophon<br />
Herausgeber /<br />
Publisher<br />
ZKM/Zentrum für Kunst<br />
und Medientechnologie<br />
Karlsruhe<br />
Konzept / Concept<br />
Jeffrey Shaw<br />
Redaktion / Editor<br />
Astrid Sommer<br />
Gestaltung / Design<br />
Holger Jost<br />
Übersetzungen /<br />
Translators<br />
Thomas Morrison<br />
Astrid Sommer<br />
Englisches Lektorat /<br />
English proofreading<br />
Thomas Morrison<br />
CD-ROM-Produktion /<br />
CD-ROM production<br />
Volker Kuchelmeister<br />
Mitarbeit / assisted by:<br />
Kevin McTavish<br />
Wolfgang Münch<br />
© 2002 der Essays bei den<br />
Autoren und ZKM Karlsruhe<br />
/ Essays © 2002 by the<br />
authors and ZKM Karlsruhe<br />
© 2002 der Werke bei den<br />
Künstlern / Artworks<br />
© 2002 by the artists<br />
© 2002 der Screenshots bei<br />
den Künstlern / Screenshots<br />
© 2002 by the artists
291<br />
artintact 4
artintact 5<br />
CD-ROMagazin<br />
interaktiver Kunst<br />
ZKM/Zentrum<br />
für Kunst<br />
und Medientechnologie<br />
Karlsruhe<br />
Artists’interactive<br />
CD-ROMagazine<br />
ZKM/Center<br />
for Art and Media<br />
Karlsruhe<br />
Hatje Cantz [1999/2002]
artintact 5<br />
Inhalt<br />
297<br />
Editorial<br />
299<br />
PVC – Performance<br />
VideoComputer<br />
Gerhard Johann<br />
Lischka<br />
Forced Entertainment &<br />
Hugo Glendinning: Frozen<br />
Palaces (Chapter One)<br />
311<br />
Gute Orte<br />
Tim Etchells<br />
321<br />
Der Raum der<br />
Performance<br />
Peggy Phelan
Agnes Hegedüs:<br />
Things Spoken<br />
331<br />
Die Künste des Selbst<br />
Tjebbe van Tijen<br />
Masaki Fujihata:<br />
Impalpability<br />
355<br />
Vom Berühren des<br />
Unfaßbaren<br />
Hans-Peter Schwarz<br />
360<br />
Sehen, Berühren,<br />
Imaginieren<br />
Masaki Fujihata<br />
371<br />
Biografische Notizen:<br />
Künstler<br />
380<br />
Biografische Notizen:<br />
Autoren<br />
383<br />
Impressum<br />
artintact 5
Es ist kein Zufall, daß – wie im vorliegenden<br />
Band Agnes Hegedüs und Masaki Fujihata<br />
– viele der in den bisherigen artintact-<br />
Ausgaben vorgestellten Medienkünstler<br />
mit ihren Hauptwerken auch im ZKM-<br />
Medienmuseum vertreten sind.<br />
Das Medienmuseum ist als produktives<br />
Kunstmuseum konzipiert worden und<br />
versucht, diesem Anspruch gerecht zu<br />
werden, indem es die Medienkunst nicht<br />
von einem Stand der Abgeschlossenheit<br />
betrachtet, die zeitgenössische Avantgarde<br />
nicht musealisiert und damit in ihrer subversiven<br />
Stoßrichtung entschärft. Das<br />
Medienmuseum will vielmehr Erfahrungen<br />
mit einer Kunst ermöglichen, die nicht auf<br />
objekthafte Artefakte fixiert ist, sondern<br />
einen Rezeptionsprozeß auslöst, der, vom<br />
realen Raum des Museums ausgehend, sich<br />
in die virtuellen Räume erstreckt, die von<br />
den verschiedenen Medienkünstlerinnen<br />
und -künstlern mit sehr unterschiedlichen<br />
und immer eigen-sinnigen architektonischen<br />
Konzepten errichtet werden. Die<br />
ephemere, die ›wilde‹ Moderne ist ja immer<br />
wieder der wichtigste Motor einer Erneuerung<br />
der formalen und inhaltlichen Struktur<br />
der Kunst des 20. Jahrhunderts gewesen.<br />
Aufgehoben wurde sie allerdings meist nur<br />
in literatischen Formaten oder in archivalischen<br />
Beispielsammlungen, selten oder nie<br />
in den Dauerausstellungen großer Museen.<br />
Das hat seinen Grund nicht nur in der<br />
traditionellen objektorientierten Interessenslage<br />
der Museen, sondern auch im<br />
Anspruch der Künstler, die ja gerade die zu<br />
engen Grenzen der traditionellen Kunstinstitutionen<br />
aufsprengen wollen. Mit dem<br />
Editorial<br />
mehr oder weniger freiwilligen Verzicht,<br />
das Museum als Treffpunkt zwischen<br />
Künstler, Kunstwerk und Publikum zu<br />
nutzen, verschärft sich aber gleichzeitig<br />
einer der grundlegenden Konflikte im<br />
Verhältnis zwischen Avantgardekünstler<br />
und Kunstpublikum: Die Rezeption von<br />
Kunst, gerade auch diejenige von neuen,<br />
ungewohnten künstlerischen Ausdrucksformen,<br />
ist immer auf das Vergleichen mit<br />
anderen Kunstwerken und vor allem auf die<br />
zeitlich nicht eingegrenzte Möglichkeit,<br />
Erfahrung mit dem Neuen zu machen,<br />
angewiesen.<br />
Durch die enge Zusammenarbeit mit<br />
dem ZKM-Institut für Bildmedien und dem<br />
ZKM-Institut für Musik und Akustik gelingt<br />
es dem Medienmuseum, gemeinsam<br />
mit Künstlern, Wissenschaftlern und auch<br />
mit den Besuchern, eine Plattform für diese<br />
Erfahrung zu errichten, auf der die Kunstwerke<br />
nicht in musealer Distanz erstarren,<br />
sondern den Besuchern, aber auch den<br />
Künstlern selbst immer wieder neue Perspektiven<br />
zur Veränderung ihrer Denkund<br />
Sehweisen bieten. Das Medienmuseum<br />
richtet seinen Blick nicht nur in die<br />
Geschichte hinein, sondern auch in die<br />
Zukunft, betrachtet sich als Wegbegleiter<br />
einer Kunst, die, und das zeigen nicht zuletzt<br />
die drei in dieser Ausgabe von artintact<br />
vorgestellten künstlerischen Arbeiten, ihre<br />
Grenzen noch lange nicht ausgelotet hat.<br />
Hans-Peter Schwarz<br />
Direktor des ZKM-Medienmuseums<br />
1992–2000<br />
297<br />
artintact 5
PVC 1<br />
PerformanceVideoComputer<br />
Projektion und Reflexion /<br />
Produktion und Rezeption<br />
Von Gerhard Johann Lischka<br />
Unser Leben wickelt sich heute in extremem Maße in der Polarisierung<br />
von Geist und Körper ab: von Mediatisierung und Verkörperung. Überzeitliche<br />
Images prallen auf unseren vergänglichen Körper. Wir möchten<br />
die körperlichen Gebrechen besiegen, spüren aber die irdische Schwere,<br />
der die Medien scheinbar entkommen. Da unser Körper jedoch selbst ein<br />
Medium (der Gesellschaft) ist, kann dieser Konflikt, wird er poetisch angegangen,<br />
sowohl in den (neuen) Medien als auch in der darstellenden<br />
Kunst (der Körperkunst, der Performancekunst etc.) auf mannigfache<br />
Art gelöst werden. Im Hier und Jetzt als Ereignis und verdichtete Atmosphäre<br />
des Zusammenseins und in künstlerisch bewältigten Medien, die<br />
in dauerhaften Formen Inhalte vermitteln.<br />
1. Unter dem Kürzel PVC engagieren wir uns seit einigen Jahren für künstlerische/poetische<br />
Äußerungen, die in den Bereichen Performance, Video und Computer geschaffen<br />
werden. Dabei signalisiert das ›Werden‹ unsere Vorstellung von der Dynamik der Entfaltung<br />
und Offenheit in diesen Bereichen. Sie orientiert sich an Aktivität und Experiment,<br />
an Dialog und der Konstruktion von Sinn. Wobei die Beteiligung am Prozeß der<br />
Rezeption und Produktion im Zentrum der ständigen Suche liegen.<br />
Gerade im Rahmen der Kunst macht sich heute ein ihr eigentlich zuwider laufender<br />
Konservatismus breit, der nur noch das bereits Bekannte, Etablierte und Erfolgreiche als<br />
Kunst (= Qualität) definiert. Der Wiedererkennungsfaktor ist zum Garanten für Werte<br />
geworden, die aber auch erkämpft werden mußten, nicht gegeben waren. Eine Ideologie<br />
des Besser- und Bescheidwissens erstickt die Offenheit des Kunstwerkes, sowohl auf<br />
Seiten der Produzenten als auch auf der der Rezipienten.<br />
So ist bei aller Bewunderung der neuen Museumspaläste und -kathedralen das Kon-<br />
299<br />
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300<br />
Unser Weltbild ist der Prozeß der Reflexion und Projektion auf der<br />
von innen und von außen bespielten ›Leinwand‹ unserer Wahrnehmung.<br />
Deshalb sind wir alle Interfaces, Mediatoren oder Kreateure im Fluß der<br />
Mediatisierung. Wir sind Produzenten und Rezipienten an der Schnittstelle<br />
zwischen Individuum und Gesellschaft. Wir sind auf uns gestellt<br />
und doch immer mit den anderen, auch gegen sie. Dieses ständige Hin<br />
und Her, dieses Oszillieren unserer Wahrnehmung und Handlungen<br />
macht uns zu Akteuren des Dramas des Lebens, dem kein Lebewesen entkommt.<br />
Auf einer alltäglichen Basis sind wir alle Darsteller einer oder<br />
mehrerer Rollen, die wir mal besser, mal schlechter zu spielen imstande<br />
sind. In diesem Drama ist jeder Hauptdarsteller, sich am nächsten und,<br />
solange die Kraft und Energie reicht, willentlich und unwillentlich beteiligt.<br />
Und unweigerlich endet das Spiel für jeden mit dem Tod.<br />
Der Tod ist das große Mysterium, um das sich Religion und Kunst<br />
ranken und entwickeln konnten. Der Tod ist ein Abschied für immer,<br />
weshalb er in vielen Kulturen als Ankunft im Anderswo gedeutet wird.<br />
Damit seine Brutalität gebrochen und der Schmerz, der uns und uns Nahestehenden<br />
damit beigefügt wird, gelindert wird, haben wir Vorstellungen<br />
des jenseitigen Lebens etabliert, die in diesem Jahrhundert jedoch<br />
servieren von aktueller Kunst wichtiger als das Diskutieren (Akzeptieren und Verwerfen)<br />
von Kunst, als der poetische Akt. Was doch widersinnig ist. Wir werden vom Gegebenen<br />
überrollt, von einem feststehenden Zustand, der unsere Vorstellungskraft nicht<br />
entflammt, sondern eben fixiert.<br />
Die den Performances, Videos und dem Computer innewohnenden Möglichkeiten<br />
werden selbstverständlich im selben Maße für eine Konsolidierung verwendet, wie das<br />
bei der Museifizierung der Fall ist. Performance ist Show und Soap Opera, Videos sind<br />
Sex-and-Crime-Filme oder der zumeist phantasielose Haufen von Musik-Videoclips,<br />
und der Computer dient dem Business und ist das Business. Diese klischierte Verwendung<br />
von PVC erzwingt geradezu einen anderen, einen freien Umgang mit diesen Medien.<br />
Wir sind auf der Suche danach, indem wir uns auf Projekte einlassen, die anderes<br />
projizieren und dies wiederum reflektieren. Wir hinterfragen unsere Repräsentationen,<br />
um neue Konstruktionen zu präsentieren.
üchig geworden sind. An die Stelle des Jenseits mit seinen Ewigkeitsprophezeiungen<br />
von Freude oder Qual, von Himmel und Hölle, treten<br />
die in der Kunst angelegten Qualitäten mit Langzeitwert. Und ganz allgemein<br />
soll sich das Glück nicht erst im Jenseits einstellen, sondern im<br />
Hier und Jetzt erfüllen, in Verehrung diesseitiger Werte und Images und<br />
der Sättigung des Hungers nach Erlebnissen.<br />
So gesehen hatten wir ehemals Heilsversprechungen für das Jenseits<br />
und heute Wunscherfüllung im Diesseits. Sobald aber Werte von längerer<br />
Dauer ins Spiel kommen, werden sie von der Kunst repräsentiert. Ihre<br />
Mittler und Gestalter sind die Künstler. Sie begeben sich auf die Suche<br />
nach dem Drama im Drama oder nach einem das Drama des Lebens überhöhenden,<br />
längere Zeit für verbindlich erachteten Ausdruck für dieses in<br />
einer nun gebrochenen, indirekten Form.<br />
Doch wie kommen wir mit der Direktheit des künstlerischen Ausdrucks<br />
zu künstlerischen Werten, ohne eine auf lange Zeit hin angelegte<br />
Form? Zunächst, indem wir Direktheit als Unmittelbarkeit so definieren,<br />
daß sie in ihrer momentanen Form aus vielen mittelbaren Schritten sich<br />
gebildet hat. Viel Erfahrung steht hinter ihr, viele Einflüsse und das Wechselspiel<br />
mit der allgemeinen Situation. Als weiteres Konstituens der Performancekunst<br />
genannten Direkt-Darstellung gilt, daß sie als einzelne<br />
Aufführung ein Teil im System des Performancekünstlers ist. Erst die<br />
Kette der Performances weist den Künstler als solchen aus. Wir sehen<br />
Entwicklungen, Verwerfungen, Brüche usw., doch immer so, daß ein poetischer<br />
Funke den Unterschied zum Üblichen markiert, zum Alltagsdrama.<br />
Schließlich sind Performancekünstler/innen Magier der Verdichtung<br />
von Zeit, womit Werte auch während der Dauer einer Aufführung<br />
eine Form finden können, die in nichts der Langzeit-Dauer üblicherweise<br />
als Kunst bezeichneter Objekte nachstehen. Und nicht zuletzt gibt es in<br />
der Performance verwendete Objekte und produzierte Fotos, Filme und<br />
Videos, die als Relikte einer später vollzogenen mentalen Vergegenwärtigung<br />
dienen.<br />
301<br />
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302<br />
Spreche ich vom Drama des Lebens, so bedeutet das auch eine Art von<br />
Inszenierung, eine Form. Es gibt und gab keine ›primitiven‹ Menschen,<br />
sondern Sozietäten, die einen gewissen Lebens-Stil haben und hatten, ein<br />
Inter-esse verfolg(t)en. Dabei ist der Stil diejenige Form, welche dem<br />
Körper und seiner Darstellung im Rahmen der gesellschaftlichen Normen<br />
gestattet wird. Spricht man heute gerne vom Lifestyle, so ist damit<br />
gleichfalls die Norm gemeint. Nur ist diese nicht mehr einer alle verbindenden<br />
Ideologie oder einem kulturellen Universalismus unterworfen,<br />
sondern einem Diktat der Mode, das keinem Geschmack mehr entspricht,<br />
einer oft überdrehten Masche gehorcht, die als Stimulus dem Kommerz<br />
dient. In einer dauernd von Reizen überfluteten Wahrnehmung ist die<br />
Masche die notwendige Übertreibung, damit überhaupt wiederum Aufmerksamkeit<br />
entsteht.<br />
Diese Übertreibung – oft eine spleenige Geschmacklosigkeit, oft<br />
Späße mit Vulgarismen, oft schlichter Blödsinn usw. – entwickelte sich<br />
mit den Illusionsmedien und der damit parallel sich entfaltenden Werbung,<br />
die auch alles unternimmt, um aufzufallen. Wie der Pfau das Rad<br />
schlägt und mit seinen ›tausend Augen‹ in seinen Bann zieht, also gefügig<br />
macht, so reagieren wir auf das Ausgefallene. Damit wird das Übliche<br />
herabgesetzt und für banal erklärt. Aber auch das ›Natürliche‹ wird nicht<br />
nur diskriminiert, sondern vom Künstlichen, besser gesagt vom Mediatisierten,<br />
ausradiert. Lifestyle ist Medienmasche, Marken- und Logodiktat,<br />
Leben in der Mediatisierung.<br />
Lifestyle ist das Sein zwischen Information – oder was in dem Rahmen,<br />
in den wir als ›Leinwand‹ eingespannt sind, darzustellen gelingt.<br />
Unser Interesse folgt den Lebensumständen, der Zeit und ihren Gegebenheiten,<br />
dem Raum und seinen Zwängen. Wir drücken unsere Interessen<br />
aber auch aus, wir bekennen Farbe, wir integrieren uns in einen Code, der<br />
von Gleichgesinnten erkannt wird. Wir halten uns an Äußerlichkeiten,<br />
die Zeichen von Identität sind, gerade auch in Differenz zu anderen, nicht<br />
verwendeten Codes, die von anderen Gruppen okkupiert sind.
So spricht selbst Stillosigkeit von einem Stil, einer Lebenshaltung,<br />
einem Bekenntnis zu etwas. Stil ist eben Kommunikation, ist ein Zeichen.<br />
Und wenn alles auch ein Zeichen für etwas ist, respektive als Zeichen für<br />
etwas interpretiert werden kann, so ist Stil das Repertoire und die Anhäufung<br />
der Zeichen, die eine Zuordnung gestatten. Bestimmt gibt es dabei<br />
auffällige, direkt penetrante Zeichen, übliche, versteckte und heimliche<br />
Zeichen. Ihr Zusammenspiel ergibt ein stilistisch offenes oder geschlossenes<br />
System, in dem wir uns stark oder schwach definieren, in dem wir das<br />
Individuelle betonen oder uns eher in der Gesellschaft auflösen.<br />
Je nach Betätigung ist die Stilfrage auch mehr oder weniger virulent,<br />
legen wir Wert auf Distinktion. Zum Teil haben wir auch gar keine Lust,<br />
dem Stil eine besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Wir greifen dann<br />
aber trotzdem zu Formen, die für sich sprechen. Unser Tun ist also immer<br />
mit Formen verbunden, die sich in entsprechenden Medien gebildet<br />
haben oder die gebildet werden. Unsere Interessen münden in Aktivitäten,<br />
die wiederum intersubjektiv besehen Interaktionen sind. Was<br />
Aktionen insofern relativiert, als sie, für oder gegen etwas geführt, eigentlich<br />
immer Inter-Aktionen sind.<br />
Auch in der Produktion von Waren, Wissen etc. wird eine direkte Aktion,<br />
ein direkter Zugriff immer mehr durch entsprechende Maschinen,<br />
Programme und Hilfsmittel unterschiedlichster Art gebrochen. Das Unmittelbare<br />
wird durch diverse Stufen des Mittelbaren gesiebt, so daß das<br />
Grobe sich verfeinert, das Direkte abgelenkt, kultiviert wird. Es fragt sich<br />
dann nur, inwieweit wir diese Brechungen ertragen und ob uns nicht<br />
›urtümliche‹ Gelüste durch die Hintertreppe der Emotionen überkommen.<br />
Also wie weit wir uns ›bilden‹ lassen, wo die Evolution nicht weiterführt,<br />
wo wir an die Grenze der Sublimation stoßen. Wo unsere Sinne<br />
krass unterfordert nur noch in die Fernsinne (AudioVision) münden und<br />
Nähe nicht mehr erfahrbar wird.<br />
Die AudioVision oder Mediatisierung hat mit dem Erfolg des Fernsehens<br />
in der Nachkriegszeit begonnen und immer neue Hürden der Inte-<br />
303<br />
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304<br />
gration einer noch ›realistischeren‹ Darstellungsform genommen, bis wir<br />
heute von einem digitalen Universum der Multimedia umgeben sind, das<br />
zu unserer Reality wird, zu unserem globalen Heim. Das Bild, der Ton<br />
und der Text berücken uns in High Fidelity. So mündet alles im neuen<br />
Delta der Venus, aus dem wir geboren werden. Die Enden dieser Dreifaltigkeit<br />
heißen PVC und wir bewegen uns zwischen ihnen, verschmelzen<br />
mit ihnen, um uns wiederum von ihnen loszureißen.<br />
Wenn auch ältere Medien wie Theater, Film und Radio etc. sich nicht<br />
nur behaupten können, sondern nicht wegzudenken sind, so hält doch<br />
das Fernsehen das Zentrum der Aufmerksamkeit besetzt. Die global erfaßte,<br />
am Bildschirm (Monitor) erscheinende Berichterstattung und<br />
Show hat parallel zur globalen Wanderung (Tourismus) die Bewegung als<br />
Bewegung zur unaufhörlichen Migration hochstilisiert. Man sieht zum<br />
Auto-, Zug- oder Flugzeugfenster hinaus und in den Bildschirm und in<br />
die Windows hinein. Die Grenze des unaufhörlichen Bilderflusses ist nur<br />
der Rahmen, der ihn als Reduktion von allem zu fassen vermag. Lärm,<br />
Rauschen, Sound und Gerede dringen an unsere Ohren. Vieles bleibt versehentlich<br />
unerhört. Oder haben wir es doch wahrgenommen? So wie das<br />
Zelluloid des Films noch negativ sichtbar ist und insofern der Moderne<br />
zuzurechnen, so ist der Magnetismus des Videobandes und das digitale<br />
Prinzip des Computers ein typischer Ausdruck der Postmoderne, nur<br />
apparategestützt lesbar. Das Analoge macht immer mehr dem Digitalen<br />
Platz und die Atome den Bits.<br />
Video hat sich mit dem Fernsehen und gegen es entwickelt. Zunächst,<br />
indem das Gehäuse als Box entleert, überzogen oder mit anderen Gehäusen<br />
kombiniert wurde und die Bilder am Bildschirm manipuliert wurden.<br />
Dann wurden andere Inhalte präsentiert, die Message lautete nicht-konform.<br />
Gegen den massenhaften Erfolg der TV-Sender blieb jedoch Video-<br />
Kunst bis heute ein Randphänomen. Sie kommt im Fernsehen selber<br />
praktisch nicht vor – hieß auch die erste Videogalerie Fernsehgalerie –, sie<br />
überlebt in Ausstellungen und auf Festivals. So marginal Video-Kunst in
Erscheinung tritt, so erfolgreich ließ sich die Video-Überwachung in<br />
Szene setzen, so daß sie zusammen mit dem Fernsehen unser Leben<br />
optisch im Griff hat. Passives und aktives Sehen verschränken sich zur<br />
Allgegenwärtigkeit von Monitor und Kamera, sie sind der geschlossene<br />
Kreislauf der Mediatisierung.<br />
Um den Funken Poesie am Monitor aufleuchten zu sehen, arbeiten<br />
Videokünstler/innen mit einem breiten Spektrum von Bildsprachen, die<br />
dem üblichen Fernseh-Reality-Bild, der phantasielosen Kameraposition<br />
und Bildkomposition entkommen, diesem Mythos des ›realistischen‹<br />
Bildes, das sich dokumentarisch verankert. Auf diese andere Weise gelingt<br />
es, das Bild als künstlerische Komposition zu verstehen und eine Bilddichte<br />
zu erreichen, die uns tatsächlich in die Ferne, in die Mehr- und Vieldimensionalität<br />
des Lebens blicken läßt. Denn hinterfragen wir das Fernsehen<br />
und die Videoüberwachung als das Janushaupt unserer Tage, so<br />
müßten wir sie schon lange als Nahsehen bezeichnen. Wir sehen etwas,<br />
das uns nahe, oft zu nahe kommt, ja, uns die Ferne raubt. Das Zoom ist<br />
dafür genauso der Beweis wie die Sichtbarmachung der Makro- und<br />
Mikrowelten: Nichts bleibt unbesehen, doch unser Blickwinkel ist verengt.<br />
Wir als Betrachter der Fernsehsendungen haben immer das Nachsehen.<br />
Vorsicht ist bei der herrschenden Bilderwelt auch nicht gefragt,<br />
aber die brutale Aufsicht zu allem und jedem. So bedeutet ›Action!‹ nicht<br />
nur, daß sich auf dem Set die Schauspieler in Szene setzen, es bedeutet<br />
auch die Vorherrschaft eines Film-Genres, das Bewegung pur bietet.<br />
Wird aber Video mit ›Ich sehe‹ übersetzt, haben wir bereits damit den<br />
Hinweis auf eine andere Bilderwelt, die uns Sehen als Genuß und Lust<br />
verspricht, also ›zärtliche‹ Bilder der Mitteilung bietet. Optische Kommunikation<br />
als Verfügungskraft über das visuelle Alphabet, das dem<br />
Hang der platten Aufsicht als visuellem Analphabetismus die Stirn bietet.<br />
Sehen heißt einsehen, die Konstruktion des Weltbildes mit dem Dritten<br />
Auge der Weitsicht, des Durchblicks, der Bilderlust zu unternehmen.<br />
305<br />
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306<br />
Unser Drittes Auge als der Bauchnabel zur Welt und die neuronale<br />
Schnittstelle haben mit dem Computer als universaler Maschine ein<br />
künstliches Pendant erhalten. Auf der reduzierten Basisentscheidung –<br />
ob Strom fließt oder nicht – baut sich ein paralleles Universum auf, das<br />
sich als globales Gehirn etabliert, als Schaltstelle von Information. Als<br />
energetisches Feld dem Magnetfeld ähnlich, umspannt ein Computernetz<br />
den Erdball, um in Global Cities Information als Macht zu bündeln. Der<br />
ägyptische Schreiber wurde durch den Computerspezialisten ersetzt, der<br />
das Programm festlegt und die Syntax bestimmt. Speicherkapazität und<br />
Geschwindigkeit des Zugriffs definieren die Möglichkeiten des Systems,<br />
dem gerne künstliche Intelligenz zugesprochen wird.<br />
Aufgeteilt in Hardware und Software (res extensa und res cogitans),<br />
spricht das Interface durch Tastatur, Maus und Monitor zu uns und wir<br />
durch diese zu ihm, auf dem Display lassen sich parallele und serielle<br />
Schnittstellen anfügen. Ist die kleinste erscheinende Informationseinheit<br />
ein Pixel, so ersehen wir, wie durch eine Verdichtung und Auflösung des<br />
Punkterasters und die zur Verfügung stehenden Bits und Bytes eine<br />
zweite Realität aus dem ›Nichts‹ entsteht, die von 0-Dimensionalität sprechen<br />
läßt, dem Counterpart unserer 4-dimensionalen Welt. Das Endliche<br />
trifft auf das Unendliche und sie erscheinen momentan als Hypertext, der,<br />
ununterbrochen fortgeschrieben, über-, durch- und miteinander viele<br />
Gestalten annehmen kann.<br />
Hat sich der Computer als Rechenmaschine und Codeknacker<br />
etabliert, später in viele Bereiche integriert und heute als Informationsknoten<br />
im Netz installiert, so kann man vermuten, daß die Bits eine ähnliche<br />
Bedeutung für dieses parallele Universum haben wie die Gene für<br />
die Lebewesen. Was bestimmt als Basiseinheit bereits wieviel von den Systemen<br />
in ihren verschiedenen Erscheinungsformen? Wie künstlich ist<br />
das scheinbar Natürliche und wie natürlich werden sich künstliche Welten<br />
darstellen oder gar erschaffen lassen?<br />
Wie immer der Computer sich weiterentwickeln läßt oder sich selber
entwickelt, bleibt doch die Frage, wie wir im Unterschied zum Bewußtsein<br />
der menschlichen Gattung das der Flora und Fauna und den Maschinen<br />
zugerechnete Bewußtsein beurteilen. Respektive, welches Bewußtsein<br />
wir wie einstufen und fördern. Überschätzen wir dabei unsere Form<br />
von Bewußtsein, die in der Sinnfrage gipfelt und eine Wertepyramide auftürmt?<br />
Wie stark ist das Unbewußte am Bewußtsein beteiligt, wenn dieses<br />
belegbar ist, jenes sich aber versteckt hält? Wo beginnt das Bewußtsein<br />
der Maschinen, um an welchem Punkt in Konkurrenz zu unserem<br />
Bewußtsein zu treten?<br />
Diese Fragen drängen sich auf, wenn wir den Zwang zum Erfolg (Performance),<br />
die Dominanz des Fernsehens und das Eindringen des Computers<br />
in alle erdenklichen Bereiche feststellen müssen. Wenn PVC in<br />
ihrer etablierten Form eine fundamentale Trias unserer Zeit bilden. Und<br />
da jedes Medium als ein in seinen Elementen dynamisches System variabel<br />
ist, hat es viele Gesichter, kann es in seinem Gebrauch auch ganz<br />
anders, als Anti-Medium (Re-Medium) erscheinen. Jede Vorderseite hat<br />
eine Rückseite, wo Licht ist, ist Dunkelheit, wo Erfolg ist, ist Mißlingen.<br />
Doch wer weiß, was wohin führt? Außer man hat das Verlangen, in den<br />
Medien nicht nur bereits die Botschaft zu sehen. Sondern bei einer anderen<br />
Verwendung (als Anti-Medium) das jeweilige Medium als Mittel zu<br />
einem befreiten und befreienden Zweck zu verstehen, bei der Feststellung,<br />
daß Medien üblicherweise der Konformität dienen.<br />
Stellen wir die Bewußtseinsfrage, heißt das auch, daß wir eine Meta-<br />
Ebene der Beobachtung konstruieren, von der aus wir überprüfen können,<br />
welche Operationen wie durchgeführt werden. Diese Beobachtungsposition<br />
setzt sich aus Projektion und Reflexion zusammen, aus<br />
einem Dispositiv, das sich gegenseitig ergänzt und durch Produktion und<br />
Rezeption vervollständigt wird. Dieser Chiasmus, diese doppelte Verschränkung<br />
von Innen und Außen gewährt eine Position, von der aus die<br />
Doppelbödigkeit der Medien, hier von PVC, durchschaut werden kann<br />
und die Ambivalenz zum Tragen kommt, nicht nur die Immanenz des<br />
Etablierten.<br />
307<br />
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308<br />
Projektion und Reflexion sind die Grundmechanismen unserer<br />
Ästhetik. Wir tasten mit unserem Gedächtnis ab, in welchen Rahmen wir<br />
– was es auch sei – einfügen können. Wir analysieren, indem wir bereits<br />
Bekanntes und Strukturiertes auf das Neue projizieren. Dann überlegen<br />
wir, welche Bezüge wir herstellen können. Wir reflektieren über die Bedeutung<br />
dessen, was wir sehen, hören etc., um Struktur und Bedeutung<br />
aufeinander abzustimmen. Dieser Prozeß ist sowohl produktiv als auch<br />
rezeptiv, wir lernen etwas dazu, haben eine Erfahrung gemacht und nehmen<br />
sie auf. Unser Weltbild wird ergänzt und wir sind auf Neues vorbereitet,<br />
auf anderes.<br />
Seit der forcierten Mediatisierung durch die elektronischen Medien<br />
steigt der Produktions- und Rezeptionsdruck in einem früher nicht gekannten<br />
Maße. Und weil die Produktionsmittel und die für die Verteilung<br />
der Produkte notwendigen Distributionskanäle in der Hand weniger<br />
sind, werden wir zunächst zur Rezeption gezwungen, der ›Gehirnwäsche‹<br />
durch die Medien ausgesetzt. Wir werden zur Aufnahme des<br />
Zeitgeistes gefügig gemacht. Bis wir die Produktion selber in die Hand<br />
nehmen, den Mechanismus durchschauen und unser eigenes Weltbild,<br />
unsere Produkte vertreten wollen. Denn schließlich können wir Rezeption<br />
nicht ohne Produktion denken, sie bedingen sich gegenseitig als gespaltene<br />
Einheit: Rezeption ist auch Produktion, und Produktion baut<br />
auf Rezeption auf. Wieviel müssen wir rezipiert haben und wieviel Information<br />
verarbeiten, um die Fähigkeit zu sinnvoller Produktion zu erreichen,<br />
um zu einer eigenen Meinung zu kommen, geschweige denn so Bescheid<br />
zu wissen, daß daraus eine Produktion im konstruktiven Sinne<br />
entsteht?<br />
Je mehr heute rezipiert werden muß, desto diversifizierter wird sich<br />
die Produktion darstellen, aber auch desto konformer werden die<br />
Produkte sein. Je größer also die Masse der Rezipienten ist, desto<br />
klischierter und nichtssagender wird das Produkt der Rezeption sein. Die<br />
Basiseinheit für Rezeption und Produktion ist zunächst der innere Dia-
log/Monolog, dann der Dialog zwischen zwei und mehreren Partnern,<br />
bis der direkte Kommunikations-Zusammenhang von der Vermittlung<br />
durch die Medien übernommen wird. Die Mediatisierung folgt dann den<br />
bekannten Mustern direkter Kommunikation, bietet jedoch durch die<br />
Masse an Information ein Bombardement an Rezeptions-Forderungen,<br />
das die Rezeption in sich zusammenfallen läßt. Deshalb ist es fraglich, ob<br />
eine massenhafte Schaltung von Sender und Empfänger, von Produktion<br />
und Rezeption je den Zwängen der Klischierung entkommen kann. Die<br />
Einsicht, daß Rezeption mentale Produktion ist, sollte uns aber darin<br />
überzeugen, daß Produktion auf hohem Niveau selten, eine Ausnahme<br />
ist. Es gibt ›much ado about nothing‹, viel Redundanz und Small talk,<br />
doch selten haben wir einen Geistesblitz: er ist eine erneute Schaltstelle<br />
für ein anderes Verständnis von Rezeption und Produktion. Der Funke<br />
der Poesie leuchtet sowohl in uns auf als auch an einem entsprechenden<br />
Produkt, das uns zu uns bringt.<br />
309<br />
artintact 5
Gute Orte<br />
Performance, Fotografie,<br />
imaginärer Raum<br />
Von Tim Etchells<br />
Beauftragt, über die eigene Arbeit zu schreiben, kämpft er damit, einen<br />
Rahmen, eine Stimme, einen Ausgangspunkt zu finden. Es ist die Geschichte,<br />
die er wieder und wieder erzählen muß, und während des Erzählens,<br />
des Kämpfens darum fürchtet er den Moment, da sie aufhört, noch<br />
irgendetwas zu bedeuten – wie ein Lied, das man zu oft gesungen hat.<br />
Es wird dunkel draußen. Die Nacht schon voller Sirenen und Autos.<br />
1994. In einem Zimmer, in dem mein Sohn schläft. Von irgendwoher aus<br />
dem Netz lade ich QTVR-Filme1 , Szenen und Objekte herunter, alle stark<br />
komprimiert. Die Lobby eines Hotels in Vegas. Die Berliner Mauer bei<br />
Sonnenuntergang. Ein Tunnel in einer unbestimmten Stadt. All das<br />
kommt in Sheffield durch eine Telefonleitung an, mit 14.400 bps, und es<br />
sieht nach einer Bildauflösung von 640 x 480 aus. Irgendwann, lange nach<br />
Mitternacht, ein Streifen Wüste. Blauer Himmel und brennender Sand.<br />
Mit den Übergängen oder den Proportionen stimmt etwas nicht – beim<br />
Abspielen verformt sich die Wüste, sie wackelt, verschwimmt beim Hindurchbewegen.<br />
Es gefällt mir, wie dieser Ort sich anfühlt, diese schimmernde<br />
Halbwelt aus Bildern und Pixeln.<br />
In einer letzten Szene sehe ich eine Person – ein festgefrorener Typ, der<br />
1. QTVR: QuickTime Virtual Reality. Programm zur Bearbeitung von Fotografien zu Panoramen,<br />
durch die (virtuelle) räumliche 360°-Bewegungen möglich sind. (Anm. d.<br />
Red.)<br />
Forced Entertainment & Hugo Glendinning: Frozen Palaces (Chapter One), 1996–98.<br />
Screenshot.<br />
311<br />
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312<br />
einen Kaffee durch ein Studio trägt. Unbeweglich und unlösbar. Er verfolgt<br />
mich. In diesem Zimmer für immer verharrend, während ich mich,<br />
suchend, durch den Raum bewege. Eine Geschichte, deren Fortsetzung<br />
ich nur träumen kann. Er ist ein Hinweis.<br />
Eine Treppe hinuntergehend<br />
läßt es sich gut gruseln<br />
Über digitale Arbeiten sprechen als vollkommen verbunden mit der übrigen<br />
Arbeitsweise, als einfach eine andere Art und Weise, sich den Obsessionen<br />
und Problemen anzunähern, die man bereits anderswo untersucht<br />
hat, als weiteren ›natürlichen‹ Halt auf dem Weg zwischen Theater, Fotografie,<br />
Performance und Installation. Du weißt, daß es hier vor allem um<br />
Fragen von Interaktion und konstruierter Präsenz geht, um Virtualität<br />
und Raum, um Verkörperung, Geschwindigkeit, um vermittelte Intimität<br />
und um ›Lesen‹. Aber all das sind Dinge, die dich schon vorher beschäftigt<br />
haben. Scherben hinterlassen, aus denen Geschichten entstehen können,<br />
leere Fragmente, Bilder, Farben in die Luft werfen und anderen die Entzifferung<br />
überlassen.<br />
In einem Spiegelkabinett<br />
läßt es sich gut schießen<br />
Unser Interesse an der Interaktion von Performance, Orten und Fotografie<br />
weiterverfolgend, ist der Ausgangspunkt für Frozen Palaces eine<br />
Serie von Panoramaszenen, in einem Haus inszeniert für die Kamera. Jede<br />
Szene bezieht zahlreiche ›Charaktere‹ oder Performer ein. Fotografiert<br />
und anschließend mit QTVR als Panoramen bearbeitet, durch die man navigieren<br />
kann, erkunden die untereinander verbundenen Szenen, wie der<br />
Titel nahelegt, komplexe Ereignisse in einem Moment des Einfrierens.<br />
In dem weitläufigen Haus von Frozen Palaces steht die Zeit still – und
der Stillstand wird als psychische Problematik dargestellt. Von Liebesaffären<br />
zu Mord, von geisterhaften Schwebezuständen zu Parties und<br />
trunkenen Halluzinationen – die Ereignisse des Stücks sind angehalten in<br />
einem banalen oder bedeutsamen Moment, und die Betrachterin allein hat<br />
die Freiheit, sich zu bewegen, nachzuforschen, Entdeckungen zu machen.<br />
Beschränkt auf die Augenpräsenz bewegt man sich mit der unbehaglichen<br />
Leichtigkeit eines Steadycam-Traums durch Ereignisse, in die man nicht<br />
eingreifen kann – ein Gefühl, das beides sein kann: ganz und gar unheimlich<br />
oder pures 20. Jahrhundert.<br />
Über die Dächer<br />
läßt es sich gut jagen<br />
Vielleicht begann die Arbeit, die wir gemeinsam mit Hugo Glendinning<br />
gemacht haben, in mancherlei Hinsicht mit den Aufnahmen von PR-<br />
Fotos für unsere Performances. So wie der Markt für Theater strukturiert<br />
ist, bedeutete die Herstellung des Werbematerials bis zu einem gewissen<br />
Grad immer auch die Konstruktion einer Fiktion im Vorfeld der eigentlichen<br />
Theaterarbeit. Die Andeutung einer Welt, eines Ereignisses oder<br />
einer ›Show‹, die noch gar nicht existiert. Schnappschüsse imaginierter<br />
Aktionen in Bühnenbildern, die bestenfalls provisorisch sind, kurze<br />
(Aus-)Blicke auf eine mögliche Zukunft. Vielleicht führte uns diese<br />
Tatsache letztendlich zu Projekten, in denen die Fotografie das wesentliche<br />
oder sogar das einzige Medium war. ›Performance‹ als singulärer<br />
Moment, aufgeschnappt während einer 125stel Sekunde. Nichts weiter.<br />
Wenn ich zurückschaue auf die ersten Aufnahmen für unsere Theaterstücke<br />
Let The Water … (1986) und 200% (1987) wird klar, daß selbst<br />
diese Momente, in pragmatischer Stimmung inszeniert, ein eigenes Leben<br />
haben, unabhängig sind. Tatsächlich lernten wir, daß solche Fotografien<br />
aus den ersten Probentagen sehr schnell die Qualität von Schlüsselszenen<br />
für den eigentlichen Arbeitsprozeß erlangen konnten. Die Bilder von den<br />
313<br />
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314<br />
ersten Aufnahmen mit Hugo zu sehen, bedeutet(e) oftmals eine Klärung,<br />
eine Kristallisation – eine Reihe flüchtiger Blicke auf die eigene Arbeit,<br />
klar und scharf durch die Anwesenheit des Auges eines anderen.<br />
Auf einem Spielplatz<br />
läßt es sich gut lieben<br />
Unser erster Impuls bei der Arbeit an Performances war, etwas zu bauen –<br />
eine rohe Konstruktion aus Materialien früherer Bühnenbilder, ein flüchtiges<br />
Arrangement aus wenigen Objekten oder Elementen (Vorhang,<br />
Tisch, Plane, Gerüst). Wenn wir Performances auf diese Weise entstehen<br />
ließen, diskutierten wir darüber, wie ein Raum oder ein Gegenstand<br />
Aktionen bestimmt oder nahelegt – ein Tisch verlangt, daß man sich<br />
darauf setzt, ein Durchgang winkt nach einem Reisenden, ein Vorhang<br />
will geöffnet werden. Es gab Räume, die die Performance auf bestimmte<br />
Weise sozialisierten, indem sie die Performer dazu brachten, miteinander<br />
zu interagieren, während andere Räume den sozialen Rahmen außer<br />
Kraft setzen konnten, die Performer einander entfremdeten, sie isolierten,<br />
trennten. Man mußte sich mit den unterschiedlichen architektonischen<br />
Strukturen der Theater auseinandersetzen – dem Sortiment der<br />
Spielstätten, Bühnen, Black-Boxes, Proszenien, Studiobühnen, von<br />
denen jede auf ihre Weise bestimmte Gesten ermöglichte und andere<br />
unerreichbar werden ließ. Für uns war der konstruierte Theaterraum, die<br />
reale Theaterarchitektur immer Bestandteil unserer Debatte, ebenso ein<br />
Ausgangspunkt wie Text, Soundtrack, Aktion oder Kostüme.<br />
In unseren Arbeiten, die nicht für Theaterräume, sondern für Galerien<br />
und den öffentlichen Raum konzipiert waren, gingen wir ebenfalls von<br />
dieser Frage nach dem konstruierten theatralen Raum (was läßt er dich<br />
tun?) aus und übersetzten sie in die reale Welt, arbeiteten die speziellen<br />
Eigenschaften von Bussen, Bibliotheken, alten Fabrikhallen, Treppenhäusern,<br />
Kellern heraus – bezogen auf die Art und Weise, wie diese Orte
(wie alle anderen auch) soziale Beziehungen herstellen, Beziehungen des<br />
Blicks, Beziehungen der Performance, Möglichkeiten der Fiktion.<br />
Im Juli 1994 (Dreams’ Winter) liefen Performer das Rund des Lesesaals<br />
der Zentralbibliothek von Manchester entlang, kletterten auf die<br />
Tische, riefen in die weitläufige Kuppel, warteten auf das Abklingen des<br />
Echos. Nicht gerade das, was man in einer Bibliothek tun sollte, sondern<br />
eher, was man dort gerne tun würde – eine Art Eingriff ›gegen‹ das Alltägliche<br />
dieses Raums, eine Umkehrung seiner Funktion, und, in gewisser<br />
Weise, jedenfalls aus unserer Sicht, eine Voodoo-Transformation. Was<br />
sagte der Bibliotheksdirektor nach der ersten Performance dieses Stücks?<br />
Daß das Gebäude nun nie mehr ganz dasselbe sein würde. Wir nahmen<br />
diesen Kommentar wörtlich. Zumindest in dem Sinne, in dem die Dusche<br />
nach Psycho nicht mehr diesselbe ist.<br />
In einer belebten Straße<br />
läßt es sich gut innehalten und denken, man sei verliebt<br />
In der Arbeit mit Hugo Glendinning setzten wir diesen Dialog mit den<br />
Räumen und Städten, in denen wir lebten und arbeiteten, fort – wir benutzten<br />
die reale Welt als eine Serie durchscheinender fotografischer<br />
Hintergründe, die Unterführungen in der Nähe unseres Probenraumes<br />
als zeitweiliges Filmset. Indem wir flüchtige Eingriffe in einem vor allem<br />
aus Beton bestehenden Kontext vornahmen, sahen wir Performance und<br />
Fotografie als eine Art transformatorische Magie, als Voodoo der chemischen<br />
Zusammensetzungen. Die Straßen sind nicht mehr dieselben, nachdem<br />
du in ihnen gespielt hast, dich manifestiert hast, auf dem Parkplatz<br />
am Stadtrand – Julian Maynard Smith2 beschrieb es mir einmal als ›die<br />
fiktionalen Teile unseres Selbst‹.<br />
2. Julian Maynard Smith: Architekt, gründete 1980 in London die Performance-Gruppe<br />
Station House Opera. Die Projekte der Gruppe beschäftigen sich vor allem mit der Beziehung<br />
zwischen den Menschen und ihrer Umgebung. (Anm. d. Red.)<br />
315<br />
artintact 5
artintact 5<br />
316<br />
In einem Auto<br />
läßt es sich gut streiten oder weinen<br />
Wir bereiten die Aufnahmen für Frozen Palaces in einer Straße in der<br />
Nähe der Brick Lane vor. Es ist Vormittag und Robin liegt, lachend, nackt<br />
in einer Badewanne, die mit roter Flüssigkeit gefüllt ist. Bereit zu sterben.<br />
Vielleicht könnten wir das Projekt sehen als die Erschaffung spekulativer<br />
Geschichte – das Überschreiben eines realen Hauses mit den Fotografien<br />
merkwürdiger Ereignisse, die niemals ›wirklich‹ stattgefunden<br />
haben. Das Haus ist in diesem Falle eine Erinnerung an das, was imaginiert<br />
werden wird, eine Art Umkehrung der Zeit. Wie A. mir schrieb, in<br />
der disjunktiven Klarheit von Stichworten:<br />
… Es sind Bilder, die dich zwingen, eine Geschichte zu erfinden, mit Hilfe der Spuren in den<br />
Bildern. Aber ›in Wirklichkeit‹ gab es nicht viel mehr als diese Spuren. Keine Geschichte dahinter.<br />
Imaginierte Geschichte, imaginierte Erinnerung …<br />
Viele unserer Arbeiten im Theater- und Performancebereich funktionierten<br />
auf diese Weise – Scherben von Erzählungen, die nichts als Scherben<br />
waren, die aber die Körpersäfte aktivierten, daraus eine Geschichte zu<br />
machen – die Betrachterin als explizite Autorin, ein beweglicher Verbindungspunkt,<br />
Verstreutes zusammenführend. Punkte. Scherben. Zeichen.<br />
In Speak Bitterness (1994) war es die Litanei der Bekenntnisse, jedes einzelne<br />
eine Mikro-Erzählung, in Club of No Regrets (1993) waren es die<br />
fragmentarischen Szenen aus nicht existierenden Polizeiserien und Fernsehfilmen,<br />
in Emmanuelle Enchanted (1992) und in der elfstündigen Performance<br />
12am: Awake & Looking Down (1993) waren es Charaktere,<br />
die umhertrieben, ohne Kontext, doch trugen sie ihre Geschichten mit<br />
sich als auf Pappschilder gekritzelte Namen – Jack Ruby, Eine Stewardess<br />
die ihre Scheidung vergißt, Verlorene Lisa, Der Geist Banquos – Namen<br />
wie Gepäck, wie allgemeines Kulturgut, und zuviel davon. Die Charaktere<br />
(70 oder mehr) tauchten auf in endlosen stummen und immer wieder
neuen Kombinationen, wie ein erzählerisches Kaleidoskop, an das die<br />
Betrachterin ihr Auge pressen und ihrer Einbildungskraft freien Lauf<br />
lassen muß.<br />
Am Meer<br />
läßt es sich gut über die Zukunft sprechen<br />
An nichts glauben. Nicht an Gott. Nicht an ein Leben nach dem Tod. Und<br />
nicht an Geister. Und nicht an Kräfte, Energien oder sonst irgendetwas.<br />
An nichts, nichts, nichts.<br />
Und dabei immerzu über Gespenster, Spuk, Schatten, Träume und<br />
Anwesenheiten sprechen. Denn wenn das Kulturelle politisch ist, was unzweifelhaft<br />
zutrifft, dann ist es auch der Ort, an dem wir verfolgt werden<br />
(von unseren Geschichten, unserer Geschichte) und die Sprache, in der<br />
wir unsere eigenen Gespenster produzieren – und das Mittel, mit dem wir<br />
unsere Gespenster am Ende austreiben müssen.<br />
Ein Zimmer mit Ausblick auf die Stadt<br />
ist ein guter Treffpunkt für Polizisten und Kriminelle<br />
Habe ich dir erzählt, daß in unserer Theaterarbeit Let the Water … (1986)<br />
die vier Protagonisten versuchen, mit der Vorstellung ihres eigenen Todes<br />
umzugehen, und daß die beste Möglichkeit, die sie finden können, bedeutet,<br />
ihren eigenen Tod als Filmtod zu spielen? Eine Reihe fast komischer<br />
Tomatenketchup-Splatterszenen, ein Spiel, das zum Ritual wird, das<br />
immer fantastischer, immer brutaler, verzweifelter, romantischer wird<br />
und schießlich außer Kontrolle gerät. Biologie (Tod) und Kultur sind<br />
vollkommen ineinander verwoben. In Quizoola! (1996), unserem Sechs-<br />
Stunden-Marathon der 2000 Fragen, die in beliebiger Reihenfolge gestellt<br />
und beantwortet werden können, gibt es eine Frage, die lautet:<br />
Wie waren Schmerz und Trauer, bevor es das Fernsehen gab?<br />
317<br />
artintact 5
artintact 5<br />
318<br />
Und die Antwort, die ich mir immer vorgestellt habe:<br />
Das ist unmöglich zu beantworten.<br />
Blutend, zusammengesunken vor dem Kühlschrank,<br />
läßt es sich gut sterben<br />
Interface. Für Red Room (Installation, 1993) strukturierten wir den Raum<br />
wie eine sich allmählich entwickelnde Erzählung, in der die Betrachterin<br />
die Hauptrolle spielte. Mit einer Taschenlampe auf Entdeckungsreise,<br />
visuelle und erzählerische Fragmente aufspürend, erreichte man einen<br />
Gang, den man passieren mußte, Schulter an Schulter mit den Wänden –<br />
das Stück war nicht mehr und nicht weniger als eine Begegnung mit einem<br />
konstruierten Interieur, dessen Oberflächen mit Fragmenten von Fotografien<br />
und Hinweisen aus Text bedeckt waren.<br />
Auf dem Blatt sind Flecken, und ich glaube, daß es ihre Tränen sind.<br />
Aber während in unseren Galerie-Projekten Red Room und dem darauffolgenden<br />
Ground Plans For Paradise (1994) Environments entstanden,<br />
durch die man sich bewegen konnte und in denen die Fotografie sowohl<br />
als Prozeß wie als skulpturales Objekt fungierte, erlaubt uns QTVR in<br />
Frozen Palaces und dem Schwesterprojekt Nightwalks (1998) eine Welt<br />
zu schaffen, deren Grundlage die Fotografie bildet.<br />
Tatsächlich liegt das Projekt ziemlich genau an der Grenze zwischen<br />
Installation, Kino und Fotografie. Von der Installation nimmt es den aktiven,<br />
suchenden und beweglichen Blick des Betrachters im dreidimensionalen<br />
(obgleich virtuellen) Raum, mit dem Kino steht es durch die Konvention<br />
der beweglichen und der subjektiven Kamera in Beziehung und<br />
die Fotografie erlaubt uns, die Welt als Standbild wiederzugeben, als Ort,<br />
an dem die Zeit stillsteht.
Es wird Nacht. Und wieder denkt er über die verschiedenen Medien<br />
nach – über Theater, Performance, Installation, Film und CD-ROM. Und<br />
wie sie in jedem Medium vor allem nach Anwesenheit und Nähe suchten.<br />
Als ob jede Form nur eine neue Route gewesen wäre – durch verschiedene<br />
Codes, in verschiedenen Rahmen – auf dem Weg zu dem immer gleichen,<br />
aber nie ganz erreichbaren Ziel: eine Begegnung zu inszenieren, ein<br />
Zusammentreffen (mit einem anderen, mit einer Welt, mit sich selbst) zu<br />
ermöglichen.<br />
Er schreibt, daß Präsenz etwas ist, das hergestellt werden muß – produziert<br />
werden muß am merkwürdigsten aller Orte, am Rande der Codes.<br />
Er schreibt über Nähe, die über Distanz möglich ist. Über Leere und Projektion.<br />
Über Liebe und E-Mail. Über die merkwürdige Begegnung mit<br />
den Figuren aus Frozen Palaces. Über Widersprüche.<br />
Er schreibt über das Bedürfnis, das von Anfang an (schon 1984) da<br />
war: Theater zu machen, das sich damit auseinandersetzt, daß man ›im<br />
selben Raum ist‹ wie das Publikum. Wie sie nach Transparenz der Präsenz<br />
suchten, nach einer Einfachheit, die durch die Rahmenbedingungen des<br />
Theaters hindurchschnitt, um an ihre Stelle einen Ort der Direktheit zu<br />
setzen, der, wenn schon nicht realer, so doch unzweifelhaft intimer war,<br />
nach menschlicherem Maß, wie sie zu sagen pflegten. Der Unterschied<br />
zwischen agieren und schauspielern. Der Unterschied zwischen dem Betrachten<br />
als Zuschauer und dem Betrachten als Mensch.<br />
In ihrer Rotterdamer Installation Secret Places (1997) konnte das<br />
Publikum durch den halbdunklen Raum der Galerie wandern, in dem die<br />
Performer zusammensaßen, zu zweit, zu dritt, schwach beleuchtet, mit<br />
geschlossenen Augen, ununterbrochen während dreier langer Tage,<br />
immerzu sprechend, Fragen stellend, Geschichten erzählend. Über ihre<br />
Erinnerungen und über ihre Orte draußen in der Stadt. Die Performer als<br />
eingeschlossene Objekte, mit denen man in unerträglichen Kontakt trat.<br />
Entfernung. Nähe.<br />
319<br />
artintact 5
artintact 5<br />
320<br />
Er notiert für einen Freund ein paar Stichworte zur Gestaltung des<br />
Buches, an dem sie gerade arbeiten.<br />
Das Buch, sagt er, muß Augenkontakt suchen.<br />
Das ist alles, was zu sagen ist.<br />
Übersetzung: Astrid Sommer
Der Raum der Performance:<br />
Forced Entertainments Frozen Palaces<br />
Von Peggy Phelan<br />
Das Theaterensemble Forced Entertainment aus Sheffield hat sich einen<br />
Namen im Bereich der Performance, oder, wie man in Großbritannien<br />
sagt, der ›Live Art‹ gemacht. Die Performancekunst versucht, mit Hilfe<br />
des unvorhersehbaren Moments menschlicher Anwesenheit eine Begegnung<br />
mit dem Zuschauer zu inszenieren. Frozen Palaces, der Ausflug des<br />
Ensembles ins Virtuelle, legt jedoch nahe, daß die Grenze zwischen dem<br />
direkten und dem vermittelten Erlebnis brüchig und durchlässig ist.<br />
Natürlich wurde die Erosion dieser Grenze schon oft thematisiert: Viele<br />
Stücke von Robert Wilson zelebrieren neue Lichttechniken, die durch<br />
Innovationen im Bereich der Computersteuerung möglich gemacht<br />
wurden, und die Fernsehnachrichten haben aus dem ›Live-Erlebnis‹ ein<br />
zunehmend vorinszeniertes Ereignis gemacht. Computergenies und Animationsspezialisten<br />
dagegen beschäftigen sich auf den Gebieten der<br />
künstlichen Intelligenz und der Filmanimation gerade damit, ›spontane‹<br />
menschliche Gedanken und Bewegungen einzufangen.<br />
Auf interessantere und pointiertere Weise zeigt Frozen Palaces,<br />
worum es – in philosophischer Hinsicht – geht, wenn die Grenze zwischen<br />
dem Unmittelbaren und dem Vermittelten zum Einsturz gebracht<br />
wird. Frozen Palaces betont die Vehemenz, mit der das Unbelebte das<br />
Lebendige verfolgt. Theaterleute und Performer haben ein besonderes<br />
Verständnis für die merkwürdige Dualität, die dazu führt, daß das Lebendige<br />
sich nach dem ›toten Ort‹ sehnt und ihn zugleich fürchtet – diesen<br />
Ort, der im Zentrum dessen, was wir noch immer menschliche Anwesen-<br />
321<br />
artintact 5
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322<br />
heit nennen, gedeiht. Leichen, die Überbleibsel feucht-fröhlicher Parties<br />
und klischeehafte Verbrechensszenen bilden den visuellen Gehalt der<br />
Standfotos, aus denen der ›Bildinhalt‹ von Frozen Palaces besteht. Hugo<br />
Glendinning, der Fotograf, enthüllt die Tableaux Vivants eines eigenartig<br />
vertrauten Theater des Todes. Die stummen Bewegungen der Betrachterin,<br />
die sich durch den virtuellen Raum scrollt, erhalten ein Aroma des<br />
Verspäteten, Posthumen: Das Ereignis, das die dramatische Aktion<br />
umfaßt, hat vor ihrer Ankunft stattgefunden. Geschichte hat sich bereits<br />
ereignet, und der Zuschauer-Zeugin bleibt nur, die schwer faßbaren<br />
Ursachen und Bedeutungen zu entziffern. Mit dem Programm Quick-<br />
Time VR entwickelt, fordert Frozen Palaces die Betrachterin auf, die<br />
Spuren, die von den Standfotos erzeugt werden, zu einer Art Plot zu<br />
verbinden, indem sie sich durch sie hindurch und zwischen ihnen hinund<br />
herbewegt. Diese Bewegungssequenzen schaffen ein narratives Konstrukt,<br />
eine quasi-logische Struktur von Ursache und Wirkung, das die<br />
den Raum des Bildes vermessenden Bewegungen rechtfertigen könnte.<br />
Aber selbst wenn man versucht, eine solche Rechtfertigung für diese<br />
Reise zu konstruieren, werden doch die Beschränkungen und Zwänge,<br />
denen die eigene Wahl unterworfen ist, spürbar. Da die Auswahl so groß<br />
ist, könnte man glauben, man hätte tatsächlich die Wahl. Doch alle<br />
Möglichkeiten sind vorausgewählt und das gesamte räumliche Feld selbst<br />
wird durch die Mathematik und die Materialität des Monitorrahmens<br />
bestimmt. Der Akt des Vermessens und Erfassens des Raumes untergräbt<br />
jedoch die beruhigende Illusion von Wahlfreiheit, ›Interaktion‹ und<br />
Vergnügen. Wir werden uns der Beschränkungen und Zwänge bewußt,<br />
die im Spiel von Forced Entertainment am Werk sind.<br />
Seit seiner Gründung 1984 hat sich Forced Entertainment damit<br />
beschäftigt, den Kunstbetrachter zu verändern, ihn von passiver Betrachtung<br />
näher zu ethischer Zeugenschaft zu führen. Vor dem Hintergrund<br />
unserer Absorption in und durch Fernsehspektakel, die uns so häufig den<br />
Tod von Fremden miterleben lassen, stellt Tim Etchells, Autor und
Regisseur des Ensembles, die Frage nach dem Wesen ethischer Verantwortung.<br />
Er betont, daß Forced Entertainment immer wieder über das<br />
Wesen der Zeugenschaft nachdenkt, darüber, was es bedeutet, Szenen<br />
zwar zu sehen, sie aber nicht vollständig verstehen zu können. Im Vorwort<br />
der Essaysammlung Certain Fragments: Contemporary Performance<br />
and Forced Entertainment reflektiert Etchells über<br />
die merkwürdige Verantwortung der Stadt, ihrer endlosen Massen, der mit halbem Auge<br />
wahrgenommenen Leben, der Medienwelten mit ihren Bildern, die immer und überall<br />
schon da sind. Die (glückliche) Erfahrung, erst zwei reale tote Körper, aber bereits tausende<br />
Fernsehleichen gesehen zu haben – echte und fiktionale Tode, vermittelte Tode. Wir wollten<br />
davon sprechen, wie es ist, in diesem Raum zu leben – diesem Raum der Erfahrung aus zweiter,<br />
dritter und vierter Hand. 1<br />
Theater und Performance gedeihen im Zwischenraum dieser Erfahrungen<br />
aus erster und zweiter Hand. Mit dem Versuch, Dramen zu inszenieren,<br />
die in einem grundsätzlichen Sinne in wechselseitiger Beziehung<br />
mit dem Realen stehen, erhält die Performance ihre Kraft – dadurch, daß<br />
sie den kulturell als ›Kunst‹ definierten Bereich in etwas verändert, das<br />
zutiefst notwendig ist für die Interpretation und Belebung des kulturell<br />
als ›Leben‹ definierten Raums. Ohne eine solche artifizielle und artefaktische<br />
Belebung wäre der Unterschied zwischen Tod und Schlaf sehr viel<br />
schwerer zu erkennen. Die Frau, die in Frozen Palaces auf dem Sofa liegt,<br />
könnte beides sein – schlafend oder tot. Es bedarf hier der Belebung durch<br />
die Kunst, um ihrem Bild eine Handlung zu geben, eine Belebung, die die<br />
Zeugin liefert, indem sie die Geschichte der Frau aus dem Zusammenhang<br />
der anderen Standfotos, die sie umgeben, erschließt.<br />
Von der Belebung des Virtuellen zu sprechen bedeutet allerdings bereits,<br />
sich an einer paradoxen Haltung zu beteiligen. Und genau diese Paradoxie<br />
des Virtuellen könnte eine Erkenntnistheorie der Performance zu<br />
entschlüsseln beginnen.<br />
1. Tim Etchells: Certain Fragments: Contemporary Performance and Forced Entertainment,<br />
London und New York: Routledge, 1999, S. 20f.<br />
323<br />
artintact 5
artintact 5<br />
324<br />
Die weitverbreitete Überzeugung, daß das Virtuelle das Reale<br />
›ersetzen‹ könne, verbindet es mit den Themen, die die Kunst schon<br />
immer fasziniert haben: Realismus, Ähnlichkeit, Echtheit. Aber während<br />
realistische Romane, Filme, Performances und Theaterstücke dem<br />
Zuschauer ein Identifikationsmodell anbieten, das sagt: ›Du bist sie/er‹,<br />
sagt die virtuelle Realität: ›Du bist hier‹. Um genauer zu sein, die<br />
Projektionsfläche des Theaters ist vor allem psychologisch-emotional,<br />
die der virtuellen Realität in erster Linie räumlich-technologisch. Beide<br />
basieren auf der Überzeugung, daß der Ersatz mit der gleichen Kraft wie<br />
das Reale funktionieren kann. Dieser Glaube ist auch die Grundlage der<br />
Psychoanalyse: Freud argumentierte, daß ein psychisches Ereignis dieselbe<br />
Intensität wie ein empirisches besitzen kann, und widmete sein<br />
ganzes Leben der Erklärung materieller Auswirkungen phantasmatischer<br />
Bilder, Szenen und Wünsche. Er unterstellte, daß die gesamte Kunstproduktion<br />
ihre Ursache in dem Wunsch nach Sublimierung einer sexuellen<br />
Absicht in eine a-sexuelle habe. Weiter argumentierte er, daß sexuelle<br />
Energie bemerkenswert anpassungsfähig sei: sie könne in a-sexuelle<br />
Energie umgewandelt werden, ohne wesentlich an Intensität abzunehmen.<br />
2 Aber Freud neigte dazu, die affektiven Begleiterscheinungen, die<br />
die Sublimierung ebenfalls hervorruft, herunterzuspielen: das Leiden und<br />
die Sehnsucht, die auftreten, nachdem man sich dem sexuellen Objekt<br />
hingegeben oder es aufgegeben hat. In diesem Sinne ist die Kunstproduktion<br />
auch die Komposition einer Geschichte meist verdrängter Trauer.<br />
Unabhängig davon, ob ein Kunstwerk diese Ersatzfunktion sichtbar<br />
macht (wie Brecht es mit dem Verfremdungseffekt versuchte) oder ob sie<br />
nahtlos integriert wird (wie es die meisten Hollywood-Filme tun): die<br />
zugrundeliegende Struktur des Ersatzes ist dieselbe. Vom Signifikanten<br />
2. Vgl. Sigmund Freud: ›Die »kulturelle« Sexualmoral und die moderne Nervosität.<br />
(1908)‹ – ders.: Fragen der Gesellschaft, Ursprünge der Religion. Studienausgabe Sigmund<br />
Freud, Bd. IX, Hg. Alexander Mitscherlich, Angela Richards, James Strachey,<br />
Frankfurt /M., 51989, insbes. S. 18.
der linguistischen Ökonomie bis zur Papierwährung der finanziellen<br />
Ökonomie bestimmt die Unvermeidlichkeit des Surrogats alle Strukturen<br />
der Austauschmöglichkeiten von Trauer und Melancholie. Die Performancekunst<br />
versucht, diese Ökonomie zu durchkreuzen, indem sie<br />
Begegnungen zwischen lebendigen Menschen innerhalb eines gemeinsamen<br />
räumlich-zeitlichen Kontextes inszeniert; die virtuelle Realität<br />
dagegen baut auf die Ökonomie des Ersatzes und erweitert sie in non-realistische<br />
und non-lineare Bereiche.<br />
Forced Entertainments Projekt Frozen Palaces doppelt die gewöhnliche<br />
Ersatzhandlung der Performance, indem es Performer als Bild<br />
präsentiert, bewegungslos, festgehalten in einem kunstvollen Bühnenbild,<br />
das die Schatten des Unbelebten, die Macht des Verschobenen und<br />
Toten aller künstlerischen Produktion einfängt. Es ist die zunehmende<br />
Instabilität der Grenzlinie zwischen Leben und Tod, die die meisten<br />
Arbeiten von Forced Entertainment belebt.<br />
Die Unmöglichkeit, die Unterscheidung zwischen Zeitebenen, zwischen<br />
einem absolut einmaligen Anfang und Ende, einer absoluten<br />
Grenze zwischen Leben und Sterben aufrechtzuerhalten, ist wichtiger<br />
Bestandteil von Live-Performances. Theater und Performance haben<br />
über Jahrhunderte den durch dieses ›Zwischen‹ geschaffenen Raum<br />
bewohnt. Forced Entertainment ist fasziniert von unserer Montage<br />
öffentlicher und privater Geschichte(n). Claire Marshall, die 1989 zu<br />
Forced Entertainment kam, faßt in der retrospektiven Performance A<br />
Decade of Forced Entertainment von 1994 die Hauptanliegen des Ensembles<br />
zusammen, indem sie die seltsame Art beschreibt, in der Geschichte<br />
in den Raum, in dem öffentliche und private Ereignisse miterlebt werden,<br />
eingeschrieben wird:<br />
Sie [Forced Entertainment] zeichneten eine Karte des Landes [England] und markierten<br />
darauf alle Ereignisse der letzten zehn Jahre – Schauplätze politischer und industrieller Konflikte,<br />
ökologische Katastrophen, Showbiz-Hochzeiten und Scheidungen von Berühmtheiten.<br />
Auf derselben Karte verzeichneten sie Ereignisse ihres eigenen Lebens – Aufführun-<br />
325<br />
artintact 5
artintact 5<br />
326<br />
gen, die sie gegeben hatten, Städte, in denen sie gewesen waren, Orte der Verletzungen, des<br />
Verliebens und Verlassens. […]<br />
Sie zeichneten eine Karte des Landes und markierten auf ihr die Ereignisse aus der ganzen<br />
Welt. Auf dieser Karte war die Raumfähre Challenger 1985 in Manchester explodiert.<br />
Die Union Karbid Bophal Chemiefabrik, die 1984 in die Luft gegangen war, wurde in Kent<br />
plaziert. Die Belagerung des russischen Parlamentsgebäudes 1991 hatte in Liverpool stattgefunden.<br />
3<br />
Was Forced Entertainment kartographierte, war, mit anderen Worten,<br />
der komplexe Prozeß, den ein öffentliches Ereignis durchläuft, um im Bewußtsein<br />
der Zuschauer-Zeugin anzukommen. Die Challenger, die ›den<br />
jämmerlichen Banden der Erde entwich‹, landete in Manchester, weil jemand<br />
vom Ensemble dort war, es dort erlebte und aufnahm. Die Zuschauerin<br />
dieser Fernsehexplosion vielfachen Todes war in Manchester,<br />
als sie vom Bild des Traumas eingeholt wurde und es aufnahm. Diese Vorstellung<br />
kognitiver und psychischer Aufzeichnung macht aus Geschichte<br />
eine eher aktiv komponierte Gegenwarts-Performance denn eine passiv<br />
erlebte Abfolge vergangener Ereignisse.<br />
Wenn Marshall anmerkt, daß die Gruppe auf ihrer Karte ›Ereignisse<br />
aus der ganzen Welt‹ markierte, weist sie implizit darauf hin, daß der Rest<br />
der Welt durch Glasfaserkabel zu ihnen brutzelt, als elektronische Pixel,<br />
über Kabelanbieter und Satellitenschüsseln. Aber da diese Ereignisse vorbeisausen,<br />
haben sie keinerlei Bedeutung – tatsächlich kann die Information<br />
erst ›gelesen‹ und sinntragend werden, wenn sie in einem System<br />
verzeichnet wird, das Bedeutung erzeugt. Ein solches System ist heute<br />
notwendigerweise sowohl technologisch als auch affektiv, kollektiv wie<br />
persönlich. Eine Zeugin von Frozen Palaces muß eine ähnlich performative<br />
Reise unternehmen, um die Beziehung zwischen den Bildern, die auf<br />
dem Computerbildschirm auftauchen und verschwinden, zu lesen und<br />
zu interpretieren. Dieser Prozeß des Erscheinens und Erlöschens, der<br />
3. Forced Entertainment: ›Ein Jahrzehnt verschärfter Unterhaltung – Forced Entertainment.‹<br />
– Flamboyant, Heft 4, Sommer 1996, S. 12. (Übersetzung leicht überarbeitet,<br />
A.d.Ü.)
Animation und Bewegung durch den Zeugen-Zuschauer inmitten fotografischer<br />
Szenen von Bewegungslosigkeit und Tod betont die Dualität<br />
unserer Todeserfahrung.<br />
Frozen Palaces spielt eine kleine, aber bedeutende und hilfreiche Rolle<br />
bei der Entwirrung der verzwickten Beziehung zwischen unserer individuellen,<br />
persönlichen Todeserfahrung und unserer Rolle als Zeugen der<br />
Geschichte des Todes. Die Geschichte des Todes hat am Ende dieses Jahrhunderts<br />
besonderes Gewicht. Die doppelte zeitliche und emotionale<br />
Umklammerung, mit der uns der Tod gefangenhält, macht ihn, zumindest<br />
teilweise, so schwer erträglich. Der Tod ist ein Ereignis, das wir vorhersehen,<br />
von dem wir uns aber kein Bild machen können: wir können seine<br />
besondere Gestalt in unserem eigenen Leben nicht wahrnehmen. Vielleicht<br />
assoziieren wir Tod mit dem Nichts und der Leere aus genau diesem<br />
Grund: weil wir nicht sicher sein können, wie unser eigener Tod aussehen<br />
wird. Doch sobald man dies ausgesprochen hat, muß man sich beeilen<br />
hinzuzufügen, daß das Imaginäre unserer Zeit gesättigt ist mit Bildern des<br />
Todes. All diese öffentlichen Bilder des Todes bilden eine Art kollektiven,<br />
historischen Hintergrund für unsere Träumereien über den eigenen Tod,<br />
die Erwartung und Angst gleichermaßen beinhalten. Diese Projektion<br />
und Unterdrückung des Bildes vom Tod pulsiert direkt im Zentrum<br />
menschlicher Anwesenheit.<br />
Der Tod bewegt sich, kurz gesagt, an der Grenzlinie zwischen<br />
Darstellung und Darstellbarkeit. Diese Bewegung könnte, zumindest<br />
anfänglich, als eine zwischen persönlicher Anwesenheit und kollektiver<br />
Iteration verstanden werden. Performance/Darstellung meint den Akt in<br />
einer einmaligen zeitlich-räumlichen Dimension, während Darstellbarkeit<br />
die Wiederholung des Akts signalisiert, der demjenigen, den der<br />
Zuschauer in der Gegenwart fixiert, vorangeht und zugleich nachfolgt.<br />
Dadurch wird jede einmalige Erfahrung des Todes durch die iterative<br />
Kraft kollektiver Geschichte und Zukunft des Todes interpretiert. Die<br />
Darstellbarkeit des Todes macht ihn banal (so wie man nicht mit nur ei-<br />
327<br />
artintact 5
artintact 5<br />
328<br />
nem Bild von Prinzessin Diana entkommen kann, kann man auch nicht<br />
mit nur einem Bild des Todes entkommen). Die einmalige Erfahrung des<br />
eigenen Todes (oder des Todes eines geliebten Menschen) dagegen läßt<br />
den Verlust von Sprache, von narrativer Systematik zumindest flüchtig<br />
anschaulich werden, wodurch der Tod als einmaliger Akt verstanden und<br />
vermittelt werden kann. Der Todesakt erhält nur in der und durch die Beobachtung<br />
eines anderen, eines Zuschauer-Zeugen, Bedeutung. Die Besonderheit<br />
des individuellen Todes unterbricht den Fluß kollektiver Darstellbarkeit<br />
des Todes. Diejenige, die diesen Tod beobachtet, fällt,<br />
jedenfalls für eine gewisse Zeit, aus der Bedeutungsmaschinerie heraus<br />
und halluziniert eine andere Realität – selbst während sie miterlebt, wie<br />
ein geliebter Mensch stirbt, nur um als im Geist der trauernden Zeugin bereits<br />
Lebender von neuem erkannt zu werden. Dieser Prozeß legt die Vermutung<br />
nahe, daß wir beginnen, den Tod neu zu definieren. Vielleicht ist<br />
er nicht länger ein einzigartiges Ereignis, das nur einmal im Leben stattfindet.<br />
Vielleicht wird der Tod zu etwas, das wir, wie all unsere Bilder, umkreisen<br />
können, durch das wir hindurchgehen und das wir endlos wiederholen<br />
können.<br />
Übersetzung: Astrid Sommer
329<br />
artintact 5
Die Künste des Selbst 1<br />
Achtzehn Beobachtungen<br />
zu persönlichenMemorabilien<br />
Von Tjebbe van Tijen<br />
I<br />
Meine Hand ist schon über dem Papierkorb, als ich plötzlich zögere:<br />
Soll ich es wirklich wegwerfen? Dieses Mal behalte ich es, viel öfter werfe<br />
ich Dinge weg. Dennoch füllt sich mein Haus im Laufe der Jahre mit<br />
Gegenständen und Dokumenten, die der qualvollen Klassifizierung als<br />
Abfall entronnen sind – Dinge, die ich für später aufbewahre, als Erinnerungshilfe.<br />
Oft sind sie nicht von vornherein (wie Souvenirs, Ansichtspostkarten<br />
oder Schnappschüsse) als Memorabilien gedacht, sondern es<br />
sind Objekte, denen ich eine zusätzliche Bedeutung gebe, die ich aus der<br />
Kategorie ›Utensilien des täglichen Gebrauchs‹ in diejenige persönlicher<br />
Schätze befördere. Zu jedem dieser Dinge gibt es eine Geschichte, die in<br />
den meisten Fällen unsichtbar ist und deswegen erzählt werden muß.<br />
Sprache ist notwendig, um das ›Unsichtbare sichtbar‹ zu machen, wie<br />
Krzysztof Pomian in seiner Studie über den Ursprung des Museums<br />
schreibt. Er erfindet ein spezielles Wort für solche Dinge, deren Status<br />
sich verändert hat, die von nützlichen Dingen zu solchen werden, die<br />
etwas repräsentieren, das nicht sichtbar ist. Pomian benutzt den Begriff<br />
›Semiophor‹, der sich aus den griechischen Worten für ›Zeichen‹ und<br />
›Träger‹ zusammensetzt. 2 Diese Erinnerungsstücke, diese persönlichen<br />
1. Dieser Text ist eine gekürzte Fassung. Der vollständige Essay ist abrufbar unter:<br />
.<br />
2. Krzysztof Pomian: Der Ursprung des Museums. Vom Sammeln. Berlin: Klaus Wagenbach,<br />
1988, S. 82.<br />
Agnes Hegedüs: Things Spoken, 1998. Screenshot.<br />
331<br />
artintact 5
artintact 5<br />
332 Memorabilien sind zumeist mit Personen verbunden, die uns lieb und<br />
teuer sind oder waren, Familienmitglieder, Freunde, Geliebte, oder mit<br />
Menschen, die wir bewundern. Es sind in erster Linie Dinge, die mit dem<br />
Körper verbunden sind: Nabelschnur, Vorhaut, Haare von Kindern oder<br />
Geliebten; die ersten Zähne in einer Schachtel; Nägel; blutbefleckte<br />
Kleidungsstücke; Samen- und Lippenstiftspuren auf Liebesbriefen;<br />
Kleidungsstücke – von ersten Babysachen bis zu Frauenunterwäsche;<br />
Schuhe und Taschentücher; Schals und Hüte; Brillen und künstliche<br />
Zähne. Und dann gibt es die Dinge, die wir erben, die oftmals keinen<br />
praktischen Nutzen mehr haben, aber die auch noch nicht alt genug sind,<br />
um als ›antik‹ eingestuft zu werden, die man nicht wegen ihres materiellen<br />
oder repräsentativen Wertes aufbewahrt, sondern aus emotionalen Gründen:<br />
weil sie uns helfen, uns zu erinnern.<br />
II<br />
Objekte wie das Souvenir, die bewußt als Andenken gemacht sind,<br />
scheinen einer anderen Kategorie anzugehören. Ob triviales Massenprodukt<br />
aus Urlaubsorten oder Arbeiten des einheimischen Handwerks, der<br />
Besitzer wird, wann immer er es betrachtet oder jemandem zeigt, eine<br />
persönliche Erinnerung damit verbinden; auch in diesem Fall ist es Auslöser<br />
für das Erzählen persönlicher Geschichten. Das Andenken kommt<br />
aus der Tradition der Pilgerfahrt, von der man eine Reliquie mit nach<br />
Hause brachte, als Beweis für eine lange Reise, oft etwas, das einen direkten<br />
Kontakt mit einer Heiligen oder einem heiligen Ort behauptet, etwas<br />
mit übernatürlicher Kraft. Die Leichtigkeit und der Komfort moderner<br />
Beförderungsmöglichkeiten lassen sich natürlich nicht mit den Entbehrungen<br />
einer Pilgerfahrt in früheren Zeiten vergleichen, aber das Andenken<br />
ist noch immer eine Reliquie, die Eigenschaften des ›Heiligen Landes‹<br />
transportiert. Pilgern und plündern, Tourismus und Raub – es gibt einige<br />
Parallelen zwischen der modernen Souvenirindustrie und dem Raub heiliger<br />
Gegenstände ferner und fremder Kulturen in früheren Jahrhunder
ten, als die Beute, die man nach Hause brachte, verkauft, aufbewahrt oder<br />
ausgestellt wurde in den Schatzkammern von Tempeln und Palästen, in<br />
den privaten Wunderkammern oder staatlichen Museen. Ein Akt, der sowohl<br />
von Geringschätzung als auch von Interesse für das Unbekannte<br />
und Fremde zeugt. Diese Haßliebe wurde über den Tourismus in unsere<br />
Zeit übertragen durch die als Massenware produzierten Darstellungen<br />
des Authentischen, die an die angeblichen Erwartungen der Touristen angepaßt<br />
werden. Statt Artefakte werden nun kulturelle Werte geplündert,<br />
die bereits verschwundene oder in Auflösung befindliche Ausdrucksund<br />
Lebensformen imitieren.<br />
III<br />
Manche Objekte sind nicht typisch für eine bestimmte Region oder<br />
ein bestimmtes Land, aber strahlen eine gewisse Sehnsucht oder Nostalgie<br />
nach lange vergangenen Zeiten aus, oder nach Orten, die es nie<br />
gegeben hat. Miniaturbauernhäuser, kleine Modelle unbestimmter<br />
Fischerboote, Glaskugeln, mit oder ohne Schneeflocken, die winzige<br />
Landschaften zeigen. Es gab schon immer eine Industrie, die das herstellt,<br />
was im Englischen als tat bezeichnet wird. John Windsor gibt eine Definition<br />
für das, was damit repräsentiert wird: ›Nicht wie die Vergangenheit<br />
wirklich war, sondern wie Kunden sich gerne vorstellen, daß sie gewesen<br />
sei‹, mit anderen Worten: ›unser heutiges Bild des Gestern.‹ 3 Schlechter<br />
Geschmack und Klischees, Kitsch und Tand – die Intellektuellen werden<br />
davon absehen, solche verabscheuungswürdigen Dinge zu erstehen, obwohl<br />
sich in ihrem Innern vielleicht etwas von der Offenheit eines Kindes<br />
bewahrt hat, das sich von solchen tabuisierten Dingen stark angezogen<br />
fühlt. Eine Erklärung für die Herkunft des Wortes ›Kitsch‹ ist, daß es von<br />
3. John Windsor: ›Identity Parades.‹ – Cultures of Collecting, Hg. John Elsner und Roger<br />
Cardinal, London: Reaktion Books, 1994, S. 55. [tat bezeichnet eine Handarbeit: ›Frivolitätenarbeit‹,<br />
mit einem Schiffchen hergestellte Knüpfspitze (veraltet). Anm. d. Ü.]<br />
333<br />
artintact 5
artintact 5<br />
334<br />
dem mundartlichen deutschen Verb ›kitschen‹ (den Straßenschlamm<br />
zusammenscharren) abgeleitet ist. Man kann es auch mit der spontanen<br />
Aktivität der meisten kleinen Kinder in Verbindung bringen, die anfangen,<br />
alles mögliche für ›ihre Sammlung‹ aufzubewahren: Steine, Stöckchen,<br />
Federn, Blätter. Was andere Menschen wegwerfen, was die Natur<br />
nicht mehr braucht, wird zum Sammelgegenstand für ein Kind, das sich<br />
damit vergnügt, Ähnlichkeiten zwischen den Dingen zu entdecken, sie zu<br />
vergleichen, in Gruppen zu ordnen, ansprechend zu arrangieren, sie anderen<br />
zu zeigen, und dabei oftmals kleine Geschichten zu erzählen oder<br />
Erläuterungen zu geben.<br />
IV<br />
Die organisierte Wiederverwertung von all den Dingen, die zum Wegwerfen<br />
bestimmt sind, die Basare, Trödel- und Flohmärkte, ziehen viele<br />
›Erwachsene‹ an. Hier ist die ›kindliche Sammelleidenschaft‹ einigermaßen<br />
akzeptabel, denn sie ist als Handel verpackt, aber neben dem<br />
Bedürfnis, ein gutes Geschäft, ein Schnäppchen zu machen, liegt die<br />
eigentliche Faszination im Erinnern. Diese Art chaotischer Darbietung<br />
von Waren regt unser Erinnerungsvermögen an, sie stellt ein kollektives<br />
Gedächtnistheater dar: ein Mischmasch veralteter Utensilien, von Kitsch<br />
und Tand, der darauf wartet, für irgendjemanden zum Symbol eines<br />
besonderen Momentes seines Lebens zu werden. Ein Aspekt, der von<br />
besonderer Bedeutung für persönliche Memorabilien zu sein scheint, ist<br />
die Anordnung der Waren auf diesen Märkten, ihre räumliche Taxonomie,<br />
die tägliche Neuordnung der unterschiedlichsten Dinge, die nach<br />
Tageslaune zusammengewürfelt werden. Ich wage zu behaupten, daß das<br />
kreative Chaos das bevorzugte Ordnungssystem für persönliche Erinnerungsstücke<br />
ist. Das Schuhschachtelarchiv, angefüllt mit einer Mischung<br />
aus persönlichen Papieren und Fotografien, ist eines der besten Beispiele<br />
für diese Praxis. So oft man ein Dokument sucht oder etwas zeigt, gerät<br />
der Schachtelinhalt in eine neue (Un-)Ordnung. Solche unordentlichen
Behältnisse sind ein Stimulus für neue Assoziationen, neue Vergleiche,<br />
für neue Wege, sich vergangener Lebensabschnitte zu erinnern – sie sind<br />
geradezu ein Modell für die Art und Weise, in der wir uns erinnern.<br />
V<br />
Der persönliche Schnappschuß, das Foto, mit dem wir versuchen, einzigartige<br />
und spontane Augenblicke unseres Lebens einzufangen, ist die<br />
massenhaft produzierte Gedächtnisstütze unserer Zeit. Obwohl der<br />
Schnappschuß im allgemeinen als etwas rein Bildhaftes angesehen wird,<br />
das der Welt des Sichtbaren angehört, ist seine soziale Funktion doch eine<br />
erzählerische. Bekommt man von Freunden oder auch von vollkommen<br />
fremden Menschen, die man zufällig getroffen hat, Fotos gezeigt, wird<br />
dies von Erläuterungen und Geschichten begleitet. Es ist erstaunlich, wie<br />
oft auf etwas verwiesen wird, das in den Bildern selbst nicht zu sehen ist,<br />
während unsere Augen dem auf Details zeigenden Finger des Erzählers<br />
folgen und man den Geschichten lauscht. Für andere ist es oft langweilig,<br />
die Fotos, die wir selbst gemacht haben, zu betrachten, denn wir sehen so<br />
viel mehr in ihnen oder durch sie; wir entsinnen uns all dessen, was außerhalb<br />
des Rahmens geblieben ist, was kurz zuvor oder danach passierte,<br />
der Gerüche, der Temperatur, der Atmosphäre, der Aura.<br />
VI<br />
Vor mehr als 100 Jahren entwickelte George Eastman die Rollfilme,<br />
die sehr lichtempfindlich waren und es ermöglichten, viele Bilder schnell<br />
und einfach aufzunehmen. ›Sie drücken auf den Auslöser, wir erledigen<br />
den Rest‹ war der Slogan, der den Status der Fotografie veränderte: von<br />
der steifen Pose, dem starren Blick in die auf einem Stativ fixierte Kamera<br />
zum zwanglosen Amateurschnappschuß. Massenproduktion und hochentwickelte<br />
Vertriebssysteme haben den Stellenwert der modernen<br />
Fotografie verändert, aus Fotos sind ›Dinge von geringem Interesse,<br />
ohne bleibenden Wert‹ geworden, die man ›konsumiert und weg-<br />
335<br />
artintact 5
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336<br />
wirft‹. 4 Dieses Zitat über den veränderten Gebrauch von Fotografien<br />
stammt aus einem Text von John Tagg, der erst vor zehn Jahren veröffentlicht<br />
wurde. Und heute wird durch die Weiterentwicklung digitaler Bildwelten<br />
nicht nur der Gebrauch von Fotos, sondern das Foto selbst flüchtiger<br />
und entmaterialisierter. Das Filmmaterial wird ersetzt durch die<br />
elektronische Speicherplatte, und die Bildschirme von Fernseher und PC<br />
werden das unmittelbare Zusammenfügen beliebiger eingefrorener Augenblicke<br />
ermöglichen. Dem Zappen durch die Fernsehkanäle, dem Surfen<br />
im Internet werden ähnliche Navigationsstrategien für unser elektronisches<br />
Fotoalbum folgen. Obwohl es weiterhin ein Bedürfnis nach berührbaren<br />
Objekten geben wird, nach der Fotografie als Abzug (vor<br />
allem, weil er transportabel ist), wird die fortschreitende Miniaturisierung<br />
(von Schreibtisch- auf Handtellergröße) die Anzahl dauerhafter<br />
Erinnerungsstücke weiter reduzieren.<br />
VII<br />
Bei dem Versuch, Erinnerung und das Vergehen der Zeit zu erklären,<br />
kommen mir zuerst räumliche Metaphern in den Sinn. ›Zurückschauen‹<br />
und ›Rückblick‹ sind allgemein gebräuchliche Begriffe. Der französische<br />
Philosoph Henri Bergson ist einer der Kritiker dieser Vorstellung von<br />
Zeit:<br />
Zeit sollte man sich nicht räumlich vorstellen und die Erinnerung selbst sollte man als etwas<br />
Befristetes sehen, als Anhäufung von Vergangenem auf Vergangenem, wobei keines der<br />
Elemente einfach verfügbar ist, sondern durch die hinzukommenden Elemente, die sich aus<br />
der Vergangenheit ansammeln, jeweils verändert wird. 5<br />
4. John Tagg: The Burden of Representation. Essays on Photographies and Histories.<br />
Basingstoke: Macmillan Education, 1988, S. 56.<br />
5. Henri Bergson (1910) zitiert bei John Urry: ›How societies remember the past.‹ – Theorizing<br />
Museums. Representing Identity and Diversity in a Changing World. Eds. Sharon<br />
Macdonald und Gordon Fyfe. Oxford: Blackwell, The Sociological Review, 1996, S. 48.
Marcel Prousts Romanserie Auf der Suche nach der verlorenen Zeit<br />
basiert auf Bergsons Theorien, die die kreativen Fähigkeiten des Menschen<br />
und seine Intuition als Instrumente hervorheben, mit deren Hilfe er<br />
versucht, das Universum zu verstehen.<br />
Ja, wenn auf Grund des Vergessens die Erinnerung zwischen sich selbst und der gegenwärtigen<br />
Minute kein Band hat knüpfen, sie nicht hat zusammenketten können, wenn sie an<br />
ihrem Ort und Zeitpunkt geblieben ist, wenn sie ihre Distanz gewahrt, ihre isolierte Lage in<br />
der Höhlung eines Tales oder auf der Spitze eines Gipfels beibehalten hat, bewirkt sie, daß<br />
wir plötzlich eine neue Luft einatmen, gerade deshalb, weil es eine Luft ist, die wir früher<br />
schon eingeatmet haben, jene reinere Luft, von der die Dichter vergebens behaupten, sie<br />
herrsche im Paradies, wo sie uns aber dieses tiefe Gefühl von Erneuerung auch nur dann<br />
geben könnte, wenn sie schon einmal eingeatmet wäre, denn die wahren Paradiese sind Paradiese,<br />
die man verloren hat. 6<br />
An einer früheren Stelle des Romans bedauert Proust ›das Unglück<br />
der anderen, daß sie in unserem Denken nur eine sehr brauchbare Regalplanke<br />
für Dinge abgeben, die es sammelt.‹ 7 Ebenso stellt er fest, daß sein<br />
Denken sich die Geschicke anderer für seine eigenen Zwecke zunutze<br />
macht, ›als hätten sie ihr Leben einzig zu meinem Nutzen gelebt und<br />
seien im Grunde auch für mich gestorben‹ 8 . Proust weiß, daß er im<br />
Gegenzug von anderen benutzt wird:<br />
Es war traurig für mich zu denken, daß meine Liebe, auf die ich so großes Gewicht gelegt<br />
hatte, in meinem Buche derart von einem bestimmten Wesen losgelöst auftreten werde, daß<br />
die verschiedensten Leser meine Gedanken darüber genauso gut auf das würden anwenden<br />
können, was sie selbst für andere Frauen empfunden hatten. 9<br />
6. Marcel Proust: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, Bd. 10: ›Die wiedergefundene<br />
Zeit‹. Deutsch von Eva Rechel-Mertens. Frankfurt/M.: Suhrkamp Verlag, Ausgabe in<br />
zehn Bänden, 61993, S. 3940.<br />
7. Ebd., Bd. 9: ›Die Entflohene‹, S. 3501.<br />
8. Ebd., Bd. 10, S. 3985.<br />
9. Ebd.<br />
337<br />
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338<br />
VIII<br />
Indem ich diese Passagen von Proust wieder und wieder lese, werde<br />
ich auf mein eigenes Leben zurückgeworfen, auf die therapeutische<br />
Wirkung des Schreibens, auf meine Versuche, die Zeit anzuhalten, ja, die<br />
Zeit zurückzudrehen nach dem plötzlichen Tod meiner Freundin, die<br />
von einer Wespe in die Lippe gestochen wurde, an einem warmen<br />
Sommerabend vor nunmehr acht Jahren, den sie mit Freunden auf einer<br />
Dachterrasse verbrachte. Der Tod trat aufgrund eines anaphylaktischen<br />
Schocks, wie es die Ärzte nannten, fast sofort ein. In der Nacht, in der<br />
mich der Schicksalsbote aufgesucht hatte, begann ich zu schreiben:<br />
Am Scheideweg von Nacht und Dämmerung wird dies geschrieben // die tödliche Grenze<br />
ist erschreckend nahe // wird dein Begräbnis rechtzeitig stattfinden? // Du bist nicht gestorben,<br />
doch tot // wenn ich mit äußerster Intensität in den Spiegel schaue, sehe ich deine<br />
Augen noch in den meinen, kann ich noch mit dir sprechen …<br />
Ich schrieb weiter, über mehrere Monate, spät nachts zumeist, wenn<br />
ich am verzweifeltsten war. Ich saß an meinem Computer zu Hause, las<br />
und schrieb, und auch an öffentlichen Orten, auf Bahnfahrten, in Cafés<br />
im Ausland. Ich tippte auch die handgeschriebenen Texte in den Computer,<br />
formulierte um, glättete den Text, las ihn mir halblaut vor. Nach einer<br />
Weile änderte ich nichts mehr, aus Angst, daß durch zuviel Schliff meine<br />
Gefühle verlorengehen könnten. Es beruhigte mich, meine Erinnerungen<br />
im Schreiben festzuhalten, es gab mir das Gefühl, ich hätte die Zeit angehalten,<br />
nicht für sehr lange zwar, aber doch während des Prozesses von<br />
Schreiben und Lesen. Es war (und ist es immer noch) ein fast vollständig<br />
persönliches Tagebuch. Mehr als ein Jahr später druckte ich einige wenige<br />
Seiten aus und fügte sie einer Reihe von Erinnerungsschachteln bei, die<br />
Rollen mit digitalisierten Fotos von Memorabilien meiner Freundin enthalten,<br />
Fotografien, eine Tonkassette von der Beerdigung, einige Stücke<br />
aus ihrer Sammlung parfümierter Seifen, die sie besonders mochte. Einige<br />
enge Freunde bekamen eine solche große Schachtel, mit dem Hinweis,<br />
daß sie den Text nicht sofort lesen müßten, sondern daß er ein Zeugnis für
später sei. Beschauliche Objekte, die in Verbindung mit meiner Geliebten<br />
stehen, arrangiert in einer Serie von Bildrollen, das Schreiben eines Tagebuchs,<br />
das Herstellen einer begrenzten Anzahl von Kopien und ihre<br />
Verteilung, all dies war eine Möglichkeit, meinen Schmerz nach außen zu<br />
verlagern. Es beendete ihn nicht, aber es machte ihn erträglicher. Es war<br />
ein Ritual, um den Kummer zu teilen, um eine Form für die Trauer und<br />
den schmerzlichen Verlust zu finden, und auch, um Versuche, neue Kontakte<br />
zu knüpfen, zu verfolgen.<br />
IX<br />
›Üblicherweise ist es das Schicksal eines Tagebuchs, zerstört zu werden‹,<br />
schreibt Malik Allam in seiner Studie über ›Intime Tagebücher –<br />
Eine Soziologie persönlicher Schriften‹ 10 . Allam hat versucht, das zu<br />
beleuchten, was normalerweise im Dunkeln bleibt: Die Tagebücher, die<br />
intimen Aufzeichnungen, die nicht zur Veröffentlichung bestimmt sind,<br />
deren Inhalt in den meisten Fällen nicht einmal der Familie oder Freunden<br />
gezeigt wird. Es ist eine Studie über ›den Tagebuchschreiber‹, der sich<br />
in sein Zimmer für ein Tête-à-tête mit sich selbst zurückzieht – mit Hilfe<br />
seines Tagebuchs. Als Soziologe ist Allam mit einem delikaten Problem<br />
konfrontiert: Es ist schon schwierig genug, jemanden nach der Existenz<br />
eines Tagebuchs zu fragen, um wieviel schwieriger erst, es lesen und<br />
darüber sprechen zu wollen. Die Lösung war, ›die Tagebuchschreiber zu<br />
befragen, ohne ihre Aufzeichnungen zu lesen‹ 11 . Die Gründe für das<br />
Schreiben sind ebenso unterschiedlich wie der Prozeß des Schreibens:<br />
Schlechte Beziehungen lösen, aussprechen, was man nicht öffentlich<br />
sagen kann, Depressionen kontrollieren, den eigenen Gedanken beistehen.<br />
In der Studie gibt es Beispiele wie das von Claude, einem 47jähri-<br />
10. Malik Allam: Journaux intimes, une sociologie de l’Ècriture personnelle. Paris: Edition<br />
L’Harmattan, 1996, S. 7.<br />
11. Ebd.<br />
339<br />
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artintact 5<br />
340<br />
gen Mann, der mit 19 angefangen hat zu schreiben. Er berichtet, daß er<br />
von den Tagebüchern der Anne Frank beeinflußt worden ist, und daß er<br />
Schwierigkeiten hat, die Leere zu füllen, die er in seinem Leben spürt. In<br />
seinem Tagebuch schreibt er über seine Homosexualität, die er vor der<br />
Außenwelt verbirgt: ›Er beschreibt sich selbst als jemanden, der kein Liebesleben<br />
hat, sondern ein Leben »mit dem Papier« führt.‹ 12<br />
X<br />
Claude muß das Verstecken von Anne Frank und ihrer Familie vor<br />
den Nazis im ›Achterhuis‹ in Amsterdam mit dem Verbergen seiner eigenen<br />
Homosexualität in Verbindung gebracht haben. Er erwähnt Annes<br />
Tagebuch als Beispiel, dem er folgen möchte. Er strebt kein ›coming out‹<br />
an, hat nicht vor, sein Tagebuch anderen Leuten zu zeigen, obwohl die<br />
Tatsache, daß er an dem Forschungsprojekt von Allam teilgenommen hat,<br />
vielleicht ein Schritt in eine neue Richtung ist. Für Anne war das Schreiben<br />
ihres Tagebuchs eine sehr private und intime Angelegenheit. Auch<br />
wenn die Umstände nicht vergleichbar sind, ist der Ausgangspunkt derselbe:<br />
›Ich werde, hoffe ich, Dir alles anvertrauen können, wie ich es noch<br />
bei niemandem gekonnt habe, und ich hoffe, Du wirst mir eine große<br />
Stütze sein.‹ 13<br />
Dies schreibt Anne Frank am 12. Juni 1942 auf die erste Seite ihres<br />
ersten Tagebuchs, als sie, wie viele Jahre später Claude, ein ›Leben mit<br />
dem Papier‹ beginnt. Es gab erbitterte Kontroversen darüber, in welchem<br />
Verhältnis der veröffentlichte Text aus dem Tagebuch der Anne Frank<br />
zum Originalmanuskript steht, und die Debatte flammte durch das Auftauchen<br />
einiger ›fehlender‹ Seiten erneut auf. In einer Besprechung verschiedener<br />
Studien, die sich mit dem lange andauernden Streit beschäf-<br />
12. Ebd., S. 105f.<br />
13. Anne Frank Tagebuch. Fassung von Otto H. Frank und Mirjam Pressler, aus dem<br />
Niederländischen von Mirjam Pressler (nach der Originalausgabe, Hg. vom Rijksinstitut<br />
voor Oorlogsdocumentatie, Amsterdam). Frankfurt/M.: S. Fischer, 1992, S. 11.
tigen, bemerkt der holländische Autor Ian Buruma: ›Da es so vieles enthält,<br />
liest jeder etwas anderes aus diesem Tagebuch heraus, genau wie bei<br />
jedem anderen komplexen Werk auch‹, schließlich ›möchte eben jeder<br />
seine eigene Anne‹. 14<br />
XI<br />
Das Haus, in dem ich wohne, diente während des Krieges ebenfalls als<br />
Versteck für Juden. Es befindet sich am Rande des ehemaligen jüdischen<br />
Ghettos, das 1941 in der Innenstadt von Amsterdam eingerichtet worden<br />
war. Ich lebe hier seit 23 Jahren, und es muß jetzt etwa 20 Jahre her sein,<br />
daß ich den Dachboden aufräumte und in einer Spalte zwischen den<br />
Dachlatten und der sie stützenden Wand eine Reihe verstaubter Päckchen<br />
fand. In der Hülle, die einmal Packpapier gewesen sein mochte, befanden<br />
sich verschiedene persönliche Papiere, ein Kalender, ein Paß, zerknitterte<br />
Fotografien, Seifenstücke, ein Päckchen Rasierklingen, zwei Lippenstifte,<br />
eine Tüte Talgpuder und eine kleine Schachtel Kaffeebohnen. Diese<br />
Dingen gehörten L. C., einem Juden, der offensichtlich ein Musikgeschäft<br />
betrieben hatte und der – wie auf den Fotografien zu sehen war – auch als<br />
eine Art Clown aufgetreten war (was die Schminkutensilien erklärt).<br />
Natürlich las ich mir all diese Dokumente wieder und wieder durch und<br />
versuchte, mir einen Reim darauf zu machen. Ohne großen Erfolg. Die<br />
Notizen im Kalender (ein Taschenkalender von 1942, von der niederländischen<br />
Zweigstelle von Siemens in Den Haag herausgegeben) waren<br />
besonders schwer zu verstehen. Es ist ungewiß, ob sie in irgendeinem<br />
Zusammenhang zum jeweiligen Datum stehen, und ihr Inhalt ist sehr<br />
rätselhaft. Während des Schreibens an diesem Text über persönliche<br />
Memorabilien hatte ich plötzlich das Bedürfnis, noch einmal den Spuren<br />
der Menschen, die im selben Haus gelebt hatten wie ich, nachzugehen.<br />
14. Ian Buruma: ›The Afterlife of Anne Frank.‹ – The New York Review of Books, 19.<br />
Februar 1998.<br />
341<br />
artintact 5
artintact 5<br />
342<br />
Hinauf auf den Speicher, um die staubige Schachtel, die Zuflucht ihrer<br />
Seelen, wieder hervorzuholen. Beim erneuten Lesen des Kalenders von<br />
1942, wobei ich immer wieder Teile übersprang, fand ich hin und wieder,<br />
über mehrere Seiten verstreut, einige Sätze, aus denen Verzweiflung, Leid<br />
und Angst spricht: ›Daß das Menschen waren, die mit entsetzlicher<br />
Ernsthaftigkeit handelten‹; ›ein unheilverkündender Verdacht durchzuckte<br />
ihn‹; ›er durfte bleiben, das ist nur bedingt wahr, aber noch durfte<br />
er bleiben‹, und, einer der letzten Einträge: ›Die Natur schert sich nicht<br />
um menschliche Verbrechen oder menschliches Leid, und heute morgen<br />
schrie die Sonne strahlender denn je‹. Der letzte Satz ist auf einer Seite<br />
geschrieben, die am Sonntag, den 7. Juli 1942 beginnt, und so gibt es letztendlich<br />
vielleicht doch eine sinnvolle Chronologie. Die übrigen Seiten<br />
des Kalenders sind leer, bis auf eine Packliste auf der Rückseite. Wieder<br />
schaudere ich beim Lesen der kleinen, ordentlichen Handschrift, die die<br />
mehr als 30 Sachen, die nicht vergessen werden dürfen, auflistet. Ich muß<br />
nicht alle aufzählen:<br />
… kleine Leinentasche mit Stopfsachen, Nagelbürste, Vorhängeschloß, Sicherheitsnadeln,<br />
Zahnpasta, Rasiercreme, 2 Schlafanzüge, 2 Hemden, 2 Handtücher, Schreibzeug, 5 Paar<br />
Socken …<br />
Ich habe mir diese Memorabilien vielleicht insgesamt fünfmal angesehen.<br />
Jedesmal bin ich wieder erschüttert. Bisher habe ich nicht gewagt<br />
nachzuforschen, ob dieser Mann oder irgendeiner seiner Verwandten die<br />
Vernichtungsmaschinerie, die sie erwartete, überlebt hat. Da ich selbst ein<br />
Archivar bin, wäre das letzte, was ich tun würde, diese bescheidenen Spuren<br />
dem riesigen Friedhof des Staatlichen Kriegsarchivs oder einer ähnlichen<br />
Institution zu übergeben, deren Profession es ist, menschliches<br />
Leid zu sammeln. Solange ich in diesem Haus lebe, sollten diese zerfallenden<br />
Objekte und staubigen Papiere besser hier bleiben, so daß ich in regelmäßigen<br />
Abständen L.C., der noch immer dieses Haus mit mir teilt,<br />
die Ehre erweisen kann.
XII<br />
Auf den Dachböden von Häusern in der ganzen Welt, ganz hinten in den Schränken,<br />
ganz unten in den Schubladen liegen Zeugnisse des Lebens so vieler vergessener Frauen.<br />
Sammelalben, Bücher, die sich aus den Fragmenten des Lebens zusammensetzen, […] vielschichtige<br />
Aufzeichnungen von Lebenserfahrungen.<br />
Dies sind die ersten Sätze aus einem Manuskript über ›Sammelalben‹<br />
von Georgen Gilliam, deren besonderes Interesse persönlichen Alben<br />
von Frauen gilt, die flüchtige Andenken aus ihrem Leben enthalten:<br />
›Briefe, Fotografien, Zeitungsausschnitte, Einladungen, Haarlocken,<br />
Ballkarten.‹ 15 Solche Alben – Dokumente und Objekte, die als Beweisstücke<br />
eigener Erfahrungen und Beziehungen gesammelt wurden –<br />
enthalten meist nur wenig geschriebenen Text. Wenn sie, gelegentlich,<br />
anderen gezeigt werden, dann zumeist in einer privaten, intimen Atmosphäre.<br />
Dabei wird die Bedeutung der Objekte und Dokumente erläutert,<br />
auch dann, wenn Alben bereits mit kurzen schriftlichen Erklärungen versehen<br />
sind. Gilliam zitiert viele neuere Studien zu diesem Thema, häufig<br />
aus feministischer Sicht, die betonen, daß diese besondere weibliche Ausdrucksform<br />
von historischen und literarischen Studien ignoriert wird,<br />
daß genderspezifische Unterschiede bei Selbstdarstellungen nicht gesehen<br />
werden. Vergleicht man sie mit Autobiografien, der beliebtesten<br />
Form männlicher Selbstdarstellung, so zeigt sich, daß die Alben der<br />
Frauen ›wenig Eigenfokussierung‹ aufweisen. Gilliam verweist mehrmals<br />
auf die traditionell weibliche Kunst des Herstellens von Quilts, Decken<br />
›aus Stoffstücken, Fetzen und Teilen von Kleidungsstücken, aus denen<br />
die Familienmitglieder herausgewachsen sind‹, und zieht eine Parallele<br />
zur Art und Weise, wie die Sammelalben (und autobiografische Schriften<br />
von Frauen im allgemeinen) komponiert sind. 16 Wir können sogar noch<br />
15. Georgen Gilliam: ›Scrapbooks.‹ – .<br />
16. Gilliam bezieht sich hier auf Ilene Alexander, Mary Johnson und Marilyn Motz, siehe<br />
auch: . Eine ähnliche Argu-<br />
343<br />
artintact 5
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344<br />
weiter in der Geschichte zurückgehen, um ähnliche Beispiele für den<br />
Gebrauch persönlicher Notizbücher in der ›Hypomnemata‹ der griechisch-römischen<br />
Kultur zu finden:<br />
Man schrieb darin Zitate nieder, Auszüge aus Büchern, Beispiele oder Geschehnisse, die<br />
man beobachtet oder von denen man gelesen hatte, Reflexionen, die man gehört hatte oder<br />
Gedankengänge, die einem in den Sinn kamen. Sie bildeten ein Zeugnis dessen, was man<br />
gelesen, gehört oder gedacht hatte und stellten auf diese Weise eine Ansammlung von Schätzen<br />
dar, die zu weiterem Nachlesen und -denken aufforderten. 17<br />
Dies ist ein Auszug aus einem Aufsatz Michel Foucaults, in dem er<br />
beschreibt, daß diese Form des Schreibens und Lesens weniger eine ›Erzählung<br />
des Selbst‹ war, sondern vielmehr eine Sammlung dessen, ›was<br />
man hatte hören oder lesen können‹, mit dem Ziel, ›das Selbst zu bilden‹.<br />
Er zitiert Seneca in Bezug auf diese Funktion:<br />
Wir sollten erkennen, daß, was immer wir aufgenommen haben, nicht unverändert bleiben<br />
darf, ansonsten wird es nicht Teil von uns. Wir müssen es verdauen; sonst wird es bloß in das<br />
Gedächtnis aufgenommen, nicht aber in die Kraft unseres Denkens. 18<br />
XIII<br />
Es gibt auch intime Schriften und Bilder, die nicht bewußt öffentlich<br />
gemacht wurden, auf die man aber bisweilen zufällig stößt. Dein Herz<br />
beginnt schneller zu schlagen. Die Röte steigt dir ins Gesicht, du schaust<br />
und liest, du schämst dich etwas dafür, daß du in die private Welt eines anderen<br />
eindringst, aber du liest weiter … Es muß 1963 gewesen sein, als ich<br />
einen Sommer lang in einem besetzten Haus in Haarlem wohnte und die<br />
Bildhauerklasse an einer neuen experimentellen Kunstakademie besuchte.<br />
Es war ein Haus aus dem 17. oder 18. Jahrhundert, in der Stadt-<br />
mentation findet man bei Estelle C. Jelinek: Women’s Autobiography: Essays and Criticism.<br />
Bloomington, Indiana: Indiana University Press, 1980, S. 17.<br />
17. Michel Foucault: ›Ethics, Subjectivity and Truth.‹ – The Essential Works of Michel Foucault,<br />
Vol. 1. Hg. Paul Rabinow, London: Allen Lane, 1994, S. 211.<br />
18. Ebd., S. 211f.
mitte am Fluß gelegen. Mit einem Freund teilte ich eine Art Dachboden,<br />
und es war offensichtlich, daß hier schon eine Menge anderer Leute vorbeigekommen<br />
waren. Zwischen dem Schutt, der herumlag, fand ich ein<br />
Notizbuch mit einer Reihe von Briefen, die von der abenteuerlichen<br />
Reise eines Paares durch Nordafrika erzählten. Die Briefe waren offenbar<br />
nie abgeschickt worden. Die Einzelheiten habe ich vergessen, nicht aber<br />
die Erregung, die ich verspürte, als ich etwas las, das nicht für mich<br />
bestimmt war. Solche Begebenheiten müssen es gewesen sein, die mir den<br />
Weg gezeigt haben zu einem anderen Beruf: Nicht Bildhauer, sondern<br />
Archivar moderner sozialer Bewegungen bin ich geworden, und mein<br />
besonderes Interesse lag immer darin, persönliche Archive zu erwerben,<br />
sei es noch zu Lebzeiten der Person oder, wie es oft geschieht, posthum.<br />
Oftmals ist die Zeremonie, die den Transfer vom Privaten ins Öffentliche<br />
vollzieht, überaus schizophren. Auf der einen Seite der Stifter oder Erbe,<br />
überzeugt von der Bedeutung für die Nachwelt und der Notwendigkeit,<br />
den Forschern und der allgemeinen Öffentlichkeit alles zugänglich zu<br />
machen; auf der anderen Seite lange Listen mit Einschränkungen für die<br />
archivierende Institution, um mögliche Darstellungen, die sich aus dem<br />
Material ergeben können, zu kontrollieren.<br />
XIV<br />
Es ist die persönliche Korrespondenz, die das Schreibpapier durchscheinend<br />
werden läßt. Während des Schreibens machen wir uns ein Bild<br />
des anderen, und wir können uns selbst bei der Lektüre des gerade<br />
Geschriebenen sehen. So wird ein Brief gleichzeitig zu Vergrößerungsglas,<br />
Spiegel und Fernrohr. Ich glaube, daß der persönliche Brief, die<br />
Korrespondenz zwischen zwei Menschen, eine der konstantesten Ausdrucksformen<br />
in der Geschichte ist.<br />
Auf diese Weise bedeutet Schreiben, ›sich selbst zu zeigen‹, sich selbst sichtbar werden zu<br />
lassen, sein eigenes Gesicht in der Gegenwart des anderen aufscheinen zu lassen. Und man<br />
sollte deshalb verstehen, daß ein Brief sowohl der Blick ist, den man auf den Adressaten<br />
345<br />
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346<br />
richtet (durch die Botschaft, die er erhält, fühlt er sich angeschaut), als auch ein Weg, sich seinem<br />
Blick darzubieten durch das, was man ihm über sich selbst erzählt. 19<br />
Michel Foucault faßt hier Senecas und Demetrius’ klassische Idee des<br />
Briefeschreibens zusammen, und es klingt wie eine Analyse des Briefeschreibens<br />
2000 Jahre später.<br />
XV<br />
Einprägen und einschreiben sind häufig verwendete Metaphern für<br />
die Art und Weise, wie wir uns erinnern, wie wir das, was sich in unserem<br />
Gedächtnis befindet, nach außen verlagern, wie wir Prothesen für unser<br />
Gedächtnis, ein ›künstliches Gedächtnis‹, entwickeln. Wir benutzen diese<br />
Begriffe in unserer Alltagssprache: Wir ›prägen uns etwas ein‹, etwas<br />
›hinterläßt einen Eindruck‹, etwas hat sich ›unauslöschlich eingeprägt‹.<br />
Solche Metaphern der Erinnerung sind erhalten geblieben, während sich<br />
die Techniken des Notierens, Beschreibens und Aufzeichnens im Laufe<br />
der Zeit verändert haben – vom Eindrücken eines Siegels in Wachs zum<br />
Schreiben mit einem Stift auf Papier, dem Malen eines Bildes, Fotografieren,<br />
Aufzeichnen mit einem Phonograph, auf Film, Video, mit einem<br />
Computer. Die jüngste Entwicklung ist der multimediafähige Computer,<br />
der es uns erlaubt, nahezu unendliche Kombinationen von stehenden und<br />
bewegten Bildern, Ton und Text herzustellen. Viele sehen eine Ähnlichkeit<br />
zwischen der Arbeitsweise ihres eigenen Gedächtnisses und den Kodierungs-<br />
und Dekodierungsprozessen, die die Basis der Funktionsweise<br />
des Computers darstellen. Anfang des 20. Jahrhunderts beschäftigte sich<br />
Sigmund Freud mit einer ähnlichen Vorrichtung, dem ›Wunderblock‹ –<br />
einer ›magischen Schreibtafel‹ – als Metapher für die Funktionsweise des<br />
Gedächtnisses: Schreiben und überschreiben, nur Teile bleiben erhalten.<br />
20 Freud hatte während seines ganzen Lebens eine obsessive Bezie-<br />
19. Ebd., S. 216.<br />
20. Sigmund Freud: ›Notiz über den »Wunderblock« (1925 [1924]).‹ – Studienausgabe
hung zur Archäologie, und es gibt eine bemerkenswerte Parallele zwischen<br />
seinem Interesse auf diesem Gebiet und der Entwicklung seiner<br />
Theorien. Das ›Verfahren der schichtweisen Ausräumung des pathogenen<br />
psychischen Materials‹ ist vergleichbar ›mit der Technik der Ausgrabung<br />
einer verschütteten Stadt‹. 21 Ganz ähnlich, wie der Archäologe<br />
Gegenstände zum Vorschein bringt, sie datiert und zusammensetzt, um<br />
sie anschließend wieder in ihrem ursprünglichen Zusammenhang zu plazieren,<br />
versucht der Psychologe, die Vergangenheit seiner Patienten zum<br />
Vorschein zu bringen. Freud war selbst ein Sammler archäologischer<br />
Objekte, seine Arbeitsräume in Wien waren damit angefüllt. Er begann<br />
1896 mit dem Sammeln, als er eine von Selbstzweifeln und Selbstanalyse<br />
geprägte Phase nach dem Tod seines Vaters durchmachte. Die antiken<br />
Gegenstände – vor allem Ringe, Skarabäen und Statuetten – trösteten ihn<br />
in der Zeit der Trauer. Als er starb, besaß er mehr als 3000 Stücke. Bereits<br />
1895 hatte Freud analysiert, warum ›die alte Jungfrau sich einen Hund<br />
hält, der Hagestolz Tabakdosen sammelt‹: erstere substituiert ihr Bedürfnis<br />
nach einem Lebensgefährten, letzterer das nach ›zahlreichen Eroberungen‹.<br />
Freuds Beobachtung, daß jeder Sammler ›ein substituierter Don<br />
Juan Tenorio‹ sei, traf auch auf ihn selbst zu, und ebenso die Schlußfolgerung,<br />
daß diese Art von Sammelgegenständen lediglich ›erotische Äquivalente‹<br />
seien. 22 Für viele stellt eine solche Analyse ein zu starkes Werturteil<br />
dar, es impliziert eine Hierachie, als gäbe es einen allgemeingültigen<br />
Sigmund Freud, Bd. III: ›Psychologie des Unbewußten‹, Hg. Alexander Mitscherlich,<br />
Angela Richards, James Strachey. Frankfurt/M.: S. Fischer, 1975, S. 365–369.<br />
21. Josef Breuer, Sigmund Freud: Studien über Hysterie (1895). Frankfurt/M.: S. Fischer,<br />
1991, S. 157. (Zit. bei John Forrester: ›Collector, Naturalist, Surrealist.‹ – Ders., Dispatches<br />
from the Freud Wars. Cambridge, Mass./London: Harvard University Press, 1997,<br />
S. 110.)<br />
22. Sigmund Freud: ›Manuskript H, Beilage zu einem Brief an Wilhelm Fließ vom<br />
24. Januar 1895.‹ – Aus den Anfängen der Psychoanalyse 1887–1902. Sigmund Freud:<br />
Briefe an Wilhelm Fließ. Frankfurt/M.: S. Fischer, 1962, S. 100. (Zit. bei John Forrester,<br />
a. a.O., S. 115.)<br />
347<br />
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348<br />
Standard dafür, welche persönlichen und emotionalen Beziehungen gut<br />
und welche schlecht seien. Heute akzeptieren wir eher verschiedenste<br />
Formen von Beziehungen, nicht nur zwischenmenschliche, sondern auch<br />
solche zwischen Menschen und den Gegenständen, die sie sich als Objekte<br />
ihrer Zuneigung wählen.<br />
XVI<br />
Fast alles kann als Memorabilie dienen. Wir können uns ausdrücken in<br />
einer Sammlung von Objekten, die uns gefallen; in Dingen, die wir als<br />
persönliche Repräsentanten auswählen: Kunstwerke, Antiquitäten,<br />
Bücher, Platten, CDs, Videos, Briefmarken, Münzen, Streichholz- und<br />
Zigarettenschachteln, Zuckertüten, Armbanduhren, Weinflaschen (voll<br />
oder leer), Möbel, Häuser, Autos. Abhängig von ›Klassenzugehörigkeit‹,<br />
Einkommen und dem zur Verfügung stehenden Raum können die<br />
Objekte ›echt‹ sein oder Repliken, Reproduktionen oder kleine Modelle,<br />
wobei letztere eine zusätzliche Funktion haben: sie geben uns das Gefühl,<br />
sie zu besitzen und zu kontrollieren – wie ein Riese, ein König der Spielzeuge,<br />
ein gottgleicher Herrscher über eine Miniaturwelt. Viele Menschen<br />
finden Trost im Sammeln, weil sie die Gegenstände betrachten<br />
können, ohne daß diese zurückschauen. Jean Baudrillard verweist auf ein<br />
ähnliches Verhältnis zu Haustieren, die ebenfalls Sammelstücke sein<br />
können. Er dehnt dieses Verhältnis auf alle sammelbaren Objekte aus und<br />
folgt dabei Freuds Beobachtungen von 1895:<br />
Das ist also der Grund, weshalb alles, was keinen Platz in den menschlichen Beziehungen<br />
gefunden hat, auf die Gegenstände übertragen wird und weshalb der Mensch sich so gerne<br />
ihrer bedient, um sich selbst zu ›sammeln‹. 23<br />
Manche sagen sogar, daß das Sammeln eine wesentliche Form<br />
unserer Kultur sei: ›Nicht Politik, nicht Religion, sondern das Sam-<br />
23. Jean Baudrillard: ›Die Sammlung.‹ – Ders.: Das System der Dinge. Frankfurt/M., New<br />
York: Campus, 1991, S. 115.
meln.‹ 24 Es ist interessant zu beobachten, wie in der Literatur über die<br />
Geschichte des modernen Museums das Sammeln als menschliches Bedürfnis,<br />
als eine elementare menschliche Begabung dargestellt wird, wie<br />
z.B. bei Reinhard Brandt: ›Wer nichts sammelt, kann nicht leben, sondern<br />
regrediert zur Materie und wird selbst gesammelt.‹ Eine Sammlung muß<br />
immer aus mehr als nur einem Element bestehen, Wissen basiert auf dem<br />
Vergleichen und dem Ordnen verschiedener Dinge: ›Zur Erkenntnis bedarf<br />
es der Sammlung‹. 25<br />
XVII<br />
Der Mensch war ein Sammler von Anfang an, eher als ein Werkzeugmacher,<br />
ein bewaffneter Jäger. ›Durch das Nahrungsammeln wurde der<br />
Mensch auch zum Sammeln von Informationen angeregt‹, schreibt Lewis<br />
Mumford, der erläutert, wie diese beiden Beschäftigungen ineinander<br />
übergingen:<br />
Daß er unausgesetzt pflückte und auswählte, identifizierte, sammelte und forschte, auf seine<br />
Jungen achtgab und sich um seinesgleichen kümmerte – all das hat mehr zur Entwicklung<br />
der menschlichen Intelligenz beigetragen, als gelegentliches Zurechtschlagen von Werkzeugen<br />
es vermocht hätte. 26<br />
Mumford hat auf dem Gebiet der Archäologie verschiedene spekulative<br />
Einwände geäußert, wobei er argumentiert, daß durch die überlieferten<br />
materiellen Beweisstücke von Steinwerkzeugen, wovon die Bezeichnung<br />
›Steinzeit‹ abgeleitet ist, dem viel weiter verbreiteten Gebrauch von<br />
organischen Hilfsmitteln in derselben Periode nicht genügend Bedeutung<br />
24. Sarat Maharaj, erwähnt bei John Windsor: ›Identity Parades‹, a. a. O., S. 50.<br />
25 Reinhard Brandt: ›Das Sammeln der Erkenntnis.‹ – Macrocosmos in Microcosmo. Die<br />
Welt in der Stube. Hg. Andreas Groth. Opladen: Leske & Budrich, Schriften zur<br />
Museumskunde, Bd. 10, 1994, S. 26.<br />
26. Lewis Mumford: Mythos der Maschine: Kultur, Technik und Macht. Frankfurt/M.:<br />
S. Fischer, 1977, S. 124f.<br />
349<br />
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350<br />
beigemessen wird. Der Anthropologe und Informatiker Andreas Goppold<br />
bevorzugt deswegen die Bezeichnung ›Faserzeit‹ – seien es Tierfasern<br />
wie Haar, Sehnen, Leder, oder seien es pflanzliche Fasern. 27<br />
Sowohl Mumford als auch Goppold erwähnen die Art und Weise, auf die<br />
der Mensch Fertigkeiten der Tiere kopiert hat, wie z. B. den Nestbau, das<br />
Weben und Spinnen. Mumford betont insbesondere den Gebrauch von<br />
Gefäßen und bemerkt, wie Funktionen des menschlichen Körpers externalisiert<br />
wurden: Hände, Mund, Bauch, Schoß und Brüste wurden in<br />
Höhlen, in ausgehöhlten Objekten aus Naturmaterialien, in Körben und<br />
Töpfen nachgebildet. Man könnte dieses Konzept sogar auf gemeinschaftliche<br />
›Behälter‹ wie Häuser, Städte, Kanäle, Schiffe, Eisenbahnen<br />
und Flugzeuge ausdehnen. Dies alles sind Behälter, um Waren für den<br />
späteren Gebrauch zu sortieren, zu lagern und zu transportieren. In ähnlicher<br />
Weise kann man ältere Menschen als Bewahrende mündlicher<br />
Überlieferungen betrachten; der Topf wird oft als Metapher für ihr Gedächtnis<br />
verwendet. In diesem Prozeß des Sammelns, Aufbewahrens und<br />
Hervorholens hat der Übergang vom Konkreten zum Symbolischen<br />
stattgefunden, hat sich die Sprache entwickelt, haben die Gegenstände<br />
ihre Bedeutungen erhalten, die über die praktische Nutzung als Nahrung<br />
oder Werkzeug hinausgehen. In früheren Zeiten mag das Auswählen und<br />
die assoziative Anordnung von Dingen eine spielerische Aktivität gewesen<br />
sein, die dabei half, abstrakte Ideen durch das Kombinieren konkreter<br />
Objekte auszudrücken und das zu erzeugen, was wir heute ›Metapher‹<br />
nennen: einen Bedeutungsträger.<br />
27. Andreas Goppold: ›Morphologies of Cultural Memory.‹ Projekt Leonardo-Leibniz,<br />
Universität Ulm, Abteilung Anthropologie. (Siehe auch .)
XVIII<br />
Der Papierkorb, der diesen Anekdotenreigen eröffnet hat, kann als<br />
eine solche Metapher benutzt werden, als Behälter für die Dinge, die wir<br />
vergessen möchten, bevor wie sie wegwerfen. Denn um wissen zu<br />
können, müssen wir Dinge wegwerfen, eine Auswahl treffen, für uns<br />
selbst entscheiden, was eine Bedeutung hat und was nicht. 28 Alles aufzubewahren<br />
ist unmöglich. Bewahren wir zuviel auf, werden wir zu<br />
Sklaven unserer eigenen Sammlung. Bewahren wir nichts auf, werden wir<br />
zu einem Niemand. Das schlimmste, was passieren kann, ist, daß eine<br />
Katastrophe oder ein Gewaltakt uns all unserer materiellen Erinnerungen<br />
beraubt; nicht nur die Vergangenheit wird dadurch unsichtbar, auch die<br />
Sicht auf die Zukunft wird versperrt. Wir können der Zukunft nur durch<br />
den Blick zurück in die Vergangenheit entgegensehen. Das heißt, daß wir<br />
uns entschließen müssen, die Vergangenheit hin und wieder zu mustern<br />
und auszuwählen, was für den Müllmann bestimmt ist, für den kollektiven<br />
Misthaufen, was verbrannt werden soll – unsere Zeitgenossen für<br />
eine Weile mit Abgasen belästigend, während es zu Elektrizität wiederverwertet<br />
wird (denn nichts geht verloren, alles wird zu etwas anderem).<br />
Und wenn der Abfall draußen an der Straße steht, fein säuberlich in<br />
grauen Plastiksäcken verpackt (denn selbst in diesem letzten Stadium versucht<br />
man, sich nicht zu entblößen), ist der Moment für diejenigen gekommen,<br />
die die Niederländer ›Morgensterne‹ nennen; die durch die<br />
Straßen ziehen auf der Suche nach noch verwertbarem Abfall, bevor er<br />
offiziell als Müll eingesammelt wird. Manche stecken ihre Beute ein, ohne<br />
Spuren zu hinterlassen, andere reißen grob die Säcke auf und verstreuen<br />
den Inhalt beim gründlichen Durchsuchen nach etwas, das sie mit nach<br />
Hause nehmen können, wo es ein neues Leben in einem anderen Kontext<br />
28. Ich schreibe ausführlicher über die Organisation des Vergessens und Erinnerns in dem<br />
Artikel: ›Ars Oblivivendi.‹ – Ars Electronica Festival 96: Memesis. The Future of Evolution.<br />
Hg. Gerfried Stocker und Christine Schöpf, Wien/New York: Springer, 1996, S.<br />
254–261. Siehe auch: .<br />
351<br />
artintact 5
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352<br />
beginnen oder auf dem Flohmarkt verkauft wird. An einem solchen Morgen<br />
fegt ein Wind durch meine Straße und wirbelt spielerisch einige Zettel<br />
durch die Luft, auf einigen sind Bilder, auf anderen Text. Ich schaue aus<br />
dem Fenster und sehe jemanden mit eiligen Schritten hinterherlaufen,<br />
einen Zettel aufheben, kurz anschauen und wieder fallenlassen – eine<br />
Geschichte, die nicht geschrieben werden wird; aber wer weiß, was etwas<br />
weiter weg in der Straße passiert, außerhalb meines Blickfelds …<br />
Übersetzung: Astrid Sommer
353<br />
artintact 5
Vom Berühren des Unfaßbaren<br />
Zu einigen Arbeiten von Masaki Fujihata<br />
Von Hans-Peter Schwarz<br />
In der Sprache der Musiktypologie würde man Masaki Fujihatas jüngste,<br />
eigens für die vorliegende Ausgabe von artintact produzierte Arbeit Impalpability<br />
als Fingerübung bezeichnen: Ein kleines Bravourstück, ein<br />
spielerisches Divertimento über jene Fragen, die auch den großen Installationen<br />
des Japaners Inhalt und Bedeutung geben: Wie formt der virtuelle<br />
Raum Denken, Erkennen und Handeln des Menschen?<br />
Um die Problematik, daß der virtuelle Raum zumindest einem<br />
menschlichen Sinnesorgan, nämlich dem Tastsinn, scheinbar unzugänglich<br />
ist, möglichst augenfällig werden zu lassen, generiert Fujihata ein Abbild<br />
der menschlichen Haut und transponiert es auf eine virtuelle Kugel.<br />
Das Interface, also jene Schnittstelle, an der allein der Mensch in taktilen<br />
Kontakt mit dem virtuellen Bild treten kann, hat ebenfalls die Gestalt<br />
einer Kugel: der Trackball des Computers.<br />
Die – wörtlich genommene – Manipulation des Kugel-Interface kontrolliert<br />
die identischen Bewegungen der virtuellen Hautkugel, und so<br />
entsteht eine überraschende Irritation: Nach einiger Zeit hat man das<br />
Gefühl, nicht nur das Interface, sondern das Bild selbst zu berühren, die<br />
Information gewissermaßen haptisch aufzunehmen (wie es Fujihata in<br />
einem Konzeptpapier zu diesem Projekt formuliert).<br />
Die Frage, was denn an einem computergenerierten Bild so anders sei als<br />
an einem mit traditionellen Mitteln erzeugten Abbild der Wirklichkeit,<br />
hat Fujihata seit Beginn seiner künstlerischen Auseinandersetzung mit<br />
dem Computer immer nachdrücklich beschäftigt.<br />
Masaki Fujihata: Impalpability, 1998. Screenshot.<br />
355<br />
artintact 5
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356<br />
Ursprünglich in der Tradition der bis heute in besonderem Maße auf<br />
die Fläche fixierten japanischen Kunst erzogen, setzt er sich in den frühen<br />
80er Jahren mit den damals gängigen Versuchen einer abbildorientierten<br />
Computergrafik auseinander und entwickelt recht bald ein Problembewußtsein<br />
für deren Begrenztheit.<br />
In seinen frühen Arbeiten versucht er, ein visuelles Instrumentarium<br />
zu entwickeln, das die Unterschiede zwischen der noch in ihren inszenatorischen<br />
Formen immer auf eine Vor-Wirklichkeit angewiesene Fotografie<br />
und der referenzlosen Simulation der Wirklichkeit deutlich machen<br />
könnte. Er gibt eine Anthologie der wichtigsten Computergrafiken heraus,<br />
bei deren Auswahl es ihm nicht so sehr darauf ankommt, die avanciertesten<br />
technologischen Lösungsvorschläge für eine möglichst fotorealistische<br />
Simulation der Wirklichkeit herauszufinden, sondern die<br />
Motivation kennenzulernen und darzustellen, aus der heraus die Künstler,<br />
Wissenschaftler und Programmierer ihre Bildvorstellungen als Zahlen<br />
und Algorithmen zu formulieren geneigt waren, wie er im Vorwort<br />
schreibt. 1<br />
Aus der Erfahrung heraus, daß ein Computerbild mehr mit Malerei<br />
und Skulptur zu tun hat als mit Fotografie oder Video (wie gemeinhin angenommen<br />
wird), beginnt Fujihata sich mit dem Phänomen der computergenerierten<br />
Skulptur zu beschäftigen. Er stellt 1982 eine Serie<br />
minimalistischer Kleinplastiken, die von mathematischen Permutationen<br />
abgeleitet sind, aus, die allerdings gerade nicht – oder doch für Fujihatas<br />
Anliegen zu ungenau – ihre Herkunft aus algorithmischen Kalkulationen<br />
deutlich machen.<br />
Erst die Möglichkeiten der interaktiven Bildträger geben ihm ein<br />
Instrumentarium an die Hand, mit dem er seinen Visionen Raum und<br />
Gestalt geben kann. Fujihatas erste größere Arbeit, die auf dem Konzept<br />
der Interaktion, der Mensch-Maschine-Interaktion allerdings, basiert, ist<br />
1. The Treasures of Computergraphics. Hg. Masaki Fujihata, Tokio: JustSystem, 1998.
Beyond Pages (1995), ein multimediales virtuelles Buch gewissermaßen,<br />
dessen Urversion sich in der Sammlung des ZKM-Medienmuseums<br />
befindet.<br />
Mit Beyond Pages verläßt Fujihata auch die traditionellen Genres<br />
Skulptur oder Malerei und bezieht den Raum, den realen wie den virtuellen,<br />
ganz direkt in seine ästhetischen Strategien mit ein. Der Benutzer der<br />
Installation findet eine Situation vor, die ihm zunächst sehr vertraut<br />
erscheint: Ein kleiner Raum mit Tisch und Stuhl, ein kleines, offenes<br />
Fenster an der Stirnseite, auf der auch die Projektionen einer Uhr und<br />
einer verschlossenen Tür zu sehen sind. Auf dem Tisch schließlich die<br />
Projektion eines Buches und ein realer Stift – ein vertrautes Arbeitsszenario<br />
also.<br />
Das Vertraute wird allerdings in Frage gestellt, wenn der Benutzer das<br />
projizierte Buch ›aufschlägt‹. Was zunächst in gewohnter Weise stiller<br />
Kontemplation sich öffnet, Buchstaben und Illustrationen, gerät in<br />
tönende Bewegung: Blätter rauschen, japanische Silbenzeichen werden<br />
hörbar, Bildobjekte können verändert werden, und schließlich greift der<br />
virtuelle Notationsgestus auf den realen Raum über. Das Berühren eines<br />
als Buchillustration projizierten Lichtschalters läßt die reale Schreibtischlampe<br />
aufleuchten und durch die Berührung des Bildes einer Türklinke<br />
›öffnet‹ sich die projizierte Tür, ein kleines japanisches Mädchen schaut<br />
den Besucher verschmitzt an, um dann blitzschnell wieder zu verschwinden.<br />
Die Irritation, die Fujihata dem Besucher von Beyond Pages zumutet<br />
und die erst einmal zum Schmunzeln und auch zu durchaus hörbarer<br />
Heiterkeit animiert, ist Teil einer listigen ästhetischen Strategie. Erkennt<br />
man doch sehr schnell, was hinter dem so harmlos vorgetragenen multimedialen<br />
Lesevergnügen steckt: Die Bilder und Buchstaben des virtuellen<br />
Buches sind nicht bloß semantische Versatzstücke einer literarischen<br />
Ein-Weg-Kommunikation, keine Ab-Bilder, sondern dem menschlichen<br />
Auge wohlgefällige Erscheinungsweisen eines Algorithmus, der auch zur<br />
357<br />
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358<br />
Kontrolle von Maschinen eingesetzt werden kann, wenn man ihn durch<br />
die Berührung mit einem geeigneten Interface aktiviert.<br />
Daß computergenerierte Bilder etwas anderes sind als Abbilder der<br />
Realität und die durch sie konturierten virtuellen Räume etwas anderes<br />
als die real erfahrbaren Räume, ist auch Thema in Fujihatas 1996 bei der<br />
Ars Electronica Linz mit der Goldenen Nica ausgezeichneten Expanded-<br />
Reality-Installation Global Interior Project (1995).<br />
Global Interior Project besteht aus zwei Aktionsebenen. Ein weißer<br />
Würfel von zwei Metern Kantenlänge wirkt als Terminal mit einem<br />
Fenster in den virtuellen Raum, und eine aus 18 kleinen weißen Kuben<br />
bestehende kinetische Skulptur überträgt die Veränderungen, die Manipulationen<br />
der Beteiligten im virtuellen Raum auf den realen Raum.<br />
Das Ziel der Kommunikation in Global Interior Project ist es, die<br />
Differenzen zwischen Realitätserfahrung und virtuellem Erleben deutlich<br />
zu machen, nicht wie bei Beyond Pages in einer Mensch–Maschine-<br />
Kommunikation, sondern hier in einem zwischenmenschlichen Kommunikationsprozeß,<br />
dem die Computerinstallation als Mediator dient.<br />
Während seines Aufenthaltes als Gastkünstler am ZKM-Institut für Bildmedien<br />
erweitert Fujihata die im Global Interior Project angelegten<br />
Erfahrungsmöglichkeiten mit der virtuellen Realität und fokussiert sie<br />
zugleich: Nuzzle Afar (1998), so der Titel dieser neuen Installation,<br />
versucht, der mit Hilfe von Avataren2 konstruierten Kommunikation im<br />
virtuellen Raum ihre Beliebigkeit zu nehmen und sie auf ein Ziel hin auszurichten.<br />
Zwei an unterschiedlichen Orten plazierte virtuelle Raumstationen<br />
bilden die Bewegungsspuren der Avatare der beteiligten Personen<br />
im virtuellen Raum ab. Man kann nun auf diese Weise den Avatar<br />
2. Avatar: Zeichen/Objekt, das den Benutzer im virtuellen Raum repräsentiert.<br />
Abgeleitet von ›Avatara‹, (Sanskrit für ›Herkunft‹) – Verkörperungen göttlicher<br />
Wesen beim Herabsteigen auf die Erde. (Anm. d. Red.)
seines Kommunikationspartners aufspüren. Wenn sich zwei Avatare<br />
begegnen, ensteht eine neue virtuelle Welt. Diese Welt aber ist abgeschlossen,<br />
und die beiden menschlichen Pendants der Avatare müssen<br />
nun gemeinsam den Schlüssel finden, der sie wieder öffnet.<br />
Mit Nuzzle Afar hat Masaki Fujihatas nun bald zwanzigjährige Suche<br />
nach einem geeigneten ästhetischen Instrumentarium, das es erlaubt, die<br />
Fremdartigkeit der computergenerierten Bildwelten im Wortsinne zu<br />
erfahren, zu einem gewissen Höhepunkt geführt. Was in unseren Augen<br />
als mehr oder weniger vertrautes Abbild erscheint, als eine Simulation<br />
von Teilen unserer Erfahrungswirklichkeit, wird in den virtuellen Kunsträumen<br />
Fujihatas zur Navigationshilfe im noch weitgehend unerforschten<br />
virtuellen Raum, zur Navigationshilfe, die das erleichtert, was Fujihatas<br />
eigentliches Anliegen ist: die Kommunikation von Mensch zu<br />
Mensch.<br />
359<br />
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360<br />
Sehen, Berühren, Imaginieren<br />
Von Masaki Fujihata<br />
Unsere Augen sind gierig. Sie verschlingen alles. Solange die Pupillen offen<br />
sind, suchen sie geifernd nach interessanten, nie gesehenen Dingen.<br />
Warum sind unsere Augen so gierig geworden? Weil sie bereits alles gesehen<br />
haben. Weil wir alles, was wir gesehen haben, bereits aufgenommen<br />
und uns einverleibt haben. Anfangs bedeutete Sehen nicht unmittelbar<br />
Besitzen – erst ein mimetischer Akt ermöglichte es. So wurde das Mammut<br />
von unseren Vorfahren erst besessen, als sie das Bild ihrer Beute auf<br />
die Höhlenwand malten. Wir nehmen auf, was wir gesehen haben, indem<br />
wir es in einem mimetischen Akt zeichnen, indem wir es in Bildern oder<br />
Worten ausdrücken. Dies ist ein Prozeß, durch den etwas Formloses eine<br />
Form erhält.<br />
Im Laufe einer langen Zeit haben wir viele Dinge in uns aufgenommen<br />
– wir haben die Abdrücke der Eindrücke, die diese Dinge in uns hinterlassen<br />
haben, angehäuft. Wir können verstehen, was wir sehen, indem wir<br />
das wahrgenommene Objekt mit dem Abdruck, den wir gespeichert<br />
haben, vergleichen. Diese Abdrücke werden nicht nur im persönlichen<br />
Gedächtnis aufbewahrt, sondern auch in den größeren, kollektiven<br />
Gedächtnissen, die durch unser Erbgut geformt werden, durch unsere<br />
Gesellschaften und Kulturen.<br />
Dieser Prozeß des Einprägens von Objekten in das Gedächtnis hat<br />
sich beschleunigt seit dem Beginn der Moderne, als die Technik des<br />
Zeichnens durch die der Fotografie ersetzt wurde. Aus irgendeinem<br />
Grund vermittelt uns der simple Akt des Fotografierens heutzutage ein
eruhigendes Gefühl. Auf Reisen posiert zum Beispiel jeder in gleicher<br />
Weise am selben Ort für das Erinnerungsfoto. Dieser Akt dokumentiert<br />
nicht nur die Tatsache, daß man an einem bestimmten Ort zu einer<br />
bestimmten Zeit wirklich gewesen ist; Fotografieren kann auch den Akt<br />
der Dokumentation eines Ereignisses, der zuvor durch die Technik des<br />
Zeichnens erfolgte, ersetzen und kann uns außerdem die Genugtuung<br />
verschaffen, Zeit und Raum zu formen.<br />
Das Aufnehmen und das Betrachten von Schnappschüssen wird zu einer<br />
Übung, die uns in die Lage versetzt, unmittelbar an jeden beliebigen<br />
Ort zu gelangen. Selbst wenn wir nicht physisch dort sind, wird es möglich,<br />
diesen Ort in uns aufzunehmen. Wenn dies geschieht, ist das Reisen<br />
nurmehr ein Prozeß der Bestätigung, und schon kann jeder jeden Ort besuchen,<br />
vom Südpol über die Korallenriffe bis zum Mond. Folglich gibt es<br />
keinen Ort mehr auf der Welt, den wir noch nicht gesehen haben und an<br />
dem wir noch nicht gewesen sind.<br />
Wir alle beginnen, das Wesen der Fotografie zu verstehen. Jeden Tag<br />
macht irgendjemand irgendwo ein Foto. Wenn wir den Auslöser der<br />
Kamera betätigen, ist derselbe physische Ausdruck am Werk wie beim<br />
Zeichnen des Mammuts auf die Höhlenwand. Die ursprüngliche Aufgabe<br />
von Malerei und Zeichnung (die mit der Fotografie von ihrem Ehrenplatz<br />
verdrängt wurden) war es, Objekte in unser Gedächtnis einzuprägen. So<br />
diente z. B. die Porträtmalerei dazu, ein Gesicht festzuhalten – eine Aufgabe,<br />
die von der Fotografie übernommen worden ist. Ist Aufzeichnung<br />
die Technik der Reproduktion eines Objekts auf einer Oberfläche in derselben<br />
Art und Weise, wie das Auge das Objekt wahrnimmt, dann hat die<br />
Malerei einen tiefgreifenden Wandel durchgemacht, indem sie diesen Teil<br />
ihrer Technik der Fotografie übertragen hat. Der Gegenstand der Malerei<br />
hat sich verändert: von Dingen, die das Auge sehen kann zu solchen, die<br />
vom bloßen Auge nicht wahrgenommen werden können; von konkreten<br />
Objekten zu abstrakten Themen. Angefangen bei verzerrten Tischen und<br />
in Schichten überlagerten und sich auflösenden Gesichtern hat die Male-<br />
361<br />
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362<br />
rei sich in einen Prozeß der Abstrahierung begeben, an dessen Ende<br />
Farben und Formen die einzigen Bildelemente sind.<br />
Man kann heute sagen, daß die Malerei eine Form des philosophischen<br />
Ausdrucks geworden ist. Sie bildet nicht mehr unmittelbar ein Objekt ab,<br />
sondern ist zu einem Medium geworden, mit dessen Hilfe sich durch die<br />
Verwendung von Linien und Farben die Beziehungen zwischen Objekten<br />
und Licht (oder zwischen Personen) ausdrücken lassen. Eine Beziehung,<br />
die bisher keine Form haben konnte, beginnt nun als etwas Geformtes zu<br />
erscheinen. Wir erfahren zweifellos ein Glücksgefühl durch die Fähigkeit,<br />
einer formlosen Abstraktion in uns eine Form geben zu können. Man<br />
kann also sagen, daß sich die Malerei durch die Erfindung einer unmittelbaren<br />
Technologie wie der Fotografie einen Schritt weiterentwickelt hat.<br />
Ob man will oder nicht, neue Technologien verändern die Art und Weise,<br />
wie wir Dinge sehen und wie wir leben. Zur Zeit ist es die Computertechnologie,<br />
die unser Bewußtsein verändert. Genau wie die Fotografie<br />
unsere Sehweise verändert hat, verändern auch diese neuen Technologien<br />
unsere visuelle Wahrnehmung. Diese Veränderungen lassen sich bislang<br />
an der Oberfläche nur schwer erkennen, da die Computertechnologie,<br />
obwohl sie sich teilweise fundamental von anderen Technologien unterscheidet,<br />
bislang lediglich als Quelle für Special Effects genutzt wird und<br />
der letztendliche Output weiterhin auf konventionellen Medien wie Film<br />
und Fernsehen erfolgt.<br />
Die Computertechnologie unterscheidet sich von anderen bilderzeugenden<br />
Technologien dadurch, daß sie nicht mehr das Abbild eines<br />
tatsächlichen Objekts aufzeichnet. Alle physischen Eigenschaften und<br />
Phänomene werden als numerische Werte erfaßt und als Bild (wiederum<br />
numerische Werte) ausgegeben. Was der Computer erfaßt, ist ein numerischer<br />
Wert, ein schwereloses und abstraktes Konzept, das in keinerlei<br />
Beziehung zur sichtbaren Maschinerie des Computers steht. Diese numerischen<br />
Werte, die nur als Konzept existieren, erhalten in der Maschine
eine wirkliche Existenz. Zahlen werden aktiviert und bewohnen den<br />
Computer.<br />
Computergrafische Software funktioniert nach dem Prinzip, daß Änderungen<br />
der Koordinaten nach den Gesetzmäßigkeiten der Perspektive<br />
und Änderungen von Licht und Texturen nach physikalischen Gesetzen<br />
berechnet werden. Weil die Software verschiedene physikalische Gesetzmäßigkeiten<br />
berücksichtigt, um die Realität nachzuahmen, ist es möglich,<br />
ein fotorealistisches Bild herzustellen. Es handelt sich hier also um eine<br />
Technologie, die einem Objekt ohne materielle Präsenz erlaubt, sich fotorealistisch<br />
zu manifestieren. Der Computer ist eine Maschine, die unsere<br />
nächtlichen Träume real werden läßt; er ist ein Werkzeug, das es uns ermöglicht,<br />
formlose, abstrakte Konzepte in Bilder zu verwandeln.<br />
Diese Bilder bereiten unseren gierigen Augen ein außerordentliches<br />
Vergnügen. Mit Hilfe der Computergrafik können Phänomene wie die<br />
Bewegungen von nie gesehenen DNA-Molekülen oder Ergebnisse von Simulationsexperimenten<br />
in einem Teilchenbeschleuniger sichtbar gemacht<br />
werden. Wir haben eine neue Dimension visueller Wahrnehmung erreicht,<br />
die nicht mehr auf (mitunter durch Ferngläser und Mikroskope<br />
verbesserter) Beobachtung basiert, sondern auf einer Methode der Simulation.<br />
Man könnte sagen, daß die Computergrafik ein ›Konzeptteleskop‹<br />
ist. So können wir heute Dinge sehen, die bislang unsichtbar geblieben<br />
sind.<br />
Noch einen Schritt weiter auf unserem von Wahrnehmung, Erkenntnis<br />
und Wissen geprägten Weg ins 21. Jahrhundert führt uns das Thema<br />
›Interaktivität‹. Es wird heute mehr und mehr möglich, ein aus einer<br />
Datenstruktur bestehendes Bild nicht nur wahrzunehmen und zu verstehen,<br />
sondern mit der eigenen Hand auch direkt in dieses Bild einzugreifen.<br />
Wir alle wissen, wie es ist, sich beim Betrachten eines Flusses in<br />
den eigenen Gedanken zu verlieren. Man kann einen Fluß betrachten,<br />
aber man kann gleichzeitig auch direkt mit ihm interagieren, indem man<br />
363<br />
artintact 5
artintact 5<br />
364<br />
einen Stein hineinwirft oder die Hand hineinhält. Durch Beobachtung<br />
können wir ein Objekt besser verstehen, durch Interaktion können wir es<br />
verändern. Wir gehen aber im Falle des Flusses nicht so weit zu sagen:<br />
›Der Fluß ist interaktiv‹, auch wenn die Erfahrung der Interaktion uns der<br />
Wirklichkeit versichert. Durch den tatsächlichen Kontakt mit dem Objekt,<br />
durch seine direkte Reaktion auf unsere Aktion gelingt es uns, die<br />
Wirklichkeit in dieser Welt deutlich zu spüren. Dies ist der Moment, an<br />
dem wir über die Realität, die durch das ›Konzeptteleskop‹ geformt ist,<br />
hinausgehen können.<br />
Auch wenn uns die Interaktivität ein Gefühl für die Wirklichkeit in<br />
anderer Weise vermittelt als es die visuelle Wahrnehmung vermag, scheinen<br />
wir bislang nicht besonders gründlich darüber nachgedacht zu haben,<br />
da sie ein gewöhnliches Element ist, das wir als selbstverständlich hinnehmen.<br />
Durch die Entwicklung des Computers haben wir nun die Möglichkeit,<br />
die Schnittstelle zwischen dem Apparat unserer sensorischen Wahrnehmung<br />
und der realen Welt zu analysieren.<br />
In dem Augenblick, in dem man die Hand in den Fluß taucht, wird sie<br />
zu einer wichtigen Schnittstelle, die zur Welt hin geöffnet ist. Die Hand ist<br />
Teil unseres Körpers, bewegt sich nach unserem Willen und ist somit eine<br />
Schnittstelle, die wir vollständig kontrollieren können (zumindest<br />
glauben wir das). Gleichzeitig ergibt sich bei dieser Interaktion ein einheitliches<br />
Zusammenspiel von Auge und Hand. Im Computerbereich<br />
wird versucht, mit der künstlichen Schnittstelle eine völlige Einheit von<br />
taktiler und visueller Wahrnehmung zu erreichen. Sobald wir mit einer<br />
simulierten Wirklichkeit interagieren können, ohne zu bemerken, daß es<br />
sich um eine Simulation handelt, ist das Virtuelle real geworden.<br />
Hier liegen zwei Möglichkeiten für zukünftige Entwicklungen. Die<br />
eine wäre, eine umfassende Schnittstelle zu entwerfen, die visuelles und<br />
taktiles Wahrnehmen verbindet – ein geeignetes Thema für die technologische<br />
Forschung. Die Unterschiede zwischen visueller und taktiler<br />
Wahrnehmung zu nutzen und auf diese Weise eine unmögliche Wirklich-
keit entstehen zu lassen, wäre die andere Möglichkeit. Und hier liegt auch<br />
der Schlüssel für das Verstehen unserer Beziehung zur Welt. Dennoch<br />
glaube ich nicht, daß es so einfach ist, visuelles und taktiles Wahrnehmen<br />
in von Computern geschaffenen Welten miteinander zu verbinden.<br />
Unsere Vorstellungskraft ist das einzige, was wir bisher entwickelt haben,<br />
um diese Verbindung herzustellen. Und hier liegt auch der Kern des Problems.<br />
Was kann beispielsweise jemanden veranlassen, Michelangelos Marmorstatue<br />
Pietà mit einem Hammer zu zertrümmern? Vielleicht könnte ein<br />
Aspekt eines solchen Bedürfnisses ein Defizit der Vorstellungskraft sein,<br />
durch die visuelles und taktiles Wahrnehmen verbunden werden. Es ist<br />
natürlich, daß man das, was man sieht, berühren möchte. Ist das nicht<br />
möglich, kann es zu einer unerklärlichen Verwirrung kommen. Die Idee,<br />
man könne die Quelle dieser Irritation verstehen, indem man die Grenze<br />
überschreitet und zum Hammer greift, ist sicherlich falsch; sie zeigt aber,<br />
daß die moderne Gesellschaft unempfänglich geworden ist für die spirituellen<br />
und übernatürlichen Kräfte, die den Akt der Zerstörung hätten<br />
verhindern können.<br />
Ein Kunstwerk, dessen Präsenz so außerordentlich ist, daß es in uns<br />
das Verlangen weckt, es zu berühren und das gleichzeitig den Akt der<br />
Berührung verbietet, ist selten. Es muß sich dabei um ein künstliches<br />
Objekt handeln, das eine natürliche Macht besitzt, der man sich nur<br />
schwer nähern kann. Sie zu ignorieren und zu versuchen, mit dem Objekt<br />
direkt und gewaltsam zu interagieren, wäre falsch. Es weist auf eine ernsthafte<br />
Störung der Sinne hin.<br />
Es handelt sich um eine ambivalente Problematik: Gäbe es den Zustand<br />
höchsten Glücks, in dem unsere Sinne eine vollkommene Einheit<br />
bilden, hätten wir es mit einer ganz und gar befriedigten, vollkommenen<br />
Welt zu tun, in der es keinerlei Bedürfnis nach Imagination gäbe. Es wäre<br />
eine Welt des Todes. Es geht aber nicht darum, das höchste Glück zu<br />
365<br />
artintact 5
artintact 5<br />
366<br />
erreichen, sondern darum, fortwährend nach dieser Erfüllung zu streben.<br />
Wir haben übrigens nicht das Bedürfnis, ein Objekt zu berühren, das wir<br />
noch nie gesehen haben. Sehen wir etwas zum ersten Mal, werden die<br />
Indizes von Objekten, die wir bereits gesehen haben, aus unserem<br />
Gedächtnis abgerufen und befragt. Wir stellen uns vor, was wir fühlten,<br />
wenn wir es berührten. Es ist ein Gefühl, das noch nicht in Worte übersetzt<br />
werden kann; Erinnerungen werden von der zellulären Ebene, tief<br />
im Innern unseres Körpers, aufgerufen und untersucht. Handelt es sich<br />
um ein Objekt, das man lediglich betrachten kann, wie ein Plakat oder ein<br />
Video, brauchen wir uns keine Sorgen darüber zu machen, daß es in unseren<br />
Wirklichkeitsbereich eindringen könnte. Es besteht keine Notwendigkeit,<br />
sich eingehender damit zu befassen. Die Dinge werden erst kompliziert,<br />
wenn das Objekt nach Interaktion verlangt und uns dazu zwingt,<br />
es direkt zu berühren.<br />
Erfolgt nach einiger Überlegung die Berührung, verschwindet es<br />
plötzlich als Objekt visueller Wahrnehmung, der Abstand zu dem Objekt<br />
reduziert sich auf Null. Es kommt zu einem Zustand, in dem das Objekt<br />
und ein Teil unseres Körpers miteinander verschmelzen. Ein solcher Akt<br />
bedarf einer Nähe, die es erlaubt, das Objekt aufzunehmen, zu einer<br />
Einheit mit ihm zu werden. In letzter Konsequenz führt das zum ›Verlust<br />
des Sehens‹. Man wäre blind. Das ist ist die eigentliche Bedeutung des<br />
Berührens.<br />
Der Akt des Berührens beinhaltet das Schaffen eines Drucks, der auf<br />
den Körper gerichtet ist, mit der Hautoberfläche als Kontaktpunkt. Auf<br />
diese Weise wird das Objekt wahrgenommen: nicht auf der Hautoberfläche,<br />
sondern als Veränderung des Drucks in unserem Körper. ›Ein<br />
Objekt mit der Hand ergreifen‹ heißt, ein korrespondierendes Spiegelbild<br />
des Objekts zu entwerfen; das ist taktile Wahrnehmung. Wenn wir durch<br />
Berührung zu Wissen gelangen, ist das, als untersuchten wir das Innere<br />
unseres Körpers. Was wir für etwas Äußerliches, für ein taktil wahr-
genommenes Objekt halten, ist in Wahrheit etwas, das nur durch Veränderung<br />
des Drucks in uns selbst erreichbar ist.<br />
Wahrnehmen durch Berühren ist, so könnte man sagen, als ob ein<br />
Augapfel eindränge, um das Innere des Fleisches zu untersuchen. Es wären<br />
die Beobachtungen eines blinden Augapfels. Und dadurch kehrt sich<br />
das Gefühl, ein Objekt zu berühren, in das Gefühl um, von einem Objekt<br />
berührt zu werden. Das Eindringen eines Objekts in unseren Körper<br />
stellt letztendlich die äußerste Form der Berührung dar, das Prinzip der<br />
Lust durch Berührung. Das Vergnügen der Interaktion verlangt daher danach,<br />
daß wir in eindeutiger Weise die Verantwortung für das eigene Ich<br />
übernehmen. Es erfordert Mut, mit einem Objekt zu interagieren. Sehen<br />
evoziert die taktile Vorstellungskraft, und Berühren führt seinerseits zu<br />
einem tieferen Verständnis des Sehens. Diese ästhetische Verbindung<br />
wird durch die menschliche Vorstellungskraft erzielt.<br />
Wird an dieser Stelle eine künstliche Schnittstelle ins Spiel gebracht,<br />
können sich verschiedene bizarre Phänomene ergeben. Die Handhabbarkeit<br />
und die Gestaltung der Schnittstelle können ebenso wie die Reaktionszeit<br />
die Qualität der taktilen Wahrnehmung beeinflussen. Einige<br />
Schnittstellen behindern bestimmte Sinne, andere verstärken sie. Dadurch<br />
entsteht bezüglich unserer Imagination ein schwieriges Problem in<br />
der Beziehung zwischen dem Gefühl der durch die Schnittstelle vermittelten<br />
Berührung und dem möglichen Grad der Beeinflussung der<br />
visuellen Information. Es erfordert die äußersten Möglichkeiten unserer<br />
Vorstellungskraft, eine Art Brücke zu bilden, um die Verwirrung oder die<br />
Kluft zwischen Sehen und Berühren zu überwinden. Der Mensch besitzt<br />
eine mysteriöse Kraft, mit der er diese Forderung erfüllen kann. So lange<br />
wir leben, haben wir die Freiheit und die Kraft, uns alles und jedes vorzustellen.<br />
Unsere Hände sind so gierig wie unsere Augen. Doch in der von Computern<br />
geschaffenen Welt gibt es nicht einmal mehr den Marmor, der – wie<br />
367<br />
artintact 5
artintact 5<br />
368<br />
im Falle der Skulptur von Michelangelo – als Ziel der Zerstörung dienen<br />
könnte. Dieser Mangel an Materie führt zur Unfaßbarkeit. Und umgekehrt<br />
macht Unfaßbarkeit diese Welt sonderbar und gleichzeitig leer.<br />
Übersetzung: Astrid Sommer
369<br />
artintact 5
Biografische Notizen / Biographical Notes<br />
Künstler / Artists<br />
Forced Entertainment & Hugo Glendinning<br />
Forced Entertainment ist ein Ensemble von<br />
Künstlern um den Autor und Regisseur<br />
Tim Etchells mit Sitz in Sheffield, Großbritannien.<br />
Die gemeinsame Arbeit seit 1984<br />
umfaßt eine große Bandbreite verschiedenster<br />
Medien und Kontexte – von Performance<br />
über Installation bis zu Projekten<br />
mit digitalen Medien. Tourneen führten die<br />
Truppe duch Europa und die USA/Kanada.<br />
Die jüngsten Projekte wurden an so verschiedenen<br />
Orten präsentiert wie dem<br />
Skulpturenprojekt Münster, dem Walker<br />
Arts Centre, Minneapolis, dem ICA,<br />
London oder der Cubbitt Street Gallery,<br />
London.<br />
Hugo Glendinning ist Fotograf und hat mit<br />
vielen wichtigen zeitgenössischen Künstlern<br />
und Tanz- und Theaterensembles<br />
zusammengearbeitet und deren Arbeit<br />
dokumentiert. Seine redaktionellen Fotoarbeiten<br />
erscheinen in verschiedenen<br />
britischen Magazinen und Zeitungen, seine<br />
Projekte im Kunstbereich beinhalten<br />
Auftragsarbeiten aus Europa und den USA.<br />
Forced Entertainment is a permanent<br />
ensemble of artists based in Sheffield, UK,<br />
and led by Tim Etchells. Their work<br />
together since 1984 spans a wide variety of<br />
media and contexts from performance<br />
through installation and digital media and<br />
has been seen widely in the UK, throughout<br />
Europe and in the USA/Canada.<br />
Recent projects have been presented in<br />
places as diverse as the Münster Sculpture<br />
Festival, the Walker Arts Centre (Minneapolis),<br />
the ICA (London) and Cubbitt<br />
Street Gallery (London).<br />
Hugo Glendinning is an arts photographer<br />
who has documented and collaborated with<br />
a wide range of leading performance and<br />
fine art practitioners. His editorial photography<br />
appears in many British magazines<br />
and newspapers, while his work in arts<br />
publicity includes commissions from<br />
North America and throughout Europe.<br />
371<br />
artintact 5
artintact 5<br />
372<br />
Forced Entertainment<br />
Tim Etchells (künstlerischer Leiter / Artistic<br />
Director), Robin Arthur, Richard Lowdon,<br />
Claire Marshall, Cathy Naden, Terry<br />
O’Connor (Performers), Verity Leigh (Verwaltung<br />
/ Administration), Helen Burgun<br />
(Marketing), Eileen Evans (Education),<br />
Andy Clarke (Production)<br />
Forced Entertainment<br />
& Hugo Glendinning<br />
Gemeinsame Projekte /<br />
Collaborative projects<br />
Cardboard Sign Photographs, photographs,<br />
1992<br />
Red Room, performance/installation, 1993<br />
Hotel Photographs, photographs, 1994<br />
Ground Plans for Paradise, installation,<br />
1994<br />
Looking Forwards, photographs, in: Performance<br />
Research Vol. 1: The Temper of<br />
Times, 1996<br />
Frozen Palaces, interactive work for CD-<br />
ROM, 1996–98<br />
DIY, semi-fictional documentary, 10 min,<br />
directed by Tim Etchells & Hugo<br />
Glendinning, 1997 (Golden Gate Award<br />
for the Best Short Documentary at the<br />
San Francisco Film Festival, 1998)<br />
Filthy Words & Phrases, video work,<br />
7 hours, directed by Tim Etchells &<br />
Hugo Glendinning, 1997<br />
Nightwalks, CD-ROM, 1998<br />
Spin, CD-ROM, 1999<br />
Rules of the Game, photographs and texts,<br />
1999<br />
Hotel Binary, video installation, 2000<br />
Scar Stories, performance and installation,<br />
2000<br />
Starfucker, digital film, 2001<br />
My Eyes were like the Stars, digital film,<br />
2001<br />
Kent Beeson is a Classic and an Absolutely<br />
New Thing, digital film, 2001<br />
The Last Mile Home, digital film, 2001<br />
Ausstellungen (Auswahl) /<br />
Selected exhibitions<br />
Cardboard Signs, ICA, London, 1992 / Arts<br />
Centre, Gloucestershire, 1993<br />
The Hotel Photographs, The Dukes, Lancaster<br />
/ The Gantry, Southampton, 1994<br />
Surrogate, ZKM, Karlsruhe, 1998<br />
Void Spaces, Site Gallery, Sheffield, 2000<br />
Mousonturm, Frankfurt, 2000<br />
Hugo Glendinning<br />
Ausstellungen (Auswahl) /<br />
Selected exhibitions<br />
The Single Figure Drill, Hull Arts Centre,<br />
Hull, 1986<br />
Dance Work, The Place Theatre, London,<br />
1991/93<br />
Dance and Portrait Work, The Green<br />
Room, Manchester, 1992<br />
Performance Photography, CCA Glasgow,<br />
1994<br />
Gamblers, Dogs and The Lottery – The Art<br />
Casino, The Barbican Art Gallery, London,<br />
1995<br />
Portraits of Artists in July, The Whitechapel<br />
Gallery, London, 1996<br />
Pictures of (E)motion, Tanz Performance<br />
Köln, Cologne, 1996<br />
Islington Festival Commission, photo<br />
installation, London, 1997<br />
Art 98, Contemporary Art Society,<br />
London, 1998
Forced Entertainment<br />
Projekte / Projects<br />
Jessica in the Room of Lights, performance,<br />
1984<br />
The Set-up, performance, 1985<br />
Nighthawks, performance, 1985/86<br />
The Day that Serenity Returned to the<br />
Ground, performance, 1986<br />
(Let the Water Run Its Course) to the Sea<br />
that Made the Promise, performance,<br />
1986<br />
200% & Bloody Thirsty, performance,<br />
1987/88<br />
Some Confusions in the Law about Love,<br />
performance, 1989/90<br />
Welcome to Dreamland, retrospective<br />
performance trilogy, 1991<br />
Marina & Lee, performance, 1991<br />
Emanuelle Enchanted, performance, 1992<br />
Club of No Regrets, performance, 1993<br />
12 am: Awake and Looking Down, durational<br />
performance, 1993<br />
Hidden J, performance, 1994<br />
Speak Bitterness, durational<br />
performance/installation, 1994<br />
A Decade Of Forced Entertainment,<br />
performance/lecture, 1994<br />
Dreams’ Winter, site-specific work,<br />
Manchester Central Library, 1994<br />
Nights In This City, site-specific work,<br />
Sheffield version, 1995<br />
Speak Bitterness, theatre performance, 1995<br />
Break In!, children’s project in collaboration<br />
with Sheffield theatres, 1995<br />
Showtime, performance, 1996<br />
Quizoola!, durational performance, 1996<br />
Nights In This City, site-specific work,<br />
Rotterdam version, 1997<br />
Secret Places (Rotterdam workshop<br />
project), durational performance /<br />
installation, 1997<br />
Paradise, internet project, 1997<br />
<br />
Pleasure, performance, 1997<br />
Dirty Work, performance, 1998<br />
Disco Relax, performance, 1999<br />
Who Can Sing a Song to Unfrighten Me?,<br />
24-hour durational performance, 1999<br />
And on the Thousandth Night…, durational<br />
performance, 2000<br />
Starfucker, short solo performance, 2001<br />
Downtime, short solo performance, 2001<br />
Instructions for Forgetting a Well Known<br />
Song, performance, 2001<br />
First Night, performance, 2001<br />
Publikationen (Auswahl) /<br />
Selected publications<br />
Tim Etchells, ‘Diverse Assembly: Some<br />
Trends In Recent British Performance.’<br />
– Contemporary British Theatre, Ed.<br />
Theodore Shank, London: Macmillan<br />
Press, January 1994.<br />
Tim Etchells and Richard Lowdon,<br />
‘Emanuelle Enchanted: Notes and<br />
Documents.’ – Contemporary Theatre<br />
Review: British Live Art, Harwood,<br />
Summer 1994.<br />
Tim Etchells and Hugo Glendinning, ‘Red<br />
Room: Photographic Documents.’ – Art<br />
& Design, October 1994.<br />
Forced Entertainment, ‘Speak Bitterness<br />
(Text Fragments).’ – Language aLive,<br />
Issue One, Suffolk: Sound & Language,<br />
1995.<br />
Tim Etchells, ‘Eight Fragments on Theatre<br />
& The City.’ – Theaterschrift, No. 10,<br />
December 1995.<br />
‘A Decade of Forced Entertainment. Performance<br />
text by Tim Etchells and the<br />
company with photographs by Hugo<br />
373<br />
artintact 5
artintact 5<br />
374<br />
Glendinning.’ – Performance Research,<br />
Vol. 1, No. 1, Routledge, Spring 1996.<br />
Deutsch auszugsweise in: Forced Entertainment:<br />
‘Ein Jahr verschärfter Unterhaltung.’<br />
– Flamboyant: Schriften zum<br />
Theater, Heft 4, 1996.<br />
‘How Long Do You Have To Have Lived<br />
Somewhere Before You’re Allowed to<br />
Lie About It? Interview with Tim<br />
Etchells.’ – Live 4: Freedom Machine,<br />
Ed. David Tushingham, London: Nick<br />
Hern Books, 1996.<br />
Tim Etchells, ‘Repeat Forever.’ – Shattered<br />
Anatomies. Artists’ publication, ed.<br />
Adrian Heathfield, Bristol: Arnolfini<br />
Live, 1997.<br />
––, ‘Se pendre et se retrouver / Losing &<br />
Finding.’ – TransEuropeenes, No. 11:<br />
Theater and the Public Space, Paris, Fall<br />
1997.<br />
––, ‘Hier sind 26 Buchstaben / Here Are 26<br />
Letters.’ – Theater Etcetera, eds.<br />
T. Broszat, G. Hattinger, Munich: Spielmotor<br />
München e.V., 1997.<br />
––, Endland Stories, London: Pulp Books,<br />
1998.<br />
––, Certain Fragments: Contemporary Performance<br />
and Forced Entertainment,<br />
London and New York: Routledge,<br />
1999.<br />
Hugo Glendinning, Tim Etchells and<br />
Forced Entertainment: Void Spaces,<br />
exhibition catalogue, Sheffield: Site<br />
Gallery, 2000.<br />
Tim Etchells: ‘On The Skids: Some Years of<br />
Acting Animals.’ – Performance Research:<br />
On Animals, Vol. 5, No. 2, Routledge,<br />
2000.<br />
––, ‘Permanent Midnight.’ – Small Acts.<br />
Performance, the Millennium and the<br />
Marking of Time, ed. Adrian Heathfield,<br />
London: Black Dog Publishing Ltd.,<br />
2000.<br />
––, The Dream Dictionary (for Modern<br />
Dreamers), London: Duckworths, 2001.<br />
Website<br />
http://www.forced.co.uk
Geboren 1956 in Tokio, lebt und arbeitet in<br />
Kanagawa. Er studierte von 1975 bis 1981<br />
an der National University of Fine Arts and<br />
Music, Tokio, und ist seit 1990 assoziierter<br />
Professor an der Faculty of Environmental<br />
Information, Keio University, Kanagawa;<br />
seit 1999 Professor an der National University<br />
of Fine Arts and Music, Department of<br />
Inter Media Art, Tokio. 1995 kuratierte<br />
Fujihata die Ausstellung The Future of the<br />
Book of the Future; er hat außerdem<br />
zahlreiche Bücher herausgegeben.<br />
Auszeichnungen / Awards<br />
Grand Prize, Video Culture Canada,<br />
Toronto Harbour Front, 1983<br />
State-of-the-Art Prize, ‘Online’, Wembley<br />
Conference Centre, UK, 1984<br />
Golden Nica, distinction Interactive Art,<br />
Prix Ars Electronica, Linz, 1996<br />
Promotional Prize, L’OREAL Grand Prix,<br />
L’OREAL Art and Science Foundation,<br />
Japan, 1997<br />
First Prize, distinction Theatre/Exhibition,<br />
Multimedia Grand Prix ’97, Tokyo,<br />
Japan, 1997<br />
Werke (Auswahl) / Selected works<br />
One-Man Show, animation film, 8mm and<br />
16mm, 1980<br />
Message from Machine, interactive installation,<br />
1981<br />
Mandala 1983, computer animation, 1983<br />
MIROKU-Maitreya, computer animation,<br />
1984<br />
The Mind of Gaze Beyond Technology,<br />
computer images, 1984<br />
Masaki Fujihata<br />
Born in Tokyo in 1956, Masaki Fujihata<br />
lives and works in Kanagawa. He studied at<br />
the National University of Fine Arts and<br />
Music, Tokyo, from 1975 to 1981. He was<br />
appointed associate professor at the Faculty<br />
of Environmental Information, Keio<br />
University, Kanagawa, in 1990, and professor<br />
at the Department of Inter-Media Art<br />
of the National University of Fine Arts and<br />
Music, Tokyo, in 1999. He curated the<br />
exhibition The Future of the Book of the<br />
Future in 1995, and has published several<br />
books.<br />
Geometric Love, computer sculptures, 1987<br />
Forbidden Fruits, computer sculptures,<br />
1990<br />
Ape Call from Tokyo, computer graphics,<br />
1990<br />
Removable Reality, interactive installation<br />
with Kei’ichi Irie, 1992<br />
Inside Eye, micro-machined sculptures,<br />
1993<br />
Impressing Velocity, interactive installation,<br />
1994<br />
Beyond Pages, interactive installation, 1995<br />
(collection of the ZKM-Media Museum,<br />
Karlsruhe)<br />
Global Interior Project, shared virtual environment,<br />
1995<br />
Impalpability, interactive work for CD-<br />
ROM, 1998<br />
Nuzzle Afar, shared virtual environment,<br />
1998<br />
Impressing Velocity, interactive installation<br />
with flight-simulation platform, 1999<br />
Small Fish (with Kiyoshi Furukawa, Wolfgang<br />
Münch), interactive music CD-<br />
ROM, 1999 (published in ZKM digital<br />
arts edition No. 3, ed. ZKM, Ostfildern:<br />
Hatje Cantz, 1999)<br />
375<br />
artintact 5
artintact 5<br />
376<br />
Vertical Mapping, shared virtual environment<br />
and installation, 2000<br />
Light on the Net @Barcelona, Internet installation,<br />
2001<br />
Collective Off-Sense, shared cyberspace,<br />
2001<br />
Field-Work@Hayama, interactive installation,<br />
2001<br />
Orchisoid, movable plant robot, 2001<br />
Einzelausstellungen (Auswahl) /<br />
Selected solo exhibitions<br />
Salon SHU, Tokyo, 1980<br />
Xerox Knowledge-in,Tokyo, 1981<br />
Livina Gallery, Tokyo, 1984<br />
Ginza Graphic Gallery, Tokyo, 1987<br />
Gallery Mirage, Tokyo, 1990<br />
ICC Gallery, Tokyo, 1994<br />
Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik<br />
Deutschland, Medien-<br />
KunstRaum, Bonn, 1997<br />
Gruppenausstellungen und Festivals<br />
(Auswahl) / Selected group exhibitions<br />
and festivals<br />
Siggraph ’83, Detroit, 1983<br />
Computer Animation Film Festival,<br />
London, 1983<br />
Siggraph ’84, Minneapolis, 1984<br />
InterGraphics, Tokyo, 1984<br />
24. Festival International de Televison de<br />
Monte Carlo, Monte Carlo, 1984<br />
1st International Animation Festival,<br />
Hiroshima, 1985<br />
The Museum of Modern Art, New York,<br />
1986<br />
Art Directors Club Gallery, New York,<br />
1990<br />
Spiral Hall, Tokyo, 1992<br />
Nikko Gallery, Tokyo, 1993<br />
Itoki Gallery, Osaka, 1993<br />
InterCommunication ’95, On the Web, ICC<br />
Gallery/Spiral Building and P3, Tokyo,<br />
1995<br />
Siggraph ’96, New Orleans, 1996<br />
Ars Electronica, Linz,1996/1999/2000/2001<br />
DEAF, Dutch Electronic Art Festival,<br />
Rotterdam, 1996/98<br />
ISEA, International Symposium on Electronic<br />
Art, Rotterdam, 1996<br />
WestBank Gallery, Savannah, Georgia, 1997<br />
Connecticut College of Art, Connecticut,<br />
1997<br />
Interaction ’97, Ogaki, Japan, 1997<br />
Exit, Maubeuge, 1997<br />
Cyber, Lisbon, 1997<br />
VEAF, Vancouver Electronic Arts Festival,<br />
Vancouver, 1997<br />
SONAR, Festival of advanced music,<br />
Barcelona, 1997<br />
Cyber-Monde, Montreal, 1997<br />
Miyagi Modern Museum, Japan, 1998<br />
Mediatech, Florence, 1998<br />
Surrogate, ZKM, Karlsruhe, 1998<br />
Cartoombria / Fondazione Umbria Spettacolo,<br />
Perugia, 1999<br />
net_condition, ZKM, Karlsruhe, 1999<br />
Perspective Budapest, c 3 , Budapest, 1999<br />
Stuttgarter Filmwinter, 2000<br />
Sony Center Berlin, Music Box, Berlin,<br />
2000<br />
transmediale, Berlin, 2000<br />
Exploding Cinema, International Film<br />
Festival Rotterdam, 2000<br />
The Electronic and Digital Art Show,<br />
Johannesburg, 2000<br />
Digital Alice, Media City, Seoul, 2000<br />
ICC, Tokyo, 2000<br />
Warsaw Music Autumn, Warsaw, 2000<br />
Millenium Dome, London, 2000
Vision Ruhr, Westfälisches Industriemuseum<br />
Zeche Zollern, Dortmund, 2000<br />
Tsumari-Triennale, Niigata, Japan, 2000<br />
Robot_meme, Museum of Emergent<br />
Science and Industry, Tokyo, 2001<br />
Yokohama Triennale, Yokohama, 2001<br />
BUZZ Club, PS1, Long Island City, New<br />
York, 2001<br />
New York Center for Media Arts, Long<br />
Island City, New York, 2001<br />
Fundació La Caixa, Barcelona, 2001<br />
Steirischer Herbst, Graz, 2001<br />
Publikationen (Auswahl) /<br />
Selected publications<br />
Masaki Fujihata, Geometric Love, Tokyo:<br />
Parco publications, 1987.<br />
––, Forbidden Fruits, Tokyo: LibroPort,<br />
1991.<br />
––, Rewinded Futures, Tokyo: JustSystem,<br />
1995.<br />
The Future of the Book of the Future, exhibition<br />
catalogue, ed. Masaki Fujihata,<br />
Tokyo: JustSystem, 1995.<br />
Colour as A Concept, Ed. Masaki Fujihata,<br />
Tokyo: Bijutsu-shuppan-sha, 1997.<br />
The Treasure of Computer Graphics, ed.<br />
Masaki Fujihata, Tokyo: JustSystem,<br />
1998.<br />
Masaki Fujihata, Art and Computer, Tokyo:<br />
Keio University Press, 1999.<br />
Kiyoshi Furukawa, Masaki Fujihata, Wolfgang<br />
Münch, Small Fish Tale – Active<br />
Score Music, Linz: AEC and ORF, 2001<br />
(DVD-ROM).<br />
Website<br />
http://www.ima.fa.geidai.ac.jp/~masaki<br />
377<br />
artintact 5
artintact 5<br />
378<br />
Geboren 1964 in Budapest, lebt und<br />
arbeitet in Karlsruhe. Sie studierte Fotografie<br />
und Videokunst an der Akademie für<br />
Angewandte Kunst, Budapest und anschließend<br />
an der Minerva Akademie,<br />
Groningen, der Kunstakademie Enschede<br />
und am Institut für Neue Medien, Städelschule,<br />
Frankfurt/Main. 1992 war sie<br />
Gastkünstlerin am ZKM-Institut für<br />
Bildmedien.<br />
Auszeichnungen / Awards<br />
Prisma-Preis für Computerkunst,<br />
Hamburgische Kulturstiftung, 1993<br />
Honourable Mention, distinction Interactive<br />
Art, Ars Electronica, Linz, 1993<br />
Sparky Award, Interactive Media Festival,<br />
Los Angeles, 1994<br />
Videoarbeiten / Video works<br />
Hierosgamos, 1:30 min., 1987<br />
Translation, 5:00 min., 1988<br />
Ise d’oil, 4:30 min., 1988<br />
Bubble Order, 5:30 min., 1988<br />
And Grind Hard Stones to Meal, 6:30 min.,<br />
1989<br />
Image to Paul Klee, 4:30 min., 1989<br />
125. Fragment, 5:00 min., 1990<br />
Plain Plane Playing, 10:00 min., 1990<br />
Videopräsentationen (Auswahl) /<br />
Selected video screenings<br />
Symmetry-Asymmetry Conference,<br />
Hungarian National Gallery, Budapest,<br />
1989<br />
Agnes Hegedues<br />
Born in Budapest in 1964, Agnes Hegedues<br />
lives and works in Karlsruhe. She studied<br />
photography and video art at the Budapest<br />
Academy of Applied Arts, followed by the<br />
Minerva Academy, Groningen, the Kunstakademie,<br />
Enschede and the Institute of<br />
New Media, Städelschule, Frankfurt-on-<br />
Main. In 1992, she was artist-in-residence<br />
at the ZKM-Institute for Visual Media.<br />
EMAF, European Media Art Festival,<br />
Osnabrück, 1989<br />
World Wide Video Festival, Den Haag,<br />
1989<br />
Art Video Hongrie, Strasbourg, 1989<br />
Video und Malerei, Akademie der Künste,<br />
Berlin, 1989<br />
Videofest 90, Berlin, 1990<br />
Fête de cinema, Palais de Tokyo, Paris, 1990<br />
XI. Video Art Festival, Locarno, 1990<br />
Les instants Video, Marseille, 1990<br />
WRO, Sound Basis Visual Art Festival,<br />
Wroclaw, 1990<br />
Fukui International Media Art Festival,<br />
Fukui, Japan, 1990<br />
Artech, Art et Nouvelles Technologies,<br />
Etampes, 1991<br />
Video del Este, Granada, 1991<br />
Videoformes, Clermont-Ferrand, 1991<br />
Internationale Kurzfilmtage, Oberhausen,<br />
1991<br />
Film et video experimentaux, Jeu de Paume,<br />
Paris, 1992
Installationen und interaktive<br />
Arbeiten / Installations and<br />
interactive works<br />
Plain Plane Playing, kinetic video sculpture/video<br />
installation, 1990<br />
Unstable, computer-graphic installation,<br />
1990<br />
4 Space, interactive computer-graphic<br />
installation, 1991<br />
RGB VW, computer-graphic installation,<br />
1991<br />
The Fruit Machine, interactive computergraphic<br />
installation, 1991 (collection of<br />
the ZKM-Media Museum, Karlsruhe)<br />
Handsight, interactive computer-graphic<br />
installation, 1992<br />
The Televirtual Fruit Machine, interactive<br />
telecommunication project, 1993<br />
Between The Words, interactive computergraphic<br />
installation, 1995<br />
conFiguring The Cave (with Bernd Linterman,<br />
Jeffrey Shaw, Leslie Stuck),<br />
interactive computer-graphic environment,<br />
1996 (collection of the NTT<br />
InterCommunication Centre, Tokyo)<br />
Memory Theater VR, interactive computer-graphic<br />
environment, 1997<br />
(collection of the ZKM-Media Museum,<br />
Karlsruhe)<br />
Things Spoken, CD-ROM, 1998<br />
Sprache der Dinge, interactive multimedia<br />
installation, 1998<br />
Their Things Spoken, DVD-ROM, 2001<br />
Ausstellungen und Festivals<br />
(Auswahl) /<br />
Selected exhibitions and festivals<br />
(Kat. = Katalog / Catalogue)<br />
Gallery René Coelho, Amsterdam, 1990<br />
Das belebte Bild, Art Frankfurt, Frankfurton-Main,<br />
1991 (Kat.)<br />
MultiMediale, ZKM, Karlsruhe,<br />
1991/93/95 (Kat.)<br />
Artec, Nagoya, 1991/93 (Kat.)<br />
Ars Electronica, Linz, 1992/95 (Kat.)<br />
V2_Organisation, s-Hertogenbosh, 1992<br />
(Kat.)<br />
Mediale, Prisma Art Gallery, Hamburg,<br />
1993<br />
Artificial Games, Medienlabor, Munich,<br />
1993<br />
Video Arco, Madrid Art Fair, Madrid, 1993<br />
(Kat.)<br />
Muu Media Festival, Otso Gallery, Tapiola,<br />
Finland, 1993 (Kat.)<br />
Siggraph ’93, Anaheim, 1993 (Kat.)<br />
IC ’93, Beam Gallery, Tokyo, 1993 (Kat.)<br />
Interactive Media Festival, Los Angeles,<br />
1994<br />
Artifice 3, Paris, 1994 (Kat.)<br />
Interaction ’95, Gifu, Japan, 1995 (Kat.)<br />
Arslab 2, Torino, 1995 (Kat.)<br />
Cebit, Telecom stand, Hanover, 1995 (Kat.)<br />
Institute for Contemporary Art, London,<br />
1995<br />
Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik<br />
Deutschland, Medien-<br />
KunstRaum, Bonn, 1995<br />
ISEA, International Symposium on<br />
Electronic Art, Montreal, 1995<br />
Butterfly Effect, Kunsthalle, Budapest,<br />
1996 (Kat.)<br />
Phantasmagoria, Museum of Contemporary<br />
Art, Sydney, 1996 (Kat.)<br />
Surrogate, ZKM, Karlsruhe, 1998<br />
Dark Room, Museo Universitario Contempránero<br />
de Arte, Mexico City, 1999<br />
Contact Zones, Cornell University, Ithaca,<br />
New York, and Gallery of Photography,<br />
Mexico City, 1999<br />
WRO ’99, 7th International Media Art<br />
Biennale, Wroclaw, 1999<br />
ISEA, International Symposium on<br />
Electronic Art, Paris, 2000<br />
Vision and Reality, Louisiana Museum of<br />
Modern Art, Humblebeak, Denmark,<br />
2001<br />
379<br />
artintact 5
artintact 5<br />
380<br />
Biografische Notizen / Biographical Notes<br />
Autoren / Authors<br />
ist Autor und Regisseur von Forced<br />
Entertainment. Siehe S. 371.<br />
Geboren 1943, lebt in Bern. Gerhard<br />
Johann Lischka ist Kulturphilosoph und<br />
Schriftsteller; zu seinen zahlreichen Veröffentlichungen<br />
als Autor und Herausgeber<br />
gehören u.a.: Über die Mediatisierung.<br />
Medien und Re-Medien (Bern, 1988),<br />
Splitter-Ästhetik (Bern, 1993), Schnittstellen.<br />
Das postmoderne Weltbild (Bern,<br />
1997), Kunstkörper – Werbekörper (Köln,<br />
2000). Von 1986–1999 war er Herausgeber<br />
der Taschenbuchreihe ›Um Neun. Am<br />
Nerv der Zeit‹ (Benteli). Er lehrt u.a. am<br />
San Francisco Art Institute, an der F&F<br />
Hochschule für Kunst und Medien Zürich,<br />
der Hochschule für Theater Bern und der<br />
Fachhochschule für Technik, Wirtschaft<br />
und Gestaltung, Aargau.<br />
Tim Etchells<br />
Masaki Fujihata<br />
siehe S. 375 see p. 375<br />
Gerhard Johann Lischka<br />
is writer and director with Forced<br />
Entertainment. See p. 371.<br />
Gerhard Johann Lischka was born in 1943.<br />
A cultural philosopher and writer, he has<br />
authored and edited publications including<br />
Über die Mediatisierung. Medien und Re-<br />
Medien (Bern, 1988), Splitter-Ästhetik<br />
(Bern, 1993), Schnittstellen. Das postmoderne<br />
Weltbild (Bern, 1997), Kunstkörper –<br />
Werbekörper (Cologne, 2000). From 1986<br />
to 1999, he edited for Benteli the ‘Um<br />
Neun. Am Nerv der Zeit’ paperback series.<br />
He teaches at the San Francisco Art<br />
Institute, the F&F Hochschule für Kunst<br />
und Medien, Zurich, the Hochschule für<br />
Theater, Bern, the Fachhochschule für<br />
Technik, Wirtschaft und Gestaltung,<br />
Aargau, and other institutions. He lives in<br />
Bern.
Peggy Phelan ist Autorin der Bücher<br />
Unmarked: The Politics of Performance<br />
(London/New York, 1993), Mourning Sex:<br />
Performing Public Memories (London/<br />
New York, 1997), Art and Feminism<br />
(Oxford, 2001) und Death Rehearsals (in<br />
Vorbereitung). Von 1997–99 war sie Fellow<br />
des Open Institute, New York, im ›Project<br />
on Death in America‹.<br />
Hans-Peter Schwarz war von 1983–90<br />
Kustos am Deutschen Architekturmuseum<br />
in Frankfurt/Main, von 1992–2000 Direktor<br />
des ZKM-Medienmuseums und von<br />
1994–2000 Professor für Kunstgeschichte<br />
an der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe.<br />
Seit 2000 ist er Rektor der Hochschule<br />
für Gestaltung und Kunst<br />
Zürich/Museum für Gestaltung Zürich. Zu<br />
seinen Veröffentlichungen zur Architektur-<br />
und Kunstgeschichte und zur Kulturgeschichte<br />
der Moderne gehören u.a. Die<br />
Architektur der Synagoge (Stuttgart, 1988),<br />
Das Haus des Künstlers. Zur Sozialgeschichte<br />
des Genies (Braunschweig/Wiesbaden,<br />
1990) und Medien-Kunst-Geschichte<br />
(München/New York, 1997).<br />
Peggy Phelan<br />
Hans-Peter Schwarz<br />
Peggy Phelan is the author of Unmarked:<br />
The Politics of Performance (London/New<br />
York, 1993), Mourning Sex: Performing<br />
Public Memories (London/New York,<br />
1997), Art and Feminism (Oxford, 2001)<br />
and Death Rehearsals (forthcoming). From<br />
1997 to 1999, she was a fellow for the<br />
‘Project on Death in America’ at the Open<br />
Institute, New York.<br />
Hans-Peter Schwarz was custodian at the<br />
Deutsches Architekturmuseum, Frankfurt-on-Main,<br />
from 1983 to 1990, director<br />
of the ZKM-Media Museum from 1992 to<br />
2000, and professor at the State Academy<br />
of Design, Karlsruhe, from 1994 to 2000.<br />
He was appointed rector of the Hochschule<br />
für Gestaltung und Kunst, Zurich/<br />
Museum für Gestaltung, Zurich, in 2000.<br />
His publications on architectural and art<br />
history and on the cultural history of<br />
modernity include Die Architektur der<br />
Synagoge (Stuttgart, 1988), Das Haus des<br />
Künstlers. Zur Sozialgeschichte des Genies<br />
(Braunschweig/Wiesbaden, 1990), Media-<br />
Art-History (Munich/New York, 1997).<br />
381<br />
artintact 5
artintact 5<br />
382<br />
Geboren 1944 in Den Haag, lebt inAmsterdam.<br />
Tjebbe van Tijen realisierte zwischen<br />
1964 und 1969 Skulpturen, Happenings,<br />
Environments und Expanded-Cinema-<br />
Aktionen. Er war Kurator am Dokumentationszentrum<br />
für moderne soziale Entwicklungen,<br />
zunächst an der Universitätsbibliothek<br />
Amsterdam, später am Internationalen<br />
Institut für Sozialgeschichte<br />
Amsterdam (1973–93). 1988 gründete er<br />
die ›Projekte Imaginäres Museum‹ und<br />
entwickelte seitdem verschiedene interaktive<br />
Installationen, die sich mit der Dramatisierung<br />
von Information beschäftigen. Zu<br />
seinen aktuellen Forschungsprojekten<br />
gehören ›Literary Pyscho-Geography of<br />
Edo/Tokyo & Amsterdam‹ und ›Unbombing<br />
the Cities of the World‹.<br />
Tjebbe van Tijen<br />
Born in The Hague in 1944, Tjebbe van<br />
Tijen lives in Amsterdam. He has produced<br />
sculpture, happenings, environments and<br />
expanded cinema events (1964–1969) and<br />
was curator of the Centre for the Documentation<br />
of Modern Social Movements,<br />
first at the University Library of Amsterdam,<br />
later at the International Institute of<br />
Social History, Amsterdam (1973–1993).<br />
He founded ‘Imaginary Museum Projects’<br />
in 1988, and since then has created diverse<br />
interactive installations based on the<br />
dramatization of information. Current<br />
research projects include ‘Literary Pyscho-<br />
Geography of Edo/Tokyo & Amsterdam’<br />
and ‘Unbombing the Cities of the World’.
Impressum /Colophon<br />
Herausgeber /<br />
Publisher<br />
ZKM /Zentrum für Kunst<br />
und Medientechnologie<br />
Karlsruhe<br />
Konzept / Concept<br />
Jeffrey Shaw<br />
Redaktion / Editor<br />
Astrid Sommer<br />
Gestaltung /design<br />
Holger Jost<br />
Übersetzungen /<br />
Translators<br />
Thomas Morrison<br />
Astrid Sommer<br />
Didi S. Hirokawa<br />
Deutsches Lektorat /<br />
German proofreading<br />
Manuela Abel<br />
Englisches Lektorat /<br />
English proofreading<br />
Thomas Morrison<br />
CD-ROM-Produktion /<br />
CD-ROM production<br />
Volker Kuchelmeister<br />
© 2002 der Essays bei den<br />
Autoren und ZKM Karlsruhe<br />
/ Essays © 2002 by the<br />
authors and ZKM Karlsruhe<br />
© 2002 der Werke bei den<br />
Künstlern / Artworks<br />
© 2002 by the artists<br />
© 2002 der Screenshots bei<br />
den Künstlern /Screenshots<br />
© 2002 by the artists<br />
383<br />
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