Die Orgel von Schloss Meggenhorn
Die Orgel von Schloss Meggenhorn
Die Orgel von Schloss Meggenhorn
- TAGS
- orgel
- schloss
- meggenhorn
- www.rkv.ch
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Eva und Marco l<strong>Die</strong> <strong>Orgel</strong> <strong>von</strong> <strong>Schloss</strong><br />
Brandazza <strong>Meggenhorn</strong><br />
Eingebettet in eine traumhafte Landschaft, auf<br />
einer Landzunge, die in den Vierwaldstättersee<br />
ausläuft und die beiden Seearme <strong>von</strong> Luzern und<br />
Küssnacht trennt, befindet sich das <strong>Schloss</strong> <strong>Meggenhorn</strong><br />
mit Blick auf eine der <strong>von</strong> Richard<br />
Wagner bevorzugten Residenzen.<br />
Dem 1870 vom Architekten Xaver Meyer für<br />
den damaligen Besitzer, den Elsässer Edouard<br />
Hofer-Grosjean, fertiggestellten neogotischen<br />
Bau wurde 1886 im Auftrag der Gräfin Amélie<br />
Heine-Kohn eine kleine, <strong>von</strong> Heinrich Viktor<br />
<strong>von</strong> Segesser geplante Kapelle hinzugefügt, die<br />
ebenfalls im neugotischen Stil gehalten ist. Der<br />
ganze <strong>von</strong> einem wunderschönen Park umgebene<br />
Komplex, heute im Besitz der Gemeinde<br />
Meggen, hat etwas ganz Aussergewöhnliches an<br />
sich – obwohl er nie <strong>von</strong> Gespenstern bewohnt<br />
wurde: In der winzigen Kapelle, in der keine 20<br />
Personen Platz finden, ist es möglich, berühmte<br />
Organisten der Vergangenheit in die Gegenwart<br />
herüberzurufen, um sie auf einer echten Pfeifenorgel,<br />
einer unsichtbaren allerdings, spielen zu<br />
lassen! Auf Wunsch kann man Max Reger,<br />
Marcel Dupré oder Marco Enrico Bossi persönlich<br />
einladen, an einem versteckten Spieltisch<br />
Platz zu nehmen und sich <strong>von</strong> ihrer Musik bezaubern<br />
lassen! Doch keine Angst, es handelt<br />
sich nicht um Fantasien oder Tricks, sondern um<br />
Wirklichkeit. <strong>Die</strong>se Wirklichkeit hat einen Namen:<br />
Welte. Vielen bedeutet der Name heute<br />
nichts mehr, zur Zeit der Wende zwischen dem<br />
19. und dem 20.Jahrhundert jedoch erlangte die<br />
Firma Michael Welte&Söhne grosse Bekanntheit,<br />
indem sie viele Wohnsitze wohlhabender<br />
Europäer mit einem ganz speziellen <strong>Orgel</strong>typ bereicherte.<br />
<strong>Die</strong> Geschichte<br />
<strong>Die</strong> Musikautomatenfabrik «M.Welte&Söhne»,<br />
gegründet 1832 <strong>von</strong> Michael Welte 1 , hatte be-<br />
1 Michael Welte, geboren am 28.9.1807 in Vöhrenbach<br />
(Schwarzwald) und gestorben am 17.1.1880 in Freiburg<br />
im Breisgau, hatte nach seiner obligatorischen<br />
Schulzeit die Lehre beim berühmten Uhrmacher und<br />
Bauer mechanischer Instrumente Joseph Blessing in<br />
Unterkirnach (Schwarzwald) absolviert.<br />
54<br />
reits im Jahr 1849 <strong>von</strong> sich reden gemacht, indem<br />
sie an der industriellen Ausstellung in Karlsruhe<br />
eine automatische <strong>Orgel</strong> mit 1100 Pfeifen<br />
vorführte, die <strong>von</strong> drei Walzen betätigt wurde,<br />
welche sich gleichzeitig drehten. <strong>Die</strong>ses für seine<br />
Zeit aussergewöhnlich fortschrittliche Instrument<br />
wurde mit einer Goldmedaille ausgezeichnet.<br />
<strong>Die</strong> weitere Teilnahme der Firma an den<br />
wichtigsten Industrieausstellungen (London<br />
1862, Paris 1867, Philadelphia 1885 usw.)<br />
brachte mit sich, dass der Name Welte in der<br />
ganzen Welt bekannt wurde.<br />
Ein wichtiger Schritt in der Entwicklung der<br />
automatischen Musikinstrumente geschah jedoch<br />
im Jahr 1887, als es den Söhnen <strong>von</strong> Michael<br />
Welte, Berthold und Michael Junior, gelang,<br />
den Mechanismus zu verbessern, indem sie die<br />
Holzzylinder durch Papierrollen ersetzten, was<br />
zusammen mit einem pneumatischen System<br />
eine erheblich präzisere Wiedergabe ermöglichte.<br />
<strong>Die</strong> Papierrollen konnten nun viel einfacher<br />
vervielfältigt, das Repertorium dadurch enorm<br />
erweitert werden. Geschützt durch Patente in<br />
der ganzen Welt und frei <strong>von</strong> jeglicher Konkurrenz,<br />
stellte sich die Firma Welte an den Ausstellungen<br />
<strong>von</strong> Wien (1892), Chicago (1893), Paris<br />
(1900) und St.Louis (1904) vor und genoss <strong>von</strong><br />
überall bedingungsloses Lob. <strong>Die</strong> kontinuierlichen<br />
Bemühungen in der Perfektionierung dieses<br />
Systems wurden mit weiteren bemerkenswerten<br />
Erfolgen gekrönt: Wir erinnern an das<br />
«Welte-Mignon-Reproduktions-Piano», das an<br />
der Leipziger Frühjahrsmesse <strong>von</strong> 1905 vorgestellt<br />
wurde 2 und an die Salon-<strong>Orgel</strong> «Welte-<br />
Philharmonie», die 1911 erstmals auf dem<br />
Markt erschien und in der Musikwelt ein ungeheures<br />
Interesse erweckte.<br />
<strong>Die</strong> Welte-Philharmonie-<strong>Orgel</strong>, die am<br />
1912 in einer voll ausgebauten Modellreihe angeboten<br />
wurde, konnte zunächst wie jede andere<br />
Pfeifenorgel gespielt werden, daneben nun<br />
aber mittels eines pneumatischen Mechanis-<br />
2 <strong>Die</strong>ses Reproduktionsklavier erlaubte es auf erstaunliche<br />
Weise, alle dynamischen wie rhythmischen Details<br />
des Spiels berühmter Pianisten wiederzugeben.
musses Werke abspielen, die <strong>von</strong> perforierten<br />
Papierstreifen abgelesen wurden. <strong>Die</strong>se Papierstreifen,<br />
und darin bestand die absolute Neuheit,<br />
wurden nicht wie bei anderen automatischen<br />
Instrumenten theoretisch am Tisch angefertigt,<br />
sondern durch echte Aufführungen. <strong>Die</strong><br />
berühmtesten Organisten ihrer Zeit wurden<br />
nach Freiburg eingeladen, um auf einem eigens<br />
dafür eingerichteten Aufnahmeinstrument zu<br />
spielen, das mit einem Schreibsystem jede Bewegung<br />
des Interpreten auf Papier aufzeichnete:<br />
jede Betätigung einer Taste, eines Registers oder<br />
der Schweller brachte auf elektrischem Weg ein<br />
Metallrädchen in Bewegung, das mit Tinte befeuchtet<br />
war und mittels Filzstreifen Zeichen<br />
auf der «Mutterrolle» hinterliess. <strong>Die</strong>se wurde<br />
dann anhand der Zeichen <strong>von</strong> Hand perforiert<br />
und diente als Basis für die Reproduktion weiterer<br />
Rollen – je nach Nachfrage der verschiedenen<br />
Kunden. Berühmte Organisten wie Max<br />
Reger, Joseph Bonnet, Marcel Dupré, Marco<br />
Enrico Bossi, Josef F.Breitenbach und andere<br />
haben uns so Dokumente ihrer Interpretationen<br />
hinterlassen. Vor allem aber der Angloamerikaner<br />
Edwin H.Lemare leistete einen persönlichen<br />
Beitrag an die Entwicklung der Disposition<br />
und an den orchestralen Charakter der<br />
Welte-Philharmonie-<strong>Orgel</strong>n, weil er eine besondere<br />
Vorliebe für Bearbeitungen aus Symphonien<br />
und Opern hegte – dies zu einer Zeit, in der<br />
in Deutschland bereits die ersten Früchte der<br />
<strong>Orgel</strong>bewegung sichtbar wurden. Dazu sei ein<br />
Ausspruch <strong>von</strong> Karl Bockisch 3 zitiert: «Mit einer<br />
Bachrolle habe ich noch keine <strong>Orgel</strong> verkauft,<br />
wohl aber mit dem ‹Gran Duo› aus der Oper<br />
Samson et Dalila <strong>von</strong> Saint-Saëns oder dem ‹Andante<br />
favori› <strong>von</strong> Mozart!»<br />
Es ist allerdings einleuchtend, dass sich das<br />
Instrument mit dem komplizierten Spielmechanismus<br />
sowie den dazugehörenden Rollen als extrem<br />
kostspielig erwies. Der Verkauf der diversen<br />
Modelle der Welte-Philharmonie-<strong>Orgel</strong> erfolgte<br />
vor allem an Personen mit ansehnlichen finanziellen<br />
Mitteln (Industrielle, Bankiers, Adlige), die<br />
diese in ihren in der ganzen Welt verstreuten Vil-<br />
3 Als sich im Jahr 1900 Michael Welte Junior aus dem Geschäft<br />
zurückzog, nahm dessen Bruder Berthold<br />
(1843–1918) seinen Sohn Karl Edwin (1876–1958) und<br />
seinen Schwiegersohn Karl Bockisch (1876–1958), beides<br />
tatkräftige Mitarbeiter, als Teilhaber in die Firma<br />
auf.<br />
len und Palästen aufstellten. In Europa, Amerika,<br />
sogar in Russland, der Türkei, Indien, China<br />
und an vielen Orten mehr, sogar auf Luxusdampfern,<br />
sind solche Instrumente aufgebaut<br />
worden. Sie ermöglichten es, Musik nicht durch<br />
Lautsprecher, sondern ganz original im eigenen<br />
Heim zu hören, und zwar interpretiert <strong>von</strong> den<br />
besten Namen ihrer Epoche.<br />
Auf einem Werbezettel der Firma war zu lesen:<br />
«<strong>Die</strong> Welte-Philharmonie-<strong>Orgel</strong> ist … ein<br />
wahrhaft ideales Hausinstrument für die besitzenden<br />
Kreise, ein Instrument, das ebenso im<br />
vornehmen Landsitz wie in der städtischen Villa<br />
seinen Zweck erfüllt und anspruchsvolle musikalische<br />
Bedürfnisse vollendet zu befriedigen vermag.»<br />
Aber eben, wegen ihrer Kostspieligkeit<br />
nimmt man an, dass gesamthaft nicht mehr als<br />
100 Exemplare gebaut wurden. <strong>Die</strong> Verbreitung<br />
des Radios und der Schallplatten führten zum<br />
unvermeidlichen Niedergang dieser wunderbaren<br />
Instrumente. <strong>Die</strong> Firma, die sich zwischenzeitlich<br />
auch dem Bau <strong>von</strong> Kirchen- 4 und<br />
Kinoorgeln 5 zugewandt hatte, wurde im November<br />
1944 <strong>von</strong> einer Bombardierung zerstört und<br />
schloss im Jahr 1954 definitiv. Heute sind noch<br />
sehr wenige Welte-Philharmonie-<strong>Orgel</strong>n vorhanden.<br />
<strong>Die</strong> Gründe ihres Verschwindens sind<br />
zahlreich und gehen sicher auch zulasten der<br />
Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs. <strong>Die</strong> wenigen<br />
verbliebenen Exemplare, meistens aufbewahrt<br />
in Museen, zeugen <strong>von</strong> einem unglaublichen<br />
technischen Können. <strong>Die</strong> Perfektion und<br />
Faszination, die <strong>von</strong> der Musik ausgeht, die sie<br />
wiedergeben, hinterlassen Staunen. Man kann<br />
sagen, dass die <strong>Orgel</strong> <strong>von</strong> <strong>Meggenhorn</strong> ein echtes<br />
Unikum darstellt. Vermutlich handelt es sich<br />
um eines der allerletzten Exemplare, die sich<br />
noch unverändert am ursprünglichen Standort<br />
befinden. 6<br />
<strong>Die</strong> <strong>Orgel</strong> <strong>von</strong> <strong>Meggenhorn</strong><br />
Im Jahr 1920 erwarb der Zürcher Textilindustrielle<br />
Jakob Heinrich Frey-Baumann das <strong>Schloss</strong><br />
<strong>Meggenhorn</strong> und liess 1926 die Welte-<strong>Orgel</strong><br />
einbauen. Das Instrument besitzt keinen Pro-<br />
4 Unter anderen 1929 der Bau der <strong>Orgel</strong>n im Dom <strong>von</strong><br />
Freiburg im Breisgau.<br />
5 Zur Zeit des Stummfilms wurden in vielen Kinos die Filme<br />
mit <strong>Orgel</strong>n untermalt. Es handelte sich um Pfeifenorgeln<br />
mit Multiplexsystem, die mit vielen Spezialeffekten<br />
(Dampflokomotive, Glocken, Pistolenschüsse usw.)<br />
ausgestattet waren.<br />
55
spekt, gesamthaft einen Schwellkasten und ist in<br />
einem Raum situiert, der sich unter der Kapelle<br />
befindet, sozusagen in dessen Keller. Der Klang<br />
dringt durch im Fussboden der Kapelle eingelassene<br />
Gitter oder direkt auf die Terrasse des<br />
<strong>Schloss</strong>es, die auf der Höhe des Kellers liegt,<br />
durch eine Öffnung, die bei Nichtgebrauch mit<br />
dicken Holztüren verschlossen werden kann.<br />
Der Spieltisch, «versteckt» in einer Nische, die an<br />
einen Beichtstuhl erinnert, steht in der Kapelle<br />
selber, gleich links neben dem Eingang und besitzt<br />
zwei Manuale mit 61 Tasten (C–c’’’’) und<br />
eine Pedalklaviatur mit 30 Tasten (C–f’). Über<br />
den Klaviaturen befindet sich eine Reihe mit Registerwippen,<br />
gleich darüber eine zweite für die<br />
freie Kombination, während unter dem ersten<br />
Manual Drucktasten für die festen Kombinationen<br />
(pp/p/mf/f/Tutti), die Grundregistrierung,<br />
die freie Kombination und den Auslöser<br />
angebracht sind. Rechts über dem Pedal befinden<br />
sich die beiden Tritte für den Jalousie-<br />
Schweller und für das Registercrescendo.<br />
<strong>Die</strong> Disposition<br />
I. Manual:<br />
Vox cœlestis 8’ (c°–h° Zink, ab c’ Zinn)<br />
Viol d’orchestre 8’ (C–h° Zink, ab c’ Zinn)<br />
Traversflöte 8’ (Holz, offen – ab g’ überblasend)<br />
Gamba 8’ (C–h° Zink, ab c’ Zinn)<br />
Principal 8’ (C–h° Zink, ab c’ Zinn)<br />
Fagott 8’ (C–h° durchschlagendes Zungenregister mit<br />
Holzstiefel und Bechern aus Kartonrohr, ab c’ Labialpfeifen,<br />
Zinn)<br />
Flöte 4’ (C–h° Holz, ab c’ Zinn – offen)<br />
Harfe (Glockenspiel, Metallklangstäbe mit gestimmten<br />
Resonanzkörpern aus Holz und Karton)<br />
6 Zwei weitere Exemplare sind bekannt: im Privatmuseum<br />
<strong>von</strong> H.Weiss-Stauffacher, Seewen SO, ursprünglich<br />
im Jahr 1912 gebaut in Wippenfürth (Deutschland) in<br />
den Räumlichkeiten der Firma Radium. 1970 wurde das<br />
Instrument in die Schweiz gebracht, die <strong>Orgel</strong>bauer B.<br />
Fleig (Basel) und W.Bösch (Sandershausen) haben die<br />
Kriegsschäden repariert und es wieder aufgebaut. Es<br />
handelt sich um eine der grössten <strong>Orgel</strong>n, die <strong>von</strong> der<br />
Firma Welte je gebaut wurden und um die grösste<br />
Sammlung <strong>von</strong> originalen Rollen (ca. 1300). Eine weitere<br />
Philharmonie-<strong>Orgel</strong> steht im Museum <strong>von</strong> Linz am<br />
Rhein (Deutschland, Sammlung K.Fischer), die 1925 in<br />
eine Villa in Südfrankreich gebaut,1984–1985 an den<br />
heutigen Standort gebracht und <strong>von</strong> H. King (Gladbach,<br />
Deutschland) restauriert wurde.<br />
56<br />
II. Manual:<br />
Viol d’orchestre 8’ (Transmission aus I)<br />
Traversflöte 8’ (Transmission aus I)<br />
Bourdon 8’ (Holz, gedeckt)<br />
Horn 8’ (ab f°, Holz, doppelte Länge)<br />
Principal 8’ (Transmission aus I)<br />
Oboe 8’ (Zink, aufschlagendes Zungenregister)<br />
Vox humana 8’ (Zinn, aufschlagendes Zungenregister in<br />
eigenem Schwellkasten)<br />
Vox humana – Echo (Steuerung Kastendeckel)<br />
Clarinette 16’ (ab g°, durchschlagendes Zungenregister,<br />
Becher aus Kartonrohr)<br />
Tremulant<br />
Schwellwerkumschaltung Kapelle/Terrasse<br />
Pedal:<br />
Subbass 16’<br />
Stillgedackt 16’ (Holz, gedeckt, Abschwächung des Subbass)<br />
Flötenbass 8’ (Transmission Subbass 16’)<br />
Koppeln: II4’, II16’-I, II4’-I, II-I, I 4’, II-Ped, I-Ped<br />
<strong>Die</strong> Stimmung liegt bei 435 Hz (16°C), die<br />
Traktur ist rein röhrenpneumatisch (Saugwindpneumatik),<br />
der Winddruck beträgt 115 mm.<br />
<strong>Die</strong> Windlade, die sich auf dem Fussboden des<br />
<strong>Orgel</strong>raumes befindet, hat Registerkanzellenladen.<br />
Jeder Kanal besitzt so viele Ventile wie<br />
Tasten. <strong>Die</strong>se sind mittels Drähten aus Argentan<br />
mit kleinen Bälgchen verbunden. <strong>Die</strong> <strong>Orgel</strong>, die<br />
seit ihrem Baujahr 1926 nie einem Eingriff<br />
unterworfen war, wurde 1987 <strong>von</strong> der Firma<br />
Th. Kuhn in Männedorf ZH wieder instand gesetzt.<br />
7<br />
Besonders interessant ist der Mechanismus,<br />
welcher die perforierten Papierrollen abliest.<br />
<strong>Die</strong>ser befindet sich im Spieltisch hinter dem<br />
Notenpult und kann mittels zweier Schiebetürchen<br />
geöffnet werden. Eine Reihe <strong>von</strong> Hebeln<br />
bringt die regulierbare Laufgeschwindigkeit der<br />
Papierrollen sowie deren Rückspulsystem in<br />
Funktion. 8 <strong>Die</strong> aus speziellem, 384 mm breitem<br />
7 <strong>Die</strong>se <strong>Orgel</strong>baufirma, die im 19.Jahrhundert <strong>von</strong> Johann<br />
Nepomuk Kuhn gegründet wurde, hat eine eigens<br />
auf Restaurierung historischer <strong>Orgel</strong>n spezialisierte<br />
Abteilung, die <strong>von</strong> Wolfgang Rehn geleitet wird. Unter<br />
vielen anderen hat die Firma Kuhn folgende Instrumente<br />
restauriert: Kiedrich, Weingarten, Neresheim,<br />
Ochsenhausen (Deutschland), Rheinau, St.Urban<br />
(Schweiz), Dornbirn (Österreich).<br />
8 <strong>Die</strong> Abspielgeschwindigkeit kann mittels einer Kurbel,<br />
die an der rechten Seite des Spieltisches angebracht ist,<br />
vom Zuhörer nach Belieben reguliert werden.
Papier hergestellten Rollen laufen über den sogenannten<br />
Gleitblock, der aus Metall hergestellt<br />
und mit 150 Löchern versehen ist. <strong>Die</strong>se Bohrungen<br />
sind mittels Bleiröhrchen mit dem oben<br />
genannten pneumatischen System verbunden.<br />
Wenn die Löcher mit dem Papier abgedeckt<br />
sind, ruht das System. Kommt hingegen eine<br />
oder mehrere Perforationen (mit einem Durchmesser<br />
<strong>von</strong> 1,7 mm) mit der Öffnung der Platte<br />
überein, wird Luft mit einem Druck <strong>von</strong> ca.<br />
280 mm eingesogen und bringt kleine Membranen<br />
in Bewegung, welche die entsprechenden<br />
Funktionen in Gang setzten. <strong>Die</strong> Tasten funktionieren<br />
analog der obigen Beschreibung mittels<br />
kleiner Barkerhebel. <strong>Die</strong> Register werden<br />
anders gesteuert: Eine Perforation in der Rolle<br />
gibt jeweils durch dasselbe Loch den Impuls<br />
zum Ein- oder Ausschalten eines bestimmten<br />
Registers. 9 <strong>Die</strong> Schwelljalousie wird mit einem<br />
System, das gepresste Luft in grösserer oder kleinerer<br />
Menge in ein Magazin führt, gesteuert<br />
und bewegt so die Jalousien schneller oder<br />
langsamer. Am Schluss eines Stückes löst ein<br />
Kommando das automatische Wiederaufrollen<br />
des Papierstreifens aus. Natürlich wurde das<br />
sehr komplizierte System hier nur in grossen<br />
Linien erklärt. 10<br />
<strong>Die</strong> Rollen<br />
<strong>Die</strong> Sammlung der Rollen zur Welte-Philharmonie-<strong>Orgel</strong><br />
des <strong>Schloss</strong>es <strong>Meggenhorn</strong> ist sehr<br />
bemerkenswert und umfasst gesamthaft 124 verschiedene<br />
Exemplare. <strong>Die</strong> grossen Namen der<br />
<strong>Orgel</strong>literatur sind alle vertreten: Johann Sebastian<br />
Bach (mit der Passacaglia in c-Moll gespielt<br />
<strong>von</strong> Karl Matthaei, der Fantasie in G-Dur gespielt<br />
<strong>von</strong> Josef F. Breitenbach oder Präludium<br />
und Fuge in e-Moll interpretiert vom jungen<br />
Marcel Dupré), Felix Mendelssohn (Sonate Nr.<br />
6 gespielt <strong>von</strong> Eugène Gigout), Charles Marie<br />
Widor (Allegretto der 5. Sinfonie gespielt <strong>von</strong><br />
Dupré), Max Reger (Benedictus op. 59 und Ave<br />
Maria op. 80 gespielt vom Komponisten selber),<br />
Franz Liszt (Evocation à la Chapelle Sixtine in-<br />
9 Eine Kurbel am Spieltisch links erlaubt, die aufgenommenen<br />
Registrierungen auszuschalten und während<br />
dem Abspielen einer Rolle den Zuhörer nach eigenem<br />
Geschmack registrieren zu lassen.<br />
10 Eine detaillierte Beschreibung ist im Artikel <strong>von</strong> K.Binninger,<br />
einem ehemaligen Angestellten der Firma Welte,<br />
zu finden, die auch Zeichnungen und Schemen der<br />
Traktursysteme beinhaltet (siehe Bibliografie).<br />
terpretiert <strong>von</strong> G.Knak), César Franck (Cantabile<br />
gespielt <strong>von</strong> Marco Enrico Bossi), Léon Boëllmann<br />
(Suite Gothique interpretiert <strong>von</strong> Paul<br />
Hindermann) und so weiter. Natürlich machen<br />
Transkriptionen aus Opern und Sinfonien einen<br />
grossen Teil aus: Ludwig <strong>von</strong> Beethoven (Largo<br />
aus der Appassionata op. 57 oder Andante con<br />
moto aus der 5. Sinfonie gespielt <strong>von</strong> H.Goss-<br />
Custard), Ch. Willibald Gluck (Scène des<br />
Champs-Élysées gespielt <strong>von</strong> Joseph Bonnet),<br />
Georg Friedrich Händel (<strong>Orgel</strong>konzert Nr. 10<br />
gespielt <strong>von</strong> Günter Ramin und Nr. 8 <strong>von</strong> Otto<br />
Dunkelberg), Felix Mendelssohn (Hochzeitsmarsch<br />
gespielt <strong>von</strong> Edwin H.Lemare) und<br />
natürlich Richard Wagner (Stücke aus Tannhäuser<br />
und Lohengrin gespielt <strong>von</strong> Clarence Eddy).<br />
Unter den Rollen befinden sich auch Improvisationen,<br />
etwa <strong>von</strong> Marcel Dupré, der über ein<br />
Thema <strong>von</strong> Franz Schubert fantasiert oder <strong>von</strong><br />
Günter Ramin über den Weihnachtschoral<br />
«Vom Himmel hoch».<br />
Dem Anhören der Rollen wohnt eine Faszination<br />
inne, die schwer zu beschreiben ist. <strong>Die</strong><br />
Musik aus der Philharmonie-<strong>Orgel</strong> hat nichts<br />
vom statischen Charakter in sich, der sonst den<br />
mechanischen Musikinstrumenten eigen ist. Im<br />
Gegenteil – beim ersten, auch oberflächlichen<br />
Hinhören, sind technische sowie interpretatorische<br />
Charakteristiken der verschiedenen Interpreten<br />
hörbar. Auch hier gehen wir bewusst<br />
nicht weiter auf einzelne Details ein, weil nur direktes<br />
Hinhören einen Eindruck <strong>von</strong> ihren echten<br />
Qualitäten vermitteln kann. Dazu zitieren<br />
wir aber Marco Enrico Bossi, der im September<br />
1912 geschrieben hat: «Ich hatte Gelegenheit, einige<br />
Reproduktionen der bedeutendsten <strong>Orgel</strong>komponisten<br />
vortragen zu hören und gestehe<br />
unumwunden, dass der Eindruck, den das Instrument<br />
auf mich gemacht hat, ein überwältigender<br />
war, der jede Erwartung bei weitem übertreffen<br />
muss. (…) <strong>Die</strong> Wiedergabe der auf der<br />
Welte-<strong>Orgel</strong> gespielten Stücke ist in dem Masse<br />
getreu, dass sie in uns die höchste Überraschung<br />
und den vollkommensten Genuss auslöst. (…)»<br />
Auch der Klang ist, unseres Erachtens, <strong>von</strong> höchstem<br />
Interesse und entspricht demjenigen der<br />
symphonischen, spätromantischen <strong>Orgel</strong>n. Es<br />
reicht, die Disposition zu überfliegen, um das<br />
Fehlen jeglicher Register über dem 4’ zu bemerken.<br />
Aber die Grundstimmen, die beissenden<br />
Streicherregister, das sehr intensive Horn sowie<br />
die weichen Zungen haben unleugbare Qualitäten<br />
in sich.<br />
57
Abschliessend können wir uns allen nur<br />
wünschen, dass die <strong>Orgel</strong> <strong>von</strong> <strong>Meggenhorn</strong> auch<br />
in Zukunft die Stimmen einer Vergangenheit<br />
wird erklingen lassen, die uns immer mehr entrückt.<br />
Bibliografie<br />
� Binninger, Kurt: «<strong>Die</strong> Welte-Philharmonie-<br />
<strong>Orgel</strong>» in «Acta Organologica» Nr. 19, Kassel<br />
1987, SS. 179–208<br />
� Schmitz, Hans-Werner: «<strong>Die</strong> Philharmonie-<br />
<strong>Orgel</strong> <strong>von</strong> M.Welte&Söhne» in Disco Intercord<br />
INT 160.857, Stuttgart 1986<br />
58<br />
� Weiss-Stauffacher, Heinrich: «<strong>Die</strong> Welte-<br />
Philharmonie-<strong>Orgel</strong> der Sammlung H.Weiss-<br />
Stauffacher in Seewen SO (Schweiz)», Seewen<br />
1970.<br />
� Persönliche Angaben <strong>von</strong> Dr. Friedrich Jakob<br />
(<strong>Orgel</strong>bau Kuhn), dem wir dafür bestens danken.<br />
Übersetzung und Überarbeitung aus dem Italienischen<br />
des Artikels derselben Autoren «L’organo del castello<br />
di <strong>Meggenhorn</strong>», erschienen in der Zeitschrift<br />
«Arte Organaria e Organistica» (3. Jhg., Nr. 14), Bergamo<br />
1996.