Festschrift zum 175-jährigen Jubiläum als PDF-Datei - Barmherzige ...
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1832 bis 2007
<strong>175</strong> Jahre<br />
<strong>Barmherzige</strong> Schwestern<br />
in Bayern 1832 bis 2007
Inhalt<br />
Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15<br />
Kapitel i <strong>Barmherzige</strong> Schwestern für Bayern –<br />
eine politische Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17<br />
Kapitel 2 Einführung der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern am<br />
Allgemeinen Krankenhaus in München . . . . . . . . . . . . . . . 28<br />
Kapitel 3 Gründungsjahre der Kongregation in München . . . . . . . 48<br />
Kapitel 4 Erfolgreiche Entwicklung des Ordens<br />
unter Schwester Ignatia Jorth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70<br />
Kapitel 5 Krise nach dem Tod von Schwester Ignatia . . . . . . . . . . . . 92<br />
Kapitel 6 40 Jahre Kontinuität<br />
unter Schwester M. Regina Hurler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96<br />
Kapitel 7 Die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern und die Entwicklung<br />
der modernen Krankenpflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104<br />
Kapitel 8 Weitere Tätigkeitsbereiche<br />
der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120<br />
Kapitel 9 Sondereinsätze in Zeiten von Seuchen und Kriegen . . . 136<br />
Kapitel 10 Blütezeit des Ordens zu Beginn des 20. Jahrhunderts . . 154<br />
Kapitel 11 Die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern unter dem<br />
Nation<strong>als</strong>ozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183<br />
Kapitel 12 Wiederaufbau und neue Wege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214<br />
Kapitel 13 Neue Herausforderungen für den Orden<br />
in einer säkularisierten Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245<br />
Kapitel 14 Die Kongregation heute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267<br />
Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290<br />
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303<br />
Bildnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306<br />
Archivalienverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307<br />
Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309<br />
Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310<br />
Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319
Vorwort<br />
„Ein gutes, von Herzen kommendes, verständnisvolles<br />
Wort kann den Menschen zu Gott<br />
führen, ihm zu Geduld verhelfen, zu einem<br />
guten Sterben oder zu einem guten Leben<br />
nützlich sein.“ (Vinzenz von Paul)<br />
Mit großer Dankbarkeit und Freude feiern<br />
wir <strong>175</strong> Jahre <strong>Barmherzige</strong> Schwestern<br />
in Bayern. Wir feiern das Fest, an dem Gott<br />
die Gründung der Gemeinschaft gewollt<br />
hat. Miteinander lesen wir diese <strong>175</strong>-jährige<br />
Geschichte, die eine leuchtende Spur hinterlassen<br />
hat. Gott hat sich in seinem Großmut<br />
nicht übertreffen lassen, sein Segen begleitet die Kongregation und das Wirken<br />
der Schwestern. So dürfen wir der Vergangenheit eine Zukunft geben.<br />
Dieses <strong>Jubiläum</strong> gibt uns Anlass, aus dem Jetzt zurückzublicken, um<br />
gemeinsam in eine neue Zukunft zu gehen.<br />
Schauen wir auf den Anfang, wie alles begonnnen hat.<br />
Am 10. März 1832, nachmittags um 16.00 Uhr, kamen Schwester Ignatia<br />
Jorth und ihre Begleiterin, Schwester Apollonia Schmitt, mit der „Extrapost“<br />
von Straßburg an den Stadtrand Münchens in das Allgemeine Krankenhaus<br />
in der heutigen Ziemssenstraße vor dem Sendlinger Tor. Für König Ludwig<br />
I. war es eine Sternstunde der Geschichte Bayerns, <strong>als</strong> die beiden Schwestern<br />
auf sein fürsorgliches Bemühen hin den hingebenden Dienst an den<br />
Kranken im Geist des hl. Vinzenz in München einführten. Der Durchbruch<br />
für den neuen Beginn war geleistet. Ein Aufblühen, eine hoffnungsvolle<br />
Zukunft war geweckt und ein sichtbares Zeichen eines weltanschaulichen<br />
Wandels war markiert.<br />
Wie vielen Kranken in dieser langen Geschichte durch unsere Schwestern<br />
Hilfe geleistet worden ist, weiß nur Gott allein. Alles war ein Liebesdienst,<br />
ein Dienst der Barmherzigkeit, zu dem die Schwestern zu jeder<br />
Tages- und Nachtzeit bereit waren und sich von Gott Kraft erbaten. Der<br />
ungeheure Schatz an Barmherzigkeit, der in <strong>175</strong> Jahren gesammelt worden<br />
ist, bleibt ein Schatz der Kirche und der Menschheit und ist bei Gott nicht<br />
verloren.<br />
Papst Benedikt schreibt in seiner Enzyklika „Deus Caritas est“: „Wer<br />
zu Gott geht, geht nicht weg von den Menschen, sondern wird ihnen erst<br />
wirklich nahe.“
Vater Vinzenz rief den Schwestern immer wieder zu und sagt es uns<br />
auch heute: „Unsere Aufgabe ist das Handeln.“ Wir sollen Menschen dort<br />
abholen, wo ihr Lebensinhalt ist. Die barmherzige Liebe ist das Geheimnis<br />
der Erfolgsgeschichte der Gemeinschaft gewesen. Unser vinzentinisches<br />
Charisma gibt uns Kraft und den Mut, in die Zukunft zu gehen. Der Bau<br />
unseres neuen Mutterhauses trägt dazu bei, dass „Kloster“ und „Welt“ sich<br />
begegnen. Mit vielen Menschen und Mitarbeitern sind wir unterwegs. Entscheidend<br />
ist dabei, dass wir Gott in unserem Leben und in unsere Aufgaben<br />
einlassen – das heißt glauben. Im Glauben dürfen wir die Erfahrung seiner<br />
Gegenwart machen. Der Münchner Jesuitenpater Alfred Delp hat dies in<br />
dem bekannten Wort ausgedrückt: „Lasst uns dem Leben trauen, weil Gott<br />
es mit uns lebt.“ Gott lebt das Leben von uns Schwestern mit. Darum dürfen<br />
wir dem Leben trauen; mögen unser Alltag und der Zustand der Welt<br />
noch so düster und leidvoll sein. Die Kirche lebt, die Kongregation lebt, sie<br />
lebt, weil Christus lebt, weil er die Geschichte der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
unaufhaltsam belebt und fortsetzt. Jede Gemeinschaft ist ein Steinchen<br />
im Mosaik des Ganzen, ein lebendiger Stein am Haus Gottes.<br />
Der hl. Vinzenz sagt in einer Konferenz am 22. September 1647 über<br />
den Auftrag seiner Töchter der Christlichen Liebe: „Der Beruf einer <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwester ist eine Einladung Gottes; ihre Berufung eine Erwählung.<br />
Sie soll Gott dienen in den Armen, Kranken, Notleidenden und Hilfesuchenden<br />
und so die barmherzige Liebe den Menschen erfahrbar werden<br />
lassen.“<br />
Unser Auftrag ist nicht altmodisch, nicht überholt, nicht verstaubt, er ist<br />
heute so aktuell, so not-wendig wie dam<strong>als</strong>.<br />
Mit den vielen Schwestern, die in den vergangenen <strong>175</strong> Jahren dem<br />
Mutterhaus München angehörten, danken wir Gott, dass er immer am Ufer<br />
ihres Lebens stand und sie mit großer Herzlichkeit und Güte Gottes Licht<br />
zu den Menschen gebracht haben. Vertrauend auf die göttliche Vorsehung,<br />
die sie nicht verlässt in Dingen, die sie auf ihre Führung hin unternehmen,<br />
haben sie den Menschen gedient. Jetzt stehen sie an Gottes Seite und sind<br />
uns große Fürsprecher.<br />
Großen Dank schulden wir den Schwestern unserer Tage, die sich mit<br />
ihrer Kraft und ihrer Liebe den ihnen Anvertrauten hingeben. Vater Vinzenz<br />
und Mutter Louise sind wahre Lichtträger der Geschichte, weil sie Menschen<br />
des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe sind. In ihren Fußstapfen<br />
gehen und arbeiten wir.<br />
Wir dürfen, wie es uns Jesus selber sagt, zur Quelle werden, von der Ströme<br />
lebendigen Wassers kommen. Aber damit wir eine solche Quelle werden,<br />
müssen wir selbst immer wieder aus der ursprünglichen Quelle bei Jesus
Christus, aus dessen geöffnetem Herzen die Liebe Gottes selbst entströmt,<br />
schöpfen, um der Bedürftigkeit unserer Zeit, dem Hunger nach Geborgenheit,<br />
der Sehnsucht nach einem erfüllten Leben und der Suche nach Gott,<br />
eine Antwort zu geben.<br />
Gemeinsam schauen wir in die Zukunft, gemeinsam gehen wir in die<br />
Zukunft.<br />
Diese Kraft schöpfen wir aus dem lebendigen Glauben an Jesus und aus<br />
einer unverbrüchlichen Hoffnung.<br />
Der hl. Vinzenz sagt: „<strong>Barmherzige</strong> Liebe erobert die Welt.“ Wann<br />
beginnt die wahre Veränderung der Welt? Das Evangelium sagt es: wenn sie<br />
die Werke der Liebe verkündet <strong>zum</strong> Tun.<br />
Heute, <strong>175</strong> Jahre nach der Gründung, zählen der Glaube der Schwestern<br />
und die Niederlassungen, in denen wir unseren vinzentinischen Auftrag<br />
erfüllen. Der Gedanke an das viele Gute, Wertvolle und Kostbare, das durch<br />
unsere Schwestern getan wurde, erfüllt uns mit großem Dank. Wie viele<br />
Segensspuren zogen unsere Schwestern in der Erfüllung des Auftrags, den<br />
ewigen Plan des göttlichen Lebens zu erfüllen, wie Vinzenz sagt:<br />
die Verherrlichung des Vaters,<br />
die Nachahmungen der Handlungen Jesu Christi,<br />
die Ausbreitung seiner Liebe auf Erden.<br />
Darum haben sie die Welt verändert. Gott hat alles gut gemacht und uns<br />
gesegnet. Heute an dem Meilenstein der langen Straße der Barmherzigkeit<br />
lassen wir uns neu von der Liebe Christi berühren, um den Weg der erbarmenden<br />
Liebe gehen zu können.<br />
Mein Dank gilt beim <strong>175</strong>-<strong>jährigen</strong> <strong>Jubiläum</strong> allen Schwestern, allen<br />
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die das Werk unseres Vaters Vinzenz<br />
mittragen und mitgestalten.<br />
Schwester M. Theodolinde Mehltretter<br />
Generaloberin der Kongregation der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
vom hl. Vinzenz von Paul, Mutterhaus München
„Wir danken Gott für die reiche Frucht<br />
der Barmherzigkeit“<br />
Im Jahre 1832 rief König Ludwig I. die <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern nach München. Seit <strong>175</strong><br />
Jahren steht die Kongregation in unserem<br />
Erzbistum im Dienst der Kranken und Armen.<br />
Unzählige Menschen haben durch sie Gottes<br />
Liebe und Erbarmen erfahren, am Krankenbett,<br />
im Altenheim, in der Suppenküche oder<br />
im Kinderheim.<br />
Im Geist ihres Stifters wollen sie Jesu<br />
Gebot erfüllen: Liebet einander! Wie ich euch<br />
geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben“<br />
(Joh 13,34).<br />
In seiner Enzyklika „Gott ist Liebe“ schreibt der Heilige Vater: „Der<br />
Glaube, das Innewerden der Liebe Gottes, die sich im durchbohrten Herzen<br />
Jesu am Kreuz offenbart hat, erzeugt seinerseits die Liebe. Sie ist das Licht<br />
– letztlich das einzige -, das eine dunkle Welt immer wieder erhellt und Mut<br />
<strong>zum</strong> Leben und <strong>zum</strong> Handeln gibt“ (Nr. 39). Diese Worte machen deutlich,<br />
worum es den <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern in ihrem täglichen Arbeiten geht:<br />
die ihnen im Glauben innegewordene Liebe Gottes weiterzuschenken. Gott<br />
allein weiß, wieviel Licht durch den selbstlosen Dienst der Schwestern die<br />
Herzen der Kranken und Armen erhellt und ihnen neuen Mut <strong>zum</strong> Leben<br />
geschenkt hat.<br />
Das <strong>Jubiläum</strong> ist ein Fest des Dankes. Wir danken Gott für die reiche<br />
Frucht der Barmherzigkeit, die das Wirken der Schwestern in den <strong>175</strong> Jahren<br />
bei uns getragen hat. Unser aufrichtiger Dank gilt allen Mitgliedern der<br />
Kongregation, den lebenden wie den verstorbenen, für all das, was sie aus<br />
dem Glauben und christlicher Hoffnung heraus in dienender Liebe getan<br />
haben.<br />
Im Vertrauen auf den Herrn mögen die Schwestern auch weiterhin hochherzig<br />
ihren Dienst tun. Der Herr begleite sie täglich mit seinem Segen und<br />
führe sie in eine gute Zukunft.<br />
Erzbischof Friedrich Kardinal Wetter<br />
Apostolischer Administrator von München und Freising
„An vorderster Linie gegen Armut,<br />
Krankheit und Verlassenheit“<br />
Meinen herzlichen Gruß an die <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern vom hl. Vinzenz von Paul!<br />
Zweihundertsiebzig Jahre nach der Kanonisierung<br />
des hl. Vinzenz von Paul begehen<br />
die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern, die sich der<br />
Fortsetzung seines Dienstes widmen, ein <strong>Jubiläum</strong>,<br />
das gefeiert zu werden verdient: Seit<br />
1832 ist die Kongregation in München ansässig<br />
und wirkt von dort aus <strong>als</strong> eine unermüdliche<br />
Kraft der Nächstenliebe.<br />
Die Lebensgeschichte des hl. Vinzenz von<br />
Paul liest sich wie eine Abenteuergeschichte. Sein Werdegang vom südfranzösischen<br />
Bauernjungen <strong>zum</strong> Priester, sein Erleben von Gefangenschaft und<br />
Not in der Fremde, seine Rückkehr nach Frankreich und sein Neubeginn<br />
<strong>als</strong> ebenso leidenschaftlicher wie selbstloser Anwalt der bedingungslosen<br />
Nächstenliebe sind bis auf den heutigen Tag Inspiration und Ermutigung.<br />
Dabei stehen die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern vom hl. Vinzenz von Paul<br />
in der vordersten Linie im Kampf gegen Armut, Krankheit und Verlassenheit.<br />
In München gehören inzwischen drei Krankenhäuser sowie fünf Alten-<br />
und Pflegeheime zur Ordensgemeinschaft.<br />
Gern möchte ich meinen Gruß an die Ordensgemeinschaft mit dem<br />
Ausdruck meines tiefen Respekts und herzlichen Dankes verbinden. Gottes<br />
reichen Segen für die Fortsetzung ihres Dienstes!<br />
Dr. Edmund Stoiber<br />
Bayerischer Ministerpräsident
„Ein Aushängeschild<br />
katholischer Caritas“<br />
Antworten zu finden auf die Nöte unserer<br />
Zeit und dabei kein zurückgezogenes Leben<br />
hinter Klostermauern zu führen, sondern dort<br />
tätig zu sein, wo das Bedürfnis nach Hilfe und<br />
Zuwendung besonders groß ist: Das haben<br />
sich die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern vom hl.<br />
Vinzenz von Paul zur Aufgabe gemacht. Und<br />
damit geben sie gerade in München seit nunmehr<br />
<strong>175</strong> Jahren ein leuchtendes Beispiel und<br />
Vorbild.<br />
Am 10. März 1832 kamen auf ausdrücklichen<br />
Wunsch König Ludwigs I. und nach langwierigen Verhandlungen<br />
zwischen dem Münchner Magistrat und dem Mutterhaus der „Filles de<br />
la Charité“ in Straßburg Schwester Ignatia Jorth und Schwester Apollonia<br />
Schmitt in unsere Stadt und gründeten hier die Kongregation der <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern vom hl. Vinzenz von Paul, deren Wirkungskreis bald<br />
schon das ganze Königreich Bayern umfasste. Das Zentrum des Ordens aber<br />
war und blieb München, besonders hier hat sich die Arbeit der Ordensgemeinschaft<br />
<strong>als</strong> wahrer Segen erwiesen. Der Übernahme und Reformierung<br />
der Krankenpflege im damaligen städtischen allgemeinen Krankenhaus an<br />
der heutigen Ziemssenstraße folgte 1836 zunächst der Altenpflegedienst im<br />
Heiliggeistspital, das dam<strong>als</strong> noch an der Mathildenstraße beheimatet war,<br />
und nach und nach dann auch die Leitung und der Pflegedienst in allen<br />
städtischen Altenheimen.<br />
155 Jahre lang haben sich die Ordensschwestern um die städtische Altenpflege<br />
außerordentliche Verdienste erworben, ehe der Nachwuchsmangel<br />
sie zwang, sich von den elf städtischen Altenheimen, die sie einst betreuten,<br />
Zug um Zug wieder zu verabschieden.<br />
1991 war dieser für die Stadt sehr schmerzliche „Exodus“ mit der Aufgabe<br />
des Münchner Bürgerheims an der Dall‘ Armistraße beendet.<br />
Das segensreiche Wirken der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern vom hl. Vinzenz<br />
von Paul aber ging <strong>zum</strong>indest an den ordenseigenen Einrichtungen<br />
gottlob weiter. Auch heute betreibt die Ordensgemeinschaft eine Reihe<br />
von Krankenhäusern und Altenpflegeheimen. Dazu zählen auch das Krankenhaus<br />
Neuwittelsbach, die Maria-Theresia-Klinik und das Altenheim St.<br />
Michael in München. Und dazu zählt noch vieles andere mehr, wie z. B.<br />
auch die Adelholzener Alpenquellen GmbH, das wirtschaftliche Standbein
des Ordens, der sich so auch zu einem respektablen Arbeitgeber entwickelt<br />
hat, mit über 1500 Beschäftigten.<br />
Dabei laufen die Fäden der Ordensarbeit nach wie vor am Mutterhaus in<br />
München zusammen, das sich seit 1839 an der Nußbaumstraße befand und<br />
das nun in Berg am Laim eine neue Bleibe gefunden hat. Am 10. März 2007,<br />
auf den Tag genau <strong>175</strong> Jahre nach der Gründung des Ordens, wurde dort,<br />
wo der Orden zuvor bereits das Altenheim St. Michael sowie Wohnungen<br />
für Bedienstete und ihre Familien errichtet hat, das neue Mutterhaus feierlich<br />
eingeweiht. Damit hat die Kongregation der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
vom hl. Vinzenz von Paul ein neues Kapitel ihrer bewegten Geschichte aufgeschlagen<br />
– an einem Ort, der dafür wie geschaffen erscheint, <strong>zum</strong>al hier<br />
schon die Straße den Namen ihres Ordensgründers trägt.<br />
Und damit bleibt mir nur noch, <strong>zum</strong> stolzen <strong>175</strong>-<strong>jährigen</strong> <strong>Jubiläum</strong> von<br />
Herzen zu gratulieren, den Schwestern und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern<br />
für ihr aufopferungsvolles Wirken ausdrücklich zu danken und<br />
dem Orden zu wünschen, dass er auch weiterhin bleibt, was er immer war:<br />
eine Stütze des sozialen Lebens und solidarischen Miteinanders in unserer<br />
Stadt, ein Aushängeschild katholischer Caritas!<br />
Christian Ude<br />
Oberbürgermeister der Stadt München
„Kräftiger Spross am Baum der<br />
weltweiten Vinzentinischen Familie“<br />
Die Zeit war notvoll und schwer, <strong>als</strong> 1633<br />
Vinzenz von Paul und Louise von Marillac<br />
in Paris die „Töchter der christlichen Liebe“<br />
gründeten.<br />
Die Zeit war notvoll und schwer, <strong>als</strong> 1832<br />
zwei <strong>Barmherzige</strong> Schwestern aus dem Mutterhaus<br />
Straßburg nach München kamen, um<br />
hier im Geist des hl. Vinzenz im allgemeinen<br />
Krankenhaus die Lage zu verbessern.<br />
Seitdem stehen die Schwestern in Bayern<br />
im Dienst an den Menschen und geben<br />
Kunde von der erbarmenden Liebe Gottes, die den Kindern, den kranken<br />
und alten Menschen, den Armen und Einsamen, kurz allen Hilfsbedürftigen,<br />
besonders nahe ist.<br />
Diese Liebe, so sagt Vinzenz von Paul, erobert die Welt.<br />
Das hat sich buchstäblich erfüllt. Die Kongregation der <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern vom Mutterhaus München hat sich zu einem kräftigen Spross<br />
am Baum der weltweiten Vinzentinischen Familie entwickelt, der wiederum<br />
andere Gemeinschaften ins Leben rief. Auch wir vom Mutterhaus Augsburg<br />
sind ein „Ableger“ von München.<br />
Damit auch die Verbindung zu den Wurzeln erhalten bleibt, bilden 12<br />
Kongregationen, die unmittelbar oder mittelbar vom Mutterhaus Straßburg<br />
ihren Ausgang nahmen, eine Vinzentinische Föderation.<br />
Mehr <strong>als</strong> 3000 Schwestern stehen hinter mir, wenn ich der Münchner<br />
Kongregation <strong>zum</strong> <strong>175</strong>. Bestehen sehr herzlich gratuliere.<br />
<strong>175</strong> Jahre! Das bedeutet ebenso viele Jahre pulsierendes Leben, tätige<br />
Nächstenliebe und Hingabe an Gott nach dem Vorbild des hl. Vinzenz und<br />
der hl. Louise.<br />
Wie viele Lebensschicksale wurden den Schwestern in dieser Zeit anvertraut,<br />
wie viele Menschen haben sie liebevoll begleitet. Unzählige Male<br />
durften sie dem Leben dienen, dem irdischen und dem ewigen.<br />
<strong>175</strong> Jahre! Es war eine bewegte Zeit, mit Höhen und Tiefen, Kriegen<br />
und Frieden, Wechselfällen und Wandlungen.<br />
Richtschnur bleibt – auch in die Zukunft hinein – die Spiritualität des<br />
hl. Vinzenz von Paul.<br />
Sie ist gekennzeichnet durch Offenheit für den Anruf der Zeit, verankert<br />
im Glauben an Jesus Christus und bereit zur helfenden Tat. Dabei geht es
stets um den ganzen Menschen mit Leib und Seele und mit der Würde, die<br />
ihm von Gott her zukommt.<br />
Diese Spiritualität wird nie altmodisch, „verstaubt“ oder überholt. Sie<br />
bleibt unverbraucht und wertvoll und gibt eine sinnvolle Antwort auf die<br />
Bedürftigkeit unserer Zeit, auf den Hunger nach Geborgenheit, die Sehnsucht<br />
nach erfülltem Leben und die oft unbewusste Suche nach Gott.<br />
Deshalb schulden wir den Schwestern der Münchner Kongregation<br />
unermesslichen Dank für ihr Leben nach dieser inneren Ausrichtung für<br />
Güte, Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft für alle, die ihnen anvertraut waren<br />
und sind.<br />
So wünsche ich jeder Schwester, dass sie ihr Leben in der Nachfolge<br />
Christi weiterhin mit Freude und Zuversicht leben kann.<br />
Der Segen und die Gnade Gottes mögen auf der ganzen Gemeinschaft<br />
ruhen und der Schutz der Gottesmutter Maria möge sie begleiten.<br />
Gemeinsam wollen wir uns der göttlichen Vorsehung anvertrauen, die<br />
stets das herbei zu führen weiß, was wir brauchen.<br />
Schwester M. Michaela Lechner<br />
Generaloberin, Mutterhaus Augsburg<br />
Vorsitzende der Föderation Vinzentinischer Gemeinschaften
Einleitung<br />
I m Jahr 2007 begeht die Kongregation der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern vom<br />
hl. Vinzenz von Paul, Mutterhaus München, ihr <strong>175</strong>-jähriges <strong>Jubiläum</strong>.<br />
Vor <strong>175</strong> Jahren, im März 1832, kamen zwei <strong>Barmherzige</strong> Schwestern aus<br />
dem Mutterhaus Straßburg nach München, um hier ein neues Mutterhaus<br />
des Ordens zu gründen. Da sich die Gründungsphase jedoch über fast ein<br />
Jahrzehnt ausdehnte, wäre auch denkbar, ein anderes Datum <strong>als</strong> Gründungsdatum<br />
zu sehen und zu feiern. So wäre das Jahr 1827, in dem der bayerische<br />
König die Gründung des Ordens in Bayern beschlossen hatte, denkbar, oder<br />
das Jahr 1830, in dem eine Novizin des Ordens zusammen mit einigen<br />
Kandidatinnen einen ersten Anfang am Allgemeinen Krankenhaus wagte.<br />
Andererseits könnte man die eigentliche Ordensgründung auch erst in der<br />
offiziellen kirchlichen oder staatlichen Anerkennung in den Jahren 1834<br />
bzw. 1835 sehen. Es hat jedoch bei den Schwestern in München schon eine<br />
sehr lange Tradition, das Jahr 1832 <strong>als</strong> eigentliches Gründungsjahr der Kongregation<br />
in Bayern zu betrachten. Von Anfang an wurde die Ankunft der<br />
zukünftigen Generaloberin und ihrer Novizenmeisterin am 10. März 1832<br />
<strong>als</strong> das entscheidende Gründungsmoment gesehen und gefeiert.<br />
Dieses <strong>Jubiläum</strong> bietet den Anlass für einen Rückblick auf die interessante,<br />
aber auch wechselvolle Geschichte der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern in<br />
Bayern.<br />
Von König Ludwig I. aus dem Elsass nach Bayern geholt, trug dieser<br />
vinzentinische Pflegeorden entscheidend zur Entwicklung des Krankenhauswesens<br />
im 19. und 20. Jahrhundert in Bayern und in ganz besonderer<br />
Weise in München bei.<br />
Unleugbar ist seine führende Rolle bei der Entwicklung der modernen<br />
Krankenpflege. So standen die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern mit ihren markanten<br />
Flügelhauben, die sie bis in die 1960er Jahre trugen, für das Bild<br />
der Krankenschwester schlechthin und waren aus den Krankenhäusern und<br />
Pflegeeinrichtungen viele Jahrzehnte lang in Bayern nicht weg zu denken.<br />
Doch wie viele andere Ordensgemeinschaften leiden die <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern seit Jahrzehnten an Nachwuchsmangel, der zur Folge hatte, dass<br />
sie sich nach und nach aus den städtischen und staatlichen Krankenhäusern<br />
in Bayern zurückziehen mussten. Heute sind die noch arbeitsfähigen<br />
Schwestern fast ausschließlich in den ordenseigenen Häusern beschäftigt<br />
und werden dabei von zahlreichen weltlichen Mitarbeitern unterstützt.<br />
15
16<br />
Angebracht scheint ein Rückblick auf die Geschichte des Mutterhauses<br />
umso mehr, <strong>als</strong> mit der Verlegung des Mutterhauses aus dem Klinikviertel<br />
in der Münchner Innenstadt nach Berg am Laim im Münchner Osten eine<br />
Ära zu Ende geht. Am Jahresanfang 2007 bezogen die Schwestern ihr neu<br />
gebautes, modernes Mutterhaus in Berg am Laim. Mit diesem Schritt wollen<br />
die Schwestern ein Zeichen setzen, dass sie, trotz aller Nachwuchssorgen,<br />
im Vertrauen auf Gott Zukunft wagen wollen.<br />
Die vorliegende <strong>Festschrift</strong> möchte anhand verschiedener Themenstellungen<br />
einen kleinen Einblick geben in die Geschichte der <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern in Bayern. Ausgehend von der spannenden Gründungsgeschichte<br />
in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts soll über die dann folgende fast<br />
unglaubliche Erfolgsgeschichte bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts ein<br />
Bogen geschlagen werden hin zu den Aktivitäten der Kongregation heute,<br />
im noch jungen 21. Jahrhundert.<br />
Erfolge, Schwierigkeiten und Wandel der Kongregation sollen auf dem<br />
jeweiligen Zeithintergrund beleuchtet und verständlich gemacht werden.<br />
Die Autorin hofft dabei aber auch, deutlich machen zu können, dass das<br />
segensvolle Wirken der Kongregation für die Menschen in Bayern getragen<br />
wurde und wird von den vielen Frauen, die im Geist ihres Gründervaters<br />
Vinzenz von Paul ihr Leben ganz in den Dienst ihrer hilfsbedürftigen Mitmenschen<br />
gestellt haben. Dabei mag, geprägt vom jeweiligen Zeitgeist, der<br />
eine oder andere Aspekt der Motivation mehr im Vordergrund gestanden<br />
haben, aber die Grundmotivation blieb immer die gleiche: die Christusnachfolge<br />
ohne Wenn und Aber durch die von Vinzenz von Paul vorgelebte<br />
Hingabe für den Nächsten.<br />
Stützen konnte sich die Autorin der <strong>Festschrift</strong> auf die seit der Gründung<br />
gemachten Aufzeichnungen des Ordens. Diese wurden zuletzt von Schwester<br />
M. Caritas Gebhardt, der erst kürzlich verstorbenen Chronistin des Mutterhauses,<br />
bearbeitet und ergänzt. Diese Fassung, die im Mutterhaus <strong>als</strong> Typoskript<br />
vorliegt, wird hier kurz <strong>als</strong> Mutterhauschronik bezeichnet. Zur Gründungsgeschichte<br />
des Ordens hat Scherer in seinem Buch <strong>zum</strong> 100-<strong>jährigen</strong><br />
<strong>Jubiläum</strong> von 1932 wichtige Vorarbeit geleistet. Für die Münchner Krankenhausgeschichte<br />
war das Buch von Kerschensteiner sehr aufschlussreich.<br />
Ausgewertet wurden zudem zahlreiche Originaldokumente aus dem<br />
hauseigenen Archiv. Aus den Anfangsjahren sind leider viele Unterlagen nur<br />
in Kopie vorhanden, da die Originale von der ersten Generaloberin ins<br />
Mutterhaus Straßburg geschickt worden sind. Ergänzend wurden Archivalien<br />
aus dem Hauptstaatsarchiv, Stadtarchiv und Erzbischöflichen Diözesanarchiv<br />
gesichtet. Als interessant erwiesen sich die Akten des ehemaligen<br />
Allgemeinen Krankenhauses im Institut für Geschichte der Medizin, die<br />
Akten des Staatsarchivs dagegen <strong>als</strong> wenig ergiebig.
Kapitel i<br />
<strong>Barmherzige</strong> Schwestern<br />
für Bayern – eine politische<br />
Entscheidung<br />
1.1. Krankenhaussituation in München<br />
vor Einführung des Ordens<br />
Um die Bedeutung der Einführung der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern richtig<br />
einschätzen zu können, ist es unvermeidlich, die Krankenhaussituation in<br />
München vor der Einführung dieses Pflegeordens kurz zu beleuchten.<br />
Noch Ende des 18. Jahrhunderts bestand in München eine Reihe von<br />
Spitälern, die meist schon im Mittelalter <strong>als</strong> Pest- und Leprosenhäuser außerhalb<br />
der damaligen Stadtmauern entstanden waren. Die Bestimmung dieser<br />
Häuser ging schon bald über ihren ursprünglichen Zweck hinaus. Längst<br />
nahmen sie auch Kranke mit anderen, meist infektiösen Krankheiten auf,<br />
dienten teilweise <strong>als</strong> Gebäranstalten, Waisen- und Findelhäuser und bekamen<br />
vor allem große Bedeutung <strong>als</strong> so genannte Pfründneranstalten zur<br />
Versorgung alter Menschen.<br />
Das Älteste dieser Spitäler war das Heilig-Geist-Spital am heutigen Viktualienmarkt.<br />
Im Laufe der folgenden Jahrhunderte kamen das Gasteigspital,<br />
das Sondersiechenhaus in Schwabing, das Stadtbruderhaus am Kreuz,<br />
das Brechhaus und das Stadtkrankenhaus am Anger hinzu. Ergänzt wurden<br />
diese städtischen Einrichtungen im 17. und 18. Jahrhundert durch drei Stiftungen<br />
des kurfürstlichen Hofes, das Herzogspital, das Josephspital und das<br />
Hofkrankenhaus in Giesing.<br />
Aus heutiger Sicht würden wir die Zustände in diesen Spitälern in Bezug<br />
auf medizinische und pflegerische Versorgung der Kranken sicher <strong>als</strong> katastrophal<br />
bezeichnen. Dam<strong>als</strong> mag man dies nicht ganz so kritisch gesehen<br />
haben, aber wie Berichte von Zeitgenossen zeigen, empfanden auch diese<br />
schon die Situation <strong>als</strong> wenig zufrieden stellend.<br />
17
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
18<br />
Erschwerend kam hinzu, dass mit diesen Spitälern die Krankenversorgung<br />
der Stadt München immer weniger gewährleistet werden konnte.<br />
Problem war weniger eine zu geringe Bettenzahl für die im 18. Jahrhundert<br />
noch relativ kleine Stadt, sondern vielmehr, dass alle diese Anstalten nur<br />
für privilegierte Bevölkerungsteile zugänglich waren. Begünstigt waren nur<br />
Menschen, die in irgendeiner Beziehung zur Stadt oder <strong>zum</strong> Hof standen,<br />
stiftungsberechtigt waren oder selbst zahlen konnten. So war es dringend<br />
notwendig, Krankenanstalten für Arme zu schaffen, die nicht stiftungsberechtigt<br />
waren, das heißt, keinen Anspruch auf ein aus irgendeinem Stiftungsfonds<br />
bezahltes Krankenbett hatten.<br />
Diese Mangelsituation erkennend, wurden Mitte des 18. Jahrhunderts<br />
der damalige Kurfürst Maximilian III. Joseph und seine Mutter Amalia aktiv.<br />
Sich im europäischen Umfeld umsehend, in dem schon längst gute Erfahrungen<br />
mit Krankenpflegeorden gemacht worden waren, entschlossen sie<br />
sich, ebenfalls Ordensleute für die Krankenpflege nach München zu holen.<br />
Dass sich in dem an Orden so reichen München bisher noch kein Orden für<br />
die Krankenpflege etabliert hatte, war ohnehin mehr <strong>als</strong> erstaunlich.<br />
Für die weibliche Krankenpflege fiel die Wahl auf die Elisabethinerinnen,<br />
die im Volksmund meist die „barmherzigen Schwestern“ genannt wurden,<br />
jedoch nicht mit den <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern vom hl. Vinzenz von<br />
Paul zu verwechseln sind. Der Orden der Elisabethinerinnen führt seine<br />
Gründung auf die hl. Elisabeth von Thüringen zurück und gehört zu den<br />
Gemeinschaften des III. Ordens vom hl. Franziskus.<br />
Für die männliche Krankenpflege wurde der Orden des hl. Johannes von<br />
Gott, kurz die <strong>Barmherzige</strong>n Brüder genannt, nach Bayern geholt.<br />
Mit Unterstützung des Kurfürsten und seiner Mutter entstanden so um<br />
<strong>175</strong>0 zwei neue Spitäler unter Ordensführung in München: das Maxspital<br />
der <strong>Barmherzige</strong>n Brüder für männliche Kranke vor dem Sendlinger Tor<br />
und in seiner nächsten Umgebung, in der heutigen Mathildenstraße, das<br />
Elisabethspital der Elisabethinerinnen für weibliche Kranke.<br />
Diese beiden neu gegründeten Spitäler stellten eine wichtige Bereicherung<br />
der Krankenhauslandschaft Münchens dar. Den Münchnern stand<br />
damit nicht nur eine deutlich höhere Zahl an Betten zur Verfügung, sondern<br />
einige Bevölkerungsschichten erhielten erst jetzt Zugang zu einer<br />
Krankenversorgung. Denn die beiden Spitäler nahmen nun auch die nicht<br />
stiftungsberechtigten Armen auf. Zudem wurden im Spital der <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Brüder auch Menschen mit jüdischem und protestantischem Glauben<br />
versorgt.<br />
Zweifellos war mit diesen beiden Anstalten auch eine deutliche qualitative<br />
Verbesserung der Krankenpflege in München verbunden. An das<br />
in den städtischen Spitälern beschäftigte Pflegepersonal wurden keine
<strong>Barmherzige</strong> Schwestern für Bayern – eine politische Entscheidung<br />
hohen Ansprüche in Bezug auf Charakter und Ausbildung gestellt. Man<br />
musste froh sein, für die geringe Entlohnung überhaupt jemanden für den<br />
schweren Dienst zu finden. Bei den Angehörigen der beiden Krankenpflegeorden<br />
dagegen konnte man davon ausgehen, dass der Orden schon bei der<br />
Aufnahme gewisse Mindestvoraussetzungen an die charakterliche Eignung<br />
stellte. Zudem hatte ein durch einen Orden geführtes Spital den großen<br />
Vorteil, dass es auf jahrhundertelange Erfahrungen in der Krankenpflege<br />
und Organisation einer Krankenanstalt aufbauen und dieses Wissen an seine<br />
neuen Mitglieder weitergeben konnte.<br />
In zeitgenössischen Berichten über die Münchner Spitäler wird das<br />
Elisabethspital stets wegen seiner Reinlichkeit und der liebevollen Pflege<br />
durch die Schwestern lobend erwähnt. Das Maxspital trug entscheidend<br />
zur Entwicklung der Ärzteausbildung bei. So wurde dort bereits Ende des<br />
18. Jahrhunderts anatomischer und chirurgischer Unterricht erteilt und<br />
angehende Ärzte konnten dort ein für ihre Zulassung nötiges Zertifikat<br />
erwerben. Man kann somit zu Recht behaupten, dass die Einrichtung der<br />
beiden Klosterspitäler ein Meilenstein in der neuzeitlichen Entwicklung der<br />
Krankenpflege in München war.<br />
Trotz ihrer unbestreitbaren Verdienste fielen die beiden Krankenpflegeorden<br />
jedoch schon nach einem halben Jahrhundert ihres Bestehens der großen<br />
Umwälzung in Bayern Anfang des 19. Jahrhunderts, der Säkularisation,<br />
<strong>zum</strong> Opfer. Bis zu ihrer endgültigen Aufhebung am 16. März 1809 hatten<br />
sie noch vergeblich gehofft, von der Säkularisation verschont zu bleiben,<br />
was aber dem neuen Staatsverständnis des gerade entstandenen bayerischen<br />
Königreichs widersprochen hätte.<br />
Im neuen Bayern unter Max I. Joseph und seinem Minister Montgelas,<br />
in dem möglichst alle Bereiche der Gesellschaft staatlich kontrolliert werden<br />
sollten, konnte ein so wichtiger Teilbereich wie die Gesundheitsversorgung<br />
nicht außerstaatlichen, schon gar nicht kirchlichen Organisationen wie den<br />
<strong>Barmherzige</strong>n Brüdern und den Elisabethinerinnen überlassen werden: „Es<br />
kann ein so wichtiger Zweig der öffentlichen Polizeyverwaltung einem religiösen,<br />
nach ganz anderen Absichten handelnden Orden nicht willkührlich überlassen bleiben.<br />
Der Genius unseres Zeitalters scheint sich mit religiösen, aus der Vorwelt auf<br />
uns übergegangenen Instituten nicht zu vertragen.“ 1<br />
Ein Mann in München, der schon lange die Verstaatlichung des Krankenhauswesens<br />
gefordert hatte, sah sich nun mit der Aufhebung der beiden<br />
Klosterspitäler der Erfüllung seiner Ziele ein großes Stück näher gekommen:<br />
Franz Xaver Häberl, der langjährige Oberarzt am Maxspital. Häberl<br />
hatte sich, inspiriert durch seine positiven Erfahrungen am Allgemeinen<br />
Krankenhaus in Wien, schon lange mit Plänen für ein neues, in seinen<br />
Augen ideales Krankenhaus für München befasst. Er war davon überzeugt,<br />
19
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
20<br />
dass München ein großes neues Krankenhaus brauchte, das nach neuesten<br />
wissenschaftlichen Erkenntnissen geplant und ausgeführt, für die allgemeine<br />
Bevölkerung zugänglich und unter der Aufsicht und Leitung des Staates<br />
stehen sollte. Häberl stieß bei der neuen Regierung auf offene Ohren.<br />
So erließ König Max I. Joseph bereits am 7. März 1808, <strong>als</strong>o noch ein<br />
Jahr vor Aufhebung des Ordens der <strong>Barmherzige</strong>n Brüder, die Anordnung,<br />
an der Stelle des alten Maxspit<strong>als</strong> vor dem Sendlinger Tor ein neues, für alle<br />
Kranken unabhängig von Geschlecht und sozialem Status offenes, <strong>als</strong>o allgemeines<br />
Krankenhaus zu errichten. Unmittelbar nach der Aufhebung des<br />
Maxspit<strong>als</strong> im Frühjahr 1809 wurde mit dem Bau des neuen Krankenhauses<br />
begonnen. Es handelte sich dabei nicht um einen völligen Neubau, wohl<br />
aber um einen sehr großzügigen Um- und Erweiterungsbau des alten Maxspit<strong>als</strong>.<br />
Der zweistöckige monumentale Bau im klassizistischen Stil erregte<br />
allgemeines Aufsehen in ganz Europa. Noch mehr <strong>als</strong> die Monumentalität<br />
des Baus sorgte die für die damalige Zeit sehr fortschrittliche Infrastruktur<br />
für allgemeine Bewunderung. Das vom kgl. Ingenieur von Reichenbach<br />
geschaffene Wasserleitungssystem und die von Franz Xaver Häberl konstruierte<br />
neue Belüftungs- und Heizungsvorrichtung galten <strong>als</strong> sensationell<br />
und zukunftsweisend. Das Allgemeine Krankenhaus in München, das nach<br />
4 Jahren Bauzeit 1813 eröffnet werden konnte, wurde lange Zeit <strong>als</strong> das<br />
ideale Krankenhaus betrachtet und diente beim Bau anderer Krankenhäuser<br />
in Deutschland <strong>als</strong> Vorbild.<br />
Durch ein königliches Reskript vom August 1813 wurden alle alten Spitäler<br />
Münchens mit Ausnahme des Gasteigspit<strong>als</strong> geschlossen und anderen<br />
Zwecken, in erster Linie der reinen Pfründnerversorgung, zugeführt. Das<br />
Das Allgemeine<br />
Krankenhaus in<br />
München um 1830<br />
(Lithographie<br />
von Carl August<br />
Lebschée)
<strong>Barmherzige</strong> Schwestern für Bayern – eine politische Entscheidung<br />
Stiftungsvermögen der alten Spitäler ging auf die neu geschaffene Krankenhausstiftung<br />
über, die die Grundlage für die Finanzierung des neuen Krankenhauses<br />
bilden sollte. Diese Finanzierungsgrundlage erwies sich jedoch<br />
schnell <strong>als</strong> unzureichend, woran die Entwicklung des Krankenhauses über<br />
Jahrzehnte litt. Als im Jahr 1818, aufgrund der Wiederbelebung der Gemeindeverfassung,<br />
der bayerische Staat das Krankenhaus der Stadt München<br />
übergab, war deshalb schon längst die Euphorie über das neue Krankenhaus<br />
einer starken Ernüchterung gewichen. Der Münchner Magistrat war alles<br />
andere <strong>als</strong> begeistert, die Zuständigkeit für diese Einrichtung zu übernehmen,<br />
von der die dafür eigens eingerichtete Krankenhauskommission nach<br />
der Inspektion nur Verheerendes zu berichten wusste.<br />
Bald schon erkannte man, dass das neue Krankenhaus nicht nur an Geldmangel<br />
litt, sondern noch weit mehr am Mangel an geeignetem Pflegepersonal.<br />
So konstatierte Simon von Häberl, immerhin neben seinem nicht<br />
verwandten Namensvetter F.X. Häberl einer der Hauptverantwortlichen für<br />
die Verstaatlichung des Krankenwesens: „Offenbar die meisten Schwierigkeiten<br />
in der öffentlichen Krankenpflege ergaben sich bisher allenthalben mit dem Wärterpersonale:<br />
Man war in die traurige Notwendigkeit versetzt, … Subjekte <strong>zum</strong><br />
Krankendienste zu suchen und anzunehmen, wie sie der Zufall darbot und wie<br />
sich Individuen dazu, gewöhnlich nur aus Mangel anderer Erwerbsquellen, geneigt<br />
finden ließen.“ 2<br />
Im königlichen Reskript vom 27.08.1813 war die Einrichtung eines<br />
staatlichen Instituts für Krankenpflege in Aussicht gestellt, jedoch nie verwirklicht<br />
worden. Der neue Krankenhausdirektor Koch, der von der Stadt<br />
<strong>als</strong> magistratischer Direktor neben dem offiziell noch bis 1828 amtierenden<br />
königlichen Direktor F.X. Häberl am Krankenhaus installiert worden war,<br />
plante deshalb eine grundlegende Neuorganisation der Pflege. Er dachte<br />
daran, eine Art weltlichen Orden für die Krankenwärterinnen einzuführen.<br />
Diese Pläne wurden in der Krankenhauskommission einige Jahre lang diskutiert,<br />
um dann doch wieder ad acta gelegt zu werden.<br />
1.2. Wende der bayerischen Kirchenpolitik<br />
unter König Ludwig I.<br />
Ihre Unzufriedenheit mit dem weltlichen Pflegepersonal führte bei nicht<br />
wenigen Ärzten und Verantwortlichen im Gesundheitsbereich zu der Erkenntnis,<br />
dass die Abschaffung der Krankenpflegeorden ein Fehler gewesen war.<br />
Der Nährboden für eine Wiedereinführung war somit vorhanden. Allerdings<br />
war unter der Regierung Max I. Joseph und seines Ministers Montgelas die<br />
Wiederherstellung von geistlichen Orden zunächst noch undenkbar.<br />
21
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
König<br />
Ludwig I.<br />
von Bayern,<br />
1786 – 1868<br />
(Gemälde<br />
von Joseph<br />
Stieler)<br />
22<br />
Bewegung in die bayerische Kirchenpolitik kam erst wieder nach Ausschaltung<br />
des Einflusses von Montgelas. Max I. Joseph schlug weniger aus<br />
Überzeugung denn aus staatspolitischen Erwägungen einen etwas kirchenfreundlicheren<br />
Kurs ein und schloss mit dem Heiligen Stuhl im Jahr 1817<br />
ein Konkordat, in dem die Wiedererrichtung von Klöstern in Bayern zugesichert<br />
wurde. Allerdings ließ der König von Anfang an keinen Zweifel daran,<br />
dass das Konkordat der im Jahr 1818 erlassenen Verfassung unterzuordnen<br />
sei. Diese widersprach aber in entscheidenden Passagen dem Konkordat.<br />
Zu einer wirklichen Wende in der Kirchenpolitik kam es erst, <strong>als</strong> nach<br />
dem überraschenden Tod des ersten bayerischen Königs am 25. Oktober<br />
1825 dessen Sohn Ludwig I. die Macht übernahm. Die Berufung des eifrigen<br />
Konvertiten Eduard von Schenk, eines guten Freundes von Bischof<br />
Sailer, <strong>zum</strong> Leiter der Abteilung für kirchliche Angelegenheiten und des<br />
Unterrichtes im Innenministerium war ein deutliches Zeichen für diesen<br />
Kurswechsel. Konsequent nahm der neue König schon in seinem ersten<br />
Regierungsjahr die Wiedereinführung der aufgelösten Klöster in Angriff.<br />
Während sein Vater Max I. Joseph, geprägt von den antiklerikalen Ideen<br />
der Aufklärung, die Säkularisation in Bayern rücksichtslos durchgesetzt<br />
hatte, besaß Ludwig eine völlig andere Einstellung gegenüber Religion und<br />
Kirche. Er war stark beeinflusst durch seinen Erzieher, den katholischen<br />
Priester Joseph Anton Sambuga.<br />
Im Rahmen seines „studium<br />
generale“ bewegte sich<br />
Ludwig im Landshuter Kreis,<br />
der sich an der Landshuter<br />
Universität rund um den ehemaligen<br />
Jesuiten Sailer gebildet<br />
hatte. Sailer, von dessen religiös-romantischen<br />
Ideen er sich<br />
stark angezogen fühlte, wurde<br />
für ihn zu einem wichtigen<br />
Berater. Ludwig stand allen<br />
katholischen Orden, mit Ausnahme<br />
der Jesuiten, sehr positiv<br />
gegenüber und hatte die Zerstörung<br />
der bayerischen Klosterkultur<br />
durch die Säkularisation<br />
sehr bedauert. Nun selbst<br />
an der Macht, förderte er die<br />
Wiedererrichtung der Orden.<br />
Dabei bevorzugte er vor allem
<strong>Barmherzige</strong> Schwestern für Bayern – eine politische Entscheidung<br />
solche Orden, die ihre Aufgaben in den gesellschaftlich wichtigen Bereichen<br />
der Erziehung, Seelsorge und der Krankenpflege sahen.<br />
So mag es Prof. Johann Nepomuk von Ringseis, Leibarzt und seit der<br />
gemeinsamen Italienreise guter Freund Ludwigs, nicht schwer gefallen sein,<br />
diesen von den Vorteilen der Wiedereinführung eines Krankenpflegeordens<br />
zu überzeugen. In der medizinischen Fachwelt der damaligen Zeit hatte sich<br />
inzwischen, geprägt von dem Frauenbild der Romantik, immer mehr die<br />
Auffassung durchgesetzt, dass Frauen für die Krankenpflege grundsätzlich besser<br />
geeignet seien <strong>als</strong> männliche Pfleger. So meinte Simon von Häberl, man<br />
sei „… darüber längst einig, dass die Besorgung der Kranken, <strong>als</strong>o auch der männlichen<br />
Kranken, durch das weibliche Geschlecht einen bedeutenden Vorzug habe“. 3<br />
Kerschensteiner behauptet sogar, „dass die Krankenpflege eine ausschließliche<br />
Domäne der Frauen ist, darüber war man sich längst einig“. 4 Deshalb wurde<br />
vom König auch nur die Einführung eines weiblichen Krankenpflegeordens,<br />
nicht auch eines männlichen Pendants in Erwägung gezogen.<br />
Die Frage war nun, für welchen Frauenorden man sich entscheiden sollte.<br />
Nahe liegend wäre die Wiederherstellung des Elisabethinerinnenordens<br />
gewesen, was auch nicht wenige Münchner gerne gesehen hätten. Dass die<br />
Entscheidung schließlich zugunsten der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern fiel, lag<br />
an einer Reihe von Faktoren.<br />
Eine wichtige Rolle spielte dabei Prof. von Ringseis, der im Frankreichfeldzug<br />
1815 bei seinem Einsatz <strong>als</strong> Arzt in einem Feldlazarett die Arbeit<br />
der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern beobachten konnte. Stark beeindruckt vom<br />
Wirken dieser Schwestern kam er, seit 1817 <strong>als</strong> Leiter der II. Medizinischen<br />
Abteilung mit der miserablen Pflegesituation am Allgemeinen Krankenhaus<br />
konfrontiert, schon früh zu der Überzeugung, dass dieses Problem nur durch<br />
die Einführung des Ordens der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern adäquat zu lösen<br />
wäre. Doch bei der damaligen politischen Lage sah er keine Chance, dieses<br />
Ziel durchsetzen zu können.<br />
Jetzt, da sich die politischen Rahmenbedingungen grundlegend geändert<br />
hatten, hielt er die Stunde gekommen, diese Vision zu verwirklichen. Mit<br />
seiner ganzen Überzeugungskraft trat er nun bei Ludwig I. für die Einführung<br />
der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern ein.<br />
Ludwig selbst dürfte vinzentinisches Gedankengut geläufig gewesen sein,<br />
da sein Erzieher Sambuga ein Buch über Vinzenz von Paul veröffentlicht<br />
hatte, das Ludwig mit Sicherheit kannte. Zudem war gerade ein Buch von<br />
Clemens Brentano erschienen, das das Wirken der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
von Nancy und Koblenz anschaulich schilderte und das deutschlandweit<br />
eine große Werbewirksamkeit für die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
erzielte. Dieses Buch war dem König von Joseph Görres, einem dam<strong>als</strong> sehr<br />
bekannten katholischen Publizisten, wärmstens empfohlen worden. Görres<br />
23
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
24<br />
selbst hatte während seines Exils in Frankreich die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
vom hl. Vinzenz von Paul in Straßburg und die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
vom hl. Karl Borromäus in Nancy kennen- und schätzen gelernt.<br />
Beide Kongregationen waren zwar keine vinzentinischen Gründungen<br />
im historischen Sinne, beriefen sich jedoch auf Vinzenz von Paul <strong>als</strong> ihren<br />
geistigen Gründer und folgten seinen Ideen und seiner Regel. Bei der<br />
Entscheidung für die Berufung des Ordens der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
nach Bayern dürfte eine nicht unerhebliche Rolle gespielt haben, dass dieser<br />
Orden <strong>als</strong> vinzentinische Kongregation kein Orden im herkömmlichen<br />
Sinne war. Ludwig hoffte damit, den Gegnern der Wiedererrichtung von<br />
Klöstern etwas Wind aus den Segeln nehmen zu können und die Einrichtung<br />
eines Ordens mit weniger strengen Regeln leichter gegen die zu<br />
erwartenden Widerstände durchsetzen zu können.<br />
Bereits im Jahr 1826 ließ der König über den bayerischen Gesandten in<br />
Paris Informationen über den Orden der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern, die<br />
Soeurs de Charité, einholen und beim Münchener Stadtmagistrat anfragen,<br />
ob die neuen Schwestern im ehemaligen Elisabethspital untergebracht<br />
werden könnten. Der Magistrat lehnte dies strikt ab, da dort seit 1823 das<br />
Heilig-Geist-Spital untergebracht war, nachdem dessen altes Gebäude der<br />
Umgestaltung des Viktualienmarktes <strong>zum</strong> Opfer gefallen war. Als Alternative<br />
brachte die Stadt zunächst das Gebäude der ehemaligen chirurgischen oder<br />
landärztlichen Schule ins Gespräch, das nach dem Umzug dieser Schule<br />
nach Landshut freigeworden war. Vorübergehend könnten die Schwestern<br />
Der hl. Vinzenz von Paul (1581 – 1660)<br />
Der am 24. April 1581 in Pouy, dem heutigen<br />
Saint-Vincent-de-Paul in Südwestfrankreich,<br />
geborene Vinzenz von Paul wuchs<br />
in einer armen und kinderreichen Familie<br />
auf. Die Eltern brachten erhebliche Opfer,<br />
um dem begabten Sohn ein Theologiestudium<br />
und den damit angestrebten<br />
sozialen und wirtschaftlichen Aufstieg<br />
zu ermöglichen. Auch Vinzenz hoffte,<br />
sich nach dem Studium eine reiche<br />
Pfarrpfründe sichern zu können, mit der<br />
er finanziell sorgenfrei hätte leben und<br />
seine Familie unterstützen können. Mit<br />
dieser Motivation für den Priesterberuf<br />
zeigte sich Vinzenz durchaus <strong>als</strong> Kind<br />
seiner Zeit. Das von politischen Unruhen<br />
stark erschütterte Frankreich hatte auch<br />
moralisch einen Tiefpunkt erreicht. Viele<br />
Geistliche sahen eine Pfarrei nur noch <strong>als</strong><br />
Mittel zur Finanzierung ihres Lebensstandards<br />
und kümmerten sich meist wenig<br />
um die Seelsorge. Nicht selten lebten<br />
sie in Paris und überließen die Sorge um<br />
ihre Pfarrkinder gegen eine geringe Entlohnung<br />
irgendwelchen theologisch und<br />
sittlich oft wenig qualifizierten Stellvertretern.<br />
Vinzenz von Paul blieb nach seiner<br />
Priesterweihe mit 19 Jahren zunächst<br />
die erhoffte reiche Pfarrpfründe versagt.<br />
Als er schließlich doch noch eine Pfarrei<br />
und die lukrative Stelle <strong>als</strong> Hauslehrer bei<br />
der einflussreichen adligen Familie de<br />
Gondi erhielt, stand für ihn bereits seine<br />
eigene materielle Sicherheit nicht mehr
<strong>Barmherzige</strong> Schwestern für Bayern – eine politische Entscheidung<br />
dieses nutzen. Als Dauerlösung<br />
allerdings wurde vorgeschlagen,<br />
für den neuen Orden den schon<br />
lange geplanten Nordflügel am<br />
Elisabethspital anzubauen.<br />
Über diesen Vorverhandlungen<br />
verging noch ein weiteres Jahr.<br />
Erst bei seinem alljährlichen Kuraufenthalt<br />
in Bad Brückenau traf<br />
König Ludwig mit dem königlichen<br />
Reskript vom 29. Juli 1827<br />
die endgültige Entscheidung für<br />
die Einführung der <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern.<br />
Nach dieser „allerhöchsten<br />
Entschließung“ sollte der Orden<br />
der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern in Bayern gegründet werden, um die Pflege<br />
am Allgemeinen Krankenhaus zu übernehmen: „Die wesentlichste Bestimmung<br />
der in dieses Kloster aufzunehmenden Nonnen soll in der Pflege der im<br />
Allgemeinen Krankenhaus zu München befindlichen männlichen und weiblichen<br />
Kranken bestehen.“ 5<br />
Deshalb müsse das Allgemeine Krankenhaus die Unterhaltskosten für<br />
die Nonnen übernehmen, bis sie sich selbst versorgen könnten. Das Kran-<br />
im Vordergrund. Es hatte sich ein grundlegender<br />
innerer Wandel in Vinzenz vollzogen.<br />
Nach einer Zeit der Gottessuche,<br />
die nicht frei war von Glaubenszweifeln,<br />
hatte er zu einem tiefen Glauben gefunden.<br />
Die starke Verbundenheit mit Christus<br />
ließ ihn den Auftrag Christi, in jedem<br />
seiner Mitmenschen Christus selbst zu<br />
sehen, ernst nehmen.<br />
Mit dieser gewandelten Einstellung<br />
konnte er die große Not der französischen<br />
Bevölkerung nicht länger ignorieren.<br />
Der Königliche Hof in Paris und<br />
der Adel lebten auf Kosten der bis aufs<br />
Blut ausgebeuteten unteren Bevölkerungsschichten.<br />
War die Landbevölkerung<br />
schon völlig verarmt, so war die<br />
Notlage vieler Menschen in Paris noch<br />
größer. Hier waren ganze Heere von Bett-<br />
lern, Kranken und Waisenkindern ohne<br />
jegliche Hilfe ihrem Schicksal überlassen.<br />
Vinzenz von Paul konnte sich nicht mehr<br />
an seinem persönlichen Glück und Wohlstand<br />
erfreuen, ja er wurde zunehmend<br />
unzufrieden mit sich selbst und dem von<br />
ihm eingeschlagenen Lebensweg. Da<br />
entschloss er sich, eine Kehrtwende vorzunehmen.<br />
Er wollte dem Leiden seiner<br />
Mitmenschen nicht länger tatenlos zusehen,<br />
sondern seine ganze Energie darauf<br />
verwenden, deren Not zu mildern. So gab<br />
er schließlich seine gute und lukrative<br />
Stelle <strong>als</strong> Hauslehrer auf, um sein Leben<br />
aus Liebe zu Christus ganz in den Dienst<br />
der Armen zu stellen.<br />
Um ihnen zu helfen, startete er in den<br />
folgenden Jahren eine Reihe von Initiativen.<br />
Zunächst organisierte er 1617 anläss-<br />
Hl. Vinzenz<br />
von Paul<br />
(Gemälde im<br />
Mutterhaus)<br />
>>><br />
25
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
26<br />
kenhaus könne ja dafür auf längere Sicht gesehen die weltlichen Wärterinnen<br />
einsparen. Untergebracht werden sollten die Schwestern bis <strong>zum</strong><br />
geplanten Bau des Nordflügels des Elisabethspit<strong>als</strong> in der ehemaligen chirurgischen<br />
Schule. Die Elisabethkirche sollte dem Orden zur Verfügung<br />
gestellt werden.<br />
Da sich die Ordensregeln von denen der Elisabethinerinnen unterschieden<br />
und keine Ordensangehörigen in München waren, die die Regeln<br />
kannten, müssten „zu diesem Behufe drei Schwestern des in Frankreich bestehenden<br />
Krankenordens aus dem ehemaligen Elsaß oder Deutsch-Lothringen nach<br />
München berufen werden“. 6<br />
Auf wenig Begeisterung stieß das königliche Reskript beim Magistrat<br />
der Stadt München.<br />
Einen Monat nach seinem Erlass, am 29. August 1827, trat die Krankenhauskommission<br />
zusammen, der u. a. auf Magistratsseite Bürgermeister Jakob<br />
Klar und Krankenhausreferent Josef Christlmüller sowie <strong>als</strong> Vertreter des<br />
Krankenhauses Prof. von Ringseis und Krankenhausinspektor Thorr angehörten,<br />
um über die Umsetzung des königlichen Beschlusses zu beraten.<br />
Bei dieser Beratung ging es vor allem um die Unterbringungsmöglichkeit<br />
und die Unterhaltssicherung der neuen Schwestern. Die Sorge des<br />
Magistrats war groß, der Stadt- bzw. Krankenhausetat könnte durch die<br />
Einführung des Ordens zu sehr belastet werden. Die Kommission pochte<br />
deshalb auf finanzielle Absicherung und Vorleistung durch den Staat. Eine<br />
Unterbringung in der ehemaligen landärztlichen Schule wurde inzwischen<br />
lich der offensichtlichen Not einer Familie<br />
in seiner kleinen Landpfarrei, die er<br />
vor kurzem übernommen hatte, spontan<br />
eine Gemeinschaft von Laienschwestern<br />
für die Armenfürsorge, die „Confrérie<br />
de la Charité“. 1620 folgte eine entsprechende<br />
Organisation für männliche Helfer,<br />
die „Serviteurs des pauvers“. Doch<br />
nicht nur die Armenfürsorge war ihm<br />
ein Anliegen, sondern auch die Verbesserung<br />
der Seelsorge, wozu er 1625 die<br />
„Congregatio missionis“, einen Zusammenschluss<br />
von Weltpriestern, gründete.<br />
Deren Mitglieder, die auch <strong>als</strong> Lazaristen<br />
bezeichnet werden und sich selbst Vinzentiner<br />
nennen, sollten sich vor allem<br />
der Volksmission und der Fortbildung der<br />
Geistlichen annehmen. Als französischer<br />
Generalalmosenpfleger kümmerte sich<br />
Vinzenz auch um Galeerensträflinge, versuchte<br />
ihr Schicksal zu mildern und half<br />
ihnen bei der Resozialisierung. Als besonders<br />
fruchtbar erwies sich seine Zusammenarbeit<br />
mit der Witwe Louise de Gras,<br />
geborene Marillac, mit der er im Jahr 1633<br />
die „Filles de la Charité“ gründete. (Zu<br />
Luise von Marillac siehe auch Kap. 10)<br />
Diese Gemeinschaft von jungen Frauen<br />
sollte in allen Bereichen tätig werden, in<br />
denen Hilfe benötigt wurde. So betreuten<br />
sie Arme, Alte, Waisenkinder, Gefangene<br />
und Kranke, sowohl in deren Zuhause,<br />
<strong>als</strong> auch in den Spitälern. Vinzenz legte<br />
viel Wert darauf, dass sich die von ihm<br />
gegründete religiöse Frauengemeinschaft<br />
deutlich von den herkömmlichen Orden<br />
unterscheiden sollte. Besonders für die<br />
Frauenorden sah das Kirchenrecht traditi-
<strong>Barmherzige</strong> Schwestern für Bayern – eine politische Entscheidung<br />
nach erfolgter Ortsbesichtigung ausgeschlossen. Die Renovierungskosten<br />
wären zu hoch gewesen. Die Kommission schlug ein Tauschgeschäft vor: der<br />
Staat sollte den Nordflügel bauen und der Stadt, <strong>als</strong> neuem Bestandteil des<br />
alten städtischen Elisabethspit<strong>als</strong>, unentgeltlich überlassen. Dafür würde die<br />
Stadt die landärztliche Schule samt Garten dem Staat übereignen.<br />
Das neue Kloster wäre somit weiterhin Eigentum der Stadt, würde den<br />
Schwestern aber unter der Auflage der Pflege im Allgemeinen Krankenhaus<br />
mietfrei zur Benutzung zur Verfügung gestellt.<br />
Die königliche Regierung hatte inzwischen wegen der geplanten Berufung<br />
von drei <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern aus Frankreich diplomatische Verhandlungen<br />
mit den zuständigen französischen Stellen aufgenommen, die<br />
sich sehr entgegenkommend zeigten. Auch die Ordinariate in München<br />
und Straßburg waren von Anfang an mit in die Verhandlungen eingebunden<br />
und sehr an dem Gelingen des Vorhabens interessiert. Das Mutterhaus in<br />
Straßburg sah sich jedoch <strong>zum</strong> Zeitpunkt der Anfrage außerstande, Schwestern<br />
für Bayern freizustellen. Es bot allerdings alternativ an, bayerische<br />
Kandidatinnen in Straßburg auszubilden. Nach zwei Jahren könnten diese<br />
zusammen mit einer erfahrenen französischen Schwester nach München<br />
zurückkehren, um dort den Orden zu gründen.<br />
onell sehr strenge Klausurvorschriften vor.<br />
So waren die Forderungen Vinzenz’, seine<br />
neuen Frauengemeinschaften sollten sich<br />
nicht hinter die Klostermauern zurückziehen,<br />
sondern mitten im Leben wirken,<br />
für die damalige Zeit geradezu revolutionär.<br />
Er wurde nicht müde zu betonen:<br />
„Euer Kloster sind die Häuser der Kranken,<br />
euer Kreuzgang die Straßen der Stadt, eure<br />
Zellen die Mietwohnung…“. Statt einer<br />
Ordenstracht sollten die neuen Schwestern<br />
die schlichte Alltagskleidung der<br />
einfachen Bevölkerung tragen. Vinzenz<br />
wollte ursprünglich ganz auf Gelübde verzichten.<br />
Ab 1640 begannen die „Töchter<br />
der christlichen Liebe“ jedoch, Gelübde<br />
abzulegen, allerdings nicht lebenslang<br />
bindende, sondern zeitlich begrenzte, die<br />
jährlich erneuert werden konnten.<br />
*<br />
Obwohl die Statuten für die vinzentinische<br />
Gründung ganz anders waren<br />
<strong>als</strong> die der herkömmlichen Frauenorden,<br />
erreichte Vinzenz von Paul ihre Anerkennung<br />
durch den Pariser Erzbischof im<br />
Jahr 1646. Die Bestätigung durch Rom, die<br />
päpstliche Approbation dieser neuen Art<br />
von Orden, korrekterweise nach Kirchenrecht<br />
Kongregation genannt, erfolgte<br />
1668, acht Jahre nach dem Tod des Gründers<br />
(27. September 1660).<br />
Aus der Keimzelle der „Filles de la Charite“<br />
bzw. nach dem Vorbild dieser Vereinigung<br />
entwickelten sich im folgenden<br />
Jahrhundert verschiedene vinzentinische<br />
Frauengemeinschaften, die heute <strong>als</strong><br />
„<strong>Barmherzige</strong> Schwestern“ bzw. <strong>als</strong> „Vinzentinerinnen“<br />
in vielen europäischen<br />
und außereuropäischen Ländern wirken.<br />
27
28<br />
Kapitel 2<br />
Einführung der <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern am Allgemeinen<br />
Krankenhaus in München<br />
2.1. Ausbildung bayerischer Kandidatinnen<br />
in Straßburg<br />
Im November 1827 erklärte sich der Münchner Magistrat mit dem Straßburger<br />
Vorschlag einverstanden und signalisierte seine Bereitschaft, die<br />
Kosten für Reise und Unterhalt der Kandidatinnen zu übernehmen. Das<br />
Münchner Ordinariat sollte für die Kandidatinnenauswahl zuständig sein.<br />
Es entschied sich auf Empfehlung des Spitalkaplans von Landshut für die<br />
Die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern vom hl. Vinzenz von Paul<br />
vom Mutterhaus Strassburg<br />
Die Straßburger <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
gehen nicht auf eine direkte Gründung<br />
des hl. Vinzenz zurück. Sie verdanken<br />
die Entstehung ihrer Kongregation einer<br />
Initiative des damaligen Bischofs von<br />
Straßburg, Armand Gaston von Rohan.<br />
Dieser hatte in seiner zusätzlichen Funktion<br />
<strong>als</strong> königlicher Generalalmosenpfleger<br />
einen guten Einblick in die Zustände<br />
an den französischen Krankenhäusern.<br />
Angetan vom Wirken der <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern in vielen der Häuser, wünschte<br />
er sie auch für die Spitäler seines Bistums.<br />
Da er deutschsprachige Schwestern für<br />
das Elsass brauchte, konnte er nicht einfach<br />
französische Schwestern aus den<br />
bestehenden Kongregationen in sein Bistum<br />
holen. So schickte Bischof von Rohan<br />
1732 fünf Elsässerinnen zur Ausbildung zu<br />
den „Töchtern des hl. Paulus“ nach Chartres.<br />
Nach zwei Jahren kehrten vier von<br />
ihnen zurück und übernahmen die Pflege<br />
im Spital in Zabern, der Residenzstadt des<br />
Straßburger Bischofs. Zunächst lebten sie<br />
nach der von Chartres übernommenen<br />
Regel. Durch ihren Superior Jean-Jean<br />
beeinflusst, begeisterten sich die Schwestern<br />
so für Werk und Idee des 1737 heilig<br />
gesprochenen Vinzenz von Paul, dass sie<br />
beschlossen, ihn <strong>als</strong> eigentlichen Gründer<br />
ihrer Kongregation zu betrachten. Die<br />
vom Superior ausgearbeitete neue vin-
Einführung der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern am Krankenhaus in München<br />
32-jährige Anna Sager und die 29-jährige Therese Frisch, die beide schon<br />
etwas Erfahrung <strong>als</strong> Krankenhausmägde vorweisen konnten. Nachdem sich<br />
auch Prof. von Ringseis <strong>als</strong> Vertreter des Krankenhauses mit dieser Wahl<br />
einverstanden erklärt und die Königliche Regierung Anfang März 1828 die<br />
Reisegenehmigung ausgestellt hatte, vereinbarte der Münchner Weihbischof<br />
Ignaz von Streber mit Generalvikar Bruno Liebermann, seinem Ansprechpartner<br />
im Straßburger Ordinariat, die genauen Reisemodalitäten.<br />
Ende März 1828 war es endlich soweit. Die beiden Kandidatinnen<br />
machten sich auf den im damaligen Postkutschenzeitalter sehr langen und<br />
beschwerlichen Weg von München nach Straßburg. Für die beiden jungen<br />
Frauen vom Land war diese Reise ins Ausland ein großes Wagnis, das viel<br />
Mut erforderte. Sie wussten nicht, was sie in dem fremden Land, dessen<br />
Sprache sie nicht einmal beherrschten, erwarten würde. Niemand konnte<br />
ihnen garantieren, ob sie im Orden Aufnahme finden würden und die<br />
Gründung des Ordens in ihrem Heimatland gelingen würde.<br />
Dennoch wagten sie diesen Schritt und fuhren am Sonntag, 30. März<br />
1828, um 6.00 Uhr in der Früh von München ab. Da sie mit einem Eilwagen<br />
unterwegs waren, einer Postkutsche, die auch die Nächte durchfuhr,<br />
gelangten sie schon am Dienstag, 1. April, an ihr Ziel. Der Straßburger<br />
Generalvikar Liebermann bestätigte in einem Schreiben an Dompropst<br />
von Streber vom 5. April die Ankunft der bayerischen Kandidatinnen und<br />
brachte seine Zuversicht <strong>zum</strong> Ausdruck, dass das Projekt gelingen würde:<br />
„Ich zweifle nicht, die frommen Schwestern vom hl. Vinzenz von Paulo werden<br />
zentinische Regel erhielt 1760 die bischöfliche<br />
Approbation. Die Schwestern nannten<br />
sich fortan nach ihrem spirituellen<br />
Vater „<strong>Barmherzige</strong> Schwestern vom hl.<br />
Vinzenz von Paul“.<br />
Von Zabern breitete sich die Kongregation<br />
zunächst nur langsam im Elsass aus.<br />
So übernahm sie die Pflege in den Spitälern<br />
in Hagenau und Schlettstadt. Die<br />
französische Revolution brachte eine sehr<br />
schwere Zeit für sie. Einige Schwestern<br />
kamen ums Leben oder wurden deportiert.<br />
Andere gingen wieder nach Hause<br />
und warteten ab. Ein Teil aber entschloss<br />
sich, mit dem Straßburger Bischof in seine<br />
rechtsrheinischen Besitzungen ins Exil<br />
zu gehen. Dort wurden sie in den Spitälern<br />
von Mannheim, Ettenheim und Freiburg<br />
tätig. Nachdem Napoleon 1801 ein<br />
Konkordat mit der katholischen Kirche<br />
geschlossen hatte, wendete sich das Blatt.<br />
Napoleon hatte erkannt, dass er die <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern für die Pflege in den<br />
französischen Spitälern brauchte, da er keinen<br />
gleichwertigen Ersatz zur Verfügung<br />
hatte. 1808 erließ der französische Kaiser<br />
ein Statut, mit dem er den Schwestern in<br />
den Spitälern die staatliche Genehmigung<br />
erteilte. Schon 1804 hatten die Straßburger<br />
Schwestern den Neuanfang in Zabern<br />
gewagt, wobei sie sich über einen großen<br />
Andrang an Kandidatinnen freuen konnten.<br />
Als nun mit der staatlichen Genehmigung<br />
Rechtssicherheit gegeben war,<br />
übernahm die Kongregation auch die Spitäler<br />
in Hagenau und Straßburg. Die Wahl<br />
der jungen Schwester Vinzenz Sultzer im<br />
Jahr 1813 zur Generaloberin erwies sich >>><br />
29
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
30<br />
sich alle Mühe geben, die beyden Zöglinge zu bilden, und sie mit dem Wesen dieses<br />
vortrefflichen Institutes bekannt zu machen und dadurch den frommen Absichten<br />
Ihrer Majestät ihres liebenswürdigen Königs zu entsprechen.“ 7<br />
Auch die Generaloberin der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern von Straßburg,<br />
Schwester Vinzenz Sultzer, schrieb am 18. April 1828 an den städtischen<br />
Magistrat, die beiden seien wohlbehalten angekommen und seien guter<br />
Dinge, allerdings auch etwas ängstlich im Hinblick auf die große Aufgabe,<br />
die sie erfüllen sollten. Schwester Vinzenz stellte in diesem Brief richtig,<br />
dass die Straßburger Schwestern nicht Schwestern vom hl. Karl Borromäus<br />
seien, sondern Schwestern vom hl. Vinzenz von Paul. Der Magistrat und<br />
die Regierung hatten die Straßburger Schwestern mit den Schwestern in<br />
Nancy verwechselt und mehrfach f<strong>als</strong>ch tituliert. Eine Kostenaufstellung für<br />
die beiden Kandidatinnen legte sie bei.<br />
Auf dieses Schreiben antwortete der Magistrat monatelang nicht. Dabei<br />
hatte die Generaloberin ursprünglich gehofft, dass ein Vertreter des Magistrats<br />
nach Straßburg kommen würde, um vor Ort das weitere Vorgehen zur<br />
Einführung der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern mündlich zu besprechen. Erst im<br />
August kam eine kurze Bestätigung des Magistrats, dass er die Kosten übernehmen<br />
werde. Die Zahlung selbst ließ allerdings weiter auf sich warten.<br />
Trotz dieser Ignoranz vonseiten des Münchner Magistrats erfüllten die<br />
Straßburger <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern ihren Teil der Vereinbarung. Sie nahmen<br />
die beiden Kandidatinnen zunächst in ihrem neuen Mutterhaus St.<br />
Barbara auf, um sie in das geistliche Ordensleben einzuführen. Nach eini-<br />
<strong>als</strong> großer Glücksfall für die weitere Entwicklung<br />
der Ordensgemeinschaft. Schon<br />
in ihrem ersten Amtsjahr verlegte sie die<br />
Zentrale nach Straßburg, vorübergehend<br />
in das dortige Bürgerspital. Nur die Postulantinnen<br />
blieben zunächst noch im<br />
Spital in Hagenau, unter der Aufsicht der<br />
neuen Oberin, Schwester Ignatia Jorth. In<br />
den kommenden Jahrzehnten wechselten<br />
die Straßburger Schwestern dreimal<br />
das Mutterhaus. Als sie ihr erstes Straßburger<br />
Mutterhaus St. Johann verlassen<br />
mussten, zogen sie in das alte Kloster St.<br />
Barbara um, wo sie 1838 ein neues Haus<br />
bauten. Ab 1854 nutzten sie dieses Haus<br />
<strong>als</strong> Waisenhaus und bezogen ihre neue<br />
Zentrale „Allerheiligen“.<br />
Unter der Generaloberin Schwester Vinzenz<br />
Sultzer (1813 – 1868) gründete die<br />
Kongregation zahlreiche ausländische<br />
Niederlassungen. Die Straßburger Ordensoberen<br />
– die Generaloberin wurde während<br />
ihrer langen Amtszeit von den Superioren<br />
Thomas (1825 – 1844) und Spitz<br />
(1844 – 1880) unterstützt – ließen den<br />
Neugründungen meist viel Unabhängigkeit.<br />
Zunächst fassten die Straßburger<br />
Schwestern in Österreich mit der Gründung<br />
von Zams Fuß, der 1832 eine Niederlassung<br />
in Wien folgte.<br />
Ebenfalls im Jahr 1832 wurde mit der<br />
Gründung des Mutterhauses in München<br />
der Anfang der Ausbreitung im<br />
Nachbarland Deutschland gemacht. Es<br />
folgten 1834 Fulda, 1841 Paderborn (von<br />
dort aus 1857 Hildesheim), 1846 Freiburg<br />
und 1858 Schwäbisch Gmünd (seit 1891<br />
Sitz in Untermarchtal).
Einführung der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern am Krankenhaus in München<br />
gen Wochen wurden sie in<br />
das Straßburger Bürgerspital<br />
gegeben, das Schwester<br />
Ignatia Jorth leitete. Unter<br />
ihrer Obhut sollten sie in<br />
der praktischen Krankenpflege<br />
ausgebildet werden.<br />
Schwester Ignatia, die gleichzeitig<br />
die Novizenmeisterin<br />
des Ordens war, wird sicher<br />
auch die Fortführung der<br />
geistlichen Bildung nicht<br />
außer Acht gelassen haben.<br />
In diesen Probemonaten<br />
versuchten die Ordensoberen<br />
in Straßburg, Generaloberin<br />
Schwester Vinzenz<br />
Sultzer und Ordenssuperior<br />
Thomas, sich ein Bild von<br />
der Eignung und den Fähigkeiten der beiden Kandidatinnen aus Bayern zu<br />
machen. Das sehr ernüchternde Ergebnis fasste die Ordensleitung in einem<br />
ausführlichen Bericht an den Magistrat am 12. September 1828 zusammen.<br />
Zunächst bestärkten die Straßburger Oberen den Magistrat in seiner<br />
Absicht, den Orden der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern zur Pflege am Allgemeinen<br />
Krankenhaus einzuführen, indem sie die Effizienz einer solchen<br />
Einrichtung betonten: „Das Institut ist ganz genügend, um alles zu leisten, was<br />
die Pflege der Kranken, der Armen, oder was sie Ihnen an der leidenden Menschheit<br />
anvertrauen wollten und fordern könnten, wie auch was zu einer guten Hauswirtschaft<br />
gehört.“ Allerdings zogen sie dann bedauernd folgendes Fazit: „Dass<br />
aber dieses große Werk durch die zwei Jungfrauen, die Sie uns geschickt haben, auch<br />
nach ihrer Bildung könne ausgeführt werden, müssen wir sagen, dass es ohnmöglich<br />
ist.“ Die ältere Kandidatin Anna Sager sei nicht gesund und talentiert<br />
genug, um <strong>Barmherzige</strong> Schwester zu werden. Die jüngere Therese Frisch<br />
habe zwar die nötigen Voraussetzungen, um eine gute Schwester zu werden,<br />
sei aber für Leitungsaufgaben nicht geeignet. Sie „könnte unter der Leitung<br />
einer Anderen gute Dienste leisten. Aber ein Haus einzurichten, jeden Theil, …<br />
die Haushaltung, Krankenpflege … für dies ist sie zu schwach. Für dies braucht es<br />
Personen von längerer Übung, Erfahrenheit und reicheren Talenten.“ 8<br />
Die Ordensoberen rieten dem Magistrat deshalb, Anna Sager zurückzuholen<br />
und drei bis vier neue Kandidatinnen mit mehr Bildung und Eignung<br />
zu suchen und zur Ausbildung nach Straßburg zu schicken. Sie schlugen vor,<br />
Die StraßburgerGeneraloberinSchwester<br />
Vinzenz<br />
Sultzer,<br />
in deren<br />
Amtszeit<br />
(1813 – 1868)<br />
die meisten<br />
der von<br />
Straßburg<br />
ausgehendenMutterhäusergegründet<br />
wurden<br />
31
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
32<br />
diese gezielt für spezielle Funktionen auszubilden, z. B. für die Versorgung<br />
der Krankensäle, die Wäsche oder für das Verbinden.<br />
Man sollte nun annehmen, der Magistrat hätte, um das Projekt nicht<br />
zu gefährden, das Angebot des Mutterhauses sofort dankend angenommen.<br />
Zwar leitete er den Brief an die königliche Regierung weiter und veranlasste<br />
endlich die Zahlung des Unterhalts der beiden Kandidatinnen, hielt es<br />
aber nicht für nötig, auf den Brief des Superiors zu antworten und zu dem<br />
Straßburger Angebot Stellung zu nehmen.<br />
Was steckte dahinter? Auch wenn das weitere Vorgehen sicher von oben,<br />
das heißt, der Regierung, ja dem König selbst entschieden werden musste<br />
und der Magistrat von sich aus nicht tätig werden konnte, so hätte er doch<br />
grundsätzliches Interesse nach Straßburg signalisieren müssen. Hatten die<br />
Magistratsmitglieder so wenig Gespür dafür, dass sie mit ihrem Schweigen<br />
die Straßburger brüskieren würden, ja das ganze Unternehmen damit<br />
gefährdeten? Oder ist doch eher anzunehmen, dass dieses Vorgehen Absicht<br />
war? Gab es im Magistrat und am Krankenhaus doch noch zu viele Gegner<br />
der Ordenseinführung, die bewusst die Sache verzögerten?<br />
Wie auch immer, Tatsache war, dass die Straßburger Schwestern und die<br />
zwei Kandidatinnen aus Bayern nicht wussten, wie es weitergehen sollte.<br />
Die einzige für sie sichtbare Reaktion aus München auf ihr Schreiben vom<br />
September war die Zahlungsanweisung. Die Kongregation in Straßburg<br />
war verunsichert. War in Bayern überhaupt noch jemand ernsthaft daran<br />
interessiert, ihren Orden einzuführen? In besonderem Maße litten die beiden<br />
Kandidatinnen selbst unter der Unsicherheit, wie es weitergehen sollte.<br />
Therese Frisch bat deshalb ihre Vorgesetzten um die Erlaubnis, persönlich<br />
nach München reisen zu dürfen, um dort vor Ort die Lage zu klären.<br />
Nichts ahnend von dieser Situation, erkundigte sich Mitte November das<br />
Münchner Ordinariat beim Ordinariat in Straßburg nach den Fortschritten<br />
der Kandidatinnen. Jetzt wurde in Straßburg offensichtlich, dass die bayerischen<br />
Behörden es unterlassen hatten, das Ordinariat über den Vorschlag<br />
von Generaloberin und Superior zu unterrichten. Den Verantwortlichen in<br />
Straßburg wurde klar, dass sie die Initiative ergreifen mussten, sollte nicht<br />
das ganze Unternehmen scheitern. So gaben sie schließlich dem Drängen<br />
Thereses nach und erteilten ihr die Erlaubnis, nach München zu reisen.<br />
Therese kehrte zwischen dem 12. und 16. Dezember 1828 nach München<br />
zurück. Dort angekommen, sprach sie sofort beim Ordinariat vor und<br />
überbrachte dem Weihbischof von Streber einen Brief des Generalvikars<br />
Liebermann. In diesem setzte er von Streber in Kenntnis von dem Brief des<br />
Mutterhauses an den Magistrat im September und verwies auf die Bedeutung<br />
des Projekts, das nun durch die Verzögerungstaktik des Magistrats<br />
ernsthaft gefährdet wäre: „Es ist außer Zweifel, dass die Einführung eines für die
Einführung der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern am Krankenhaus in München<br />
Menschheit so wohltätigen Instituts einen reichen Segen über das Königreich Bayern<br />
verbreiten würde, sowohl in religiöser <strong>als</strong> auch in ökonomischer Hinsicht, wenn nur<br />
die Sache nicht nur die Hälfte geschieht, und den edeln Absichten von Ihro Majestät<br />
… durch eigennützigen Plan … entgegen gearbeitet wird.“ 9<br />
Über die Vorgehensweise des Magistrats äußerst empört, schickte das Ordinariat<br />
diesem am 16. Dezember einen geharnischten Brief. Darin drückte es<br />
sein Unverständnis darüber aus, dass man die beiden Kandidatinnen so lange<br />
in einem fremden Land in Unklarheit über ihr weiteres Schicksal gelassen<br />
habe. Der Magistrat habe die Durchführung der königlichen Beschlüsse verzögert<br />
und die Ehre Bayerns auf das Spiel gesetzt. Das Ordinariat machte<br />
deutlich, dass man das Angebot des Mutterhauses unbedingt annehmen und<br />
neue Kandidatinnen nach Straßburg schicken sollte. Da aber eine einjährige<br />
Ausbildung nicht ausreiche, aus den Kandidatinnen <strong>Barmherzige</strong> Schwestern<br />
zu machen, denn die richtige geistliche Haltung müsse im Noviziat<br />
eingeübt werden, sei es wichtig, dass bei Rückkehr der Kandidatinnen auch<br />
erfahrene Schwestern aus Frankreich mitkommen würden.<br />
Der Magistrat hatte inzwischen den Beschluss der Königlichen Regierung,<br />
Anna Sager aus Straßburg zurückzurufen, mit über einmonatiger Verspätung<br />
an die Generaloberin weitergeleitet, aber zu dem im September<br />
gemachten Vorschlag, neue Kandidatinnen auszubilden, immer noch keinerlei<br />
Stellung genommen. Obwohl Prof. von Ringseis Therese geraten hatte,<br />
gleich direkt beim König vorzusprechen, entschied sie sich, mit den unteren<br />
Behörden zu verhandeln. Im Nachhinein erwies sich diese Vorgehensweise<br />
<strong>als</strong> durchaus klug. Hätte sich der Magistrat übergangen gefühlt, hätte er<br />
eventuell die Sache weiter verschleppt. Thereses Offenheit und Engagement<br />
beeindruckten den Bürgermeister und die Magistratsherren offensichtlich<br />
so sehr, dass es ihr gelang, die Verhandlungen in ihrem Sinne abzuschließen:<br />
Der Magistrat erklärte sich bereit, weitere Kandidatinnen nach Straßburg<br />
zu entsenden.<br />
Laut Mutterhauschronik wählten der Bürgermeister und der Magistratsrat<br />
Radlkofer aus einer Reihe von Interessentinnen sechs Kandidatinnen<br />
aus. Allerdings seien, <strong>als</strong> die Abreise näher gerückt sei, nur noch zwei von<br />
ihnen bereit gewesen, sich auf dieses Wagnis einzulassen.<br />
So fuhr Therese Frisch nach dem erfolgreichen Abschluss ihrer Mission<br />
am Morgen des 9. Januar 1829 wieder Richtung Straßburg. Begleitet<br />
wurde sie von den beiden neuen Kandidatinnen, der 20-<strong>jährigen</strong> Marianna<br />
Messerschmitt, einer Wirtstochter aus Metten im Landkreis Deggendorf,<br />
und der 24-<strong>jährigen</strong> Susanna Balghuber aus Endorf im Landkreis Mühldorf.<br />
Der Magistrat gab Therese neben Geld für Reise und Unterhalt auch einen<br />
Brief an ihre Generaloberin Vinzenz Sultzer mit. Darin lobte er das Engagement<br />
Thereses, bat um gute Ausbildung der neuen Kandidatinnen, speziell<br />
33
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
34<br />
im Bereich der Erhaltung der Wäsche, und bekräftigte noch einmal, dass<br />
es der ausdrückliche Wunsch des bayerischen Königs sei, den Orden der<br />
<strong>Barmherzige</strong>n Schwestern in Bayern einzuführen.<br />
In ihrem Antwortschreiben erläuterte die Generaloberin dem Magistrat,<br />
welche Bedingungen an eine Kandidatin für eine Aufnahme in ihrem Orden<br />
gestellt werden. Der Magistrat solle sich nach weiteren entsprechenden<br />
Kandidatinnen in München umsehen.<br />
So schien ein sehr Erfolg versprechender Neuanfang in den Beziehungen<br />
zwischen Magistrat und Mutterhaus in Straßburg gemacht worden zu sein.<br />
Die Sache schien endlich voranzugehen. Dies galt umso mehr, <strong>als</strong> Therese<br />
Frisch, nicht zuletzt wegen ihrer Bewährung bei der München-Reise, am<br />
29. April 1829 das Ordenskleid erhielt. Die überglückliche Therese wurde<br />
<strong>als</strong> Schwester Mechtildis ins Noviziat aufgenommen.<br />
Mit den neuen Kandidatinnen schien man in Straßburg grundsätzlich<br />
zufrieden zu sein. Allerdings machte sich die Generaloberin Sorgen um ihre<br />
Gesundheit. Marianna Messerschmitt war seit ihrer Ankunft in Straßburg<br />
ständig kränkelnd, Susanna Balghuber hatte Augenprobleme. Die Generaloberin<br />
befürchtete, die beiden Kandidatinnen würden das Straßburger Klima<br />
nicht vertragen. Deshalb entschloss sie sich, dem Magistrat in einem Brief<br />
vom 10. Mai 1829 einen neuen Vorschlag zu machen. Die Novizin Mechtildis<br />
sollte zusammen mit den beiden Kandidatinnen und in Begleitung zweier<br />
erfahrener Schwestern aus Straßburg nach München zurückkehren. Sie<br />
sollten am Allgemeinen Krankenhaus einen Anfang machen. Sicher würden<br />
sich dann bald weitere Kandidatinnen finden, die man direkt am Münchner<br />
Krankenhaus ausbilden könnte. In ihrem Schreiben baten sowohl die<br />
Generaloberin <strong>als</strong> auch die Novizin Mechtildis den Magistrat um einen<br />
möglichst schnellen Entschluss.<br />
Doch der Magistrat antwortete nicht auf dieses großzügige Angebot der<br />
Generaloberin, zwei Schwestern aus Straßburg für München freizustellen.<br />
Wie schon im Vorjahr kam keinerlei Reaktion aus München. Was war der<br />
Grund? Aus der Korrespondenz wird ersichtlich, dass der Münchner Magistrat<br />
vor allem Bedenken hatte, dass über die Schwestern, die aus Straßburg<br />
mitgeschickt werden sollten, ein ausländisches Kloster Einfluss auf ihre<br />
Krankenhauspolitik nehmen könnte. Es war dem Magistrat und auch Teilen<br />
der Regierung suspekt, dass die Gründung der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
eine Filiale des Straßburger Mutterhauses werden sollte. Man wollte in Bayern<br />
lieber ein eigenes, unabhängiges Mutterhaus.<br />
Die Situation 1829 unterschied sich von der im Jahr davor jedoch in<br />
einem wichtigen Punkt.<br />
Die beiden Ordinariate hatten aus ihren Erfahrungen gelernt, wie wichtig<br />
es war, ständigen Kontakt zu halten, um die Ordensgründung trotz der
Einführung der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern am Krankenhaus in München<br />
ablehnenden Haltung des Magistrats voranzutreiben. Wohl wissend, wo<br />
„der Schuh drückte“, versuchte das Münchner Ordinariat die Bedenken bei<br />
Magistrat und Regierung zu zerstreuen. Eine Abhängigkeit von Straßburg<br />
würde sicher nur für die Anfangszeit gelten, dann wäre es schon wegen der<br />
weiten Entfernung sinnvoll, das neue Kloster unter die Oberaufsicht des<br />
Bischofs zu stellen.<br />
In der Korrespondenz mit dem Münchner Ordinariat wurde der Vorschlag<br />
der Generaloberin bereits so weit konkretisiert, dass die Schwestern<br />
im Frühjahr 1830 geschickt werden sollten. Die Kandidatinnen und die<br />
Novizin wären bis dahin schon besser ausgebildet und zudem wäre ein<br />
Neuanfang im Frühjahr leichter <strong>als</strong> zu einer kälteren Jahreszeit.<br />
Sowohl das Ordinariat <strong>als</strong> auch die Regierung forderten im Juni 1829<br />
den Magistrat auf, sich um die Unterbringung der Schwestern zu kümmern.<br />
Gedacht wurde jetzt an eine Unterbringung im Krankenhaus selbst,<br />
da weder Staat noch Stadt etwas unternommen hatten, eine anderweitige<br />
Unterbringungsmöglichkeit zu schaffen.<br />
Aber der Magistrat reagierte nach wie vor nicht. Im September hatte die<br />
Generaloberin immer noch keine Stellungnahme des Magistrats zu ihrem<br />
Vorschlag vom Mai. Da entschloss sie sich, am 28. September die Novizin<br />
Mechtildis <strong>zum</strong> zweiten Mal nach München zu schicken. Wieder hatte<br />
Schwester Mechtildis, die darauf brannte, endlich in ihrer Heimatstadt <strong>als</strong><br />
<strong>Barmherzige</strong> Schwester arbeiten zu dürfen, die Generaloberin dazu gedrängt.<br />
Sie wollte versuchen, wie schon im Jahr zuvor, die Sache durch persönliche<br />
Verhandlungen vor Ort voranzutreiben. Dafür nahm sie schweren Herzens<br />
auch in Kauf, ihr Noviziat unterbrechen zu müssen.<br />
2.2. Umstrittener Anfang am Allgemeinen<br />
Krankenhaus durch Schwester Mechtildis Frisch<br />
Am 1. Oktober 1829 kam Schwester Mechtildis Frisch in München an,<br />
wo sie sofort beim Magistrat vorstellig wurde. Als die Magistratsherren<br />
die Novizin in ihrem Ordenskleid erblickten, sahen sie wohl ihre Chance<br />
gekommen, den Pflegeorden ohne Mitwirkung des Straßburger Mutterhauses<br />
zu gründen. Sie verboten Schwester Mechtildis die Rückkehr und<br />
wiesen ihr eine Wohnung in der Damenstiftgasse 12, früher auch Annagasse<br />
genannt, zu. Diese Wohnung in der Münchner Innenstadt, die dem jeweiligen<br />
Inhaber des Kraus’schen Benefiziats zustand, war zu dieser Zeit gerade<br />
frei, weil die Benefiziatenstelle vakant war. Hier sollte die Novizin die weiteren<br />
Entscheidungen des Magistrats abwarten.<br />
35
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
36<br />
Schwester Mechtildis war nun völlig auf sich selbst gestellt. Als Novizin,<br />
die selbst noch am Anfang ihrer geistlichen Bildung zur Ordensfrau stand<br />
und mit der Ordensregel kaum vertraut war, fühlte sie sich zunächst völlig<br />
überfordert. Ihr wichtigstes Anliegen war, ihrer Berufung treu zu bleiben<br />
und eine dementsprechende Lebensführung einzuhalten. Deshalb erstellte<br />
sie sich selbst eine am Klosterleben orientierte feste Tagesordnung, die sie<br />
sich durch den Straßburger Superior Thomas genehmigen ließ. Der Briefwechsel<br />
mit ihren Straßburger Vorgesetzten, dem Superior, der Generaloberin<br />
und der Novizenmeisterin, gaben ihr in dieser schweren Zeit Halt<br />
und Trost. Wie dankbar war sie, <strong>als</strong> Schwester Ignatia ihr die vom Orden<br />
benutzten Andachts- und Betrachtungsbücher nach München schickte.<br />
Nach einigen Wochen wurden ihr vom Magistrat vier Kandidatinnen<br />
zugewiesen, die sie in der Krankenpflege unterrichten sollte. Für die Kandidatinnen<br />
bekam sie vom Magistrat Stoff <strong>zum</strong> Nähen von Kandidatinnenkleidern<br />
zugeteilt. Die Magistratsherren waren anscheinend der irrigen<br />
Auffassung, dass die Kleider allein schon Ordensfrauen aus ihnen machten.<br />
Schwester Mechtildis wusste, dass weit mehr dazu gehörte, und versuchte,<br />
die vier ersten Kandidatinnen und die weiteren, die sich nach und nach bei<br />
ihr einfanden, in die Grundzüge des Ordenslebens einzuführen.<br />
Materiell hatten sie vonseiten des Magistrats keinerlei Unterstützung. Sie<br />
mussten selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen. So lebten sie in unvorstellbarer<br />
Armut. Laufend berichtete Schwester Mechtildis an ihre Ordensleitung<br />
in Straßburg über den Stand der Verhandlungen mit dem Magistrat.<br />
Unablässig bat sie in diesen Briefen, die Ordensoberen möchten ihr möglichst<br />
bald Unterstützung aus Straßburg nach München schicken. Sie hatte<br />
sich die Zustände im Allgemeinen Krankenhaus angesehen und brannte<br />
darauf, die Not der dortigen Patienten durch qualifizierte Pflege, wie sie sie<br />
am Straßburger Bürgerspital kennen gelernt hatte, zu lindern.<br />
Die Generaloberin musste ihre Bitten immer wieder mit dem Hinweis<br />
ablehnen, dass sie ihre Schwestern nur nach München schicken könne, wenn<br />
der Magistrat sie in einem förmlichen Schreiben darum bitten würde. Doch<br />
Schwester Mechtildis Tagesablauf<br />
„Ich stehe täglich um 5 Uhr auf, verrichte<br />
mein Morgengebet und vereinige mich<br />
im Geiste mit Ihrem und aller Schwestern<br />
Beten und Arbeiten. Um 6 Uhr gehe<br />
ich in die Herzogspitalkirche und bleibe<br />
dort bis 7 oder V 8 Uhr. Dann frühstücke<br />
ich und nehme eine Handarbeit vor,<br />
deren ich genug habe. Um die Mittags-<br />
zeit mache ich eine Lesung aus der Hl.<br />
Schrift, aus dem Leben der hl. Theresia<br />
oder aus den Betrachtungen von Sailer.<br />
Am Abend lese ich die Heiligenlegende<br />
von Buchfellner oder ein Kapitel der<br />
Nachfolge Christ. Um 9 oder 10 Uhr gehe<br />
ich zur Ruhe. Jeden Samstag beichte ich<br />
in der Herzogspitalkirche.“ 10
Einführung der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern am Krankenhaus in München<br />
der Magistrat dachte nicht daran. So entschloss sich die Generaloberin, den<br />
nächsten Schritt zu tun, um endlich eine Reaktion des Magistrats zu provozieren.<br />
In einem Brief an den Münchner Magistrat im Februar 1830 nahm<br />
die Straßburger Generaloberin ihr Angebot vom Mai des vergangenen Jahres<br />
wieder zurück. Da keine Reaktion auf ihre Offerte, zwei Schwestern<br />
nach München zu schicken, erfolgt sei, nehme sie an, der Magistrat bedürfe<br />
ihrer Hilfe nicht mehr. Sie bat nur noch um eine Nachricht, was mit den<br />
beiden Kandidatinnen, Susanna Balghuber und Marianna Messerschmitt,<br />
die ja noch immer in Straßburg eine Entscheidung des Magistrats abwarteten,<br />
geschehen sollte. 11<br />
Auch jetzt hielt der Magistrat der Stadt München es nicht für nötig zu<br />
antworten. Er ließ die beiden Kandidatinnen, die im fernen Straßburg auf<br />
ihre baldige Rückkehr nach München hofften, weiterhin im Ungewissen<br />
über ihre Zukunft.<br />
Dafür zeichnete sich langsam ab, welche Zukunftspläne der Magistrat für<br />
Schwester Mechtildis und ihre Kandidatinnen hatte. Am 18. März 1830 trat<br />
der Magistrat zu einer Sitzung zusammen, bei der auch Schwester Mechtildis<br />
und Krankenhausdirektor Loe angehört wurden. Beide sprachen von<br />
den Vorteilen, die eine Krankenpflege durch Ordensschwestern bieten würden.<br />
Voll Begeisterung berichtete Schwester Mechtildis von der vorzüglichen<br />
Organisation von Krankenpflege und Hauswirtschaft im Straßburger<br />
Bürgerspital durch die dortigen <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern.<br />
Bei der nächsten Sitzung des Magistrats am 20. April erging der folgenschwere<br />
Beschluss, dass Schwester Mechtildis mit ihren Kandidatinnen<br />
im Allgemeinen Krankenhaus ein Saal <strong>als</strong> Wohnung zur Verfügung gestellt<br />
werden sollte. Dafür sollten sie dort die Versorgung einiger Krankensäle<br />
übernehmen. Schwester Mechtildis wurde zur Stellungnahme aufgefordert.<br />
Ihre Einwände wurden aber zurückgewiesen. Die Entscheidung brachte sie<br />
in große Gewissensnot. Die Bedenkzeit, die ihr zugestanden worden war,<br />
reichte nicht aus, um sich mit ihren Vorgesetzten in Straßburg in Verbindung<br />
zu setzen. Sollte sie diesen Schritt eigenmächtig unternehmen? Andererseits<br />
musste sie demnächst die Wohnung des Benfiziaten räumen und, was noch<br />
schwerer gewogen haben mag, sowohl Schwester Vinzenz <strong>als</strong> auch Schwester<br />
Ignatia hatten ihr in ihren Briefen mehrm<strong>als</strong> geraten, selbst die Pflege zu<br />
übernehmen, falls der Magistrat dies wünschen sollte.<br />
Schwester Mechtildis holte für ihre schwere Entscheidung den Rat beim<br />
Ordinariat ein. Dort riet ihr der Kanonikus Franz Xaver Schwäbl, der spätere<br />
Bischof von Regensburg und zeitlebens ein großer Freund der <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern, von einem so eigenmächtigen Vorgehen ab. Weihbischof<br />
von Streber dagegen befürchtete bei Ablehnung des Wunsches des<br />
Magistrates ein endgültiges Scheitern der Einführung der Schwestern und<br />
37
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
Professor<br />
Johann<br />
Nepomuk<br />
von Ringseis,<br />
1785 – 1880<br />
(Gemälde<br />
von Joseph<br />
Stieler)<br />
38<br />
ermunterte die Novizin, diesen<br />
Schritt zu wagen.<br />
Wie schwer ihr diese Entscheidung<br />
ohne Genehmigung<br />
ihrer Vorgesetzten fiel,<br />
zeigt ein Brief, den sie an ihre<br />
Novizenmeisterin Schwester<br />
Ignatia nach Straßburg<br />
schrieb:<br />
„Ich kann Ihnen nicht<br />
beschreiben, wie schwer es mir<br />
ums Herz ist. Aber ist mein<br />
Unternehmen zur Ehre Gottes,<br />
so wird es gelingen. Nur<br />
um eines bitte ich Sie, legen Sie<br />
beim hochwürdigen Herrn Superior<br />
wie auch bei unserer lieben<br />
ehrwürdigen Frau Mutter ein Wort für mich ein. Es tut mir in der Seele leid, diesen<br />
Schritt zu tun ohne ihre ausdrückliche Erlaubnis, aber es geschieht ohne meine<br />
Schuld. Ich bitte nur, daß sie mich nicht verstoßen.“ 12<br />
Auf den Rat von Strebers hörend, erklärte sich Schwester Mechtildis bei<br />
der nächsten Magistratssitzung am 24. April bereit, mit ihren Kandidatinnen<br />
einen Teil der Pflege im Krankenhaus zu übernehmen. Allerdings unter dem<br />
Vorbehalt, dass sie ihre Vorgesetzten in Straßburg nicht hätte fragen können.<br />
Vor eventuellen Vorwürfen aus Straßburg sollte der Magistrat sie in Schutz<br />
nehmen. Keinesfalls wollte sie ihren Stand <strong>als</strong> <strong>Barmherzige</strong> Schwester aufgeben<br />
müssen.<br />
Beim Aushandeln der konkreten Bedingungen bewies sie wiederum ihr<br />
kluges Verhandlungsgeschick. Sie ließ sich geistliche Unterweisung durch<br />
die beiden Krankenhausgeistlichen für ihre kleine Gemeinschaft garantieren.<br />
Die Kandidatinnen sollten nur in den ihnen zugewiesenen Sälen <strong>zum</strong><br />
Einsatz kommen und der Direktion direkt unterstehen.<br />
Drei Tage später, am 27. April 1830, bezog Schwester Mechtildis mit<br />
ihren Kandidatinnen das Allgemeine Krankenhaus. In der Münchner Stadtchronik<br />
ist dazu vermerkt: „Dienstag, 27. April. Am heutigen Tage wurden die<br />
meisten Novizinnen des Ordens der barmherzigen Schwestern durch eine magistratische<br />
Commißion und durch den königl. Direktor des allgemeinen Krankenhauses<br />
Obermedizinalrath Dr. von Loe in das hiesige allgemeine Krankenhaus eingewiesen.<br />
Es wurden denselben infolge eines magistratischen Beschlußes ein eigener Saal mit<br />
12 Betten vorläufig zur Wohnung eingeräumt und zwei weibliche Krankensäle zur<br />
Ausübung des Krankendienstes übergeben.“ Die Chronik betont die Bedeutung
Einführung der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern am Krankenhaus in München<br />
dieses Ereignisses für die Zukunft: „… diese sieben Jungfrauen wurden nun<br />
heute in das Krankenhaus eingewiesen und bildeten den Grund des sich in kurzer<br />
Zeit so ausgebreiteten Ordens der barmherzigen Schwestern in Bayern“. 13<br />
Schwester Mechtildis und ihre Gefährtinnen wohnten in einem für sie <strong>als</strong><br />
Wohnung hergerichteten Krankensaal und betreuten zunächst die Kranken<br />
der beiden anstoßenden Krankensäle. Nach der entbehrungsreichen, unsicheren<br />
Zeit in der Damenstiftgasse wurde es für Schwester Mechtildis und<br />
ihre Kandidatinnen nun keineswegs leichter. Mehr <strong>als</strong> der schwere Krankendienst<br />
belasteten sie die Anfeindungen vonseiten der Ärzte. Vor allem die<br />
jungen Assistenzärzte machten ihnen das Leben schwer. Aber auch Oberarzt<br />
Dr. Walther stand dem Einsatz von Ordensschwestern zunächst sehr reserviert<br />
gegenüber. Nur Direktor Loe und Oberarzt Prof. von Ringseis waren<br />
von Anfang an auf ihrer Seite. Sogar durchaus kirchenfreundliche Kreise<br />
beobachteten den Einsatz von Schwester Mechtildis und ihren Kandidatinnen<br />
zunächst mit Skepsis. Ging den Gegnern des Ordens der Einsatz der<br />
Novizin und ihrer Kandidatinnen schon zu weit, so bedauerten Befürworter<br />
der Einführung eines Krankenpflegeordens, dass es nur zu dieser Minimallösung<br />
gekommen war. Dies bringt ein Artikel in der Zeitung „Bayerischer<br />
Volksfreund“ vom 29. April 1830 deutlich <strong>zum</strong> Ausdruck: „Parturiunt montes,<br />
nascitur ridiculus mus! Die großen Bemühungen, die barmherzigen Schwestern in<br />
München wieder einzuführen, haben mit den Vorverfügungen allem Anschein nach<br />
auch schon ihr Ende erreicht, indem nur eine hier anwesende graue Schwester und<br />
einige Laiinnen von hier in dem Krankenhause unter der übrigen Menge schon<br />
vorhandener Weibsbilder <strong>als</strong> Krankenwärterinnen untergebracht wurden, wo der<br />
herrschende laue und zuchtlose weltliche Sinn jede geistliche und fromme Gesinnung<br />
bald überwältigen wird. Es war nichts anderes zu erwarten, denn in unserem<br />
Zeitalter, welches so viele religiöse Institute mit wahrem Vergnügen zerstört hat, fehlt<br />
es den einen an ernster Kraft und den anderen an gutem Willen, um ein so großes<br />
Werk der Barmherzigkeit wieder ins Leben zu rufen… Ohne daß nicht die ganze<br />
Krankenhausanstalt dem Orden eingeräumt wird, bleibt das alte Uebel fest.“ 14<br />
Trotz dieser Widerstände von allen Seiten bewährten sich Schwester<br />
Mechtildis und ihre Helferinnen derart, dass ihnen schon bald weitere Krankensäle<br />
anvertraut wurden. Auch wenn die Zahl der Kandidatinnen stetig<br />
anstieg, hätte man nun doch auch die Hilfe der beiden noch in Straßburg<br />
auf ihren Abruf wartenden Kandidatinnen gut brauchen können. Mehrfach,<br />
aber vergeblich bat Schwester Mechtildis den Magistrat, jene nach München<br />
zurückzuholen. Die Straßburger Generaloberin gab schließlich im<br />
Sommer 1830 dem Drängen der Kandidatin Marianna Messerschmitt nach<br />
und ließ sie auch ohne offiziellen Rückruf durch den Magistrat nach Bayern<br />
zurückreisen. Wenig später, im September 1830, kehrte auch Susanna<br />
Balghuber zurück. Nach der Julirevolution hatte auch sie um ihre Rückreise<br />
39
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
40<br />
gebeten, da sie sich <strong>als</strong> Ausländerin in Frankreich nicht mehr sicher fühlte.<br />
Beide traten den Dienst im Allgemeinen Krankenhaus an und unterstützten<br />
Schwester Mechtildis in der Küche bzw. bei der Versorgung der Wäsche.<br />
2.3. Neue Verhandlungen nach dem<br />
Tod Schwester Mechtildis<br />
Während das Ordinariat und die Regierung nach wie vor daran interessiert<br />
waren, erfahrene <strong>Barmherzige</strong> Schwestern aus Straßburg für die endgültige<br />
Einführung des Ordens zu gewinnen, war der Magistrat mit der Entwicklung<br />
durchaus zufrieden. Die ständig steigende Zahl der Kandidatinnen, die<br />
nach und nach weitere Säle im Krankenhaus übernommen hatten, ließ für<br />
die Zukunft nur das Beste hoffen. Der Magistrat sah nicht ein, warum er<br />
nicht alles so weiterlaufen lassen sollte wie bisher.<br />
Da durchkreuzte der Tod die Pläne der Stadtvertretung. Am 3. April 1831<br />
starb Schwester Mechtildis mit nur 34 Jahren. Sie hatte schon seit der Zeit<br />
im Benefiziatenhaus an einer schmerzhaften Augenfistel gelitten. Nach einer<br />
Augenoperation im Herbst 1830 erholte sie sich nicht mehr vollständig und<br />
erkrankte im Frühjahr schwer an Nervenfieber, dem sie am Osterfest 1831<br />
erlag.<br />
Als Anerkennung ihrer Verdienste bereitete ihr der Magistrat eine sehr<br />
feierliche Beerdigung, an der die Bevölkerung regen Anteil nahm. Manch<br />
einem, auch im Magistrat, mag erst jetzt bewusst geworden sein, was diese<br />
junge Novizin geleistet hatte. Ihr früher Tod war nicht zuletzt das Ergebnis<br />
einer ständigen Überforderung, der sie sich durch ihren Einsatz ausgesetzt<br />
gesehen und aus Pflichtgefühl nicht entzogen hatte.<br />
Zum Anteil, den die junge Novizin an der Einführung der <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern in Bayern hatte, bemerkte Scherer treffend: „Fast möchte<br />
man von einem Wunderwerk der göttlichen Vorsehung sprechen, die sich einer einfachen,<br />
im Ordensleben noch wenig erfahrenen Novizin bediente, um den Grundstein<br />
der Kongregation der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern in Bayern zu legen.“ 15<br />
Viele dachten, mit dem Tod Schwester Mechtildis sei das Unternehmen<br />
endgültig gescheitert. Sie hatten jedoch den Durchhaltewillen der verwaisten<br />
Kandidatinnen unterschätzt. Diese wurden, trotz ihrer großen Trauer<br />
über den Verlust Schwester Mechtildis, sehr schnell aktiv. So baten sie den<br />
Magistrat bereits am 14. April in einem ergreifenden Bittbrief, er möge die<br />
Verhandlungen mit Straßburg wieder aufnehmen, um von dort Unterstützung<br />
für sie zu bekommen.<br />
Der Magistrat erkannte, dass er handeln musste, sollte das Werk, das<br />
Schwester Mechtildis hinterlassen hatte, nicht gefährdet werden. Und dieses
Das Gräberfeld<br />
der <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern auf<br />
dem Alten Südfriedhof,<br />
das ihnen<br />
der Magistrat 1836<br />
unentgeltlich zur<br />
Verfügung stellte.<br />
An welcher Stelle<br />
des Alten Südfriedhofs<br />
Schwester<br />
Mechtildis beigesetzt<br />
wurde, ist<br />
heute nicht mehr<br />
feststellbar.<br />
Einführung der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern am Krankenhaus in München<br />
Werk war durchaus beachtlich. Inzwischen war die Zahl der Kandidatinnen,<br />
die jetzt immer häufiger auch <strong>als</strong> Aspirantinnen oder Postulantinnen<br />
bezeichnet wurden, auf 26 angewachsen. Diese 26 jungen Frauen betreuten<br />
bereits 12 Säle im Allgemeinen Krankenhaus. Der Magistrat sah ein, dass<br />
diese Gemeinschaft eine neue Leitung und gewisse Organisationsstrukturen<br />
brauchte. Er ernannte deshalb Marianna Messerschmitt zur neuen Vorsteherin<br />
der Gemeinschaft und Anna Maria Stanglmaier zur Leiterin der<br />
Krankenpflege. Zudem entschloss er sich, die Verantwortung für die Küche<br />
ganz den Aspirantinnen anzuvertrauen. Dazu wurden ausgewählten Kandidatinnen<br />
verschiedene Aufgabenbereiche in der Küche zugeteilt.<br />
Nicht nur die Kandidatinnen, sondern auch das Ordinariat drängten<br />
jedoch auf eine grundlegendere Entscheidung des Magistrats. Er sollte dazu<br />
bewegt werden, die Verhandlungen mit Straßburg wieder aufzunehmen.<br />
Eine Magistratssitzung vom 19. Mai 1831, bei der der Magistratsrat Siedler<br />
in seinem Bericht über die Lage am Krankenhaus sich voll Lob über die<br />
dort arbeitenden Aspirantinnen äußerte und der Kanonikus Franz Xaver<br />
Schwäbl die Position des Ordinariats deutlich machen konnte, brachte die<br />
entscheidende Wende in der Politik des Magistrats. Er erklärte sich bereit,<br />
über das Ordinariat in Straßburg nachfragen zu lassen, ob die <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern noch bereit wären, zwei ihrer Schwestern nach München zu<br />
schicken.<br />
Das Münchner Ordinariat übernahm diese Aufgabe nur allzu gern und<br />
fragte am 25. Mai 1831 über das Straßburger Ordinariat bei den <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern an. Das Ordinariat machte dabei noch einmal sehr<br />
deutlich, dass es nach wie vor der entschiedene Wille des Königs sei, ihren<br />
Orden in Bayern einzuführen.<br />
41
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
42<br />
Der Generaloberin war klar, welchen großen Wert die beiden Ordinariate<br />
auf ihre Unterstützung bei der Einführung der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
in Bayern legten. Gerne wollte sie ihnen entgegenkommen. Zudem<br />
hatte sie in der Zwischenzeit schon mehrere zu Herzen gehende Briefe von<br />
den verwaisten Münchner Kandidatinnen erhalten, in denen diese sie verzweifelt<br />
um Hilfe angefleht hatten: „Wohlehrwürdige Mutter, wir alle insgesamt<br />
werfen uns Ihnen zu Füßen und bitten, flehen und beschwören Sie mit weinenden<br />
Augen und <strong>zum</strong> Himmel gefalteten Händen, dass Sie sich unser mütterlich erbarmen<br />
und <strong>als</strong> Ihre wirklichen geistlichen Töchter erkennen … und dass Sie uns bald<br />
Hilfe senden, damit das Werk, zu dem wir uns verbunden … zur stufenweisen<br />
Vollendung gebracht werde.“ 16<br />
In einem weiteren Brief hatten sie die Generaloberin beschworen: „Die<br />
selige Mechtildis hat auf dem schmalen Dornenweg des Kreuzes mühsam die Steine<br />
<strong>zum</strong> Bau unseres Ordens gesammelt und herbei geschleppt. An Ihnen ist es nun,<br />
den Gottesbau zu vollenden.“ 17 Mit Sicherheit war es ihr schwer gefallen, diesen<br />
Bitten nicht entsprechen zu können, aber ohne offizielle Anforderung<br />
aus München war es ihr unmöglich gewesen.<br />
Als diese nun kam, stellte sie alle Verärgerung, die sie wegen des mehr <strong>als</strong><br />
unhöflichen Verhaltens des Magistrats rund um ihr erstes Angebot empfunden<br />
haben mag, um der Sache und der Kandidatinnen willen zurück. Sie<br />
erneuerte in ihrer Antwort vom 22. Juni 1831 ihr Angebot, das sie zwei<br />
Jahre vorher schon einmal gemacht hatte. Sie wollte zwei erfahrene Schwestern<br />
nach Bayern schicken. Sie bedauerte allerdings, sie nicht sofort, sondern<br />
erst im kommenden Frühjahr schicken zu können. Derzeit sei es ihr nicht<br />
möglich, Schwestern freizustellen, da erst vor kurzem mehrere französische<br />
Krankenhäuser Schwestern angefordert hätten.<br />
Die Ordinariate zeigten sich sehr zufrieden mit der Antwort und nutzten<br />
in den Folgemonaten ihre Verbindungen, um mit dem Mutterhaus und dem<br />
Magistrat zu klären, welche Bedingungen für den Einsatz des Ordens im<br />
Allgemeinen Krankenhaus gelten sollten.<br />
Die verwaisten Kandidatinnen hatten inzwischen einen schweren Stand.<br />
Nur die Hoffnung auf Hilfe aus Straßburg hielt die Kandidatinnen aufrecht.<br />
Sie klammerten sich an die Zusage der Generaloberin vom Juni, im<br />
nächsten März zwei Schwestern schicken zu wollen. Allerdings machten<br />
sich immer wieder Zweifel bei den Aspirantinnen breit. Wie würde sich der<br />
Magistrat entscheiden, würde er dieses Mal das Angebot des Mutterhauses<br />
in Straßburg annehmen?<br />
Erstaunlicherweise wuchs trotz dieser Unsicherheit die Zahl der Kandidatinnen<br />
weiter stetig an. Im Juli 1831 waren es bereits 34, im Januar<br />
1832 sogar schon 46. Die junge Gemeinschaft lebte noch nicht nach der<br />
Regel der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern in Straßburg zusammen, sondern nach
Einführung der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern am Krankenhaus in München<br />
Regeln, die ihnen Schwester Mechtildis, auf der Grundlage ihrer Erinnerung<br />
an ihre Zeit in Straßburg, gegeben hatte.<br />
Inzwischen lag zwar ein Exemplar der Ordensregel im Ordinariat vor<br />
und auch der Magistrat hatte eine Abschrift bekommen, um sich ein Bild<br />
über die neue Kongregation machen zu können, den unerfahrenen Kandidatinnen<br />
aber wollte man sie nicht an die Hand geben.<br />
Die Kandidatinnen litten darunter, dass ihnen der Dienst an den Kranken<br />
wenig Zeit für geistliche Übungen ließ. Manche konnten nicht einmal<br />
täglich den Gottesdienst besuchen. Dabei hatten sie spirituelle Erbauung<br />
dringend nötig, um den anstrengenden Krankendienst und die unsichere<br />
Situation bezüglich ihrer Zukunftsaussichten zu meistern. In dieser Not<br />
erhielten sie Unterstützung durch den Beichtvater der Servitinnen, H.H.<br />
Schön, der, so oft es ihm möglich war, zu ihnen kam, um sie geistlich aufzubauen.<br />
Da er gesehen hatte, dass sie außer der Essenszeit kaum zur Ruhe<br />
kamen, nutzte er diese Zeit, um ihnen Texte vorzulesen oder kleine Vorträge<br />
zu halten. Auch ihre beiden Gönner aus dem Ordinariat, Weihbischof von<br />
Streber und Domkapitular Schwäbl, besuchten die Aspirantinnen regelmäßig<br />
und sprachen ihnen Mut zu.<br />
Den hatten sie auch dringend nötig, um alle Anfeindungen vonseiten<br />
der Ordensgegner ertragen zu können. Sogar in Kirchenkreisen war manchem<br />
diese Gemeinschaft von Aspirantinnen ohne jegliche Leitung und<br />
Ordensregel suspekt. So machte sich auch der Altöttinger Wallfahrtspriester<br />
Josef Anton Leiß, später Abt in Scheyern, Sorgen um einige seiner Beichtkinder,<br />
die der Gemeinschaft beigetreten waren. Nachdem er sich bei einem<br />
längeren Besuch jedoch selbst ein Bild von den Zuständen am Allgemeinen<br />
Krankenhaus gemacht hatte, war er mehr <strong>als</strong> begeistert von dem unter<br />
den Kandidatinnen herrschenden Geist: „Ich fand bei ihnen eine solche Demut,<br />
Arbeitsamkeit, Frömmigkeit, einen solchen Glauben Gottes, eine solche Liebe zu<br />
den Kranken, dass ich vielleicht sagen darf, wir haben in ganz Bayern kein Priesterhaus,<br />
worin die Gnade Gottes so allgemein wirken kann oder mag.“ 18<br />
Unterdessen zeichnete sich bei den Verhandlungen zwischen dem<br />
Magistrat und dem Mutterhaus in Straßburg ein erfolgreiches Ende ab. Die<br />
Straßburger Ordensoberen hatten in Zusammenarbeit mit dem Generalvikariat<br />
des Straßburger Ordinariats einen Vertragsentwurf für den Einsatz der<br />
Bayerisches Allheilmittel für die verwaisten Kandidatinnen<br />
Am 10. Februar 1832 wies der Magistrat<br />
die Krankenhausverwaltung an, den<br />
Aspirantinnen künftig statt 1 Maß Bier<br />
täglich 1,5 Maß Bier zuzuteilen. Sollte<br />
mit dem bayerischen Allheilmittel der<br />
Durchhaltewillen der Aspirantinnen<br />
gestärkt werden? 19<br />
43
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
44<br />
<strong>Barmherzige</strong>n Schwestern im Münchener Allgemeinen Krankenhaus ausgearbeitet.<br />
Orientiert hatten sie sich dabei an den in den französischen Krankenhäusern<br />
für die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern geltenden Bestimmungen.<br />
Bis auf einige Modifikationen, die die spezifische Situation am Münchner<br />
Krankenhaus berücksichtigten, nahm der Magistrat den vorgelegten<br />
Vertragsentwurf am 10. Januar 1832 an. Nachdem sich auch die Straßburger<br />
mit dem modifizierten Vertrag einverstanden erklärt hatten, bildete diese<br />
Übereinkunft die rechtliche Grundlage für die Einführung des Ordens in<br />
Bayern.<br />
Das Mutterhaus in Straßburg erklärte sich darin bereit, im März 1832<br />
zwei erfahrene <strong>Barmherzige</strong> Schwestern für einen Zeitraum von drei Jahren<br />
nach München zu schicken. Diese sollten <strong>als</strong> Oberin bzw. Novizenmeisterin<br />
die Kandidatinnen in ihren Regeln unterweisen und die Grundlage<br />
für den Orden legen. Die gesamte Krankenpflege, die innere Krankenhausverwaltung<br />
und die Aufsicht über alles Personal im Haus, außer den<br />
Ärzten und der Krankenhausdirektion, sollten dem neuen Orden übertragen<br />
werden. Die Schwestern sollten in allen dienstlichen Angelegenheiten<br />
der Krankenhausdirektion, in allen ordensinternen und geistlichen Angelegenheiten<br />
der Oberaufsicht des Erzbischofs unterstellt werden. Im Krankendienst<br />
hätten die Schwestern den Anordnungen der Oberärzte Folge<br />
zu leisten. Auswahl und Ausbildung der Kandidatinnen wären allein Sache<br />
der Schwestern. Die Generaloberin behielt sich außerdem vor, ihre beiden<br />
Schwestern noch vor Ablauf der Frist zurückzuholen, falls der neuen<br />
Ordensgemeinschaft Schwierigkeiten gemacht werden sollten, nach den<br />
Regeln der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern vom hl. Vinzenz von Paul zu leben.<br />
Der Magistrat erklärte sich bereit, die Anreise- und Rückreisekosten für<br />
die beiden Schwestern zu übernehmen. Für die Ordenskleidung sollten sie<br />
selbst aufkommen, bekämen allerdings einen Zuschuss. Für die Besorgung<br />
der Hausverwaltung war ein Festbetrag geplant, über den die zuständige<br />
Schwester monatlich Rechenschaft ablegen sollte. Genauere Regelungen<br />
zur Vergütung für den Dienst der Schwestern wollte man erst nach Ankunft<br />
der Schwestern aushandeln.<br />
Nachdem der Vertrag von beiden Seiten unterschrieben worden war,<br />
begannen die Münchner Vorbereitungen für die Ankunft der beiden<br />
Schwestern aus Frankreich zu treffen. Im Krankenhaus wurde für die künftige<br />
Oberin ein Einzelzimmer notdürftig möbliert, wobei die Krankenhausverwaltung,<br />
wie sie in einem Schreiben an den Magistrat betonte, nur<br />
das Billigste und Notwendigste anschaffte: „1 Kommodkasten, 1 Schreibkasten,<br />
4 Stühle, 1 Tisch, 1 Bettlade, 1 Spuckkastl, 1 Bett Couvertdecke, …, 1 Kruzifix,<br />
2 Leuchter, 1 Weihwassergefäß.“ 20
Einführung der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern am Krankenhaus in München<br />
2.4. Zwei Straßburger Schwestern<br />
für die bayerische Mission<br />
Dass die Straßburger Generaloberin, Schwester Vinzenz Sultzer, bei der nun<br />
in greifbare Nähe gerückten Verwirklichung des Projekts der Ordensgründung<br />
in Bayern keinerlei Risiko mehr eingehen wollte, zeigt die Auswahl<br />
der beiden Kandidatinnen für diese Mission. Mit Schwester Ignatia Jorth<br />
stellte sie ihre beste Kraft zur Verfügung.<br />
Schwester Ignatia Jorth, 1780 <strong>als</strong> Tochter eines Schiffers geboren und<br />
auf den Namen Katharina getauft, hatte schon in ihrer Kindheit in ihrer<br />
Heimatstadt, dem elsässischen Schlettstadt, die Tätigkeit der <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern im dortigen Bürgerspital beobachten können. Sobald die <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern nach den Wirren der Revolution, in denen sie aus<br />
dem Elsass vertrieben worden waren, zurückkehrten, bat Katharina Jorth<br />
um Aufnahme ins Postulat. 1807 erfolgte ihre Einkleidung, 1809 ihre Profess.<br />
Schnell hatte die Ordensleitung das Potential dieser Schwester erkannt<br />
und ernannte sie schon 1811 zur Oberin am Spital in Hagenau, wo sie sich<br />
in einer äußerst schweren Zeit bewährte.<br />
Nach der Verlegung des Mutterhauses von Zabern nach Straßburg im Jahr<br />
1823 wurde Schwester Ignatia Nachfolgerin von Schwester Vinzenz Sultzer<br />
<strong>als</strong> Oberin des Straßburger Bürgerspit<strong>als</strong>. Auch hier bewies sie sogleich<br />
ihre Tatkraft, indem sie zahlreiche sinnvolle Neuerungen <strong>zum</strong> Wohl der ihr<br />
anvertrauten Kranken, Pfründner und Waisen durchsetzte.<br />
Wie sehr die Generaloberin Schwester Ignatia schätzte, zeigte sie durch<br />
deren Ernennung zur Generalassistentin und Novizenmeisterin. Damit war<br />
sie, wie oben erwähnt, für die Ausbildung der bayerischen Kandidatinnen<br />
zuständig gewesen. Wie der Briefwechsel mit Schwester Mechtildis deutlich<br />
macht, zeigte sie regen Anteil an den Anfängen in München. Die Münchner<br />
Aspirantinnen hatten gewünscht, aber nicht zu hoffen gewagt, dass ihnen<br />
gerade diese Schwester zur Unterstützung geschickt würde.<br />
Als Begleiterin für Schwester Ignatia wählte die Generaloberin Schwester<br />
Apollonia Schmitt aus, eine jüngere Schwester, die aus Mainz stammte<br />
und 1824 ins Postulat am Straßburger Bürgerspital eingetreten war. Sie sollte<br />
in München die Funktion der Novizenmeisterin übernehmen und die<br />
Oberin Ignatia Jorth unterstützen.<br />
Am 5. März nahmen Schwester Ignatia und Schwester Apollonia<br />
Abschied von ihren Mitschwestern und machten sich zur Erfüllung ihrer<br />
bedeutenden Mission auf die sechstägige Reise von Straßburg nach München.<br />
Aus Sorge um die Gesundheit der schon fast 52-<strong>jährigen</strong> Schwester<br />
Ignatia schickte die Straßburger Generaloberin die Schwestern statt mit der<br />
schnelleren Eilpost mit der bequemeren Extrapost auf die Reise, so dass sie<br />
45
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
Schwester<br />
Ignatia Jorth,<br />
Gründerin<br />
und erste<br />
Generaloberin<br />
der <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern<br />
in Bayern<br />
(Ölgemälde<br />
im<br />
Mutterhaus)<br />
46<br />
nicht auch noch die Nächte in der<br />
Postkutsche verbringen mussten.<br />
Den Verlauf dieser Reise<br />
schilderte Schwester Ignatia unmittelbar<br />
nach ihrer Ankunft in<br />
München in einem ausführlichen<br />
Brief an die Generaloberin und<br />
den Superior in Straßburg.<br />
Da die Bevölkerung von der<br />
Presse über das Vorhaben der <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern unterrichtet<br />
gewesen sei, seien sie überall mit<br />
Freuden aufgenommen worden.<br />
Besonders herzlich sei der Empfang<br />
in Augsburg gewesen, wo sie<br />
nicht nur von den dort etablierten<br />
weiblichen Ordensgemeinschaften<br />
aufs Herzlichste aufgenommen und bewirtet, sondern auch vom Bischof<br />
persönlich empfangen worden seien.<br />
Nachdem sie bei den Ursulinen in Augsburg noch eine Nacht verbracht<br />
hatten, machten sich die beiden Schwestern am Morgen des 10. März 1832<br />
auf die letzte Etappe ihrer langen beschwerlichen Reise. Selbst die 60 km<br />
von Augsburg nach München bedeuteten mit der Postkutsche dam<strong>als</strong> noch<br />
eine Tagesreise. Nach dem Reisebericht Schwester Ignatias wurden sie<br />
bereits kurz vor ihrer letzten Raststation in Fürstenfeldbruck von einem<br />
Empfangskomitee des Münchener Magistrats begrüßt: „… dann ganz nahe<br />
an Fürstenfeldbruck sind uns Herr Magistrats Rath Siedler und Herr Gallinger,<br />
Krankencurator des Krankenhauses, im Namen des ganzen Magistrat mit der Post<br />
uns entgegenkommen, haben uns herzlich bewillkommt“. 21 Nach dem Mittagessen<br />
und der Besichtigung der Kirche des säkularisierten Klosters Fürstenfeld<br />
ging die Reise weiter nach München, wo sie gegen 4 Uhr nachmittags<br />
ankamen. Wie die Berichte in der Presse zeigen, nahm die Öffentlichkeit<br />
durchaus Kenntnis von der Ankunft der beiden Straßburger Schwestern in<br />
der Stadt. Auch in der Stadtchronik wird dieses Ereignis <strong>als</strong> denkwürdig festgehalten:<br />
„Samstag, 10. März. Heute Nachmittag vier Uhr ist die <strong>als</strong> Oberin der<br />
barmherzigen Schwestern in Bayern ernannte Schwester Ignatia und die Novizenmeisterin<br />
Schwester Apollonia von Straßburg dahier angekommen und … in dem<br />
allgemeinen Krankenhause, woselbst sie von sämtlichen Aspirantinnen des nun neu<br />
zu errichtenden Ordens auf das feierlichste bewillkommt wurden, abgestiegen. Die<br />
Pforte des Krankenhauses sowie die Stiegen bis zu den für die Angekommenen hergerichteten<br />
Zellen waren mit lebendigen Girlanden auf das Schönste geziert.“ 22 Vor
Einführung der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern am Krankenhaus in München<br />
allem die hauseigene Überlieferung<br />
macht deutlich,<br />
wie bewegend die Ankunft<br />
für alle Beteiligten gewesen<br />
sein muss. Voll Dankbarkeit<br />
und Hoffnung erwarteten<br />
die 46 Kandidatinnen, in<br />
einheitlichen Gewändern<br />
vor dem imposanten Krankenhausgebäude<br />
stehend,<br />
die beiden Straßburger<br />
Schwestern, deren Unterstützung<br />
sie schon so lange<br />
herbeigesehnt hatten. Was<br />
mögen Schwester Ignatia und Schwester Apollonia gefühlt haben, <strong>als</strong> sie<br />
endlich am Ziel ihrer langen Reise angelangt, in der fremden Stadt mit den<br />
hochgesteckten Erwartungen einer Schar junger Postulantinnen und der<br />
Vertreter von Stadt und Krankenhaus konfrontiert wurden? Der Empfang<br />
im mit Blumen und Girlanden geschmückten Krankenhaus verlief sehr feierlich<br />
mit Ansprachen und einer Andacht in der Krankenhauskapelle. Die<br />
Kandidatinnen trugen einen eigens für diesen Anlass von Domkapitular von<br />
Schwäbl verfassten Willkommensgruß vor.<br />
Am folgenden Tag kamen Bürgermeister von Mittermeier und Weihbischof<br />
von Streber zu Besuch, um die Schwestern willkommen zu heißen.<br />
Einige Tage später wurden sie von Erzbischof Lothar Anselm von Gebsattel<br />
(1821–1846), von Innenminister Ludwig von Oettingen-Wallerstein und<br />
von der Witwe Max I. Joseph, Caroline von Baden, empfangen. In Caroline,<br />
der protestantischen Stiefmutter Ludwigs I., sollten die <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern eine ihrer wichtigsten Gönnerinnen finden.<br />
König Ludwig I. allerdings war, <strong>als</strong> sich endlich sein Wunsch nach Gründung<br />
des Ordens in Bayern erfüllte, auf einer seiner vielen und ausgiebigen<br />
Italienreisen, von der er erst im Juni zurückkehrte. Nachdem er den Sommer<br />
wie jedes Jahr in Bad Brückenau verbracht hatte, wurde es Herbst, bis<br />
er Schwester Ignatia eine Audienz gewährte. Allerdings empfing er sie mit<br />
ausgesprochener Herzlichkeit. Beim huldvollen Empfang begrüßte er <strong>als</strong><br />
gebürtiger Straßburger die Oberin aus dem Elsass <strong>als</strong> „liebe Landsmännin“,<br />
eine Anrede, die er im Umgang mit ihr immer beibehalten sollte.<br />
*<br />
Eine<br />
Fahrkarte<br />
der letzten<br />
Etappe der<br />
Schwestern<br />
mit der<br />
Postkutsche<br />
von Augsburg<br />
nach<br />
München<br />
47
48<br />
Kapitel 3<br />
Gründungsjahre der<br />
Kongregation in München<br />
3.1. Reformen Schwester Ignatias<br />
am Allgemeinen Krankenhaus<br />
Voll Tatkraft nahm Schwester Ignatia bereits unmittelbar nach ihrer Ankunft<br />
ihre Tätigkeit auf. Nach dem Vertrag vom Januar war sie <strong>als</strong> Oberin zuständig<br />
für die gesamte innere Verwaltung des Krankenhauses: „die Krankenpflege<br />
in allen Abteilungen, die Aufsicht über alle im Hause befindlichen Personen mit<br />
Ausnahme des ärztlichen Person<strong>als</strong>, ferner die Besorgung der Küche, der Vorratsräume<br />
und der Wäscherei“. 23<br />
Nach einer sehr gründlichen Inventur übergab der Magistrat am 19. Mai<br />
der neuen Oberin das gesamte Inventar des Hauses. Mit ihrem sehr ausgeprägten<br />
Sinn für das Praktische hatte sich diese inzwischen Überblick<br />
verschafft, wo Veränderungen nötig waren und bereits am 19. März dem<br />
Magistrat ihre ersten Verbesserungsvorschläge vorgelegt. In den folgenden<br />
Wochen und Monaten setzte Schwester Ignatia Jorth nun mit einer außerordentlichen<br />
Zielstrebigkeit zahlreiche Reformen in ihren verschiedenen<br />
Zuständigkeitsbereichen durch.<br />
So sorgte sie durch die Anschaffung von mehr Geschirr dafür, dass alle<br />
Säle gleichzeitig mit Essen versorgt werden konnten. Damit beseitigte<br />
sie den bisherigen Missstand, dass viele Patienten nur noch kaltes Essen<br />
bekamen. Gegen den Widerstand vieler Ärzte setzte sie durch, dass der so<br />
genannte Erste Tisch abgeschafft wurde. Ärzte und Hausgeistliche hatten<br />
ihr Essen vor den Patienten erhalten. Das hatte für viel Neid vonseiten der<br />
Patienten gesorgt, die nicht zu Unrecht den Eindruck hatten, dass beim<br />
Ersten Tisch besseres Essen serviert wurde. Mit dem gleichen Essen für alle<br />
erreichte die Oberin, dass dieses Ärgernis beseitigt und zudem noch Geld<br />
gespart wurde. In allem legte Schwester Ignatia großen Wert auf eine sparsame<br />
Haushaltsführung, beispielsweise durch einen rationelleren Lebens-
Gründungsjahre der Kongregation in München<br />
mittelkauf <strong>als</strong> bisher. In den nächsten<br />
beiden Jahren erreichte sie zudem<br />
durch die Anschaffung eines neuartigen<br />
Ökonomieherdes Einsparungen<br />
im Bereich der Heizkosten und Verbesserungen<br />
in der Warmwasserbereitung.<br />
Der neue Herd erleichterte<br />
den Schwestern die Zubereitung<br />
des Essens und auch die Sauberkeit<br />
der Speisen konnte im Gegensatz zu<br />
dem vorher üblichen offenen Herdfeuer<br />
besser gewährleistet werden.<br />
Auch in einem anderen wichtigen<br />
Aufgabenbereich, der Versorgung der<br />
Wäsche, sorgte die Oberin für Verbesserungen.<br />
Da sehr viel Wäsche<br />
gestohlen wurde, ließ sie die Wäsche<br />
des Krankenhauses kennzeichnen<br />
und regelmäßig den Bestand kontrollieren. Wie im Straßburger Spital sollten<br />
die Schwestern neue Wäsche selbst herstellen. Matratzen und Polster<br />
sollten unter ihrer Aufsicht und Mithilfe im Krankenhaus angefertigt und<br />
ausgebessert werden. Eine Renovierung des Waschhauses im Garten des<br />
Krankenhauses wurde für die nächsten Jahre geplant.<br />
Da der Oberin nicht nur die Sauberkeit der Wäsche, sondern auch die<br />
Hygiene der Patienten am Herzen lag, wurde die Badeanstalt durch den<br />
Einbau weiterer Bäder und Duschen und die Installation von Warmwasserkesseln<br />
erweitert und modernisiert.<br />
Um für ein größeres Wohlbefinden der Kranken zu sorgen, setzte sie<br />
beim Magistrat die Umgestaltung der Krankensäle nach dem Vorbild des<br />
Straßburger Bürgerspit<strong>als</strong> durch. Die kalten Steinfußböden ließ sie durch<br />
wohnlichere Holzfußböden ersetzen. Da sie möglichst helle und freundliche<br />
Räume wollte, bestand sie auf der Entfernung der von F.X. Häberl<br />
eingeführten Alkoven, den niedrigen Trennmauern zwischen je zwei Betten.<br />
Schon 1826 bei Einzug der Universität im Krankenhaus waren diese<br />
Alkoven aus den klinischen Sälen, den für den Lehrbetrieb genutzten Sälen,<br />
entfernt worden, da sie verhinderten, dass die Studenten an den Betten der<br />
Patienten Platz hatten. Schwester Ignatia erreichte die Entfernung aus fast<br />
allen weiteren Sälen. Nur in zwei Sälen verblieben sie noch länger.<br />
Die Alkoven waren Schwester Ignatia auch aus Gründen der Hygiene<br />
ein Dorn im Auge. Sie betrachtete sie <strong>als</strong> Brutstätte für Ungeziefer, wie die<br />
in Krankenhäusern dam<strong>als</strong> weit verbreiteten Wanzen. Diesem Ungeziefer<br />
Werke der<br />
Barmherzigkeit,<br />
„Die<br />
Kranken<br />
besuchen“<br />
(Teil einer<br />
Gemälde-<br />
Serie im<br />
Mutterhaus)<br />
49
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
50<br />
sagte sie regelrecht den Kampf an. Durch die verschiedenen Hygienemaßnahmen<br />
wie sorgfältige Reinigung der Wäsche und der Säle erreichte sie in<br />
kürzester Zeit, dass das Krankenhaus wanzenfrei wurde. Schon bald konnte<br />
sie es wagen, für jede noch gefundene Wanze einen Preis von 1 Gulden<br />
auszusetzen.<br />
Ihren Sinn fürs Praktische bewies Schwester Ignatia auch, <strong>als</strong> sie den<br />
Grundstein für einen zunächst noch sehr kleinen landwirtschaftlichen<br />
Betrieb des Ordens im Krankenhausgarten legte. Sie hatte auf eigene Kosten<br />
einen kleinen Holzstall für zwei Schweine bauen lassen, die mit den<br />
Küchenabfällen des Krankenhauses gefüttert wurden. Mit dem Erlös aus<br />
dem Verkauf der beiden Schweine bezahlte sie den Stall und schaffte eine<br />
Kuh an. In einem Schreiben vom Oktober 1834 beantragte sie beim Magistrat,<br />
ihr für die Kuh im kommenden Jahr ein kleines Stück Wiese zur Verfügung<br />
zu stellen. Der Nutzen einer Kuh läge ja auf der Hand: „Düngen für<br />
den Garten, Milch für das Haus“. 24 Nach und nach baute sie die Landwirtschaft<br />
weiter aus. So bestand die kleine Ökonomie bereits im Jahr 1837 aus<br />
einem Kuhstall für 8 Kühe und drei Schweineställen für ca. 20 Schweine.<br />
Um auch die Versorgung mit eigenem frischem Obst zu sichern, bat sie den<br />
König persönlich um unentgeltliche Überlassung von Obstbäumen aus der<br />
königlichen Baumschule für den Krankenhausgarten.<br />
Im Bezug auf die Besucherregelung müssen am Krankenhaus für uns<br />
heute kaum noch nachvollziehbare Zustände geherrscht haben. So sollen<br />
täglich bis zu 500 Besucher ins Haus gekommen sein, von denen die wenigsten<br />
Angehörige besuchen wollten. Die meisten sollen aus reiner Neugier<br />
und <strong>zum</strong> Zeitvertreib gekommen sein. So klagte Schwester Ignatia, „dass<br />
man allgemein das Krankenhaus, das eine Wohltätigkeitsanstalt für die leidende<br />
Menschheit sein soll, <strong>als</strong> einen Belustigungsort betrachtet, in den alles hineinstürmt,<br />
um aus langer Weile sich die Zeit zu vertreiben“. 25 Da sie diese Verhältnisse<br />
<strong>als</strong> sehr belastend für die Patienten und die junge Schwesterngemeinschaft<br />
empfand, sorgte Schwester Ignatia für den Erlass einer strengen Besucherregelung<br />
und achtete auf deren Einhaltung. Grundsätzlich bekamen nun auch<br />
nur noch Angehörige von Patienten Zutritt <strong>zum</strong> Haus.<br />
Auch in der Krankenpflege, dem wichtigsten Aufgabenbereich der<br />
Schwestern, führte die neue Oberin gleich zu Beginn ihrer Tätigkeit wichtige<br />
Neuerungen ein, die die jungen Schwestern vor unnötiger Überbelastung<br />
schützen sollten. Dazu erließ sie eine neue Regelung für den Nachtdienst<br />
und setzte eine neue Dienstordnung für die Verordnungspraxis durch.<br />
So sollten die Ärzte nicht mehr wie bisher zu allen Tages- und Nachtzeiten<br />
ihre Verordnungen erlassen dürfen, sondern außer in begründeten Ausnahmefällen<br />
nur noch zu ganz bestimmten Tageszeiten. Eine weitere Maßnahme<br />
im Pflegebereich wurde <strong>zum</strong> Schutz der Patienten vor Hausinfektionen vor-
Gründungsjahre der Kongregation in München<br />
genommen. Patienten mit ansteckenden Krankheiten wurden von jenen der<br />
medizinischen und chirurgischen Abteilung räumlich getrennt.<br />
Erstaunlich schnell zeigten die Reformen der Oberin Schwester Ignatia<br />
Jorth erste Erfolge, die durchaus von Magistrat und Öffentlichkeit erkannt<br />
und anerkannt wurden. Mehr <strong>als</strong> offensichtlich waren die Verbesserungen in<br />
Bezug auf Organisation, Pflege, Reinlichkeit und Versorgung der Patienten.<br />
Durch kluge Haushaltung und weniger Ausgaben für das weltliche Personal<br />
hatte die Oberin zudem Einsparungen in nicht unerheblicher Höhe erzielt,<br />
was den Magistrat verständlicherweise besonders freute. Höchst erfreut stellte<br />
die Krankenhauskommission in ihrem Bericht vom 5. April 1833 fest,<br />
dass die Schwestern für weniger Geld einen höheren Standard <strong>als</strong> das früher<br />
eingesetzte weltliche Personal boten: „Die Schwestern haben die Besorgung der<br />
Küche und des Kellers übernommen, ferner die Aufsicht über die Wäsche, und gehen<br />
dabei mit der größtmöglichen Sparsamkeit zu Werke. Hierdurch wurde erreicht, dass<br />
mit möglichst geringen Kosten die Kranken mit den bestmöglichen Speisen, die sie<br />
genießen dürfen, versehen werden, dass keine Lebensmittel mehr aus dem Hause<br />
geschleppt werden oder auf unzweckmäßige Weise verwendet werden. Auf die Erhaltung<br />
der Wäsche und des Leinenzeugs verwenden die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern die<br />
größte Sorgfalt.“ 26<br />
So ist es nicht verwunderlich, dass der Magistrat liebend gern das Angebot<br />
Schwester Ignatias annahm, ab dem 1. Oktober 1835 die Ökonomie<br />
des Krankenhauses vollständig in Eigenregie zu führen. Statt der bisherigen<br />
monatlichen Abrechnung mit dem städtischen Magistrat sollten die<br />
Schwestern nun gegen einen bestimmten jährlichen Festbetrag die gesamte<br />
Ökonomie des Krankenhauses auf eigene Rechnung übernehmen, wie es<br />
üblicherweise auch die Straßburger Schwestern in den von ihnen geführten<br />
Krankenhäusern handhabten. Der Vertrag zwischen Stadt und Orden<br />
vom 4. September 1835 sah eine Kopfpauschale von 12 Kreuzern und<br />
2 Pfennigen täglich für die Verpflegung der Kranken und des Person<strong>als</strong> vor.<br />
Zum Personal wurden dabei nicht nur die Schwestern selbst, sondern auch<br />
das sonstige weltliche Pflege- und Hauspersonal und die Hausgeistlichen<br />
gerechnet. Im Etatjahr der Ökonomieübernahme waren dies fast 80 Personen,<br />
darunter bereits 42 Professschwestern und 10 Kandidatinnen der<br />
<strong>Barmherzige</strong>n Schwestern. Bei der Verköstigung sollten sich die Schwestern<br />
an die vom Magistrat vorgegebene Kostordnung halten. Eventuelle höhere<br />
Kosten durch Abweichung von dieser Kostordnung hätte der Orden selbst<br />
zu tragen. Für die Besorgung der Wäsche handelten die Schwestern eine<br />
jährliche Vergütung von 900 Gulden, für die Reinigung des Hauses 250<br />
Gulden und für die Beleuchtung des Hauses 1700 Gulden im Jahr aus. Der<br />
Krankenhausgarten wurde den Schwestern unentgeltlich zur Benutzung<br />
überlassen, wofür sie allerdings für die dort entstehenden Kosten, z. B. für<br />
51
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
52<br />
das benötigte Gartenpersonal, selbst aufkommen mussten. Über die Gartenerzeugnisse<br />
sollten die Schwestern frei verfügen können. Der Garten war<br />
bisher für die Stadt immer ein Minusposten gewesen. Die Kosten für das<br />
Gartenpersonal hatten den Ertrag aus den Gartenerzeugnissen immer überstiegen.<br />
Der Magistrat überließ deshalb den Schwestern liebend gern den<br />
Garten zur Benutzung auf eigene Kosten. Die Oberin wiederum sah die<br />
Vorteile, die die Gartenbenutzung bot. So konnte sie die bereits begonnene<br />
kleine Landwirtschaft weiter ausbauen. Die Gartenerzeugnisse konnten für<br />
die Küche des Krankenhauses sinnvoll verwendet werden.<br />
Beide Vertragsparteien versprachen sich Vorteile von der neuen Regelung.<br />
Die Stadt sparte sich die monatliche Abrechnung und Kontrolle und<br />
konnte nun mit den Ausgaben für das Krankenhaus <strong>als</strong> feste Größe im städtischen<br />
Haushalt leichter planen. Der Orden versprach sich noch weitere<br />
Einsparungsmöglichkeiten durch die eigenverantwortliche Wirtschaftsführung.<br />
Schwester Ignatia listete in den Etatberichten der folgenden Jahre<br />
genau auf, was der Magistrat durch das sparsame und effektive Haushalten<br />
des Ordens an Ausgaben für das Krankenhaus sparte. Stadtmagistrat und<br />
Krankenhausverwaltung zeigten sich sehr zufrieden mit dieser Entwicklung<br />
und äußerten sich in der Folgezeit häufig öffentlich sehr anerkennend darüber,<br />
dass die Übernahme der Ökonomie durch die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
zu einer wesentlichen Verbesserung der früher immer sehr prekären<br />
finanziellen Situation am Allgemeinen Krankenhaus geführt habe.<br />
3.2. Geistliche Konsolidierung der jungen<br />
Ordensgemeinschaft<br />
Mindestens ebenso viel Aufmerksamkeit wie auf die Neuorganisation von<br />
Hauswirtschaft und Pflege im Krankenhaus verwendete Schwester Ignatia<br />
auf den Aufbau der neuen Ordensgemeinschaft. Nicht zuletzt war ja diese<br />
die Voraussetzung für das Gelingen der Neuorganisation des Krankenhauses.<br />
Zunächst kümmerte sich die neue Oberin um die äußeren Rahmenbedingungen.<br />
Da die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern noch kein eigenes Klostergebäude<br />
hatten, wollte die Oberin ihre Unterkunft im Krankenhaus <strong>zum</strong>indest<br />
etwas klösterlicher gestalten. Sie setzte durch, dass den Schwestern ein<br />
zusammenhängender Komplex an Räumen zur Verfügung gestellt wurde.<br />
Diesen Bereich ließ Schwester Ignatia zudem mit einem Gitter vom übrigen<br />
Krankenhaus abtrennen und schuf somit eine Art klösterlicher Klausur.<br />
Grundlage für das Zusammenleben der neuen Ordensgemeinschaft sollte<br />
die Regel der Straßburger <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern sein. Unmittelbar<br />
nach ihrer Ankunft hatte das Erzbischöfliche Ordinariat das bei ihm hinter-
Gründungsjahre der Kongregation in München<br />
legte Exemplar der Straßburger<br />
Regel der neuen Oberin übergeben.<br />
Gemäß dieser Regel<br />
bat Schwester Ignatia Jorth den<br />
Erzbischof, einen Superior für<br />
den neuen Orden zu bestimmen.<br />
Dieser sollte die Oberin<br />
in allen geschäftlichen und<br />
geistlichen Entscheidungen<br />
beraten. Der Erzbischof kam<br />
der Bitte nach und ernannte<br />
am 25. April 1832 den Priester<br />
Michael Rädlinger <strong>zum</strong> ersten<br />
Superior der <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern in Bayern. Als dieser<br />
jedoch überraschend früh<br />
im Alter von 46 Jahren im Juni<br />
1833 verstarb, trat der Hofprediger<br />
Michael Hauber im<br />
August 1833 seine Nachfolge an.<br />
Bereits in den ersten Tagen nach ihrer Ankunft hatte Schwester Ignatia<br />
mit der Prüfung der Kandidatinnen begonnen. Ihren strengen Auswahlkriterien<br />
hielt nur ein kleiner Teil der 46 Kandidatinnen stand. Viele wurden<br />
entlassen, weil sie entweder schon zu alt waren oder den sonstigen Anforderungen<br />
nicht entsprachen. Von den noch verbliebenen Kandidatinnen<br />
wählte Schwester Ignatia die 14 tüchtigsten, unter ihnen auch die beiden in<br />
Straßburg ausgebildeten Kandidatinnen Susanna Balghuber und Marianna<br />
Messerschmitt, für die erste Einkleidung aus.<br />
Diese erste Einkleidung der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern in München<br />
fand am 30. Mai 1832 in der Elisabethkirche des ehemaligen Elisabethspit<strong>als</strong><br />
statt. Diese Kirche wurde auch für die Einkleidungen der folgenden Jahre<br />
gewählt, da die Hauskapelle des Krankenhauses wegen des regen Interesses,<br />
das die Öffentlichkeit an diesen Feierlichkeiten des Ordens nahm, viel<br />
zu klein gewesen wäre. So kamen neben den Verwandten der Novizinnen<br />
viele Neugierige, aber auch offizielle Vertreter von Stadt und Staat. Aus dem<br />
Königshaus wohnte Prinzessin Mathilde, die älteste Tochter König Ludwigs<br />
I., mit ihrem Hofstaat der Zeremonie bei.<br />
Den Festgottesdienst zelebrierte der große Förderer der <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern, Weihbischof von Streber. Die Festpredigt hielt der berühmte<br />
Prof. Dr. Ignaz Döllinger, dam<strong>als</strong> noch Stiftspropst von St. Kajetan: „Große<br />
Hoffnungen, werden auf euch, meine Schwestern, gesetzt! Ihr werdet, ihr dürfet diese<br />
Titelblatt des<br />
Exemplars<br />
der Straßburger<br />
Regel,<br />
die die<br />
Schwestern<br />
in München<br />
erhielten<br />
53
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
54<br />
unsere Hoffnungen nicht täuschen! … Ganz Bayern blickt mit sehnsuchtsvoller<br />
Erwartung auf euch. Schon hat sich in mehreren Städten der Wunsch ausgesprochen,<br />
Filialen eures wohltätigen Ordens zu besitzen, und mit Gottes Hilfe wird er sich<br />
denn auch über das ganze Königreich ausbreiten.“ 27<br />
Die erste Einkleidung verlief sehr feierlich und viele der Anwesenden<br />
waren sich sicher der Tatsache bewusst, dass sie einem historischen Moment<br />
beiwohnten: der Grundsteinlegung des Ordens der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
vom hl. Vinzenz von Paul in Bayern.<br />
Der Strom neuer Kandidatinnen, die in den Orden aufgenommen werden<br />
wollten, riss nicht ab. Bereits am Ende des Jahres bestand die Gemeinschaft<br />
wieder aus über 30 Kandidatinnen, von denen am 3. Februar 1833<br />
12 eingekleidet wurden. Diese zweite Einkleidungsfeier fand noch mehr<br />
Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit. Beim Volk war das Interesse derart<br />
groß, dass Eintrittskarten ausgegeben werden mussten. Auch das Königshaus<br />
zeigte durch die Anwesenheit von Königin Therese, der früheren Königin<br />
Caroline und zweier Prinzessinnen große Anteilnahme am neuen Orden.<br />
Bereits im Sommer 1833 durften die Novizinnen der ersten Einkleidung<br />
die zeitlichen Gelübde ablegen. Wegen des langen und erschwerten Postulats<br />
wurde die Noviziatszeit abgekürzt. Allerdings waren es nur noch 12<br />
Novizinnen. Zwei waren im Februar 1833 entlassen worden. Bei einer von<br />
ihnen handelte es sich um Marianne Messerschmitt, seit ihrer Einkleidung<br />
Schwester M. Theresia. Auf sie, die schon <strong>als</strong> Kandidatin in Straßburg war<br />
und sich danach <strong>als</strong> Leiterin der Kandidatinnen am Krankenhaus schon sehr<br />
bewährt hatte, hatten die Ordensoberen große Hoffnung gesetzt. Anscheinend<br />
war es Schwester Theresia jedoch sehr schwer gefallen, sich der stren-<br />
Liste der ersten 14 Novizinnen<br />
Die Namen der für die erste Einkleidung ausgewählten Jungfrauen waren:<br />
Jungfrau Susanne Balghuber – Schwester M. Vinzentia<br />
Jungfrau Marianne Messerschmitt – Schwester M. Theresia<br />
Jungfrau Anna Maria Stanglmeier – Schwester M. Benonia<br />
Jungfrau Margaretha Gröber – Schwester M. Anselma<br />
Jungfrau Ursula Stelzer – Schwester M. Corbiniana<br />
Jungfrau Barbara Praßer – Schwester M. Johanna<br />
Jungfrau Katharina Sprengel – Schwester M. Ludovika<br />
Jungfrau Anna Maria Messerschmidt – Schwester M. Martha<br />
Jungfrau Gertraud Sturm – Schwester M. Xaveria<br />
Jungfrau Katharina Aman – Schwester M. Magdalena<br />
Jungfrau Theresia Klingseisen – Schwester M. Josepha<br />
Jungfrau Maria Berger – Schwester M. Mechtild<br />
Jungfrau Elisabeth Niedermaier – Schwester M. Michaela<br />
Jungfrau Genoveva Huber – Schwester M. Mathilde
gen Disziplin Schwester Ignatias unterzuordnen. Sie, die sich schon Hoffnungen<br />
gemacht haben mag, selbst Oberin zu werden, hatte offensichtlich<br />
Schwierigkeiten, in die zweite Reihe zurückzutreten.<br />
Obwohl Schwester Ignatia viele Kandidatinnen ablehnte und nach Hause<br />
schickte, gab es keine Nachwuchsprobleme, was die Zahl der Kandidatinnen<br />
anging. Allerdings machte sich Schwester Ignatia, wie einem Brief an ihre<br />
Generaloberin im Juni 1832 zu entnehmen ist, Sorgen wegen der Qualität<br />
der Kandidatinnen. Eine der üblichen Voraussetzungen, bei den <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern aufgenommen zu werden, war ein gewisses Maß an Bildung.<br />
Dies war anscheinend in Frankreich kein Problem gewesen. Anders<br />
sah es hier in Bayern aus, wo die meisten Kandidatinnen, die um Aufnahme<br />
Schwester Ignatia achtete sehr genau<br />
auf die Auswahl der Kandidatinnen.<br />
Dass sie dabei sehr erfolgreich war,<br />
zeigt die Tatsache, dass von den 189<br />
Kandidatinnen, die von ihr ins Noviziat<br />
aufgenommen wurden, nur eine einzige<br />
<strong>als</strong> Novizin und drei nach Ablegung<br />
der Profess entlassen werden mussten.<br />
Zur Auswahl der Kandidatinnen gehörte<br />
für Schwester Ignatia auch, dass sie<br />
ihnen von Anfang an nichts vormachte<br />
und die Härten, die das Ordensleben<br />
und der Krankendienst mit sich bringen,<br />
nicht beschönigte. Um denjeni-<br />
Gründungsjahre der Kongregation in München<br />
„Waschhausprobe“ für Kandidatinnen aus Liebeskummer<br />
gen, die sich aus f<strong>als</strong>chen Motiven um<br />
die Aufnahme bemühten, möglichst<br />
schnell klar zu machen, dass sie nicht<br />
aus wahrer Berufung handelten, hatte<br />
sie sich einen besonderen Härtetest<br />
ausgedacht: „Da kommen viele, die<br />
eine unglückliche Liebe gehabt haben<br />
und meinen, nun wollen sie <strong>Barmherzige</strong><br />
Schwester werden. Aber da schicke<br />
ich sie nur ins Waschhaus, um die ekelhafte<br />
Wäsche der Kranken zu waschen.<br />
Die meisten wollen noch am ersten Tage<br />
wieder fort; aber wenn eine das aushält,<br />
bei der ist es echt!“ 28<br />
Die Einkleidungen<br />
fanden 1832<br />
bis 1839 in<br />
der Elisabethkirche<br />
statt (Holzschnitt<br />
aus<br />
der Leipziger<br />
Illustrierten<br />
von 1846).<br />
55
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
56<br />
baten, vom Land kamen. Der Großteil der Landbevölkerung Bayerns kam<br />
dam<strong>als</strong> jedoch noch nicht in den Genuss einer ausreichenden Schulbildung.<br />
Ignatia erkannte, dass sie im rückständigen Bayern ihre Ansprüche etwas<br />
reduzieren musste: „Diese bayrischen Mädchen, die vom Lande kommen, haben<br />
viele Mühe, etwas zu begreifen. Aber wir sind zufrieden, wenn sie ihre tiefreligiöse<br />
Gesinnung behalten und <strong>als</strong> Schwestern dem nachkommen, was die heilige Regel<br />
von ihnen fordert. Der liebe Gott gibt dann schon seinen Segen dazu.“ 29<br />
Dennoch war sie um jede Kandidatin froh, die etwas lesen, schreiben<br />
und rechnen konnte. Die Ausbildung der Postulantinnen und Novizinnen<br />
umfasste deshalb neben der spirituellen Unterweisung und der Anleitung<br />
in der Krankenpflege auch Lese-, Schreib- und Rechenunterricht. Die<br />
Unterweisung des Ordensnachwuchses sollten die Novizenmeisterin und<br />
der Beichtvater der Schwestern übernehmen.<br />
Schwester Ignatia bemühte sich deshalb darum, für ihren Orden einen<br />
eigenen Beichtvater zu erhalten. Als Beichtväter waren den Schwestern<br />
zunächst die beiden Krankenhauskapläne zugeteilt worden, die jedoch schon<br />
mit den Krankenhauspatienten ausgelastet waren. Groß war deshalb die<br />
Freude der Schwestern, <strong>als</strong> ihnen im Juli 1833 Dr. Anton Holzschneller <strong>als</strong><br />
eigener Beichtvater zugeteilt wurde. Als dieser schon im April 1835 überraschend<br />
starb, empfahl ihr großer Gönner Schwäbl, inzwischen Bischof von<br />
Regensburg, den Schwestern den Präses der Marianischen Kongregation,<br />
Michael Sintzel, <strong>als</strong> Nachfolger. Sintzel war mit seinen knapp 30 Jahren<br />
noch sehr jung, galt aber <strong>als</strong> sehr fromm. Er hatte sich mit der Veröffentlichung<br />
zahlreicher Andachts- und Gebetsbücher einen Namen gemacht.<br />
Die Nachfrage nach dieser Art von religiöser Literatur war dam<strong>als</strong> in Bayern<br />
sehr groß, da seit der Zeit der Säkularisation Gebets- und Andachtsübungen<br />
ganz ungewohnt waren. So hatte Schwester Ignatia noch 1835 größte Mühe<br />
gehabt, einen Priester für die Exerzitien der Schwestern zu finden: „Nicht<br />
einmal der Beichtvater der Servitinnen weiß, wie man Exerzitien hält. Wir richten<br />
die Exerzitien stets auf acht bis zehn Tage ein. Aber denken Sie, wir müssen den<br />
Herren meist sagen, wie es gemacht und gehalten werden muß, da ihnen das alles<br />
fremd ist.“ 30<br />
In dieser Situation sahen die Schwestern es <strong>als</strong> großes Glück an, einen<br />
Beichtvater wie Sintzel zu erhalten, der nicht nur die nötigen Kenntnisse<br />
und Erfahrungen mit geistlichen Übungen hatte, sondern sogar <strong>als</strong> ausgesprochener<br />
Fachmann auf diesem Gebiet galt. Allerdings erwies sich Sintzel<br />
bald <strong>als</strong> nicht ganz unproblematisch. Wegen seiner Tätigkeit <strong>als</strong> Schriftsteller<br />
scheint er zeitweise seine Arbeit bei den Schwestern vernachlässigt zu haben,<br />
so dass er vom Ordinariat ermahnt werden musste, den Kandidatinnen mindestens<br />
4 Stunden Unterricht in der Woche zu erteilen. Zudem hatte Sintzel<br />
mit seinem Hang zur Mystik immer mehr und längere außerordent-
Gründungsjahre der Kongregation in München<br />
liche Andachten eingeführt, die schließlich zu einer übermäßigen Belastung<br />
für die durch den anstrengenden Krankendienst ohnehin stark geforderten<br />
Schwestern wurden. Auch hier mussten Ordinariat und Oberin gegensteuern.<br />
Die Neigung Sintzels zu übertriebener Mystik und Askese widersprach<br />
der Auffassung Schwester Ignatias von gesunder Frömmigkeit. Sie verstand<br />
es jedoch, ihren Beichtvater, den sie trotz allem sehr schätzte, immer wieder<br />
zu „erden“.<br />
Bei der Gestaltung des geistlichen Lebens der Gemeinschaft orientierte<br />
sich Schwester Ignatia ganz bewusst an der bewährten, im Mutterhaus in<br />
Straßburg gepflegten Tradition. Stets achtete sie darauf, dass die im Mutterhaus<br />
üblichen geistlichen Übungen und Gebete auch in der neuen Gemeinschaft<br />
in München gewissenhaft praktiziert wurden. Superior Hauber ließ<br />
deshalb für die Münchner Schwestern die Gebets- und Betrachtungsbücher<br />
drucken, die auch im Straßburger Mutterhaus in Gebrauch waren. Auch<br />
die traditionelle Verehrung des hl. Vinzenz von Paul durch die Straßburger<br />
<strong>Barmherzige</strong>n Schwestern führte Schwester Ignatia für den neuen Orden in<br />
München ein. So hatte Schwester Ignatia bald nach ihrer Ankunft 13 Bilder<br />
vom Leben des Heiligen von Straßburg nach München kommen und schön<br />
gerahmt im Refektorium aufhängen lassen. Auch die Tradition des alljährlichen<br />
Vinzenzfestes übernahmen die Münchner Schwestern.<br />
Die Grundlagen für die neue Ordensgemeinschaft waren gelegt, aber es<br />
war mehr <strong>als</strong> fraglich, ob der ursprünglich im Vertrag von 1832 vorgesehene<br />
dreijährige Aufenthalt der beiden Straßburger Schwestern ausreichen würde,<br />
den Orden in Bayern so weit zu festigen, dass sie beruhigt nach Straßburg<br />
zurückkehren könnten. Die Befürchtung, die positive Weiterentwicklung, ja<br />
der Bestand des Ordens könne bei der vorzeitigen Rückkehr der Straßburger<br />
Schwestern gefährdet sein, veranlasste den damaligen Beichtvater der<br />
Schwestern, Holzschneller, den Magistrat bereits im Juni 1834 zu drängen,<br />
sich um eine Aufenthaltsverlängerung für Schwester Ignatia und Schwester<br />
Apollonia zu kümmern. Umgehend beantragte der Magistrat daraufhin<br />
in Straßburg die Verlängerung des Vertrags. Die erstaunlich schnelle<br />
Reaktion des Magistrats zeigt, wie sehr man in München inzwischen den<br />
neuen Orden zu schätzen gelernt hat. Die Straßburger Generaloberin, die<br />
ihre Schwestern nur allzu gern wieder in Straßburg gesehen hätte, holte<br />
zunächst die Meinung der Münchner Oberin ein. Schwester Ignatia bestätigte<br />
ihrer Generaloberin, dass das ganze Unternehmen durch ihre und<br />
Schwester Apollonias vorzeitige Rückkehr gefährdet sein könnte, da noch<br />
keine der Kandidatinnen reif sei für die Nachfolge <strong>als</strong> Oberin. Derart von<br />
der Notwendigkeit überzeugt, stimmte Generaloberin Schwester Vinzenz<br />
Sultzer der Aufenthaltsverlängerung zu. Von ihrer Entscheidung verständigte<br />
das Münchner Ordinariat den Magistrat in einem Brief vom 5. August<br />
57
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
Superior<br />
Michael<br />
Hauber<br />
(Gemälde im<br />
Mutterhaus)<br />
58<br />
1834: „Die Achtung und huldvolle Gewogenheit, mit denen man die von hier aus<br />
geschickten Schwestern aufgenommen und seither behandelt hat, macht, dass die<br />
Frau Oberin von Straßburg mit Freude diese Gelegenheit benützt, den Freunden<br />
und Gönnern des Institutes in München dadurch ihre Dankbarkeit zu bezeigen.<br />
Die beiden Schwestern können <strong>als</strong>o … noch bleiben und an dem guten Werke, welches<br />
sie angefangen, fortarbeiten.“ 31<br />
3.3. Kampf um die Genehmigung der Statuten<br />
Schwester Ignatia wusste, dass es für die endgültige Etablierung ihres Ordens<br />
in Bayern unabdingbar sein würde, eine offizielle kirchliche und staatliche<br />
Genehmigung der Ordensstatuten zu erhalten. Der neue Superior Michael<br />
Hauber sah dies ebenso und machte sich schon kurz nach seinem Amtsantritt<br />
daran, Statuten zu entwerfen. Sie sollten sich weitgehend auf die<br />
Straßburger Regel stützen, gleichzeitig aber die besondere Lage in Bayern<br />
und München berücksichtigen. In Zusammenarbeit mit dem Straßburger<br />
Superior Thomas arbeitete Superior Hauber einen Entwurf aus, den er am<br />
1. Juni 1834 dem Münchner Ordinariat zur Genehmigung vorlegte. Die<br />
Bestätigung der Statuten durch das Ordinariat erfolgte bereits am 10. Juni<br />
1834, womit der neue Orden seine offizielle kirchenrechtliche Anerkennung<br />
erhielt.<br />
Das staatliche Genehmigungsverfahren sollte sich <strong>als</strong> weitaus schwieriger<br />
erweisen. Die Regierung nahm sich viel Zeit, die Statuten dahingehend zu<br />
überprüfen, ob sie mit der bayerischen<br />
Klostergesetzgebung übereinstimmten.<br />
Diese war jedoch<br />
sehr restriktiv und darauf ausgelegt,<br />
die staatliche Oberaufsicht<br />
über alle Orden zu garantieren.<br />
Dementsprechend abgeändert und<br />
ergänzt, wurden die Statuten dem<br />
Orden am 10. April 1835 zurückgeschickt.<br />
Schwester Ignatia und<br />
der Superior waren entsetzt. Die<br />
abgeänderte Fassung hätte dem<br />
Staat das Recht zugebilligt, massiv<br />
in die internen Angelegenheiten<br />
einzugreifen. So bestand der Staat<br />
auf einem Mitspracherecht bei der<br />
Auswahl der Kandidatinnen und
Gründungsjahre der Kongregation in München<br />
der endgültigen Aufnahme in den Orden. Außerdem beanspruchte er die<br />
Oberaufsicht über das gesamte Vermögen des Ordens.<br />
Aus Sicht der Regierung waren die Änderungen durchaus berechtigt,<br />
da sie der geltenden Klostergesetzgebung entsprachen. Schwester Ignatia<br />
dagegen empfand sie <strong>als</strong> ungeheuren Affront. War doch dem Mutterhaus<br />
in Straßburg in den Verträgen mehrfach zugesichert worden, dass die<br />
Schwestern in München nach den Regeln der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern in<br />
Straßburg leben könnten. Nachdem der Regierungspräsident ihren Protest<br />
lapidar mit dem Hinweis auf die geltende Gesetzgebung abgewiesen hatte,<br />
entschloss sich Schwester Ignatia, sich mit einer Eingabe an den König persönlich<br />
zu wenden.<br />
Die Eingabe vom 24. April 1835 zeugt von einer sehr klugen Argumentationsführung.<br />
Gegen die Oberaufsicht des Staates führte sie an, die<br />
Schwestern seien schon durch die Krankenhauskommission des Magistrats<br />
und die Krankenhausdirektion von staatlicher Seite genügend kontrolliert.<br />
Die kirchliche Kontrolle sei durch den Superior und die Oberaufsicht des<br />
Bischofs gewährleistet. Voll Entrüstung über das bayerische Vorgehen wies<br />
sie daraufhin, dass in Frankreich die Unabhängigkeit des Ordens von den<br />
Regierenden zu allen Zeiten respektiert worden sei, selbst während der<br />
Revolution und unter Napoleon. Sollte diese Unabhängigkeit in Bayern<br />
nicht garantiert werden, wolle sie lieber wieder nach Frankreich zurückkehren.<br />
Das stichhaltigste Argument, das Schwester Ignatia anbrachte, war<br />
jedoch der Hinweis darauf, dass der Orden der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
<strong>als</strong> vinzentinische Gemeinschaft kein Orden im herkömmlichen Sinne sei,<br />
demnach <strong>als</strong>o auch nicht unter die Klostergesetzgebung falle: „Obige allerhöchste<br />
Verordnung, die durchaus für Nonnenklöster berechtigt, kann auf das Institut<br />
der barmherzigen Schwestern nicht angewendet werden, da dieser Orden keine<br />
klösterliche Verfassung hat, sondern ein Verein katholischer Jungfrauen ist, die sich<br />
aus höheren Beweggründen dazu verstehen, nach gewissen Satzungen in Gemeinschaft<br />
unter einer Oberin zu leben, um sich aus Liebe zu Jesus dem Dienste der<br />
Armen und Kranken zu widmen, mit dem Vorbehalte, dass sie jederzeit frei und<br />
ungehindert austreten, und dass sie ebenso von den Oberen, wenn diese wichtige<br />
Gründe haben, entlassen werden können… Der Orden fordert zur Entwicklung<br />
seiner Tätigkeit möglichst freie Bewegung.“ 32<br />
Durch die Eingabe erst auf die kritische Situation aufmerksam geworden,<br />
machte der über das Vorgehen seiner Ministerialbürokratie empörte König<br />
seinen Räten klar, wie viel ihm am Fortbestehen des Ordens in Bayern<br />
lag: „Das will ich nicht, das will ich nicht, man soll die Schwestern machen lassen,<br />
wie sie es in Frankreich gewohnt waren, sonst gehen sie mir fort, und das ist doch<br />
mein liebster Orden in ganz Bayern. Quälen Sie sie nicht, sonst verlieren sie den<br />
Mut!“ 33<br />
59
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
60<br />
Um zu verhindern, dass die Schwestern mit ihrer Drohung, nach Frankreich<br />
zurückzukehren, ernst machten, setzte er sich in seiner bekannt autokratischen<br />
Regierungsweise mit einem Federstrich über die Gesetzgebung<br />
hinweg. Als Ausweg diente ihm dabei das Argument Schwester Ignatias, der<br />
Orden sei kein Orden im herkömmlichen Sinne, stünde somit außerhalb<br />
der Klostergesetzgebung. So genehmigte der König in einem Reskript vom<br />
30. Mai 1835 die Statuten der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern in der von ihnen<br />
gewünschten Form und begründete die Umgehung der geltenden Klostergesetzgebung<br />
mit der Sonderstellung dieses Ordens: „1) Der Orden der<br />
barmherzigen Schwestern nach der Regel des heiligen Vinzenz von Paul soll in<br />
Bayern <strong>als</strong> eine zunächst für die Krankenpflege in öffentlichen Kranken-Anstalten<br />
bestimmte religiöse Genossenschaft, jedoch ohne klösterliche Verfassung bestehen.<br />
2) Die Mitglieder desselben legen daher nur einfache, jährlich zu erneuernde Gelübde<br />
ab, und können, wenn sie diese nicht erneuern wollen, aus dem Orden freiwillig<br />
und ungehindert wieder austreten, oder von den Ordensobern aus hinreichenden<br />
Ursachen entlassen werden.“ 34<br />
Die genehmigten Statuten bestimmten die Münchner Niederlassung<br />
<strong>zum</strong> Mutterhaus für Bayern und berechtigten dieses zur Gründung von<br />
Filialen in weiteren bayerischen Städten. Der König behielt sich allerdings<br />
vor, ein weiteres Mutterhaus, angedacht war Würzburg, in Bayern zuzulassen.<br />
Als Oberin des Münchner Mutterhauses wurde Schwester Ignatia <strong>als</strong><br />
Generaloberin für ganz Bayern betrachtet. Zwei Assistenzschwestern sollten<br />
die Generaloberin unterstützen. Dazu wurden die Novizenmeisterin<br />
Schwester Apollonia und Schwester Xaveria Sturm bestimmt.<br />
Mit dem königlichen Reskript vom 30. Mai 1835 bekamen die <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern die landesherrliche Zulassung <strong>als</strong> geistliche Gemeinschaft<br />
in Bayern und wurden zu einer Körperschaft des öffentlichen Rechts.<br />
Somit war ein entscheidender Schritt getan: die rechtliche Existenzgrundlage<br />
der neuen Ordensgemeinschaft war gesichert.<br />
3.4. Erste grosse Bewährungsprobe:<br />
Choleraepidemie 1836/37<br />
Schwester Ignatia führte die Ordensgemeinschaft streng, aber liebevoll. Stets<br />
war sie um Wohlergehen und Gesundheit ihrer Schwestern besorgt. So hielt<br />
sie sie immer dazu an, ausreichend zu essen. Nichts unterließ sie, von dem sie<br />
hoffte, es würde der Gesundheit der Schwestern förderlich sein. So schaffte<br />
sie beispielsweise eine eigene Ziege für den Orden an, weil sie beobachtet<br />
hatte, dass Ziegenmilch der hustenden Schwester Apollonia Erleichterung<br />
verschafft hatte.
Gründungsjahre der Kongregation in München<br />
Umso mehr litt Schwester Ignatia darunter, dass trotz all ihrer Fürsorge<br />
immer wieder Schwestern erkrankten und nicht wenige davon starben:<br />
„Der liebe Gott prüft uns recht hart. Allezeit haben wir Kranke. Kaum dass eine das<br />
Krankenzimmer verlässt oder stirbt, so kommt wieder eine andere, die schwer krank<br />
wird.“ 35 Als die Münchner Generaloberin dies im Mai 1835 an die Straßburger<br />
Generaloberin schrieb, wusste sie noch nicht, dass bald noch eine<br />
weit härtere Bewährungsprobe auf die junge Ordensgemeinschaft zukommen<br />
sollte.<br />
Cholera, eine Brechdurchfallerkrankung, die schon seit Jahrhunderten<br />
in Indien bekannt war, begann sich von dort aus seit 1817 epidemieartig zu<br />
verbreiten. Europa erreichte die Seuche erstm<strong>als</strong> 1830/31. Die erste Choleraepidemie<br />
in Deutschland im Jahr 1831 verschonte Bayern. Nun aber, im<br />
Jahr 1836, ergriff die Seuche, wahrscheinlich von Oberitalien ausgehend,<br />
auch Bayern. Die ersten Fälle gab es in Mittenwald und Altötting. Schon<br />
kurze Zeit später, am 11. August, wurde im Allgemeinen Krankenhaus in<br />
München der erste Cholerapatient eingeliefert. Die Münchner Bevölkerung<br />
nahm die vereinzelten Cholerafälle der nächsten Monate recht gelassen<br />
zur Kenntnis und feierte wie immer ausgelassen das Oktoberfest. Unruhe<br />
breitete sich erst aus, <strong>als</strong> ab Ende Oktober die Cholera epidemieartige<br />
Züge annahm. Das besonnene Handeln der Regierung jedoch trug dazu<br />
bei, Panik zu verhindern. Um das Volk zu beruhigen, blieb Ludwig I. ganz<br />
bewusst mit seinem Hof in München und erließ effiziente Maßnahmen<br />
zur Bekämpfung der Seuche. So sorgten über die Stadt verteilte Suppenküchen<br />
für eine ausreichende Ernährung der Armen, eine Maßnahme, die<br />
<strong>als</strong> Vorbeugung gegen die Krankheit dienen sollte. Zur schnelleren und<br />
besseren medizinischen Versorgung wurden ambulante Krankenstationen<br />
in den einzelnen Stadtvierteln aufgebaut und zwei Notkrankenhäuser in<br />
der Max- und der Annavorstadt eingerichtet. Die Hauptlast der medizinischen<br />
Versorgung lag dennoch beim Allgemeinen Krankenhaus und somit<br />
zu einem guten Teil bei den dort pflegenden <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern. In<br />
den Monaten zwischen Oktober 1836 und Januar 1837, <strong>als</strong> die Cholera<br />
ihren Höhepunkt erreichte, wurden im Krankenhaus bis zu 53 statt der<br />
sonst etwa 14 Patienten täglich eingeliefert. Hinzu kam, dass es innerhalb<br />
des Krankenhauses zu Hausinfektionen kam. Patienten, die sich von anderen<br />
Krankheiten erholen mussten, waren besonders anfällig und steckten<br />
sich reihenweise an. Die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern waren Tag und Nacht<br />
im Einsatz und bemühten sich um die Kranken, teilweise bis zur völligen<br />
Erschöpfung. Trotzdem konnten sie nicht verhindern, dass sehr viele ihrer<br />
Patienten starben. Im Krankenhaus wurden nach dem offiziellen Cholerabericht<br />
des Münchner Polizeiarztes Kopp insgesamt 320 Cholerakranke<br />
behandelt, wovon 149 starben. 36<br />
61
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
62<br />
Eine jung verstorbene<br />
<strong>Barmherzige</strong> Schwester<br />
(Lithographie „So<br />
stirbt die Unschuld und<br />
Liebe“, vermutlich von<br />
Leopold Völlinger, eventuell<br />
aus der Zeit der<br />
ersten Choleraepidemie<br />
in München, EAM)<br />
Nicht nur die sehr hohe Zahl der Erkrankten, sondern vor allem auch<br />
die bei dieser Krankheit erforderliche intensive Pflege belastete die <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern sehr. Sie waren fast rund um die Uhr im Einsatz und<br />
gönnten sich kaum Ruhe. Es war nicht verwunderlich, dass sie bei dem<br />
engen Kontakt mit den Cholerakranken und ihrer körperlichen Erschöpfung<br />
ebenfalls Opfer der Seuche wurden. Ein großer Teil der Schwestern<br />
erkrankte. Zeitweise waren zehn Schwestern gleichzeitig krank, was eine<br />
dementsprechend höhere Belastung für die übrigen Schwestern bedeutete.<br />
Die Seuche forderte von der Ordensgemeinschaft einen furchtbaren Tribut:<br />
Innerhalb von nur fünf Wochen starben fünf der jungen Schwestern. Das<br />
erste Opfer war Schwester Xaveria Sturm, die Assistenzschwester der Generaloberin,<br />
eine der Novizinnen der ersten Einkleidung 1832. Dieser Verlust<br />
schmerzte Schwester Ignatia in besonderem Maße, hatte sie doch gerade<br />
in diese Schwester größte Hoffnungen gesetzt. Durch ihre liebevolle und<br />
geduldige Art war sie sehr beliebt gewesen. Weitere fünf Schwestern blieben<br />
nach ihrer Infizierung chronisch krank. Eine davon, Schwester Corbiniana<br />
Stelzer, ebenfalls eine der ersten Novizinnen von 1832, starb im April 1837<br />
an den Folgen der Cholera.<br />
Im Januar 1837 war die Cholera endlich abgeflaut, im Februar schon fast<br />
überstanden, offizielles Ende aber war erst der 1. März. Bevor die Schwestern<br />
jedoch aufatmen und sich etwas erholen konnten, schlug die nächste Epidemie<br />
zu. Im eiskalten und schneereichen März 1837 breitete sich eine Grippewelle<br />
in München aus. In ihrem ohnehin schon geschwächten Zustand<br />
erkrankten alle Schwestern. Die Generaloberin erlitt, da sie sich keine Schonung<br />
gönnte, zweimal einen Rückfall. Zur großen Erleichterung aller forderte<br />
die Grippe jedoch kein Todesopfer unter der Schwesternschaft.<br />
Während der Choleraepidemie war die Zahl junger Frauen, die um Aufnahme<br />
baten, nicht zurückgegangen. Ganz im Gegenteil, gerade in dieser<br />
schweren Zeit der ersten großen Bewährungsprobe, <strong>als</strong> offensichtlich wurde,<br />
wie hart, ja lebensgefährlich der Beruf einer <strong>Barmherzige</strong>n Schwester war,<br />
stieg die Zahl der Kandidatinnen weiter an. Der Heldenmut der Schwestern<br />
scheint eine unvorstellbar große Faszination auf gläubige junge Frauen aus-
Gründungsjahre der Kongregation in München<br />
geübt zu haben, ihrem Beispiel zu folgen, ihr ganzes Leben aus christlicher<br />
Nächstenliebe in den Dienst kranker Menschen zu stellen, bis hin zu der<br />
Konsequenz des eigenen sehr frühen Todes.<br />
Der Andrang neuer Kandidatinnen war so groß, dass in kurzer Zeit der<br />
Verlust der durch die Cholera gestorbenen Schwestern zahlenmäßig ausgeglichen<br />
war. Ja, Schwester Ignatia musste weitere Kandidatinnen schweren<br />
Herzens abweisen, da in der beengten Klosterklausur im Krankenhaus kein<br />
Platz mehr war. So wurde es unumgänglich, die während der Seuchenmonate<br />
auf Eis gelegten Pläne für einen Klosterbau wieder aufzugreifen.<br />
3.5. Ein eigenes Mutterhaus für die Schwestern<br />
Schon von Anfang an war allen Beteiligten klar, dass die Unterbringung<br />
der Schwestern im Krankenhaus nur eine Notlösung sein konnte. Für<br />
die wachsende Ordensgemeinschaft wurden die zur Verfügung gestellten<br />
Räume bald zu klein. Zudem benötigte das Krankenhaus die von den<br />
Schwestern belegten Krankensäle für seine Patienten. Schon im Juni 1833<br />
schrieb Schwester Ignatia nach Straßburg: „Man spricht viel davon, ein Kloster<br />
zu bauen samt einer schönen Kirche, und man hofft, der König werde etwas dazu<br />
beitragen.“ 37<br />
Gerade die Vertreter des Krankenhauses erkannten, dass es im Interesse des<br />
Krankenhauses war, die Zukunft des Ordens durch den Bau eines eigenen<br />
Mutterhauses und durch die Regelung des Unterhalts für die Schwestern<br />
zu sichern. So bedauert der Oberarzt von Walther, inzwischen überzeugt<br />
von der Qualität der Pflege durch die Schwestern, in seiner Abhandlung<br />
über die Situation am Allgemeinen Krankenhaus im Jahr 1835: „Leider aber<br />
fehlt es diesem wohltätigen Orden an einem Kloster … an einer Klosterkirche, an<br />
einem eigenen Fonds zur Kleidung, Beköstigung und anderweitigen Versorgung<br />
der Schwestern und ihrer geistlichen Oberin.“ 38 Außerdem befürchtete er eine<br />
Gesundheitsgefährdung: Die teilweise noch sehr jungen Schwestern würden<br />
sich leicht anstecken, manche seien sogar noch anfällig für Kinderkrankheiten<br />
und die Sterblichkeit sei erschreckend hoch. Bei der Choleraepidemie<br />
sollte sich zeigen, wie Recht von Walther mit seiner Einschätzung<br />
der Gesundheitsgefährdung der Schwestern gehabt hatte.<br />
Nachdem für den Orden durch die staatliche Anerkennung und die<br />
Übernahme der gesamten Ökonomie am Münchner Krankenhaus die<br />
Weichen Richtung Zukunft gestellt worden waren, beantragte Superior<br />
Michael Hauber offiziell beim König den Bau eines eigenen Mutterhauses<br />
zur Unterbringung von 100 Schwestern. 39 Bei Ludwig I. stieß er mit dieser<br />
Eingabe auf offene Ohren. Ludwigs Ziel war nach wie vor, möglichst<br />
63
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
64<br />
viele bayerische Krankenhäuser mit <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern zu versorgen.<br />
Auch dem König war klar, dass der Orden dafür ein geräumiges Mutterhaus<br />
benötigte, in dem mehr Kandidatinnen aufgenommen und ausgebildet werden<br />
könnten, <strong>als</strong> für den Bedarf im Allgemeinen Krankenhaus nötig waren.<br />
Im Krankenhaus hatte man mit Mühe und Not bisher nur die 50 Schwestern<br />
unterbringen können, die man im Haus selbst brauchte.<br />
Ohne zu zögern bewilligte der König deshalb den Antrag des Superiors.<br />
Allerdings war damit der Bau noch nicht gesichert, da der Antrag nun erst<br />
durch die Mühlen der bayerischen Bürokratie musste. Wie immer ging es<br />
vor allem um die Frage der Finanzierung. Nach dem Willen des Königs<br />
sollten sich sowohl die Stadt <strong>als</strong> auch der Staat an den Baukosten beteiligen.<br />
Einig waren sich alle Beteiligten nur darüber, dass der Neubau in unmittelbarer<br />
Nähe des Allgemeinen Krankenhauses entstehen sollte. Nach einer<br />
Idee des Königs sollte er aus Rücksicht auf die dort eingesetzten Schwestern<br />
mit dem Krankenhaus durch einen überdachten Verbindungsgang verbunden<br />
werden. Das Bewilligungsverfahren zog sich lange hin, sodass Schwester<br />
Ignatia am 5. August nach Straßburg meldete, man habe mit dem Bau<br />
immer noch nicht beginnen können: „In Bayern geht halt alles langsam. Gut’<br />
Ding will eben Weile haben.“ 40<br />
Endlich, am 17. August 1836, erfolgte die endgültige Bewilligung durch<br />
den König. Zur Finanzierung des Baus, dessen Kosten von den Behörden<br />
auf etwa 106.000 bis 110.000 Gulden veranschlagt waren, stellte der<br />
König einen Zuschuss von 20.000 Gulden vonseiten der Stadt München<br />
und 50.000 Gulden vonseiten der Regierung in Aussicht. Aus seiner eigenen<br />
Privatschatulle versprach er, 10.000 Gulden zuzuschießen. Den Rest<br />
müsse der Orden selbst aufbringen. Allerdings genehmigte er dem Orden<br />
die Durchführung einer öffentlichen Sammlung.<br />
Der am 6. Oktober 1836 von Generaloberin und Superior veröffentlichte<br />
Spendenaufruf fand große Resonanz. So kamen über 16.000 Gulden<br />
an Spenden zusammen. Davon stammte der größte Teil, nämlich ungefähr<br />
12.000 Gulden, von hochgestellten Persönlichkeiten, größtenteils aus dem<br />
bayerischen Königshaus. Aber auch das einfache Volk beteiligte sich rege im<br />
Rahmen seiner Möglichkeiten an der Spendenaktion. Mit diesen Spendengeldern<br />
und den vom König in Aussicht gestellten Zuschüssen von Stadt<br />
und Staat schien die Finanzierung weitgehend gesichert. Da der Stadtmagistrat<br />
die Bewilligung des städtischen Zuschusses davon abhängig gemacht<br />
hatte, dass der Orden selbst <strong>als</strong> Bauherr auftrat, übernahm Superior Hauber<br />
<strong>als</strong> Vertreter des Ordens diese Funktion.<br />
Er handelte mit dem Stadtmaurermeister Höchl aus, dass dieser für eine<br />
Pausch<strong>als</strong>umme von 100.000 Gulden den Bau erstellen sollte, die der Orden<br />
in neun Raten abzuzahlen hätte. Acht Raten zu je 10.000 fl. waren nach
Mutterhaus und<br />
Medizinische Klinik<br />
(früher Allgemeines<br />
Krankenhaus), Luftbild<br />
ca. 1970<br />
Gründungsjahre der Kongregation in München<br />
jeweils bestimmten Bauabschnitten zu bezahlen. Die neunte und letzte Rate<br />
sollte bei Fertigstellung in Höhe von 20.000 fl. fällig werden.<br />
Der König entschied sich Ende Oktober 1836, dass der Bau nach den<br />
Plänen des Hofarchitekten Friedrich von Gärtner ausgeführt werden sollte.<br />
Ziel Gärtners war es vor allem, dass sich das neue Kloster harmonisch an den<br />
Bau des Allgemeinen Krankenhauses anfügte, dessen Architekt sein Lehrer<br />
von Fischer war. Der Abstand des Klosters <strong>zum</strong> Krankenhaus musste so groß<br />
sein, dass den Krankensälen kein Licht durch das neue Gebäude genommen<br />
wurde. Der rechteckige Baublock des Mutterhauses sollte in Verlängerung<br />
der Südachse des Krankenhauses entstehen. Geplant war ein dreigeschossiger<br />
Bau, dessen vier Flügel einen Innenhof umschließen sollten. An der<br />
Westseite sollte die Mutterhauskirche <strong>als</strong> einschiffige Saalkirche mit einer<br />
gerundeten Apsis nach Westen entstehen. Eine zweigeschossige Empore<br />
an der Rückwand sollte Platz für die wachsende Schwesterngemeinschaft<br />
bieten.<br />
Als die Choleraepidemie endlich am Abklingen war, erfolgte Mitte Februar<br />
1837 der erste Spatenstich und die Grabarbeiten für die Fundamente<br />
begannen. Schon am 13. Mai 1837 konnte die Grundsteinlegung gefeiert<br />
werden. Auf Wunsch des Königs erfolgte sie unter Ausschluss der Öffentlichkeit,<br />
was aber der Feierlichkeit keinen Abbruch tat. In Anwesenheit von<br />
Vertretern der Stadt, der Geistlichkeit und des Krankenhauses legten Superior<br />
und Generaloberin nach den vorgeschriebenen Gebeten den vom Architekten<br />
und königlichen Oberbaurat Prof. Friedrich von Gärtner gespendeten<br />
Grundstein.<br />
Der Bau wurde zügig vorangetrieben, obwohl seine Finanzierung, wie<br />
sich bald herausstellte, noch nicht endgültig gesichert war. Die Landstände<br />
hatten den vom König in Aussicht gestellten staatlichen Bauzuschuss von<br />
65
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
66<br />
50.000 Gulden noch nicht genehmigt. Dies war auch der Grund, warum<br />
der König bei der Grundsteinlegung möglichst wenig öffentliche Aufmerksamkeit<br />
gewünscht hatte. Die Bedingungen für eine Bewilligung des staatlichen<br />
Finanzierungsbeitrags schienen alles andere <strong>als</strong> günstig zu sein. In<br />
der Abgeordnetenkammer hatte sich im Frühjahr 1837 massiver Widerstand<br />
gegen die Klosterpolitik Ludwig I. formiert.<br />
Seit seinem Regierungsantritt hatte der König die Wiedereinführung<br />
von Orden in Bayern in großzügigster Weise gefördert. Nicht weniger <strong>als</strong><br />
75 Ordensniederlassungen waren in diesen vergangenen zwölf Jahren entstanden.<br />
Ludwig konnte sich auf die Rechtsgrundlage des Konkordats von<br />
1817 berufen, in dem der bayerische König dem Heiligen Stuhl in Artikel 7<br />
zugestand, für den Unterricht und die Seelsorge wieder Orden zuzulassen.<br />
Die Ordensgegner in Bayern waren jedoch der Meinung, dass der König<br />
diesen Artikel des Konkordats inzwischen mehr <strong>als</strong> erfüllt hätte. Deshalb<br />
brachten sie im Juni 1837 einen Antrag in der Abgeordnetenkammer ein,<br />
dass mit staatlicher Hilfe kein Kloster mehr errichtet werden solle. Sollte<br />
ein Kloster aus privaten Mitteln eingerichtet werden, müsste es selbst über<br />
genügend Finanzmittel verfügen, um seinen Unterhalt zu sichern.<br />
In der Sitzung vom 28. Juni 1837 führte die Gesetzesvorlage zu einer<br />
heftigen Debatte zwischen Ordensgegnern und Ordensfreunden. Prof. von<br />
Ringseis, nicht nur Oberarzt am Allgemeinen Krankenhaus, sondern auch<br />
Abgeordneter, war einer der Fürsprecher der Klöster. Sein Hauptanliegen<br />
war, für die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern eine Sonderregelung zu erwirken.<br />
Nicht zuletzt wegen der offensichtlichen Verdienste, die sich die Schwestern<br />
während der Choleraepidemie erworben hatten, gelang es Ringseis, auch<br />
Abgeordnete, die alles andere <strong>als</strong> ordensfreundlich gesinnt waren, für eine<br />
Ausnahmeregelung für Krankenpflegeorden zu gewinnen. Daraufhin brachte<br />
die königliche Regierung einen Antrag in der Kammer ein, den Mutterhausbau<br />
mit einer einmaligen Zahlung von 50.000 fl. zu unterstützen und<br />
dem Orden für seinen Unterhalt in den nächsten sechs Jahren je 10.000 fl.<br />
jährlich zuzubilligen. Während sich die Abgeordneten relativ schnell bereit<br />
erklärten, dem einmaligen Bauzuschuss zuzustimmen, stieß die jährliche<br />
Unterhaltszahlung zunächst auf starke Bedenken und konnte erst bei der<br />
3. Vorlage am 2. November 1837 endgültig durchgesetzt werden. Dies war<br />
wiederum hauptsächlich das Verdienst von Rngseis mit seinen Argumenten,<br />
der bayerische Staat sei laut Reichsdeputationsschluss von 1803 verpflichtet,<br />
das durch die Säkularisation eingenommene Vermögen <strong>zum</strong>indest teilweise<br />
wieder wohltätigen Zwecken zuzuführen. Außerdem berief er sich<br />
auf das Konkordat von 1817, in dem zugesagt wurde, in Bayern wieder<br />
Klöster einzurichten und mit einer entsprechenden Dotation zu versehen.<br />
Die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern hätten deshalb einen Rechtsanspruch auf
Gründungsjahre der Kongregation in München<br />
einen Unterhaltszuschuss durch<br />
den Staat.<br />
Schließlich einigten sich<br />
die Abgeordneten darauf, dass<br />
die 50 im Krankenhaus tätigen<br />
Schwestern von der Stadt finanziert<br />
werden sollten, für die<br />
darüber hinausgehende Zahl<br />
an Schwestern sollte der Staat<br />
die Kosten übernehmen. Dafür<br />
sollte der Orden vom Staat eine<br />
jährliche Unterhaltsleistung von<br />
10.000 Gulden für die nächsten<br />
sechs Jahre erhalten. Nach Ausbildung<br />
dieser Schwestern und<br />
ihrem Einsatz in anderen Krankenhäusern<br />
sollten diese für<br />
ihren Unterhalt aufkommen.<br />
Ausschlaggebend für das letztlich positive Ergebnis war sicher neben der<br />
Überzeugungsarbeit von Ringseis, dass selbst überzeugte Ordensgegner die<br />
Verdienste der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern am Allgemeinen Krankenhaus für<br />
die Krankenpflege allgemein und insbesondere während der Cholerazeit<br />
anerkennen mussten. Sie ließen sich, nachdem sie sich näher über den Orden<br />
informiert hatten, von seinem segensreichen Wirken überzeugen und sprachen<br />
voll Anerkennung und Lob von ihm. Ein protestantischer Abgeordneter<br />
meinte sogar, der Orden der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern sei die einzige<br />
Einrichtung, um die er <strong>als</strong> Protestant die katholische Kirche beneide.<br />
Zur großen Beruhigung der Ordensoberen hatte der Mutterhausbau<br />
nun endlich eine solide Finanzierungsgrundlage. Der Rohbau des neuen<br />
Klosters stand bereits bei Einbruch des Winters 1837/38. Allerdings nahm<br />
der Innenausbau noch fast zwei weitere Jahre in Anspruch.<br />
Groß war die Freude der Schwestern, <strong>als</strong> am 29. September 1839 die<br />
Einweihung gefeiert werden konnte. Schon Tage vorher hatten sie begonnen,<br />
Kloster und Kirche mit Blumen und Kränzen zu schmücken. Erzbischof<br />
Lothar Anselm von Gebsattel ließ es sich trotz seines hohen Alters<br />
nicht nehmen, die Einweihungszeremonie persönlich zu leiten. Unter der<br />
Assistenz zahlreicher Geistlicher weihte der greise Erzbischof den Hauptaltar<br />
zu Ehren des hl. Vinzenz von Paul und die Seitenaltäre zu Ehren des hl.<br />
Josef und der hl. Elisabeth. Bei der anschließenden Pontifikalmesse war auch<br />
die Öffentlichkeit zugelassen. Aus Dankbarkeit gegenüber ihrem großen<br />
Wohltäter Ludwig I. wurde das Messopfer der Einweihungsfeier und der<br />
Das alte<br />
Altarbild<br />
der Mutterhauskirche<br />
von 1839<br />
(Gemälde<br />
von Robert<br />
von Langer)<br />
67
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
68<br />
Der Garten des Mutterhauses<br />
(aus dem<br />
Leporello „Ansichten<br />
von dem Kloster<br />
der barmherzigen<br />
Schwestern in München“,<br />
C. Heindel’s<br />
Kunstanstalt München,<br />
ca. 1840)<br />
jährlichen Gedächtnistage für ihn aufgeopfert. Ganze 8 Tage lang feierten<br />
die Schwestern mit täglichem Hochamt und nachmittäglicher Litanei die<br />
Einweihung ihres neuen Hauses, wobei auch der übrigen Wohltäter des<br />
Baus und der 36 bereits verstorbenen Schwestern gedacht wurde.<br />
Wie glücklich war die junge Ordensgemeinschaft, <strong>als</strong> sie am 30. September<br />
ihr neues Kloster beziehen konnte, das laut Pressemeldung „ein seinem<br />
Zwecke entsprechendes, einfaches und prunkloses, aber doch großartiges Gebäude mit<br />
freundlichen, hohen und geräumigen Sälen, Zimmern und Gängen“ 41 war.<br />
Größere Sorgfalt <strong>als</strong> auf die innere Einrichtung des Hauses verwendete<br />
der Orden auf die Ausschmückung der Kirche, die der Mittelpunkt des<br />
Hauses werden sollte. Für ihre Kirche mit dem leicht ovalen Grundriss<br />
erwarben die Schwestern künstlerisch gestaltete Glasfenster <strong>zum</strong> Herstellerpreis<br />
bei der Nymphenburger Porzellanmanufaktur. Auf Wunsch Schwester<br />
Ignatias schuf der königliche Akademieprofessor von Langer ein großes<br />
Altarbild, das den Ordensstifter Vinzenz von Paul umgeben von <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern, Missionspriestern und Kranken und Waisen zeigte. Von<br />
Langer schuf auch die Altarbilder der beiden Seitenaltäre.<br />
Die Innenausstattung ließ die Baukosten auf 135.000 bis 150.000 Gulden<br />
ansteigen. Ohne zahlreiche weitere Spenden hätte der Orden diese<br />
Kosten nicht tragen können. Insbesondere Angehörige des Königshauses<br />
trugen zudem mit Sachspenden zur Ausstattung der Kirche bei. So spendete<br />
König Ludwig I. die ehemalige Orgel des protestantischen Betsa<strong>als</strong> der<br />
Residenz.<br />
Damit sich die Schwestern ungestört vom Publikumsverkehr des Allgemeinen<br />
Krankenhauses und geschützt vor Regen und Hitze erholen<br />
konnten, genehmigte die königliche Regierung den Bau eines überdachten<br />
Arkadenganges im Krankenhausgarten. Ausgeschmückt wurde dieser Gang<br />
von den Schwestern mit Kreuzwegstationen und mit Bildern aus der könig-
Mutterhaus und Allgemeines<br />
Krankenhaus mit<br />
dem überdachten Verbindungsgang<br />
(ebenfalls aus<br />
dem Leporello von 1840)<br />
Gründungsjahre der Kongregation in München<br />
lichen Gemäldegalerie, die ihnen der König, begeistert von den schönen<br />
Arkaden, <strong>als</strong> Leihgabe angeboten hatte.<br />
Die junge Ordensgemeinschaft hatte nun endlich ihr lang ersehntes<br />
eigenes Haus, wie auch die Presse zur Eröffnung zufrieden feststellte: „Das<br />
Mutterhaus der wackern <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern steht nun herrlich und bequem<br />
ausgebaut in dem schön angelegten Garten hinter dem Hauptgebäude da. So ist<br />
das städtische Allgemeine Krankenhaus in München jetzt eine Musteranstalt der<br />
Menschlichkeit und Wohltätigkeit, in allen einzelnen Einrichtungen in jeder Hinsicht<br />
vortrefflich.“ 42<br />
Mutterhaus und Allgemeines Krankenhaus gingen in den folgenden<br />
anderthalb Jahrhunderten eine einzigartige Symbiose ein. Eine Symbiose,<br />
die die Entwicklung des Krankenhauswesens in München entscheidend<br />
beeinflussen sollte. Als Symbol für diese Symbiose stand der von Generationen<br />
von Assistenzärzten scherzhaft <strong>als</strong> „Aquaeductus Sylvii“ bezeichnete<br />
Verbindungsgang zwischen Krankenhaus und Mutterhaus. Dieser Fachbegriff<br />
aus der Medizin steht für einen Verbindungsgang im menschlichen<br />
Gehirn, dessen Unterbrechung schwerwiegende, ja lebensbedrohende Folgen<br />
haben würde. So wurde demnach auch die Zusammenarbeit zwischen<br />
Mutterhaus und Krankenhaus <strong>als</strong> existentiell für ein gutes Funktionieren<br />
der Klinik gesehen.<br />
Doch dieses neue Haus war nicht nur für die weitere Entwicklung des<br />
Allgemeinen Krankenhauses von größter Bedeutung. Mit dem Mutterhaus<br />
hatten die Schwestern nun eine Zentrale, von der aus die Ausbreitung des<br />
Ordens in ganz Bayern geleitet und gesichert werden konnte.<br />
*<br />
69
70<br />
Kapitel 4<br />
Erfolgreiche Entwicklung<br />
des Ordens unter<br />
Schwester Ignatia Jorth<br />
4.1. Gründung der ersten Filialen in Bayern<br />
Schon bei der Einführung des Instituts der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern in<br />
Bayern war es das erklärte Ziel von König Ludwig I, die Schwestern nicht<br />
nur am Allgemeinen Krankenhaus in München, sondern in möglichst vielen,<br />
ja am liebsten in allen Krankenhäusern in Bayern einzusetzen. Diesen<br />
Wunsch hatte er bereits bei der ersten Audienz, die er Schwester Ignatia im<br />
Herbst 1832 gewährte, sehr deutlich <strong>zum</strong> Ausdruck gebracht. In den Statuten<br />
des Ordens ließ er in § 3 ausdrücklich festlegen, dass das Mutterhaus<br />
berechtigt ist, Filialen zu gründen. Er hatte zudem darauf bestanden, dass ein<br />
weiteres Mutterhaus in Bayern eingerichtet werden sollte, nach Möglichkeit<br />
in Würzburg.<br />
Der König stand mit diesem Wunsch keineswegs allein. Kaum hatte<br />
sich die Einführung des neuen Instituts herumgesprochen, gingen zahlreiche<br />
Anfragen beim Magistrat in München ein, in denen Städte aus ganz<br />
Bayern Interesse bekundeten, ebenfalls <strong>Barmherzige</strong> Schwestern an ihren<br />
Krankenhäusern einzuführen. Anfragen kamen aus vielen Städten, wie<br />
Augsburg, Nürnberg, Regensburg, Ansbach, Bamberg, Kempten, Dillingen,<br />
Straubing, Landsberg und Passau. In diesen Briefen wurde die Stadt München<br />
meist auch um eine Beurteilung der Arbeit des Ordens am Krankenhaus<br />
gebeten. Die Antwortschreiben zeugen davon, wie überaus zufrieden<br />
der Magistrat mit der Arbeit der Schwestern in Bezug auf Krankenpflege<br />
und Hauswirtschaft war. Dieses hervorragende Zeugnis bestärkte die<br />
interessierten Städte, ihr Ansinnen noch nachdrücklicher zu vertreten und<br />
die Generaloberin zu bestürmen, Schwestern für ihre Krankenhäuser zu<br />
schicken.
Erfolgreiche Entwicklung des Ordens unter Schwester Ignatia Jorth<br />
Generaloberin Schwester Ignatia war darüber zunächst alles andere <strong>als</strong><br />
glücklich. Mit ihrem ausgeprägten Sinn für das Machbare war ihr klar, dass<br />
die junge Kongregation noch nicht reif war für eine bayernweite Ausbreitung.<br />
Von den ihr anvertrauten jungen Schwestern hielt sie noch keine für<br />
fähig, <strong>als</strong> Oberin eine Filiale eigenständig zu führen. So schrieb sie am 4.<br />
August 1833 nach Straßburg: „Mehr <strong>als</strong> sechs Städte arbeiten zurzeit daran,<br />
Schwestern zu erhalten. Mir wird es Angst dabei. Die Zeit ist noch nicht gekommen,<br />
da unsere jungen Schwestern doch noch nicht erfahren genug sind, um neben der<br />
Krankenpflege auch die Verwaltung von Häusern zu übernehmen.“ 43 Schwester<br />
Ignatia befürchtete durch die Übernahme eines Projektes, dem sie noch<br />
nicht gewachsen wären, eine Überforderung der jungen Schwestern und<br />
eine Schädigung des Ansehens des gesamten Ordens. Aus diesen Gründen<br />
lehnte sie zunächst alle Anfragen ab.<br />
Der König hatte die Absicht, im Würzburger Julius-Spital ein zweites<br />
bayerisches Mutterhaus der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern einzurichten. Als der<br />
Würzburger Bischof deshalb im Sommer 1833 genauere Informationen einholte,<br />
schrieb Schwester Ignatia wieder voll Sorge an die Straßburger Generaloberin:<br />
„Beten Sie doch, liebe Frau Mutter, dass nichts aus dem Plane wird, bis<br />
wir geeignete Leute haben, um ein so bedeutendes Spital zu übernehmen.“ 44<br />
Im Gegensatz zu Schwester Ignatia sah Superior Hauber die Übernahme<br />
von weiteren Krankenhäusern in diesem frühen Stadium <strong>als</strong> weit weniger<br />
problematisch an. Dass Hauber die Münchner Oberin drängte, den Willen<br />
des Königs nach Übernahme<br />
von weiteren Häusern möglichst<br />
bald zu erfüllen, kommt deutlich<br />
in einem Brief Schwester Ignatias<br />
an die Generaloberin in Straßburg<br />
<strong>zum</strong> Ausdruck: „Niemand ist<br />
geschwinder bei der Hand, wenn es<br />
neue Häuser zu übernehmen heißt, <strong>als</strong><br />
der Superior. Noch letzthin habe ich<br />
ihm gesagt, die Herren sollten doch<br />
noch ein paar Jahre warten. Er antwortete<br />
aber, der liebe Gott werde schon<br />
helfen!“ 45<br />
Im Jahr 1835 musste Schwester<br />
Ignatia endgültig ihren Widerstand<br />
aufgeben, <strong>als</strong> der König ausdrücklich<br />
wünschte, dass der Orden das<br />
städtische Krankenhaus in Landshut<br />
übernähme. Verhandlungen mit der<br />
Altes städtischesKrankenhaus<br />
in<br />
Landshut,<br />
An der<br />
Lände<br />
71
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
72<br />
dortigen Stadtverwaltung liefen schon seit 1833 und fanden im April 1835<br />
ihren Abschluss, <strong>als</strong> Schwester Ignatia mit ihrer Novizenmeisterin Schwester<br />
Apollonia persönlich nach Landshut reiste und sich vor Ort ein Bild von<br />
der Lage machte. Als Oberin für die neue Niederlassung wählte sie Schwester<br />
M. Benonia Stanglmeier aus. Diese war eine der Schwestern der ersten<br />
Einkleidung und hatte sich schon unter Schwester Mechtildis am Münchner<br />
Krankenhaus bewährt. Trotzdem hatte die Generaloberin Bedenken,<br />
ob sie der Aufgabe gewachsen wäre. Nach Straßburg schrieb sie, Schwester<br />
Benonia könne zwar schön schreiben, rechnen und nähen, aber vom Haushalt<br />
verstehe sie nichts. Deshalb habe sie ihr zwei Schwestern mitgegeben,<br />
die von der Hauswirtschaft mehr verstünden. Allerdings sei die Auswahl an<br />
geeigneten Schwestern noch sehr gering. An das Landshuter Krankenhaus<br />
sollten insgesamt 6 Schwestern aus München abgegeben werden. Diese 6<br />
reisten am 21. Juli 1835 zusammen mit der Generaloberin und dem Superior<br />
in zwei vom Landshuter Magistrat zur Verfügung gestellten Wagen zu<br />
ihrem neuen Einsatzort. Obwohl sie schon um 6.00 Uhr früh abgereist<br />
waren, kamen die Schwestern erst am Abend im Landshuter Spital an, wo<br />
für sie schon Zimmer vorbereitet waren. Abgesehen von den Zimmern für<br />
die Schwestern, die in einen ordentlichen Zustand gebracht worden waren,<br />
waren die Zustände im übrigen Haus anscheinend alles andere <strong>als</strong> erfreulich.<br />
So fehlten Einrichtungsgegenstände, Wäsche für die Kranken und Geschirr.<br />
Auch die Reinlichkeit ließ viel zu wünschen übrig. Eine Hauskapelle war<br />
vorhanden, musste aber erst noch benediziert werden und für den Gottesdienst<br />
mussten die Gewänder und Geräte beim Ursulinenkloster entliehen<br />
werden. Am 25. Juli war alles soweit geordnet, dass die feierliche Einführung<br />
der Schwestern erfolgen konnte. Nach dem Gottesdienst stellte der Superior<br />
dem Ärztepersonal und dem Magistrat im Refektorium die Schwestern vor.<br />
Auf Initiative Schwester Ignatias ließ der Landshuter Magistrat am 9. August<br />
einen Spendenaufruf für das finanziell völlig unzureichend ausgestattete<br />
Krankenhaus im „Landshuter Morgenblatt“ abdrucken. Die Bevölkerung,<br />
die der Ankunft der Schwestern sehr wohlwollend gegenüber stand, zeigte<br />
sich äußerst spendabel, so dass schnell eine Verbesserung der finanziellen<br />
Lage erzielt werden konnte. Mit diesem Geld und städtischen Zuschüssen<br />
konnten nun die nötigsten Anschaffungen getätigt werden, so vor allem<br />
neue Wäsche, Betten und Matratzen und weiteres Geschirr.<br />
Die Entwicklung der ersten auswärtigen Niederlassung der Münchner<br />
Kongregation wurde von der Öffentlichkeit sehr genau beobachtet. Vertreter<br />
kirchlicher und staatlicher Behörden inspizierten die Einrichtung, um<br />
sich ein Bild zu machen. Da sich die Veränderung <strong>zum</strong> Positiven schon sehr<br />
schnell und deutlich zeigte, fand das Wirken der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
auch die entsprechende Anerkennung in der Öffentlichkeit. So schrieb das
Erfolgreiche Entwicklung des Ordens unter Schwester Ignatia Jorth<br />
„Landshuter Wochenblatt“ am 4. September 1836, <strong>als</strong>o gerade mal ein Jahr<br />
nach der Übernahme: „Allein so groß auch die Kosten waren, welche der Stadtmagistrat<br />
auf Restauration des Krankenhauses verwendete, so ist es gewiß, daß der<br />
edle und gute Zweck nur zur Hälfte würde erreicht worden sein, wenn nicht die<br />
<strong>Barmherzige</strong>n Schwestern an diesem Werke den tätigsten Anteil genommen hätten…<br />
Dem stillen, harmonischen Zusammenwirken der sechs <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
wurde jedoch der schönste Lohn: nach einem Jahr sieht der Menschenfreund eine<br />
Krankenanstalt vor sich, welche hinsichtlich ihrer neueren Einrichtung fast mit allen<br />
Krankenhäusern des Vaterlandes auf gleicher Stufe steht, ja mehrere und zwar größere<br />
Städte weit hinter sich lässt.“ 46<br />
Nachdem sich die erste Filialgründung <strong>als</strong> so erfolgreich erwiesen hatte,<br />
wagte Schwester Ignatia den nächsten Schritt. Schon seit dem Tod der<br />
Frau des Verwalters des Heilig-Geist-Spit<strong>als</strong> im Frühjahr 1836 versuchte<br />
der Münchner Magistrat, die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern zur Übernahme<br />
dieses alten und bedeutenden Spit<strong>als</strong> zu bewegen. Wie schon erwähnt, war<br />
es seit 1823 im ehemaligen Elisabethspital in der heutigen Mathildenstraße<br />
untergebracht und inzwischen eine reine Pfründneranstalt geworden.<br />
Wegen der günstigen Lage des Hauses nahe beim Allgemeinen Krankenhaus<br />
hielt Schwester Ignatia die Übernahme für <strong>zum</strong>utbar für ihre junge<br />
Schwesterngemeinschaft.<br />
Ein schwerer Schlag für die Kongregation war, <strong>als</strong> unmittelbar nach der<br />
Übernahme die Cholera im Spital zahlreiche Opfer forderte. Die durchwegs<br />
schon älteren Insassen, die teilweise ihre Gesundheit durch ungesunden<br />
Lebenswandel stark geschwächt hatten, konnten der Seuche nicht<br />
genügend Widerstand entgegensetzen.<br />
Der Schritt über die Bistumsgrenzen: Regensburg und Neumarkt<br />
Trotz der ungeheuren Belastung durch die Choleraepidemie und des Baubeginns<br />
für das Mutterhaus wurde gerade das Jahr 1837 besonders fruchtbar,<br />
was die Gründung weiterer Filialen anbetraf. Jetzt wagte man sogar<br />
den Schritt über die Grenzen des Erzbistums München und Freising hinaus.<br />
Schon Anfang April 1837 reisten die Schwestern Ignatia und Apollonia<br />
zusammen mit Superior Hauber nach Regensburg, um wegen der<br />
Übernahme des dortigen katholischen Krankenhauses, das dem Domkapitel<br />
unterstand, mit dem Regensburger Bischof Schwäbl zu verhandeln. Der<br />
Superior reiste von dort nach Neumarkt in der Oberpfalz weiter, wo ein<br />
Wohltäter dem Krankenhaus 4000 Gulden spenden wollte, falls die <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern es übernehmen sollten. Es kam sowohl mit Regensburg<br />
<strong>als</strong> auch mit Neumarkt zu einer Einigung.<br />
73
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
74<br />
Am 14. Oktober 1837 erfolgte die feierliche Einführung von fünf <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern am Regensburger Krankenhaus. Schwester Ignatia, die<br />
wie immer ihre Schwestern zu ihrem neuen Einsatzort begleitete, musste<br />
gleich nach dem Gottesdienst weiter in Richtung Neumarkt reisen, wohin<br />
Beichtvater Sintzel mit den für das Neumarkter Krankenhaus vorgesehenen<br />
Schwestern schon vorausgereist war. Die Generaloberin schonte sich nicht<br />
bei der zweitägigen Reise von Regensburg nach Neumarkt. Um 4 Uhr früh<br />
fuhr sie schon weiter, um rechtzeitig zur Einführungsfeier in Neumarkt zu<br />
sein. Im Gegensatz zu dem Aufwand, der für die Einführungsfeierlichkeiten<br />
betrieben worden war, war das Neumarkter Krankenhaus äußerst ärmlich.<br />
Die Schwestern mussten dort noch jahrelang unter großem Mangel leiden,<br />
da das Krankenhaus wie viele Einrichtungen dam<strong>als</strong> sehr dürftig eingerichtet<br />
und finanziell unzureichend abgesichert war.<br />
Auf der Rückreise von Neumarkt besuchte die Generaloberin ihre<br />
Schwestern in Landshut. Der dortige Magistrat sprach ihr seine Zufriedenheit<br />
mit der Entwicklung am Krankenhaus aus und stellte ihr in Aussicht,<br />
der Orden könne auch das Pfründner- und Waisenhaus übernehmen. Zu<br />
der Verwirklichung dieser Absicht kam es jedoch erst im Jahr 1843.<br />
Aufbruch nach Franken: Aschaffenburg und Orb<br />
Im Jahr 1837 stand eine weitere Übernahme an, die sich aber schwieriger<br />
gestaltete. Auf ausdrücklichen Wunsch des Königs sollten die Schwestern<br />
das Krankenhaus in Aschaffenburg übernehmen. Ludwig I. wollte unbedingt<br />
die Ausbreitung des Ordens nach Franken.<br />
Die mehr<strong>jährigen</strong> Verhandlungen mit Würzburg waren aus mehreren<br />
Gründen erfolglos geblieben. Schwester Ignatia hatte sich lange dagegen<br />
gesträubt, mit ihren jungen, unerfahrenen Schwestern ein so renommiertes<br />
Spital wie das Juliusspital zu übernehmen. Aber auch die Würzburger<br />
selbst hatten gezögert, Schwestern aus Altbayern nach Würzburg zu holen,<br />
da in der fränkischen Bevölkerung eine feindliche Haltung gegenüber allem<br />
Altbayerischem stark verbreitet war. Viele Franken nahmen den Altbayern<br />
die Vereinnahmung Frankens im neuen bayerischen Königreich übel. So<br />
hätten die Würzburger lieber Schwestern aus Straßburg geholt. Die Verhandlungen<br />
mit Straßburg scheiterten jedoch ebenfalls, da die Würzburger<br />
mehr Schwestern benötigten <strong>als</strong> Straßburg hätte abgeben können. Zudem<br />
wussten die Straßburger Oberen um die Bedenken Schwester Ignatias, sollte<br />
in Würzburg ein zweites bayerisches Mutterhaus entstehen.<br />
Als nun die Anfrage wegen Aschaffenburg kam, zögerte Schwester Ignatia<br />
ebenfalls, ihre Schwestern in das „feindliche“ Franken zu schicken. Auch
Krankensaal<br />
des<br />
Städtischen<br />
KrankenhausesAschaffenburg<br />
Erfolgreiche Entwicklung des Ordens unter Schwester Ignatia Jorth<br />
erschien ihr die Entfernung Aschaffenburgs vom Mutterhaus in München<br />
<strong>als</strong> problematisch. Man benötigte dam<strong>als</strong> immerhin 80 Stunden in<br />
der Postkutsche für diese Strecke. Doch alles Sträuben nutzte nichts, da<br />
König und Regierung diesem Projekt große Bedeutung <strong>zum</strong>aßen und die<br />
Generaloberin dementsprechend unter Druck setzten. Dort übernahmen<br />
vier <strong>Barmherzige</strong> Schwestern am Elisabethtag, dem 19. November 1837, die<br />
Einrichtung für Kranke, Waisen und Pfründner.<br />
Die Befürchtungen der Generaloberin bestätigten sich. Die Schwestern<br />
stießen in Aschaffenburg zunächst auf viel Feindseligkeit bei den Ärzten,<br />
Behörden und der Bevölkerung. So schrieb Schwester Ignatia nach Straßburg:<br />
„Mit den Aschaffenburgern haben wir viel Unangenehmes. Wir haben uns ja<br />
lange geweigert, ins Frankenland zu gehen. Die Franken wollen nämlich nichts mit<br />
den Altbayern zu tun haben, weil sie glauben, gescheiter zu sein <strong>als</strong> diese. Jetzt sind<br />
sie aber auch noch grob mit den Schwestern, sodaß ich dem Bürgermeister mit der<br />
Zurückziehung der Schwestern drohen mußte. Das wollen sie nun aber doch nicht;<br />
der König würde ihnen auch etwas erzählen!“ 47<br />
Nein, der König wollte dieses Unternehmen keineswegs gefährdet sehen.<br />
Er forderte schon im Jahr darauf, <strong>als</strong>o 1838, eine weitere Schwester für<br />
Aschaffenburg an. Schwester Ignatia begleitete diese Schwester und nutzte<br />
diese Gelegenheit, um nach dem Rechten zu sehen. Auch ihr war daran<br />
gelegen, dass das nun schon einmal begonnene Projekt nicht scheiterte. Wie<br />
viel der Regierung am Gelingen lag, sieht man unter anderem daran, dass sie<br />
der Generaloberin für die Fahrt von zwei Tagen und zwei Nächten einen<br />
eigenen Postwagen zur Verfügung stellte.<br />
Der König, der sich gerade in seiner Residenz in Aschaffenburg aufhielt,<br />
<strong>als</strong> Schwester Ignatia dort eintraf, empfing sie zu einer langen Audienz.<br />
Er ließ sich von ihr über die Entwicklung der Kongregation allgemein<br />
75
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
76<br />
informieren und speziell über die Probleme in Aschaffenburg. Er sprach<br />
dem Orden sein vollstes Vertrauen aus und bat die Generaloberin, ihr Werk<br />
weiter so zielstrebig fortzusetzen. So groß die Freude Schwester Ignatias<br />
war über das Wohlwollen des Königs, so wenig erfreut war sie über seinen<br />
Wunsch, der Orden solle zusätzlich noch das Krankenhaus in der Stadt Orb<br />
übernehmen. Orb, heute Bad Orb in Hessen, war 1814 mit dem ehemaligen<br />
Fürstentum Aschaffenburg an Bayern gefallen. Das Städtchen im Spessart<br />
war bis dahin durch Salzhandel relativ wohlhabend gewesen. Die neue bayerische<br />
Regierung verbot Orb den Handel mit Salz, um diese Konkurrenz<br />
für Reichenhall auszuschalten. Der Wegfall seiner Haupteinnahmequelle<br />
hatte für Orb verheerende Folgen: Stadt und Umland verarmten völlig.<br />
Die bayerische Regierung, die für die katastrophalen Zustände dort<br />
unmittelbar verantwortlich war, sah sich gezwungen, der Stadt etwas unter<br />
die Arme zu greifen. Eine Maßnahme war die Gründung eines Krankenhauses<br />
im Jahr 1834. Für diese Einrichtung, die neben Kranken auch Waisen<br />
und Pfründner versorgen sollte, wünschte Ludwig I. die <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern. Erst nachdem ihr der König in der Audienz die Not der Bevölkerung<br />
und auch die damit einhergehende große sittliche Verwahrlosung<br />
anschaulich geschildert hatte, erklärte sich Schwester Ignatia bereit, diese<br />
Aufgabe für ihre ohnehin schon bis an die Grenzen der Belastbarkeit geforderte<br />
Ordensgemeinschaft zu übernehmen. Mit der ihr eigenen Tatkraft<br />
reiste sie sofort von Aschaffenburg nach Orb, um die dortigen Verhältnisse<br />
und das sich noch im Bau befindliche Krankenhaus in Augenschein zu nehmen.<br />
Sie erreichte, dass beim Bau alles berücksichtigt wurde, was später für<br />
den Betrieb im Sinne des Ordens nötig sein würde. Außerdem machte sie<br />
in ihrem Bericht an die Regierung deutlich, dass es unumgänglich sei, dass<br />
das Krankenhaus auf eine gesunde finanzielle Basis gestellt werde. Die endgültige<br />
Übernahme des Hauses in Orb erfolgte im Jahr 1840.<br />
Im selben Jahr übernahm die Kongregation auch das Kranken- und<br />
Armenhaus in Haidhausen, aus dem später das Klinikum Rechts der Isar<br />
hervorging. 1841 folgte die Übernahme des alten Stadtkrankenhauses am<br />
Anger in München, das seit der Eröffnung des Allgemeinen Krankenhauses<br />
nur noch <strong>als</strong> Armenhaus diente. Da die finanzielle Absicherung dieses<br />
Hauses nicht ausreichte, entschloss sich Schwester Ignatia, die Verpflegung<br />
von 12 Frauen und 12 Männern auf Kosten des Ordens zu übernehmen.<br />
Nachdem im Jahr darauf auch das finanziell wesentlich besser gestellte<br />
Josephspital unter die Leitung des Ordens gestellt wurde, waren alle dam<strong>als</strong><br />
in München bestehenden Armenanstalten in der Hand der <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern.<br />
Auch außerhalb Münchens ging die Filialgründung voran. 1841 übernahmen<br />
die Schwestern das Spital in Eichstätt und 1842 das städtische Spital
Erfolgreiche Entwicklung des Ordens unter Schwester Ignatia Jorth<br />
von Neunburg vorm Wald. Im Jahr darauf ging zusätzlich <strong>zum</strong> dortigen<br />
Spital auch das Waisenhaus in Landshut in die Obhut der Schwestern über.<br />
Im selben Jahr übernahmen sie auch das Krankenhaus in Bad Tölz, im Jahr<br />
darauf das Krankenhaus in Ingolstadt.<br />
Besonderes Sorgenkind der Generaloberin war und blieb das Spital in<br />
Orb. Die Generaloberin reiste zur Einführung der Schwestern am 19.3.1840<br />
dorthin. Trotz der langen und anstrengenden Fahrt von immerhin 90 Stunden<br />
besuchte sie Orb im September desselben Jahres noch einmal, um dort<br />
die Errichtung einer Kinderbewahranstalt für 200 Kinder im Alter von 2 bis<br />
5 Jahren in die Wege zu leiten. Aufgrund ihrer anschaulichen Schilderung<br />
der dortigen Not in ihren Berichten an Regierung und König bewilligten<br />
diese mehrfach Zuschüsse. Während dem König in erster Linie daran lag, die<br />
Not der am Spital in sehr armseligen Verhältnissen lebenden Schwestern zu<br />
lindern („Die Schwestern sollen es besser haben!“ 48 ), betonte Schwester Ignatia<br />
immer wieder, es gehe ihr nicht um eine Besserstellung ihrer Schwestern,<br />
sondern um Hilfe für die Armen: „Wir wollen es nicht besser haben, wenn wir<br />
nur den Armen helfen können; dafür sind wir da!“ 49<br />
In diesen Jahren der Filialgründungen nahm die nicht mehr junge Generaloberin<br />
unglaublich viele, lange und strapaziöse Reisen auf sich. Stets<br />
begleitete sie ihre Schwestern zu ihren neuen Einsatzorten. Hinzu kamen<br />
noch die regelmäßigen Visitationsreisen zu den Neugründungen, um sie<br />
in den schwierigen Anfangsjahren zu unterstützen und ihre positive Entwicklung<br />
sicher zu stellen. Um die Generaloberin bei ihrer ausgedehnten<br />
Reisetätigkeit etwas zu unterstützen, gewährte ihr der König freie Fahrt auf<br />
allen Linien der Königlichen Post.<br />
Es wären durchaus noch mehr bayerische Städte an den <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern interessiert gewesen. Wenn die Stadtverwaltungen nicht bereit<br />
waren, auf ihre Rahmenbedingungen für den Einsatz ihrer Schwestern<br />
einzugehen, nahm die Generaloberin das Scheitern der Verhandlungen in<br />
Kauf. So kam es zu keiner Einigung mit Würzburg, Straubing, Dillingen<br />
und Bamberg. Auch die sich schon so lange hinziehenden Verhandlungen<br />
mit Augsburg führten vorerst nicht <strong>zum</strong> Erfolg. Die vom König gewünschte<br />
und forcierte Einführung der Schwestern in der bayerischen Pfalz scheiterte<br />
am Widerstand der dort großteils protestantischen Bevölkerung, die<br />
befürchtete, die katholischen Schwestern würden versuchen, die Kranken<br />
und Sterbenden in den Spitälern zu missionieren.<br />
Im Jahr 1844 waren die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern bereits in 16 Einrichtungen<br />
in ganz Bayern tätig. Die schnelle Ausbreitung des Ordens in diesen<br />
Jahren war nur deshalb möglich, weil auch die absolute Zahl der Schwestern<br />
kontinuierlich stieg, auf immerhin schon 186 Mitglieder im Jahr 1845. 50<br />
Doch die erste Generaloberin des neuen Mutterhauses in München sorgte<br />
77
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
78<br />
in ihrer Amtszeit nicht nur für eine erstaunlich schnelle Ausbreitung ihres<br />
Ordens im Königreich Bayern, sondern parallel dazu auch im Nachbarland<br />
Österreich.<br />
4.2. „Geburtshilfe“ für Niederlassungen in Österreich<br />
In Österreich gab es bereits einige Klöster der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern,<br />
die alle die Straßburger Regel befolgten, ja teilweise von Straßburg aus<br />
gegründet worden waren. So gingen die Niederlassungen in Wien und<br />
Zams auf Katharina Lins zurück, die in Straßburg ausgebildet worden war<br />
und <strong>als</strong> Schwester Josepha Nikolina nach Österreich zurückgekehrt war.<br />
Nach dem Vorbild von Zams waren in Tirol weitere ähnliche Einrichtungen<br />
in Imst und Ried entstanden. Um diese innerlich und äußerlich noch nicht<br />
recht gefestigten Niederlassungen zu unterstützen, nahm Schwester Ignatia<br />
im Mai 1836 zwei Schwestern aus Ried und eine aus Imst zur Ausbildung<br />
in München auf.<br />
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Ausbreitung der<br />
<strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern vom<br />
Mutterhaus<br />
Straßburg aus
Innsbruck<br />
Erfolgreiche Entwicklung des Ordens unter Schwester Ignatia Jorth<br />
Doch der Fürstbischof Bernhard Galura von Brixen wollte mehr. Sein Ziel<br />
war ein neues Krankenhaus in der Tiroler Hauptstadt Innsbruck, das die<br />
<strong>Barmherzige</strong>n Schwestern übernehmen sollten. Unter der Leitung dieses<br />
neuen Mutterhauses sollten zudem Zams, Imst und Ried vereinigt werden.<br />
Der gute Ruf, den die Münchner Kongregation inzwischen in Bayern<br />
genoss, hatte sich bis nach Österreich ausgebreitet. So war es nicht weiter<br />
verwunderlich, dass sich der Bischof an das Münchner Mutterhaus um<br />
Unterstützung bei der Verwirklichung seiner Pläne wandte. Einer Anfrage<br />
aus Innsbruck im Jahr 1835, Schwestern <strong>zum</strong> Aufbau des neuen Mutterhauses<br />
zu entsenden, konnte Schwester Ignatia zu ihrem großen Bedauern<br />
nicht entsprechen, da sie in Bayern selbst jede Schwester benötigte. Als<br />
Alternative bot sie an, österreichische Kandidatinnen in München auszubilden.<br />
So trafen im Mai 1837 vier Kandidatinnen, denen später noch zwei<br />
weitere folgen sollten, im Münchner Mutterhaus ein. In Innsbruck hatte<br />
inzwischen Stadtpfarrer Duille mit Unterstützung des Bischofs einen eigenen<br />
„Verein zur Gründung eines Instituts der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
in Innsbruck“ gegründet, der Spenden für den Bau eines neuen Krankenhauses<br />
und eines künftigen Mutterhauses sammelte. Krankenhaus und<br />
Kloster, das Platz für 60 Schwestern bot, wurden bereits im April 1839 fertig.<br />
Für den 1. Mai 1839 war die feierliche Übernahme durch den Orden<br />
geplant. Vier von den sechs Tiroler Kandidatinnen waren inzwischen so<br />
weit, dass sie nach Innsbruck zurückkehren sollten. Allerdings wären sie<br />
noch nicht imstande gewesen, ein Haus allein zu führen. Deshalb wurden<br />
ihnen auf Wunsch des Innsbrucker Stadtpfarrers zwei erfahrene Münchner<br />
Schwestern mitgegeben. Schwester M. Vinzentia Balghuber wurde<br />
zur Oberin bestimmt, Schwester M. Aloisia Aigner zur Novizenmeisterin.<br />
Am 16. April reisten sie in Begleitung von Generaloberin und Superior<br />
in München ab. Nach einer Kutschenfahrt von 36 Stunden kamen sie am<br />
17. April in Innsbruck an, wo sie sehr herzlich empfangen wurden. Da zwar<br />
die Gebäude fertig gestellt waren, aber die innere Einrichtung noch fast<br />
völlig fehlte, blieb die Generaloberin für drei Wochen in Innsbruck und<br />
kümmerte sich darum, dass die Schwestern mit dem Nötigsten versorgt<br />
wurden. Dabei wurde sie kräftig von der Bevölkerung unterstützt, die den<br />
Schwestern Sachspenden wie Hausgeräte und Wäsche, aber auch Lebensmittel<br />
zukommen ließ.<br />
Als Schwester M. Vinzentia Balghuber im Jahr 1841 in Graz gebraucht<br />
wurde, löste sie Schwester M. Aloisia Aichner <strong>als</strong> Oberin ab. Bald jedoch<br />
hatte sich die neue Niederlassung in Innsbruck schon so weit konsolidiert,<br />
dass auch Schwester M. Aloisia nach München zurückgerufen werden und<br />
79
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
80<br />
eine der in München ausgebildeten Schwestern selbst die Aufgabe der Oberin<br />
übernehmen konnte.<br />
Innsbruck sollte sich <strong>als</strong> äußerst fruchtbar erweisen. Aus der frommen<br />
katholischen Bevölkerung Tirols fanden sich viele Kandidatinnen. Eine<br />
Reihe von weiteren Niederlassungen wurde von Innsbruck aus gegründet.<br />
Bereits 5 Jahre nach Gründung des neuen Mutterhauses gehörten zu ihm<br />
6 Niederlassungen mit insgesamt 70 Schwestern. Zams, dem vorher Imst und<br />
Ried angegliedert worden waren, wurde 1844 mit Innsbruck vereinigt.<br />
Von Zams aus wurde später die Niederlassung in Zagreb (=Agram)<br />
gegründet. Zagreb wiederum war entscheidend für die Ausbreitung des<br />
Ordens in Ost- und Südosteuropa, <strong>als</strong>o in Bosnien, Istrien, Dalmatien,<br />
Serbien, Bulgarien und sogar der Türkei.<br />
Graz<br />
Auch der Grazer Fürstbischof Roman Sebastian Zängerle von Seckau war<br />
stark daran interessiert, <strong>Barmherzige</strong> Schwestern in seinem Bistum einzuführen.<br />
Nachdem er vergeblich bei den Vinzentinerinnen in Lemberg,<br />
Paris und Zams angefragt hatte, wandte er sich auf den Rat des Brixener<br />
Bischofs Galura an das Münchner Mutterhaus. Schwester Ignatia erklärte<br />
sich wiederum bereit, Kandidatinnen auszubilden. So wurden im Verlauf<br />
von zwei Jahren insgesamt 8 Kandidatinnen aus der Steiermark nach Bayern<br />
geschickt. Unter den ersten 5 Kandidatinnen, die 1837 in München eintrafen,<br />
war die Gräfin Maria Josefa von Brandis, eine Persönlichkeit, die sich<br />
durch Bildung, aber auch Frömmigkeit auszeichnete. In sie wurden große<br />
Hoffnungen gesetzt. Bereits Ende 1838 wurden 4 Kandidatinnen aus Graz<br />
eingekleidet, weitere 4 in den Jahren 1839 und 1840. 1840 konnten die<br />
ersten 5 bereits Profess feiern.<br />
In Graz schien es zunächst einige Schwierigkeiten zu geben. Während<br />
der Bischof für die Schwestern ein eigenes Spital bauen lassen wollte,<br />
bestand die Stadtverwaltung darauf, dass der Orden das schon bestehende<br />
Allgemeine Krankenhaus der Stadt übernehmen sollte. Auch der Bau eines<br />
eigenen Hauses für die Schwestern erwies sich zunächst <strong>als</strong> problematisch.<br />
Im Februar 1841 wurde schließlich die Baugenehmigung für das Schwesternhaus<br />
erteilt. Bis zur Einweihung des Hauses am 19. Juli 1842 mussten<br />
die Schwestern im Krankenhaus selbst untergebracht werden.<br />
Nach langen und schwierigen Verhandlungen mit der Grazer Stadtverwaltung<br />
machte sich die Generaloberin am 15. April 1841 auf den Weg nach<br />
Graz. Begleitet wurde sie von den nun schon seit einigen Jahren in München<br />
ausgebildeten Schwestern und Novizinnen aus der Steiermark und
Erfolgreiche Entwicklung des Ordens unter Schwester Ignatia Jorth<br />
der aus Innsbruck abgerufenen<br />
Schwester M. Vinzentia<br />
Balghuber. Schwester<br />
Vinzentia sollte auch in<br />
Graz vorläufig <strong>als</strong> Oberin<br />
fungieren. Als Novizenmeisterin<br />
war Maria Josepha<br />
von Brandis vorgesehen,<br />
die seit ihrer Einkleidung<br />
den Namen Schwester M.<br />
Leopoldine trug. Auf ihrer<br />
langen Reise quer durch<br />
Österreich wurden die<br />
Schwestern, wie eine Grazer<br />
Zeitung berichtet, von<br />
der Bevölkerung sehr freudig<br />
willkommen geheißen:<br />
„Ihre Reise durch die Steiermark<br />
glich einem Triumphzuge.<br />
An allen Orten hatte sich eine<br />
unzählige Menge von Menschen versammelt, um jene heldenmütigen Jungfrauen<br />
zu sehen und zu bewillkommnen, die ihr ganzes Leben dem Dienste der armen<br />
Kranken gewidmet haben.“ 51<br />
Entsprechend herzlich war auch der Empfang bei ihrer Ankunft in Graz<br />
am 22. April 1841, wo man über die erfolgreiche Einführung des Instituts<br />
der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern nach den schwierigen Verhandlungen<br />
sehr froh war. An der sehr feierlichen offiziellen Einführung des Ordens<br />
am 24. April nahm die Bevölkerung regen Anteil. Der Münchner Generaloberin<br />
verlieh der Grazer Magistrat <strong>als</strong> besondere Anerkennung für ihre<br />
Verdienste um die Einführung der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern in Graz das<br />
Ehrenbürgerrecht.<br />
Auch die neue Niederlassung in der Steiermark entwickelte sich gut.<br />
Schon in den ersten Wochen baten 12 Kandidatinnen um die Aufnahme.<br />
Nach der feierlichen Grundsteinlegung in Gegenwart des österreichischen<br />
Kaiserpaars am 27. August 1841 konnten die Schwestern im Juli 1842 ihr<br />
neues Mutterhaus beziehen. Bereits im Jahr darauf war die Kongregation<br />
schon soweit konsolidiert, dass die in den ersten beiden Jahren <strong>als</strong> Oberin in<br />
Graz fungierende Schwester M. Vinzentia Balghuber wieder nach München<br />
zurückkehren konnte. In Schwester M. Leopoldine hatte sie eine fähige<br />
und würdige Nachfolgerin, die die Kongregation in Graz fast 60 Jahre lang<br />
leiten sollte.<br />
Schwester M.<br />
Leopoldine<br />
von Brandis<br />
(1815 – 1900)<br />
leitete das<br />
Mutterhaus<br />
in Graz.<br />
81
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
Der kommissarische<br />
Direktor des<br />
Allgemeinen<br />
Krankenhauses,<br />
Prof.<br />
von Ringseis,<br />
bestätigt,<br />
dass die<br />
genannten<br />
Schwestern<br />
nach<br />
Schwarzach<br />
bei Salzburg<br />
reisen, um<br />
dort das<br />
Krankenhaus<br />
zu<br />
übernehmen.<br />
82<br />
Salzburg<br />
Salzburg wollte hinter Innsbruck und Graz nicht zurückstehen und ebenfalls<br />
die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern einführen. Hatte es doch gerade hier<br />
schon früher Versuche gegeben, diesen Orden zu gründen. So hatte sich die<br />
Wiener Gräfin Lesniowska zusammen mit drei Gefährtinnen im Straßburger<br />
Mutterhaus von November 1829 bis März 1830 ausbilden lassen. Nach<br />
ihrer Rückkehr hatte sie versucht, das Institut in Salzburg zu gründen, war<br />
aber am Widerstand der österreichischen Regierung gescheitert.<br />
Erzbischof Friedrich Fürst von Schwarzenberg gab diesen Plan jedoch<br />
nicht auf und ergriff nun die neue Chance, mit Hilfe des Münchner Mutterhauses<br />
nach dem Vorbild der anderen österreichischen Neugründungen<br />
den Orden in Salzburg zu etablieren. Dazu schickte er 1840 zwei Kandidatinnen<br />
zur Ausbildung nach München, denen später noch drei folgten. Es<br />
zog sich jedoch noch weitere vier Jahre hin, bis die Einführung des Instituts<br />
auch im Salzburger Land glückte. Inzwischen hatten die 5 Schwestern in<br />
den Jahren 1843 und 1844 bereits ihre Gelübde abgelegt.<br />
Im August 1844 konnten die 5 Salzburger Schwestern in Begleitung<br />
ihrer Novizenmeisterin Apollonia Schmitt und des erzbischöflichen Sekretärs<br />
Augustin Embacher, der <strong>zum</strong> ersten Superior der neuen Gemeinschaft<br />
bestimmt worden war, nach<br />
Österreich zurückkehren.<br />
Schweren Herzens verzichtete<br />
die Generaloberin dieses<br />
Mal auf die Begleitung der<br />
jungen Schwestern, da in<br />
München der lang ersehnte<br />
Besuch der Straßburger<br />
Generaloberin erwartet<br />
wurde, die in diesen Tagen<br />
<strong>zum</strong> ersten und einzigen<br />
Mal das neue Mutterhaus in<br />
München besuchte.<br />
Der Erzbischof hatte für<br />
den jungen Orden ein altes<br />
Kloster in Schwarzach herrichten<br />
lassen. Schwester M.<br />
Aloisia Aigner, die nach der<br />
Abberufung Schwester M.<br />
Vinzentias für drei Jahre Oberin<br />
in Innsbruck gewesen war,
Erfolgreiche Entwicklung des Ordens unter Schwester Ignatia Jorth<br />
wurde nun nach Schwarzach versetzt. Sie sollte auch hier die Neugründung<br />
<strong>als</strong> Oberin leiten, bis sie sich soweit gefestigt hatte, dass eine der Salzburger<br />
Schwestern selbst das Amt übernehmen konnte. Dies war bereits im März<br />
1845 der Fall. Die vorher schon <strong>als</strong> Novizenmeisterin fungierende Schwester<br />
M. Ambrosia Preisinger wurde zur ersten Generaloberin gewählt. Als sie<br />
15 Jahre später das Mutterhaus nach Salzburg verlegte, hatte die Kongregation<br />
bereits 18 Filialen. Über drei Jahrzehnte leiteten Generaloberin Schwester<br />
Ambrosia und Superior Embacher das Salzburger Mutterhaus.<br />
Noch in zwei weiteren Städten des österreichischen Kaiserreiches gab<br />
es Bestrebungen, die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern mit Hilfe der Münchner<br />
Schwestern einzuführen, nämlich in Linz und in Laibach. Auch diese Städte<br />
schickten Kandidatinnen zunächst nach München, dann jedoch zur weiteren<br />
Ausbildung ins Wiener Mutterhaus.<br />
Dem Münchner Mutterhaus war innerhalb kürzester Zeit und unmittelbar<br />
nach der Gründung der eigenen Kongregation Erstaunliches gelungen:<br />
Neben der zügigen Ausbreitung im Königreich Bayern gründete es in<br />
Österreich drei neue Kongregationen. Während die bayerischen Niederlassungen<br />
Filialen des Mutterhauses waren, die diesem untergeordnet waren,<br />
wollte Schwester Ignatia, dass die österreichischen Gründungen möglichst<br />
schnell ihre Unabhängigkeit erreichten. Schon nach wenigen Jahren waren<br />
Innsbruck, Graz und Salzburg völlig unabhängige Mutterhäuser. Allerdings<br />
gaben Graz und Salzburg später diese Autonomie aus freien Stücken auf<br />
und schlossen sich dem Pariser Mutterhaus an.<br />
4.3. Ein Erholungsheim für die Schwestern<br />
in Berg am Laim<br />
Die schnelle Ausbreitung des Ordens in Bayern und in Österreich hatte leider<br />
auch eine Schattenseite. Wie von Schwester Ignatia befürchtet, bedeutete<br />
diese Expansion eine ungeheure Belastung für die selbst noch so junge<br />
Münchner Ordensgemeinschaft. Laufend mussten die fähigsten Schwestern<br />
an die zahlreichen Filialen abgegeben werden. Sowohl in diesen Filialen <strong>als</strong><br />
auch im Mutterhaus selbst kamen die Schwestern durch die großen Anforderungen,<br />
denen sie sich ausgesetzt sahen, häufig an den Rand ihrer Kräfte.<br />
Das führte dazu, dass trotz aller Fürsorge der Generaloberin die Sterblichkeit<br />
der jungen Schwestern nicht nur aufgrund der Choleraepidemie erschreckend<br />
hoch war. Auch die Zahl kränkelnder Schwestern wuchs kontinuierlich<br />
an. Diese Entwicklung beobachteten nicht nur die Ordensoberen,<br />
sondern auch der König voll Sorge. Ludwig I. kam zu der Überzeugung,<br />
dass die Schwestern dringend ein Erholungsheim auf dem Land bräuch-<br />
83
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
Historische<br />
Ansicht der<br />
Josephsburg<br />
in Berg am<br />
Laim<br />
84<br />
ten, in dem sich kranke und erschöpfte Schwestern in aller Ruhe erholen<br />
könnten.<br />
So beauftragte er Ordenssuperior Hauber, sich nach einem geeigneten<br />
Haus umzuschauen. Der Superior wurde in Berg am Laim fündig. Der heutige<br />
Stadtteil im Osten von München war dam<strong>als</strong> noch ein Dorf auf dem<br />
Land, ungefähr eine Stunde zu Fuß von München entfernt. Hauber schien<br />
die dortige Josephsburg geeignet, die nach der Säkularisation aus dem Besitz<br />
des Kölner Erzbistums und Kurfürstentums in den Besitz des bayerischen<br />
Staates übergegangen war. Diese Burg hatte der jüngste Bruder des Kurfürsten<br />
Max Emanuel, Joseph Clemens von Bayern, gleichzeitig Bischof von<br />
Freising, Regensburg und Köln, im Jahr 1692 errichten lassen. Sein Neffe<br />
und Nachfolger, Clemens August von Bayern, hatte im 18. Jahrhundert die<br />
bisherige Michaelskapelle durch die großartige Rokokokirche von Johann<br />
Michael Fischer ersetzen lassen, die auch heute noch den Stadtteil Berg<br />
am Laim dominiert. Die Kirche diente der von Bischof Joseph Clemens<br />
gegründeten Erzbruderschaft vom hl. Michael <strong>als</strong> Heiligtum und war Hofkirche<br />
des Kölner Erzbischofs. Betreut wurde sie bis zur Säkularisation im<br />
Jahr 1802 von den Franziskanern.<br />
Als sich der Superior für die Josephsburg zu interessieren begann, war die<br />
Kirche bereits seit Jahrzehnten völlig vernachlässigt worden und in einem<br />
dementsprechend desolaten Zustand. Von der Josephsburg selbst wurde<br />
nur der Südflügel genutzt. Hier war seit 1807 die Dorfschule samt Lehrerwohnung<br />
untergebracht. Der Superior beantragte, die Schule in den ungenutzten<br />
Nordflügel zu verlegen und den Südflügel mit Garten dem Orden<br />
für 2000 Gulden zu überlassen, damit dort ein Erholungs- und Rekon-
Erfolgreiche Entwicklung des Ordens unter Schwester Ignatia Jorth<br />
valeszentenheim für die Schwestern<br />
eingerichtet werden könnte.<br />
König und Behörden genehmigten<br />
den Antrag, so dass am 17. August<br />
1840 der Kaufvertrag abgeschlossen<br />
werden konnte. Zur Leiterin<br />
wurde Schwester M. Franziska Ernst<br />
bestimmt. Eine der ersten Aufgaben<br />
der Schwestern war, die Kirche wieder<br />
in einen würdigen Zustand zu<br />
versetzen, was angesichts der fortgeschrittenen<br />
Verwahrlosung kein<br />
einfaches Unternehmen gewesen<br />
sein dürfte. Kirche und Haus waren<br />
Ende 1840 so weit hergerichtet, dass<br />
die ersten erholungsbedürftigen<br />
Schwestern dort versorgt werden konnten.<br />
Zu den 2000 Gulden für den Kauf wurden für die nötige Renovierung<br />
und die Einrichtung weitere 6000 Gulden benötigt. Königin Caroline,<br />
bereits mehrfach <strong>als</strong> Gönnerin des Ordens in Erscheinung getreten, hatte<br />
nach der Besichtigung des neuen Heimes den Schwestern zugesagt, die<br />
gesamten Renovierungskosten zu übernehmen. Bevor sie ihr Versprechen<br />
einlösen konnte, starb sie am 13. November 1841. Eine ihrer Töchter, Sophie,<br />
die Erzherzogin von Österreich, die sie bei der Besichtigung begleitet hatte,<br />
machte daraufhin an Stelle ihrer toten Mutter eine größere Spende, sodass<br />
die Finanzierung gesichert war.<br />
Als die Zahl der Schwestern im kommenden Jahrzehnt weiterhin stark<br />
anstieg, erwarb der Orden im Jahr 1853 auch den Nordflügel der Burg, um<br />
Die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern halten Königin Caroline die<br />
Treue<br />
Am 13. November 1841 verstarb die erste<br />
bayerische Königin Caroline. Als sie an der<br />
Seite ihres Mannes, König Max I. Joseph,<br />
in der Theatinerkirche bestattet werden<br />
sollte, kam es <strong>zum</strong> Eklat. Der Erzbischof<br />
von München und Freising, von Gebsattel,<br />
hatte jegliche Feierlichkeit anlässlich<br />
der Bestattung der protestantischen<br />
Caroline verboten, was zur Folge hatte,<br />
dass diese in einer sehr unwürdigen<br />
Form verlief. Der Trauerzug mit den adeligen<br />
Verwandten musste mit dem Sarg<br />
eine Viertelstunde vor dem Kirchenportal<br />
warten. Den evangelischen Geistlichen<br />
wurde der Zutritt in die Kirche verwehrt.<br />
Die katholischen Geistlichen holten den<br />
Sarg schließlich am Eingang ab und<br />
begleiteten ihn ohne jegliche Zeremonie<br />
zur Gruft. Zwar hielt der Geistliche Rat<br />
Hauber, neben seinem Amt <strong>als</strong> Superior >>><br />
Königin<br />
Caroline<br />
von Bayern,<br />
1776 – 1841<br />
(Gemälde<br />
von Joseph<br />
Stieler)<br />
85
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
86<br />
dort die Novizinnen unterzubringen. Berg am Laim sollte bis auf einige<br />
Unterbrechungen im 20. Jahrhundert bis Ende der 60er Jahre der Sitz des<br />
Noviziats bleiben.<br />
4.4. Akzeptanz des Ordens in der Öffentlichkeit<br />
Zahlreiche Briefe von Patienten oder deren Angehörigen zeugen von der<br />
Dankbarkeit für die gute Pflege durch die Schwestern. Hin und wieder gab<br />
es jedoch auch Patienten, die an der Behandlung durch das Pflegepersonal<br />
im Krankenhaus etwas auszusetzen hatten. Obwohl sich die Kläger häufig<br />
<strong>als</strong> notorische Querulanten herausstellten, nahmen die zuständigen Behörden<br />
die Beschwerden immer sehr ernst und versuchten zu klären, inwieweit<br />
sie berechtigt waren. Meist konnten die Vorwürfe schnell durch gegenteilige<br />
Aussagen anderer Patienten und der Ärzteschaft ausgeräumt werden. Wurden<br />
einmal tatsächlich Versäumnisse nachgewiesen, sorgte die Generaloberin<br />
für rasche Abhilfe.<br />
In manchen Gegenden und Städten Bayerns versuchten Gegner der<br />
katholischen Orden, die Einführung der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern zu<br />
verhindern, und scheuten dabei mitunter auch nicht vor Verleumdungen<br />
zurück. Gerade in Regionen mit konfessionell gemischter Bevölkerung<br />
wurden die Schwestern sehr aufmerksam beobachtet, ob sie andersgläubige<br />
Patienten zu missionieren versuchten. Kamen den Behörden derartige<br />
Vorwürfe zu Ohren, forderten sie die Generaloberin auf, ihren Schwestern<br />
derartige Missionierungsversuche unverzüglich zu untersagen.<br />
Allerdings gibt es auch Belege, dass sich andersgläubige Patienten bei den<br />
Schwestern sehr gut versorgt fühlten. So überreichte die israelitische Kultusgemeinde<br />
von München der Generaloberin im Jahr 1839 eine Standuhr<br />
<strong>als</strong> Dank für die gute Pflege der jüdischen Kranken am Allgemeinen Krankenhaus.<br />
Auch protestantische Patienten fühlten sich bei den Schwestern<br />
der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern auch Hofprediger<br />
der Theatinerkirche St. Kajetan,<br />
eine ergreifende Ansprache für die von<br />
ihm sehr geschätzte ehemalige Königin.<br />
Er musste dabei jedoch auf das Priestergewand<br />
verzichten, um nicht den Eindruck<br />
zu erwecken, es handele sich um<br />
eine Predigt.<br />
In dieser angespannten Situation – König<br />
Ludwig I. fühlte sich von der katholischen<br />
Kirche durch diese unwürdige Behand-<br />
lung seiner Stiefmutter vor den Kopf<br />
gestoßen – stellten sich die <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern vom Mutterhaus München<br />
auf die Seite der Wittelsbacher. Sie<br />
ließen es sich trotz des Verbots des Erzbischofs<br />
nicht nehmen, für ihre geliebte<br />
und verehrte Gönnerin ein Seelenamt in<br />
ihrer Mutterhauskirche zu feiern, in der<br />
Kirche, deren Bau sie zu einem Teil auch<br />
der Großzügigkeit Carolines verdankten.
Das Titelblatt<br />
des Buches<br />
von Bartholmä,<br />
gestaltet von<br />
der jungen<br />
Gräfin Maria<br />
Josefa von<br />
Brandis, der<br />
späteren<br />
Schwester M.<br />
Leopoldine<br />
Erfolgreiche Entwicklung des Ordens unter Schwester Ignatia Jorth<br />
wohl. So zeigte sich der evangelische Theologe Johann Georg Bartholmä<br />
von der aufopferungsvollen Pflege durch die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
derart angetan, dass er 1838 ein begeistertes Buch über sie verfasste.<br />
Auch von offizieller Seite erhielten die Schwestern viel Anerkennung<br />
für ihre Arbeit. Selbst der Magistrat hatte bald erkannt, welcher Segen dieses<br />
neue Institut für München und seine Krankenversorgung bedeutete. Auf<br />
Anfragen aus anderen Städten, die Interesse an der Einführung der Schwestern<br />
signalisierten und deshalb um eine Beurteilung von deren Arbeit baten,<br />
stellte die Stadt München stets ein überaus positives Zeugnis aus.<br />
Im Jahr 1836 drückte der Münchner Magistrat den Schwestern offiziell<br />
seinen Dank für ihre Arbeit aus, indem er Schwester Ignatia Jorth am 24.<br />
Mai das Ehrenkreuz der Stadt München überreichte. Im dazugehörigen<br />
Schreiben sprach der Magistrat der Generaloberin und ihren Schwestern<br />
vollste Anerkennung aus: „Sie haben dem Rufe unseres allergnädigsten Königs<br />
folgend Ihr Vaterland verlassen, um auch in unserer Mitte ein Kloster der barmherzigen<br />
Schwestern zu gründen. Das gottgefällige Werk ist über alle Erwartung schnell<br />
gediehen. Aus allen Gegenden Bayerns traten Schwestern in Ihren heiligen Orden,<br />
und unter Ihre Leitung. Durch Sie erhalten jetzt die Kranken jene menschenfreundliche,<br />
von einem höheren Geiste durchdrungene Pflege… Die Gemeinde, und jeder<br />
vorurteilsfreie Menschenfreund erkennt mit Dank die wohltätigen Bemühungen und<br />
Leistungen der um Sie versammelten frommen Schwestern, die ihr ganzes Leben der<br />
Krankenpflege weihen, und … schon so viele frühzeitige Opfer ihres schweren und<br />
gefährlichen Berufes geworden sind.“ 52<br />
Eine weitere Ehrung erfuhr die Kongregation fast zeitgleich durch eine<br />
großzügige Schenkung des greisen Erzbischofs von München und Freising,<br />
Lothar Anselm von Gebsattel. Er übereignete dem Orden am 2. Juni 1836<br />
ein Legat in Höhe von 6.000 Gulden mit der Bestimmung, dieses Kapital<br />
dürfe nie angegriffen werden, die Zinsen aber sollten zur Unterstützung<br />
87
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
88<br />
kranker, alter und dienstunfähiger Schwestern oder für sonstige notwendige<br />
Anschaffungen des Ordens verwendet werden.<br />
Auch zu vielen anderen bayerischen und österreichischen Bischöfen<br />
pflegte die Generaloberin beste Beziehungen. Ebenso wurde sie von vielen<br />
Angehörigen des Königshauses sehr geschätzt, allen voran von König Ludwig<br />
I. persönlich, der einen recht vertrauten Umgang mit seiner „Landsmännin“<br />
pflegte.<br />
Trotz ihres selbstbewussten Auftretens beim Verkehr mit hochgestellten<br />
und einflussreichen Persönlichkeiten bewahrte sich die Generaloberin stets<br />
die demütige Haltung einer <strong>Barmherzige</strong>n Schwester. Die öffentlichen<br />
Ehrungen sah sie nicht <strong>als</strong> persönliches Verdienst an, sondern nahm sie <strong>als</strong><br />
Auszeichnung für den gesamten Orden entgegen, hielt sie im Grunde aber<br />
für nicht angebracht: „Wir haben doch nur unsere Schuldigkeit getan, und es ist<br />
noch die Frage, ob der liebe Gott mit uns zufrieden ist… Wir sind nur der Pinsel,<br />
dessen die Künstlerhand Gottes sich bedient, und wenn der Maler gut malt, so<br />
gebührt dem Werkzeug kein Verdienst.“ 53<br />
Schwester Ignatias Demut kommt in besonderer Weise in ihrer Beziehung<br />
zu ihren ehemaligen Oberen in Straßburg <strong>zum</strong> Ausdruck. Obwohl<br />
das Münchner Mutterhaus offiziell völlig eigenständig war, tauschte sie sich<br />
über alle wichtigen Angelegenheiten mit ihrem ehemaligen Mutterhaus in<br />
Straßburg aus. Von sehr großer Achtung, aber auch von treuer Anhänglichkeit,<br />
ja Liebe zu ihrer Generaloberin und ihrem Superior in Straßburg zeugen<br />
die vielen Briefe, die sie ihnen aus München schrieb. Sicher wird Schwester<br />
Ignatia während ihres langen Aufenthaltes in München, der ursprünglich<br />
nur für drei Jahre geplant gewesen war, manchmal mit Sehnsucht an das<br />
Elsässer Mutterhaus gedacht haben. Sehr glücklich war sie, im Juli 1837 <strong>zum</strong><br />
goldenen Priesterjubiläum von Superior Thomas nach Straßburg reisen zu<br />
können. Noch ein weiteres Mal, im Frühjahr 1842, reiste die Generaloberin,<br />
wiederum in Begleitung ihrer Novizenmeisterin, zur Einweihung der<br />
Kapelle des neuen Mutterhauses St. Barbara nach Straßburg.<br />
4.5. Krankheit und Tod der ersten Generaloberin<br />
Schwer erschüttert vom Zusammenbruch ihres lang<strong>jährigen</strong> Ordenssuperiors<br />
Michael Hauber, der in der Osternacht des Jahres 1843 einen Blutsturz<br />
hatte, erlitt die Generaloberin kaum eine Woche später einen Schlaganfall.<br />
Jetzt folgten schwere Wochen für die Ordensgemeinschaft. Beide<br />
Ordensoberen rangen mit dem Tod. Während die Krankenhausärzte den<br />
beiden Kranken zu helfen versuchten, hielt Beichtvater Sintzel den Kontakt<br />
mit Straßburg. Als die Straßburger Oberin voll Sorge nach München
Erfolgreiche Entwicklung des Ordens unter Schwester Ignatia Jorth<br />
reisen wollte, bat Schwester Ignatia sie inständig darum, aus Rücksicht auf<br />
ihre eigene Gesundheit auf die anstrengende Reise zu dieser Jahreszeit zu<br />
verzichten. Der königliche Hof ließ sich täglich über den Gesundheitszustand<br />
der Kranken informieren, Minister Abel, der Regierungspräsident von<br />
Hörmann und der Erzbischof besuchten die Generaloberin an ihrem Krankenbett.<br />
Auch die Anteilnahme der Öffentlichkeit war groß. Die Zeitungen<br />
berichteten regelmäßig über das Befinden der Patienten.<br />
Der Zustand des Superiors verschlechterte sich zusehends und fünf<br />
Wochen nach seinem Blutsturz starb er am Abend des 20. Mai 1843. Für<br />
die Schwestern war der Tod Haubers ein großer Verlust, war er doch für<br />
sie <strong>zum</strong> wichtigsten Berater in allen geistlichen und weltlichen Angelegenheiten<br />
geworden. Die fast zehnjährige vertrauensvolle Zusammenarbeit<br />
mit Schwester Ignatia war äußerst fruchtbar gewesen. Zusammen hatten<br />
sie die neue Ordensgemeinschaft innerlich und äußerlich konsolidiert und<br />
zahlreiche Filialen in Bayern gegründet. Auch an der Gründung der österreichischen<br />
Niederlassungen war er maßgeblich beteiligt gewesen.<br />
Ihrer schwerkranken Generaloberin hatten die Schwestern zunächst den<br />
Tod des Superiors verschwiegen, da sie befürchteten, die Trauer über den<br />
Verlust könnte ihren Zustand noch verschlimmern. Es stand immer noch<br />
so schlecht um sie, dass in der Presse Ende Mai fälschlich die Nachricht<br />
von ihrem Tod verbreitet wurde. Aber diesen f<strong>als</strong>chen Todesmeldungen <strong>zum</strong><br />
Trotz erholte sie sich in der wärmeren Jahreszeit zur großen Freude und<br />
<strong>zum</strong> Erstaunen aller und konnte im Sommer wieder ihrem Amt nachgehen.<br />
Am 11. September 1843 stellte ihr der Erzbischof den Hofprediger und<br />
Ehrenkanonikus bei St. Kajetan, Joseph Riedl, <strong>als</strong> neuen Superior zur Seite.<br />
Gesundheitlich angeschlagen, aber immer noch voll Tatendrang, schonte<br />
sich die Generaloberin bei der Ausübung ihres Amtes auch jetzt nicht. Sie<br />
ließ es sich nicht nehmen, die beiden im Herbst 1843 übernommenen Filialen,<br />
das Krankenhaus in Bad Tölz und das Waisenhaus in Landshut, persönlich<br />
zu besuchen. Mitten im Winter, gleich zu Beginn des Jahres 1844,<br />
begleitete sie zwei ihrer Schwestern nach Ingolstadt, um sie am dortigen<br />
Krankenhaus einzuführen. Für die geplante Erweiterung des Heilig-Geist-<br />
Spit<strong>als</strong> durch den schon lange geplanten Anbau des Nordflügels waren häufige<br />
Besprechungen mit den Magistratsvertretern nötig. Und für das Jahr<br />
1844 standen auch noch die Planungen für Amberg an, wo die Schwestern<br />
auf dringenden Wunsch des Königs erstm<strong>als</strong> eine Gefangenenanstalt übernehmen<br />
sollten. Schwester Ignatia war nicht abgeneigt, da sie in Hagenau,<br />
wo die Straßburger Schwestern seit 1839 eine solche Einrichtung führten,<br />
den heilsamen Einfluss der Ordensschwestern auf die weiblichen Gefängnisinsassen<br />
hatte beobachten können. Anlässlich seines Besuches des hl.<br />
Grabes in der Mutterhauskirche am Karfreitag 1844 besprach der König mit<br />
89
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
90<br />
der Generaloberin seine Pläne für Amberg. Er zeigte sich sehr erfreut über<br />
ihre Genesung: „Sie haben mir bange gemacht mit Ihrer Krankheit. Sogar das<br />
hl. Öl haben Sie schon erhalten. Gottlob, daß Sie wieder so gut aussehen!“ 54 Auf<br />
seinen ausdrücklichen Wunsch machte sich die Generaloberin Ende Mai in<br />
Begleitung des neuen Superiors Riedl und zwei Schwestern auf den langen<br />
Weg nach Amberg. Um für die gesundheitlich angeschlagene Generaloberin<br />
die immerhin 55 Stunden lange Fahrt nach Amberg etwas angenehmer und<br />
schonender zu gestalten, stellte ihr der König einen seiner Reisewagen zur<br />
Verfügung und ordnete an, sie dürfe nur am Tag fahren.<br />
Einen weiteren herben Verlust für Schwester Ignatia und ihre Ordensschwestern<br />
bedeutete der Tod des Straßburger Superiors Lorenz Thomas am<br />
29. März 1844. Er hatte nicht nur maßgeblichen Anteil an der Einführung<br />
der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern in Bayern gehabt, sondern hatte auch all die<br />
Jahre zusammen mit Generaloberin Schwester Vinzenz Sultzer dem neuen<br />
Mutterhaus in München <strong>als</strong> väterlicher Ratgeber zur Seite gestanden.<br />
Doch nicht nur Arbeit und Trauer brachte dieses Jahr der kranken<br />
Schwester Ignatia, sondern auch eine große Freude. Kurz nach ihrem<br />
65. Geburtstag durfte Schwester Ignatia Jorth noch erleben, was sie all die<br />
Jahre in München ersehnt hatte: den Besuch der Straßburger Generaloberin.<br />
Schwester Vinzenz Sultzer kam zusammen mit dem neuen Straßburger<br />
Superior Franz Karl Spitz am 18. August 1844 in München an, wo sie für<br />
5 Tage blieben. In dieser Zeit kamen aus vielen Filialen die Oberinnen nach<br />
München, um die Straßburger Oberen zu begrüßen. Selbst aus dem von<br />
Straßburg aus gegründeten Mutterhaus in Fulda reisten die Oberin und<br />
der Superior an. Als die Gäste aus Straßburg wieder abreisten, nahmen sie<br />
Schwester Dominika mit ins Elsass, um sie in der Strafanstalt Hagenau für<br />
den Einsatz in der Strafanstalt Amberg auszubilden.<br />
Im Herbst erlitt Schwester Ignatia erneut einige kleinere Schlaganfälle.<br />
Sie erholte sich zwar wieder etwas, aber es zeichnete sich eine allgemeine<br />
Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes ab. Gegen Ende des Jahres<br />
konnte sie sich oft nicht mehr ohne fremde Hilfe vom Stuhl erheben.<br />
Die Schwestern und der neue Superior sahen voll Sorge, wie ihre Kräfte<br />
immer mehr schwanden. Auch König Ludwig, sein Minister von Abel und<br />
die beiden Erzbischöfe von München und Salzburg machten sich Sorgen<br />
um Schwester Ignatia und besuchten sie am Krankenbett.<br />
Am 21. Januar 1845 erlitt die Generaloberin erneut einen schweren<br />
Schlaganfall, von dem sie sich nicht mehr erholen sollte. Gelähmt und<br />
nicht mehr fähig zu sprechen, lag die ihr Leben lang so energievolle und<br />
tatkräftige Schwester Ignatia drei Tage und drei Nächte völlig hilflos auf<br />
ihrem Bett. Alle Bemühungen der Oberärzte des Allgemeinen Krankenhauses<br />
waren vergebens. Am Morgen des 25. Januars 1845 verstarb die erste
Erfolgreiche Entwicklung des Ordens unter Schwester Ignatia Jorth<br />
Generaloberin der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern in Bayern, Schwester Ignatia<br />
Jorth, im Alter von 65 Jahren. Unfassbar groß war die Trauer ihrer Mitschwestern.<br />
In einem mit vielen Blumen und Kerzen geschmückten Raum<br />
neben der Klosterpforte bahrten sie ihre geistliche Mutter auf. Dort sollte<br />
auch das Volk von der beliebten Oberin Abschied nehmen können. Der<br />
Strom der Trauernden, die Schwester Ignatia die letzte Ehre erweisen wollten,<br />
riss drei Tage lang nicht ab. Die Schwestern selbst beteten abwechselnd<br />
Tag und Nacht an ihrem Sarg. In der Mutterhauskirche und in allen Kirchen<br />
der Stadt fanden Trauergottesdienste statt. Am Nachmittag des dritten<br />
Tages begleitete ein langer Trauerzug den Sarg zur Beerdigung auf den allgemeinen<br />
Friedhof, den heutigen alten Südfriedhof. Der Magistrat übernahm<br />
die Beerdigungskosten aus dem Etat des Krankenhauses und bot den<br />
Schwestern für ihre verstorbene Oberin eine Ehrengruft unter den Arkaden<br />
des Südfriedhofes an. Die Schwestern wünschten jedoch, ihre Ehrwürdige<br />
Mutter inmitten der vielen in den Anfangsjahren schon verstorbenen Mitschwestern<br />
auf dem gemeinsamen Begräbnisplatz auf dem Südfriedhof zu<br />
beerdigen. Diesen Platz hatte die Stadt dem Orden zusammen mit einem<br />
einfachen gemeinsamen Gedenkstein im Jahr 1836 geschenkt.<br />
In den bayerischen Zeitungen erschienen zahlreiche Nachrufe auf die<br />
allseits geachtete und verehrte Generaloberin, die alle einen ähnlichen Tenor<br />
hatten wie das folgende Zitat aus der „Augsburger Postzeitung“: „Sie war<br />
eine Frau mit männlichem Verstande und praktischem, durchgreifendem Blick, von<br />
einer Entschlossenheit und Wohlberatenheit in ihrem ganzen Wesen, daß sie durch<br />
nichts in ihrer Zuversicht auf Gottes Hilfe erschüttert werden konnte und, durch<br />
kein Hindernis beirrt, ihr großartiges Ziel zu verfolgen wußte. So ist diese Elsässerin<br />
auf Jahrhunderte hinaus zu einer wahren Wohltäterin Bayerns geworden.“ 55<br />
Geradezu grotesk erscheint aus heutiger Sicht, dass fast in jedem Nachruf<br />
vom „männlichen Verstand“ der Generaloberin die Rede ist. In der damaligen<br />
Zeit war es anscheinend schwer vorstellbar, dass eine Frau ein solches<br />
Lebenswerk geschafft haben könnte. Und dabei hatte diese Frau aus dem<br />
Elsass zusammen mit all den anderen Frauen aus Bayern, die sich in den<br />
Dienst ihrer Gemeinschaft stellten, doch gerade das Gegenteil bewiesen. Die<br />
Leistungen dieses neuen bayerischen Ordens basierten nicht nur auf der den<br />
Frauen auch im 19. Jahrhundert zugestandenen Opferbereitschaft, sondern<br />
auch zu einem Großteil auf Mut, Energie und Verstand dieser Frauen.<br />
*<br />
91
92<br />
Kapitel 5<br />
Krise nach dem Tod von<br />
Schwester Ignatia<br />
5.1. Geplanter Richtungswechsel?<br />
Bei ihrem Tod hinterließ Schwester Ignatia Jorth eine gefestigte Ordensgemeinschaft<br />
mit insgesamt 156 Schwestern und bereits 16 funktionierenden<br />
Niederlassungen in ganz Bayern.<br />
Dennoch stürzte der Tod der ersten Generaloberin die Kongregation in<br />
eine schwere Krise, von der sie sich längere Zeit nicht erholen sollte. Als<br />
sehr schwierig stellte sich heraus, eine geeignete und von allen akzeptierte<br />
Nachfolgerin für eine derart starke Führungspersönlichkeit zu finden. Parteienbildung<br />
und Intrigen innerhalb der Ordensgemeinschaft gefährdeten<br />
das von Schwester Ignatia hinterlassene blühende Werk. Als „natürliche“<br />
Nachfolgerin wurde von vielen zunächst die zweite Straßburger Schwester,<br />
Schwester Apollonia Schmitt, angesehen. Allerdings kamen bald Gerüchte<br />
auf, die langjährige Novizenmeisterin, die sich in ihrem bisherigen Amt<br />
ausschließlich um die geistliche Entwicklung der Schwestern gesorgt hatte<br />
und bekanntermaßen stark unter dem Einfluss des zu übertriebener Askese<br />
neigenden Beichtvaters Sintzel stand, werde <strong>als</strong> neue Generaloberin einen<br />
Richtungswechsel des Ordens vornehmen. Vor allem Magistrat und Krankenhausdirektion<br />
befürchteten, der Orden werde in Zukunft die religiösen<br />
Pflichten der Schwestern zulasten des Krankendienstes mehr in den Vordergrund<br />
rücken. Inwieweit diese Befürchtungen berechtigt waren, lässt sich<br />
nicht mehr nachvollziehen. Auf jeden Fall alarmierten die Bedenken vonseiten<br />
des Magistrats das Ordinariat, das daraufhin Domdechant von Oettl<br />
zur Visitation ins Mutterhaus schickte. Die bei der Visitation festgestellte<br />
Uneinigkeit der Schwestern veranlasste den Erzbischof bei der Straßburger<br />
Ordensleitung die Rückberufung Schwester Apollonias zu erwirken.<br />
So kehrte sie <strong>zum</strong> Bedauern des Großteils der Schwestern nach 13 Jahren<br />
Aufbauarbeit in München am 1. März 1845 nach Straßburg zurück. Fast
gleichzeitig mit ihr wurde auch<br />
Beichtvater Sintzel von seinem<br />
Amt enthoben. An seine Stelle<br />
trat zunächst Franz Xaver Stiller<br />
und nach dessen Tod einige<br />
Monate später, ab Oktober<br />
1845, Johann Jakob Lenz, bisher<br />
Benefiziat und Beichtvater der<br />
Schwestern in Berg am Laim.<br />
5.2. Unruhige Zeiten<br />
Krise nach dem Tod von Schwester Ignatia<br />
Nach der Abreise Schwester<br />
Apollonias drängte das Ordinariat<br />
darauf, möglichst schnell<br />
die Wahl einer neuen Generaloberin<br />
durchzuführen. Am<br />
12. März 1845 wählten die Oberinnen der Filialen Schwester M. Vinzentia<br />
Balghuber zur zweiten Generaloberin. Leider sollte sich diese Lösung <strong>als</strong><br />
nicht tragfähig erweisen. Trotz ihrer Erfahrung <strong>als</strong> Oberin an verschiedenen<br />
Einsatzorten gelang es ihr nicht, den Frieden innerhalb der Schwesternschaft<br />
wieder herzustellen. Nach drei Jahren Amtszeit bat sie deshalb den<br />
Erzbischof im März 1848 um ihre Amtsenthebung und ihre Versetzung <strong>als</strong><br />
Oberin in die 1846 übernommene Strafanstalt in Amberg. Der Bischof<br />
ernannte daraufhin am 13. März 1848 Schwester M. Benonia Stanglmaier,<br />
bisher Assistenzschwester und erste Hausoberin im Allgemeinen Krankenhaus,<br />
zur Generaloberin. Auf eine ordnungsgemäße Wahl durch die auswärtigen<br />
Oberinnen verzichtete das Ordinariat, da es wegen der herrschenden<br />
politischen Unruhe deren Anreise für nicht ratsam hielt.<br />
Denn nicht nur ordensintern herrschten unruhige Zeiten, sondern auch<br />
auf der politischen Ebene. Die Affäre des Königs mit Lola Montez weitete<br />
sich von einer zunächst rein persönlichen Angelegenheit zu einer ernsten<br />
Staatskrise aus. Mit seinem Verhalten hatte der König nach und nach alle<br />
politischen Kräfte gegen sich aufgebracht. Das eigentliche Hauptproblem<br />
des Widerspruchs zwischen bayerischer Verfassung und autokratischem<br />
Führungsanspruch des Königs trat nun offen zu Tage. Die Absetzung des<br />
konservativ-katholischen Innenministers von Abel im Februar 1847 ließ<br />
auch für die katholischen Orden das Klima in Bayern rauer werden. Im<br />
März 1847 räumte die neue liberale Regierung dem Staat das Recht ein,<br />
sich in die Ablegung der Gelübde ein<strong>zum</strong>ischen. Jede Novizin sollte vor<br />
Michael<br />
Sintzel,<br />
Beichtvater<br />
der <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern<br />
von 1836 bis<br />
1845<br />
93
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
94<br />
Ablegung der Profess einem staatlichen Vertreter Rechenschaft über ihre<br />
Berufung ablegen. Auf Anordnung des Erzbischofs verzichteten daraufhin<br />
alle Ordensgemeinschaften, auch die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern, auf Einkleidungs-<br />
und Professfeiern im gesamten Jahr 1847. Der Superior erreichte<br />
schließlich durch eine persönliche Eingabe beim König, dass die <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern im August 1847 von diesem Regierungsbeschluss ausgenommen<br />
wurden.<br />
Als die politischen Ereignisse im Februar und März 1848 eskalierten,<br />
waren laut Mutterhauschronik die Schwestern direkt betroffen. Die Rebellen,<br />
die sich durch die Erstürmung des Zeughauses mit Waffen versorgt hatten,<br />
seien schon im Begriff gewesen, das Kloster zu stürmen. Sie hätten jedoch<br />
davon abgelassen, <strong>als</strong> einer ihrer Anführer durch einen Schuss verletzt und<br />
zur Behandlung ins Krankenhaus eingeliefert worden sei. Die Erleichterung<br />
der Schwestern war sicher groß, <strong>als</strong> durch das Einlenken des Königs und<br />
die Besonnenheit der meisten Revolutionäre ein Bürgerkrieg verhindert<br />
werden konnte. Groß war jedoch sicher auch das Bedauern der Schwestern<br />
über die Abdankung ihres verehrten Königs am 20. März 1848 zugunsten<br />
seines Sohnes Maximilian.<br />
Die Schwestern sahen sich in dieser politischen Umbruchsituation<br />
schweren Angriffen in der Presse ausgesetzt. Vor allem ein Arzt, der selbst<br />
keinerlei persönliche Erfahrungen mit dem Orden hatte, führte über<br />
Monate eine Verleumdungskampagne gegen den Pflegeorden. Wie schon<br />
so oft hatten die Schwestern in Prof. von Ringseis einen treuen Verteidiger<br />
ihres Rufes. Er widerlegte in einer Reihe von Presseartikeln die ungerechtfertigten<br />
Vorwürfe und veröffentlichte seine Argumente zusätzlich in einem<br />
Buch.<br />
Intern kam die Kongregation auch während der Amtszeit von Schwester<br />
M. Benonia nicht zur Ruhe. Auch sie sah sich mit vielerlei Widerständen<br />
und Parteienbildung konfrontiert. Nicht unwesentlich mag dazu beigetragen<br />
haben, dass die Generaloberin gesundheitlich schon sehr angeschlagen<br />
war und somit nur selten Inspektionsreisen in die auswärtigen Filialen<br />
unternehmen konnte. Verschärft wurde diese Situation durch den neuen<br />
Beichtvater Lenz, der anscheinend durch Parteinahme die Uneinigkeit unter<br />
den Schwestern noch weiter vertiefte. 1849 wurde er deshalb auf Betreiben<br />
des Superiors Gradler vom Erzbischof durch den Priester Matthäus Kroner<br />
ersetzt.<br />
Auch im Amt des Superiors herrschte in dieser Zeit keine Kontinuität.<br />
Superior Riedl legte bereits 1846 sein Amt wieder nieder, da er ins Ordinariat<br />
berufen worden war. Sein Nachfolger Herenäus Haid resignierte nach<br />
der Abdankung der zweiten Generaloberin Schwester M. Vinzentia ebenfalls.<br />
Erst sein Nachfolger, der Domkapitular Peter Paul Gradler, brachte
nicht zuletzt durch die Ausschaltung des negativen Einflusses des Beichtvaters<br />
Lenz wieder etwas Stabilität und Einigkeit in die Gemeinschaft. Leider<br />
musste Gradler jedoch bereits 1853 aus gesundheitlichen Gründen sein Amt<br />
an Carl von Prentner abgeben.<br />
*<br />
Krise nach dem Tod von Schwester Ignatia<br />
95
Antworttelegramm<br />
von Schwester<br />
M. Regina<br />
Hurler,<br />
in dem sie<br />
sich bereit<br />
erklärt,<br />
die Wahl<br />
zur Generaloberin<br />
anzunehmen<br />
96<br />
Kapitel 6<br />
40 Jahre Kontinuität unter<br />
Schwester M. Regina Hurler<br />
6.1. Auswirkungen des Kulturkampfes<br />
Nach dem Tod der dritten Generaloberin Schwester M. Benonia Stanglmaier<br />
am 8. Januar 1855 waren zwei Wahlgänge nötig, um eine Zweidrittelmehrheit<br />
für eine neue Generaloberin zu erreichen. Die auswärtigen Oberinnen<br />
hatten dieses Mal per Briefwahl teilgenommen. Am 12. März 1855<br />
wurde Schwester M. Regina Hurler zur vierten Generaloberin gewählt.<br />
Schwester M. Regina Hurler war von 1845 bis 1853 Novizenmeisterin<br />
gewesen, dann aber <strong>zum</strong> Bedauern vieler Schwestern <strong>als</strong> Oberin nach<br />
Kempten versetzt worden. Die neue, zunächst für drei Jahre gewählte Generaloberin<br />
wurde nach Ablauf dieser ersten Amtszeit vom Erzbischof im Amt<br />
bestätigt. In der Folgezeit amtierte sie mit dem stillschweigenden Einverständnis<br />
des Ordinariats bis 1895,<br />
<strong>als</strong>o ganze 40 Jahre lang.<br />
Nachdem Superior Karl von<br />
Prentner 1857 sein Amt niedergelegt<br />
hatte, folgte ihm Anton<br />
Etzinger, der es bis zu seinem<br />
Tod im Jahr 1884 innehatte und<br />
somit auch in diesem Amt endlich<br />
wieder für Kontinuität sorgte.<br />
Die gute Zusammenarbeit zwischen<br />
der Generaloberin und<br />
dem Superior stabilisierte den in<br />
Unruhe geratenen Orden – eine<br />
Stabilisierung, die angesichts<br />
der Herausforderungen, die auf<br />
die Kongregation in dieser Zeit<br />
zukamen, auch unbedingt nötig<br />
war.
40 Jahre Kontinuität unter Schwester M. Regina Hurler<br />
Durch die rasante Entwicklung<br />
des Münchner Krankenhauswesens<br />
stieg die Nachfrage nach Schwestern<br />
ständig an und eine einige<br />
Ordensleitung war <strong>als</strong> zuverlässiger<br />
Verhandlungspartner für Stadt, Universität<br />
und Krankenhausleitung<br />
von größter Bedeutung. Erschwerend<br />
kam hinzu, dass mit der Gründung<br />
des Deutschen Reiches 1871<br />
politisch ein rauerer Wind für alle<br />
katholischen Einrichtungen wehte.<br />
Reichskanzler Bismarck versuchte,<br />
den Einfluss der katholischen Opposition<br />
durch gesetzliche Regelungen<br />
zu beschneiden. Anlass bot ihm dazu<br />
das Unfehlbarkeitsdogma des durch<br />
die Einigung Italiens politisch entmachteten Papstes und die daraus entstandenen<br />
Streitigkeiten um die Abspaltung der Altkatholiken.<br />
Auch wenn der so genannte Kulturkampf in anderen Teilen des Reiches,<br />
vor allem in Preußen, wesentlich härter geführt wurde <strong>als</strong> in Bayern, so war<br />
er doch auch hier spürbar. Die liberale bayerische Regierung unter dem<br />
mächtigen Minister Lutz begrüßte die Bismarckschen Gesetze, konnte aber<br />
in Bayern, wo die konservativen katholischen Kräfte in der Abgeordnetenkammer<br />
die Mehrheit hatten und auch das Königshaus der katholischen<br />
Kirche wohlwollend gegenüberstand, die harten preußischen Gesetze gegen<br />
katholische Einrichtungen nicht in voller Härte durchsetzen. Aber in abgemilderter<br />
Form und auf dem Weg der Reichsgesetzgebung machte sich<br />
auch hier die Kampfansage des Staates an die katholische Kirche bemerkbar.<br />
Da die Jesuiten und Redemptoristen bereits 1872 verboten worden waren,<br />
waren die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern sehr beunruhigt, <strong>als</strong> das bayerische<br />
Innenministerium im August 1873 von der Ordensleitung ihre Statuten<br />
zur Prüfung verlangte. Die Schwestern befürchteten ein Verbot auch ihrer<br />
Ordensgemeinschaft. Angesichts des 1875 in Preußen erfolgten Verbots aller<br />
katholischen Orden war diese Furcht nicht ganz unbegründet. Allerdings<br />
zeigte sich, dass selbst der preußische Gesetzgeber die Krankenpflegeorden<br />
von dieser Regelung ausnahm. Der Grund war ganz offensichtlich, dass man<br />
es sich bei dem hohen Bedarf an Pflegepersonal nicht leisten konnte, auf die<br />
Ordenskrankenschwestern zu verzichten. Auch militärische Erwägungen<br />
mögen dabei eine Rolle gespielt haben. Im Krieg 1870/71 war man auf<br />
den Einsatz der Ordensschwestern in den Lazaretten dringend angewie-<br />
Generaloberin<br />
Schwester<br />
M. Regina<br />
Hurler<br />
97
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
Hugo von<br />
Ziemssen,<br />
Direktor des<br />
Krankenhauses<br />
links<br />
der Isar von<br />
1874 bis 1902<br />
(Gemälde in<br />
der Medizinischen<br />
Klinik)<br />
98<br />
sen gewesen. So hatte schließlich auch die Überprüfung der <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern durch die bayerischen Behörden kein Verbot der Kongregation<br />
zur Folge. Auch wenn das Schlimmste abgewendet war, wurden den<br />
Schwestern in den kommenden Jahren von amtlicher Seite immer wieder<br />
Probleme gemacht. Schon 1871 war der Magistrat auf Distanz <strong>zum</strong> Orden<br />
gegangen, indem er die alte Tradition abschaffte, dass an jeder Einkleidungsfeier<br />
ein Magistratsrat teilnahm und eine Sammlung für den Orden organisierte.<br />
Die eigene Spende des Magistrats zu diesem Anlass, die so genannte<br />
Ehrengabe von 25 fl., wurde zunächst noch bis 1880 gewährt, ab 1881<br />
aber ganz eingestellt. Als Affront empfanden die Schwestern die Ernennung<br />
des Protestanten von Ziemssen <strong>zum</strong> neuen Krankenhausdirektor im<br />
Jahr 1874. Und tatsächlich ging der neue Direktor zusammen mit dem<br />
Magistrat zunächst auf Konfrontationskurs <strong>zum</strong> Orden. Für die dringend<br />
notwendig gewordene Erweiterung des Krankenhauses planten sie, den<br />
Schwestern das Mutterhaus wegzunehmen. In dieser Situation zeigte sich<br />
<strong>zum</strong> ersten Mal die Problematik der unklaren Eigentumsregelung beim<br />
Bau des Mutterhauses. Der Magistrat ging davon aus, das Mutterhaus für<br />
Krankenhauszwecke zurückfordern zu können. Für den Orden waren die<br />
angebotenen Unterbringungsalternativen unannehmbar und er vertrat die<br />
Ansicht, er könne nicht gezwungen werden, das Mutterhaus zu räumen, da<br />
er das Recht auf das Haus habe, so lange der Orden in Bayern bestünde. Als<br />
die Schwestern signalisierten, die Sache vor Gericht klären lassen zu wollen,<br />
machte der Magistrat einen Rückzieher. Anscheinend war auch ihm<br />
klar geworden, dass bei der vorliegenden Rechtslage eine Entscheidung zu<br />
seinen Gunsten nicht zu erwarten<br />
gewesen wäre.<br />
Glücklich darüber, die Enteignung<br />
abgewendet zu haben,<br />
mussten die Schwestern allerdings<br />
in den kommenden Jahren und<br />
Jahrzehnten im Zuge der ständigen<br />
Erweiterung des Krankenhauses<br />
eine stetige Verkleinerung<br />
des ihnen zur Verfügung gestellten<br />
Mutterhausgartens hinnehmen. So<br />
konnten sie beispielsweise nicht<br />
verhindern, dass im Jahr 1876 die<br />
alte Einfahrt <strong>zum</strong> Mutterhaus auf<br />
die gegenüber gelegene Seite des<br />
Gartens an die spätere Nußbaumstraße<br />
verlegt wurde. Dem dafür
nötigen neuen Zufahrtsweg fiel wieder<br />
ein Teil des Gartens <strong>zum</strong> Opfer.<br />
Im Großen und Ganzen überstand die<br />
Kongregation die Zeit des Kulturkampfes<br />
unbeschadet. Trotz der Hetze in manchen<br />
Zeitungen gegenüber den katholischen<br />
Orden und der Schwierigkeiten vonseiten<br />
der Behörden verringerte sich die Zahl<br />
der Kandidatinnen nur geringfügig. So<br />
sank die Zahl der Einkleidungen von 34<br />
im Jahr 1871 auf 20 in den Jahren 1876/77,<br />
stieg dann aber wieder an und pendelte<br />
sich bis Mitte der 80er Jahre bei rund<br />
30 ein. 56 Allerdings ging der Zuwachs an<br />
neuen Niederlassungen gravierend zurück.<br />
War vorher jedes Jahr die Übernahme<br />
meist mehrerer neuer Einrichtungen die<br />
Regel, gab es in den 70er und 80er Jahren<br />
des 19. Jahrhunderts einige Jahre ohne<br />
eine einzige neue Übernahme. 57<br />
Die Ordensleitung schaffte es mit diplomatischem Geschick, die Interessen<br />
gegenüber Magistrat und Krankenhausleitung zu wahren. Das Verhältnis<br />
<strong>zum</strong> Krankenhausdirektor von Ziemssen wurde immer besser, <strong>zum</strong>al dieser<br />
die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern und ihre Arbeit am Krankenhaus bald sehr<br />
zu schätzen gelernt hatte.<br />
6.2. Eine ganz besondere Beziehung<br />
zu Königin-Mutter Marie<br />
40 Jahre Kontinuität unter Schwester M. Regina Hurler<br />
Während dem Orden von politischer Seite, von der Regierung und ihren<br />
untergeordneten Stellen, immer wieder Schwierigkeiten gemacht wurden,<br />
hatte er gleichzeitig im Königshaus der Wittelsbacher stets verlässliche und<br />
einflussreiche Fürsprecher. Eine ganz besondere Beziehung verband die<br />
<strong>Barmherzige</strong>n Schwestern mit Königin-Mutter Marie, der Witwe Maximilian<br />
II. und Mutter Ludwig II. Schon <strong>als</strong> Königin hatte sich Marie zusammen<br />
mit ihrem Mann für soziale Belange engagiert. Mit der gerade unter<br />
Maximilian II. voran getriebenen Industrialisierung zeigten sich bald auch<br />
die Schattenseiten dieser Entwicklung in einer Verschärfung der sozialen<br />
Probleme. Diese suchte das Königspaar durch Mildtätigkeit zu lindern.<br />
Marie unterstützte alle Bemühungen zur Verbesserung der Krankenver-<br />
Geschenk<br />
der Stadt<br />
München<br />
zur 50-Jahr-<br />
Feier der<br />
Kongregation<br />
1882<br />
99
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
Königin<br />
Marie von<br />
Bayern,<br />
1825 – 1889.<br />
Das<br />
Ölporträt<br />
schenkte<br />
die Königin-<br />
Mutter den<br />
Schwestern<br />
1866 für die<br />
Pflege der<br />
Verwundeten<br />
in ihrem<br />
Spital in<br />
Fürstenried.<br />
Geschenk<br />
von Königin-Mutter<br />
Marie im<br />
Jahr 1868<br />
<strong>als</strong> Dank für<br />
die Pflege<br />
durch drei<br />
<strong>Barmherzige</strong><br />
Schwestern,<br />
<strong>als</strong> sie<br />
an einer<br />
schweren<br />
Gichterkrankung<br />
litt<br />
100<br />
sorgung und war so schon früh zu<br />
einer Gönnerin der <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern geworden. Seit dem Einsatz<br />
der Schwestern in dem von ihr<br />
eingerichteten Lazarett im deutschdeutschen<br />
Krieg 1866 intensivierte<br />
sich der Kontakt zu den Schwestern.<br />
Regelmäßig besuchte sie das Mutterhaus,<br />
nahm häufig an verschiedenen<br />
Feiern teil und machte den<br />
Schwestern zu Weihnachten und<br />
Ostern nette Geschenke wie Osterlämmer<br />
aus Wachs, Schokoladeneier<br />
und Weihnachtsgebäck. Groß war<br />
die Freude der Ordensschwestern,<br />
<strong>als</strong> die Königin-Mutter 1874 <strong>zum</strong><br />
katholischen Glauben konvertierte.<br />
Eine geradezu freundschaftlich-herzliche Beziehung verband die Königin-Mutter<br />
mit Schwester M. Regina Hurler. Zum Namenstag schickte<br />
Marie der Generaloberin stets ein Glückwunschtelegramm von ihrem<br />
Sommeraufenthalt in Hohenschwangau. Auch Schwester M. Regina vergaß<br />
keinen Namenstag der Königin-Mutter und <strong>zum</strong> tragischen Tod ihres<br />
Sohnes Ludwigs II. schickte sie ihr ein bewegendes Beileidsschreiben.<br />
Die Pflegedienste der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern wusste die Königin-Mutter<br />
auch persönlich sehr<br />
zu schätzen. Als sie 1868 an Gicht<br />
erkrankte, erbat sie erstm<strong>als</strong> auf<br />
Anraten ihres Leibarztes von Gietl,<br />
der gleichzeitig der Hausarzt des<br />
Ordens war, drei Schwestern zur<br />
Pflege. In der Folge ließ sie sich bei<br />
jeder schwereren Erkrankung von<br />
<strong>Barmherzige</strong>n Schwestern pflegen,<br />
so auch bei einem erneuten Anfall<br />
von akutem Gelenkrheumatismus<br />
unmittelbar nach dem Tod ihres<br />
Sohnes Ludwig II. Die Schwestern<br />
begleiteten die Königin-Mutter zur<br />
Pflege auch zu ihrem Sommeraufenthalt<br />
nach Hohenschwangau.
40 Jahre Kontinuität unter Schwester M. Regina Hurler<br />
Als der schwer erkrankten Marie im Februar 1889 von den Ärzten ein<br />
Aufenthalt in Lugano verordnet wurde, reisten ebenfalls zwei <strong>Barmherzige</strong><br />
Schwestern mit ihr. Im Anschluss an die Reise zog sich die unheilbar an<br />
Magenkrebs erkrankte Königin-Mutter Ende März nach Hohenschwangau<br />
zurück, wo ihr die Schwestern bei ihrem qualvollen Sterben bis zu ihrem<br />
Tod am 17. Mai 1889 beistanden.<br />
6.3. Sonderentwicklung des Mutterhauses Augsburg<br />
In die Amtszeit der vierten Generaloberin Schwester M. Regina Hurler<br />
fiel auch die Etablierung des Mutterhauses Augsburg. Die Stadt Augsburg<br />
hatte schon im Jahr 1833 unter dem damaligen katholischen Bürgermeister<br />
reges Interesse angemeldet, <strong>Barmherzige</strong> Schwestern für die Krankenpflege<br />
zu gewinnen. Allerdings sollte sich deren Einführung angesichts der besonderen<br />
Augsburger Verhältnisse <strong>als</strong> schwierig erweisen. In der konfessionsgeteilten<br />
Stadt wurde seit 1649 streng auf paritätische Gleichheit der beiden<br />
großen Konfessionen Katholizismus und Protestantismus in allen öffentlichen<br />
Bereichen, so auch in der Krankenpflege, geachtet. Am Krankenhaus<br />
gab es dementsprechend eine katholische und eine protestantische Abteilung.<br />
Auch auf die für die Krankenpflege in Augsburg bedeutende Bachsche<br />
Seelhausstiftung, eine Stiftung der Augsburger Familie Bach an die Stadt aus<br />
dem 15. Jahrhundert, <strong>als</strong>o aus vorreformatorischer Zeit, erhoben Protestanten<br />
und Katholiken gleichermaßen Anspruch. Mit dieser Stiftung wurde die<br />
ambulante Krankenpflege durch<br />
die so genannten Bachschen Seelnonnen<br />
finanziert, Krankenpflegerinnen,<br />
die die Kranken in ihren<br />
Häusern aufsuchten. Nach jahrelangen<br />
schwierigen Verhandlungen<br />
übernahmen die <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern Anfang 1847 von einer<br />
sehr bescheidenen Unterkunft aus,<br />
dem Barbarahof, die ambulante<br />
Stadtkrankenpflege der Bachschen<br />
Seelhausstiftung. Doch die katholischen<br />
Bürger Augsburgs wollten<br />
mehr. Sie strebten die Übernahme<br />
der katholischen Abteilung des<br />
geplanten neuen Stadtkrankenhauses<br />
durch die Schwestern an.<br />
Superior<br />
Anton<br />
Etzinger<br />
(Ölgemälde<br />
im<br />
Mutterhaus)<br />
101
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
Das alte<br />
Mutterhaus<br />
in Augsburg<br />
102<br />
Dieses Ziel rückte deutlich näher, <strong>als</strong> der ehemalige Gerbermeister Johann<br />
Georg Henle im Jahr 1852 kurz vor seinem Tod eine Stiftung von 100.000<br />
Gulden machte. Die Stiftungsbestimmungen sahen vor, dass innerhalb der<br />
nächsten zehn Jahre dem Orden der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern die Pflege<br />
der katholischen Kranken in Augsburg übergeben und ein Mutterhaus nach<br />
Münchner Vorbild gebaut werden sollte. Die Verhandlungen zwischen dem<br />
Mutterhaus und dem Augsburger Magistrat zogen sich dennoch weitere<br />
sechs Jahre hin. Erst 1858 gelang der Vertragsabschluss, wonach 22 <strong>Barmherzige</strong><br />
Schwestern und sechs Kandidatinnen bei der Eröffnung des städtischen<br />
Krankenhauses 1859 die Hauswirtschaft und Krankenpflege in der<br />
katholischen Abteilung übernehmen sollten. Ganz im Sinne des Paritätsgrundsatzes<br />
wurde die protestantische Abteilung des Hauses den Diakonissen<br />
übertragen. Mit der Übernahme des Krankenhauses war der erste Teil<br />
der Stiftungsbestimmung erfüllt, aber noch stand der Bau eines neuen Mutterhauses<br />
aus. Da der Magistrat nichts in dieser Angelegenheit unternahm,<br />
obwohl die Zehn-Jahres-Frist schon fast abgelaufen war und die Schwestern<br />
sich zudem in der Presse verleumderischer Kritik ausgesetzt sahen, dachte<br />
die Münchner Ordensleitung bereits daran, ihre Schwestern aus Augsburg<br />
zurückzuziehen. In dieser Situation brachte erst die Schenkung eines katholischen<br />
Augsburger Bürgers die Wende hin zur endgültigen Etablierung des<br />
Ordens in Augsburg. Der Magistratsrat Franz Xaver Stadler schenkte den<br />
Schwestern ein in der Nähe des Krankenhauses gelegenes Haus mit Garten.<br />
Der Orden verzichtete daraufhin, die Verpflichtung des Magistrats einzufordern,<br />
ihm ein Mutterhaus zu bauen. So erfolgte mit Zustimmung des
40 Jahre Kontinuität unter Schwester M. Regina Hurler<br />
Augsburger Bischofs Ende 1862 die endgültige Gründung des Augsburger<br />
Mutterhauses.<br />
Das Verhältnis der neuen Niederlassung in Augsburg <strong>zum</strong> Mutterhaus<br />
in München war von Anfang an etwas anderer Art <strong>als</strong> bei den sonstigen<br />
Niederlassungen üblich. Der Hauptgrund dafür war die Bestimmung der<br />
Stiftung Henles, „dass … ein Mutterhaus wie in München mit den verfassungsmäßigen<br />
Rechten etabliert werde“. 58 Das Mutterhaus hatte deshalb, um die<br />
Etablierung des Ordens in Augsburg nicht zu gefährden, in den Gründungsverhandlungen<br />
weitgehende Zugeständnisse machen müssen. So hatte man<br />
sich darauf geeinigt, dass Augsburg ein Ordensmutterhaus mit eigenem Vermögen<br />
sein sollte. Allerdings hatte sich das Mutterhaus in München die<br />
geistliche Oberaufsicht über das Augsburger Mutterhaus vorbehalten. Diese<br />
aber machte ihm das Augsburger Ordinariat von Anfang an streitig. Der<br />
Augsburger Bischof erreichte, dass ihm das Mutterhaus in München 1862<br />
die Ernennung des Augsburger Superiors überließ. Außerdem bestand er<br />
darauf, dass die Augsburger Filialen nur dem Mutterhaus in Augsburg unterstehen<br />
sollten. Wurde zunächst noch vereinbart, dass die Augsburger Oberin<br />
gewählt werden sollte und von München und dem Augsburger Ordinariat<br />
zu bestätigen sei, setzte der Augsburger Bischof gegen den Willen der<br />
Münchner Ordensleitung im Laufe der Jahre schließlich durch, dass nur<br />
noch die Ernennung durch ihn nötig war. So wurde de facto die Augsburger<br />
Niederlassung immer mehr von einer Filiale zu einem selbstständigen<br />
Mutterhaus. 1892 stellte der Augsburger Bischof schließlich eigenmächtig<br />
eine Generaloberin auf. Um den Tatsachen endlich Rechnung zu tragen,<br />
bat der Augsburger Superior im Jahr 1895 die Münchner Ordensleitung um<br />
die „Anerkennung völliger Selbständigkeit des Mutterhauses Augsburg auf Grund<br />
der Gener<strong>als</strong>tatuten und auf Grund der historischen Entwicklung der Dinge“ und<br />
machte den Vorschlag, „dass beide Schifflein nebeneinander friedlich fahren<br />
und den Fischfang der Barmherzigkeit betreiben“. 59 Der Münchner Superior<br />
erkannte in seinem Antwortschreiben im September 1895 die Selbstständigkeit<br />
des Mutterhauses Augsburg endgültig an: „… und es fahren die beiden<br />
Schifflein nun nebeneinander!“ 60<br />
*<br />
103
Schwester<br />
M. Constantia<br />
Mahler<br />
war 40<br />
Jahre lang<br />
(1856 – 1896)<br />
Oberin am<br />
Krankenhaus<br />
links<br />
der Isar.<br />
104<br />
Kapitel 7<br />
Die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
und die Entwicklung der<br />
modernen Krankenpflege<br />
7.1. Bedeutender Beitrag <strong>zum</strong> Aufbau des<br />
Krankenhauswesens in München<br />
Die Stabilität der Ordensleitung unter Schwester M. Regina erwies sich<br />
<strong>als</strong> Glücksfall für den Orden, <strong>zum</strong>al er sich in der zweiten Hälfte des 19.<br />
Jahrhunderts mit ständig steigenden Anforderungen konfrontiert sah. So<br />
hatten die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern an der zur Mitte des 19. Jahrhunderts<br />
einsetzenden rasanten Entwicklung des Krankenhauswesens in München<br />
maßgeblichen Anteil. Ihre erste Wirkungsstätte in Bayern, das Allgemeine<br />
Krankenhaus in München, sollte die<br />
Keimzelle für die sich im ausgehenden<br />
19. und beginnenden 20. Jahrhundert<br />
entwickelnden neuen Spezialkliniken<br />
in München werden.<br />
Das seit 1818 städtische Krankenhaus<br />
hatte mit der Verlegung der Universität<br />
von Landshut nach München zusätzlich<br />
die Funktion einer staatlichen Universitätsklinik<br />
übernommen. Im Krankenhaus<br />
gab es nun einige klinische<br />
Säle, die der staatlichen Universität zur<br />
Verfügung gestellt wurden. Diese Doppelfunktion<br />
sollte im Laufe der Jahrzehnte<br />
immer wieder zu Streitigkeiten<br />
um Kompetenzen und Finanzierung<br />
zwischen Staat und Stadt führen, unter
Die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern und die Entwicklung der modernen Krankenpflege<br />
denen auch die Schwestern zu leiden hatten. Zwar wurden in der Vergleichsurkunde<br />
von 1872 etwas tragfähigere Regelungen geschaffen, aber erst mit<br />
der vollständigen Übernahme im Jahr 1953 durch den Freistaat Bayern<br />
wurden diese Probleme endgültig ad acta gelegt.<br />
Ludwig I. hatte mit der Verlegung der Universität angestrebt, seine Residenzstadt<br />
nicht nur <strong>zum</strong> Zentrum der politischen Macht, sondern auch<br />
<strong>zum</strong> Zentrum von Kultur und Wissenschaft zu machen. Zunächst hatte die<br />
medizinische Fakultät in München gute Aussichten, eine führende Rolle in<br />
Deutschland zu übernehmen. Aufklärer wie die beiden von Häberl, die in den<br />
Anfangsjahren das Sagen am Krankenhaus hatten, waren offen für alle neuen<br />
naturwissenschaftlichen Erkenntnisse in der Medizin. Ausgerechnet der von<br />
Ludwig I. geschätzte und protegierte Prof. von Ringseis, unter dessen Einfluss<br />
das Krankenhaus die nächsten Jahrzehnte hauptsächlich stand, verhinderte<br />
jedoch den weiteren Ausbau der Vormachtstellung der Münchner Fakultät.<br />
Stark von der mystischen Naturphilosophie Schellings beeinflusst, versuchte<br />
Ringseis diese Philosophie auf die Medizin zu übertragen. Die Vertreter<br />
dieser ganzheitlich angelegten naturphilosophischen Ausrichtung lehnten<br />
den therapeutischen Aktionismus der Schulmedizin ab und setzten bei den<br />
Therapien auf Reiz steigernde und Reiz hemmende Methoden. Was heute<br />
im Zuge des Aufschwungs der Homöopathie und anderer Naturheilverfahren<br />
durchaus wieder modern klingt, sorgte dam<strong>als</strong> dafür, dass die medizinische<br />
Fakultät in München im Vergleich zu anderen Medizinfakultäten in<br />
Deutschland ins Hintertreffen geriet, was die Entwicklung der empirischen<br />
medizinischen Wissenschaft betraf. Dabei muss jedoch zur Ehrenrettung<br />
Ringseis gesagt werden, dass, auch wenn seine Theorien oft sehr wirklichkeitsfremd<br />
und dogmatisch waren, er in seiner ärztlichen Praxis pragmatisch<br />
vorging und <strong>als</strong> Therapeut auch neue Entwicklungen in der Medizin zu<br />
nutzen wusste. Doch die Entwicklung des Allgemeinen Krankenhauses zu<br />
einer modernen, nach wissenschaftlichen Erkenntnissen geführten Klinik<br />
erfolgte erst, <strong>als</strong> Mitte<br />
des 19. Jahrhunderts<br />
der Einfluss von Prof.<br />
Ringseis zurückgedrängt<br />
wurde.<br />
Der seit 1848 regierende<br />
neue König<br />
Maximilian II., der die<br />
Entwicklung der Wissenschaften<br />
in allen<br />
Bereichen in Bayern<br />
förderte, tat dies auch<br />
Hörsaal im<br />
Krankenhaus<br />
links<br />
der Isar<br />
105
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
106<br />
im medizinischen Bereich. So verstand er es, vor allem durch Berufung<br />
fähiger Mediziner, seiner Residenzstadt München auch auf diesem Feld<br />
eine Führungsposition in Deutschland zu verschaffen. Wie sehr die junge<br />
Ärztegeneration diesen Umschwung am Krankenhaus herbeigesehnt hatte,<br />
zeigt folgender Kommentar des Pathologen Thiersch zur Berufung von Dr.<br />
Carl von Pfeufer nach München: „Ein seliges Gefühl der Erlösung kam über<br />
mich und alle jungen strebsamen Ärzte in München, <strong>als</strong> mit Pfeufer die rationelle<br />
Medizin einzog… Statt dogmatischer, spekulativer Systeme der Krankheitslehre<br />
nun die Anwendung naturwissenschaftlich objektivierender Methoden bei der detaillierten<br />
Untersuchung krankhafter Organveränderungen.“ 61<br />
In den folgenden Jahrzehnten schaffte es die medizinische Fakultät in<br />
München mit Unterstützung von politischer Seite, die Koryphäen der deutschen<br />
Medizin nach München zu holen und hier zu halten. In München<br />
arbeiteten und lehrten unter anderem so bekannte Mediziner wie Nußbaum<br />
und Lindwurm und begründeten den Weltruf der Münchner Fakultät.<br />
Die Mitte des 19. Jahrhunderts auch in Bayern mit voller Kraft einsetzende<br />
Industrialisierung, die sich besonders anschaulich im rasanten Ausbau<br />
des Eisenbahnnetzes zeigte, hatte Auswirkungen auf viele Bereiche, so auch<br />
auf die Medizin. Hier führte der wissenschaftliche und technische Fortschritt<br />
zu geradezu revolutionären Veränderungen.<br />
Die junge, fähige und fortschrittsgläubige Ärztegeneration an der<br />
Münchner Universität wusste die neuesten technischen Errungenschaften<br />
und naturwissenschaftlichen Erkenntnisse für den medizinischen Alltag<br />
nutzbar zu machen. Am folgenreichsten war diese Entwicklung zunächst<br />
auf dem Gebiet der Chirurgie. Die Entdeckung der neuen Betäubungsmethoden<br />
mit Äther und wenig später mit Chloroform bot völlig neue Möglichkeiten.<br />
Mussten vorher Operationen möglichst schnell durchgeführt<br />
werden, wobei Hilfskräfte den vor Schmerz schreienden Patienten festhielten,<br />
waren nun unter Narkose erstm<strong>als</strong> längere und komplizierte Eingriffe<br />
möglich. Als auch noch die Zahl der Wundinfektionen durch Einführung<br />
der so genannten Listerschen Methode der Antiseptik mit Karbolsäure stark<br />
zurückgedrängt werden konnte, führte dies zu einer großen Aufwertung der<br />
Chirurgie. Erst Anfang des 19. Jahrhunderts waren die aus den Badern hervorgegangenen<br />
Wundärzte <strong>als</strong> Ärzte anerkannt worden. Aber auch danach<br />
hatten sie unter den Ärzten den schlechtesten Ruf – aufgrund ihres blutigen<br />
Handwerks, das meist nicht von Erfolg gekrönt war. Jetzt allerdings<br />
entwickelte sich das Bild des Chirurgen vom „Metzger“ <strong>zum</strong> „Halbgott in<br />
Weiß“, der Leben verlängern konnte.<br />
In München, wo Dr. von Rothmund schon 1847 die erste Operation<br />
unter Äthernarkose durchführte und Nußbaum 1874 die Listersche Methode<br />
einführte, ist diese Entwicklung deutlich zu beobachten. Ursprünglich
Die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern und die Entwicklung der modernen Krankenpflege<br />
Die Chirurgische Klinik in<br />
der Nußbaumstraße<br />
hatten die beiden medizinischen Abteilungen am Krankenhaus ein wesentlich<br />
größeres Gewicht <strong>als</strong> die chirurgische Abteilung. Dies begann sich nun<br />
zu ändern. Seit 1860 wurden Forderungen laut, der Chirurgie ein eigenes<br />
Krankenhaus zur Verfügung zu stellen. 1866 wurde die chirurgische Abteilung<br />
schließlich in das in der heutigen Nußbaumstraße gebaute Ausweichkrankenhaus<br />
verlegt. Dort entwickelte sich daraus nach und nach durch Um-<br />
und Neubauten die eigenständige Chirurgische Klinik. Im Jahr 1891 begann<br />
diese erste Spezialklinik, die aus dem ehemaligen Allgemeinen Krankenhaus<br />
entstanden war, ihren Betrieb. Die neue Chirurgische Universitätsklinik war<br />
ausgestattet mit modernsten Sterilisationseinrichtungen, Stromversorgung<br />
und den Einrichtungen für die kurz vorher erst entwickelte Technik der<br />
Röntgenuntersuchungen.<br />
Schon 1866 übernahmen die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern auch bei den<br />
Chirurgen Pflege und Hauswirtschaft und hatten schon 1865 im damaligen<br />
Aushilfskrankenhaus eine eigene Hausoberin eingesetzt. In den kommenden<br />
Jahrzehnten entwickelten sich mit der zunehmenden Spezifizierung in<br />
der Medizin weitere Spezialkliniken aus der alten Universitätsklinik in der<br />
heutigen Ziemssenstraße. Bis auf eine einzige Ausnahme, der Augenklinik,<br />
sorgten in allen diesen neuen Universitätskliniken <strong>Barmherzige</strong> Schwestern<br />
für Hauswirtschaft und Pflege. So übernahmen sie 1904 die Psychiatrische<br />
Universitätsklinik in der Nußbaumstraße, 1908 die I. Frauenklinik in der<br />
Maistraße, 1913 die Orthopädische Klinik in der Harlachinger Straße, 1917<br />
die II. Frauenklinik in der Lindwurmstraße und 1928 die Dermatologische<br />
Klinik in der Thalkirchner Straße.<br />
Daneben übernahmen sie 1853 die Pflege in dem von Dr. Hauner 1846<br />
privat gegründeten ersten Kinderspital, aus dem 1886 ebenfalls eine Universitätsklinik<br />
wurde.<br />
107
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
108<br />
Auch in den neuen städtischen Krankenhäusern stellten die Schwestern<br />
das Personal für Pflege und Wirtschaftsführung. Schon 1840 hatten sie das<br />
Krankenhaus in Haidhausen übernommen, das nach der Eingemeindung<br />
Haidhausens im Jahr 1855 <strong>zum</strong> zweiten großen Krankenhaus in München<br />
mit der Bezeichnung Krankenhaus rechts der Isar werden sollte. Das Allgemeine<br />
Krankenhaus trug seither die Bezeichnung Krankenhaus links der<br />
Isar. Als nach der Eingemeindung Schwabings das dritte große Krankenhaus<br />
der Stadt, das Schwabinger Krankenhaus, gebaut wurde, um den dringenden<br />
Bedarf der stark gewachsenen Stadt zu decken, waren wieder die Schwestern<br />
gefragt. Sie übernahmen 1910 auch dieses Haus, wie schon 1899 das städtische<br />
Sanatorium in Harlaching. Als nach dem 2. Weltkrieg die städtische<br />
Krankenhauslandschaft weiter ausgebaut wurde, arbeiteten die Schwestern<br />
in einer Reihe weiterer städtischer Häuser.<br />
Der Orden war auch in einigen Münchner Privatkliniken tätig, beispielsweise<br />
seit 1930 in der Maria-Theresia-Klinik von Prof. Lebsche.<br />
Es ist fast nicht vorstellbar, wie es der Orden schaffte, die enorme Nachfrage<br />
nach Pflegekräften für das boomende Münchner Krankenhauswesen<br />
zu befriedigen. Und nicht zu vergessen: auch im übrigen Bayern entstand<br />
zu derselben Zeit eine Niederlassung nach der anderen. Zu schaffen war<br />
dies nur, weil auch die Zahl der Eintritte mit dieser Entwicklung Schritt<br />
hielt. Dieser Boom fiel zeitlich zusammen mit der Blütezeit des Ordens.<br />
Aber nicht nur die hohe Anzahl der Schwestern, die benötigt wurde,<br />
sondern auch die gestiegenen Anforderungen an die Pflegekräfte stellten<br />
eine große Herausforderung dar.<br />
In der Anfangszeit der Schwestern am Allgemeinen Krankenhaus waren<br />
die therapeutischen Mittel noch sehr bescheiden gewesen. Als wichtige<br />
Medikamente galten dam<strong>als</strong> noch stärkende Lebensmittel wie Milch, Wein<br />
und Bier und gegen fast alles wurden in dieser Zeit, die Kerschensteiner <strong>als</strong><br />
„Zeit des Vampirismus“ bezeichnet hat, Aderlass und Blutegel eingesetzt. Das<br />
Krankenhaus hatte sogar, nachdem einmal innerhalb von drei Tagen 12.000<br />
Blutegel in der Krankenhausapotheke verendet waren, ein eigenes Blutegelbassin<br />
im Stadtgraben am Sendlinger Tor eingerichtet. In größeren Spitälern<br />
wurden jährlich Millionen von Blutegeln verbraucht. In dieser Zeit bestand<br />
die Pflege aus wenigen, sich wiederholenden Handreichungen und war im<br />
Großen und Ganzen auf eine Grundpflege beschränkt.<br />
Die Entwicklung der empirisch-wissenschaftlichen Medizin brachte nun<br />
aber auch für die Schwestern viele neue Aufgaben mit sich. Die Medikamentenverabreichung<br />
gestaltete sich immer differenzierter, die Einführung<br />
täglicher Temperaturmessungen kostete viel Zeit.<br />
Mit der Entstehung unterschiedlicher klinischer Disziplinen waren die<br />
Schwestern zudem gezwungen, sich in viele neue Fachbereiche einzuarbei-
Die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern und die Entwicklung der modernen Krankenpflege<br />
ten und spezielles Fachwissen zu erwerben. Sie mussten nun genauso bei<br />
Operationen kompetent assistieren wie die vielfältigen neuen Aufgaben in<br />
den neuen Laboratorien oder bei der diagnostischen und therapeutischen<br />
Anwendung der neu entwickelten Radiologie bewältigen. Ob <strong>als</strong> Kinderkrankenschwester<br />
oder <strong>als</strong> Schwester in der Psychiatrie oder in der Frauenklinik,<br />
überall mussten sie einsetzbar sein und „ihre Frau stehen“. Mit den<br />
neuen Erkenntnissen in der Infektiologie stieg im Krankenhaus auch der<br />
Aufwand für Sterilisation immens an.<br />
Der Aufschwung der Medizin im 19. Jahrhundert in München hätte<br />
trotz der technischen und wissenschaftlichen Entwicklung und trotz der<br />
fähigsten Ärzte nicht in diesem Maße stattfinden können, wenn nicht ein<br />
qualifiziertes Pflegepersonal daran mitgewirkt hätte. So bewahrheitete sich,<br />
was der Thorrbericht schon Anfang der 1830er Jahre festgestellt hatte: „wenn<br />
nicht auch von Seite der Pflege den Anordnungen des Arztes und den Bedürfnissen<br />
der Kranken entsprochen wird; so kann bei der allerbesten Einrichtung eines öffentlichen<br />
Krankenhauses; bei aller Geschicklichkeit des Arztes, und bei allem, was zu<br />
diesem Zwecke verwendet wird, ein glücklicher Erfolg nicht werden“. 62<br />
Mit dem Allgemeinen Krankenhaus war unzweifelhaft die Grundlage<br />
für die Entwicklung eines modernen Krankenhauswesens in München<br />
geschaffen worden. In seiner <strong>Festschrift</strong> aus dem Jahr 1988 anlässlich des<br />
<strong>175</strong>-<strong>jährigen</strong> Bestehens dieses Krankenhauses, das inzwischen nach einigen<br />
Namensänderungen <strong>als</strong> Medizinische Klinik der Innenstadt bezeichnet<br />
wird, sah Prof. Buchborn diese Anstalt <strong>als</strong> „Übergang vom Sozialasyl des alten<br />
Hospitalgedankens, für den geistliche Fürsorge und karitative Pflege der Siechen im<br />
Vordergrund stand, zu einem neuartigen Krankenhaus, in dem <strong>als</strong>bald die naturwissenschaftliche<br />
Medizin mit ihren Fortschritten Einzug hielt“. 63<br />
Schwester M.<br />
Rithberta Karpf<br />
im Operationssaal<br />
im IndersdorferKrankenhaus<br />
(1962)<br />
109
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
110<br />
Eine wichtige Voraussetzung dafür, dass das Allgemeine Krankenhaus<br />
diese herausragende Bedeutung für München erlangen konnte, dass es zur<br />
Keimzelle für alle weiteren Spezialkliniken, die im Laufe des 19. Jahrhunderts<br />
und des beginnenden 20. Jahrhunderts in München entstanden, werden<br />
konnte, war ein qualifiziertes und engagiertes Pflegepersonal.<br />
Dieses bekam es aber erst, <strong>als</strong> es die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern für die<br />
Pflege gewinnen konnte. Auch Professor Kerschensteiner setzte zu Beginn<br />
des 20. Jahrhunderts die Bedeutung der Einführung dieses Pflegeordens für<br />
die weitere Entwicklung des Krankenhauses entsprechend hoch an: „Weitaus<br />
die wichtigste Neuerung, … der nächst der Verlegung der Universität die größte<br />
Bedeutung für das Krankenhaus zu<strong>zum</strong>essen ist, war die Einführung des Ordens<br />
der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern.“ 64<br />
7.2. Vorbildfunktion für die Gründung neuer<br />
Pflegegemeinschaften im 19. Jahrhundert<br />
Im Zuge der Industrialisierung im 19. Jahrhundert verarmten weite Teile<br />
der Gesellschaft. Mit dem Wegfall des alten Feud<strong>als</strong>ystems verschwanden<br />
nicht nur viele Abhängigkeiten, sondern auch die alten Sicherungssysteme,<br />
ohne dass ein Ersatz geschaffen worden wäre. Der Staat begann erst im<br />
ausgehenden 19. Jahrhundert mit der Bismarckschen Sozialgesetzgebung,<br />
dieser Entwicklung Rechnung zu tragen. Vorher hatten jedoch bereits zahlreiche<br />
Privatinitiativen, vor allem aus dem kirchlichen Umfeld, versucht,<br />
die schlimmste Not zu lindern. Schwerpunkte dieser Initiativen lagen im<br />
Bereich der Erziehung, Armenpflege und der Verbesserung der Krankenversorgung.<br />
Für das Gebiet der Krankenpflege übernahmen die vinzentinischen<br />
Gemeinschaften allgemein, gerade aber auch das Mutterhaus der <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern in München eine Vorreiterrolle und Vorbildfunktion.<br />
Wegen des hohen Bekanntheitsgrades des Münchner Krankenhauses<br />
hatte sich schnell herumgesprochen, wie positiv sich hier die Verhältnisse<br />
seit der Übernahme durch die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern entwickelt hatten.<br />
Nicht nur Katholiken, die mit der langen Tradition der alten Pflegeorden<br />
vertraut waren, zeigten sich davon angetan, sondern auch Protestanten.<br />
Der evangelische Theologe Johann Georg Bartholmä legte seinen evangelischen<br />
Glaubensgenossen nahe, <strong>Barmherzige</strong> Schwestern an ihren Krankenhäusern<br />
einzuführen oder eine ähnliche Einrichtung auch bei den Protestanten<br />
zu gründen.<br />
Einflussreiche Persönlichkeiten aus den protestantischen Ländern kamen<br />
nach München, um sich vor Ort ein genaueres Bild über den Orden und<br />
seiner Arbeit zu machen.
Die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern und die Entwicklung der modernen Krankenpflege<br />
Um im protestantischen Bereich<br />
etwas den katholischen Pflegeorden<br />
Vergleichbares zu schaffen, gründete<br />
der evangelische Pastor Theodor<br />
Fliedner in Kaiserswerth bei Düsseldorf<br />
im Jahr 1836 die erste Diakonissenanstalt.<br />
In Bezug auf ethische<br />
Anforderungen und Organisation<br />
orientierte sich Fliedner dabei eindeutig<br />
am Vorbild der <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern. Die Diakonissen sollten<br />
strengen Lebensregeln unterworfen<br />
werden, eine einheitliche Kleidung<br />
tragen und nach dem Prinzip der<br />
Mutterhäuser organisiert sein. In<br />
den Krankenhäusern, in denen sie<br />
die Pflege übernahmen, sollten sie<br />
gleichzeitig, wie auch beim Vorbild<br />
der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern meist praktiziert, die gesamte Hauswirtschaft<br />
und Verwaltung übernehmen. Der Gründung der ersten Diakonissenanstalt<br />
von Kaiserswerth folgte bald die Gründung weiterer Anstalten. Mit großer<br />
Geschwindigkeit breitete sich die Diakoniebewegung im protestantischen<br />
Teil Deutschlands aus.<br />
Im katholischen Bereich entstanden in dieser Zeit ebenfalls weitere<br />
Pflegeorden. Auch sie orientierten sich an der Arbeitsweise und Organisationsform<br />
der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern. Eine der bedeutendsten dieser<br />
Gemeinschaften sollte der vom inzwischen selig gesprochenen Priester Paul<br />
Josef Nardini im Jahr 1855 in der pfälzischen Diaspora gegründete Orden<br />
der „Armen Franziskanerinnen von der hl. Familie“ werden. Diese Schwesterngemeinschaft,<br />
die seit Verlegung ihres Mutterhauses in die ehemalige<br />
Benediktinerabtei von Mallersdorf in Niederbayern auch <strong>als</strong> Mallersdorfer<br />
Schwestern bezeichnet wird, erlebte einen ähnlich großen Aufschwung im<br />
19. und beginnenden 20. Jahrhundert wie die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern.<br />
So prägend für die Krankenpflege des 19. Jahrhunderts scheint die Organisationsform<br />
der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern gewesen zu sein, dass selbst die<br />
ab den 1860er Jahren entstehenden Gemeinschaften der Rotkreuzschwestern<br />
in Deutschland nach dem Mutterhausprinzip aufgebaut wurden.<br />
Es gab nun im 19. Jahrhundert drei Säulen der Krankenpflege in Deutschland:<br />
die katholischen Pflegeorden, die protestantische Diakonie und die<br />
weltlichen Mutterhausverbände. Alle aber waren nach dem Mutterhausprinzip<br />
der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern organisiert.<br />
Auch die<br />
Arbeit<br />
im Labor<br />
gehörte<br />
zu den<br />
Tätigkeiten<br />
der <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern.<br />
111
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
Kandidatin<br />
Maria<br />
Spatzl und<br />
Schwester M.<br />
Engelmara<br />
Koch, Ende<br />
der 1950er<br />
Jahre. Auch<br />
der richtige<br />
Umgang mit<br />
Medikamenten<br />
gehörte<br />
zu den Aufgaben<br />
der<br />
Schwestern.<br />
112<br />
Mit einigem Recht kann man<br />
Kerschensteiner zustimmen, wenn er<br />
die Bedeutung der ersten Generaloberin<br />
des Münchner Mutterhauses<br />
für die Entwicklung des modernen<br />
Krankenpflegewesens in Deutschland<br />
sehr hoch ansetzte: „Schwester<br />
Ignatia Jorth …, die bedeutende Frau,<br />
deren Name nicht bloß in der Geschichte<br />
der Münchener Krankenanstalten,<br />
sondern in der Geschichte der Krankenpflege<br />
überhaupt nicht vergessen werden<br />
darf. Denn von ihr ging die große Reorganisation<br />
des Krankenpflegewesens<br />
in Süddeutschland aus, sie machte die<br />
Münchener Anstalt <strong>zum</strong> Vorbild auch<br />
für die protestantischen Länder.“ 65<br />
7.3. Entwicklung der Krankenpflegeausbildung<br />
Die Krankenpflegeorden des 19. Jahrhunderts erfuhren vor allem deshalb so<br />
große Akzeptanz, weil vor ihrer Einführung die Qualität der Pflege durch<br />
weltliche Kräfte auf niedrigstem Niveau gewesen war. Dies hatte sicher verschiedene<br />
Gründe, die sich gegenseitig bedingten. Das weltliche Pflegepersonal<br />
hatte keinerlei Ausbildung. Initiativen zur Behebung dieses Missstandes,<br />
wie die Gründung der ersten deutschen Krankenwärterschule in<br />
Heidelberg durch Professor Mai im Jahr 1782, blieben vereinzelt und ohne<br />
größere Tragweite. Die Krankenpfleger und -pflegerinnen bekamen einen<br />
sehr niedrigen Lohn und hatten bei Krankheit und im Alter keinerlei Absicherung.<br />
Unter diesen Bedingungen konnte der Arbeitgeber keine großen<br />
Voraussetzungen an die Eignung der Bewerber stellen und keine große<br />
Motivation im Dienst erwarten. Das soziale Prestige, das schon aufgrund der<br />
schlechten Arbeitsbedingungen und der Schwere der Arbeit nicht sehr hoch<br />
war, wurde noch geringer durch die häufig völlig ungeeigneten und moralisch<br />
oft sehr zweifelhaften Pflegekräfte, auf die man unter diesen Umständen<br />
notgedrungen zurückgreifen musste. Simon von Häberl beschrieb die<br />
vorherrschenden Zustände folgendermaßen: „Ohne Unterricht, ohne Interesse<br />
für die Institute, denen sie dienten, ohne Mitleid und Gefühl mit dem Kranken, dessen<br />
Zustand sie erträglicher zu machen beitragen sollten, roh und ungeschickt, mit<br />
andern Fehlern des Charakters nur zu häufig versehen, verrichteten sie die ihnen
Die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern und die Entwicklung der modernen Krankenpflege<br />
übertragenen Geschäfte nach Laune und<br />
Willkür.“ 66<br />
Die Einführung der <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern in Bayern und<br />
anderen Teilen Deutschlands bedeutete<br />
einen großen Fortschritt in der<br />
Krankenpflege. Wie schon dargestellt,<br />
kann man die <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern mit einigem Recht <strong>als</strong><br />
die Begründerinnen der modernen<br />
Krankenpflege bezeichnen. Aber<br />
auch ihr Anteil an der Entwicklung<br />
einer qualitativen Krankenpflegeausbildung<br />
in Deutschland ist nicht<br />
zu unterschätzen. 67 Der Orden<br />
stellte schon bei der Aufnahme der<br />
Schwestern hohe Anforderungen an<br />
ihre charakterliche Eignung und ihre<br />
Einstellung <strong>zum</strong> Beruf. Auch wenn bei der Ausbildung der neu aufgenommenen<br />
Schwestern zunächst weniger die theoretische Unterweisung <strong>als</strong><br />
vielmehr das Lernen in der Praxis durch Anleitung durch erfahrene ältere<br />
Schwestern und die Anweisungen der Ärzte im Vordergrund standen, wurden<br />
hier bereits die Grundlagen für eine systematische und qualitative Ausbildung<br />
gelegt. Die Ausbildung der Schwestern war möglichst breit angelegt,<br />
um sie flexibel in allen Bereichen einsetzen zu können. Großer Wert wurde<br />
auf die genaue Beobachtung des Patienten gelegt, um dem Arzt Bericht<br />
geben zu können. Dafür war die genaue Führung von so genannten Jourbüchern,<br />
einer Art Tagebücher über die Patienten, sehr wichtig. Dr. Gietl<br />
hatte zudem <strong>als</strong> Krankenhausdirektor einen Aufgabenkatalog für die <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern am Krankenhaus links der Isar erstellt, in dem die verschiedenen<br />
Aufgaben der Schwestern genauestens geregelt waren.<br />
Die Diakonissenanstalten orientierten sich bei der Gestaltung ihrer Ausbildung<br />
an den <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern, legten aber bereits mehr Wert<br />
auf den theoretischen Unterricht, der immer von einem Arzt erteilt werden<br />
musste.<br />
Da die drei oben erwähnten tragenden Säulen der Pflege im 19. Jahrhundert<br />
ihre Pflegekräfte selbst ausbildeten und bereits einen gewissen<br />
Qualitätsstandard gewährleisteten, sah der Staat anscheinend keine Notwendigkeit,<br />
die Pflege staatlich zu regeln. Nur so ist erklärbar, dass es für die<br />
Ausbildung von Ärzten, Hebammen und Apothekern schon längst staatlich<br />
festgelegte Ausbildungsordnungen und Prüfungen gab, für die Krankenpfle-<br />
Schwester M.<br />
Sigmunda<br />
Stanglmaier,<br />
Leiterin<br />
der Mutterhausschule,<br />
erklärt jungenSchwestern<br />
anhand<br />
eines Schauobjekts<br />
die<br />
Funktion der<br />
Organe.<br />
113
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
114<br />
geausbildung aber erst am Anfang des 20. Jahrhunderts gesetzliche Regelungen<br />
erlassen wurden.<br />
Dass schließlich staatliche Regelungen nötig wurden, lag vor allem<br />
daran, dass immer mehr Frauen wünschten, die Krankenpflege außerhalb<br />
der Mutterhausorganisationen <strong>als</strong> anerkannten Beruf auszuüben. Wichtigstes<br />
Vorbild war für sie die britische Krankenschwester Florence Nightingale,<br />
die die Neuorganisation der britischen Krankenpflege initiiert hatte.<br />
Interessanterweise hatte sich diese vorher in Paris und Kaiserswerth sehr<br />
genau über die Vinzentinerinnen und die Diakonissen informiert und vieles<br />
von ihnen übernommen, was die Inhalte des Unterrichts und die Art der<br />
Pflege betrifft. Allerdings hatte sie sich ganz bewusst gegen das Organisationsprinzip<br />
der Mutterhäuser entschieden. Ihr Ziel war es, die Tätigkeit der<br />
Krankenschwester auch außerhalb der religiösen und weltlichen Gemeinschaften<br />
zu ermöglichen. Als in Deutschland die Frauenemanzipationsbewegung<br />
Ende des 19. Jahrhunderts stärker wurde, wurde auch hier die Forderung<br />
laut, diese Tätigkeit <strong>als</strong> anerkannten Ausbildungsberuf für Frauen zu<br />
etablieren. Im Jahr 1903 gründete die der Frauenbewegung nahe stehende<br />
ehemalige Rotkreuzschwester Agnes Karll zusammen mit engagierten Mitstreiterinnen<br />
die erste Berufsorganisation für freiberufliche Pflegerinnen,<br />
den heutigen Agnes-Karll-Verband. Hauptziel dieses Interessenverbandes<br />
war es, dass Frauen in Zukunft die Tätigkeit einer Krankenschwester <strong>als</strong><br />
anerkannten, konfessionell ungebundenen Beruf außerhalb der Mutterhausverbände<br />
ausüben können sollten. Deshalb forderten sie eine staatliche<br />
Regelung und Anerkennung der Ausbildung und die soziale Absicherung<br />
der freien Krankenschwestern durch eine angemessene Entlohnung und<br />
durch die Aufnahme in die Sozialversicherungen.<br />
Die Mutterhausverbände waren zunächst über die erstarkende Konkurrenz<br />
der freien Schwestern nicht erfreut. Sie und kirchennahe Kreise<br />
befürchteten eine Entweihung der Krankenpflege, die sie selbst nicht <strong>als</strong><br />
irgendeinen Beruf, sondern <strong>als</strong> Berufung verstanden. Beunruhigt waren sie<br />
auch durch die zu Beginn des 20. Jahrhunderts immer vehementer werdenden<br />
Forderungen nach einer einheitlichen Regelung der Krankenpflegeausbildung<br />
und nach Einführung einer verpflichtenden staatlichen Prüfung<br />
für das Krankenpflegepersonal.<br />
Die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern befürchteten eine Einmischung des<br />
Staates in die bisher von ihnen selbst vorgenommene Ausbildung ihres<br />
Nachwuchses.<br />
Grundsätzlich waren sie zwar nicht abgeneigt, dass die Ausbildung<br />
gewissen staatlich vorgegebenen Qualitätsstandards unterliegen sollte, allerdings<br />
war es ihnen sehr wichtig, die Ausbildung nach wie vor ordensintern<br />
durchzuführen. Schließlich sollte die fachliche Ausbildung mit der religi-
Die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern und die Entwicklung der modernen Krankenpflege<br />
ösen Ausbildung und der Vermittlung des speziellen vinzentinischen Geistes<br />
und Berufsethos verbunden bleiben.<br />
Während in einigen Ländern Deutschlands, beispielsweise in Preußen,<br />
bereits erste Versuche einer staatlichen Regelung der Pflege unternommen<br />
wurden, unterblieb in Bayern zunächst eine verbindliche Regelung.<br />
Im Zuge dieser Diskussion erließ jedoch der Magistrat der Stadt München<br />
im Jahr 1904 eine neue Krankenhaussatzung, nach der eine theoretische<br />
Ausbildung für die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern am Krankenhaus links der<br />
Isar vorgeschrieben wurde. Auch bisher schon hatten die Schwestern durch<br />
ihre Tätigkeit an den Universitätskliniken die Möglichkeit, sich einiges an<br />
theoretischem Fachwissen anzueignen, da sie bei der Ausbildung der jungen<br />
Ärzte am Krankenbett mit anwesend waren. Mancher Professor hatte<br />
zudem darauf bestanden, dass Schwestern an Vorlesungen teilnahmen, oder<br />
hielt spezielle Fachvorträge für sie. Nun sollte dieser Unterricht verbindlich<br />
und institutionalisiert werden. Der Assistenzarzt Dr. Hermann Kerschensteiner<br />
wurde vom Krankenhaus damit beauftragt, dem Schwesternnachwuchs<br />
in mehrwöchigen Kursen theoretische Grundlagen zu vermitteln.<br />
Nach dem Wechsel Kerschensteiners an das Schwabinger Krankenhaus,<br />
wo er ebenfalls diesen Theorieunterricht einführte, stellte das Krankenhaus<br />
links der Isar den Schwestern für den Unterricht keinen Arzt mehr zur<br />
Verfügung. Wie Kerschensteiner in seinem Buch durchblicken lässt, gab es<br />
Bestrebungen innerhalb der Ärzteschaft, den Schwerpunkt der Schwesternausbildung<br />
ins neue Schwabinger Krankenhaus zu verlegen, um diese von<br />
der Ausbildung des medizinischen Nachwuchses im Krankenhaus links der<br />
Isar stärker zu trennen.<br />
Um die theoretische Ausbildung der Schwestern auch am Krankenhaus<br />
links der Isar weiterhin zu gewährleisten, engagierte der Orden den Arzt<br />
Dr. Schöner <strong>als</strong> Lehrer und verlegte den Unterricht in das neue Postulatsgebäude<br />
in der Blumenstraße. Die dortige Oberin und Novizenmeisterin<br />
des Ordens, Schwester M. Alma Mack, hatte schon 1910 begonnen, Einführungskurse<br />
für die neu eingetretenen Kandidatinnen zu geben. Aber auch<br />
junge Professschwestern zeigten Interesse, sich weiterzubilden, um für eine<br />
eventuelle staatliche Prüfung in der Zukunft gewappnet zu sein. Zudem<br />
versprachen sie sich durch den Erwerb von Fachwissen mehr Sicherheit in<br />
ihrem immer anspruchsvoller werdenden Berufsalltag. Schließlich mussten<br />
die Schwestern, die meist nur eine Volkschulbildung vorzuweisen hatten,<br />
neben den kompetentesten Universitätsprofessoren am Krankenbett bestehen,<br />
die ihrerseits meist viel von den Schwestern an Können und Wissen<br />
voraussetzten. Oft mussten auch schon sehr junge Schwestern selbstständig<br />
eine Station leiten. Mit mehr fachlichem Wissen erhofften sie sich, der Last<br />
der Verantwortung besser gewachsen zu sein. Deshalb stieß Dr. Brunner, der<br />
115
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
116<br />
Direktor des Schwabinger Krankenhauses, auf große Resonanz bei den jungen<br />
Professschwestern, <strong>als</strong> er im Mutterhaus Fortbildungsvorträge anbot.<br />
Erst nach dem 1. Weltkrieg unternahm der Staat erneut einen Versuch,<br />
eine einheitliche Ausbildungsregelung für den Pflegeberuf in Deutschland<br />
zu schaffen. Das Ergebnis dieser Bemühungen war der Erlass des Innenministeriums<br />
vom Juli 1921. Die katholische Kirche hatte im Vorfeld bereits<br />
interveniert. Die deutschen Bischöfe und der 1897 gegründete Caritasverband<br />
vertraten die Interessen der katholischen Pflegeorden gegenüber dem<br />
Staat und erreichten weitgehende Zugeständnisse. Angesichts der damaligen<br />
Bedeutung der Ordenspflege <strong>als</strong> eine der wichtigsten Stützen der Krankenpflege<br />
in Deutschland musste der Staat selbst ja auch daran interessiert<br />
sein, den Orden weiterhin ihre Arbeit zu ermöglichen. So gestand man<br />
den Pflegeorden zu, die Ausbildung ihres Nachwuchses in ordenseigenen<br />
Pflegeschulen durchzuführen. Allerdings mussten sich diese Schulen an die<br />
staatliche Ausbildungsordnung halten und bedurften der Genehmigung<br />
durch die Behörden.<br />
Die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern reagierten auf Anraten ihres Superiors<br />
und des Erzbischofs von München und Freising, Kardinal von Faulhaber,<br />
rasch und flexibel auf die neueste Entwicklung. Schon vor dem Erlass von<br />
1921 bauten sie ihre schon bestehende Pflegeschule im Postulat aus und<br />
passten sie den neuen Erfordernissen an. Sie beantragten die staatliche<br />
Genehmigung ihrer Schule und begannen im November 1920 mit dem<br />
ersten ein<strong>jährigen</strong> Theoriekurs. Als Schulleiter stellte sich Dr. Brunner, der<br />
inzwischen sein Amt im Schwabinger Krankenhaus niedergelegt hatte, zur<br />
Verfügung. Das Amt der Lehrschwester wurde Schwester M. Clementia<br />
Schaetz übertragen, die es die kommenden drei Jahrzehnte ausüben sollte.<br />
Neben der theoretischen Ausbildung leisteten die jungen Schwestern täglich<br />
ihren praktischen Krankendienst, einschließlich der vorgeschriebenen<br />
Nachtwachen. Nur für die letzten sechs Wochen wurden sie vom Dienst<br />
freigestellt, um sich auf die Prüfung vorbereiten zu können. Im November<br />
1921 legten die ersten 27 Münchner <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern die staatliche<br />
Prüfung erfolgreich ab. Parallel <strong>zum</strong> Kurs im Postulat lief auch ein erster<br />
Kurs mit 27 Absolventinnen am Schwabinger Krankenhaus. Geleitet wurde<br />
dieser Kurs von Professor Dr. Hermann Kerschensteiner, der seit 1920 der<br />
Direktor des Hauses war. Auch hier etablierte sich eine weitere Krankenpflegeschule,<br />
die zwar vom Orden geleitet wurde, aber wie das Krankenhaus<br />
städtisch war. Auch am Bamberger Krankenhaus wurden einige Jahre von<br />
einem dortigen Arzt Kurse angeboten, die der Orden aber 1925 wegen<br />
mangelnder Qualität wieder einstellte.<br />
Für ihr Praktikum hatten die Auszubildenden der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
den großen Vorteil, dass sie in allen Spezialkliniken der Universität,
Die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern und die Entwicklung der modernen Krankenpflege<br />
die vom Orden geführt wurden, eingesetzt<br />
werden konnten. So hatten sie<br />
die Möglichkeit, in noch mehr <strong>als</strong> den<br />
vorgeschriebenen Bereichen Einblick<br />
zu erhalten.<br />
Während in Schwabing seit 1925<br />
auch spezielle Säuglings- und Kinderpflegekurse<br />
angeboten wurden, gab es<br />
im Postulat seit 1927 die Möglichkeit,<br />
neue Spezialausbildungen zu erwerben,<br />
beispielsweise Fortbildungen zur Kindergärtnerin<br />
oder Handarbeitslehrerin.<br />
1930 kam auch noch die Ausbildung<br />
zur Diätassistentin hinzu.<br />
Da das Postulatsgebäude im 2. Weltkrieg<br />
durch Bomben vollständig zerstört<br />
worden war, wurde die Ausbildung der Schwestern nach dem Krieg<br />
ins Mutterhaus verlegt. Zudem wurde statt im Schwabinger Krankenhaus,<br />
das die Amerikaner requiriert hatten, im Krankenhaus rechts der Isar ausgebildet,<br />
bis der Orden 1959 seine neue Pflegeschule „Maria Regina“ in<br />
der Thalkirchner Straße eröffnete. Die Schule im Mutterhaus, ausschließlich<br />
für den Ordensnachwuchs gedacht, ruht seit ca. 1970 aus Mangel an<br />
Nachwuchs.<br />
Die Pflegeschulen der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern waren ursprünglich<br />
fast ausschließlich für den eigenen Ordensnachwuchs gedacht. Auf Drängen<br />
des Caritasverbandes wurden zwar auch einige freie katholische Schwestern<br />
von den <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern an den Münchener Krankenhäusern<br />
ausgebildet, blieben aber zahlenmäßig eher eine Randerscheinung. Dies<br />
änderte sich nach dem 2. Weltkrieg, <strong>als</strong> der Ordensnachwuchs immer weniger<br />
wurde. Der Orden öffnete seine neue Schule Maria Regina zunächst<br />
für katholische freie Schwestern, später auch für alle anderen angehenden<br />
Krankenschwestern.<br />
Neben den ordenseigenen Schulen leiteten die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
in der Nachkriegszeit eine Reihe von städtischen Krankenpflegeschulen.<br />
Hier sorgten sie angesichts des Rückgangs der Ordensschwestern und des<br />
weiter steigenden Bedarfs für die Ausbildung der immer dringender benötigten<br />
weltlichen Krankenschwestern. Mit dem Rückzug aus den jeweiligen<br />
Krankenhäusern in den letzten Jahrzehnten war auch der Rückzug aus den<br />
dortigen Pflegeschulen verbunden.<br />
Heute bilden die Schwestern für die Krankenpflege nur noch in ihrer<br />
ordenseigenen Berufsfachschule für Krankenpflege Maria Regina aus.<br />
Schwester M.<br />
Sigmunda<br />
Stanglmaier<br />
(ganz rechts)<br />
unterweist<br />
die<br />
Schwestern<br />
M. Ariadne<br />
Maier und<br />
M. Vinzentia<br />
Moll (von<br />
links) in der<br />
Handhabung<br />
von<br />
Infusionen.<br />
117
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
118<br />
7.4. Ambulante Krankenpflege<br />
Die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern sahen ihren Tätigkeitsschwerpunkt immer<br />
in der Krankenpflege und zwar in der institutionalisierten, stationären Krankenpflege<br />
in den Krankenhäusern. Im Gegensatz zu anderen in der Krankenpflege<br />
tätigen Orden, auch anderen Vinzentinerinnen, waren sie in der<br />
Übernahme von ambulanter Krankenpflege sehr zurückhaltend. Zum einen<br />
waren sie bei der ständig steigenden Nachfrage nach Schwestern für die<br />
Krankenhäuser schon genug ausgelastet. Zum anderen sahen auch ihre Statuten<br />
die stationäre Krankenpflege <strong>als</strong> ihr wichtigstes Betätigungsfeld vor:<br />
„Die wesentliche Bestimmung der barmherzigen Schwestern in Bayern besteht in der<br />
Pflege der in den Krankenhäusern befindlichen Kranken beiderlei Geschlechts.“ 68<br />
Die erste Ausnahme bildete die Übernahme des Bachschen Seelhauses<br />
in Augsburg, was seinen Grund in der schon geschilderten spezifischen Ausgangssituation<br />
hatte. Eine weitere Ausnahme machten die <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern, <strong>als</strong> sie 1857 bzw. 1864 die ambulanten Pflegestationen der drei<br />
Münchner Pfarreien St. Bonifaz, St. Ludwig und St. Peter übernahmen. Hier<br />
wollten sie sich der Zusammenarbeit mit dem in München neu gegründeten<br />
Vinzenzverein nicht entziehen. Obwohl noch im Jahr 1870 der damalige<br />
Superior Etzinger eine Anfrage aus Bamberg nach Schwestern für die ambulante<br />
Pflege kategorisch ablehnte, machte das Mutterhaus in den nächsten<br />
drei Jahrzehnten neun weitere Ausnahmen. Aber erst beim 2. Generalkapitel<br />
1899 wurden die Bedenken endgültig ad acta gelegt. Allein im ersten Jahrzehnt<br />
des 20. Jahrhunderts übernahmen die Schwestern neun weitere Stationen.<br />
Ein weiterer größerer Anstieg war in den Jahren von 1929 bis 1935<br />
mit fünf neuen Niederlassungen zu verzeichnen. In den Nachkriegszeiten<br />
ging die Zahl der von den Schwestern geführten ambulanten Stationen<br />
wieder zurück. Die alten Münchner Stationen wurden nach ihrer Ausbombung<br />
im Jahr 1944 aufgegeben. Dass sich die Schwestern in den 60er Jahren<br />
aus weiteren Niederlassungen der ambulanten Pflege zurückzogen, ist wohl<br />
aus dem allgemeinen Rückgang des Schwesternnachwuchses zu erklären.<br />
In den 70er Jahren ist jedoch ein neuer Aufschwung zu erkennen. Dies<br />
hängt mit Sicherheit damit zusammen, dass in diesen Jahren der Aufbau von<br />
ambulanten Stationen, nun Sozi<strong>als</strong>tationen genannt und im katholischen<br />
Bereich meist von der Caritas getragen, allgemein eine neue Renaissance<br />
erfahren hat. Die Gründe für diesen erneuten Aufschwung sind komplex. Auf<br />
der einen Seite steht der Umbruch der Familienstrukturen. Immer seltener<br />
gibt es die Großfamilie, die in den verschiedenen Notsituationen helfend<br />
einspringen könnte. Immer seltener geworden sind funktionierende Nachbarschaftsgemeinschaften,<br />
immer häufiger Isolation und Anonymität. Dem<br />
häufig fehlenden sozialen Netz stehen auf der anderen Seite eine Reihe
Die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern und die Entwicklung der modernen Krankenpflege<br />
neuer Aufgaben gegenüber. So sind<br />
immer mehr Menschen durch den<br />
durch Kostendruck ausgelösten<br />
Trend, die stationäre Verweildauer<br />
im Krankenhaus zu verkürzen oder<br />
zu vermeiden, auf ambulante Krankenpflege<br />
angewiesen. Auch in der<br />
ambulanten Altenpflege ist in den<br />
vergangenen Jahrzehnten der Bedarf<br />
weiter gestiegen, da immer mehr<br />
ältere Menschen die Unterbringung<br />
im Heim so lange wie möglich vermeiden<br />
wollen, damit aber immer<br />
häufiger auf Hilfe zu Hause angewiesen<br />
sind. Aufgaben in diesem<br />
Bereich gäbe es für die Schwestern<br />
auch in Zukunft ausreichend, aber<br />
leider mussten sie sich daraus in den<br />
letzten beiden Jahrzehnten, gezwungen durch den immer eklatanter werdenden<br />
Schwesternmangel, wieder weitgehend zurückziehen.<br />
In diesen ambulanten Stationen fungierte der Orden bis auf zwei Ausnahmen<br />
nicht selbst <strong>als</strong> Träger. Träger waren Gemeinden, Pfarreien oder soziale<br />
Vereine wie der Vinzenzverein und später überwiegend der Caritasverband.<br />
Heute sind nur noch in einer ambulanten Station Schwestern vom Mutterhaus<br />
München tätig, nämlich in Oberstdorf. Weitere Einsatzorte waren<br />
bis vor kurzem Sonthofen und Bayreuth, die Ende 2006 bzw. im Juni 2007<br />
aufgegeben werden mussten. In diesen beiden Orten wirkten <strong>Barmherzige</strong><br />
Schwestern rund ein Jahrhundert lang in der ambulanten Krankenpflege.<br />
*<br />
Schwester<br />
M. Cyrina<br />
Kandler auf<br />
der Säuglingsstation<br />
des Krankenhauses<br />
in Indersdorf<br />
(1962)<br />
119
120<br />
Kapitel 8<br />
Weitere Tätigkeitsbereiche der<br />
<strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
8.1. Altenpflege – von den Pfründneranstalten zu<br />
modernen Seniorenheimen<br />
Der zweitwichtigste Tätigkeitsschwerpunkt der Münchner <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern war traditionell die Altenpflege. Dies ergab sich schon aus der<br />
früher sehr engen Verknüpfung von Kranken- und Altenpflege. Vor Entstehung<br />
der modernen Krankenhäuser im Laufe des 19. Jahrhunderts wurden<br />
in den Spitälern immer Kranke und Alte zusammen versorgt. Viele der nach<br />
und nach von den Schwestern übernommenen Krankenanstalten waren<br />
noch Spitäler in diesem traditionellen Sinne, hatten <strong>als</strong>o zur Krankenversorgung<br />
auch die Alten- und Armenpflege zu leisten. Nach und nach erst<br />
wurden die Bereiche Kranken- und Altenpflege getrennt. Manches alte Spital<br />
wurde zu einem reinen Krankenhaus ausgebaut. Häufiger war jedoch<br />
die Entwicklung der alten Spitäler zu reinen Altenheimen, während für<br />
die Krankenversorgung neue Krankenhäuser entstanden. In München war<br />
diese Entwicklung schon früher erfolgt. Hier waren bereit 1813 mit der<br />
Eröffnung des Allgemeinen Krankenhauses aus den alten Spitälern reine<br />
Pfründneranstalten geworden. Schon bald nach ihrer Ankunft hatten die<br />
<strong>Barmherzige</strong>n Schwestern alle diese Einrichtungen der Münchner Altenpflege<br />
übernommen.<br />
Einen kleinen Einblick in die dam<strong>als</strong> an Pfründneranstalten herrschenden<br />
Zustände gibt uns der Bericht von Schwester Ignatia Jorth an die Straßburger<br />
Generaloberin anlässlich der Übernahme des Heilig-Geist-Spit<strong>als</strong>. Diese für<br />
München sehr bedeutende Pfründneranstalt, die inzwischen im ehemaligen<br />
Elisabethspital untergebracht war, hatte der Orden <strong>als</strong> erste Einrichtung dieser<br />
Art in Bayern am 1. Oktober 1836 mit zehn Schwestern übernommen.<br />
Die dort von den Schwestern vorgefundenen Verhältnisse wurden schon<br />
von ihnen <strong>als</strong> sehr übel empfunden, nach heutigen Maßstäben würden wir<br />
sie <strong>als</strong> katastrophal bezeichnen. So schrieb Schwester Ignatia am 5. August<br />
1836 nach Straßburg: „In der Anstalt sind alles verhauste und versoffene Leute,
Weitere Tätigkeitsbereiche der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
die den ganzen Tag in der Stadt herumbetteln. So wie sie jetzt gehalten werden,<br />
sind sie aber dazu gezwungen, denn sie erhalten in der Anstalt an Nahrung mittags<br />
nur Suppe, Fleisch und ein wenig Gemüse, abends nur ein wenig Suppe. Für Brot,<br />
Bier, Kleider und Wäsche dagegen sollen sie selbst aufkommen und empfangen dafür<br />
wöchentlich 48 Kreuzer. Ich werde aber den Herren vom Magistrat sagen, dass das<br />
nicht so weitergehen kann; man muss den Leuten die ganze Kost und auch die<br />
Kleidung geben statt des Wohngeldes.“ 69 Die Münchner Generaloberin erklärte<br />
sich zur Übernahme des Spit<strong>als</strong> erst bereit, nachdem der Magistrat auf<br />
ihre Veränderungsvorschläge eingegangen war.<br />
Nach der Übernahme machte sie sich daran, das Spital nach dem Vorbild<br />
des Bürgerspit<strong>als</strong> in Straßburg umzugestalten. Vordringlich waren zunächst<br />
Hygienemaßnahmen für die Pfründner und die Reinigung des Hauses, der<br />
Wäsche und der Betten. Mit den <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern zog allerdings<br />
neben der Reinlichkeit auch eine strengere Ordnung in das Haus ein. Dies<br />
mag den einen oder anderen Pfründner gestört haben. Die meisten jedoch<br />
waren froh, dass sie nun besser versorgt wurden und mehr Ruhe im Haus<br />
einkehrte. Sie lernten schnell die Schwestern schätzen, die sich liebevoll um<br />
ihr leibliches Wohl und durch das Gebet in der Gemeinschaft auch um ihr<br />
seelisches Wohl kümmerten.<br />
Wenn schon in einer der bedeutendsten Pfründneranstalten der Residenzstadt<br />
München derartige Verhältnisse geherrscht haben, wie mag es<br />
dann an den meist weit ärmeren Spitälern der kleineren bayerischen Städte<br />
ausgesehen haben, die die<br />
Schwestern im Laufe der Zeit<br />
übernahmen?<br />
Wie die Krankenpflege war<br />
auch die Altenpflege in den letzten<br />
<strong>175</strong> Jahren umwälzenden<br />
Veränderungen unterworfen. Allerdings<br />
lagen hier die Gründe<br />
für die Veränderungen weniger<br />
in der wissenschaftlichen und<br />
technischen <strong>als</strong> vor allem in der<br />
gesellschaftspolitischen Entwicklung.<br />
Die Einstellung zur Gestaltung<br />
des Alters hat sich weitgehend<br />
verändert. Die heutigen<br />
Senioren sind meist noch aktiver,<br />
gesünder und häufig auch wohlhabender<br />
<strong>als</strong> die alten Menschen<br />
früher. Meist möchten sie heute<br />
Die Altenpflege<br />
war<br />
immer ein<br />
wichtiger<br />
Aufgabenbereich.<br />
Die<br />
Aufnahme<br />
entstand<br />
vermutlich<br />
Anfang der<br />
1960er Jahre<br />
in einem<br />
Münchner<br />
Altenheim.<br />
121
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
122<br />
so lange wie möglich selbstständig bleiben und eine Betreuung erst in Anspruch<br />
nehmen, wenn sie unumgänglich geworden ist.<br />
Es war ein langer, auch von den <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern nicht unwesentlich<br />
mitgeprägter Weg von den alten Pfründneranstalten über die<br />
schon weit moderneren Alten- und Pflegeheime zu den heutigen vielfältigen<br />
Angeboten an Seniorenanlagen mit unterschiedlichen Stufen an<br />
Betreuungsangeboten.<br />
Wegen des gravierenden Nachwuchsmangels haben sich die <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern in den vergangenen Jahrzehnten aus allen ordensfremden<br />
Einrichtungen der Altenpflege zurückgezogen. Heute konzentrieren<br />
sie ihre Kräfte auf die sechs ordenseigenen Einrichtungen. Während die<br />
Altenheime in Teisendorf und Ruhpolding von Anfang an für die Allgemeinheit<br />
bestimmt waren, wurden in den übrigen Häusern nur die eigenen<br />
betagten Ordensschwestern betreut. Heute ist nur noch das Schwesternheim<br />
St. Hildegard in Alzing ausschließlich Ordensangehörigen vorbehalten.<br />
Die übrigen Altenheime in München-Berg am Laim, Unterhaching<br />
und bei Planegg wurden in den letzten Jahren ebenfalls der Allgemeinheit<br />
zugänglich gemacht.<br />
8.2. Kinder- und Jugendfürsorge<br />
Der Bereich Kinder- und Jugendfürsorge erlangte rein zahlenmäßig bei der<br />
Kongregation nie auch nur annähernd eine vergleichbare Bedeutung wie<br />
die Kranken- und Altenpflege, lag den Schwestern jedoch immer sehr am<br />
Herzen.<br />
Ähnliches, was bereits in Bezug auf die Altenpflege gesagt wurde, gilt,<br />
wenn auch in bescheidenerem Ausmaß, für die Kinderpflege. In den alten<br />
Spitälern wurden neben Kranken, Armen und Alten teilweise auch verwaiste<br />
und vernachlässigte Kinder untergebracht. So hatten die <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern beispielsweise im von ihnen 1849 übernommenen Heilig-<br />
Geist-Spital in Landsberg im Jahr 1888 neben den 75 Pfründnern und<br />
einigen Hausarmen auch 23 Waisenknaben zu versorgen. 70<br />
Durch diese Aufgabenverknüpfung an den Spitälern waren die Schwestern<br />
zunächst an vielen Orten in geringem Umfang mit der Kinderpflege<br />
betraut. Mit zunehmender Spezialisierung wurden im Laufe der Zeit diese<br />
Kinderabteilungen an den Spitälern in der Regel zugunsten der Altenpflege<br />
geschlossen. In Landsberg erfolgte diese Schließung erst recht spät, nämlich<br />
1970. Größere Bedeutung für die Arbeit der Schwestern in der Kinder-<br />
und Jugendhilfe erlangten neben Landsberg die Niederlassungen in<br />
Amberg, Eichstätt, Regensburg und Fuchsmühl. Zu den beiden wichtigsten
Weitere Tätigkeitsbereiche der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
Zentren in diesem Aufgabenbereich<br />
sollten sich jedoch im Laufe der Zeit<br />
Landshut und Indersdorf entwickeln.<br />
In Landshut hatte der Orden<br />
bereits im Jahr 1843, noch unter der<br />
ersten Generaloberin Ignatia Jorth,<br />
sein erstes Waisenhaus in Bayern<br />
übernommen.<br />
Waren die übernommenen Kinderheime<br />
zunächst Waisen- und Findelhäuser,<br />
wurden sie ab Mitte des 19.<br />
Jahrhunderts zunehmend zu Erziehungsanstalten<br />
ausgebaut, in denen<br />
nicht nur Waisen, sondern auch vernachlässigte<br />
Kinder aufgenommen<br />
wurden. Mit der Industrialisierung<br />
und den vielfach damit verbundenen<br />
sozialen und wirtschaftlichen<br />
Problemen wuchs auch der Bedarf an derartigen Einrichtungen. Getragen<br />
wurden diese Institutionen häufig von Vereinen, die meist von sozial engagierten<br />
und vermögenden Frauen aus dem Bürgertum oder Adel für diesen<br />
Zweck ins Leben gerufen worden waren. Dies war auch in Indersdorf und<br />
Landshut der Fall.<br />
So gründete ein solcher Frauenverein 1847 in Landshut eine Kinderbewahranstalt,<br />
die bis <strong>zum</strong> Anfang der 1920er Jahre von den <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern zusammen mit dem Waisenhaus betreut wurde. Waisenhaus und<br />
Kinderbewahranstalt waren an das ebenfalls von den Schwestern geführte<br />
städtische Krankenhaus Landshut angegliedert.<br />
Im Jahr 1857 eröffnete dieselbe Fraueninitiative, die sich inzwischen <strong>zum</strong><br />
„Marienverein“ zusammengeschlossen hatte, eine weitere derartige Einrichtung<br />
in Landshut. Allerdings sollten in dieser Kinderbewahranstalt die Kinder<br />
nicht nur tagsüber, sondern rund um die Uhr versorgt werden, <strong>als</strong>o im<br />
Haus wohnen können. Auch für die Betreuung dieser neuen „Marienanstalt“<br />
in der Landshuter Marienstraße konnten die Münchner <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern gewonnen werden. Dieses neue, heute noch bestehende<br />
Heim sollte eine noch größere Bedeutung für die Kongregation erlangen<br />
<strong>als</strong> die erste Einrichtung.<br />
Ursprünglicher Zweck der Marienanstalt waren die Betreuung und religiöse<br />
Erziehung verwaister und vernachlässigter Mädchen. Zunächst wurden<br />
nur Mädchen ab 4 Jahren aufgenommen, später auch Säuglinge beiderlei<br />
Geschlechts. Buben konnten allerdings vorerst nur bis <strong>zum</strong> Beginn der<br />
Schwester<br />
M. Adrama<br />
Kuchler mit<br />
Kindern<br />
des Kindergartens<br />
in<br />
Indersdorf<br />
(1950er<br />
Jahre).<br />
123
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
124<br />
Schule im Haus bleiben, Mädchen bis zu ihrem 18. Lebensjahr. Sie wurden<br />
bei der Suche nach einer Lehrstelle unterstützt oder konnten in der hauseigenen<br />
Schneiderei eine Lehre machen.<br />
Nach und nach wurde die Anstalt durch den Ankauf von Nachbargrundstücken<br />
erweitert und eine kleine Landwirtschaft ermöglichte die Selbstversorgung.<br />
Da man trotz vieler Umbauten der ständig steigenden Nachfrage<br />
nicht mehr gerecht werden konnte, war die Freude groß, <strong>als</strong> die Marienanstalt<br />
im Jahr 1900 in einen großzügigen Neubau umziehen konnte.<br />
Besonders hoch war die Zahl der zu versorgenden Kinder in den Jahren<br />
des 2. Weltkrieges und den ersten Nachkriegsjahren. Statt der vor dem<br />
Krieg untergebrachten rund 50 Kinder mussten in dieser Zeit bis zu 90<br />
Kinder betreut werden. In den 50er Jahren war auch der repräsentative Bau<br />
von 1900 längst nicht mehr zeitgemäß. Da der Marienverein die nötigen<br />
Sanierungsarbeiten nicht schultern konnte, übertrug er die Marienanstalt<br />
der Kongregation, die für den Ausbau und die Modernisierung sorgte. Unter<br />
anderem bauten die Schwestern 1966 ein neues Säuglingsheim, errichteten<br />
nach Aufgabe der Landwirtschaft an der Stelle der Ökonomiegebäude einen<br />
neuen Kindergarten und erweiterten das Kinderheim.<br />
Im Jahr 2002 schenkte die Kongregation das 1973 in Kinderheim St.<br />
Vinzenz umbenannte Heim dem Caritasverband Landshut, um die Zukunft<br />
dieser Einrichtung zu garantieren, die den <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern nun<br />
schon seit 150 Jahren am Herzen liegt. Welchen Stellenwert diese heilpädagogische<br />
Arbeit in Landshut nach wie vor für das Mutterhaus in München<br />
hat, zeigt sich auch darin, dass die fünf dort arbeitenden <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern auch nach dem Trägerwechsel ihre Arbeit fortsetzen konnten.<br />
Und dies in einer Zeit, in der der Orden gezwungen ist, seine Schwestern<br />
aus immer mehr Niederlassungen zurückzuziehen.<br />
Wie in Landshut ging auch die Kinderbewahranstalt in Indersdorf auf<br />
eine Privatinitiative zurück. Die sehr vermögende und gleichzeitig sozial<br />
sehr engagierte Gräfin Viktorine von Butler-Haimhausen hatte schon 1854<br />
eine solche Einrichtung für zunächst 30 Kinder in Haimhausen gegründet.<br />
Nachdem sie in den ersten Monaten zusammen mit ihren Töchtern die<br />
Betreuung der Kinder selbst übernommen hatte, bat sie das Mutterhaus<br />
München um Unterstützung ihres Projektes. Im Juli 1854 nahmen die ersten<br />
beiden <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern ihre Arbeit in Haimhausen auf. Da<br />
das Haus in Haimhausen wegen der großen Nachfrage bald zu klein geworden<br />
war, sah sich die Gräfin nach einer anderen Unterkunft um.<br />
Das seit 1831 leer stehende Kloster Indersdorf schien ihr dafür geeignet.<br />
Nach Aufhebung des ehemaligen Augustiner-Chorherrnstifts durch Kurfürst<br />
Karl Theodor im Jahr 1784 hatte das Klostergebäude einige Jahrzehnte den<br />
Salesianerinnen aus München <strong>als</strong> Erziehungsinstitut für Mädchen gedient.
Eine alte<br />
Ansicht des<br />
Klosters<br />
Indersdorf<br />
Weitere Tätigkeitsbereiche der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
Die Gräfin selbst war dort zur Schule gegangen. Sie erreichte nun beim<br />
König Maximilian II., dass er ihr die Gebäude für die Kinderbewahranstalt<br />
in Pacht überließ. Im Mai 1856 konnten die Schwestern mit inzwischen<br />
bereits 76 Kindern in Indersdorf einziehen. Der Anfang dort war alles andere<br />
<strong>als</strong> einfach. Die Räume mussten erst nach und nach wieder bewohnbar<br />
gemacht werden und das von der Gräfin zugestandene Kostgeld für die<br />
Kinder war zu gering, um sie ausreichend versorgen zu können. Um die<br />
Finanzierung zu sichern, rief ein Komitee aus engagierten Bürgern, dem<br />
die Gräfin vorstand, zur Gründung eines Marienvereins auf. Dieser Verein<br />
schloss mit der Kongregation 1858 einen Vertrag, wonach sie die nun Marienanstalt<br />
genannte Einrichtung in Indersdorf in Eigenregie übernehmen<br />
sollte. Der Verein, der ursprünglich für die Finanzierung sorgen sollte, zog<br />
sich in den kommenden Jahren, ebenso wie seine Vorsitzende, die Gräfin,<br />
immer mehr zurück und überließ die Sorge um die Anstalt der Kongregation<br />
allein. Viktorine von Butler-Haimhausen plante bereits ein neues Projekt,<br />
nämlich die Anstalt in Schönbrunn. Die engagierte Adelige, auf deren Initiative<br />
zahlreiche soziale Projekte zurückgehen, wovon die bekanntesten das<br />
Franziskuswerk in Schönbrunn und das Kreszentiastift sein dürften, scheint<br />
meist bald wieder das Interesse an ihren Gründungen verloren und sich lieber<br />
neuen Unternehmungen zugewandt zu haben. Die Kongregation fand<br />
allerdings großzügige Unterstützung für ihre Kinderbewahranstalt, sowohl<br />
vonseiten des Königshauses durch Königin Marie und den abgedankten<br />
König Ludwig I. <strong>als</strong> auch vonseiten vermögender Bürger.<br />
Gegen den Willen der Gräfin öffnete die Kongregation die Anstalt auch<br />
für Buben. Auf Druck der Regierung erklärte sie sich zudem bereit, regel-<br />
125
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
126<br />
Kinderwaschraum<br />
der Marienanstalt<br />
in<br />
Indersdorf,<br />
vermutlich<br />
Anfang<br />
des 20.<br />
Jahrhunderts<br />
mäßig eine kleine Zahl straffällig gewordener Jugendlicher aufzunehmen.<br />
Ab 1863 arbeitete die Kongregation außerdem mit dem „Maria-Hilf-Verein<br />
für die Erziehung armer Kinder zu braven Dienstboten“ zusammen.<br />
Dies entsprach ganz der Zielsetzung, die auch die Gräfin bei der Gründung<br />
der Anstalt vor Augen hatte. Auch sie wollte die Kinder vorrangig zu<br />
guten und brauchbaren Dienstboten erziehen. Was uns heute bitter aufstoßen<br />
mag, lässt sich nur aus dem alten, noch ganz der Ständegesellschaft<br />
verhafteten Denken erklären.<br />
Auch der sehr streng reglementierte Tagesablauf, der nicht nur in der<br />
Marienanstalt in Indersdorf üblich war und den Kindern vom Aufstehen<br />
um 5.45 Uhr bis zur frühen Abendruhe nach der Abendandacht kaum<br />
eigenen Freiraum ließ, widerspräche unseren heutigen Grundsätzen der<br />
Kindererziehung. Aber diese Erziehung galt dam<strong>als</strong> <strong>als</strong> völlig normal und<br />
wurde auch in Erziehungsanstalten für privilegierte Schichten nicht anders<br />
gehandhabt. Die strenge religiöse Erziehung wurde dam<strong>als</strong> nicht <strong>als</strong> außergewöhnlich<br />
angesehen und gerade auch in den Familien auf dem Land<br />
ähnlich praktiziert.<br />
Die Marienanstalt galt <strong>als</strong> vorbildliche Einrichtung ihrer Zeit und auch<br />
die Zöglinge selbst scheinen <strong>zum</strong> Großteil zufrieden gewesen zu sein. Dies<br />
lässt sich daran erkennen, dass viele noch lange nach ihrer Zeit im Heim<br />
in Verbindung mit den Schwestern geblieben sind. Von ihrer Dankbarkeit<br />
zeugen Briefe und auch Spenden, die teilweise sogar bis aus Amerika kamen,<br />
wohin dam<strong>als</strong> auch einige ausgewandert waren.<br />
Die Arbeit in den Erziehungseinrichtungen war in den über 150 Jahren,<br />
in denen die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern tätig waren und teilweise
Kinderschlafsaal<br />
der Marienanstalt<br />
in<br />
Indersdorf,<br />
vermutlich<br />
Anfang<br />
des 20.<br />
Jahrhunderts<br />
Weitere Tätigkeitsbereiche der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
noch sind, einem starken Wandel unterworfen. Die früher <strong>als</strong> normal und<br />
selbstverständlich empfundene strenge Disziplinierung, die uns heute entsetzt,<br />
gehörte auch in den Einrichtungen der Schwestern schon lange der<br />
Geschichte an. Längst hatten auch in den von den Schwestern geführten<br />
Heimen die neuesten pädagogischen Erkenntnisse Einzug gehalten. In möglichst<br />
kleinen Gruppen sollte den Kindern durch eine familiäre Atmosphäre<br />
Geborgenheit gegeben werden. Soweit wie möglich wurden die Eltern in<br />
die Erziehung miteinbezogen. Zwar war es nach wie vor notwendig, den<br />
Kindern und Jugendlichen Struktur und Halt für ihr Leben durch das Einhalten<br />
von Regeln zu geben. Aber statt der Erziehung zu absolutem Gehorsam<br />
stand nun die Erziehung zu selbstverantwortlichen Persönlichkeiten im<br />
Mittelpunkt.<br />
Neben den Heimen für Waisen und vernachlässigte Kinder übernahmen<br />
die Schwestern auch andere Einrichtungen der kurzzeitigen Kinderbetreuung,<br />
die sich im 19. und 20. Jahrhundert entwickelten. Zunächst waren dies<br />
die Kinderkrippen, die in München wie in anderen wachsenden Großstädten<br />
mit zunehmender Industrialisierung notwendig wurden. Immer<br />
schwieriger war es für Mütter geworden, Erwerbsarbeit mit der Betreuung<br />
ihrer Kinder zu vereinbaren. Während dies im Bürgertum dazu führte, dass<br />
die Frau auf die Rolle der Hausfrau und Mutter festgelegt wurde, waren die<br />
weniger begüterten Schichten auf Erwerbsarbeit beider Elternteile finanziell<br />
angewiesen. Für die dadurch notwendig gewordene Kinderbetreuung fehlte<br />
in den neuen anonymen Großstädten die familiäre oder nachbarschaftliche<br />
Unterstützung. Da sich der Staat wie bei den vielen anderen sozialen Problemfeldern<br />
im 19. Jahrhundert zunächst nicht zuständig fühlte, sprangen<br />
127
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
128<br />
Kinderkrippe<br />
St. Peter<br />
in München<br />
(Zeichnung<br />
von Felix<br />
Schwarmstädt,<br />
1917)<br />
hier häufig kirchliche Initiativen ein. So wurden die ersten Krippenanstalten<br />
in München von Pfarreien eingerichtet und von den <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern geführt. Schon 1855 übernahmen sie die Krippenanstalt von<br />
St. Anna, 1865 die beiden Krippenanstalten St. Bonifaz und St. Josef und im<br />
Jahr 1871 folgte noch die Krippenanstalt von St. Peter.<br />
Die Krippe St. Bonifaz gaben die Schwestern bereits 1922 auf. Im Jahr<br />
1943 kündigte die Stadt München aus politischen Gründen den Vertrag mit<br />
dem Orden zur Betreuung der Krippen St. Josef und St. Peter. Die älteste<br />
Münchner Krippenanstalt St. Anna führten die Schwestern noch bis 1958.<br />
Als nach dem 2. Weltkrieg, vor allem ab den 60er Jahren, der flächendeckende<br />
Ausbau von Kindergärten in Bayern begann, waren auch die<br />
<strong>Barmherzige</strong>n Schwestern daran beteiligt. In den Orten, in denen sie schon<br />
vorher Kinderheime geführt hatten, richteten sie nun selbst diese zusätzliche<br />
Betreuungseinrichtung ein, so in Landshut und in Indersdorf. Zudem<br />
übernahmen sie in Kindergärten anderer Träger die Betreuung der Kinder,<br />
beispielsweise im Pfarreikindergarten in München-Berg am Laim.<br />
Aus der Kinder- und Jugendarbeit erwuchs mit der Zeit noch ein anderes<br />
Betätigungsfeld der Schwestern. Da ihnen viel daran gelegen war, ihre<br />
Schützlinge durch Vermittlung praktischer Kenntnisse lebenstüchtig zu<br />
machen, boten sie den ihnen anvertrauten Mädchen häufig Kurse im Nähen<br />
und in der Hauswirtschaft an.<br />
8.3. Hauswirtschaft, Verwaltung und Landwirtschaft<br />
Wie schon erwähnt, übernahmen die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern in den<br />
ihnen anvertrauten Niederlassungen neben der Kranken-, Alten- oder Kin-
„Knödelproduktion“<br />
in<br />
der Küche<br />
des Heilig-<br />
Geist-Spit<strong>als</strong><br />
am Dom-<br />
Pedro-Platz,<br />
ca. 1910<br />
Weitere Tätigkeitsbereiche der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
derpflege auch die gesamte Hauswirtschaft und Verwaltung. Obwohl die<br />
Kongregation somit immer eine Reihe von Schwestern zur Verfügung hatte,<br />
die im Bereich der Hauswirtschaft bestens ausgebildet waren, begann sich<br />
im Vergleich zu anderen Frauenorden erst relativ spät die Tradition herauszubilden,<br />
bei Bischöfen oder in Priesterseminaren die Haushaltsführung zu<br />
übernehmen. Einen ersten Anfang in diesem Aufgabenbereich machten die<br />
Schwestern 1912 mit der Übernahme der Hauswirtschaft im Herzoglichen<br />
Georgianum in München. Aber erst unter dem seit 1917 amtierenden Erzbischof<br />
von Faulhaber weiteten die Schwestern ihre Tätigkeit in diesem<br />
Aufgabenfeld weiter aus.<br />
Die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern hatten seit ihrem Bestehen immer eine<br />
besonders enge Beziehung <strong>zum</strong> Erzbischof von München und Freising, da<br />
er laut Statuten die geistliche Leitung der Kongregation innehatte. Über den<br />
jeweils eingesetzten Superior nahm der Erzbischof direkten Einfluss auf die<br />
Geschicke des Ordens. Unter Kardinal von Faulhaber wurde die Verbindung<br />
zwischen Bischofshof und Mutterhaus besonders intensiv, <strong>zum</strong>al dieser dem<br />
seit 1914 amtierenden Superior Pfaffenbüchler freundschaftlich verbunden<br />
war. Faulhaber nahm größten Anteil an der Entwicklung der Kongregation<br />
und hielt viel von dem karitativen Wirken dieses Frauenordens.<br />
Nachdem er bei seinen Kuraufenthalten in Adelholzen und bei seinen<br />
Besuchen im Mutterhaus die Betreuung durch die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
persönlich schätzen gelernt hatte, wünschte er sich diese Schwestern<br />
auch für die Führung seines Haushaltes im Bischofshof. So zogen am<br />
13. August 1925 mit Schwester M. Ethelreda Groß und Schwester M. Ottmara<br />
Bubendorfer die ersten beiden <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern im Münchner<br />
Bischofspalais ein, wo sie die Führung der Hauswirtschaft und der<br />
Küche übernahmen.<br />
129
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
130<br />
Studienseminar<br />
in<br />
Traunstein<br />
Nach dem Münchner Vorbild holte sich im Jahr 1932 ein weiterer bedeutender<br />
deutscher Bischof, Konrad von Preysing, <strong>Barmherzige</strong> Schwestern<br />
aus München für seinen bischöflichen Haushalt in Eichstätt. Schwester M.<br />
Dagila Dotzler und Schwester M. Elina Beck folgten Bischof von Preysing<br />
1935 auch nach Berlin, <strong>als</strong> er <strong>zum</strong> dortigen Oberhirten ernannt worden<br />
war. 1938 löste Schwester M. Margaritha Müller Schwester M. Elina ab.<br />
Von Preysing war bekannt <strong>als</strong> ein entschiedener und kompromissloser Gegner<br />
des NS-Regimes, der auch Kontakte zu Widerstandsgruppen wie dem<br />
Kreisauer Kreis und den Akteuren des 20. Juli geknüpft hatte. Solange die<br />
Nation<strong>als</strong>ozialisten an der Macht waren, war die Zeit mit diesem Bischof in<br />
Berlin, dem Zentrum der Macht seiner politischen Gegner, auch für die beiden<br />
<strong>Barmherzige</strong>n Schwestern, die seinen Haushalt leiteten, eine Zeit voller<br />
Anspannung und Angst. Sie kehrten erst Anfang 1951 wieder ins Münchner<br />
Mutterhaus zurück, nachdem der nach dem Krieg <strong>zum</strong> Kardinal ernannte<br />
Bischof im Dezember 1950 überraschend gestorben war.<br />
Auf Wunsch von Kardinal von Faulhaber übernahm der Orden auch die<br />
Haushaltsführung im neuen Erzbischöflichen Studienseminar, das er 1929<br />
in Traunstein gründete. Sieben Schwestern wurden für diese Aufgabe zur<br />
Verfügung gestellt.<br />
Mit dieser Übernahme war endgültig der Schritt in dieses Aufgabenfeld<br />
vollzogen. Auch in anderen Diözesen leiteten die Schwestern in der Folgezeit<br />
Haushalte von Priesterseminaren, so in den 30er Jahren in Eichstätt und<br />
ab 1967 für 20 Jahre in Regensburg. Noch 1987 übernahmen sie das Spätberufenenseminar<br />
St. Matthias in Waldram bei Wolfratshausen, nachdem die<br />
Niederbronner Schwestern diese Tätigkeit wegen des Schwesternmangels<br />
hatten aufgeben müssen. Heute arbeiten dort immer noch zwei Barmher-
Eine <strong>Barmherzige</strong><br />
Schwester<br />
auf einem<br />
Hühnerhof,<br />
vermutlich<br />
in Bamberg<br />
Anfang der<br />
1930er Jahre<br />
Weitere Tätigkeitsbereiche der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
zige Schwestern. Auch im Herzoglichen Georgianum, dessen Hauswirtschaft<br />
die Schwestern bis auf einige Unterbrechungen seit 1912 fast durchgängig<br />
geführt hatten, sind heute noch zwei Schwestern im Einsatz. Aus<br />
dem Studienseminar in Traunstein zog sich die Kongregation im Jahr 2003<br />
schweren Herzens zurück.<br />
Im Münchner Bischofshof blieben die Schwestern zunächst bis <strong>zum</strong> Tod<br />
von Kardinal von Faulhaber im Jahr 1952. 1942 war Schwester M. Ethelreda<br />
Groß durch Schwester M. Albuina Hubauer abgelöst worden.<br />
Die Nachfolger, Kardinal Wendel und Kardinal Döpfner, verzichteten<br />
auf den Dienst der Schwestern im Haushalt. Sie brachten dafür Ordensschwestern<br />
aus ihren bisherigen Wirkungsstätten mit. Ganz jedoch wollten<br />
anscheinend auch sie nicht auf <strong>Barmherzige</strong> Schwestern verzichten. So war<br />
seit 1953 Schwester M. Eufreda Heidner für fast 40 Jahre <strong>als</strong> Sekretärin im<br />
Erzbischöflichen Sekretariat tätig. 1990 wurde sie von Schwester M. Solemnis<br />
Simmelbauer abgelöst, die noch heute dort arbeitet.<br />
Im Jahr 1977 kehrten die Schwestern wieder in den Haushalt des<br />
Bischofspalais zurück. Erzbischof Joseph Ratzinger griff bei seinem Amtsantritt<br />
auf diese Schwestern zurück, die ihm schon aus Traunstein und seinem<br />
Aufenthalt im Georgianum bestens vertraut waren. Sein Nachfolger im Amt,<br />
Friedrich Kardinal Wetter, übernahm die Schwestern. Schwester M. Guda<br />
Süß führte die dortige Niederlassung 1977 – 1989. Schwester M. Agapita<br />
Schuhbeck, eine der Schwestern, die in der Zeit Kardinal Ratzingers im<br />
Bischofshof tätig gewesen waren, durfte beim Papstbesuch im September<br />
eine besondere Ehre erfahren. Sie gehörte zu den Ehrengästen Papst Benedikts<br />
XVI. Auch heute arbeitet mit Schwester M. Adelberga Öttl noch eine<br />
Schwester der Kongregation im Bischofshaushalt von Kardinal Wetter.<br />
131
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
132<br />
Neben der Hauswirtschaft gewann auch der Bereich der Verwaltung in<br />
allen Niederlassungen zunehmend an Bedeutung. Auch hier entstanden<br />
neue Aufgabenfelder, für die geeignete Schwestern gefunden und ausgebildet<br />
werden mussten. Besonders die Funktion der so genannten Schreibschwester<br />
wurde mit steigender Komplexität der Verwaltung immer wichtiger.<br />
Nicht nur in den einzelnen Einrichtungen verlangte dieses Amt große<br />
Kompetenz, sondern auch im Mutterhaus selbst. Die Schreibschwestern im<br />
Mutterhaus, deren Nachfolgerin die heutige Gener<strong>als</strong>ekretärin Schwester<br />
Anna Maria Burgauer ist, kümmerten sich nicht nur um das laufende Alltagsgeschäft,<br />
sondern machten sich auch um die Überlieferung der Geschichte<br />
der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern sehr verdient. Sie erstellten Statistiken und<br />
sorgten für die Fortschreibung der Mutterhauschronik. Besondere Verdienste<br />
erwarb sich dabei die über 40 Jahre <strong>als</strong> Schreibschwester im Mutterhaus<br />
tätige Schwester M. Emma Mayer.<br />
Da früher bei sehr vielen Niederlassungen eine kleine Landwirtschaft<br />
angebunden war, mussten immer wieder einige der Schwestern Aufgaben in<br />
diesem Bereich übernehmen. Diese Betriebe waren, auch wenn sie noch so<br />
klein waren, für die Versorgung der Schwestern und der ihnen anvertrauten<br />
Kranken, Alten oder Kinder von größtem Wert. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts<br />
wurden allerdings diese kleinen Landwirtschaften nach und nach aufgegeben.<br />
Häufig wurde das Land für Erweiterungsbauten der Einrichtungen<br />
benötigt und mit zunehmender Verstädterung wurde es vielerorts schwierig,<br />
die Landwirtschaft weiter zu betreiben. Um einen Ersatz zu schaffen,<br />
erwarben die Schwestern eigene größere Höfe, denn ganz wollte man auf<br />
diese Selbstversorgungsmöglichkeit nicht verzichten. Hatte sich doch diese<br />
in Notzeiten mehrfach <strong>als</strong> bedeutende Überlebenshilfe gezeigt.<br />
8.4. Hilfe für gesellschaftliche Randgruppen<br />
Hilfe für Arme, eines der zentralen Anliegen des hl. Vinzenz, war für die<br />
<strong>Barmherzige</strong>n Schwestern zu allen Zeiten eine Selbstverständlichkeit. Wie<br />
viele andere Klöster in München hatte auch die Kongregation schon seit<br />
ihrer Gründung eine so genannte Pfortenspeisung für Bedürftige angeboten.<br />
In großen Notzeiten wie unmittelbar nach den beiden Weltkriegen und in<br />
der Zeit der Weltwirtschaftskrise am Anfang der 1930er Jahre wurde diese<br />
Armenspeisung nicht nur für die sonst übliche Zahl Armer und Bettler, sondern<br />
für sehr viele Münchner zu einer wichtigen Überlebenshilfe.<br />
In den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts wurde für eine wachsende<br />
Zahl von Nichtsesshaften die Mutterhauspforte eine wichtige Anlaufstelle.<br />
Die Leitungen der umliegenden Kliniken sahen die wachsende
Pfortenspeisung<br />
an<br />
der Mutterhauspforte<br />
Anfang der<br />
1930er Jahre<br />
Weitere Tätigkeitsbereiche der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
Schlange von Obdachlosen <strong>als</strong> unhaltbaren Zustand. Ende 1983 sahen sich<br />
die Schwestern deshalb gezwungen, ihre Pfortenspeisung am Mutterhaus<br />
einzustellen. Allerdings sorgten sie vorher dafür, dass andere Anlaufstellen für<br />
Obdachlose in der näheren Umgebung wie das St. Antonkloster der Kapuziner<br />
und der III. Orden in der Maistraße ihre Klientel mitversorgten. Ganz<br />
gab das Mutterhaus in der Nußbaumstraße die Tradition der Armenspeisung<br />
jedoch nicht auf. So wurden bis <strong>zum</strong> Umzug ins neue Mutterhaus einige<br />
„Stammkunden“ weiter mit einem kostenlosen Mittagessen versorgt. In<br />
Berg am Laim gibt es ebenfalls schon eine lange Tradition der Pfortenspeisung<br />
am dortigen Altersheim. Als der Andrang an der Pforte immer größer<br />
wurde, wurde dort 1999 ein eigener<br />
Raum für die Essensausgabe<br />
eingerichtet. In dieser „Vinzenzstube“<br />
werden werktäglich bis<br />
zu 40 kostenlose Essen ausgegeben.<br />
Auch im Keller des ordenseigenen<br />
Hauses Mechtild in der<br />
Augsburger Straße werden am<br />
Wochenende zwischen 90 und<br />
110 Personen versorgt. 71<br />
Doch das Engagement für<br />
die Obdachlosen geht über die<br />
Pfortenspeisungen hinaus. So<br />
unterstützt die Kongregation Initiativen<br />
für Nichtsesshafte finanziell,<br />
materiell und teilweise auch<br />
personell.<br />
Eine <strong>Barmherzige</strong><br />
Schwester<br />
gibt an<br />
der Pforte<br />
Suppe aus<br />
(Anfang<br />
der 1930er<br />
Jahre).<br />
133
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
Tätigkeitsfelder<br />
der<br />
Kongregation<br />
1882<br />
134<br />
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Kurz nachdem Walter Lorenz, ein ehemaliger Lokführer, zusammen mit<br />
der von ihm gegründeten Gemeinschaft der Schwestern vom hl. Benedikt<br />
Labré e.V. ein Haus für Obdachlose in der Pommernstraße in München<br />
eröffnet hatte, zogen dort auch vier <strong>Barmherzige</strong> Schwestern mit ein, um<br />
dort zusammen mit den Nichtsesshaften zu leben und für sie zu arbeiten.<br />
Nachdem zwei der dort tätigen Schwestern 1990 und 1995 die Kongregation<br />
verlassen hatten, hielt man es für besser, die Schwestern lebten in der<br />
Gemeinschaft eines ihrer Schwesternkonvente. Heute arbeitet dort noch<br />
eine <strong>Barmherzige</strong> Schwester, Schwester M. Timothea Heitzer. Dem Verein<br />
hat der Orden zudem ein Haus in Unterhaching <strong>als</strong> Obdachlosenherberge<br />
zur Verfügung gestellt. Auch dort arbeiteten von 1986 bis 1992 zwei<br />
Schwestern mit.<br />
Die Arbeit des Katholischen Männerfürsorgevereins München unterstützt<br />
die Kongregation ebenfalls. Seit der Verein im Jahr 1996 das Haus St.<br />
Benno in Oberschleißheim für alte und kranke Obdachlose eröffnet hat,<br />
arbeiten dort <strong>Barmherzige</strong> Schwestern.<br />
Die Arbeit in der Psychiatrie blieb bei den Münchner Schwestern eher<br />
eine Randerscheinung. So wurden sie nur in zwei Nervenklinken tätig, ab<br />
1869 in der städtischen Heil- und Pflegeanstalt St. Getreu in Bamberg und<br />
ab 1904 in der Universitätsklinik für Psychiatrie in München. Allerdings<br />
initiierte eine der früher in der Münchner Nervenklinik tätigen Schwestern<br />
in den 90er Jahren das Projekt „Jakobsbrunnen“ für die ambulante Betreuung<br />
von psychisch kranken Menschen.
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Absolute Ausnahme für die Münchner Kongregation blieb der Einsatz in<br />
der Gefangenenfürsorge, der 1846 mit der Übernahme der Gefangenenanstalt<br />
in Amberg begann und 1909 mit der Auflassung des inzwischen nach<br />
Wasserburg verlegten Gefängnisses endete. Weitere Anfragen nach Übernahmen<br />
derartiger Einrichtungen beantwortete die Ordensleitung stets<br />
negativ.<br />
Auf eine weitere Ausdifferenzierung der Einsatzfelder verzichtete der<br />
Orden weitgehend und entschied sich bewusst für die Konzentration seiner<br />
Kräfte auf seine eigentlichen Tätigkeitsschwerpunkte der Kranken-, Alten-<br />
und Kinderpflege.<br />
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Tätigkeitsfelder<br />
der<br />
Kongregation<br />
1932<br />
135
136<br />
Kapitel 9<br />
Sondereinsätze in Zeiten von<br />
Seuchen und Kriegen<br />
9.1. Besondere Herausforderungen durch Epidemien<br />
Waren die in der Krankenpflege tätigen Schwestern schon in ihrem normalen<br />
Arbeitsalltag in heute kaum vorstellbarem Ausmaß gefordert, so bedeutete<br />
der Ausbruch einer Epidemie eine Herausforderung, die sie an den Rand<br />
ihrer Kräfte bringen konnte. Und solche Epidemien waren im 19. Jahrhundert<br />
vor den Erkenntnissen von Robert Koch auf bakteriologischem Gebiet<br />
nicht selten. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts schien es zunächst gelungen<br />
zu sein, eine der am weitesten verbreiteten Seuchen der vorhergehenden<br />
Jahrhunderte, die Pocken bzw. Blattern, durch die Entdeckung der Pockenschutzimpfung<br />
besiegt zu haben. Die Pflicht zur Impfung war 1807 in Bayern<br />
<strong>als</strong> dem ersten Land weltweit auf Betreiben von Franz Xaver Häberl<br />
eingeführt worden. In der Mitte des 19. Jahrhunderts stieg allerdings die<br />
Zahl der Infektionen wieder an. Auch am Münchner Krankenhaus wurde<br />
es wieder zunehmend ein Thema, wo die Blatternkranken isoliert von den<br />
übrigen Patienten untergebracht wurden. Erst durch die Einführung der<br />
Auffrischungsimpfung im Erwachsenenalter konnte diese Krankheit entscheidend<br />
eingedämmt werden. Die Zahl der Blatternkranken ging bis <strong>zum</strong><br />
Ende des Jahrhunderts so weit zurück, dass ab 1897 für diese Patienten ein<br />
kleiner Isolierpavillon im Garten des Krankenhauses l. d. I. ausreichte.<br />
Noch weit mehr <strong>als</strong> die Pocken war dam<strong>als</strong> Typhus verbreitet. Kerschensteiner<br />
schreibt, dass diese Krankheit noch in der zweiten Hälfte des<br />
19. Jahrhunderts die zweithäufigste Todesursache am Krankenhaus l. d. I.<br />
gewesen sei. Zudem vermutet er, dass die häufigste Todesursache, der so<br />
genannte Magenkatarrh oder das gastrische Fieber, ebenfalls eine Form<br />
des Typhus war. Dass mit dem Rückgang des Typhus auch diese Krankheit<br />
immer seltener auftrat, spricht für diese These. Mehrere schwere Typhusepidemien<br />
hatten die Schwestern an diesem Krankenhaus zu bewältigen.
Sondereinsätze in Zeiten von Seuchen und Kriegen<br />
So starben beispielsweise 1839/40 von 806 Typhuspatienten 90, was im Vergleich<br />
zu der in anderen Krankenhäusern üblichen Mortalität von bis zu<br />
50 % einen relativ niedrigen Prozentsatz an Sterbefällen bedeutete. Im Jahr<br />
1860 grassierte die Seuche im Mutterhaus. Durch Hausinfektion erkrankten<br />
33 Schwestern, die wegen Renovierungsarbeiten Wasser aus einem Pumpbrunnen<br />
im Klosterhof entnommen hatten, der durch die nahen Versitzgruben<br />
verunreinigt war. 72 Erst die Erkenntnis der starken Infektionsgefahr<br />
und der Bedeutung von sauberem Wasser führte durch Maßnahmen der<br />
Isolierung der Kranken und Verbesserung der Wasserversorgung zu einer<br />
starken Abschwächung der Krankheit Ende des 19. Jahrhunderts. Nur noch<br />
in ausgesprochenen Notzeiten rund um die beiden Weltkriege flammte sie<br />
sporadisch wieder auf.<br />
Besondere Angst verbreitete im 19. Jahrhundert in Bayern eine bis dahin<br />
in Europa unbekannte Krankheit, die Cholera. Wie schon beschrieben, wurden<br />
die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern in ihren Anfangsjahren in München mit<br />
der ersten Choleraepidemie in Bayern konfrontiert.<br />
Ende Juli 1854 brach die Cholera erneut aus und klang erst im Januar des<br />
folgenden Jahres wieder ab. Die Bevölkerung reagierte panischer <strong>als</strong> beim<br />
ersten Ausbruch 1836. Jeder, der es sich leisten konnte, allen voran der Adel,<br />
verließ die Stadt. Als im September vorübergehend die Zahl der Erkrankten<br />
deutlich sank, wurde fälschlicherweise angenommen, die Seuche wäre<br />
schon überstanden. Dies wurde auch der ehemaligen bayerischen Königin<br />
Therese <strong>zum</strong> Verhängnis, die mit<br />
ihrem Mann Ludwig I. zu früh<br />
nach München zurückkehrte,<br />
an Cholera erkrankte und Ende<br />
Oktober starb.<br />
Am immer noch wichtigsten<br />
städtischen Krankenhaus l.d.I.<br />
wurden dam<strong>als</strong> insgesamt 867<br />
Cholerapatienten behandelt. Es<br />
kam zu deutlich weniger Hausinfektionen<br />
<strong>als</strong> 1836, vor allem<br />
in der Abteilung von Dr. Gietl,<br />
der Desinfektionsmaßnahmen<br />
durchführen ließ. 73 Die <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern erhielten<br />
vom Magistrat aufgrund der<br />
ungeheuren Mehrbelastung zwar<br />
sechs Schwestern mehr bewilligt,<br />
waren aber dennoch bis an ihre<br />
Königin<br />
Therese<br />
von Bayern,<br />
1792 – 1854<br />
(Gemälde<br />
von Joseph<br />
Stieler)<br />
137
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
138<br />
Grenzen belastet. Auch dieses Mal erkrankten wieder mehrere Schwestern.<br />
Zwei davon mussten ihren Dienst mit dem Leben bezahlen. 74<br />
Die Choleraepidemie von 1873/74 sollte noch einmal verheerende Ausmaße<br />
annehmen.<br />
Von über 3000 Erkrankten starben von Juni 1873 bis April 1874 1466<br />
Menschen. 75 Am Krankenhaus l.d.I. wurden 673 Cholerakranke behandelt,<br />
wovon 287 starben. Von den Schwestern infizierten sich nur drei und genasen<br />
glücklicherweise alle wieder. 76 Es ist anzunehmen, dass sie bereits mehr<br />
Vorsichtsmaßnahmen beachteten, um sich selbst vor Ansteckung zu schützen.<br />
Trug eventuell auch die folgende Maßnahme des Magistrats zur Stärkung<br />
ihrer Abwehrkräfte bei? „Die Anstrengungen der Schwestern im Krankenhaus<br />
waren unglaublich groß. Da bald mehrere Cholerafälle vorkamen, wurden einige Säle<br />
zu ebener Erde eigens für diese Kranken eingerichtet, deren Zahl 40 – 50 täglich<br />
belief. Die Pflege der Kranken erforderte die größte Aufmerksamkeit und Sorgfalt.<br />
Der Magistrat wollte die Anstrengungen der Schwestern wenigstens dadurch würdigen,<br />
dass er für jede Schwester, die Wärter etc. täglich ½ Liter Rotwein bewilligte,<br />
was auch auf die Herren im Büro, die Ärzte, Hauskapläne und Portiers ausgedehnt<br />
wurde.“ 77<br />
Das große Problem bei der Bekämpfung der Cholera war die Unwissenheit<br />
und Uneinigkeit der Ärzte untereinander über die Ursachen und<br />
Verbreitungswege dieser Seuche. Der grundsätzliche Streit zwischen Befürwortern<br />
und Gegnern der Theorie, die Cholera sei kontagiös (ansteckend),<br />
konzentrierte sich in den Personen der beiden Gegenspieler von Pettenkofer<br />
und von Gietl.<br />
Man kann sich gut vorstellen, dass der Streit um die Ursachen der Cholera<br />
die in der Pflege tätigen <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern stark verunsicherte<br />
und ihren Dienst noch zusätzlich erschwerte.<br />
Wohl bekomm’s!<br />
Der Hausarzt der Schwestern und zeitweilige<br />
Klinikdirektor des Krankenhauses<br />
l.d.I., Dr. von Gietl, war <strong>als</strong> einer der<br />
wenigen Ärzte davon überzeugt, dass<br />
die Cholerapatienten und ihre Ausscheidungsprodukte<br />
ansteckend seien. Tragischerweise<br />
hatte der Arzt und Hygieniker<br />
Max von Pettenkofer, der weit größeres<br />
Ansehen und Popularität genoss, eine<br />
gegenteilige Meinung. Er entwickelte<br />
seine so genannte Bodentheorie, wonach<br />
Miasmen, nicht genau zu bestimmende<br />
Teilchen, aus dem Boden dringen und die<br />
Luft verseuchen würden, die bei Menschen<br />
mit geeigneter Disposition die<br />
Krankheit auslösen könnten. Die Kranken<br />
selbst und ihre Krankheitsprodukte<br />
hielt er nicht für infektiös. Pettenkofer<br />
und andere berühmte Ärzte wie Lindwurm<br />
und Pfeufer, die sich seiner Meinung<br />
angeschlossen hatten, zogen die<br />
Ansichten Gietls, die erst später durch die<br />
Entdeckung des Choleraerregers durch<br />
Robert Koch bestätigt werden sollten, ins
Dr. Franz X. von Gietl,<br />
königlicher Leibarzt und<br />
fast 50 Jahre (1838 – 1886)<br />
<strong>als</strong> Arzt am Krankenhaus<br />
links der Isar tätig,<br />
war jahrzehntelang der<br />
Hausarzt der Schwestern<br />
(Grabstein auf dem Alten<br />
Südfriedhof).<br />
Erst <strong>als</strong> die Erkenntnisse Pettenkofers ergänzt wurden durch die Erkenntnisse<br />
von Gietls und Kochs konnte eine erfolgreiche Bekämpfung der Cholera<br />
erfolgen. Als endlich die Infektiösität der Cholera ernst genommen<br />
wurde, erfolgten entsprechende Isolier- und Desinfektionsmaßnahmen.<br />
Ergänzend waren aber auch die von Pettenkofer initiierten Maßnahmen,<br />
wie der Aufbau der zentralen Wasserversorgung und der Ausbau der Abwasserkanalisation,<br />
wichtige Voraussetzungen dafür, der Cholera und anderen<br />
Seuchen die Grundlage zu entziehen. So hatte Pettenkofer unbestreitbar<br />
einen großen Anteil daran, dass die Choleraepidemie von 1873/74 in München<br />
die letzte bleiben sollte.<br />
Auch die im Abstand von drei bis vier Jahrzehnten auftretenden gefährlichen<br />
Mutationen des Grippevirus, die Grippeepidemien mit ungewöhn-<br />
Lächerliche. Obwohl die Hausinfektionen<br />
auf Gietls Abteilung durch seine Desinfektionsmaßnahmen<br />
deutlich niedriger<br />
<strong>als</strong> in den anderen Abteilungen des<br />
Krankenhauses l.d.I. waren, wurde seine<br />
Theorie nicht ernst genommen und schadete<br />
seinem Ruf <strong>als</strong> Arzt. Es sprach auch<br />
einiges gegen die Ansteckungstheorie<br />
Gietls. So berichtet Kopp von uns heute<br />
sehr eklig anmutenden Selbstversuchen<br />
einiger Ärzte während der ersten Choleraepidemie<br />
1836: „Selbst die innigste<br />
Berührung mit den Ausleerungsstoffen,<br />
(einige Ärzte überzeugten sich nicht nur<br />
Sondereinsätze in Zeiten von Seuchen und Kriegen<br />
von dem Geruche, sondern auch von dem<br />
Geschmacke derselben), … blieben auf den<br />
moralisch und physisch starken, nicht prädisponierten<br />
Menschen ohne den geringsten<br />
Einfluss.“ 78 Pettenkofer unternahm<br />
später unter großer öffentlicher Anteilnahme<br />
einen ähnlichen Versuch, um<br />
nachzuweisen, dass Cholera nicht allein<br />
durch die von Robert Koch entdeckten<br />
Cholera-Bazillen entsteht. Pettenkofer<br />
trank deshalb ein Glas mit einer frischen<br />
Kultur von 1 cm 3 Cholerabazillen aus,<br />
ohne Schaden zu nehmen. 79<br />
139
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
Krankenhaus<br />
links<br />
der Isar,<br />
ca. 1910<br />
140<br />
lich hohem Krankenstand und hoher Sterblichkeit zur Folge hatten, führten<br />
zu Spitzenbelastungen für die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern, vor allem auch in<br />
ihrem größten damaligen Einsatzort, dem Krankenhaus links der Isar. Derartige<br />
Grippewellen werden in der Mutterhauschronik 1864, 1889/90 und<br />
1918 erwähnt: „Die 1890 allgemein herrschende Influenza-Epidemie hat den<br />
Schwestern im Mutterhaus, wie in den Krankenhäusern und Spitälern, eine schwere<br />
Zeit gebracht… Der höchste Stand Influenzakranker an einem Tag waren 1000.“ 80<br />
Da die Kapazität der bestehenden Krankenhäuser für die vielen zusätzlichen<br />
Patienten nicht ausreichte, wurden Aushilfsspitäler eingerichtet, in denen<br />
auch <strong>Barmherzige</strong> Schwestern im Einsatz waren. Ein Teil der Schwestern,<br />
unter ihnen auch Generaloberin Schwester M. Regina, erkrankte. Bei einer<br />
Schwester verlief die Krankheit tödlich.<br />
Noch weit aggressiver scheint der Verlauf der Grippe von 1918 gewesen<br />
zu sein. Wie man heute weiß, starben daran weltweit mindestens 20 Millionen<br />
Menschen. Manche Forscher nehmen sogar an, dass die Zahl der Toten<br />
noch weit höher lag. Auf jeden Fall soll die Zahl der Grippetoten die Zahl<br />
der Toten des 1.Weltkriegs überstiegen haben. Dafür, dass die Auswirkung<br />
der so genannten Spanischen Grippe so verheerend war, hat sie in den zeitgenössischen<br />
Quellen verhältnismäßig wenig Niederschlag gefunden. Auch<br />
im kollektiven Bewusstsein in Deutschland war das Wissen darüber wenig<br />
verankert. Erst seit die medizinische Forschung in den 1990er Jahren das<br />
dam<strong>als</strong> grassierende Virus <strong>als</strong> Mutation eines Vogelgrippevirus identifiziert<br />
und vor erneutem Auftreten eines ähnlich tödlich wirkenden Erregers in<br />
absehbarer Zukunft gewarnt hat, beschäftigt sich eine breitere Öffentlichkeit<br />
mit diesem Phänomen. Zu erklären ist diese Ignoranz wohl aus den
Sondereinsätze in Zeiten von Seuchen und Kriegen<br />
besonderen historischen Begleitumständen. Als die Grippe noch während<br />
des Krieges ausbrach, wurde zunächst die Berichterstattung darüber zensiert,<br />
da der Gegner nicht erfahren sollte, wie die Truppen durch die Krankheit<br />
geschwächt worden waren. Dabei hatte der Erreger ohne Rücksicht auf<br />
Freund oder Feind beide Seiten ähnlich getroffen. Als die Grippe sich nach<br />
Kriegsende im Herbst 1918 mit den heimkehrenden Soldaten bis in den<br />
letzten Winkel Deutschlands ausbreitete, bedeutete sie nur eine Bedrohung<br />
von vielen, denen sich die Menschen in den Revolutionswirren und in den<br />
folgenden, durch wirtschaftliche Not geprägten Zeiten in ihrem Überlebenskampf<br />
ausgesetzt sahen. Der damalige Direktor des Krankenhauses l.d.I.,<br />
Friedrich von Müller, notierte <strong>zum</strong> Verlauf der Spanischen Grippe lediglich:<br />
„Die Rückkehrer aus dem Felde brachten eine schwere Krankheit aus den Schützengräben<br />
mit in die Heimat, eine bösartige Epidemie von Grippe, welche schon zu<br />
Kriegsende in den kämpfenden Heeren unsäglich viele Opfer gefordert hatte, nun<br />
aber auch in der Heimat namentlich bei schwangeren Frauen und alten Leuten verheerende<br />
Verbreitung fand.“ 81 Die Mutterhauschronik erwähnt die Grippe nur<br />
im Zusammenhang mit der in den Kriegs- und ersten Nachkriegsjahren<br />
auch sonst erschreckend hohen Sterblichkeit der Schwestern aufgrund ihrer<br />
völligen Überlastung und wohl auch schlechten Ernährungslage. 1918 sei<br />
mit 56 Kandidatinnen zwar eine erfreulich hohe Zahl an Neuzugängen zu<br />
verzeichnen gewesen, „doch 38 davon erkrankten an schwerer Grippe, 6 starben,<br />
8 mussten in die Heimat zurückgeschickt werden“. 82<br />
Auch in einem Bericht einer Schwester, die im Krieg <strong>als</strong> Begleiterin im<br />
Lazarettzug eingesetzt war, über eine der letzten Fahrten von der Westfront<br />
nach Deutschland im Oktober 1918 wird die Problematik der Grippe kurz<br />
angesprochen: „Ungefähr 60 Schwerverwundete, die übrigen Grippe-krank, meistens<br />
sehr schwer. 1 Mann starb gleich nach dem Einladen./Grippe./“ 83<br />
Im Gegensatz zu der nur sporadisch in so gefährlicher Form wie 1918<br />
auftretenden Grippe mussten sich die Schwestern kontinuierlich einer im 19.<br />
Jahrhundert und noch weit bis ins 20. Jahrhundert weit verbreiteten Krankheit<br />
stellen, der Lungentuberkulose. Die Pflege der Tbc-Kranken ruhte in<br />
München und weiten Teilen Bayerns vielfach auf den Schultern der <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern. Nicht verwunderlich ist deshalb, dass die Schwestern<br />
im Vergleich zu der übrigen Bevölkerung ein überdurchschnittlich hohes<br />
Risiko hatten, selbst an dieser Krankheit zu erkranken. Ihre bedeutendsten<br />
Einsatzorte waren das ursprünglich <strong>als</strong> Erholungskrankenhaus für leichtere<br />
chronische Fälle vom Krankenhausdirektor Ziemssen geplante, dann aber<br />
wegen des hohen Bedarfs <strong>als</strong> Lungensanatorium verwendete Sanatorium in<br />
Harlaching und das Waldsanatorium in Planegg.<br />
Die typische Armutskrankheit Tuberkolose konnte erst in der zweiten<br />
Hälfte des 20. Jahrhunderts durch die Verbesserung der Wohnverhältnisse<br />
141
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
142<br />
und der Ernährung eingedämmt werden. Durch die besseren Lebensverhältnisse<br />
konnten die Abwehrkräfte der Menschen so weit gestärkt werden,<br />
dass sie die Erreger in Schach halten konnten. So hatte die Krankheit bereits<br />
vor der Entdeckung von wirksamen Medikamenten an Schrecken verloren.<br />
In den 1980er Jahren konnten die Schwestern ihr ordenseigenes Lungensanatorium,<br />
das Waldsanatorium bei Planegg, endgültig schließen und zu<br />
einem Altenheim ausbauen.<br />
9.2. Einsatz der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern in den<br />
Kriegen 1859, 1866 und 1870/71<br />
War von der Mehrbelastung durch Seuchen eine große Zahl von <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern in den Krankenhäusern betroffen, betraf der Einsatz<br />
in den Kriegen des 19. Jahrhunderts zunächst nur eine relativ kleine Zahl<br />
an Schwestern. 84 Der erste Kriegseinsatz von <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
erfolgte auf Bitte der damaligen bayerischen Königin Marie im Jahr 1859.<br />
Sie hatte aus Mitleid mit den vielen verwundeten österreichischen Soldaten,<br />
die nach der Niederlage Österreichs gegen Italien und Frankreich in ihre<br />
Heimat zurückkehrten, in Rotholz in Tirol ein Lazarett eingerichtet und<br />
von der Münchner Generaloberin Schwestern für die dortige Pflege erbeten.<br />
Die Ordensoberen kamen der Bitte nach und schickten 15 Schwestern<br />
nach Österreich. Die notdürftig in einem Raum des Lazaretts untergebrachten<br />
Schwestern hatten von Ende Juli bis Ende Oktober 1859 alle<br />
Hände voll zu tun, die insgesamt rund 500 Verwundeten zu versorgen. Der<br />
österreichische Kaiser bedankte sich bei den Schwestern im November mit<br />
einem goldenen Ehrenkreuz.<br />
Diesem ersten Einsatz in Österreich sollte bald ein Einsatz in der Heimat<br />
folgen, <strong>als</strong> im Jahr 1866 mit dem Überfall Preußens auf Hannover, Sachsen<br />
und auch Bayern der blutige deutsch-deutsche Krieg um die Vormachtstellung<br />
in Deutschland zwischen Österreich und Preußen begann. Die königliche<br />
Stadtkommandatur von München ließ Anfang Juli 1866 über das<br />
Ordinariat beim Superior anfragen, wie viele <strong>Barmherzige</strong> Schwestern für<br />
den Einsatz in Lazaretten freigestellt werden könnten. Obwohl die Schwestern<br />
wie immer in den Krankenhäusern voll ausgelastet waren, erklärte sich<br />
die Ordensleitung bereit, 20 Schwestern zur Verfügung zu stellen. Vereinbart<br />
wurde, dass pro Lazarett nur zwei bis drei Schwestern und diese ausschließlich<br />
für die Krankenpflege eingesetzt werden sollten. Für die übrigen Arbeiten<br />
sollten weltliche Kräfte angestellt werden. Die Pflege sollte außer Kost,<br />
Logis und Reisekostenerstattung unentgeltlich von den Schwestern geleistet<br />
werden. Von Juli bis September, teilweise sogar bis November, waren
Spital im Paradiesgarten<br />
(1871): Königin-Mutter<br />
Marie, die<br />
Schwestern M. Magrina<br />
Gramerl und M. Luitpolda<br />
Ziegerer, Gräfin<br />
Fugger, Schwester M.<br />
Pionia Leidl, Gräfin<br />
Pocci, Schwester M.<br />
Waltrudis Späth, Graf<br />
von Pappenheim und<br />
Schwester M. Jakobina<br />
Berger (von links)<br />
Sondereinsätze in Zeiten von Seuchen und Kriegen<br />
diese Schwestern nun in verschiedenen Lazaretten tätig. So versorgten sie<br />
beispielsweise die Militärspitäler in Lichtenfels, Bamberg und Aschaffenburg,<br />
aber auch die auf Privatinitiative des Königs und der Königin-Mutter in<br />
München im späteren Maximilianeum bzw. im Schloss Fürstenried eingerichteten<br />
Lazarette. Auch Graf Arco-Valley ließ <strong>Barmherzige</strong> Schwestern<br />
zur Pflege Verwundeter in sein Schloss Valley bei Holzkirchen kommen.<br />
Neben den 20 speziell für den Lazarettdienst abgestellten Schwestern<br />
waren zusätzlich noch weitere <strong>Barmherzige</strong> Schwestern mit der Pflege von<br />
verwundeten Soldaten beschäftigt, da ein Teil der Soldaten, meist leichter<br />
verwundete und somit transportable Patienten, auch in einige der von den<br />
Schwestern geführten regulären Krankenhäuser verlegt wurden.<br />
Kaum vier Jahre nach dem deutsch-deutschen Krieg zog Bayern im Juli<br />
1870 an der Seite seines früheren Gegners Preußen in den Krieg gegen Frankreich.<br />
Die Mutterhauschronik spricht von dem Widerwillen der Schwestern<br />
gegen diesen den Bayern von Preußen aufgezwungenen Krieg. Die Stimmung<br />
im Mutterhaus war symptomatisch für einen großen, <strong>zum</strong>indest den<br />
konservativen Teil der bayerischen Bevölkerung, der sich keinerlei Vorteile<br />
von diesem Krieg versprach. Nicht ganz zu Unrecht, wie sich zeigen sollte,<br />
da der Ausgang des Krieges schließlich zur Reichsbildung und <strong>zum</strong> weitgehenden<br />
Verlust der Souveränität für das Königreich Bayern führte. Auch<br />
diesmal trat der Staat schon früh an den Orden heran, Schwestern für die<br />
Versorgung der verwundeten Soldaten zur Verfügung zu stellen. Wie schon<br />
im vorausgegangenen Krieg versorgten die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
in einer Reihe ihrer regulären Niederlassungen Verwundete und stellten<br />
zudem wieder Schwestern für eigens dafür eingerichtete Spitäler. So übernahmen<br />
sie wieder die Pflege im königlichen Spital in Neuberghausen, das<br />
sich der König und der Georg-Ritter-Orden <strong>als</strong> Träger teilten. Auch die<br />
143
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
144<br />
Verwundeten im von der Königin-Mutter im so genannten Paradiesgarten<br />
am Englischen Garten eingerichteten Lazarett wurden von <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern gepflegt. Für einige Wochen richtete die Kongregation selbst<br />
ein kleines Lazarett in ihrem Noviziatshaus in Berg am Laim ein, bis die<br />
Räume wieder für Novizinnen gebraucht wurden.<br />
Da durch die militärische Überlegenheit der Deutschen die Kriegshandlungen<br />
bald nur noch auf französischem Boden stattfanden, mussten die<br />
Verwundeten mit der Eisenbahn in die deutschen Lazarette transportiert<br />
werden. Für die Begleitung dieser Spitalzüge wurden ebenfalls <strong>Barmherzige</strong><br />
Schwestern angefordert. Die Ordensleitung stellte bis zu 8 Schwestern<br />
für diese Aufgabe frei. Von Mitte August bis Mitte September wurden<br />
von Bayern insgesamt 36 derartige Fahrten organisiert. An 12 der Fahrten<br />
waren jeweils dieselben 6 bis 8 Schwestern beteiligt. Dabei hatten sie insgesamt<br />
2590 Verletzte zu betreuen und waren insgesamt 135 Tage im Einsatz.<br />
Man kann sich vorstellen, welche Anforderungen die meist sehr jungen<br />
Schwestern meistern mussten. War sicher schon die lange Anreise quer<br />
durch Deutschland und teilweise weit in feindliches Gebiet anstrengend<br />
und aufregend, wie mag erst die Heimreise mit den vielen Verwundeten,<br />
die nur notdürftig versorgt und auch gegen Kälte nur notdürftig geschützt<br />
werden konnten, physisch und psychisch belastend gewesen sein? Schwer<br />
erschüttert waren sie, <strong>als</strong> sie bei einer ihrer Fahrten einen Aufenthalt in<br />
Straßburg dazu nutzten, ihre Mitschwestern im Stammmutterhaus in Straßburg<br />
zu besuchen und dort die Verwüstungen sahen, die die deutsche Belagerung<br />
Straßburgs hinterlassen hatte. Zu dieser Situation ist auch ein bewegender<br />
Brief der Straßburger Generaloberin Schwester Marie Angélique<br />
Arth (1868 – 1881) vom Oktober 1870 an die Münchner Generaloberin<br />
Operationswagen<br />
eines<br />
Königlich<br />
Bayerischen<br />
Lazarettzuges
Sondereinsätze in Zeiten von Seuchen und Kriegen<br />
erhalten: „Der gütige Gott vergelte Ihnen die warme Teilnahme, welche Sie für Ihre<br />
bedrängten Mitschwestern in Straßburg haben… Wir haben Vieles gelitten, vielgeliebte<br />
Mitschwester, aber das Vertrauen auf den Herrn hat uns, Ihm sei Dank keinen<br />
Augenblick verlassen. Unser Mutterhaus, Allerheiligen, ist <strong>zum</strong> Dritteil eine Ruine<br />
durch den beständigen Regen von Granaten und Bomben, der unser unglückliches<br />
Stadtviertel getroffen, die schöne Kapelle ist für lange Zeit unbrauchbar geworden…<br />
Doch wurden wir durch Gottes besonderen Schutz und die Wachsamkeit unserer<br />
Leute vom Feuer bewahrt, welches die ganze umliegende Vorstadt verwüstet. Zwei<br />
und vierzig Tage und Nächte kamen wir nicht aus den Kleidern und verrichteten<br />
unsere Schuldigkeiten in beständiger Todesgefahr. Aus ganzer Seele, mit vereinten<br />
Kräften wollen wir um den ersehnten Frieden beten, damit so vielem Blutvergießen<br />
und herzbrechendem Unglücke der Familien und Länder, endlich Einhalt geschehe.“<br />
85 Die Straßburger Schwestern hatten während der Belagerung und<br />
Bombardierung Kranke, Pfründner und Flüchtlinge aus der Stadt in ihrem<br />
Keller untergebracht und zu versorgen. Groß war die Angst, bei Feuer nicht<br />
alle retten zu können. Vier Schwestern wurden verletzt, zwei davon tödlich.<br />
Angesichts der Leiden der Straßburger Mitschwestern und der Gefahren,<br />
denen die Schwestern bei der Begleitung der Spitalzüge ausgesetzt waren,<br />
war die Erleichterung im Mutterhaus groß, dass alle Münchner Schwestern<br />
den Krieg heil überstanden. Für ihren Einsatz in der Soldatenpflege lehnte<br />
die Ordensleitung auch dieses Mal strikt jegliche Entlohnung ab. Die bayerische<br />
und die neue deutsche Reichsregierung ließen es sich jedoch nicht<br />
nehmen, den Schwestern ihre Anerkennung auszusprechen. So erhielten<br />
die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern nach Kriegsende sowohl das Bayerische Verdienstkreuz<br />
<strong>als</strong> auch das „Verdienstkreuz für Frauen und Jungfrauen wegen<br />
hervorragender Dienste in den Kriegsjahren 1870/71“, das ihnen Kaiserin<br />
Augusta, die Frau des ersten deutschen Kaisers des neuen deutschen Reiches,<br />
zu dem nun auch Bayern gehörte, zukommen ließ. Königin-Mutter Marie<br />
dankte den Schwestern für ihren Einsatz im Lazarett Paradiesgarten mit<br />
einem Porträt ihres verstorbenen Mannes König Maximilian II. Dieses<br />
Ölbild mit einem wertvollen Goldrahmen erhielt zusammen mit dem Porträt<br />
der Königinmutter, das sie den Schwestern bereits 1866 für ihren Dienst<br />
im Fürstenrieder Spital geschenkt hatte, einen Ehrenplatz im Mutterhaus.<br />
9.3. Die Schwestern im Ersten Weltkrieg (1914 – 1918)<br />
Auch im 1. Weltkrieg war der Einsatz der Schwestern gefragt. Wieder hatten<br />
sie Verwundete in ihren regulären Krankenhäusern und in eigens dafür eingerichteten<br />
Lazaretten zu pflegen. Insgesamt waren dabei über 300 Schwestern<br />
in der Heimat im Einsatz. Auch für die Begleitung von Lazarettzügen<br />
145
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
146<br />
Holzkoffer<br />
der <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern<br />
bei ihrem<br />
Kriegseinsatz<br />
im<br />
Ersten<br />
Weltkrieg<br />
wurden wieder Schwestern zur Verfügung gestellt. Neu hinzu kam in diesem<br />
Krieg, dass neben den Heimatlazaretten auch Lazarette direkt hinter der<br />
Front errichtet wurden. In diesen Etappenlazaretten, überwiegend an der<br />
Westfront in Belgien und Frankreich, in den Jahren 1915 und 1916 auch an<br />
der Ostfront in Ungarn und Serbien, waren während des gesamten Krieges<br />
bis zu 70 Münchner <strong>Barmherzige</strong> Schwestern tätig. 86 Die im Mutterhausarchiv<br />
verwahrten Kriegstagebücher einiger dieser Schwestern geben einen<br />
aufschlussreichen Einblick in ihren strapaziösen Kriegsalltag. Sie zeigen aber<br />
auch, wie sich im Verlauf des Krieges die Einstellung der Schwestern zu<br />
diesem Krieg grundlegend gewandelt hat.<br />
Ganz anders <strong>als</strong> im Krieg von 1870/71 war bei Kriegsbeginn 1914 auch<br />
in Bayern die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung von geradezu<br />
enthusiastischer Kriegsbegeisterung. Dieses Phänomen hatte mehrere Ursachen.<br />
Zum einen wussten nach über 40 Jahren Frieden in Deutschland viele<br />
junge Menschen nicht mehr aus eigener Anschauung, was ein Krieg in der<br />
Realität bedeutete. Zum anderen beruhte das Selbstbewusstsein des neuen<br />
deutschen Reiches zu einem nicht geringen Teil auf dem Gefühl der militärischen<br />
Überlegenheit gegenüber seinen Nachbarstaaten. Der seit Jahrzehnten<br />
vorherrschende Militarismus mit der Überhöhung und übertriebenen<br />
Hochschätzung alles Militärischen, vor allem unter dem amtierenden<br />
deutschen Kaiser Wilhelm II., trug seine Früchte 1914 in der weitgehenden<br />
Akzeptanz des Krieges. Auch die Schwestern hatten sich <strong>als</strong> Kinder ihrer<br />
Zeit davon anstecken lassen. So notierte die Novizenmeisterin des Ordens,<br />
Schwester M. Alma Mack, die während des gesamten Krieges in Etappenlazaretten<br />
unmittelbar hinter der Front eingesetzt war, zu dem Aufbruch<br />
der Schwestern in Richtung Dieuze in Frankreich am 1. September 1914:
Ein Reservelazarett<br />
im Ersten<br />
Weltkrieg<br />
Sondereinsätze in Zeiten von Seuchen und Kriegen<br />
„Freudigen Herzens, voll Begeisterung verließen wir 27 Schwestern in Begleitung<br />
der lb. Ehrw. Vorgesetzten das lb. Mutterhaus und begaben uns <strong>zum</strong> Bahnhof…<br />
Unser Zug ist ein Extrazug für Sanitätspersonal, Ärzte, Schwestern verschiedener<br />
Orden und Sanitäter… Die Türen der Wagen schließen sich und fort geht es in<br />
raschem Tempo unter fortwährenden Abschiedsgrüßen und Tücherschwung.“ 87<br />
Konfrontiert mit der grausamen Realität änderte sich bald der Tenor der<br />
Berichte. Die anfängliche Begeisterung wich der Ernüchterung und immer<br />
mehr der Überzeugung, dass der Krieg sinnlos war. Besonders bedrückend<br />
sind die Eintragungen Schwester M. Almas aus dem letzten Kriegsjahr. Im<br />
Juni 1918 wurde ein Teil der Schwestern unter ihrer Leitung in das ehemalige<br />
französische Barackenlazarett in Vasseny bei Soissons verlegt. Die von<br />
Schwester M. Alma auf dem Weg <strong>zum</strong> neuen Einsatzort auf einem verlassenen<br />
Schlachtfeld gemachten Beobachtungen sind kaum wiederzugeben:<br />
„Es war schrecklich anzusehen diese Granatlöcher. Teile von Menschen, halbvermoderte<br />
Füße in den Strümpfen und Schuhen lagen umher, Helme, in denen die<br />
Kopfhaut mit dem Haar halbverwest hing.“<br />
Als die tief erschütterten Schwestern endlich in Vasseny ankamen, wurden<br />
sie in einer Baracke ohne Fußboden untergebracht, in Betten, die<br />
noch voller Blut und Schmutz von den vorher dort untergebrachten französischen<br />
Verwundeten waren. „Für wie viele sterbende Franzosen werden sie<br />
schon benützt worden sein?“ Trotz ihrer Erschöpfung war wegen der feindlichen<br />
Flieger und der vielen Ratten in der Baracke kaum an Schlaf zu<br />
denken. Doch auf ihre eigenen Bedürfnisse und Befindlichkeiten durften<br />
die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern keine Rücksicht nehmen. Auch unter diesen<br />
widrigen Umständen mussten sie ihre Arbeit machen und die Verwundeten<br />
versorgen, die schon auf ihre Hilfe warteten. Und das wurden immer<br />
147
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
148<br />
mehr: „Der Krieg wird immer grausamer… So viel und so schwer Verwundete<br />
hatten wir noch nie wie hier.“ Nicht nur physisch gelangten die Schwestern<br />
bei der Soldatenpflege an ihre Grenzen, sondern auch psychisch. Schwester<br />
Alma beschreibt, wie schwer es den mitfühlenden Schwestern fiel, wenn sie<br />
aus medizinischen Gründen Verwundeten mit schweren Bauchverletzungen<br />
den so sehr ersehnten Schluck Wasser verweigern mussten.<br />
Wie erschütterte sie das Sterben der vielen „Familienväter, wenn sie immer<br />
nach Frau und Kindern rufen“, die den Schwestern klagten, sie müssten ihre<br />
kleinen Kinder unversorgt zurücklassen. Wie sehr empfanden sie die Sinnlosigkeit<br />
des Sterbens der vielen „jungen 17 oder 18 <strong>jährigen</strong> noch fast Kinder“,<br />
die sich sterbend nur nach der Mutter sehnten. Die <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern versuchten den Sterbenden beizustehen, ihnen etwas Trost und<br />
Geborgenheit zu geben. Erleichtert wurde den Schwestern ihre Arbeit nur<br />
durch die Tatsache, dass die Soldaten sehr dankbar waren für ihre Anteilnahme<br />
und Hilfe.<br />
Von den Münchner <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern waren sicher die rund<br />
70 Schwestern, die in den Etappenlazaretten und bei der Zugbegleitung<br />
eingesetzt waren, in ganz besonderem Maße gefordert. Aber weit mehr <strong>als</strong><br />
in den vorhergegangenen Kriegen war die gesamte Kongregation in Mitleidenschaft<br />
gezogen. Mit 300 Schwestern war die Zahl der Schwestern, die in<br />
den Heimatlazaretten für die Verwundetenpflege abgestellt werden mussten,<br />
erheblich höher <strong>als</strong> früher. Wie die übrige Zivilbevölkerung hatten auch die<br />
Schwestern unter der schlechten Versorgungslage zu leiden.<br />
Ein Badezimmer <strong>als</strong> Notkapelle<br />
Wie an allen ihren Einsatzorten legten<br />
die Schwestern selbst in dieser Hölle<br />
der Etappenlazarette Wert darauf, dass<br />
ihnen Zeit und Raum für Gebet und<br />
Gottesdienst blieb. Dabei erwiesen sie<br />
sich <strong>als</strong> äußerst einfallsreich: „Wir fanden<br />
aber keinen anderen Raum, <strong>als</strong> einen<br />
Baderaum, den haben wir sauber hergerichtet,<br />
die Badewanne konnte man<br />
nicht hinaustun, weils angeschmiedet<br />
war. Wir taten einen Tisch hinein mit<br />
weißem Tuch, und so richtete H.H. Kanonikus<br />
seinen Feldaltar, und so hatten<br />
wir dann täglich hl. Messe und auch hl.<br />
Kommunion.“ 88<br />
Die Ordensoberen sorgten sich ebenfalls<br />
um das leibliche und geistliche<br />
Wohl ihrer Schwestern an der Front. Als<br />
der Ordenssuperior, Prälat Pfaffenbüchler,<br />
die Schwestern in Cambrai besuchte,<br />
wo die Schwestern von Oktober 1914 bis<br />
September 1915 im Einsatz waren, sorgte<br />
er dafür, dass sie Bettgestelle bekamen<br />
und somit nicht länger nur auf Matratzen<br />
am Boden liegen mussten. Für die<br />
Kapelle organisierte er Sitzbänke, um<br />
ihnen das Knien auf dem Boden zu<br />
ersparen. Bei einem weiteren Besuch<br />
war er voll Mitleid und zugleich Bewunderung<br />
für die Schwestern, die den<br />
feindlichen Dauerbeschuss gelassen<br />
hinnahmen. Er selbst gestand, es nicht<br />
länger ertragen zu können und reiste<br />
bereits nach zwei Tagen wieder ab.
Ordenslazarett<br />
in<br />
Adelholzen<br />
im Ersten<br />
Weltkrieg<br />
Sondereinsätze in Zeiten von Seuchen und Kriegen<br />
Der lange dauernde Krieg hatte für die Kongregation auch negative<br />
wirtschaftliche Folgen. Schon kurz nach Kriegsbeginn war in dem seit 1907<br />
im Besitz des Ordens befindlichen Kurbad Adelholzen ein Lazarett eingerichtet<br />
worden. Im Verlauf des Krieges verlagerte sich der Schwerpunkt in<br />
Adelholzen immer mehr vom Kur- <strong>zum</strong> Lazarettbetrieb. Mit den Kurgästen<br />
blieben aber auch die Einnahmen aus. Zudem wurde durch den Krieg der<br />
Vertrieb des Heilwassers erschwert, was zusätzliche Einnahmeverluste bedeutete.<br />
Während die Schwestern dem Mangel an Petroleum und Kerzen noch<br />
mit der zukunftsweisenden Einrichtung der Elektrizität im Mutterhaus im<br />
Jahr 1915 begegnet waren, konnten sie dem Opfer ihrer Kirchenglocken<br />
für die Metallsammlungen nichts Positives abgewinnen. Im November 1917<br />
kam das Kriegsgeschehen bis nach München, <strong>als</strong> ein feindliches Flugzeug<br />
7 Bomben über München abwarf. Dieser Luftangriff, nur ein kleiner Vorbote<br />
des nächsten Weltkrieges, richtete glücklicherweise keine größeren Schäden<br />
an, trug aber zur weiteren Demoralisierung der Zivilbevölkerung bei.<br />
Nach all dem Leid, das dieser Krieg gebracht hatte, überwog die Erleichterung<br />
bei den Schwestern, <strong>als</strong> er endlich im November 1918 zu Ende ging,<br />
auch wenn die Niederlage dem Frieden einen etwas bitteren Beigeschmack<br />
gab und die Revolution die Schwestern beunruhigte. Endlich konnten die<br />
Schwestern aus der Etappe zurückkehren. Schwester M. Magdalena Barnickel<br />
berichtet von dieser Heimfahrt: „Im Zug war kein einziges Fenster<br />
ganz, alle durchgeschossen. Links und rechts vom Zug waren rote Fähnchen hingesteckt<br />
<strong>zum</strong> Zeichen, dass der Krieg verloren ist und Revolution ist … Ganzer<br />
Zug überfüllt mit Soldaten, man durfte nicht einmal aussteigen, sehr kalt, sie haben<br />
mit Papier die Fenster zugehängt, weil es so gezogen hat … Mehrere <strong>Barmherzige</strong><br />
Schwestern fingen an zu kränkeln.“ 89<br />
149
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
150<br />
Als sie nach tagelanger, strapaziöser Fahrt endlich am 18. November am<br />
Münchner Hauptbahnhof ankamen, stand ihnen noch eine letzte Aufregung<br />
bevor. Die müden, hungrigen und durstigen Schwestern, die sich nur noch<br />
nach ihren Mitschwestern im nahen Mutterhaus sehnten, durften zu ihrem<br />
Entsetzen den Zug nicht verlassen. Stundenlang warteten sie im Bahnhof,<br />
ohne zu erfahren, was mit ihnen geschehen sollte. Auch <strong>als</strong> der Zug am<br />
Nachmittag Richtung Starnberger See weiterfuhr, wurden die Schwestern<br />
immer noch im Unklaren über ihr weiteres Schicksal gelassen. In Bernried<br />
am Starnberger See wurden sie endlich zusammen mit den mitreisenden<br />
Soldaten offiziell aus dem Wehrdienst entlassen. Mit dem nächsten Zug<br />
durften sie nach München zurückkehren, wo ihre Mitschwestern sie bereits<br />
voll Sorge erwarteten.<br />
9.4. Revolution und Inflation<br />
Die Erleichterung der Schwestern über die Beendigung des sinnlosen Blutvergießens<br />
des 1. Weltkrieges wurde bald von den revolutionären Begleitumständen<br />
des Kriegsendes überschattet. Die Revolution in Bayern vom 7.<br />
November 1918 erschütterte die Welt der Schwestern in ihren Grundfesten.<br />
Seit ihrer Gründung hatten die Münchner <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern die<br />
Loyalität <strong>zum</strong> Königshaus immer äußerst hoch gehalten. Nun mussten sie<br />
mit ansehen, wie der letzte bayerische König, Ludwig III., mit seiner schwerkranken<br />
Frau, Königin Maria-Theresia, fliehen musste. Der Untergang der<br />
bayerischen Monarchie bedeutete für die Schwestern auch den Verlust ihrer<br />
alten Welt. Doch auch in dieser Situation hielten die Schwestern den Wittelsbachern<br />
die Treue. So übernahm eine <strong>Barmherzige</strong> Schwester die Pflege<br />
der schwerkranken Königin an ihrem Zufluchtsort Schloss Wildenwarth bis<br />
zu deren Tod am 3. Februar 1919. 90<br />
Zu dem großen Bedauern, das die Schwestern über das Ende der<br />
Königsherrschaft empfanden, kam die Sorge, wie es weitergehen würde.<br />
Würde der Orden auch unter den neuen Machtverhältnissen weiter existieren<br />
können? Für die neu gegründete Bayerische Volkspartei empfanden die<br />
Ordensschwestern gewisse Sympathien, aber noch war nicht klar, welche<br />
politischen Kräfte sich durchsetzen würden. Ihre größten Befürchtungen<br />
schienen sich zu bestätigen, <strong>als</strong> nach der Ermordung Kurt Eisners eine weitere<br />
Radikalisierung einsetzte und am 7. April 1919 die USPD die Münchner<br />
Räterepublik ausrief, woraufhin die im Januar neu gewählte gemäßigte<br />
SPD-Regierung unter Hofmann nach Bamberg floh. Die Spartakisten<br />
machten den Schwestern das Leben schwer. Zweimal durchsuchten sie das<br />
Postulatsgebäude nach Lebensmitteln, Geld und verbotenen Schriften, die
Ludwig III. von<br />
Bayern, 1845 – 1921<br />
(Ölgemälde im<br />
Mutterhaus)<br />
Sondereinsätze in Zeiten von Seuchen und Kriegen<br />
die Schwestern angeblich an die Bevölkerung verteilt hätten. Als die Weißen<br />
Garden der Regierung Hofmann am 1. Mai in München einmarschierten<br />
und sich tagelang mit der Roten Armee der Räteregierung Straßenkämpfe<br />
lieferten, blieben auch die Schwestern nicht unbehelligt. Schüsse schlugen<br />
im Postulatsgebäude in der Blumenstraße ein. Im Martinsspital in Giesing<br />
wurde sogar der Ärmel einer der Schwestern von einem Geschoss durchlöchert,<br />
glücklicherweise ohne sie zu verletzen. Besonders schlimm war der<br />
Beschuss des Nußbaumpavillons: „Der Korridor des Nußbaumpavillons ist<br />
gegen die Nußbaumstraße gerichtet und in den bösen Wochen der kommunistischen<br />
Revolution wurden die Krankenzimmer unter heftiges Feuer gelegt durch ein in der<br />
Schillerstraße aufgestelltes Maschinengewehr, dessen Geschosse durch die Gangfenster<br />
und Zimmertüren durchschlugen. Die Schwestern konnten tagelang nur gebückt<br />
oder kniend ihre Kranken betreuen.“ 91<br />
Bei dem Kampf um München kamen mehr <strong>als</strong> 600 Menschen ums Leben,<br />
darunter etwa 150 Angehörige der regierungstreuen Truppen. Von den weiteren<br />
ca. 450 Toten waren bei weitem nicht alle Angehörige der Roten<br />
Armee, sondern sehr viele unbeteiligte Zivilisten. 92 Die siegreichen Weißen<br />
Garden nahmen blutige Rache an ihren Gegnern. Durch standrechtliche<br />
Erschießungen ermordeten sie in den ersten Tagen 252 Menschen, Revolutionäre<br />
und solche, die sie irrtümlich dafür hielten. 93<br />
Die Begeisterung der Schwestern über die zunächst <strong>als</strong> Befreier begrüßten<br />
Weißen Garden hielt sich in Grenzen. Viele Wochen mussten sie Einquartierungen<br />
von Soldaten in Kauf nehmen.<br />
Die Revolutionswirren brachten auch Einschränkungen für das klösterliche<br />
Leben mit sich. Oft mussten Konvente tagelang auf die Messfeier verzichten.<br />
Kandidatinnen konnten wegen der Einstellung des Bahnverkehrs<br />
151
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
152<br />
erst Ende Mai in die Kongregation eintreten. In München konnte die große<br />
Fronleichnamsprozession im Revolutionsjahr 1919 nicht stattfinden. Allerdings<br />
erhielten die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern vom Ordinariat die Erlaubnis,<br />
<strong>als</strong> Ersatz eine eigene Prozession im Bereich ihrer Mutterhaus-Arkaden<br />
abzuhalten.<br />
Nicht nur die politischen Unruhen, sondern auch die große wirtschaftliche<br />
Not erschwerte das Leben der ersten Nachkriegsjahre. Die Lebensmittelknappheit<br />
war durch Revolution und schlechte Ernten fast noch größer<br />
<strong>als</strong> zu Kriegszeiten. Von der schlechten Ernährungslage waren die <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern nicht nur direkt, sondern auch indirekt betroffen, da<br />
sich die Mangelernährung der Bevölkerung an der steigenden Zahl von<br />
Kranken in den Krankenhäusern bemerkbar machte. Vor allem die Zahl der<br />
Tuberkulosekranken und deren Sterblichkeit stiegen stark an.<br />
In dieser Zeit erwies es sich <strong>als</strong> Segen, nicht nur für die Schwestern selbst,<br />
sondern vor allem auch für die Krankenhäuser in den Städten, dass die Kongregation<br />
an zahlreichen Niederlassungen eigene kleine Landwirtschaften<br />
betrieb. So berichtete Krankenhausdirektor Müller vom Krankenhaus l.d.I.<br />
aus dieser Zeit: „Die Einrichtung, dass die Küche den Ordensschwestern anvertraut<br />
war, hat sich namentlich während der Hungersnot der Kriegsjahre und Revolution<br />
sehr bewährt. Durch ihre Verbindungen mit ländlichen Kreisen konnten die<br />
Ordensschwestern immer wieder die notwendigen Nahrungsmittel für die Patienten<br />
herbeischaffen.“ 94<br />
Die Inflation der Jahre 1922/23 machte auch den <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
große Probleme. Die Gehälter, die für die Schwestern von den Krankenhäusern<br />
an das Mutterhaus bezahlt wurden, verloren, bis sie im Mutterhaus<br />
eintrafen, so an Wert, dass kaum noch etwas dafür gekauft werden<br />
konnte.<br />
Trotz aller Sparsamkeit waren aber manche Ausgaben unumgänglich, z. B.<br />
für die Kleidung der Novizinnen oder die Flaschen für die Füllerei des<br />
Brunnenbetriebs in Adelholzen. So berichtet die Mutterhauschronik aus<br />
dem Jahr 1922: „Die Teuerung brachte im Mutterhaus, das ständig mit doppeltem<br />
Noviziat bevölkert war, sorgenschwere Tage. Allmählich gingen Stoff und Leinwand<br />
Galgenhumor in der Inflationszeit<br />
„In der versprochnen Zeit<br />
sind wir gekommen allzu weit.<br />
Ein jeder ist jetzt Millionär.<br />
Wenn’s nur nicht lauter Schwindel wär!“<br />
Notiz auf einer Banknote zu 500.000 Mark<br />
im August 1923/Mutterhauschronik S. 123
Sondereinsätze in Zeiten von Seuchen und Kriegen<br />
aus: 1 m Tuch 900 Mark, 1 m Leinwand 200 Mark. Da war eine Einkleidung<br />
eine große Ausgabe… Im Dezember 1922 kostete 1 m Halbleinen 2.400 Mark,<br />
eine leere Adelholzener Flasche 100 Mark!“ 95<br />
Für manches der von den Schwestern geleiteten Krankenhäuser war die<br />
Inflation auch deswegen ein großes Problem, weil früher zu ihren Gunsten<br />
gemachte Stiftungen wertlos wurden. Besonders betroffen davon war das<br />
Krankenhaus links der Isar mit seiner Krankenhausstiftung. Die Mutterhauschronik<br />
berichtet, dass auf dem Höhepunkt der Inflation im Herbst<br />
1923 Einkaufen mit Geld unmöglich war, da es niemand mehr annehmen<br />
wollte. Stattdessen wurde sogar in den Krankenhäusern mit Naturalien wie<br />
Butter, Eiern und Fleisch abgerechnet.<br />
Buchstäblich über Nacht kam am 21. November 1923 mit der Einführung<br />
der Rentenmark endlich das Ende dieser irrwitzigen Zeit. Der Wert<br />
einer Rentenmark entsprach 1 Billion des Inflationsgeldes. Nun ging es<br />
wieder aufwärts und auch für die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern brachen die<br />
„goldenen Zwanziger Jahre“ an.<br />
*<br />
153
154<br />
Kapitel 10<br />
Blütezeit des Ordens zu<br />
Beginn des 20. Jahrhunderts<br />
10.1. Großer Aufschwung um die Jahrhundertwende<br />
Trotz all der Widrigkeiten, die der 1. Weltkrieg, die Revolutionszeiten und<br />
die Not der Nachkriegs- und Inflationsjahre mit sich brachten, befand sich<br />
der Orden in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts auf dem<br />
Höhepunkt seiner Entwicklung. Seit der Gründung im Jahr 1832 waren bis<br />
1870 sowohl die Zahl der Niederlassungen <strong>als</strong> auch die Zahl der Mitglieder<br />
kontinuierlich angewachsen. Von 1870 bis 1895 trat eine gewisse Stagnation<br />
ein, was die Übernahme von weiteren Einrichtungen anbelangte. 96<br />
Eine denkbare Ursache für diese Verzögerung des weiteren Aufschwungs<br />
könnte der rauere politische Gegenwind gewesen sein, den die Kongregation<br />
während des Kulturkampfes zu spüren bekam. Der spätere Superior Hiller<br />
machte in seinen Chronikaufzeichnungen am Beginn des 20. Jahrhunderts<br />
allerdings noch eine weitere Ursache aus, nämlich die in seinen Augen<br />
allzu lange Amtszeit der Generaloberin Schwester M. Regina Hurler. 97 Das<br />
Urteil Hillers ist jedoch mit Vorsicht zu genießen. Er scheint eine schwierige<br />
Persönlichkeit gewesen zu sein, die überall aneckte, was schließlich das<br />
Ordinariat 1914 dazu veranlasste, ihn zur Resignation zu bewegen. Auch<br />
scheint er von den Führungsqualitäten von Frauen grundsätzlich nicht viel<br />
gehalten zu haben. Dennoch ist die Tatsache nicht von der Hand zu weisen,<br />
dass einem Zuwachs von fast 60 Niederlassungen in den ersten beiden Jahrzehnten<br />
der Amtszeit der Generaloberin Schwester M. Regina, nur sechs<br />
Übernahmen in den letzten beiden Jahrzehnten gegenüberstehen. Denkbar<br />
wäre <strong>als</strong>o schon, dass zur Stagnation in dieser Zeit möglicherweise auch eine<br />
gewisse Tendenz der älter gewordenen Generaloberin beigetragen hat, die<br />
Kongregation nicht weiter wachsen zu lassen, sondern lieber zu konsolidieren.<br />
Ist mit zunehmendem Alter der Generaloberin eventuell der Schwung<br />
und Mut der Anfangsjahre dem Streben nach Sicherung des Bestehenden
Blütezeit des Ordens zu Beginn des 20. Jahrhunderts<br />
gewichen? Auch das bischöfliche Ordinariat scheint die extrem lange Amtszeit<br />
der Generaloberin <strong>als</strong> etwas problematisch eingestuft zu haben, wie die<br />
1895 erfolgten Modifikationen der Statuten zur zeitlichen Beschränkung<br />
der Amtszeit zeigen.<br />
Der Vorwurf Hillers, die Ordensleitung hätte den Aufschwung zunächst<br />
verschlafen, ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Schon in den 1880er<br />
Jahren setzte ein Boom in der Krankenhauslandschaft ein, von dem allerdings<br />
zunächst Mallersdorfer Schwestern und Rotkreuzschwestern weit<br />
mehr profitierten. Bei den <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern ist der Aufschwung in<br />
Bezug auf den Zuwachs an Niederlassungen erst ab 1895, nach der Resignation<br />
der lang<strong>jährigen</strong> Generaloberin, festzustellen. Gerechtigkeitshalber sei<br />
jedoch erwähnt, dass der höhere Mitgliederzuwachs schon vorher einsetzte.<br />
Dass sich dieser nicht zugleich in der Übernahme neuer Filialen widerspiegelte,<br />
mag auch daran gelegen haben, dass die Kongregation in München<br />
mit den beiden Krankenhäusern links und rechts der Isar und der neuen<br />
chirurgischen Klinik sehr große Krankenhäuser zu versorgen hatte, die<br />
wegen der anhaltenden Ausdifferenzierung von Spezialabteilungen einen<br />
stetig steigenden Bedarf an Pflegekräften hatten, dem das Mutterhaus nachzukommen<br />
hatte.<br />
Mehrere Faktoren spielten zusammen bei der fast explosionsartigen Entwicklung<br />
des Krankenhauswesens um die Jahrhundertwende. Da war einmal<br />
der schon näher beschriebene wissenschaftliche und technische Fortschritt<br />
auf dem Gebiet der Medizin. Die Einstellung der Menschen zu den<br />
Krankenhäusern wandelte sich durch die verbesserten Aussichten auf Heilung<br />
ins Positive, wodurch der Andrang höher wurde. Verstärkt wurde diese<br />
Tendenz durch die längst überfällige staatliche Sozialgesetzgebung, durch<br />
die es sich nun erst die ärmeren Bevölkerungsschichten leisten konnten,<br />
die Behandlung in den Krankenhäusern in Anspruch zu nehmen. Durch<br />
die zunehmende Verstädterung in Folge der Industrialisierung stieg in den<br />
Städten die Notwendigkeit des Baus neuer, größerer Krankenanstalten. Dies<br />
galt in erster Linie für München, das sich in der zweiten Hälfte des 19.<br />
Jahrhunderts mit der Verfünffachung seiner Einwohnerzahl zur Großstadt<br />
entwickelt hatte, aber auch für zahlreiche kleinere bayerische Städte.<br />
Diese Entwicklung im Krankenhauswesen bedeutete aber auch, dass die<br />
Nachfrage nach geeignetem Pflegepersonal enorm anstieg. Da der Staat zwar<br />
in zunehmendem Maße den Bereich der Gesundheitsversorgung an sich<br />
zog, aber kein geeignetes Personal zur Verfügung hatte und sich auch nicht<br />
um die Ausbildung eines solchen kümmerte, waren die Mutterhausverbände<br />
gefragt, dieses zu beschaffen. Für die katholischen Gemeinden in Bayern<br />
waren dies neben den Mallersdorfer Schwestern in erster Linie nach wie vor<br />
die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern vom Mutterhaus München und Augsburg.<br />
155
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
Entwicklung<br />
der Zahl der<br />
Mitglieder<br />
der Kongregation<br />
von<br />
1832 – 2007<br />
156<br />
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Erstaunlicherweise konnten die Ordensgemeinschaften mit der damaligen<br />
rasanten Entwicklung Schritt halten. Auch die Zahl der Eintritte bei den<br />
Pflegeorden stieg entsprechend stark an. Im Jahr 1901 hatte erstm<strong>als</strong> die<br />
Gesamtzahl der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern vom Mutterhaus München die<br />
Zahl 1000 überschritten, gerade mal ein knappes Vierteljahrhundert später<br />
im Jahr 1924 bereits die Zahl 2000. 98<br />
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10.2. Was bewegte so viele junge Frauen,<br />
<strong>Barmherzige</strong> Schwestern zu werden?<br />
Blütezeit des Ordens zu Beginn des 20. Jahrhunderts<br />
Gerade angesichts des heutigen Nachwuchsproblems fragt man sich, was<br />
früher so viele junge Frauen bewogen haben mag, diesen Schritt in eine<br />
Ordensgemeinschaft zu tun. Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielte<br />
hierbei sicher das damalige gesellschaftliche und familiäre Umfeld. Diese<br />
Mädchen wuchsen noch in einer stark vom katholischen Glauben geprägten<br />
Umgebung auf, in der die Entscheidung für das Ordensleben nicht außerhalb<br />
der Vorstellungswelt war, sondern <strong>als</strong> ein denkbares und durchaus wünschenswertes<br />
Lebensmodell angesehen wurde. Wer sich für den geistlichen<br />
Lebensweg entschied, konnte sich in der Regel der gesellschaftlichen Hochachtung<br />
und der familiären Unterstützung sicher sein.<br />
Die Hauptmotivation für diese doch sehr einschneidende Lebensentscheidung<br />
war wie zu allen Zeiten der Glaube und der Wunsch, sein<br />
irdisches Leben ganz in den Dienst Gottes zu stellen, um das himmlische<br />
Seelenheil zu gewinnen. Nach der dam<strong>als</strong> herrschenden theologischen Einschätzung<br />
galt die Wahl der geistlichen Lebensform <strong>als</strong> der sicherste Weg zur<br />
Selbstheiligung, <strong>als</strong> die beste Möglichkeit, dem Himmel einen deutlichen<br />
Schritt näher zu kommen, näher, <strong>als</strong> es in jeder anderen Lebensform je<br />
möglich wäre.<br />
Warum aber war gerade der Zulauf bei den sozial tätigen Orden in dieser<br />
Zeit so groß? Nachdem die katholische Kirche durch die Säkularisierung<br />
und den damit verbundenen Verlust an politischer und gesellschaftlicher<br />
Macht am Anfang des 19. Jahrhunderts in Bayern stark geschwächt worden<br />
war, nutzte sie diese Umbruchsituation, um sich auf ihre ureigensten christlichen<br />
Werte wie die Nächstenliebe zu besinnen. Verstärkt wandte sie sich<br />
sozialen Aufgaben zu, um die mit der industriellen Revolution einhergehende<br />
Not vieler Menschen zu lindern. Hauptträger dieser neu erstarkten<br />
Rolle der Kirche waren die weiblichen karitativen Ordensgemeinschaften,<br />
somit nicht zuletzt die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern. Diese Ordensschwestern<br />
trugen in der Bevölkerung wesentlich zu einem neuen positiven Bild<br />
von Kirche bei. An vielen Orten konnte man diese Vorbilder christlicher<br />
Nächstenliebe aus nächster Nähe <strong>als</strong> Helferinnen in den verschiedensten<br />
Notlagen erleben, wodurch manches Mädchen inspiriert worden sein mag,<br />
selbst diesen Weg einzuschlagen. Welche Rolle die Vorbildfunktion spielte,<br />
zeigte sich auch daran, dass die von den Schwestern geführten Schulen, die<br />
Hauswirtschaftsschulen und die eigene Re<strong>als</strong>chule in Indersdorf, zu bedeutenden<br />
Zentren für die Nachwuchsgewinnung wurden.<br />
Warum ließen sich die Mädchen nicht von dem für uns heute teilweise<br />
unvorstellbar schweren, ja auch häufig lebensgefährlichen Dienst abschre-<br />
157
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
Schwestern<br />
und Kandidatinnen<br />
ziehen in<br />
die Mutterhauskirche<br />
ein (1950er<br />
Jahre)<br />
158<br />
cken? Sieht man sich die Angaben<br />
zur sozialen Herkunft in den<br />
Personalbüchern des Ordensarchivs<br />
an, stellt man fest, dass sich<br />
die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern fast<br />
ausschließlich aus der ländlichen<br />
Bevölkerung Bayerns rekrutierten.<br />
Sie stammten in der überwiegenden<br />
Mehrheit aus kleinen bis<br />
mittleren Landwirtschaften oder<br />
aus kleinen Handwerksbetrieben.<br />
Hier war die oben schon angesprochene<br />
tiefe und selbstverständliche<br />
Frömmigkeit der Nährboden<br />
für die künftigen Ordensschwestern.<br />
Hier waren aber auch hartes<br />
Arbeiten und schwere Entbehrungen<br />
das Gewohnte. Dass dies<br />
eine gute Ausgangslage war, den<br />
Anforderungen des Lebens <strong>als</strong> <strong>Barmherzige</strong> Schwester gewachsen zu sein,<br />
hatten auch die Ordensoberen erkannt. So verfügten sie schon in den Statuten<br />
von 1835: „Bei gleichen geistigen und körperlichen Eigenschaften sollen arme<br />
Jungfrauen den vermöglichern vorgezogen werden; denn sie treten in den Orden der<br />
armen barmherzigen Schwestern und geloben Armuth.“ 99<br />
Die alternativen Lebensmodelle <strong>als</strong> Bäuerin und Mutter oder <strong>als</strong> ledige<br />
Magd wären ebenfalls häufig geprägt gewesen von Armut und Arbeit.<br />
Auch die Lebenserwartung wäre angesichts der dam<strong>als</strong> auf dem Land herrschenden<br />
hohen Frauensterblichkeit nicht unbedingt höher gewesen.<br />
Und man darf nicht übersehen, dass es neben der religiösen Motivation<br />
noch andere Faktoren gab, die den Beruf der <strong>Barmherzige</strong>n Schwester für<br />
so viele Mädchen erstrebenswert machte. Die kinderreichen Familien auf<br />
dem Land hatten oft Mühe, die Zukunft aller Kinder zu sichern. Ein möglicher<br />
Weg war schon immer der Weg ins Kloster gewesen, wodurch die<br />
Versorgung auf Lebenszeit gesichert war.<br />
Nicht zu unterschätzen ist auch die Tatsache, dass lange Zeit für Angehörige<br />
der ländlichen Unterschicht die Wahl eines geistlichen Berufes der<br />
einzige Weg war, aus dem ansonsten schon vorgezeichneten Leben auszubrechen<br />
und einen sozialen Aufstieg zu schaffen. Buben wurde ein Studium<br />
meist nur dann ermöglicht, wenn sie sich für den Priesterberuf entschieden.<br />
Für Mädchen war in der Regel der Klostereintritt die einzige Möglichkeit,<br />
einen höheren sozialen Status zu erlangen.
Blütezeit des Ordens zu Beginn des 20. Jahrhunderts<br />
Die Kongregation der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern übte wie die vergleichbaren<br />
Orden auf die jungen Frauen noch aus einem weiteren Grund eine<br />
sehr große Anziehungskraft aus. Hier konnten sie ihre Talente über den von<br />
der Herkunft vorgegebenen Weg hinaus einbringen und weiterentwickeln.<br />
Hier bot sich ihnen eine der wenigen Möglichkeiten, einen anerkannten<br />
Beruf zu erlernen und auszuüben, noch dazu in einem sozial abgesicherten<br />
und gesellschaftlich hoch angesehenen Rahmen. Zunächst wurden ihnen<br />
damit die Berufe der Krankenschwester, Köchin und Hauswirtschafterin<br />
zugänglich gemacht, später durch zunehmende Spezialisierung der Aufgabenbereiche<br />
auch weitere Berufe wie Diätassistentin, Sekretärin, Kinderkrankenschwester,<br />
Kindergärtnerin oder Lehrerin in den Krankenpflegeschulen<br />
oder in den Hauswirtschafts- und Nähschulen. Und das Erstaunliche<br />
war, sie schafften es trotz der minimalen Bildung, die sie durch ihre ländliche<br />
Volksschulbildung mitbrachten, diese Berufe zu erlernen und auszufüllen.<br />
Die besonders Begabten unter ihnen übernahmen das Amt einer<br />
Oberin oder sogar der Generaloberin, Ämter, in denen auch dam<strong>als</strong> schon<br />
Managerfähigkeiten gefordert waren. Dass die Schwestern diesen Aufgaben<br />
gewachsen waren, macht einerseits deutlich, wie viele Talente in der ländlichen<br />
Bevölkerung ungenutzt brachlagen. Andererseits zeigt es auch, wie<br />
gekonnt die Kongregation es verstand, diese Fähigkeiten zu wecken und<br />
weiterzuentwickeln.<br />
Bei den <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern waren Berufung und Beruf immer<br />
eng verbunden, standen aber immer auch in einem gewissen Spannungsverhältnis.<br />
Immer galt es, die richtige Balance zwischen beiden Polen zu<br />
halten. Einerseits beanspruchte der berufliche Dienst die ganze Kraft und<br />
einen Großteil der Zeit der Schwester, andererseits musste ihr auch immer<br />
an ihrer eigenen, geistlichen Vervollkommnung gelegen sein. Aber lag nicht<br />
gerade in diesem Spannungsverhältnis der Reiz dieser besonderen Art von<br />
Ordensleben?<br />
10.3. Wer konnte <strong>Barmherzige</strong> Schwester werden?<br />
Es wurden keineswegs alle jungen Frauen, die einen Aufnahmeantrag stellten,<br />
<strong>als</strong> Kandidatinnen angenommen. Die in den Statuten von 1835 festgelegten<br />
Aufnahmebedingungen wurden in den ersten 100 Jahren weitgehend<br />
unverändert beibehalten: „Die Ordens-Obern werden jede, die sich zur<br />
Aufnahme melden, mit großer Sorgfalt ausforschen, ob sie von rechtschaffenen Eltern<br />
geboren, untadelhaft in ihrer Aufführung und fest entschlossen seyen, dem Geiste<br />
und den Sitten der Welt zu entsagen, um in frommer Zurückgezogenheit und in der<br />
genauen Beobachtung der Satzungen des Ordens zu verharren; ferner, ob sie gründ-<br />
159
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
160<br />
liche Religionskenntnisse besitzen, im Lesen und Schreiben wohl unterrichtet seyen<br />
und Gesundheit und Kraft haben zur Pflege der Kranken.“ 100 Das Aufnahmealter<br />
war in der Regel zwischen 18 und 24 Jahren. Nur in Ausnahmefällen<br />
wurden ältere Kandidatinnen angenommen. Neben der für den schweren<br />
Dienst <strong>als</strong> <strong>Barmherzige</strong> Schwester notwendigen körperlichen Eignung<br />
wurden auch gewisse Schulkenntnisse vorausgesetzt. Allerdings hatte schon<br />
die erste Generaloberin Schwester Ignatia Jorth erkennen müssen, dass man<br />
den Anspruch diesbezüglich in Bayern etwas reduzieren musste, wo lange<br />
Zeit die Volksschulbildung auf dem Land noch viel zu wünschen übrig ließ.<br />
Fehlende Kenntnisse brachte der Orden seinen Kandidatinnen selbst bei<br />
oder nahm die Hilfe der Englischen Fräulein in Anspruch. Auch noch nach<br />
dem 2. Weltkrieg absolvierte eine Reihe von Schwestern die Re<strong>als</strong>chule<br />
dieses Ordens in Berg am Laim.<br />
Für uns ist heute schwer nachvollziehbar, dass nicht nur an die Kandidatin<br />
selbst ein hoher moralischer Anspruch gestellt wurde, sondern auch an<br />
ihr familiäres Umfeld, das die Anwärterin selbst ja nicht beeinflussen konnte<br />
und nicht zu verantworten hatte. So waren lange Zeit unehelich geborene<br />
Mädchen von der Aufnahme ausgeschlossen. Hier vollzog sich allerdings<br />
Anfang des 20. Jahrhunderts eine Wende. Zunächst wurde es vom Superior<br />
in einem inoffiziellen Schreiben festgelegt, solche Bewerberinnen nicht<br />
grundsätzlich auszuschließen, sondern nur auf den persönlichen Leumund<br />
zu sehen. Allerdings sollte vorerst noch nicht öffentlich über diese freiere<br />
Handhabung gesprochen werden. Erst bei der Änderung der Statuten im<br />
Jahr 1942 wurde auch offiziell festgelegt, Ausnahmen seien nach Prüfung<br />
des Einzelfalles möglich.<br />
Die Bewerberinnen hatten durch Zeugnisse zu belegen, dass sie die<br />
vorgeschriebenen Zulassungsvoraussetzungen mitbrachten. Neben Schul-,<br />
Gesundheits-, Impf- und Sittenzeugnissen hatten die Kandidatinnen bei<br />
ihrem Eintritt eine Mitgift in geringer Höhe und eine Mindestausstattung an<br />
Wäsche mitzubringen. Nach ca. einem Monat Probezeit wurden die neuen<br />
Kandidatinnen offiziell <strong>als</strong> Aspirantinnen bzw. unter der bald üblicheren<br />
Bezeichnung Postulantinnen in den Orden aufgenommen. In dieser Zeit<br />
trugen sie ursprünglich ihre weltliche Kleidung, bald aber wurde dafür eine<br />
einheitliche, einfache Kleidung eingeführt. Die Zeit des Postulats war eine<br />
Art Lehrzeit, in der die Kandidatinnen mit den verschiedenen Alltagsaufgaben<br />
einer Schwester vertraut gemacht wurden. In der Regel erfolgte<br />
nach einem Jahr Postulat bei Eignung die Einkleidung. Bei dieser erhielt<br />
die neue Schwester ihren Ordensnamen und ihr Ordenskleid und begann<br />
mit dem Noviziat. Dieses dauerte im Normalfall etwa zwei Jahre und war<br />
eine weitere Phase der Ausbildung, sowohl in geistlichen Dingen <strong>als</strong> auch<br />
im Beruf. Nach diesen zwei Jahren entschieden die Ordensoberen, ob die
Blütezeit des Ordens zu Beginn des 20. Jahrhunderts<br />
Novizin zur Ablegung der Gelübde zugelassen wurde. Sprach nichts dagegen,<br />
legte die Novizin vor dem Bischof und ihren Ordensoberen in einer<br />
feierlichen Zeremonie erstm<strong>als</strong> ihre Gelübde ab. Als vinzentinische Vereinigung<br />
waren die Gelübde bei den <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern ursprünglich<br />
einfache Gelübde, die jährlich wiederholt wurden: „Die Gelübde der barmherzigen<br />
Schwestern sind keine auf Lebenszeit verbindlichen, sondern einfache, die<br />
jährlich erneuert werden, und bestehen in Angelobung der Armut, Keuschheit und<br />
des Gehorsams.“ 101<br />
10.4. Überlegungen, das Mutterhaus zu verlegen<br />
Das Wachstum Ende des 19. Jahrhunderts führte dazu, dass es im Mutterhaus<br />
sehr eng wurde. Das Problem verschärfte sich noch, <strong>als</strong> die Kongregation<br />
im Krankenhaus links der Isar, wo ebenfalls großer Raummangel herrschte,<br />
Säle räumen musste, in denen bisher Schwestern untergebracht gewesen<br />
waren. Der daraufhin im Jahr 1901 erfolgte Dachausbau im Mutterhaus<br />
sorgte nur für eine kleine Entspannung der Situation, am grundlegenden<br />
Problem änderte es nichts. Dieses bestand darin, dass einerseits die Kongregation<br />
für ihre Schwestern mehr Raum benötigt hätte, andererseits auch<br />
das Krankenhaus l.d.I. und die aus ihm sich entwickelnden Kliniken immer<br />
mehr Platz beanspruchten. Wegen der besonderen, schon erwähnten Eigentumsverhältnisse,<br />
wonach das Mutterhaus auf städtischem Grund stand, hatten<br />
die Schwestern die schlechteren Karten. Sie mussten es hinnehmen, dass<br />
ein Bauvorhaben nach dem anderen zu Lasten ihres Mutterhausgartens ausgeführt<br />
wurde. So 1891, <strong>als</strong> wegen des Baus des Nußbaumpavillons erneut<br />
eine neue Einfahrt für das Mutterhaus angelegt werden musste. So auch<br />
1893, <strong>als</strong> ein neues Direktorhaus errichtet wurde. Da es weiter zurückversetzt<br />
wurde <strong>als</strong> das alte Haus und Direktor Ziemssen einen größeren Garten<br />
wünschte, musste die Kongregation wieder einen Teil des von ihr genutzten<br />
Gartens abgeben. Auch eine Erweiterung der Lindwurmstraße und der Bau<br />
eines neuen Waschhauses für das Krankenhaus gingen zu Lasten des Ordens.<br />
Im Jahr 1900 zwang der Magistrat die Schwestern, ihre Landwirtschaft auf<br />
dem Mutterhausareal aufzugeben. Alle Ökonomiegebäude mussten, obwohl<br />
sie erst 1896 nach einem verheerenden Brand wieder aufgebaut worden<br />
waren, entfernt werden, da der Platz für den Bau der Psychiatrischen Klinik<br />
benötigt wurde. Daraufhin verlegte die Kongregation die Landwirtschaft<br />
nach Berg am Laim. Statt der Ökonomie betrieb der Orden nun beim Mutterhaus<br />
nur noch eine Gärtnerei mit Treibhaus und Gemüsegarten. Auch<br />
das Treibhaus hatte neu aufgebaut werden müssen, da das alte hatte weichen<br />
müssen. Als Ersatz für die ebenfalls abgerissene Gärtnerwohnung wurde<br />
161
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
Das Klinikareal<br />
rund<br />
um das<br />
Mutterhaus<br />
(Ausschnitt<br />
aus Stadtkarte<br />
1950 – 1960)<br />
162<br />
dem Orden genehmigt,<br />
einen Teil der<br />
Arkaden <strong>als</strong> Wohnung<br />
auszubauen.<br />
Durch die 1904<br />
eröffnete Psychiatrische<br />
Klinik und die<br />
1917 in Betrieb genommene<br />
Frauenklinik an<br />
der Lindwurmstraße<br />
war das Mutterhaus<br />
endgültig von allen<br />
Seiten eingekreist. Wie<br />
schon in der Zeit des<br />
Kulturkampfes in den<br />
1870er Jahren wurden auch jetzt wieder Forderungen laut, die <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern hätten das Krankenhausgelände zu räumen, damit sich die<br />
Kliniken ungehindert entfalten könnten. Im Unterschied zu früher war die<br />
Ordensleitung nicht ganz abgeneigt, das Mutterhaus aufzugeben. Die Qualitätsminderungen<br />
aufgrund der Krankenhausexpansion waren inzwischen<br />
belastend geworden und man wünschte sich für die Ordensentwicklung<br />
bessere Bedingungen. Allerdings konnte an eine Rückgabe des Mutterhauses<br />
nur gedacht werden, wenn für einen erschwinglichen und gleichwertigen<br />
Ersatz gesorgt werden würde. In den folgenden Jahren führten die Ordensleitung<br />
auf der einen Seite und Klinikdirektion, Vertreter von Stadt und<br />
Staat auf der anderen Seite Verhandlungen, die sich eine Zeit lang Erfolg<br />
versprechend anließen. Es gab bereits sehr konkrete Planungen, das neue<br />
Mutterhaus in der Nähe des neuen Schwabinger Krankenhauses zu bauen.<br />
Der Staat war bereit, den Bau finanziell zu unterstützen. Die Stadt sollte der<br />
Kongregation den Bauplatz schenken. Am umstrittensten war die staatliche<br />
Forderung nach stärkerer finanzieller Beteiligung der Stadt, <strong>zum</strong>al sehr viele<br />
städtische Anstalten von den Schwestern versorgt würden. Der 1. Weltkrieg<br />
führte zunächst zu einem Stillstand der Verhandlungen. Allerdings schien<br />
sich 1917 eine Lösung abzuzeichnen, da sich der Orden mit dem von der<br />
Stadt angebotenen Bauplatz trotz einiger Bedenken einverstanden erklärte<br />
und bereit war, die Kosten für das neue Haus selbst zu übernehmen. Durch<br />
Kriegsende, Revolution und Inflation traten die Pläne zur Mutterhausverlegung<br />
völlig in den Hintergrund. Die Zusage der Kostenübernahme<br />
durch den Orden wurde gegenstandslos, weil das ersparte Vermögen in der<br />
Inflation wertlos geworden war. Gegen Ende der 20er Jahre wurden die<br />
Verhandlungen wieder aufgenommen. Beide Seiten verfolgten jedoch die
Angelegenheit wegen der sich bereits wieder abzeichnenden Verschlechterung<br />
der Wirtschaftslage mit wenig Nachdruck. 102 So berichtet die Mutterhauschronik<br />
1930: „Für den geplanten Mutterhausbau gingen in diesem Jahr<br />
die Pläne ganz und gar zurück. Man hatte bei der Stadt kein Geld. Dies war<br />
kein Geheimnis. In der Chirurgischen Klinik war solcher Platzmangel, dass unsere<br />
Schwestern nicht einmal die notwendigen Betten hatten. 6 Schwestern mussten mit<br />
3 Betten zurecht kommen, die Wächterinnen benützten sie bei Tag, die Tagschwestern<br />
bei Nacht. Einmalig in der Ordensgeschichte! Die göttliche Vorsehung wird<br />
dafür sorgen, dass die Frage des Mutterhausbaus zur rechten Zeit gelöst wird.“ 103<br />
10.5. Erwerb wichtiger neuer Niederlassungen<br />
Ein eigenes Postulatsgebäude<br />
1896 ließ die Kongregation in der Blumenstraße in München ein stattliches<br />
neues Gebäude erstellen. Der Orden hatte dafür zwei ältere Häuser, die<br />
schon seit Mitte des Jahrhunderts in seinem Besitz waren, abreißen lassen.<br />
Zur Arrondierung des Grundstückes kaufte er der Stadt einen Teil des Are<strong>als</strong><br />
des Nockher’schen Armenhauses am Oberanger ab, das 1895 aufgelöst und<br />
abgerissen worden war. Der Neubau sollte <strong>als</strong> Altenheim für die steigende<br />
Zahl alter Schwestern und <strong>als</strong> Exerzitienhaus dienen. Als sich jedoch das<br />
Problem der Unterbringung der neuen Kandidatinnen Anfang des 20. Jahrhunderts<br />
trotz des Ausbaus der Mansarden im Mutterhaus weiter verschärfte,<br />
entschied sich die Kongregation, das neue Gebäude für das Postulat zu nutzen.<br />
So gab es nun neben dem Noviziat, das schon seit 1853 im Nordflügel<br />
der Josephsburg in Berg am Laim untergebracht war, auch ein eigenes Pos-<br />
Das Postulatsgebäude<br />
in der<br />
Münchner<br />
Blumenstraße<br />
war<br />
bis zu seiner<br />
Zerstörung<br />
(1944) fast<br />
50 Jahre<br />
lang ein<br />
wichtiges<br />
Zentrum der<br />
Kongregation.<br />
Blütezeit des Ordens zu Beginn des 20. Jahrhunderts<br />
163
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
164<br />
tulatsgebäude. Ab 1910 wurden in diesem Gebäude an der Blumenstraße<br />
erste Krankenpflegekurse abgehalten, 1920 offiziell die erste ordenseigene<br />
Krankenpflegeschule installiert.<br />
Bad Adelholzen – mehr <strong>als</strong> ein Erholungsheim für die Schwestern<br />
Die bedeutendste Neuerwerbung dieser Jahre war zweifellos der Kauf des<br />
Wildbads Adelholzen im Jahr 1907. 104 Schon seit längerer Zeit hatte sich die<br />
Ordensleitung nach einem dringend benötigten Erholungsheim für kranke<br />
und erholungsbedürftige Schwestern umgesehen. Längst war die einst zu<br />
diesem Zweck erworbene Josephsburg in Berg am Laim für diesen Zweck<br />
nicht mehr zu verwenden, da es für die vielen, inzwischen alt und gebrechlich<br />
gewordenen <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern <strong>als</strong> Ruhesitz diente und zudem<br />
das Noviziat beherbergte.<br />
Bei zwei gemeinnützigen Lotterien zur Förderung des Baus einer Kirche<br />
in Nürnberg bzw. in Tutzing, an denen der Orden im Jahr 1901 ausnahmsweise<br />
teilgenommen hatte, hatte er den 1. bzw. den 2. Preis mit 30.000 bzw.<br />
10.000 Mark gewonnen. Dieses Geld wollte man nun für ein neues Erholungshaus<br />
für die inzwischen 1400 Schwestern verwenden.<br />
Da nun der nötige Grundstock für die Finanzierung gelegt war, sah sich<br />
die Ordensleitung auf Drängen des Münchner Erzbischofs von Stein nach<br />
einem geeigneten Objekt um. Bald ging eine Reihe von Angeboten ein.<br />
So standen u. a. das Kloster Schlehdorf, das ehemalige Kurbad der Amalie<br />
Hohenester in Mariabrunn bei Röhrmoos und das Wemdinger Wildbad<br />
<strong>zum</strong> Verkauf. Im Jahr 1907 schließlich griff die Ordensleitung zu, <strong>als</strong> ihr<br />
Das Wildbad<br />
Adelholzen,<br />
Ansicht von<br />
1629
Blütezeit des Ordens zu Beginn des 20. Jahrhunderts<br />
Adelholzen bei Siegsdorf günstig angeboten wurde. Der Kauf des wunderschön<br />
gelegenen, aber etwas heruntergekommenen Bades wurde am<br />
1. April 1907 abgeschlossen.<br />
Das Wildbad in Adelholzen gilt mit seiner über 1700-<strong>jährigen</strong> Geschichte<br />
<strong>als</strong> ältestes Heilbad Bayerns. Nach einer Legende sollen die Heilquellen<br />
bereits im 3. Jahrhundert n. Chr. vom hl. Primus „im Holze des Andlo“<br />
entdeckt und <strong>als</strong> Heilwasser genutzt worden sein. Primus, der <strong>als</strong> römischer<br />
Legionär in den Chiemgau gekommen sei, habe hier <strong>als</strong> Einsiedler den<br />
Menschen der Umgebung den christlichen Glauben gelehrt und sie mit dem<br />
Quellwasser geheilt. Historisch belegt ist, dass Primus nach seiner Heimkehr<br />
nach Rom Opfer der Christenverfolgung durch Diokletian wurde und im<br />
Jahr 286 <strong>als</strong> Märtyrer starb.<br />
Wenn auch der Wahrheitsgehalt der Legende der Entdeckung der Quellen<br />
durch den Heiligen nicht mehr feststellbar ist, so ist doch die Berufung<br />
auf einen frühchristlichen Heiligen <strong>als</strong> Entdecker ein Hinweis darauf, dass<br />
die Geschichte der Heilquellen sehr weit zurückreichen muss. Namentlich<br />
belegbar sind die Besitzer von Adelholzen seit dem Jahr 959. Mehrere Jahrhunderte<br />
gehörte das Gut Adelholzen <strong>zum</strong> Besitz des Erzbistums Salzburg,<br />
das es der Familie von Schaumburg <strong>als</strong> Lehen überließ. Schon zu dieser Zeit<br />
scheint es ein Bad gewesen zu sein, allerdings nicht mit dem besten Ruf,<br />
wie sich aus einem Mahnschreiben des Herzogs Wilhelm V. an den damaligen<br />
Besitzer Hanns Christoph von Schaumburg im Jahr 1584 entnehmen<br />
lässt. Der Herzog beanstandete den allzu freizügigen, moralisch Anstoß erregenden<br />
Badebetrieb. Die Klientel des Badeortes scheint in dieser Zeit aus<br />
der einfacheren Bevölkerung der Umgebung bestanden zu haben. Dies sollte<br />
sich ab dem 17. Jahrhundert mit der Übernahme des Besitzes durch Otto<br />
Heinrich Lindl gründlich ändern. Lindl ließ das alte Bad von Grund auf<br />
renovieren und ein neues, schlossähnliches Kurhaus bauen. Zudem beauftragte<br />
er einen Arzt, den Medikus Bopp, mit einer Badbeschreibung und der<br />
Untersuchung der drei Heilquellen. Mit diesen Maßnahmen gelang es Lindl,<br />
aus Adelholzen einen Kurort mit bestem Ruf zu machen, der nun von vielen<br />
Gästen aus vornehmsten Kreisen besucht wurde. Wie sehr das Bad in<br />
dieser Zeit an Ansehen gewann, zeigt die Erhebung Adelholzens zu einer<br />
Hofmark mit eigener Gerichtsbarkeit durch den Kurfürsten Maximilian I.<br />
im Jahr 1629. Unter seinen neuen Besitzern, der Salzburger Architektenfamilie<br />
Zuccalli, wurden Schloss und Kapelle im 18. Jahrhundert vergrößert<br />
und noch prächtiger ausgebaut. Als Indiz für den damaligen Stellenwert des<br />
Kurortes gilt der wochenlange Aufenthalt der Kurfürstin Amalie mit einem<br />
großen Teil ihres Hofstaates im Jahr 1736.<br />
Als der Badeort Ende des 18. Jahrhunderts in den Besitz des Juristen Peter<br />
Sailer überging, entwickelte sich der Badeort zunächst weiterhin positiv.<br />
165
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
166<br />
Dessen Sohn Franz Sailer allerdings scheint den Badebetrieb vernachlässigt<br />
zu haben. 1840 kam er bei einem Brand, bei dem das Schloss völlig zerstört<br />
wurde, ums Leben. Da er kurz vor dem Konkurs stand, wurde angenommen,<br />
dass er den Brand legte und Selbstmord beging.<br />
Nach dieser menschlichen Tragödie kaufte Georg Mayr den Besitz. Dieser<br />
betrieb bereits die Kaltwasserheilanstalt in Brunntal bei München. Er<br />
ließ das Kurhaus nicht an der Stelle des abgebrannten Schlosses, sondern in<br />
der heutigen freieren Lage erbauen. Trotz der Konkurrenz durch die inzwischen<br />
entstandenen Bäder in Traunstein, Reichenhall und Aibling verstand<br />
es Mayr, aus Adelholzen wieder ein florierendes Unternehmen zu machen.<br />
Dies blieb auch so, <strong>als</strong> Mayr den Besitz 1863 an den Münchner Magistratsrat<br />
Sauer verkaufte. Mit dem neuen Badearzt Dr. Liegl gewann das Bad<br />
ab 1878 sogar zusätzlich an Ansehen. Trotzdem mussten die Erben Sauers<br />
1888 erneut Konkurs anmelden. Nun kaufte der Sohn Georg Mayrs den<br />
ehemaligen Familienbesitz wieder zurück. Aber auch er scheint kein unternehmerisches<br />
Glück gehabt zu haben. Als sein größtes Problem erwies sich<br />
die Konkurrenz durch den angesehenen ehemaligen Badearzt von Adelholzen,<br />
Dr. Liegl, der im Jahr 1900 in unmittelbarer Nähe des Kurhauses das<br />
„Ludwigsbad“ eröffnet hatte. So musste auch Mayr im Jahr 1906 Konkurs<br />
anmelden.<br />
Nach dieser wechselvollen Geschichte begann in Adelholzen im April<br />
1907 mit der Übernahme des Besitzes durch die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
eine neue, inzwischen schon 100-jährige Ära der Stabilität und Blüte.<br />
Obwohl der alte Kurort bei der Übernahme einen stark vernachlässigten<br />
und heruntergekommenen Eindruck machte, erkannten die Schwestern<br />
sofort, welchen Schatz sie erworben hatten. Zunächst galt es aber, das Bad<br />
wieder in einen guten Zustand zu bringen. So entwickelten sie schon bald<br />
eine rege Bautätigkeit. Eines der ersten Bauvorhaben war die Renovierung<br />
der alten Primuskapelle, um die Feier des Gottesdienstes zu ermöglichen.<br />
Eine Reihe von Wirtschaftsgebäuden wurde neu erstellt. Am Kurhaus selbst<br />
musste der Dachstuhl erneuert werden. Die Seitenflügel bekamen ein drittes<br />
Stockwerk, und im Haus wurde eine zusätzliche Kapelle eingerichtet.<br />
Durch den Anbau einer Veranda im Jahr 1910, von der aus die Kurgäste<br />
einen herrlichen Blick auf die Berge hatten, gewann das Kurhaus zusätzlich<br />
an Attraktivität. Damit auch für eine gute medizinische Versorgung gesorgt<br />
war, stellte die Kongregation Dr. Otto Prey aus Siegsdorf <strong>als</strong> Badearzt an.<br />
Dieser sollte mehrm<strong>als</strong> in der Woche zur Betreuung der Kurgäste nach<br />
Adelholzen kommen.<br />
Schnell sprach sich herum, welchen Aufschwung Adelholzen mit der<br />
Übernahme durch die Schwestern erlebte, und so trafen bald wieder die<br />
ersten Kurgäste ein. Häufig waren es ehemalige Kurgäste, die sich über die
Blütezeit des Ordens zu Beginn des 20. Jahrhunderts<br />
Wiedereröffnung freuten, aber auch<br />
neue Gäste konnten gewonnen<br />
werden.<br />
So entwickelte sich erstaunlich<br />
rasch wieder ein reger Kurbetrieb.<br />
Häufig fuhren nun Fuhrwerke zu<br />
den Bahnstationen in Bergen oder<br />
Siegsdorf, um Gäste für das idyllisch<br />
gelegene Adelholzen abzuholen.<br />
Da nun aber das Kurhaus auch<br />
weiterhin in erster Linie für den<br />
öffentlichen Kurbetrieb genutzt<br />
werden sollte, kaufte der Orden<br />
1912 das ehemalige „Ludwigsbad“<br />
des früheren Badearztes Dr. Liegl,<br />
um hier das dringend benötigte<br />
Erholungsheim für die eigenen<br />
Schwestern einzurichten. 1914<br />
erwarb er zudem die ebenfalls nahe<br />
gelegene Villa Hardt mit ihrem<br />
schönen Park. Nach der Renovierung<br />
der Villa wohnten hier in erster Linie hohe kirchliche Würdenträger<br />
während ihres Kuraufenthalts in Adelholzen.<br />
Der Münchner Erzbischof von Stein hatte den Kauf von Adelholzen<br />
auch deshalb sehr begrüßt, weil er sich in seiner Diözese ein von Ordensschwestern<br />
geführtes Kurhaus für seinen Klerus wünschte. Sein Nachfolger,<br />
Kardinal von Faulhaber, nutzte in seiner Amtszeit häufig diese Möglichkeit<br />
zur Erholung. Durch seine zahlreichen Aufenthalte in Adelholzen, bei<br />
denen er viele der Schwestern schätzen lernte, wurde seine Beziehung zu<br />
den <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern noch enger, <strong>als</strong> sie es ohnehin schon durch<br />
sein Amt <strong>als</strong> ihr oberster geistlicher Vorgesetzter gewesen wäre. Mit dem seit<br />
1914 amtierenden Superior des Ordens, Prälat Pfaffenbüchler, verband ihn<br />
zudem eine enge Freundschaft. So lag dem Erzbischof diese Kongregation<br />
ganz besonders am Herzen, was sich auch darin zeigte, dass er auf seinen<br />
Firmungsreisen quer durch die Diözese stets Nachwuchswerbung für sie<br />
machte.<br />
Mit Adelholzen, das <strong>zum</strong> beliebten Kurort des Klerus wurde, bekamen<br />
die Schwestern Kontakt zu vielen Priestern in leitenden Funktionen der<br />
Kirche. Besonders bemerkenswert war die enge Beziehung, die sich <strong>zum</strong><br />
päpstlichen Nuntius Eugenio Pacelli, dem späteren Papst Pius XII., entwickelte.<br />
Auch er, befreundet mit Kardinal von Faulhaber und Prälat Pfaf-<br />
<strong>Barmherzige</strong><br />
Schwestern<br />
vor dem<br />
Mitte des<br />
19. Jahrhunderts<br />
erbauten<br />
Kurhaus in<br />
Adelholzen<br />
(Postkarte<br />
ca. 1920er<br />
Jahre)<br />
167
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
Der päpstliche<br />
Nuntius<br />
Eugenio<br />
Pacelli vor<br />
der Villa<br />
Hardt in<br />
Adelholzen<br />
(sitzend,<br />
rechts hinter<br />
ihm stehend<br />
Superior<br />
Pfaffenbüchler)<br />
168<br />
fenbüchler, genoss die Erholungsmöglichkeit<br />
im Chiemgau. Der<br />
Nuntius trug sich am 22. August<br />
1922 in das Adelholzener Kurbuch<br />
ein: „In dankbarer Erinnerung<br />
an die unvergesslichen Tage in Adelholzen<br />
wünsche ich allen, die das<br />
Glück haben hierher zu kommen, die<br />
gleiche Erholung, welche ich da gefunden<br />
habe.“ 105<br />
War beim Kauf von Adelholzen<br />
ursprünglich an den Erwerb<br />
eines Schwesternerholungsheimes<br />
gedacht worden, hatten<br />
die Schwestern sehr schnell die<br />
Bedeutung des Kurbetriebs <strong>als</strong><br />
wichtige Einnahmequelle erkannt.<br />
Dem seit 1911 amtierenden Kuraten<br />
Alfons Haslberger, der sich<br />
nicht nur der geistlichen Belange der Schwestern annahm, sondern auch die<br />
gesamte Ökonomie verwaltete, gelang es durch geschicktes Marketing, viele<br />
neue Gäste zu gewinnen, darunter so prominente wie die letzte bayerische<br />
Königin Maria-Theresia. Haslberger erstellte 1913 einen kleinen Führer, in<br />
dem sich die Kurgäste über die Geschichte Adelholzens, die Wirkung der<br />
Primusquelle und Ausflugsmöglichkeiten in die Umgebung informieren<br />
konnten. Zudem legte er ein Kurbuch aus, in dem sich die Gäste verewigen<br />
sollten. Er hoffte nicht zu Unrecht darauf, dass viele darin ihre Zufriedenheit<br />
über ihren Kuraufenthalt ausdrücken würden.<br />
Ein besonders geschätzter Gast: Nuntius Eugenio Pacelli,<br />
der spätere Papst Pius XII.<br />
Nicht nur in Adelholzen, sondern auch<br />
im Postulat und im Mutterhaus war der<br />
päpstliche Nuntius häufig Gast. Mehrere<br />
Male feierte er bei den Schwestern den<br />
Heiligen Abend. Die besondere Freundschaft<br />
des Nuntius zu den <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern entwickelte sich nicht zuletzt<br />
aus den familiären Beziehungen seiner<br />
Haushälterin, Schwester Pascalina Lehnert,<br />
einer Kreuzschwester aus Altötting.<br />
Zwei leibliche Schwestern von Schwester<br />
Pascalina waren bei den <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern eingetreten. Eine der Schwestern<br />
erkrankte schon kurz nach der Einkleidung<br />
und starb 1921 sehr jung. Der<br />
Nuntius besuchte die Kranke häufig im<br />
Mutterhaus und nahm Anteil an ihrem<br />
Schicksal. Die zweite Schwester bekam<br />
bei ihrer Einkleidung im Jahr 1922 wieder<br />
deren Ordensnamen Gradulpha. Schwes-
Nach einem vorübergehenden Einbruch<br />
des Kurbetriebs während des 1. Weltkriegs<br />
florierte er in den folgenden zwei Jahrzehnten,<br />
bis er Anfang der 1940er Jahre<br />
wegen kriegsbedingter Nutzung eingestellt<br />
werden musste.<br />
Während der Kurbetrieb von Anfang an<br />
ein wichtiger wirtschaftlicher Faktor war und<br />
auch der landwirtschaftlichen Nutzung des<br />
großen Gutes immer eine große Bedeutung<br />
zukam, spielte der Vertrieb des Heilwassers<br />
zunächst nur eine untergeordnete Rolle.<br />
Der Primusquelle wird seit Jahrhunderten<br />
eine heilende Wirkung nachgesagt. Eigentlich<br />
handelt es sich nicht um eine einzige Quelle, sondern um drei Quellen, die<br />
wegen ihrer identischen Zusammensetzung <strong>als</strong> Mischquelle genutzt werden.<br />
Zahlreiche Votivtafeln und Berichte von Ärzten und Patienten dokumentieren<br />
Heilungen von Patienten nach dem Genuss des Wassers. Die Heilkraft<br />
wird in erster Linie bei Krankheiten im Bereich von Stoffwechselstörungen<br />
gesehen. Vor allem bei Blasen-, Nieren- und Gallensteinen soll es seine heilsame<br />
Wirkung entfalten.<br />
Die Primusquelle war der Grund, weshalb Menschen seit vielen Jahrhunderten<br />
nach Adelholzen kamen. Allerdings war das Wasser früher immer nur<br />
zur Behandlung direkt vor Ort genutzt worden. Erst 1895 begann Vorbesitzer<br />
Georg Mayer mit dem Vertrieb des Wassers. Er war damit so erfolgreich,<br />
dass er sogar bis nach Übersee lieferte. Auch die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
nahmen den Versand wieder auf, allerdings zunächst nur in bescheidenem<br />
Umfang, da ihnen nur ein kleiner Handfüllapparat zur Verfügung stand.<br />
ter Pascalina, die dem Nuntius nach Berlin<br />
und später nach Rom folgte, blieb schon<br />
allein wegen dieser leiblichen Schwester,<br />
aber auch durch ihre Freundschaft mit<br />
der Schreibschwester des Mutterhauses,<br />
Schwester M. Berthilia Hidringer, zeitlebens<br />
eng mit dem Mutterhaus verbunden.<br />
Auch Eugenio Pacelli hielt mit dem<br />
Superior der Schwestern, Prälat Pfaffenbüchler,<br />
von Rom aus Kontakt.<br />
Damit der päpstliche Staatssekretär<br />
auch in Rom die von ihm geliebte deutsche<br />
Weihnacht feiern konnte, schick-<br />
Blütezeit des Ordens zu Beginn des 20. Jahrhunderts<br />
ten ihm die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
vom Mutterhaus München regelmäßig<br />
zu Weihnachten einen Christbaum.<br />
Anfang Januar 1932 bedankte er sich für<br />
den Christbaum und die Weihnachtsgeschenke<br />
vom Mutterhaus: „Auch ich<br />
denke mit einem Gefühl wehmütiger<br />
Freude an die Heiligen Nächte zurück, an<br />
denen ich im Mutterhause und in Ihrer<br />
Mitte das hl. Opfer darbringen durfte.“ 106<br />
Der Geistliche<br />
Rat<br />
Alfons Haslberger,<br />
Kurat<br />
in Adelholzen<br />
von 1911<br />
bis 1969<br />
169
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
170<br />
Kurat Haslberger erkannte schnell das Potential, das im Vertrieb des<br />
Wassers steckte. Schon kurz nach seinem Amtsantritt setzte er sich für die<br />
Anschaffung einer neuen, wenn auch noch sehr einfachen Füllanlage ein.<br />
Er ließ das Wasser mit den neuesten wissenschaftlichen Methoden untersuchen,<br />
um die Heilwirkung werbewirksam wissenschaftlich belegen zu können.<br />
Den Kurgästen wurde nach Beendigung der Kur die Fortsetzung der<br />
Trinkkur zu Hause nahe gelegt. Als der Kurbetrieb im 1. Weltkrieg Verluste<br />
schrieb, beschloss der Kurat, den Sektor des Wasservertriebs <strong>als</strong> zusätzliches<br />
Standbein in Adelholzen auszubauen. Die Pläne zur weiteren Modernisierung<br />
der Füllerei konnten jedoch erst 1920 realisiert werden, nachdem<br />
die dafür erforderliche Elektrifizierung erfolgt war. Die neuen Maschinen<br />
übernahmen nun die Flaschenreinigung, die Abfüllung des Wassers und das<br />
Verschließen der Flaschen, Arbeitsgänge, die früher von den Schwestern per<br />
Hand erledigt werden mussten. Mit der neuen Anlage konnten die Füllmengen<br />
bereits erheblich gesteigert werden. Damit war der Grundstock<br />
gelegt für die zunehmende Bedeutung dieses Wirtschaftsektors in Adelholzen.<br />
Doch noch konnte keiner ahnen, welche ökonomische Bedeutung der<br />
Brunnenbetrieb in Zukunft für die gesamte Kongregation erhalten würde.<br />
Waldsanatorium bei Planegg<br />
Lager- und<br />
Versandraum<br />
der<br />
Primusquelle<br />
in den<br />
Anfangsjahren<br />
des<br />
Brunnenbetriebs<br />
Im Mai 1921 erwarb der Orden das Waldsanatorium bei Planegg. Um die<br />
stark verbreitete Krankheit Tuberkulose zu bekämpfen, hatte der damalige<br />
Direktor des Krankenhauses links der Isar, Dr. Hugo von Ziemssen, 1894<br />
einen „Verein für Volksheilstätten“ initiiert. Dieser ließ 1896 die erste bayerische<br />
Volksheilstätte mitten im Kreuzlinger Forst bei Planegg errichten.
Das Waldsanatorium<br />
bei Planegg,<br />
Ansicht<br />
von der<br />
Gartenseite<br />
um 1900<br />
Ende 1898 wurde dieses Sanatorium mit über 100 Betten für Tuberkulosepatienten<br />
eröffnet. Die Pflege der Kranken und die Wirtschaftsführung<br />
des Sanatoriums und der angeschlossenen Landwirtschaft übernahmen die<br />
<strong>Barmherzige</strong>n Schwestern. Im 1. Weltkrieg musste dem Militär fast die Hälfte<br />
der Volksheilstätte <strong>als</strong> Militärkrankenhaus für tuberkulosekranke Soldaten<br />
zur Verfügung gestellt werden.<br />
Die Niederlassung in Planegg befindet sich heute noch im Besitz der<br />
<strong>Barmherzige</strong>n Schwestern. Allerdings wurde das Lungensanatorium wegen<br />
des starken Rückgangs von Tbc-Patienten im Jahr 1984 geschlossen. Seit<br />
1986 dient es <strong>als</strong> Altenheim, zunächst für die eigenen Schwestern. Nach<br />
einer Gener<strong>als</strong>anierung wurde es 1997 <strong>als</strong> allgemeines Alten- und Pflegeheim<br />
ausgewiesen, das sowohl vollstationäre Pflege <strong>als</strong> auch Kurzzeitpflege<br />
anbietet. Immer weniger Heimbewohner sind Ordensangehörige. Auch<br />
beim Personal ersetzen immer mehr weltliche Mitarbeiter die Schwestern.<br />
Die Landwirtschaft ist für heutige Maßstäbe zu klein. Deshalb wird ein<br />
kleiner Teil der Flächen seit 2003 vom ordenseigenen Marxhof in Unterhaching<br />
bewirtschaftet, der größere Teil der Flächen und die Ökonomiegebäude<br />
wurden zur Stadtranderholung und für den Betrieb des Bauhofes<br />
an die Gemeinde Krailling verpachtet. Auch ein Kindergarten befindet sich<br />
neuerdings auf dem weiträumigen Gelände des Waldsanatoriums.<br />
Das Gut Marxhof<br />
Blütezeit des Ordens zu Beginn des 20. Jahrhunderts<br />
Das Gut Marxhof in Unterhaching kauften die Schwestern 1924. In der<br />
unmittelbaren Nachkriegszeit und der folgenden Inflation hatten die<br />
Schwestern Schwierigkeiten, ausreichend Lebensmittel für ihre Nieder-<br />
171
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
172<br />
Der Marxhof<br />
in Unterhaching<br />
(Postkarte<br />
ca. 1930er<br />
Jahre)<br />
lassungen zu besorgen. Mit den – trotz der Inflation gleich gebliebenen<br />
und somit lächerlich geringen – Zahlungen der Stadt für die Verköstigung<br />
der Pfründner in den städtischen Anstalten von 89 Pfennigen pro Tag und<br />
Heiminsasse konnten die Schwestern die Lebensmittelversorgung nicht<br />
mehr garantieren. Sie hatten deshalb zunächst einen Hof in Perlach gepachtet.<br />
Als dessen Pachtvertrag nicht verlängert wurde, entschlossen sie sich,<br />
den gerade <strong>zum</strong> Verkauf stehenden Marxhof in Unterhaching zu erwerben.<br />
In den folgenden Jahren mussten an den Gebäuden des Hofes zahlreiche<br />
Renovierungsarbeiten durchgeführt werden. Das Gut bot sich wegen seiner<br />
ländlichen und dennoch stadtnahen Lage für die Errichtung eines weiteren<br />
Erholungsheims für die Schwestern an. Dessen Bau wurde 1926 genehmigt.<br />
1927 wurde zudem ein Nachbargrundstück zu einem günstigen Preis<br />
angekauft. Für den Bau der 1932 eingeweihten St. Altokirche stellte der<br />
Orden mit Genehmigung des Erzbischofs der Pfarrei das Baugrundstück<br />
zur Verfügung.<br />
10.6. Veränderungen der Statuten und Einführung der<br />
Ewigen Gelübde<br />
Das enorme Wachstum der Kongregation in den Jahren zwischen 1895 und<br />
1940 brachte nicht nur zahlreiche äußere Veränderungen mit sich, sondern<br />
wurde auch von bedeutenden internen Veränderungen begleitet. 107<br />
Bei der seit 40 Jahren amtierenden Generaloberin Schwester M. Regina<br />
Hurler machten sich zunehmend Anzeichen von Altersschwäche bemerkbar.<br />
Als sie dies selbst <strong>als</strong> Problem erkannt hatte, bot sie 1895 dem Erzbischof<br />
ihren Rücktritt an. Die freiwillige Resignation der Generaloberin nahm
Blütezeit des Ordens zu Beginn des 20. Jahrhunderts<br />
Superior Wendl mit Unterstützung des Erzbischofs Antonius von Thoma<br />
<strong>zum</strong> Anlass, einige organisatorische Veränderungen durchzusetzen. Der<br />
Superior entwarf eine Beilage zu den Statuten, die der Erzbischof 1895<br />
genehmigte. 103 Im Vorwort begründete von Thoma die Ergänzung damit,<br />
dass für die stark angewachsene Kongregation die wenigen und einfachen<br />
Bestimmungen zur inneren Organisation die Statuten von 1835 nicht mehr<br />
ausreichend seien. Zudem wünschte er, dass die in den letzten Jahren vom<br />
apostolischen Stuhl erlassenen neuen Verordnungen für die religiösen Frauengemeinschaften<br />
auch für die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern gelten sollten.<br />
Die Statutenbeilage von 1895 traf sehr konkrete und detaillierte Regelungen<br />
zu Bestellung und Aufgabenverteilung der Ordensleitung. Zunächst<br />
wurde die Stellung des Superiors explizit gestärkt: „Der Superior führt die<br />
Oberaufsicht über das ganze Institut.“ Bestellung einer neuen Oberin und<br />
Versetzungen von Schwestern sollten nur mit ausdrücklicher Genehmigung<br />
des Superiors möglich sein, falls sie nicht sogar von ihm vorgenommen<br />
würden.<br />
Noch ausführlicher befasste sich die Statutenergänzung mit dem Amt<br />
der Generaloberin. Vor allem der Wahlmodus wurde ganz genau geregelt. In<br />
der Vergangenheit hatte es im Ermessen des Erzbischofs gelegen, entweder<br />
eine Wahl vornehmen zu lassen oder die Generaloberin selbst zu ernennen.<br />
Erst zweimal in der Ordensgeschichte war die Generaloberin durch<br />
Wahl bestimmt worden, nämlich 1845 die zweite Generaloberin Schwester<br />
M. Vinzentia Balghuber und 1855 die vierte Generaloberin Schwester M.<br />
Regina Hurler. In der langen Zeit ihrer Amtsführung wurde Schwester M.<br />
Regina immer nur vom Bischof in ihrem Amt bestätigt.<br />
In Zukunft sollten Delegierte der<br />
gesamten Schwesternschaft, das so<br />
genannte Generalkapitel, alle 6 Jahre<br />
die Generaloberin in einer geheimen<br />
Wahl unter Leitung des Erzbischofs<br />
oder des Superiors wählen. Wählbar<br />
sollten alle Schwestern über 40 sein,<br />
die seit mindestens 8 Jahren Professschwestern<br />
sind. Eine Wiederwahl<br />
sollte grundsätzlich möglich sein,<br />
außer es liegt ein Verbot der Wiederwahl<br />
vor. Für den Fall, dass auch nach<br />
dem dritten Wahlgang nicht die erforderliche<br />
absolute Mehrheit für eine<br />
Schwester zustande kommen sollte,<br />
behielt sich der Erzbischof die Ernen-<br />
GeneraloberinSchwester<br />
M. Avila<br />
Dorn (Ölgemälde<br />
im<br />
Mutterhaus)<br />
173
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
174<br />
nung der Generaloberin vor. Die Macht der Generaloberin wurde beschnitten,<br />
indem ausdrücklich festgelegt wurde, sie müsse sich bei allen wichtigen<br />
Entscheidungen mit ihrem ständigen Rat beraten. Dieser ständige Rat sollte<br />
aus vier gewählten Schwestern bestehen. Zwei dieser Ratsschwestern sollte<br />
die Generaloberin zu ihren Assistentinnen bestimmen, wovon eine das Amt<br />
der Stellvertreterin, die andere das Amt der Novizenmeisterin erhalten sollte.<br />
Alle drei Jahre sollte die Generaloberin zudem ein Generalkapitel einberufen,<br />
um über den Stand der Kongregation und die Vermögensverhältnisse<br />
Rechenschaft abzulegen. Mit Genehmigung des Erzbischofs könnte die<br />
Generaloberin auch ein außerordentliches Generalkapitel einberufen, falls<br />
besondere Ereignisse dies erforderten.<br />
Auch zur Wahl der Kapitelschwestern, der Wahlschwestern, wurden<br />
genaue Regelungen und eine Einteilung in Wahlbezirke vorgenommen.<br />
Das aktive Wahlrecht wurde jeder Schwester, deren Profess mindestens vier<br />
Jahre zurückliegt, zugestanden. Als Delegierte wählbar sollten jedoch nur<br />
Oberinnen sein.<br />
Zur Anwendung kamen diese Neuregelungen erstm<strong>als</strong> im Jahr 1896. Die<br />
vom Erzbischof nach dem Rücktritt von Schwester M. Regina Hurler zur<br />
neuen Generaloberin ernannte ehemalige Oberin am Passauer Krankenhaus,<br />
Schwester M. Avila Dorn, wurde bei der Wahl durch das Generalkapitel<br />
bestätigt. Sie wurde 1902 und 1908 wiedergewählt, trat jedoch in der<br />
Mitte ihrer 3. Amtszeit zurück. Ihre Nachfolgerin Schwester M. Seraphina<br />
Sellmayr blieb aus gesundheitlichen Gründen nur ein Jahr im Amt. 1912<br />
und 1918 wurde Schwester M. Osmunda Rummel gewählt. Da sie 1924<br />
noch während ihrer zweiten Amtszeit verstarb, stellte sich die Frage nach<br />
einer 3. Wahl nicht mehr. Denn eine Wiederwahl nach 12 Jahren Amtszeit<br />
wurde inzwischen von Rom <strong>als</strong> bedenklich eingestuft. So hatte die Religiosenkongregation<br />
in Rom 1920 ein Schreiben herausgegeben, wonach<br />
die Wiederwahl nach 12 Jahren grundsätzlich abgelehnt werden sollte. Nur<br />
in begründeten Fällen sollte der Bischof Dispens bei der Religiosenkongregation<br />
einholen können, um eine erneute Wiederwahl zu ermöglichen.<br />
Von dieser Möglichkeit wurde bei den folgenden beiden Generaloberinnen<br />
Schwester M. Desideria Weihmayer und Schwester M. Castella Blöckl<br />
Gebrauch gemacht. Schwester M. Desideria war somit insgesamt 17 Jahre<br />
bis zu ihrem Tod im Amt. Schwester M. Castella wurde zwar 1953 eine<br />
3. Wahl ermöglicht, allerdings nur noch für drei Jahre Amtzeit. Seither wurden<br />
keine Ausnahmen mehr gemacht. Alle folgenden Generaloberinnen<br />
legten ihr Amt nach 12 Jahren nieder.<br />
Beim 10. Generalkapitel im Mai 1925 wurde für die Oberinnen der<br />
Niederlassungen festgelegt, dass sie nach 6 Jahren Amtszeit abgelöst bzw.<br />
ausgetauscht werden müssten.
Blütezeit des Ordens zu Beginn des 20. Jahrhunderts<br />
Von noch einschneidenderer<br />
Bedeutung war die Einführung der<br />
Ewigen Gelübde im Jahr 1934. Die<br />
<strong>Barmherzige</strong>n Schwestern hatten,<br />
wie schon erwähnt, <strong>als</strong> vinzentinische<br />
Gemeinschaft bisher zeitliche<br />
Gelübde abgelegt. Was bewegte die<br />
Kongregation nun, diesen Grundsatz<br />
fallen zu lassen? Die Initiative ging<br />
nicht von den Schwestern selbst aus,<br />
sondern vom Erzbischof von München<br />
und Freising, Michael Kardinal<br />
Faulhaber. In einem Schreiben<br />
des Mutterhauses an alle Filialen im<br />
Oktober 1933 wurde den Schwestern<br />
mitgeteilt, die Ordensleitung<br />
plane die Einführung der Ewigen Gelübde. Die Schwestern wurden aufgefordert,<br />
ein Formular auszufüllen, ob sie bereit seien, diese abzulegen. Das<br />
Ergebnis der Umfrage war mehr <strong>als</strong> eindeutig. Nur zwei Schwestern lehnten<br />
die Ewigen Gelübde rundweg ab und wollten sie auf keinen Fall selbst<br />
ablegen. Zwei weitere lehnten sie grundsätzlich ebenfalls ab, erklärten sich<br />
aber bereit, sie abzulegen, falls die Ordensleitung sie einführen sollte. Beim<br />
folgenden Generalkapitel im Januar 1934 wurde die Einführung beschlossen.<br />
Bei der dreitägigen Feier anlässlich der Heiligsprechung der Ordensheiligen<br />
Luise von Marillac legten die ersten <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern im<br />
Mutterhaus vor dem Erzbischof die Ewigen Gelübde ab. Den Schwestern,<br />
die vor der Einführung der Ewigen Gelübde eingetreten waren, wurde frei<br />
gestellt, ob sie diese ablegen wollten. Wer nach 1934 eintrat, musste jedoch<br />
nach 6 Jahren die Ewige Profess ablegen oder andernfalls den Orden wieder<br />
verlassen. Trotz der Freiwilligkeit legten fast alle Schwestern in den kommenden<br />
Jahren die Ewigen Gelübde ab. Die Mutterhauschronik berichtet<br />
1935: „Die Ablegung der Ewigen Gelübde geht in schöner Ordnung weiter. Die<br />
wenigen, die sich nicht entschließen konnten, die „Ewigen Gelübde“ abzulegen,<br />
dürfen gemäß den Konstitutionen, wie bisher weiter machen. Sie werden nicht auffallen,<br />
da ja alle Schwestern am Schmerzhaften Freitag wie üblich ihre Gelübde<br />
erneuern.“ 108 Nach wie vor wurde die Tradition beibehalten, die Gelübde<br />
jährlich zu erneuern. War es früher jedoch eine jährliche Wiederholung des<br />
Gelübdes gewesen, hatte es nun für einen Großteil der Schwestern nur noch<br />
eine rein zustimmende Bedeutung.<br />
Im Grunde änderte sich für das alltägliche Ordensleben der Schwestern<br />
konkret nichts durch die Ersetzung der zeitlichen Gelübde durch<br />
Generaloberin<br />
Schwester<br />
M. Osmunda<br />
Rummel<br />
(Ölgemälde<br />
im<br />
Mutterhaus)<br />
<strong>175</strong>
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
176<br />
Professfeier<br />
in der<br />
Mutterhauskirche<br />
mit<br />
Kardinal von<br />
Faulhaber<br />
1939<br />
die Ewigen. Auch vorher war es nicht so leicht gewesen die Kongregation<br />
zu verlassen. Dreimal musste die Schwester ihre Vorgesetzten ernsthaft<br />
um Entlassung bitten, bevor der Bischof Dispens erteilte. Diese Regelung<br />
wurde auch für die Dispens von den Ewigen Gelübden übernommen.<br />
Allerdings waren nun die vor der Ewigen Profess abgelegten zeitlichen<br />
Gelübde nicht mehr so bindend wie früher. Das Verlassen der Gemeinschaft,<br />
aber auch die Entlassung durch die Vorgesetzten war nun leichter.<br />
Hat sich das Selbstverständnis der Schwestern durch die Einführung der<br />
Ewigen Gelübde geändert? Das ist schwer zu sagen, aber es ist anzunehmen,<br />
dass die meisten Schwestern schon die zeitlichen Gelübde mit der Absicht<br />
abgelegt hatten, sich für ihr ganzes Leben an die Kongregation zu binden.<br />
Mit der Einführung der Ewigen Gelübde hatten sie nun zudem die Möglichkeit,<br />
nach außen deutlicher zu machen, dass sie „vollwertige“ Ordensfrauen<br />
waren. Die Chronistin notierte 1934: „Mit wenigen Ausnahmen hat die<br />
Einführung der Ewigen Gelübde die Schwestern tief beglückt.“ 109<br />
Dass diejenigen, die es bedauerten, dass eine der wichtigsten Forderungen<br />
des hl. Vinzenz für seine Gründungen nun nicht mehr erfüllt wurde,<br />
die absolute Minderheit waren, zeigt, dass sich die Kongregation schon länger<br />
zu einem Orden im herkömmlichen Sinne entwickelt hatte.<br />
Welche Beweggründe hatte Kardinal von Faulhaber, die Einführung<br />
der Ewigen Gelübde bei den <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern durchzusetzen? Er<br />
selbst nennt seine Gründe in einem Schreiben an die bayerischen Bischöfe<br />
vom 12. Juli 1934. Ein Grund sei gewesen, dass er „die stille Sehnsucht vieler<br />
Vinzenzschwestern nach Ewigen Gelübden kannte“. Außerdem wünschte er,<br />
die Schwestern den anderen Orden rechtlich gleichzustellen. So erläutert<br />
er: „da … das Kirchenrecht von 1918 <strong>zum</strong> ersten Mal im Ordensrecht Klarheit
Blütezeit des Ordens zu Beginn des 20. Jahrhunderts<br />
schuf, habe ich mich entschlossen, die Kongregation der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern,<br />
die im Sinne von can. 488,3 diözesanrechtlichen Charakter hat, die vota perpetua<br />
simplicia ablegen zu lassen, um auf diese Weise der Schwesternschaft die Privilegien<br />
einer wirklichen Kongregation von Religiosen unter Verpflichtung auf das kirchliche<br />
Ordensrecht, im besondern auf can. 538 – 631 und auf can. 669 – 672 zu<br />
verschaffen“. 110 Das neue kirchliche Gesetzbuch von 1918 hatte <strong>zum</strong> ersten<br />
Mal die vielen verschiedenen Ordensregeln zu einem klaren Ordensrecht<br />
zusammengefasst. Danach waren Ordenspersonen im eigentlichen Sinn nur<br />
diejenigen, die Ewige Gelübde abgelegt hatten. Nur diese sollten alle Rechte<br />
und Gnadenprivilegien dieses Standes genießen.<br />
Während andere vinzentinische Gemeinschaften wie das Pariser Mutterhaus<br />
oder auch das Straßburger Mutterhaus seit den 1880er Jahren päpstlich<br />
approbiert waren, war das Mutterhaus München nach wie vor keine<br />
Ordensgemeinschaft nach päpstlichem, sondern nach bischöflichem Recht.<br />
Ordensgemeinschaften, deren Mitglieder keine Gelübde auf Lebenszeit<br />
ablegen, werden nach dem Kirchenrecht nicht <strong>als</strong> Orden, sondern <strong>als</strong> Kongregationen<br />
bezeichnet. Allerdings hat auch eine Kongregation die Möglichkeit,<br />
beim Papst einen Antrag zu stellen, <strong>als</strong> eine Kongregation päpstlichen<br />
Rechts anerkannt zu werden.<br />
Als das Mutterhaus in Straßburg, zusammen mit einer Reihe weiterer von<br />
dort aus gegründeten Mutterhäusern, in den 1850er Jahren einen solchen<br />
Antrag auf päpstliche Approbation stellte, war zunächst auch das Münchner<br />
Mutterhaus dabei. Es dauerte allerdings bis 1872, bis die Straßburger Statuten<br />
approbiert wurden, und dies zunächst nur probeweise für 10 Jahre. Erst<br />
1884 erfolgte die eigentliche Approbation. Das Münchner Mutterhaus war<br />
aber nun anscheinend nicht mehr besonders daran interessiert, die päpstliche<br />
Approbation zu erhalten. Was steckte dahinter? Eventuell befürchtete<br />
man in diesen Zeiten des Kulturkampfs, den politischen Gegnern damit<br />
Rückenwind zu verschaffen. Man wollte sich wohl keine Steuerung durch<br />
Rom vorwerfen lassen.<br />
Schon Ludwig I. hatte bei der Einführung der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
sehr viel Wert darauf gelegt, dass die neue Kongregation vom Ausland<br />
unabhängig war, sowohl vom Straßburger Mutterhaus <strong>als</strong> auch vom Papst<br />
in Rom. Während der Monarchie war es für die Münchner Kongregation<br />
eher von Vorteil <strong>als</strong> von Nachteil, eine Ordensgemeinschaft bischöflichen<br />
Rechts zu sein. So konnte man den Schwestern keinen Mangel an Loyalität<br />
gegenüber dem Staat vorwerfen und gleichzeitig hatten sie den Schutz<br />
aus Rom gegenüber den ihnen immer wohl gesonnenen Monarchen nicht<br />
nötig. Diese Voraussetzung hatte sich nun allerdings mit dem Ende der<br />
Monarchie 1918 geändert. Schon gegenüber den neuen republikanischen,<br />
erst recht aber gegenüber den nation<strong>als</strong>ozialistischen Machthabern mag der<br />
177
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
Das für die<br />
Hundertjahrfeier<br />
der Kongregation<br />
am 10. März<br />
1932 festlich<br />
geschmückte<br />
Mutter-<br />
haus<br />
178<br />
Kardinal es für sicherer gehalten haben, der Münchner Kongregation durch<br />
Anpassung der Statuten an das von Rom vorgegebene Ordensrecht auch<br />
den Schutz des Vatikans zu sichern. Zwar erfolgte auch jetzt nicht die päpstliche<br />
Approbation der Kongregation. Bis heute ist sie eine Kongregation<br />
bischöflichen Rechts. Durch die Einführung der Ewigen Gelübde wurde<br />
sie jedoch <strong>als</strong> Orden im eigentlichen Sinne anerkannt und erwarb die damit<br />
verbundenen, von Rom gesicherten Rechte.<br />
10.7. Höhepunkte in der Ordensgeschichte:<br />
Hundertjahrfeier und Heilig-/Seligsprechung der<br />
Ordensheiligen Luise und Katharina<br />
Als das Mutterhaus München im Jahr 1932 sein 100-jähriges Bestehen<br />
begehen konnte, hatte es allen Grund <strong>zum</strong> Feiern. Aus der von der Elsässer<br />
Schwester Ignatia Jorth gegründeten kleinen vinzentinischen Ordensgemeinschaft<br />
war inzwischen eine Kongregation mit 2638 Mitgliedern und<br />
159 Niederlassungen geworden. Auch die Zahl der Kandidatinnen lag mit<br />
164 erfreulich hoch. 111<br />
Schon 1930 hatte man mit Renovierungsarbeiten am Mutterhaus begonnen,<br />
um <strong>zum</strong>indest das Nötigste vor dem <strong>Jubiläum</strong> instand zu setzen. Auf<br />
eine gründlichere Renovierung wurde allerdings verzichtet, da immer noch<br />
eine Verlegung des Mutterhauses im Raum stand.<br />
Als Kardinal von Faulhaber 1930 ein Buch über das Mutterhaus der<br />
<strong>Barmherzige</strong>n Schwestern in Fulda<br />
geschenkt bekommen hatte, regte<br />
er die Ordensoberen in München<br />
an, anlässlich ihres <strong>Jubiläum</strong>s ebenfalls<br />
ein Buch über ihr Mutterhaus<br />
schreiben zu lassen. 112 So beauftragen<br />
die Ordensoberen den Theologen Dr.<br />
Scherer, der auch schon ein Buch<br />
über die Geschichte des Straßburger<br />
Mutterhauses veröffentlicht hatte,<br />
eine Biographie der ersten Generaloberin<br />
in Bayern, Schwester Ignatia<br />
Jorth, zu verfassen. Prälat Pfaffenbüchler<br />
hatte statt einer Darstellung<br />
der geschichtlichen Entwicklung der<br />
Kongregation die Darstellung der
Lebensgeschichte der<br />
Gründerin gewünscht,<br />
allerdings nutzte Scherer<br />
diese, um die Gründungsgeschichte<br />
des<br />
Ordens anschaulich<br />
darzustellen. Der Superior<br />
selbst schrieb in<br />
seinem Festbrief zur<br />
Feier: „Große Ereignisse<br />
und weltbewegende Taten<br />
hat die Geschichte des<br />
Ordens nicht zu verzeichnen;<br />
wohl aber ein ständiges stilles Heldentum Stunde für Stunde, Tag für Tag, Tag<br />
und Nacht, werktags und feiertags, dem von vielen Seiten höchste Anerkennung und<br />
wärmstes Lob gespendet wurde und wird.“ 113<br />
Am 10. März 1932 feierte die Kongregation ihr 100-jähriges Bestehen<br />
mit Freunden und Gönnern in ihrem festlich geschmückten Mutterhaus.<br />
Auch aus den auswärtigen Filialen kamen viele <strong>Barmherzige</strong> Schwestern<br />
zur Feier ins tief verschneite München. Schneefall in der Nacht hatte die<br />
Stadt mit einem halben Meter Neuschnee bedeckt. Der Erzbischof von<br />
Hl. Schwester Katharina Labouré (1806 – 1876)<br />
Katharina Labouré wurde <strong>als</strong> einfaches<br />
Bauernmädchen am 2. Mai 1806 in<br />
einem kleinen Dorf in Burgund geboren.<br />
Früh schon mutterlos und an<br />
hartes Arbeiten gewöhnt, entschloss<br />
sie sich mit 24 Jahren, bei den <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern in der Rue du Bac in<br />
Paris um Aufnahme zu bitten. Als Novizin<br />
hatte sie im Juli 1830 in der dortigen<br />
Kapelle eine Marienerscheinung. Bei<br />
einer weiteren Erscheinung Marias im<br />
November des gleichen Jahres erhielt<br />
Katharina den Auftrag, eine Muttergottesmedaille<br />
prägen und verbreiten<br />
zu lassen. Auf ihr inständiges Bitten<br />
hin führte ihr Beichtvater, dem sie sich<br />
anvertraute, den Auftrag schließlich aus.<br />
Die kleine Medaille fand eine unwahrscheinlich<br />
schnelle Verbreitung nicht<br />
nur in Frankreich, sondern weltweit. Da<br />
Blütezeit des Ordens zu Beginn des 20. Jahrhunderts<br />
immer wieder von Wundern im Zusammenhang<br />
mit der Medaille berichtet<br />
wurde, nannte sie das Volk bald „wundertätige<br />
Medaille“. Zu Katharinas<br />
Lebzeiten wusste die Öffentlichkeit<br />
nicht, wem die Muttergottes erschienen<br />
war und auf wen die Verbreitung<br />
der Medaille zurückging. Katharina<br />
führte über 40 Jahre das Leben einer<br />
einfachen und bescheidenen <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwester. Die meiste Zeit davon<br />
arbeitete sie in einem Altenheim im<br />
Norden von Paris. Erst nach ihrem Tod<br />
am 31.12.1876 erfuhr die Öffentlichkeit<br />
von ihr. Schwester Katharina Labouré<br />
wurde 1933 selig und 1947 heilig gesprochen.<br />
Sie gilt neben dem hl. Vinzenz und<br />
der hl. Luise <strong>als</strong> bedeutendste Heilige<br />
der vinzentinischen Gemeinschaften.<br />
Seligsprechung<br />
von<br />
Katharina<br />
Labouré im<br />
Petersdom<br />
179
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
Links:<br />
Hl. Katharina<br />
Labouré<br />
(Gemälde im<br />
Mutterhaus)<br />
Rechts:<br />
Hl. Luise<br />
von Marillac<br />
(Ölgemälde<br />
im<br />
Mutterhaus)<br />
180<br />
München und Freising, Michael Kardinal Faulhaber, leitete das feierliche<br />
Hochamt. Die Festpredigt am Nachmittag hielt Monsignore Konrad von<br />
Preysing, ein großer Freund des Ordens. Gegen Mittag war Oberbürgermeister<br />
Scharnagl in Begleitung zweier Stadträte ins Haus gekommen, um<br />
die Glückwünsche der Stadt zu überbringen. Als Dank und Anerkennung<br />
für die von den <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern seit 100 Jahren in den städtischen<br />
Einrichtungen geleisteten Dienste übereignete die Stadt München der Kongregation<br />
ein drei Tagwerk großes Stück Land in Berg am Laim. Von einem<br />
vorher geplanten Geldgeschenk hatte die Stadt Abstand genommen, weil<br />
die Ordensleitung signalisiert hatte, sie könne und wolle dieses wegen der<br />
allgemein schlechten wirtschaftlichen Lage und der angespannten finanziellen<br />
Lage der Stadt nicht annehmen.<br />
Hl. Luise von Marillac (1591 – 1660)<br />
Luise von Marillac wurde am 12. August<br />
1591 <strong>als</strong> uneheliche Tochter eines französischen<br />
Adeligen geboren, der <strong>als</strong> hoher<br />
königlicher Beamter eine einflussreiche<br />
Stellung am Pariser Hof innehatte. Es<br />
ist anzunehmen, dass die Mutter Luises<br />
von bürgerlicher Herkunft war und eine<br />
Heirat deshalb aus gesellschaftlichen<br />
Gründen nicht in Frage kam. Der Vater<br />
erkannte Luise dennoch <strong>als</strong> Tochter an<br />
und nahm sie zu sich, was jedoch für das<br />
Mädchen bedeutete, ohne Mutter aufzuwachsen.<br />
Während ihr Vater sie sehr<br />
liebte, scheint sie der Rest der adeligen<br />
Familie nie richtig akzeptiert zu haben.<br />
Umso größer war ihr Verlust, <strong>als</strong> sie den<br />
Vater schon <strong>als</strong> 13-Jährige verlor. Doch er<br />
hatte dafür gesorgt, dass seine Tochter<br />
eine standesgemäße Ausbildung erhielt.<br />
Zunächst wurde Luise von ihrer Tante im<br />
Kloster Poissy erzogen, später in einem<br />
Pariser Mädchenpensionat in der Haushaltsführung<br />
unterrichtet. Früh schon<br />
hatte sie den Wunsch, in einen Orden<br />
einzutreten, wurde aber wegen ihrer<br />
schwachen Gesundheit nicht aufgenom-
Die Romreisenden (von links):<br />
die Schwestern M. Clementia<br />
Schätz, M. Gradulpha Lehnert,<br />
M. Berthilia Hidringer, M.<br />
Pascalina Lehnert, Superior<br />
Pfaffenbüchler und Domkapitular<br />
Martin Grassl<br />
Besondere Freude bereitete den Schwestern das Glückwunschschreiben<br />
des Heiligen Vaters Pius XI. und die Geschenke ihres besonderen Gönners<br />
in Rom, Kardinal Pacelli. Er schickte ihnen zu ihrem <strong>Jubiläum</strong> zwei große<br />
Kerzen und ein Foto mit seinem Porträt und eigenhändiger Widmung.<br />
In den beiden dem <strong>Jubiläum</strong>sjahr folgenden Jahren sollte Rom den<br />
Münchner <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern, zusammen mit allen vinzentinischen<br />
Gemeinschaften, eine noch weit größere Freude machen: im Mai 1933<br />
wurde mit Schwester Katharina Labouré eine <strong>Barmherzige</strong> Schwester selig<br />
gesprochen und im März 1934 folgte die Heiligsprechung der Mitbegründerin<br />
der Vinzentinerinnen, Luise von Marillac. Zur Seligsprechung Katharinas<br />
durften den Superior drei <strong>Barmherzige</strong> Schwestern nach Rom begleiten:<br />
Schwester M. Berthilia Hidringer, Schwester M. Clementia Schätz<br />
und Schwester M. Gradulpha Lehnert. Besonders freudig wurden sie dort<br />
von der Haushälterin Pacellis, Schwester M. Pascalina Lehnert, der leiblichen<br />
Schwester von Schwester M. Gradulpha, empfangen. Zum Abschied<br />
men. Die Familie bestand schließlich auf<br />
der Heirat mit Antoine Le Gras, der <strong>als</strong><br />
Geheimsekretär der Königin Maria de<br />
Medici großen politischen Einfluss hatte.<br />
Doch in dieser Ehe, aus der ein Sohn hervorging,<br />
um den sie sich ihr Leben lang<br />
große Sorgen machte, scheint sie keine<br />
Erfüllung gefunden zu haben. Getrieben<br />
von der Sehnsucht, ihr Leben in den Dienst<br />
Gottes zu stellen, kämpfte sie immer<br />
wieder gegen ihre innere Unruhe und<br />
Unzufriedenheit an. In dieser Situation<br />
fand sie in Vinzenz von Paul einen geistlichen<br />
Begleiter, der ihr den gesuchten<br />
seelischen Halt gab. Schon zu Lebzeiten<br />
Blütezeit des Ordens zu Beginn des 20. Jahrhunderts<br />
ihres Mannes hatte Luise begonnen, karitativ<br />
zu wirken. Als ihr Mann nach zwölfjähriger<br />
Ehe verstarb, stellte sie ihr Leben<br />
ganz in den Dienst der Nächstenliebe.<br />
Ihr Seelsorger Vinzenz von Paul verstand<br />
es in den kommenden Jahren hervorragend,<br />
die Energie und Begeisterung<br />
Luises zu bündeln, indem er sie in sein<br />
im Aufbau befindliches Hilfswerk der<br />
christlichen Caritas mit einband. Zusammen<br />
mit Luise verwirklichte Vinzenz die<br />
Idee, Mädchen vom Land, die sich um<br />
die Armen, Kranken und anderen Notleidenden<br />
der französischen Hauptstadt<br />
annehmen sollten, in kleinen Gemein- >>><br />
181
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
182<br />
überreichte Kardinal Pacelli den Schwestern ein Reliquiar der seligen<br />
Katharina.<br />
Zur Heiligsprechung von Luise von Marillac reisten nur Prälat Pfaffenbüchler<br />
und Kardinal von Faulhaber, aber im Juni feierte das Mutterhaus<br />
ein dreitägiges Fest, ein Triduum, zu Ehren der hl. Luise. Bei diesem Anlass<br />
wurden die ersten Ewigen Gelübde abgelegt.<br />
Die berechtigte Freude der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern, nun neben dem<br />
hl. Vinzenz von Paul mit der hl. Luise eine weitere Heilige <strong>als</strong> Ordensgründerin<br />
verehren zu können, wurde durch die inzwischen erfolgte Machtübernahme<br />
der Nation<strong>als</strong>ozialisten in Deutschland überschattet. Schon im<br />
<strong>Jubiläum</strong>sjahr 1932 waren Jubel und Dankbarkeit über das in den vergangenen<br />
100 Jahren geschaffene Werk getrübt gewesen angesichts der drohenden<br />
politischen Veränderungen.<br />
Auch Kardinal Pacelli äußerte sich bereits im August gegenüber Superior<br />
Pfaffenbüchler äußerst besorgt über die politische Entwicklung in Deutschland:<br />
„Auch nach hierher dringt die Kunde von den Geschehnissen in Deutschland!<br />
„Der gerade Weg“ wird mir seit einiger Zeit zugesandt. Wir hoffen und beten,<br />
dass der liebe Gott Ihr schwergeprüftes Vaterland aus diesem Chaos heraus und einer<br />
glücklicheren Zeit entgegenführen möge.“ 114 Doch leider sollte erst noch eine<br />
sehr schwere Zeit anbrechen, <strong>als</strong> es der NSDAP 1933 gelang, die Macht zu<br />
übernehmen und alle anderen politischen Kräfte auszuschalten.<br />
schaften in Pariser Mietswohnungen<br />
unterzubringen. Vinzenz übertrug Luise<br />
die Leitung und Koordination dieser Helferinnen,<br />
die sich „Filles de la Charite –<br />
Töchter der christlichen Liebe“ nannten.<br />
Die päpstliche Approbation dieser neuen<br />
Kongregation im Jahr 1668 erlebten<br />
weder Vinzenz noch Luise, die beide 1660<br />
starben. Wie sehr diese neue Art von<br />
„Orden“ einem Bedürfnis der Zeit entsprach,<br />
zeigt die schnelle Ausbreitung. So<br />
entstanden aus den „Töchtern der Liebe“<br />
bzw. nach ihrem Vorbild zahlreiche vinzentinische<br />
Gemeinschaften, die sich von<br />
Frankreich ausgehend zunächst europaweit,<br />
dann auch weltweit um Notlei-<br />
*<br />
dende aller Art annahmen und bis heute<br />
annehmen. (Siehe Beitrag zu Vinzenz von<br />
Paul, Kap.1)<br />
Das Leitmotiv, das sich Luise für ihr Leben<br />
gewählt hatte, das Pauluswort, „die<br />
Liebe Christi, des Gekreuzigten, drängt<br />
uns“, ist <strong>als</strong> „Caritas Christi urget nos“,<br />
der Wahlspruch ihrer geistlichen Töchter<br />
geblieben.<br />
Die von allen diesen vinzentinischen Frauenkongregationen<br />
<strong>als</strong> Ordensgründerin<br />
verehrte Luise von Marillac wurde 1920<br />
zunächst selig und 1934 heilig gesprochen.<br />
Papst Johannes XXIII. ernannte sie<br />
zur Patronin aller im sozial-karitativen<br />
Bereich Tätigen.
Kapitel 11<br />
Die <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern unter dem<br />
Nation<strong>als</strong>ozialismus<br />
11.1. Verdrängung aus der Kinder- und Jugendarbeit<br />
Nach ihrer Machtergreifung schienen die Nation<strong>als</strong>ozialisten die katholische<br />
Kirche im Gegensatz zu ihren anderen Gegnern zunächst noch zu schonen.<br />
Mit Ausnahme von sehr exponierten Katholiken wie beispielsweise dem<br />
Publizisten Fritz Gerlich, der mit seinem „Geraden Weg“ vehement vor der<br />
drohenden Gefahr durch die NSDAP gewarnt hatte, wurden Katholiken<br />
vorerst nicht behelligt.<br />
Schon im Juli 1933 schloss die neue Reichsregierung das Konkordat mit<br />
dem Vatikan, das unter den Regierungen der Weimarer Republik trotz langer<br />
Verhandlungen mit dem päpstlichen Nuntius nicht zustande gekommen<br />
war. Ziel der Nation<strong>als</strong>ozialisten war, die einflussreiche katholische Kirche,<br />
die sich schon in den letzten Jahren der Weimarer Republik <strong>als</strong> Gegner der<br />
Nation<strong>als</strong>ozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) profiliert hatte,<br />
erst einmal ruhig zu stellen. Erst wollten sie sich auf die Ausschaltung ihrer<br />
anderen politischen Feinde wie der Kommunisten und Sozialdemokraten<br />
konzentrieren. Mit dem Vertragsabschluss mit dem Vatikan erhielt die neue<br />
Regierung zudem eine nicht unbeachtliche außenpolitische Anerkennung.<br />
Der Vatikan wiederum erhoffte sich durch das Konkordat, die katholische<br />
Kirche zu schützen und sie vor der Gleichschaltung zu bewahren.<br />
Doch trotz des Konkordats trauten viele deutsche Katholiken den neuen<br />
Machthabern nicht. So sorgten sich auch die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern um<br />
ihre Zukunft, obwohl den Orden im Konkordat freie Entfaltung zugesichert<br />
worden war. Ein Chronikeintrag von 1933 zeigt dies deutlich: „Die Regierung<br />
der nationalen Revolution tat sich immer mehr hervor. Unbeugsam nahmen<br />
sie unter dem Schein der Freundlichkeit allen die Macht aus der Hand… Jeden Tag<br />
183
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
184<br />
wurde die Sorge größer, jeden Tag auch die Vorsicht und Zurückhaltung, zu der die<br />
Schwestern nicht genug ermahnt werden konnten.“ 115<br />
Die Ordensoberen gaben den Schwestern strikte Anweisung, sich zu<br />
politischen Dingen nicht zu äußern, selbst untereinander sollten sie vorsichtig<br />
sein. Schriftlich sollte politisch Brisantes möglichst gar nicht festgehalten<br />
werden, was zur Folge hatte, dass im Archiv zur NS-Zeit nicht viel<br />
an derartigem Material zu finden ist. Anzunehmen ist, dass vieles nur noch<br />
im kleinen Kreis der Ordensoberen besprochen worden ist, ohne es schriftlich<br />
festzuhalten. Schon bald sollte sich zeigen, dass die Nation<strong>als</strong>ozialisten<br />
nicht daran dachten, das Konkordat wirklich einzuhalten. In den kommenden<br />
Jahren zeigten die Nation<strong>als</strong>ozialisten immer offener ihre grundsätzliche<br />
Gegnerschaft zur katholischen Kirche und verstießen gegen zahlreiche<br />
Bestimmungen des Konkordats. Auch Papst Pius XI. (1857 – 1939), der 1937<br />
mit der Enzyklika „Mit brennender Sorge“ gegen die Konkordatsbrüche<br />
protestierte, konnte die katholische Kirche in Deutschland nicht vor der<br />
Willkür der nation<strong>als</strong>ozialistischen Machthaber schützen.<br />
Eine geheime Anweisung des Reichssicherheitsdienstes vom 15. Februar<br />
1938 macht mehr <strong>als</strong> deutlich, was die Nation<strong>als</strong>ozialisten mit den katholischen<br />
Orden vorhatten: „Die Orden sind der militante Arm der katholischen<br />
Kirche. Sie müssen daher von ihren Einflussgebieten zurückgedrängt, eingeengt und<br />
schließlich vernichtet werden.“ 116<br />
Eines der ersten Angriffsziele der Nation<strong>als</strong>ozialisten waren die in der<br />
Erziehung tätigen Orden. Der NSDAP war sehr viel daran gelegen, den<br />
Erziehungsbereich ganz in die eigene Hand zu bekommen, um die Kinder<br />
in ihrem Sinne erziehen zu können. Einem Schreiben des Bayerischen<br />
Jugend so oder so?<br />
Sportliche junge Mädchen<br />
werden betenden<br />
<strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
gegenübergestellt<br />
(Ausschnitt aus der Zeitschrift<br />
„Der SA-Mann“<br />
vom 8. Mai 1937).
Die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern unter dem Nation<strong>als</strong>ozialismus<br />
Kultusministeriums ist zu entnehmen,<br />
was die Regierung von der Erziehung<br />
durch Ordensangehörige hielt: „Bei<br />
der Eigenart des klösterlichen Erziehungsbetriebes<br />
ist eine Nation<strong>als</strong>ozialistische<br />
Gemeinschaftserziehung in klösterlichen<br />
Schülerheimen nicht durchführbar.“ 117<br />
Noch weit deutlicher wird in der<br />
Zeitschrift „Der SA-Mann“ vom<br />
8. Mai 1937 gegen die klösterliche<br />
Erziehung polemisiert: „… muß man<br />
untersuchen, wie weit die Produkte einer<br />
solchen welt- und lebensfremden, ja<br />
direkt naturwidrigen Erziehung für die<br />
Volksgemeinschaft überhaupt noch tragbar<br />
sind. Das auf einen engen Lebensraum<br />
zusammengedrängte deutsche Volk kann<br />
es sich einfach nicht mehr leisten, einen<br />
Teil seiner Jugend durch eine f<strong>als</strong>che lebensfremde Erziehung für die Erfüllung harter<br />
Gegenwartsaufgaben untüchtig machen zu lassen.“ 118<br />
Der nation<strong>als</strong>ozialistischen Regierung gelang es, die Orden in den Jahren<br />
1936/37 weitgehend aus dem Erziehungsbereich zu verdrängen. Auch die<br />
<strong>Barmherzige</strong>n Schwestern waren von dieser politischen Offensive betroffen:<br />
Zum einen indirekt durch die Schließung der Schülerheime der Salesianer<br />
bzw. Benediktiner in Amberg und Eichstätt, in denen die Schwestern die<br />
Hauswirtschaft geführt hatten, <strong>zum</strong> anderen in ihren eigenen Einrichtungen<br />
der Kinder- und Jugendpflege. In Strullendorf, einem dem städtischen Krankenhaus<br />
Bamberg angegliederten Walderholungsheim für schwächliche,<br />
unternährte und rachitische Kinder und Kinder mit geschlossener Tuberkulose,<br />
waren die Münchner <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern seit der Eröffnung des<br />
Heims im Jahr 1920 für Hauswirtschaft und Betreuung der Kinder zuständig<br />
gewesen. Das Singen eines Adventslieds „Komm doch Emmanuel! Komm<br />
und erlös dein Israel!“ sorgte bei den eingeladenen Vertretern der Stadt und<br />
Partei für einen Eklat. Folge war, dass zur Unterstützung der <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwester, die <strong>als</strong> Kindergärtnerin arbeitete, eine NS-Kindergärtnerin eingestellt<br />
wurde. Obwohl das Mutterhaus daraufhin noch eine weitere eigene<br />
Kindergartenschwester nach Strullendorf schickte, erklärte der Bamberger<br />
Oberbürgermeister im Mai 1935, die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern hätten<br />
sich ganz aus der Erziehungsarbeit zurückzuziehen und seien nur noch für<br />
die Hauswirtschaft zuständig. Diese wurde ihnen schließlich im März 1937<br />
ebenfalls gekündigt. Zusammen mit einer <strong>Barmherzige</strong>n Schwester, die in<br />
Eine <strong>Barmherzige</strong>Schwester<br />
beim<br />
Spielen mit<br />
einem Kind,<br />
Indersdorf<br />
1950er Jahre<br />
185
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
186<br />
der ambulanten Pflege gearbeitet hatte, wurden die Schwestern aus Strullendorf<br />
abgezogen.<br />
Auch das Bezirkskinderheim Bogen, das die Schwestern 1915 <strong>als</strong> ärmliche<br />
Kleinkinderbewahranstalt übernommen und zu einem angesehenen<br />
Kinderheim entwickelt hatten, wurde ihnen 1937 überraschend gekündigt.<br />
Nach einer Protestaktion der Bevölkerung wurde die Kündigung vorübergehend<br />
wieder aufgehoben, wenig später aber erneut ausgesprochen. Da<br />
ihnen zunächst signalisiert worden war, auch die zweite Kündigung sei nicht<br />
ernst zu nehmen, waren die Schwestern umso härter betroffen, <strong>als</strong> ihnen am<br />
1. März 1938 schriftlich mitgeteilt wurde, sie hätten das Haus umgehend<br />
zu verlassen. Nachdem sie noch einen kleinen Aufschub erreichen konnten,<br />
verließen sie am 10. März endgültig das Kinderheim in Bogen, das daraufhin<br />
wie schon Strullendorf von der NSV, der Nation<strong>als</strong>ozialistischen Volkswohlfahrt,<br />
übernommen wurde.<br />
Auch die Marienanstalt im Kloster Indersdorf blieb nicht unbehelligt.<br />
Schon seit 1933 machte den Schwestern dort einer der weltlichen Lehrer zu<br />
schaffen, der offen nation<strong>als</strong>ozialistisches Gedankengut vertrat, ja sogar eine<br />
Hitlerjugend innerhalb der Klostermauern organisierte. Die Schwestern<br />
mussten hilflos mit ansehen, wie er nach eigenem Gutdünken schaltete und<br />
waltete. Spätestens seit 1936 war eine zunehmend feindselige Haltung der<br />
staatlichen Behörden gegenüber den Schwestern in Indersdorf festzustellen.<br />
Bei einer Visitation der Schulbehörde am 26.11.1936 hatte der Schulrat<br />
einiges zu beanstanden. 119 In der Bücherei sei kein nation<strong>als</strong>ozialistisches<br />
Schriftgut zu finden, die Bildnisse des Führers seien zwar vorhanden, aber<br />
gegenüber dem sonstigen Wandschmuck zu sehr im Hintergrund, statt mit<br />
dem Hitlergruß sei er von den Schwestern und den Kindern mit „Gelobt<br />
sei Jesus Christus“ oder „Grüß Gott“ begrüßt worden. Den Deutschen<br />
Gruß hätte bis auf eine Gruppe von Knaben keiner verwendet. Diesen<br />
negativen Visitationsbericht nahm das Bayerische Finanzministerium <strong>zum</strong><br />
Anlass, den Schwestern völlig widerrechtlich den langfristig geschlossenen<br />
Vertrag am 30.12.1937 zu kündigen. So mussten die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
am 15. Juli 1938 die Anstalt schweren Herzens verlassen. Die Marienanstalt<br />
wurde daraufhin eine N.S.-Kinderheimstätte.<br />
Im Jahr 1943 wurde den Schwestern von der Stadt München die Kündigung<br />
für die Kinderkrippen St. Josef und St. Peter ausgesprochen. Nur die<br />
St. Annakrippe wurde ihnen noch belassen.<br />
Warum die Nation<strong>als</strong>ozialisten nicht auch versuchten, das Kinderheim<br />
in Landshut an sich zu bringen, ist nicht ganz zu klären. Wahrscheinlich<br />
wäre es in diesem Fall nicht ganz so einfach gewesen, da es dem Marienverein<br />
gehörte und nicht wie Indersdorf dem Staat bzw. wie Strullendorf der<br />
Stadt Bamberg. Auf staatliche und städtische Behörden war sicher leichter
Die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern unter dem Nation<strong>als</strong>ozialismus<br />
Einfluss zu nehmen <strong>als</strong> auf diesen Verein. Und hier hatten die Schwestern<br />
auch keine eigene allgemeinbildende Schule, so dass der Staat immer noch<br />
die Möglichkeit hatte, über die Schulen die Kinder ideologisch in seinem<br />
Sinne zu formen.<br />
11.2. Die Braunen Schwestern – eine Bedrohung für<br />
<strong>Barmherzige</strong> Schwestern?<br />
Traditionell hatten die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern in den von ihnen übernommenen<br />
Einrichtungen die so genannte Kostregie. Das heißt, sie waren<br />
eigenverantwortlich für Einkauf und Vorratshaltung zuständig. In München<br />
begannen die städtischen Behörden schon bald nach der Machtergreifung,<br />
den Schwestern durch schikanöse Kontrollen ihrer Wirtschaftsführung das<br />
Leben schwer zu machen. Diese Entwicklung gipfelte darin, dass den <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern ab 1. Oktober 1936 die Kostregie in allen städtischen<br />
Altenheimen und Spitälern entzogen wurde. Mit einem neuen Vertrag zwischen<br />
der Stadt und dem Orden 120 , der <strong>zum</strong> 1. April 1937 in Kraft trat und<br />
alle alten Verträge außer Kraft setzte, wurde die eigenständige Kostregie der<br />
Schwestern auch in den städtischen Krankenhäusern und einigen Münchner<br />
Privatkliniken eingeschränkt.<br />
Während die Nation<strong>als</strong>ozialisten keinerlei Interesse daran hatten, den<br />
Ordensschwestern die Pflege in den vielen Altenheimen und Spitälern streitig<br />
zu machen, verfolgten sie ab 1935 mit Vehemenz das Ziel, die katholischen<br />
Orden und die Diakonissen aus den Krankenhäusern zu verdrängen.<br />
Doch um dieses Ziel zu erreichen, mussten sie erst für einen geeigneten<br />
Ersatz sorgen. Dafür sollten eigene nation<strong>als</strong>ozialistische Krankenschwestern<br />
ausgebildet werden. Deshalb starteten sie ab 1935 eine große Werbekampagne,<br />
um junge Frauen für die Ausbildung zu gewinnen. Ganz gezielt dienten<br />
in dieser Propaganda die Krankenschwestern der beiden christlichen Kirchen<br />
<strong>als</strong> negatives Gegenmodell für den neuen Typus von Krankenschwester.<br />
Die Werbung für die so genannten Braunen Schwestern ging deshalb oft<br />
einher mit einer Diffamierung der katholischen Ordensschwestern und der<br />
Diakonissen: „An Stelle der weltabgewandten Diakonisse und Ordensschwester<br />
tritt die lebensbejahende neue Deutsche Schwester, wie wir sie in der NS-Schwesternschaft,<br />
im Deutschen Roten Kreuz und im Reichsbund der freien Schwestern<br />
und Pflegerinnen sehen. Für sie ist der Schwesternberuf nicht Flucht aus dem Leben,<br />
sondern Lebensbejahung, Arbeit für das Leben unseres Volkes.“ 121<br />
Die Werbekampagne hatte in Südbayern weit weniger Erfolg <strong>als</strong> in Nordbayern.<br />
Hier wurde auch die erste bayerische NS-Schwesternschule am<br />
19.01.1936 in Bamberg eröffnet. Die erste Übernahme eines bayerischen<br />
187
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
188<br />
Krankenhaus<br />
Schwabing<br />
(ca. 1960)<br />
Stadtkrankenhauses durch die NSV erfolgte ebenfalls im bekanntermaßen<br />
sehr „braunen“ Franken, nämlich in Ansbach.<br />
Trotz der Einrichtung der NS-Schwesternschule am Krankenhaus in<br />
Bamberg blieben die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern weiterhin dort tätig. Der<br />
Chefarzt des Krankenhauses hatte nach der langen Zusammenarbeit mit<br />
den Ordensschwestern an deren Weiterbeschäftigung festgehalten. Nach<br />
Berichten älterer Schwestern gestaltete sich das Nebeneinander der Ordensschwestern<br />
und der jungen Braunen Schwestern nicht nur in Bamberg,<br />
sondern auch an anderen Krankenhäusern meist nicht problematisch. Die<br />
unerfahrenen Braunen Schwestern suchten häufig den Rat der erfahrenen<br />
<strong>Barmherzige</strong>n Schwestern.<br />
Für die Ordensschwestern waren weniger die einzelne Braune Schwester<br />
und die Zusammenarbeit mit ihr in der Praxis das Problem <strong>als</strong> vielmehr die<br />
politische Zielsetzung, die hinter der gezielten Förderung der NS-Schwesternschaft<br />
stand. Das Ziel war nun einmal, die Ordensschwestern ganz aus<br />
den Krankenhäusern zu drängen und durch die Braunen Schwestern zu<br />
ersetzen. Gerade in München, wo alle städtischen Krankenhäuser in der<br />
Hand der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern waren, arbeitete die NSV hinter den<br />
Kulissen schon lange daran, für die Braunen Schwestern Terrain zu gewinnen.<br />
Immer wieder stellte die Gauleitung der NSDAP Anträge bei der<br />
Münchner Stadtverwaltung, so viele städtische Krankenhäuser wie möglich<br />
mit Braunen Schwestern zu besetzen. 122 Die Nation<strong>als</strong>ozialisten erreichten<br />
schließlich, dass Braune Schwestern im Krankenhaus rechts der Isar und im<br />
Schwabinger Krankenhaus ausgebildet wurden. Die Direktion des Krankenhauses<br />
Schwabing hatte zunächst generell den Antrag, dort auch Braune
Die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern unter dem Nation<strong>als</strong>ozialismus<br />
Schwestern einzusetzen, mit dem Hinweis abgelehnt, diese seien überflüssig,<br />
schließlich aber eine Einsatzmöglichkeit in der Kinderabteilung angeboten.<br />
Gerade daran war die NSV besonders interessiert, da sie damit eine Möglichkeit<br />
für die Ausbildung von Kinderkrankenschwestern bekam. Doch die<br />
Gauleitung gab sich damit noch nicht zufrieden. Sie wollte weit mehr und<br />
machte Druck mit dem Hinweis auf das Gesetz zur Ordnung der Krankenpflege<br />
vom 28.09.1938, dessen Ziel vor allem sei, „die Krankenhäuser<br />
so weit wie möglich mit Schwestern zu besetzen, die neben einer sorgfältigen und<br />
gründlichen Ausbildung auch weltanschaulich die Voraussetzungen, die der Nation<strong>als</strong>ozialismus<br />
an sie stellt, erfüllen“. 123 Immer wieder wurde angemahnt, dass<br />
dies doch gerade in der „Hauptstadt der Bewegung“ möglich sein sollte.<br />
Das Krankenhaus rechts der Isar sollte nach den Vorstellungen der NSDAP<br />
vollständig übernommen werden und <strong>als</strong> Gaumutterhaus dienen. Der<br />
Gauleiter hatte bereits einen vorgefertigten Vertrag zur Übernahme <strong>zum</strong><br />
1. April 1940 vorbereitet und dem Oberbürgermeister <strong>zum</strong> Unterschreiben<br />
vorgelegt. So unter Druck geraten forderte die Stadtverwaltung eine<br />
Stellungnahme der Verwaltung des Krankenhauses rechts der Isar an. Diese<br />
stellte in einem detaillierten Plan die Kosten, die die Stadt bisher für die<br />
<strong>Barmherzige</strong>n Schwestern aufbringen musste, den Kosten, die für die neuen<br />
weltlichen Schwestern veranschlagt wurden, gegenüber. Dabei kam sie zu<br />
dem Ergebnis, dass mit der Einführung der neuen Schwestern erheblich<br />
höhere Kosten verbunden wären. Da die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern nicht<br />
nur die Pflege innehätten, sondern auch die Hauswirtschaft und Verwaltung,<br />
müssten auch dafür neue Kräfte eingestellt werden. Die Schwestern,<br />
denen „eine denkbar sparsame Wirtschaft im Interesse des Hauses“ 124 attestiert<br />
wurde, kämen im Durchschnitt auf eine Arbeitszeit von 122 Stunden in der<br />
Woche. Für die neuen Schwestern könnte man nur die 60-Stundenwoche<br />
ansetzen. Bei Urlaub und Krankheit würde der Orden ohne Mehrkosten<br />
einen Ersatz stellen. Für die Ordensschwestern müssten zudem keine Sozialabgaben<br />
bezahlt werden. Hinzu käme, dass man für das weltliche Personal<br />
neue Personalwohnungen zur Verfügung stellen müsste, da ihm eine Unterbringung<br />
wie den <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern in einem Gemeinschaftszimmer<br />
von 8-10 Personen nicht zu<strong>zum</strong>uten wäre. Alles in allem kämen die<br />
jährlichen Personalkosten auf 457.000 RM, statt der bisherigen Kosten von<br />
knapp über 74.000 RM. Angesichts dieser Zahlen gab sich nicht nur die<br />
Stadtverwaltung, sondern auch der Sachbearbeiter der NSV geschlagen.<br />
Allerdings unternahm der Gauleiter ein Jahr später einen erneuten Vorstoß.<br />
In der Antwort des Oberbürgermeisters wird in Aussicht gestellt, dass die<br />
Braunen Schwestern in Zukunft einzelne Abteilungen in den städtischen<br />
Krankenhäusern übernehmen könnten. Konkrete Verhandlungen darüber<br />
wollte die Stadt jedoch erst nach Kriegsende führen.<br />
189
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
190<br />
Das Mutterhaus<br />
um das<br />
Jahr 1930<br />
Der Versuch der Nation<strong>als</strong>ozialisten, die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern aus<br />
den Münchner Krankenhäusern zu verdrängen, war <strong>als</strong>o <strong>zum</strong> einen daran<br />
gescheitert, dass die Krankenhausdirektoren kein Interesse daran hatten, ihr<br />
qualifiziertes Personal gegen die neuen Braunen Schwestern einzutauschen.<br />
Zum anderen wollte auch die Stadtverwaltung nicht riskieren, aus rein ideologischen<br />
Gründen die Stadtkasse mit erheblichen Mehrkosten zu belasten<br />
und eine funktionierende Gesundheitsversorgung zu gefährden. Nach<br />
Kriegsbeginn mit der zusätzlichen Belastung durch die Heimatlazarette war<br />
daran schon gar nicht mehr zu denken. Denn so sehr die Nation<strong>als</strong>ozialisten<br />
die Werbetrommel für die Braunen Schwestern rührten, schafften sie es<br />
doch nicht, genügend Schwestern zu rekrutieren, um die Ordensschwestern<br />
auch nur rein zahlenmäßig ersetzen zu können.<br />
An dieser Tatsache, dass es der NSV nicht gelang, den Bedarf an Pflegekräften<br />
mit ihren Braunen Schwestern zu decken, scheiterte auch der<br />
Versuch der Nation<strong>als</strong>ozialisten, die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern aus ihrem<br />
Mutterhaus zu verteiben. 125 Ab 1936 gab es wieder sehr konkrete und<br />
großzügige Neubaupläne für das Krankenhaus links der Isar. Obwohl eine<br />
Bebauung denkbar gewesen wäre, der das Mutterhaus nicht hätte weichen<br />
müssen, planten Kultusministerium und Oberbürgermeister, die neue Überbauung<br />
des Geländes <strong>zum</strong> Anlass zu nehmen, das Mutterhaus endgültig zu<br />
beseitigen. Der Oberbürgermeister ließ zu diesem Zweck vom städtischen<br />
Fiskalreferat ein Rechtsgutachten ausarbeiten, das die Eigentumsfrage des<br />
Mutterhauses klären sollte. Das Gutachten vom 2.10.1937 126 kam zu dem<br />
Ergebnis, die Krankenhausstiftung habe dem Orden den Platz nur leihweise<br />
überlassen. Da die Eigentümerin diesen jetzt selbst dringend benötige,<br />
könne man dem Orden das auf dem Platz stehende Mutterhaus jederzeit
Die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern unter dem Nation<strong>als</strong>ozialismus<br />
und ohne Entschädigung wegnehmen. Der Oberbürgermeister war mit diesem<br />
Rechtsgutachten im Rücken bereit, die Räumung des Hauses notfalls<br />
auch auf dem Rechtsweg durchzusetzen. Konkret wurde schon überlegt,<br />
welche Kündigungsfrist man dem Orden kulanterweise einräumen wolle.<br />
Die einzigen Bedenken, die der Oberbürgermeister hatte, entsprangen nicht<br />
der Rücksicht gegenüber den Schwestern, sondern der Angst, der Orden<br />
könnte seinerseits den erst am 2.3.1937 geschlossenen Vertrag mit der Stadt,<br />
die Pflege in den städtischen Krankenhäusern betreffend, kündigen, bevor<br />
die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern durch genügend andere Pflegekräfte ersetzt<br />
werden könnten. Es ging schließlich um nicht weniger <strong>als</strong> den Ersatz von<br />
über 700 Schwestern und 7 Oberinnen. Der Oberbürgermeister hatte<br />
berechtigte Zweifel, ob dies gelingen würde, <strong>zum</strong>al ein vertrauliches Rundschreiben<br />
des Reichs- und Preußischen Innenministeriums vom 30. Juli<br />
1937 gewarnt hatte, dass „der Ersatz der Ordensangehörigen durch andere Pflegepersonen<br />
augenblicklich auf größte Schwierigkeiten“ stoße und deshalb „die<br />
örtlichen Stellen an der Einleitung übereilter und wegen ihrer Auswirkungen unerwünschter<br />
Maßnahmen verhindert werden sollen“. 127<br />
Auf direkte Anfrage bei NSV-Hauptamtsleiter Hilgenfeldt erhielt der<br />
Oberbürgermeister Ende Dezember 1937 Folgendes mitgeteilt: „Aus den<br />
mir unterstellten Schwesternschaften bin ich nicht in der Lage, Ersatz für die bei<br />
Ihnen tätigen Ordensschwestern zu stellen. Ich habe mich jedoch sofort an den<br />
Herrn Reichs- und Preußischen Minister des Innern gewandt, um durch diesen zu<br />
erreichen, dass einer Vertragskündigung durch den Orden vorgebeugt wird. Der Herr<br />
Reichs- und Preußische Minister des Innern hat mir mit Schreiben vom 23. ds. Mts.<br />
mitgeteilt, dass eine grundsätzliche Regelung in den Fragen der freien Wohlfahrtspflege<br />
in Kürze zu erwarten sei.“ 128<br />
Da der Orden im Stadtrat noch einige Freunde hatte, erfuhr die Ordensleitung<br />
bereits frühzeitig durch eine vertrauliche Mitteilung von der<br />
geplanten Enteignung. Die Beunruhigung war groß. Offizielle Verhandlungen<br />
mit dem Superior wurden erst Ende 1937 aufgenommen. In der<br />
entscheidenden Frage, wie sich der Orden im Falle einer Räumung des<br />
Mutterhauses verhalten werde, verhielt sich Prälat Pfaffenbüchler äußerst<br />
zurückhaltend und abwartend. Stadt und Kultusministerium ließen schließlich<br />
von dem riskanten Plan ab, der die städtische Gesundheitsversorgung<br />
hätte gefährden können. Sie wandten sich lieber neuen, noch attraktiveren<br />
Plänen zu. Diese sahen vor, in Nymphenburg ein neues Universitätsviertel<br />
mit verschiedenen Universitätskliniken zu errichten, Pläne, die letztlich aber<br />
am Kriegsausbruch scheiterten.<br />
Auch wenn die drohende Enteignung des Mutterhauses noch einmal<br />
abgewendet werden konnte, war deutlich geworden, dass die Stadt München<br />
und das Kultusministerium sofort bereit gewesen wären, die Barmher-<br />
191
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
192<br />
zigen Schwestern aus ihrem Mutterhaus zu vertreiben, wenn die Nation<strong>als</strong>ozialistische<br />
Schwesternschaft einen Ersatz hätte stellen können.<br />
Den <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern war damit klar geworden, dass sie, sobald<br />
es ausreichend Braune Schwestern geben würde, umgehend aus dem Krankendienst<br />
verdrängt würden. Klar war ihnen aber auch geworden, dass ihr<br />
Orden nur so lange einen gewissen Schutz vor der Willkür der NS-Machthaber<br />
haben würde, so lange diese auf ihn angewiesen waren und er die benötigte<br />
hohe Zahl an Pflegekräften bereitstellen konnte. Umso beunruhigter<br />
waren die Ordensoberen über den deutlich spürbaren Rückgang der eigenen<br />
Kandidatinnenzahlen seit der Machtergreifung der Nation<strong>als</strong>ozialisten.<br />
11.3. Beschränkung des Ordensnachwuchses<br />
Es war kein Wunder, dass in dem von den Nation<strong>als</strong>ozialisten geschaffenen<br />
Klima der Verachtung alles Kirchlichen und insbesondere alles Klösterlichen<br />
die Kandidatinnenzahl rückläufig war. Das Bild der Braunen Schwester<br />
dagegen war in der öffentlichen Darstellung äußerst positiv besetzt. Auch<br />
der Krankendienst wurde in den NS-Werbekampagnen <strong>als</strong> weit weniger<br />
beschwerlich und gefährlich dargestellt, <strong>als</strong> ihn die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
ihren Anwärterinnen ehrlicherweise beschrieben. Manche an der<br />
Krankenpflege interessierte Bewerberin mag nun leichter den Weg in die<br />
Nation<strong>als</strong>ozialistische Schwesternschaft gefunden haben. 1936 schrieb die<br />
Mutterhauschronistin dazu: „Mit wachsender Sorge sah man den Nachwuchs<br />
sich verringern. Diese Zeit ist nicht angetan, Ordensberufe hervorzubringen.“ 129<br />
In diesem Jahr traten außerdem 7 Professschwestern und 5 Novizinnen aus.<br />
Über den Austritt einer der Schwestern war man mehr erleichtert <strong>als</strong> traurig,<br />
da sie offen mit dem Nation<strong>als</strong>ozialismus sympathisiert hatte.<br />
Die Nation<strong>als</strong>ozialisten starteten ganz gezielte Abwerbeversuche. So<br />
luden sie junge Schwestern vor, in erster Linie Kinderkrankenschwestern,<br />
um sie anhand eines Fragebogens zu verhören. Mit Fragen wie: „Wünschen<br />
Sie eine bessere Stellung? Haben Sie früher einer Partei angehört? Haben<br />
Sie etwas einzuwenden gegen die jetzige Regierung? Sind Ihre Geschwister<br />
bei BDM oder HJ?“ 130 sollten die Schwestern teils unter Druck gesetzt,<br />
teils gelockt werden, von den <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern zu den Braunen<br />
Schwestern zu wechseln. Diese Versuche wurden wieder eingestellt, nachdem<br />
das Ordinariat die Schwestern darauf hingewiesen hatte, sie müssten<br />
auf diese Fragen nicht antworten.<br />
Der NS-Staat griff schließlich zu wirksameren Mitteln, den Ordensnachwuchs<br />
zu beschränken. Am 29. September 1940 wies der Arbeitsminister<br />
per Erlass alle Landesarbeitsämter an, den Eintritt von arbeitsfähigen Deut-
Die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern unter dem Nation<strong>als</strong>ozialismus<br />
schen in einen Orden zu unterbinden. 131 Die Maßnahme wurde begründet<br />
mit dem hohen Bedarf an Arbeitskräften für kriegsbedingte Aufgaben und<br />
der Tatsache, dass in den kommenden Jahren geburtenschwache Jahrgänge<br />
ins Berufsleben eintreten würden. Die Ortsgruppen der NSDAP wurden<br />
angewiesen, jeden Fall von einem geplanten Ordenseintritt unverzüglich<br />
an das Arbeitsamt zu melden. Dieses sollte auf jeden Fall den Eintritt verhindern,<br />
indem es den potentiellen Ordenskandidaten strikt untersagte, ein<br />
schon bestehendes Arbeitsverhältnis zu lösen. Auch wenn es sich um mithelfende<br />
Familienangehörige handelte, wurde dies <strong>als</strong> nicht zu lösendes<br />
Dienstverhältnis betrachtet. Für den Fall, dass sich der Arbeitgeber selbst mit<br />
der Auflösung des Arbeitsverhältnisses einverstanden erklären sollte, war das<br />
Arbeitsamt angewiesen, sofort ein neues Dienstverhältnis zuzuweisen. Wer<br />
aber keine Arbeitsstelle hätte, wäre sofort <strong>zum</strong> Arbeitsdienst heranzuziehen.<br />
Die Bischöfe hofften vergeblich, der Erlass käme wegen des eklatanten<br />
Mangels an Krankenpflegekräften wenigstens bei den Krankenpflegeorden<br />
nicht zur Anwendung. Resigniert mussten sie schließlich feststellen: „Der<br />
Kampf gegen die Orden scheint notwendiger <strong>als</strong> eine ausreichende und fachgemäße<br />
Pflege unserer Kranken und auch unserer Soldaten.“ 132 Die Bischöfe rieten den<br />
Orden daraufhin, die einzige Lücke zu nützen, die dieser Erlass bot: Sie<br />
sollten mit ihren Kandidaten bzw. Kandidatinnen ein Ausbildungsverhältnis<br />
eingehen. Nur für den Fall, dass ein Ausbildungsverhältnis eingegangen<br />
wurde, konnte nämlich ein bestehender Dienstvertrag gelöst werden. Gerade<br />
für einen karitativ tätigen Orden wie die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern bot<br />
sich hier eine kleine Möglichkeit, den Erlass zu unterlaufen, indem er mit<br />
Kandidatinnen einen Ausbildungsvertrag abschloss. Allerdings traf die Kongregation,<br />
die die meisten ihrer Kandidatinnen traditionell aus ländlichen<br />
Gebieten rekrutierte, der kriegsbedingte Mangel an männlichen Arbeitskräften<br />
auf den Bauernhöfen besonders hart. Viele junge Frauen mussten<br />
zu Hause ihre Väter oder Brüder ersetzen, die <strong>als</strong> Soldaten eingezogen worden<br />
waren. Manche potentielle Ordensbewerberin musste erst das Ende<br />
des Krieges und die Rückkehr der männlichen Arbeitskräfte auf den Hof<br />
abwarten, bevor sie an einen Klostereintritt denken konnte.<br />
11.4. Übergriffe auf das Ordensvermögen<br />
Noch bevor sie Ordenseintritte zu unterbinden versuchten, hatten die<br />
Nation<strong>als</strong>ozialisten schon einige Jahre daran gearbeitet, an das Vermögen<br />
der Orden zu kommen. Durch neue Steuergesetzgebung und schikanöse<br />
Überprüfung der Bücher machten sie kirchlichen Einrichtungen das Leben<br />
schwer.<br />
193
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
Generaloberin<br />
M.<br />
Desideria<br />
Weihmayr<br />
(vorn)<br />
mit den<br />
Schwestern<br />
M. Emma<br />
Mayer, M.<br />
Timothea<br />
Ridinger und<br />
M. Berthilia<br />
Hidringer<br />
(von links)<br />
vor dem<br />
Mutterhaus<br />
vermutlich<br />
1938<br />
194<br />
In den Jahren 1935 – 37 führte der NS-Staat eine gezielte Kampagne<br />
durch, indem er katholischen Geistlichen groß aufgemachte Sittlichkeitsprozesse<br />
und Devisenprozesse anhängte. Beinahe wären die <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern vom Mutterhaus München in einen solchen Devisenprozess<br />
geraten. Sie hatten nämlich gerade in diesen kritischen Jahren ein Projekt<br />
im Ausland gestartet. Der Papst hatte Anfang der 1930er Jahre die Münchner<br />
Ordensoberen angeregt, neue Niederlassungen im Ausland zu gründen. Das<br />
Mutterhaus München beschloss, in Zusammenarbeit mit dem St. Bonifatiuswerk<br />
und dessen Gener<strong>als</strong>ekretär Scherer, dem Autor der <strong>Jubiläum</strong>sschrift<br />
zur Hundertjahrfeier, in Bukarest ein Krankenhaus zu bauen. Dieses Projekt<br />
sollte sich von Anfang an <strong>als</strong> sehr schwierig erweisen. Waren schon die Verhandlungen<br />
mit den rumänischen Behörden nicht einfach, hätten ihnen die<br />
deutschen Behörden beinahe größte Probleme wegen der Devisen gemacht.<br />
Sie mussten sehr vorsichtig vorgehen, um nicht in den Verdacht zu geraten,<br />
gegen das Auslandsdevisengesetz zu verstoßen. Das Erzbischöfliche Ordinariat<br />
nahm sich der Sache an, um Schlimmeres zu verhindern. Der Domkapitular<br />
und spätere Weihbischof Johannes Neuhäusler verhandelte mit den<br />
Behörden und sorgte für einen formal unangreifbaren Ablauf der Finanzierung<br />
des neuen Projekts. 133<br />
Im Februar 1938 wurden die Schwestern erneut sehr beunruhigt, <strong>als</strong> zwei<br />
Männer, die sich <strong>als</strong> Gestapobeamte auswiesen, im Mutterhaus auftauchten,<br />
sich die Kassenschränke aufsperren und die Bücher vorlegen ließen. Da kurz<br />
vorher die Aktion der Nation<strong>als</strong>ozialisten zur Beschlagnahmung von Vereinsvermögen<br />
stattgefunden hatte, befürchteten die Schwestern das Schlimmste.<br />
Nach dem Abzug der beiden Beamten<br />
fehlte Geld. Das vom Mutterhaus<br />
eingeschaltete Ordinariat versuchte in<br />
den kommenden Tagen, bei der Gestapo<br />
mehr über die Hintergründe des<br />
Besuchs in Erfahrung zu bringen. Dort<br />
stellte man sich unwissend, so dass nie<br />
ganz geklärt werden konnte, wer diese<br />
Gestapobeamten geschickt hatte bzw.<br />
ob es sich wirklich um Leute von der<br />
Gestapo handelte. Der Vorfall hatte<br />
keine weiteren Folgen, außer dass das<br />
Ordinariat die Orden der Diözese aufforderte,<br />
sich in einem derartigen Fall<br />
die Ausweisplakette der Gestapobeamten<br />
genau anzusehen und dem Ordinariat<br />
sofort Bescheid zu geben. 134
Die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern unter dem Nation<strong>als</strong>ozialismus<br />
Kaum war die ursprünglich geplante Enteignung des Mutterhauses ad<br />
acta gelegt worden, sah sich der Orden schon wieder mit der Gefahr konfrontiert,<br />
Staat oder NSDAP könnten ordenseigene Häuser für ihre Zwecke<br />
in Anspruch nehmen oder gar enteignen. Seit Kriegsbeginn wurden zahlreiche<br />
kirchliche Einrichtungen, mit Vorliebe auch Klöster, durch nation<strong>als</strong>ozialistische<br />
Organisationen, die Wehrmacht oder staatliche Behörden<br />
konfisziert und zweckentfremdet. Um nur zwei Beispiele zu nennen, die<br />
auch die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern nicht unberührt ließen: Im Jahr 1941<br />
wurden sowohl das Mutterhaus der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern von Untermarchtal<br />
<strong>als</strong> auch das Kloster der Missionsbenediktinerinnen von Tutzing<br />
beschlagnahmt. Als die Tutzinger Schwestern quasi von heute auf morgen<br />
ihr Kloster verlassen mussten, fanden sie liebevolle Aufnahme zunächst im<br />
Mutterhaus in der Nußbaumstraße, bevor sie auf die verschiedenen Niederlassungen<br />
der Kongregation der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern verteilt wurden.<br />
Das Schicksal der Missionsbenediktinerinnen so hautnah mit zu erleben, hat<br />
sicher zur Angst der Schwestern vor demselben Schicksal beigetragen. Und<br />
diese Angst war durchaus berechtigt, gerade angesichts der doch sehr attraktiven<br />
Häuser der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern, die durchaus Begehrlichkeiten<br />
von Staat und Partei wecken konnten.<br />
Sofort bei Kriegsbeginn wurde das Kurhaus von Adelholzen <strong>als</strong> Lazarett<br />
beschlagnahmt. Nach einigen Monaten konnte für kurze Zeit noch einmal<br />
der Kurbetrieb aufleben, um dann endgültig eingestellt zu werden, zugunsten<br />
einer Nutzung, die der Staat gerade <strong>als</strong> notwendig erachtete. Neben<br />
der Verwendung <strong>als</strong> Lazarett diente Adelholzen 1940 für einige Monate <strong>als</strong><br />
Übergangsheim für bessarabische Familien, Rumäniendeutsche, die auf ihre<br />
Umsiedlung in die besetzten polnischen Gebiete warteten. Als der Staat<br />
für die groß angelegte Aktion der Kinderlandverschickung Häuser suchte,<br />
geriet Adelholzen wieder ins Visier. Beinahe wäre es jetzt zu einer vollständigen<br />
Beschlagnahmung des Kurorts gekommen. Die Schwestern waren<br />
bereit, einen Teil der Gebäude für 260 Kinder zur Verfügung zu stellen. Dem<br />
Beauftragten für die Kinderlandverschickung im Gau München-Oberbayern<br />
der NSDAP, Oberstaller, war dies nicht genug. Er forderte die Aufnahme<br />
von 400 Kindern und die Bereitstellung aller Räumlichkeiten. Als<br />
sich die Schwestern dazu wegen ihres eigenen Bedarfs außer Stande sahen<br />
und sich weigerten, teilte ihnen Oberstaller unverzüglich am 31. März 1941<br />
schriftlich die Beschlagnahmung des gesamten Anwesens mit. Sie wurden<br />
aufgefordert, die Niederlassung bis <strong>zum</strong> 10. April zu räumen. 135 Der Brief<br />
versetzte die Schwestern in große Aufregung, die noch gesteigert wurde,<br />
<strong>als</strong> am gleichen Abend ein Herr Leonhardt aus Alzing sich <strong>als</strong> Lagerleiter<br />
für die Kinderlandverschickung ausgab und zusammen mit anderen, den<br />
Schwestern nicht bekannten Personen alles im Haus bis hin <strong>zum</strong> Weinkeller<br />
195
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
196<br />
Seit 1919 haben die <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern eine<br />
Begräbnisstätte auf dem<br />
Waldfriedhof. 1924 wurden<br />
die weit über 500 auf<br />
dem Alten Südfriedhof<br />
beerdigten Schwestern<br />
hierher überführt.<br />
inspizierte. Inwieweit Leonhardt überhaupt offiziell befugt war, ist unklar.<br />
Als er gegenüber der Oberin in unverschämter Weise auftrat und mit der<br />
Beschlagnahmung von Wertgegenständen und Lebensmitteln drohte, verwies<br />
sie ihn, um Zeit zu gewinnen, an das Mutterhaus in München.<br />
Als sich das unverschämte Vorgehen von Oberstaller und Leonhardt<br />
gegenüber den Adelholzener Schwestern herumgesprochen hatte, reagierte<br />
die Bevölkerung der Umgebung empört. Zusammen mit Josef Zett, dem<br />
lang<strong>jährigen</strong> Leiter der Adelholzener Ökonomie, legte der Siegsdorfer Bürgermeister<br />
beim Traunsteiner Landrat Widerspruch gegen die Enteignung<br />
Adelholzens ein. So unter Druck geraten, machte Oberstaller einen Rückzieher.<br />
Als er am 3. April wieder nach Adelholzen kam, war die drei Tage<br />
vorher angekündigte Beschlagnahmung kein Thema mehr und er akzeptierte<br />
den Vorschlag der Schwestern, 250 Kinder aufzunehmen.<br />
Auch der Versuch des Luftgaukommandos, das Postulatsgebäude in<br />
München zu konfiszieren, konnte im Februar 1942 erfolgreich abgewendet<br />
Ein herber Verlust – der Tod der Generaloberin<br />
Gerade in dieser Zeit der drohenden<br />
Beschlagnahmungen und der Angst vor<br />
einem beginnenden Luftkrieg hatte der<br />
Orden einen herben Verlust zu verkraften.<br />
Die seit 1924 amtierende Generaloberin<br />
Schwester M. Desideria Weihmayr,<br />
die sich trotz ihrer 77 Jahre nach<br />
wie vor umsichtig und tatkräftig um<br />
die Belange der Kongregation gekümmert<br />
hatte, starb am 10. Oktober 1941<br />
nach einer verschleppten Erkältung an<br />
Lungenentzündung. So trat die vom<br />
Generalkapitel am 16. November 1941<br />
gewählte Schwester M. Castella Blöckl<br />
ihr Amt <strong>als</strong> Generaloberin an. Sie sollte<br />
sich <strong>als</strong> würdige Nachfolgerin erweisen,<br />
die den Orden sicher durch die gefahrvollen<br />
und beschwerlichen Kriegs- und<br />
Nachkriegsjahre führte.
werden. Superior Pfaffenbüchler machte dringenden Eigenbedarf geltend.<br />
Schließlich sei im Gebäude in der Blumenstraße die staatlich anerkannte<br />
ordenseigene Krankenpflegeschule untergebracht, die für den dringend<br />
benötigten Nachschub an Pflegekräften sorge. 136<br />
Auch das Erholungsheim der Schwestern in Unterhaching war gefährdet.<br />
Doch in diesem Fall setzte sich sogar der Münchner Oberbürgermeister<br />
Fiehler dafür ein, dieses Haus den im anstrengenden Krankendienst stehenden<br />
Schwestern für ihre dringend benötigte Erholung zu belassen, um ihre<br />
Arbeitskraft zu erhalten. 137<br />
Eine andere Konfiszierungsmaßnahme konnte dagegen nicht verhindert<br />
werden. Die nach dem Mutterhaus älteste ordenseigene Niederlassung in<br />
Berg am Laim geriet ins Visier der Nation<strong>als</strong>ozialisten. Der Orden hatte<br />
dort in den 1920er Jahren umfangreiche Renovierungsarbeiten durchführen<br />
und 1936 einen zusätzlichen, stattlichen Neubau errichten lassen. Ihr<br />
neues Haus konnten die Schwestern nicht lange nutzen, da ihnen der Leiter<br />
der Münchner „Arisierungsstelle“ am 25.10.1941 einen Vertrag aufzwang,<br />
nach dem ein großer Teil des Gebäudes für eine so genannte „Heimanlage<br />
für Juden“ zur Verfügung gestellt werden musste.<br />
11.5. Konfrontation der Schwestern mit NS-Verbrechen<br />
Judenlager in Berg am Laim<br />
Die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern unter dem Nation<strong>als</strong>ozialismus<br />
Anlässlich der Reichspogromnacht vom 9. November 1938 notierte die<br />
Mutterhauschronistin: „Eine schlimme Judenverfolgung begann. Es war grausam,<br />
<strong>als</strong> bestimmte Leute nachts durch die Sendlingerstraße fuhren, mit großen Ziegelsteinen<br />
die Schaufenster demolierten und die Läden ausraubten, wie sie unbescholtene<br />
Geschäftsleute festnahmen, die Stoffe herauswarfen und mitnahmen. Dazu musste<br />
man schweigen, wenn man nicht nach Dachau kommen wollte. Wie es in Dachau<br />
aussah? Man konnte es ahnen, weil doch manches durchdrang; aber man kann sich<br />
wohl kaum die Wirklichkeit vorstellen.“ 138<br />
Durch die Errichtung der „Heimanlage für Juden in Berg am Laim“, die<br />
vom 21. Juli 1941 bis <strong>zum</strong> 1. März 1943 bestand und nichts anderes war <strong>als</strong><br />
ein Sammellager für Juden vor ihrer Deportation in die Vernichtungslager,<br />
wurden die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern nun in ihrem eigenen Kloster hautnah<br />
mit dem größten Verbrechen der Nation<strong>als</strong>ozialisten, dem Holocaust<br />
an den Juden, konfrontiert. Den Schwestern war von der Gestapo strikte<br />
Geheimhaltung auferlegt worden. Nicht zuletzt hatten die Nation<strong>als</strong>ozialisten<br />
das Kloster wegen seiner abgeschiedenen Lage ausgesucht. Die Öffentlichkeit<br />
sollte davon nicht allzu viel mitbekommen.<br />
197
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
198<br />
Das Noviziatsgebäude<br />
in Berg am<br />
Laim in<br />
den 1960er<br />
Jahren. Hier<br />
befand sich<br />
von 1941<br />
bis 1943 die<br />
Heimanlage<br />
für Juden.<br />
Sicher, die Situation in Berg am Laim war nicht mit Dachau oder den<br />
zukünftigen Bestimmungsorten der Lagerinsassen vergleichbar. Es war um<br />
einiges humaner <strong>als</strong> das große Münchner Sammellager in Milbertshofen<br />
und noch ein einigermaßen erträglicher „Vorhof“ zur Hölle. Allerdings<br />
waren statt der im Vertrag vereinbarten 170 Personen zeitweise bis zu 320<br />
Menschen in der „Heimanlage“ einquartiert. Durch diese Überbelegung<br />
wurde es auch im ursprünglich sehr geräumigen neuen Schwesternhaus<br />
schnell bedrückend eng. Wie in Milbertshofen verlangte die Gestapo, dass<br />
die Jüdische Gemeinde selbst für die Finanzierung des Heims und die Verwaltung<br />
des Lagers sorgte. Die Leitung übernahmen formal der Bankkaufmann<br />
Curt Metzger und die <strong>als</strong> Wirtschafterin eingesetzte Else Behrend-<br />
Rosenfeld, eine promovierte Historikerin, die in der jüdischen Fürsorge<br />
arbeitete. Doch die eigentliche Kontrolle des Lagers hatte die gefürchtete<br />
Gestapo. Die klösterliche Idylle wurde zudem von der Angst der Heiminsassen<br />
vor ihrer ungewissen Zukunft überschattet. Mancher Bewohner<br />
war so verzweifelt, dass er Selbstmord beging.<br />
Wie verhielten sich die Schwestern in dieser auch für sie bedrückenden<br />
Situation? Else Behrend-Rosenfeld, der kurz vor ihrer eigenen Deportation<br />
die Flucht in die Schweiz gelang, stellte den <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern in<br />
ihrem Buch, in dem sie auch über die Zeit in Berg am Laim berichtete, ein<br />
hervorragendes Zeugnis der Menschlichkeit aus: „Die stets gleich freundlichen<br />
Gesichter der Nonnen, die nie ohne lächelnden Gruß an uns vorübergehen,<br />
und das wohltuende Bewusstsein, von ihnen nicht gehasst oder verachtet, sondern<br />
mit schwesterlicher Zuneigung betrachtet zu werden, bedeutete eine große Entlastung.“<br />
139 Obwohl den Schwestern strikt verboten war, mehr <strong>als</strong> den für<br />
den organisatorischen Ablauf nötigen Umgang mit den Heimbewohnern
zu pflegen, und sie sich einer ständigen Beobachtung ausgesetzt sahen, ließen<br />
sie es sich nicht nehmen, ihren jüdischen Mitbewohnern menschliche<br />
Anteilnahme zu zeigen. Wo es ihnen möglich war, im Verborgenen etwas<br />
für sie zu tun, geschah es. So erlaubten sie ihnen beispielsweise, den Garten<br />
zur Erholung und die Kirche für ihren jüdischen Gottesdienst zu benützen.<br />
Heimlich ließen sie ihnen zusätzliche Lebensmittel zukommen. Ein weiterer<br />
Heiminsasse, der <strong>als</strong> orthodoxer Jude zunächst große Vorbehalte gegen<br />
die Einlieferung in ein katholisches Kloster hatte, war beeindruckt von den<br />
Ordensschwestern: „Ich sah, mit welcher schlichten und selbstverständlichen Hingabe<br />
sie ihre Arbeit machten, ich fühlte ihre Sympathie für uns, ihr Mitfühlen bei<br />
allem, was wir erduldeten, und ihre Hilfsbereitschaft.“ 140<br />
Doch die Schwestern konnten nichts gegen die Schikanen machen,<br />
denen sich die Einquartierten ausgesetzt sahen. Diese mussten nun <strong>als</strong> Juden<br />
in der Öffentlichkeit den Judenstern tragen und durften, trotz ihrer häufig<br />
sehr langen Arbeitswege, keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr benutzen.<br />
Es stand auch nicht in der Macht der Schwestern, die seit November<br />
1941 einsetzenden regelmäßigen Deportationen zu verhindern. Else Behrend-Rosenfeld<br />
schreibt, wie groß die Betroffenheit der Mitbewohner war,<br />
<strong>als</strong> die ersten Juden aus dem Lager in Berg am Laim nach Milbertshofen<br />
gebracht wurden, um von dort aus nach Osteuropa deportiert zu werden.<br />
Auch die Schwestern hätten große Anteilnahme gezeigt und zwei Säcke<br />
mit Kakao und Zucker zur Verfügung gestellt. Bei der ersten Deportation<br />
Münchner Juden am 20. November 1941 wurden 1000 Menschen, davon<br />
etwa 85 aus dem Heim in Berg am Laim, in Züge gepfercht, und Rich-<br />
Seit 1987 erinnert <strong>als</strong> Mahnmal ein<br />
großer Stein, der das erhalten gebliebene<br />
Eingangsportal des in den 1970ern<br />
abgerissenen Gebäudes versperrt, an<br />
die NS-Vergangenheit. Die Inschrift des<br />
Steins ist ein Zitat aus dem Buch von<br />
Else Behrend-Rosenfeld: „Wieviel leichter<br />
ist es, unter denen zu sein, die Unrecht<br />
erleiden, <strong>als</strong> unter denen, die Unrecht<br />
tun.“ Als Mahnung und Erinnerung an das<br />
Sammellager für jüdische Bürger in den<br />
Jahren 1941 – 1943.<br />
Die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern unter dem Nation<strong>als</strong>ozialismus<br />
199
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
200<br />
tung Riga transportiert. Wie man heute weiß, wurde der Zug, da Riga auf<br />
so viele Deportierte nicht vorbereitet war, stattdessen ins litauische Kaunas<br />
umgeleitet. Hier hatten deutsche Spezialeinheiten bereits seit Sommer 1941<br />
Tausende litauischer Juden erschossen. Auch die 1000 Münchner Juden<br />
wurden schon zwei Tage nach ihrer Ankunft von einem deutschen SS-Einsatzkommando<br />
erschossen.<br />
Zwar wussten die Schwestern in Berg am Laim dam<strong>als</strong> nichts Genaueres<br />
über das weitere Schicksal der Deportierten, aber sie befürchteten und<br />
ahnten sicher Schlimmstes. Wie hilflos mögen sie sich gefühlt haben, diesen<br />
Menschen nicht mehr helfen zu können? Doch ihre jüdischen Mitbewohner<br />
wussten um die beschränkten Möglichkeiten der Schwestern. Umso<br />
dankbarer waren sie, dass sie diese wenigen Möglichkeiten zur Hilfe auch<br />
wirklich nutzten. Noch Anfang der 1990er Jahre nahm Helmut Lisberger,<br />
einer der wenigen Überlebenden der Deportationen, wieder Kontakt mit<br />
den <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern auf und drückte seine Dankbarkeit aus „für<br />
die Hilfe und Tröstung, die wir Insassen des Lagers dam<strong>als</strong> durch die Schwestern im<br />
Kloster erhielten“. 141<br />
Zwangsabtreibungen in Hutthurm<br />
Mit einem weiteren NS-Verbrechen konfrontiert, gerieten einige Schwestern<br />
im Krankenhaus Hutthurm in der Nähe von Passau in schwerste<br />
Gewissensnöte. 142 Ein Arzt hatte sich dort für Zwangsabtreibungen bei<br />
Fremdarbeiterinnen zur Verfügung gestellt. Die zunächst praktizierte Verfahrensweise,<br />
schwangere Fremdarbeiterinnen wieder in ihre Heimat<br />
Maria-Theresia-Klinik – ein Hort der Humanität<br />
Auch bei der Unterstützung von Prof. Dr.<br />
Max Lebsche bewiesen die <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern Zivilcourage. Prof. Lebsche,<br />
ein Chirurg von Weltformat, hatte auf<br />
eine glänzende Karriere verzichtet, weil er<br />
aus seiner katholisch-konservativen Weltsicht<br />
und aus seiner Gegnerschaft zur<br />
nation<strong>als</strong>ozialistischen Ideologie nie ein<br />
Hehl machte. Nach seiner erzwungenen<br />
Emeritierung <strong>als</strong> Professor für Chirurgie<br />
in der Poliklinik in der Pettenkoferstraße<br />
im Jahr 1936 konnte er nur noch in seiner<br />
kleinen Privatklinik, die er 1930 in einer<br />
Villa am Bavariaring eingerichtet hatte,<br />
unter erschwerten Bedingungen praktizieren.<br />
Ohne Rücksicht auf seine eigene<br />
Gefährdung leistete er dem nahe gelegenen<br />
Israelitischen Krankenhaus Hilfsdienste<br />
und behandelte jeden Patienten,<br />
unabhängig von Rasse- und Religionszugehörigkeit.<br />
So verarztete er beispielsweise<br />
in der Reichspogromnacht 1938 Juden,<br />
die sich vor den NS-Schlägern in seine<br />
Klinik geflüchtet hatten. Regelmäßig traf<br />
sich bei ihm ein Kreis von Freunden, die<br />
seine politische und religiöse Weltanschauung<br />
teilten und dezidierte Gegner<br />
des NS-Regimes waren, unter ihnen auch
zu schicken, hatte zur Folge, dass die<br />
Zahl der Schwangerschaften unter den<br />
Zwangsarbeiterinnen ab 1943 deutlich<br />
anstieg. Daraufhin erfolgte eine andere<br />
Handhabung dieses „Problems“. Statt<br />
die Schwangeren heimreisen zu lassen,<br />
gab es einen Erlass, Abtreibungen, die<br />
ansonsten grundsätzlich verboten waren,<br />
für diese Frauen straffrei durchzuführen.<br />
Obwohl die Frauen dafür eine Einverständniserklärung<br />
unterschreiben mussten,<br />
kann man kaum von einer wirklich<br />
freien Entscheidung ausgehen. Wurde<br />
Druck auf sie ausgeübt zu unterschreiben<br />
oder reichte schon der Druck, unter<br />
den gegebenen Umständen ein Kind zu<br />
bekommen? Der Hutthurmer Arzt soll zwischen Ende 1943 und April 1945<br />
mindestens 220 Schwangerschaftsabbrüche an Fremdarbeiterinnen vorgenommen<br />
haben. Aus weitem Umkreis wurden Schwangere zu ihm geschickt,<br />
weil sich andere Ärzte geweigert hatten, die Abtreibungen durchzuführen.<br />
In Hutthurm sollen Embryos noch im 7. und 8. Monat, <strong>als</strong>o schon lebensfähige<br />
Kinder, abgetrieben worden sein. Die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern, die<br />
am Krankenhaus in der Hauptsache das Pflegepersonal stellten, wollten sich<br />
an diesen Morden nicht beteiligen. Mehr oder weniger überrumpelt von<br />
der neuen Praxis an ihrem Krankenhaus, hatten zwei der Schwestern bei<br />
drei Abtreibungen assistiert bzw. die Narkose gegeben. Eine der Schwestern<br />
der später im Konzentrationslager inhaftierte<br />
Domkapitular Johannes Neuhäusler.<br />
Dass Prof. Lebsche, der aufgrund seiner<br />
Haltung und seiner Aktivitäten immer<br />
wieder ins Visier der Nation<strong>als</strong>ozialisten<br />
geriet, ein solches Schicksal erspart blieb,<br />
scheint er seinen außerordentlichen chirurgischen<br />
Fähigkeiten verdankt zu haben,<br />
auf die auch die Nation<strong>als</strong>ozialisten nicht<br />
verzichten wollten.<br />
Die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern setzten<br />
sich durch die Zusammenarbeit mit Prof.<br />
Lebsche einer gewissen Gefahr aus. So<br />
galt ja auch für Krankenschwestern das<br />
strikte Verbot, nichtarische Patienten zu<br />
versorgen. Doch die Schwestern ließen<br />
Die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern unter dem Nation<strong>als</strong>ozialismus<br />
sich nicht einschüchtern und hielten<br />
immer, auch bei Verhören, treu zu ihm.<br />
Der Orden war aber auch in anderer Hinsicht<br />
für den Professor und seine Klinik<br />
eine wichtige Stütze. Da die Maria-Theresia-Klinik<br />
keine Lebensmittelkarten<br />
zugeteilt bekam, war die Versorgung<br />
mit Nahrungsmitteln aus den ordenseigenen<br />
landwirtschaftlichen Betrieben<br />
eine wichtige Überlebenshilfe. Dabei<br />
bewiesen die Schwestern durchaus Einfallsreichtum:<br />
Um hinter dem Rücken<br />
des Staates ein Schwein zur verbotenen<br />
Schwarzschlachtung ins Krankenhaus zu<br />
schmuggeln, wurde es <strong>als</strong> Neuzugang<br />
getarnt im Krankenwagen angeliefert. 146<br />
Professor Dr.<br />
Max Lebsche<br />
(1886 – 1957)<br />
201
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
202<br />
war daraufhin weinend zusammengebrochen. In ihrer Not wandten sich<br />
die Ordensschwestern an ihre Vorgesetzten im Münchner Mutterhaus und<br />
an das Passauer Ordinariat. Von beiden Seiten bekamen die Hutthurmer<br />
Schwestern die klare Anweisung, in Zukunft die Assistenz bei derartigen<br />
Operationen zu verweigern. Als sie dies so handhabten, mussten sie sich<br />
nicht nur vom Arzt übelste Beschimpfungen wie „Mistviecher“, „christliche<br />
Hauben“ und „wenn ich euch nur draußen hätte“ 143 anhören, sondern wurden<br />
auch vom Landratsamt mit der Drohung, die Gestapo werde sich schon<br />
darum kümmern, unter Druck gesetzt. Generaloberin Schwester M. Castella<br />
Blöckl legte daraufhin dem Passauer Ordinariat eine schriftliche Stellungnahme<br />
vor, die ihr der Erzbischof von München und Freising ausgearbeitet<br />
hatte. Aus der Zusicherung des Reichskirchenministeriums gegenüber der<br />
Bischofskonferenz am 18.10.1943, dass kein Arzt gezwungen werde, eine<br />
Abtreibung durchzuführen, leitete Kardinal von Faulhaber ab: „Dann darf<br />
auch auf die Schwestern in der Krankenpflege ein Gewissensdruck nicht ausgeübt<br />
werden. Für das Gewissen der Schwester … gelten die gleichen Grundsätze wie<br />
früher für die Mitwirkung bei der … Euthanasie und für die … Sterilisation.“<br />
Schließlich wurde vereinbart, dass die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern zwar<br />
„entfernte Vorbereitungen zu derartigen Operationen und auch die Pflege der Operierten<br />
… übernehmen, dass sie aber … eine unmittelbare Mitwirkung im Gewissen<br />
ablehnen müssen.“ 144<br />
Die <strong>als</strong> durchaus kirchenkritisch bekannte Autorin Anna Rosmus, die<br />
ihre Recherchen zu den Zwangsabtreibungen in Hutthurm 1993 veröffentlichte,<br />
sagt zur Rolle der katholischen Kirche in dieser Sache: „Die haben<br />
genügend Dreck am Stecken, aber in diesem Fall sind sie ein Musterbeispiel an<br />
Zivilcourage und Konsequenz.“ 145<br />
Beschäftigung von Fremdarbeitern<br />
In der gesamten deutschen Wirtschaft herrschte bald nach Beginn des<br />
2. Weltkriegs ein eklatanter Arbeitskräftemangel. Zunächst wurden deshalb<br />
im Ausland so genannte Fremdarbeiter angeworben, wobei jedoch bald in<br />
den besetzten Gebieten <strong>zum</strong> Instrument der Zwangsrekrutierung gegriffen<br />
wurde. Diese heute deshalb meist <strong>als</strong> Zwangsarbeiter bezeichneten Arbeitskräfte<br />
wurden von den deutschen Arbeitsämtern auf Antrag der Arbeitgeber<br />
den verschiedenen Betrieben zugeteilt. Auch kirchliche Einrichtungen, in<br />
denen der Arbeitskräftemangel durch staatliche Beschränkung des Nachwuchses<br />
und vielfach vom Staat auferlegten zusätzlichen Aufgaben besonders<br />
hoch war, machten von dieser Möglichkeit Gebrauch. So beschäftigten<br />
auch die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern in Bad Adelholzen und in Planegg
Zwangsarbeiter, die überwiegend in der Landwirtschaft, vereinzelt auch in<br />
der Hauswirtschaft, eingesetzt wurden. Im Mutterhaus arbeiteten zwei Russinnen<br />
im Garten und zwei Kroatinnen im Haus. 147<br />
Während die in großen industriellen Betrieben eingesetzten Zwangsarbeiter<br />
meist unter sehr unmenschlichen Bedingungen zu leiden hatten,<br />
ging es den in der Landwirtschaft eingesetzten Arbeitern in der Regel etwas<br />
besser, was Verpflegung und Unterkunft anbelangte. Die Behandlung war<br />
jedoch sehr unterschiedlich und hing ganz von den jeweiligen Arbeitgebern<br />
ab. Die enge Zusammenarbeit mit den Arbeitgebern barg einerseits die<br />
Gefahr, deren Willkür noch stärker ausgesetzt zu sein, andererseits aber auch<br />
die Chance der menschlicheren, ja teilweise familiären Behandlung. Man<br />
kann wohl mit Recht annehmen, dass die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern ihre<br />
Fremdarbeiter nicht unmenschlich behandelt haben. Wie auch die anderen<br />
kirchlichen Arbeitgeber nahmen die Schwestern darauf Rücksicht, dass<br />
Familien nicht getrennt, sondern gemeinsam beschäftigt wurden. Für eine<br />
gute Behandlung durch die Schwestern spricht auch die Tatsache, dass die<br />
im Mutterhaus eingesetzten Frauen nach Kriegsende freiwillig noch mehrere<br />
Monate, teilweise sogar Jahre dort blieben.<br />
Allerdings konnten die Schwestern das tragische Schicksal eines ihrer<br />
Zwangsarbeiter in Adelholzen nicht verhindern. Ein Pole nahm im September<br />
1942 Anstoß daran, dass seine Frau vom Verwalter bei einem Streit ins<br />
Gesicht geschlagen worden war. Auf die deutsche Rechtsprechung vertrauend,<br />
erstattete er Anzeige gegen den Verwalter. Statt gegen diesen ging die<br />
Justiz gegen den polnischen Zwangsarbeiter vor. Obwohl der Verwalter sich<br />
vor Gericht ausdrücklich für ihn einsetzte, wurde der polnische Familienvater<br />
zu zwei Jahren Straflager verurteilt und starb kurz vor Kriegsende in<br />
einem Außenlager des Konzentrationslagers Flossenbürg.<br />
11.6. Einsatz in Lazaretten und<br />
Ausweichkrankenhäusern<br />
Die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern unter dem Nation<strong>als</strong>ozialismus<br />
Schon in den Jahren 1936 und 1937 gab es Hinweise auf einen drohenden<br />
Krieg. 1936 wurden die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern von den Behörden<br />
aufgefordert, eine Luftschutzausbildung zu machen. 148 Dazu die Chronik:<br />
„Laufend wurden von Hofrat Dr. Schöner im Mutterhaus und in den größeren<br />
Häusern Gas- und Sanitätskurse für alle Münchener Schwestern abgehalten. Von<br />
Luftschutzwarten und vom Wehrkreis selbst wurden Gaskurse anberaumt, bei denen<br />
die Schwestern im Feuerwehranzug mitmachen mussten.“ 149 Bereits 1937 musste<br />
der Orden Listen für das Rote Kreuz erstellen, wie viele Schwestern<br />
im Kriegsfall für den Lazarettdienst freigestellt werden könnten. Im Sep-<br />
203
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
204<br />
tember 1938 ging ein Schreiben an die in Frage kommenden Schwestern,<br />
wie sie sich im Falle einer Mobilmachung zu verhalten hätten. 150 Denn<br />
auch die Nation<strong>als</strong>ozialisten konnten und wollten nicht auf die Hilfe der<br />
Ordenskrankenschwestern in den Lazaretten verzichten. Allerdings wurden<br />
sie im 2. Weltkrieg nur hinter der Front in den Heimatlazaretten eingesetzt.<br />
Schließlich hätten sie nicht <strong>zum</strong> nation<strong>als</strong>ozialistischen Erscheinungsbild<br />
gepasst. Die Schwestern waren alles andere <strong>als</strong> traurig darüber, nicht<br />
auch noch in den Frontlazaretten eingesetzt zu werden. Sie hatten in den<br />
Heimatlazaretten mehr <strong>als</strong> genug zu tun. Da diese Lazarette häufig in den<br />
bestehenden Krankenhäusern eingerichtet wurden, mussten für die Zivilbevölkerung<br />
so genannte Ausweichkrankenhäuser geschaffen werden. Da<br />
für diese die Stammkrankenhäuser zuständig waren, in denen die <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern die Pflege hatten, waren sie automatisch auch für die<br />
Pflege in diesen häufig aufs Land ausgelagerten Hilfskrankenhäusern zuständig,<br />
was eine ungeheure Mehrbelastung für die Pflegeschwestern und die<br />
Verwaltung bedeutete. Hatten die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern schon in Friedenszeiten<br />
die Hauptlast der Krankenversorgung in München getragen, so<br />
trugen sie jetzt auch die Hauptlast der zusätzlichen Belastung durch die<br />
Lazarette und Hilfskrankenhäuser. Der Chefarzt einer Münchner Klinik, der<br />
dringend um weitere Schwestern bat, die ihm aber das Mutterhaus nicht<br />
stellen konnte, warnte: „Die Arbeitsbelastung der Schwestern in den Ausweichkrankenhäusern<br />
und im Stammkrankenhaus ist so außerordentlich groß, daß ich<br />
um ihre Gesundheit in Sorge bin.“ 151 Wenigstens konnte die Ordensleitung<br />
1940 mit einer Eingabe beim Oberkommando der Wehrmacht – unterstützt<br />
durch Schreiben von einer Reihe von Krankenhausdirektoren – erreichen,<br />
dass Kandidatinnen und Novizinnen nicht mehr wie bisher <strong>zum</strong> Reichsarbeitsdienst<br />
herangezogen wurden. 152<br />
Kardinal von Faulhaber versuchte, den <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern ihren<br />
schweren Arbeitseinsatz etwas zu erleichtern, indem er für sie, die er <strong>als</strong><br />
„Handlanger der göttliche Liebe“ sah, eine Reihe von Dispensen aussprach.<br />
So wurden sie vom regelmäßigen Empfang der Beichte, dem Nüchternheitsgebot<br />
vor der Kommunion, Pflichtgebeten und in besonderen Fällen<br />
sogar vom Tragen der Ordenskleidung befreit. 153<br />
Bereits kurz nach Kriegsbeginn hatten die karitativen Orden auf Anraten<br />
des Kardin<strong>als</strong> weibliche Lehr-, Klausur- und Missionsorden um Unterstützung<br />
gebeten. Im November 1939 schrieb Domkapitular Dr. Johannes<br />
Neuhäusler einige Orden an, von denen er annahm, dass sie – beispielsweise<br />
durch ihre von den Nation<strong>als</strong>ozialisten erzwungene Freistellung aus der<br />
Lehrtätigkeit – Kapazitäten frei hätten. Zunächst blieb die Resonanz jedoch<br />
sehr gering. Als der Mangel an Pflegeschwestern noch größer geworden<br />
war, wandte sich das Mutterhaus im Jahr 1941 erneut an zahlreiche Klöster
Die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern unter dem Nation<strong>als</strong>ozialismus<br />
mit der dringenden Bitte,<br />
ihnen Hilfsschwestern zur<br />
Verfügung zu stellen. 154<br />
Dieser Aufruf zeigte endlich<br />
eine größere Wirkung.<br />
Nicht nur aus Bayern, sondern<br />
aus ganz Deutschland<br />
kamen den <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern nun andere<br />
Ordensschwestern zu<br />
Hilfe. Neben den schon<br />
erwähnten Tutzinger Missionsschwestern,<br />
die nach ihrer Vertreibung aus Tutzing im April 1941 in<br />
verschiedenen Niederlassungen der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern mitarbeiteten,<br />
zeigte sich eine Reihe von Orden zur Hilfe bereit. So unterstützten in<br />
den kommenden Jahren zeitweise über 200 Hilfsschwestern anderer Orden<br />
die Münchner <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern im Krankendienst. 155 Allein die<br />
Tutzinger Schwestern stellten eine Zeit lang 60 Hilfsschwestern und ein<br />
Mutterhaus aus dem Rheinland 40 Schwestern. Besonders freuten sich die<br />
Münchner Schwestern auch, <strong>als</strong> sich das gesamte 13-köpfige Noviziat eines<br />
Dominikanerinnenklosters für ein Aushilfskrankenhaus zur Verfügung stellte.<br />
Nicht wenige dieser Hilfsschwestern nutzten diese Zeit, um sich in der<br />
Krankenpflege ausbilden zu lassen.<br />
Auch wenn diese Helferinnen erst noch angeleitet und ausgebildet werden<br />
mussten, bedeuteten sie dennoch eine Entlastung der <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern, die diesen und ihren Ordensleitungen sehr dankbar für diese<br />
Unterstützung waren.<br />
Am 31.12.1944 waren noch 159 Hilfsschwestern<br />
von folgenden Orden registriert<br />
Arme Schulschwestern (10)<br />
Augustinerinnen aus dem Rheinland (5),<br />
Benediktinerinnen von Tutzing (9) und Frauenchiemsee (12)<br />
Birgittinnen von Altomünster (4)<br />
Dominikanerinnen von Donauwörth (6), Schlehdorf (12), Strahlfeld (12) und<br />
Volkersberg (8), Elisabethinerinnen aus dem Rheinland (3)<br />
Franziskanerinnen von Mallersdorf (8), der Mutter Schervier (46) und Reutberg (3),<br />
Kapuziner-Klarissinnen (6)<br />
Klaraschwestern von Aiterhofen (3)<br />
Salesianerinnen von Dietramszell (2) und Zangberg (1)<br />
Servitinnen vom Herzogspital (6)<br />
Solanusschwestern (3)<br />
Der Luftkrieghinterließ<br />
in der<br />
Münchner<br />
Innenstadt<br />
nur noch<br />
Ruinen.<br />
205
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
206<br />
Allerdings sorgten schon bald die feindlichen Fliegerangriffe dafür, dass<br />
die Arbeit der Schwestern, insbesondere in den Münchner Niederlassungen,<br />
in einem unvorstellbaren Ausmaß erschwert wurde: „In Kellern und Bunkern<br />
halbzerstörter Krankenhäuser und Kliniken Münchens – und anderer Städte<br />
– versorgten <strong>Barmherzige</strong> Schwestern Tag und Nacht unter unsäglichen Mühen die<br />
Kranken.“ 156 Für die Münchner Krankenhäuser entstand wegen des Luftkrieges<br />
noch eine Reihe weiterer Ausweichkrankenhäuser auf dem Land,<br />
die alle mitversorgt werden mussten.<br />
11.7. Verluste des Ordens durch die Luftangriffe<br />
Wegen der vielen Luftschutzübungen war die Angst vor Luftangriffen bei<br />
den Schwestern schon lange präsent. 157 Dennoch waren sie nicht auf das<br />
Ausmaß der Gefahr vorbereitet. Erst nach den ersten Angriffen im Jahr 1940<br />
wurde im Mutterhaus ein Luftschutzkeller eingerichtet. So war man, <strong>als</strong> nach<br />
einer längeren Pause die Alliierten die Angriffe auf München ab Sommer<br />
1942 wieder aufnahmen, im Mutterhaus etwas besser gerüstet. Bei jedem<br />
Alarm suchten nun alle Schwestern, die nicht <strong>als</strong> Brandwachen eingeteilt<br />
waren, den Keller auf. Kardinal von Faulhaber hatte den Frauenorden eine<br />
Genehmigung erteilt, dass bei Fliegeralarm, sofern kein Priester im Haus<br />
war, die Oberin oder eine andere Schwester das Allerheiligste mit in den<br />
Luftschutzkeller tragen durfte. Die Chronistin erinnert sich, „wie tröstlich<br />
diese Prozessionen waren, da wir den Herrn bei uns wussten.“ 158 Der Kardinal<br />
bestimmte zudem, dass zehn Minuten nach jedem Fliegerangriff eine Generalabsolution<br />
durch alle Priester der Stadt erfolgen sollte. 159<br />
Beim ersten größeren Angriff auf die Münchner Innenstadt im September<br />
1942 kam das Mutterhaus mit einem Schaden von 67 Fensterscheiben<br />
noch glimpflich davon. Am 7. September 1943 wurde das Mutterhaus <strong>zum</strong><br />
ersten Mal getroffen. Eine Hausecke war von oben bis unten gesprengt. Zum<br />
Glück war niemand verletzt worden. Nach und nach trafen Meldungen<br />
aus den vielen Münchner Niederlassungen ein. Vor allem die Innenstadtkliniken<br />
waren <strong>zum</strong> Teil schwer beschädigt worden. Großes Glück hatten die<br />
in der Maria-Theresia-Klinik von Prof. Lebsche eingesetzten <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern. Eine Phosphorbombe hatte in einem Gartenhäuschen in die<br />
dort gelagerten 300 Flaschen Adelholzener Wasser eingeschlagen, woraufhin<br />
das Mineralwasser das Feuer löschte, bevor es Schaden anrichten konnte.<br />
Nicht auszudenken, wenn die Bombe statt dessen die nur einige Meter entfernten<br />
Ätherbehälter getroffen hätte.<br />
Nach dem Schock dieses Angriffes beschlossen die Ordensoberen, nur<br />
noch die unteren Stockwerke des Mutterhauses zu benützen. Es wurde
Die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern unter dem Nation<strong>als</strong>ozialismus<br />
außerdem damit begonnen, wertvolle Bilder, Statuen, Bücher, Nähmaschinen,<br />
nicht benötigte Wäsche etc. in andere Häuser auszulagern, vor allem<br />
in das <strong>als</strong> besonders sicher geltende Adelholzen. 1944 wurde die Schreibschwester<br />
M. Berthilia Hidringer mit der gesamten Buchhaltung der<br />
Kongregation ebenfalls dorthin evakuiert. Um dem Mutterhaus dennoch<br />
schnellen Zugriff auf die Personaldaten zu ermöglichen, wurden die Daten<br />
aus den alten Personalbüchern auf <strong>Datei</strong>karten übertragen, die vor Ort bleiben<br />
sollten.<br />
Wegen ihrer zentralen Lage waren vom 1944 noch forcierten Bombenkrieg<br />
zunächst in erster Linie das Mutterhaus in der Nußbaumstraße und<br />
das Postulat in der Blumenstraße betroffen. Das Postulatsgebäude wurde<br />
bei fünf Angriffen schwer getroffen und erlitt schließlich am 27.11.1944<br />
einen Tot<strong>als</strong>chaden. Das Mutterhaus wurde siebenmal bombardiert, wobei<br />
am 17.12.1944 die Mutterhauskirche völlig zerstört wurde und das übrige<br />
Mutterhaus so schwer beschädigt wurde, dass nach dem Angriff vom<br />
17.1.1945 kaum noch Räume bewohnbar waren. Glücklicherweise waren<br />
keine Todesopfer zu beklagen.<br />
Ausgerechnet im Erholungsheim Unterhaching, das wegen seiner Randlage<br />
<strong>als</strong> relativ sicher galt, musste die Kongregation die ersten Kriegsopfer<br />
beklagen. Da man dort nicht mit Luftangriffen gerechnet hatte, war auch<br />
der Luftschutzbunker nicht ganz vorschriftsmäßig. In diesem Schutzraum<br />
saßen am Vormittag des 13. Juni 1944 insgesamt 30 <strong>Barmherzige</strong> Schwestern,<br />
darunter 26 Schwestern, die zur Erholung auf den Marxhof gekommen<br />
waren, betend zusammen und hofften, dass der schon seit fast zwei Stunden<br />
anhaltende Angriff auf München bald zu Ende gehen würde. Die Angst der<br />
Schwestern war groß, da sie die Flieger immer in der Nähe hörten. Als sie<br />
schon mit einem baldigen Ende des Angriffs rechneten, schlug eine Bombe<br />
direkt neben dem Bunker ein, so dass die Schwestern verschüttet wurden.<br />
Obwohl die nur leicht verletzte Oberin Schwester M. Amarantha Saxinger<br />
sich schnell befreien und Helfer für die Bergung holen konnte, kam für<br />
einen Teil der Schwestern jede Hilfe zu spät. Elf Schwestern konnten nur<br />
noch tot geborgen werden, eine verstarb kurze Zeit nach der Bergung. 16<br />
<strong>zum</strong> Teil schwer Verletzte konnten trotz des herrschenden Bettenmangels in<br />
der Münchner Chirurgischen Klinik untergebracht werden. Generaloberin<br />
Schwester M. Castella Blöckl, die unmittelbar nach dem Angriff telefonisch<br />
von dem Unglück verständigt worden war, hatte sich sofort vom Ökonomieleiter<br />
von Berg am Laim mit dessen Lastwagen nach Unterhaching bringen<br />
lassen. Dieser transportierte die ersten Verletzten in die Klinik in der Nußbaumstraße,<br />
bevor mit dem Sanitätsauto die weiteren Opfer folgten. Noch<br />
am gleichen Abend verstarb dort Schwester M. Polyxena Prager, die <strong>als</strong><br />
ambulante Krankenschwester in Unterhaching sehr beliebt war. Zwei wei-<br />
207
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
Gedenkstätte<br />
auf dem<br />
Waldfriedhof<br />
für die<br />
durch Fliegerangriffe<br />
getöteten<br />
Schwestern.<br />
208<br />
tere Schwestern erlagen<br />
ihren Verletzungen<br />
am 23. Juni und am<br />
5. Juli. So waren insgesamt<br />
15 Tote bei diesem<br />
Angriff zu beklagen.<br />
Von den verletzten<br />
Schwestern waren viele<br />
noch lange leidend.<br />
Nur drei Schwestern,<br />
unter ihnen die Oberin,<br />
waren so gut wie<br />
unverletzt geblieben.<br />
Trauer und Betroffenheit waren groß: „Die Anteilnahme von nah und fern<br />
war groß und rührend: Von der Durchgabe der telegrafischen Meldungen an die verschiedenen<br />
Angehörigen – die Beamten im Telegrafenamt waren erschüttert – von<br />
den Einwohnern Unterhachings, den Ärzten, Behörden, geistlichen und weltlichen<br />
Stellen, bis zu den Bekannten und Unbekannten – eine allgemeine Trauer.“ 160 Die<br />
Schwestern schmückten ihre toten Mitschwestern mit weißen Schleiern<br />
und Myrtenkränzen. Jede bekam einen Rosenkranz in die Hand, die Jüngste,<br />
„unsere lebensfrohe Schwester M. Ingolda“ 161 , einen roten. Erschütternd<br />
war auch die Beerdigung von den inzwischen 13 verstorbenen Schwestern<br />
am 17. Juni 1944 auf dem Waldfriedhof. Domkapitular Grassl hielt eine<br />
ergreifende Grabrede: „Der Orden der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern steht heute<br />
mit seiner Generaloberin vor einem ausgeschaufelten Grab, so groß, so weit, so wehe-<br />
und schmerzvoll, wie noch nie ein Grab sich geöffnet in den 112 Jahren seines<br />
Bestehens in Bayern.“ 162 Als besonders tragisch wurde empfunden, dass bei<br />
diesem Angriff Schwestern ums Leben kamen, die an wesentlich gefährlicheren<br />
Orten gearbeitet hatten und zur Erholung in das <strong>als</strong> sicher geltende<br />
Unterhaching kamen. Drei Schwestern wollten zudem schon am Morgen<br />
ihre Heimreise antreten, mussten aber wegen des Fliegeralarms wieder vom<br />
Bahnhof auf den Marxhof zurückkehren.<br />
Die Luftangriffe nahmen in den folgenden Wochen und Monaten an<br />
Zahl und Intensität weiter zu. Waren in den Jahren 1942 und 1943 je drei<br />
Angriffe auf München geflogen worden, wurden im Jahr 1944 insgesamt 29<br />
Bombardements registriert. Die Tragödie in Unterhaching hatte Angst und<br />
Sorge um das Leben der Mitschwestern noch erhöht. So war es allen Niederlassungen<br />
ein besonderes Anliegen, über das Mutterhaus miteinander Kontakt<br />
zu halten. Das Mutterhaus verschickte unmittelbar nach jedem Angriff<br />
knapp gefasste „Lebenszeichen“-Karten mit bis zu zehn erlaubten Worten<br />
an die auswärtigen Niederlassungen, um sie über den Zustand der Münch-
Die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern unter dem Nation<strong>als</strong>ozialismus<br />
ner Niederlassungen<br />
auf dem Laufenden zu<br />
halten. Später folgten<br />
ausführlichere Berichte.<br />
Als Post- und Bahnverkehr<br />
in München<br />
immer mehr <strong>zum</strong><br />
Erliegen kamen, mussten<br />
diese Karten zu<br />
Fuß weit außerhalb<br />
Münchens transportiert<br />
werden, bis sie von der<br />
Bahn an ihre Zielorte<br />
mitgenommen werden konnten. Auch die Verbindung nach Adelholzen, wo<br />
der gesundheitlich angeschlagene Ordenssuperior Pfaffenbüchler fast die<br />
gesamte Kriegszeit zubrachte, wurde immer mehr erschwert. Dabei machten<br />
sich der Prälat und die Schwestern im Chiemgau große Sorgen um die<br />
Münchner Schwestern, wenn sie die feindlichen Flugzeuge im Anflug auf<br />
München beobachteten. So schrieb der Superior im Juli 1944 an Herrn<br />
Hirschmann, den äußerst zuverlässigen Ökonomieverwalter von Berg am<br />
Laim, der ihm regelmäßig Bericht erstattete: „Sie können sich denken, dass<br />
meine Gedanken oft und oft in München und in Berg am Laim weilen, besonders<br />
dann, wenn ich von einer Gefahr höre oder gar voraussehe wie es der Fall ist,<br />
wenn die Flieger hoch über Adelholzen gehen nach Norden und dann nach Westen<br />
schwenken, worauf ich dann die Detonationen der Geschosse zu Gehör bekomme;<br />
die Erholungsschwestern, welche solche Angriffe erlebt haben, sind dann, je nach<br />
ihren Nerven, mehr oder weniger aufgeregt.“ 163<br />
Selbst zwischen den Münchner Niederlassungen wurde es mit zunehmender<br />
Intensität des Kriegsgeschehens immer schwieriger, Verbindung<br />
zu halten. Schon der kurze Weg vom Postulat <strong>zum</strong> Mutterhaus durch die<br />
nach einem Bombardement brennende Stadt konnte lebensgefährlich sein.<br />
In einem Bericht an die auswärtigen Filialen beschreibt die Generaloberin<br />
diese Ausnahmesituation: „Soweit, meine lieben Schwestern, sind uns Nachrichten<br />
zugegangen. Es konnte nur durch Boten geschehen, die mühsam durch die<br />
zerstörten Stadtteile kommen; denn München ist ohne Telefon, ohne Licht, ohne<br />
Gas, ohne Sirene, ohne Wasser… Ich weiß nicht, ob Ihr ermessen könnt, in welcher<br />
Bedrängnis unsere Schwestern waren, namentlich der betroffenen Anstalten; diese<br />
Not und Angst und Sorge um die Anvertrauten; dann die viele Arbeit nach den<br />
Angriffen.“ 164<br />
Die Schwestern in den Niederlassungen mussten sich trotz ihrer eigenen<br />
Angst erst um die ihnen anvertrauten Kranken, Kinder und alten Leute<br />
Lebenszeichenkarte<br />
des Mutterhauses<br />
an Superior<br />
Pfaffenbüchler<br />
vom<br />
17. Dezember<br />
1944<br />
209
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
210<br />
Das Mutterhaus<br />
nach dem<br />
schweren<br />
Luftangriff<br />
vom<br />
17. Dezember<br />
1944<br />
kümmern: „Wenn auch die Kranken <strong>zum</strong> Teil in den Kellern blieben, so war es<br />
doch eine übergroße Belastung, die Operierten, die Schwerkranken, die Kinder alle<br />
zu bergen.“ 165<br />
Und nach dem Angriff mussten die Schwestern die Brände löschen, wobei<br />
häufig die Erschwernis hinzukam, dass das Löschwasser ausging. Sehr dankbar<br />
waren die Schwestern im Mutterhaus und im Postulat, <strong>als</strong> ihnen immer<br />
wieder Soldaten aus der Kaserne in der Blumenstraße zu Hilfe kamen. Bei<br />
dem durch Phosphorbomben ausgelösten verheerenden Brand der Mutterhauskirche,<br />
der auch das Mutterhaus selbst zu zerstören drohte, standen die<br />
Schwestern zunächst jedoch ganz ohne Hilfe. Die Löschtrupps mussten verständlicherweise<br />
zunächst versuchen, die in Brand stehenden umliegenden<br />
Kliniken zu retten. Erst <strong>als</strong> ein Löschtrupp, der für die Chirurgische Klinik<br />
anrückte, gesehen hatte, dass dort jede Hilfe zu spät kam, konnte mit seiner<br />
Hilfe ein Teil des Mutterhauses gerettet werden. Aber wie sah es nach den<br />
Bränden aus? Die Häuser mussten notdürftig wieder abgedichtet werden.<br />
Häufig blieben offene Stellen im Dach, so dass bei jedem Regen trotz Fliegergefahr<br />
Wasser geschöpft werden musste. Und wie war bei diesem Chaos<br />
noch der Alltag zu bewältigen? Es gab kaum noch Möglichkeiten, die viele<br />
Wäsche der Krankenhäuser zu waschen. Zum Kochen kamen viele Bewohner<br />
der umliegenden Häuser ins Mutterhaus, da sie nach dem Ausfall der<br />
Gasversorgung zu Hause nicht mehr kochen konnten. Zum Schlafen hatte<br />
man im Mutterhaus nur noch einige Gemeinschaftsräume notdürftig hergerichtet.<br />
Gegen Ende des Krieges zog man ganz in den Keller. An Schlaf<br />
war wegen der vielen nächtlichen Angriffe sowieso häufig nicht mehr zu<br />
denken. Obwohl ihre Schwestern sie immer wieder darum baten, lehnte es<br />
die Generaloberin ab, sich außerhalb Münchens, gedacht wurde in erster
Die Ruinen<br />
der<br />
Münchner<br />
Frauenkirche<br />
Die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern unter dem Nation<strong>als</strong>ozialismus<br />
Linie an Planegg, in Sicherheit zu bringen. Sie wollte mit ihren Mitschwestern<br />
im Mutterhaus ausharren.<br />
Besonders eindrucksvoll ist der Bericht des Mutterhauses über die letzten<br />
Kriegsmonate. Den Heiligen Abend 1944, einige Tage nach dem Verlust<br />
der Mutterhauskirche und eines Teils des Hauses, begingen die Schwestern<br />
wegen eines mehrstündigen Angriffs im Keller. Auch am Weihnachtstag<br />
mussten sie dort Schutz suchen. Trotz der Gefahr kamen an diesem Tag viele<br />
Besucher, unter ihnen auch Kardinal von Faulhaber, um die Schwestern zu<br />
trösten. Bis <strong>zum</strong> Dreikönigstag herrschte Ruhe, die die Schwestern nutzten,<br />
einige Räume notdürftig wieder herzurichten. Doch schon am Abend des<br />
6. Januars entbrannte der Luftterror erneut mit größter Vehemenz. Wieder<br />
brannte das Mutterhaus.<br />
In den kommenden Wochen verstärkte sich die Sorge um die auswärtigen<br />
Niederlassungen, denn nun wurden von den alliierten Bombern auch<br />
kleinere Orte angegriffen. Und bei diesen Angriffen in den letzten Kriegsmonaten<br />
sollten die Schwestern weitere Todesopfer zu beklagen haben. Am<br />
22. Januar 1945 warfen die feindlichen Flieger über Sonthofen, das sie vorher<br />
immer nur überflogen hatten, Bomben ab. Die Zerstörung des dortigen<br />
Heilig-Geist-Spit<strong>als</strong> kostete drei der fünf in dieser Niederlassung tätigen<br />
<strong>Barmherzige</strong>n Schwestern und einigen der ihnen anvertrauten alten Menschen<br />
das Leben. Nur drei Tage später kamen bei der Bombardierung des<br />
Münchner Ostens drei weitere <strong>Barmherzige</strong> Schwestern in Berg am Laim<br />
ums Leben. Zwei Schwestern hatte man nur noch tot unter einer eingestürzten<br />
Treppe bergen können. Eine ältere Schwester erlitt durch die Aufregung<br />
einen Herzstillstand. Am 9. April 1945 traf es das <strong>als</strong> sicher geltende<br />
Planegg. Trotz des großen materiellen Schadens war man dankbar, dass dieser<br />
Angriff kein Menschenleben forderte. In Aschaffenburg, das bereits seit<br />
211
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
212<br />
1942 Angriffsziel gewesen war, war im November 1944 das Krankenhaus<br />
zerstört worden. Immer mehr auswärtige Niederlassungen wie beispielsweise<br />
Bamberg, Passau, Erding, Landshut, Regensburg und Ingolstadt waren<br />
nun von Luftangriffen betroffen. Bei dem Bombardement von Donauwörth<br />
am 19. April 1945, bei dem sowohl das Spital <strong>als</strong> auch das Krankenhaus vernichtet<br />
wurden, wurden zwei <strong>Barmherzige</strong> Schwestern verletzt. Die Oberin<br />
der ambulanten Station, Schwester M. Ismeria Rosenbaum, galt <strong>als</strong> vermisst<br />
und konnte erst nach Wochen, <strong>als</strong> der Krieg bereits zu Ende war, tot unter<br />
den Trümmern geborgen werden.<br />
Am 29. April, <strong>als</strong> die Amerikaner bereits vor München standen, geriet die<br />
Niederlassung in Berg am Laim noch einmal in höchste Gefahr. Die erzwungene<br />
Unterbringung des Flak-Überprüfungskommandos in einem Teil des<br />
Klosters hatte sich während des Krieges <strong>als</strong> sehr günstig erwiesen, da die<br />
Soldaten nach den Angriffen immer schnelle Hilfe beim Löschen der Brände<br />
und der Bergung Verschütteter leisteten. Am Kriegsende hätte diese Einquartierung<br />
beinahe fatale Folgen gehabt. Ein großer Teil der Soldaten hatte<br />
den Krieg bereits verloren gegeben und sich Zivilkleidung besorgt, um sich<br />
vor dem Einmarsch der Amerikaner abzusetzen. Allerdings war kurz vorher<br />
ein neuer Befehlshaber eingesetzt worden, der darauf bestand, zusammen mit<br />
den Luftwaffenhelfern, 16- und 17-<strong>jährigen</strong> Jugendlichen, die Stellung bis<br />
<strong>zum</strong> letzten Mann zu verteidigen. Durch das heftige Flakfeuer direkt hinter<br />
dem Kloster wurde dieses <strong>zum</strong> Angriffsziel für die Amerikaner. Bei dem<br />
schweren Beschuss wurde die St. Michaelskirche getroffen und das Altarbild<br />
stark beschädigt. Die Schwestern waren erschüttert über diese sinnlose Zerstörung.<br />
Glücklicherweise setzten sich die Offiziere und erwachsenen Soldaten<br />
schließlich doch ab und so konnten die amerikanischen Soldaten das<br />
Kloster widerstandslos einnehmen. Als sie in dem „Widerstandsnest“ nur<br />
noch die Schwestern und Flakjungen entdeckten, entspannte sich die Lage.<br />
Ein Fall von „Selbsterhöhung“<br />
Dass die Schwestern selbst unter widrigsten<br />
Umständen im Luftschutzkeller<br />
nie ganz ihren Humor verloren, zeigt<br />
folgende Anekdote: Die Schwestern<br />
mussten sich im Mutterhauskeller notdürftige<br />
Schlafstätten einrichten, wobei<br />
sie sich <strong>als</strong> recht einfallsreich erwiesen.<br />
Schwester M. Tertulliana Berghofer,<br />
Mesnerin und Nähschwester, stapelte<br />
mehrere Kisten mit Nähutensilien<br />
übereinander und legte ihre Matratzen<br />
obenauf. Die Schwester, von recht kleiner<br />
Statur, konnte ihr so hochgelegenes<br />
Bett nur noch mit Hilfe einer Staffelei<br />
erreichen, fühlte sich aber offensichtlich<br />
dort oben recht wohl. Allerdings sorgte<br />
sie mit dieser ausgefallenen Bettstatt<br />
für Aufsehen und wurde nun ausgiebig<br />
wegen ihrer „Selbsterhöhung“<br />
geneckt. 167
Die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern unter dem Nation<strong>als</strong>ozialismus<br />
Nach kurzem Misstrauen zeigten sich die Amerikaner schnell sehr freundlich<br />
gegenüber den Schwestern und den „Children“.<br />
Ähnliche Erfahrungen machten auch die in den letzten Wochen im<br />
Mutterhauskeller ausharrenden Schwestern. Hin und Her gerissen zwischen<br />
dem Hoffen auf ein baldiges Kriegsende und dem Bangen, wie die einmarschierenden<br />
Amerikaner sich verhalten würden, hatten sie dort betend<br />
abgewartet, was passieren würde. Wie froh waren sie, <strong>als</strong> sie bald nach dem<br />
Einmarsch der Amerikaner erfahren durften, dass diese ihnen grundsätzlich<br />
freundlich gesinnt waren. Und vor allen Dingen war die Erleichterung<br />
unendlich groß, dass endlich der lang ersehnte Friede herrschte: „Wenn auch<br />
alles Schutt und Asche war und München eine einzige Ruine zu sein schien: es war<br />
Friede, das war genug. Man hatte ruhiges Arbeiten, man hatte ungestörte Nächte,<br />
man hatte den Frieden.“ 166<br />
Traurig war die Bilanz des Mutterhauses am Ende dieses schrecklichen<br />
Krieges: 21 <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern brachte er durch die Bombenangriffe<br />
den Tod. Zudem starben viele Schwestern aufgrund der übermenschlichen<br />
Belastung in diesen Jahren frühzeitig. So sank die durchschnittliche<br />
Lebenserwartung von 57,2 Jahren (1938) auf 52,5 Jahre (1945), die Zahl der<br />
verstorbenen Schwestern stieg von 26 (1938) auf 62 (1945). 168<br />
Der Gesamtschaden an den ordenseigenen Gebäuden betrug grob<br />
geschätzt 1,6 Millionen Reichsmark. Das Postulatsgebäude war zu 100 %<br />
zerstört, das Mutterhaus zu zwei Dritteln beschädigt. In München waren<br />
fast alle Niederlassungen nur noch Ruinen. Die einzige Münchner Niederlassung,<br />
die den Bombenkrieg fast unbeschädigt überstanden hatte, war<br />
die Maria-Theresia Klinik von Prof. Lebsche am Bavariaring. Viele gläubige<br />
Katholiken sahen in der Verschonung dieser Klinik inmitten der um<br />
sie herum entstandenen Trümmerwüste das Wirken der Muttergottes. Prof.<br />
Lebsche, ein glühender Marienverehrer, hatte dem Gnadenbild der Schmerzhaften<br />
Muttergottes der zerstörten Herzogspitalkirche, von der eine wundersame<br />
Augenwende überliefert ist, in seinem Krankenhaus Asyl gewährt.<br />
Die Maria-Theresia-Klinik wurde in den letzten Kriegsmonaten ein Ort<br />
intensivsten Gebetes. Viele gläubige Münchner kamen wegen der seit Januar<br />
1945 aus der zerbombten Fronleichnamskapelle hierher verlegten Ewigen<br />
Anbetung und wegen der Madonna in die Klinik.<br />
*<br />
213
GeneraloberinSchwester<br />
M. Castella<br />
Blöckl<br />
führte die<br />
Kongregation<br />
in den<br />
schweren<br />
Zeiten des<br />
Krieges und<br />
der ersten<br />
Nachkriegszeit.<br />
214<br />
Kapitel 12<br />
Wiederaufbau und neue Wege<br />
12.1. Beseitigung der Trümmer<br />
Die Generaloberin beschloss, am 8. Mai 1945 mit der Beseitigung der<br />
Trümmer zu beginnen. Sie hatte dieses wahrhaft historische Datum gewählt,<br />
ohne vorher zu ahnen, dass an diesem Tag der Krieg in Deutschland offiziell<br />
zu Ende gehen sollte. Als erstes sollte der Schutt aus der zerstörten<br />
Mutterhauskirche entfernt werden. Mit einer kaum vorstellbaren Energie<br />
machten sich die Schwestern an die Arbeit, um ihr Ziel zu erreichen, das<br />
Fest Christi-Himmelfahrt am 10. Mai in der Ruine der Mutterhauskirche<br />
feiern zu können. Angespornt durch die Generaloberin, die es sich nicht<br />
nehmen ließ, mit anzupacken und den ersten Schubkarren mit Schutt belud<br />
und wegfuhr, überboten sich die Schwestern gegenseitig in ihrem Arbeitseifer.<br />
Schnell fanden sich auch noch Krankenhausangestellte und Geistliche<br />
<strong>als</strong> Helfer ein. Mit diesem ungeheuren Arbeitseinsatz gelang es tatsächlich,<br />
in zwei Tagen die Mutterhauskirche so<br />
weit von Trümmern zu befreien, dass<br />
das hochgesteckte Ziel erreicht wurde:<br />
am 10. Mai 1945 feierten die <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern voll Dankbarkeit<br />
und Freude den Himmelfahrtstag<br />
unter freiem Himmel in den Ruinen<br />
ihrer Mutterhauskirche. Glücklicherweise<br />
war schönes Wetter. Die amerikanischen<br />
Flugzeuge am Himmel<br />
stellten glücklicherweise keine Bedrohung<br />
mehr dar.<br />
Nach diesem Fest ging das<br />
Schutträumen unvermindert weiter.<br />
Bis Pfingsten sollte auch der Schutt<br />
im Mutterhaus und im Lichthof besei-
Prozession<br />
in der<br />
zerstörten<br />
Stadt<br />
Wiederaufbau und neue Wege<br />
tigt werden. Während auch das Pfingstfest bei schönem Wetter am 20. Mai<br />
festlich begangen werden konnte, mussten die Prozessionen am Fronleichnamstag,<br />
dem 31. Mai 1945, um einige Tage verschoben werden. Am Tag<br />
davor hatte ein schwerer Hagel gewütet und unter anderem das Getreidefeld<br />
in Berg am Laim und den Gemüsegarten im Mutterhaus schwer<br />
geschädigt. Nach dem Unwetter setzte starker Dauerregen ein, so dass die<br />
Schwestern, deren Mutterhaus auf der Nordseite immer noch kein Dach<br />
hatte, mit dem Wasserschöpfen kaum mehr nachkamen. Umso erleichterter<br />
war man, <strong>als</strong> am 1. Juni das Wetter wieder schön wurde. Zwei Tage später,<br />
am 3. Juni, fand mit rund 20.000 Teilnehmern in aller Feierlichkeit die<br />
Fronleichnamsprozession in München statt. Sie wurde von den Katholiken<br />
<strong>als</strong> wahrer Triumphzug erlebt. Unendlich groß war die Freude, den Glauben<br />
nach all den dunklen Jahren der nation<strong>als</strong>ozialistischen Herrschaft wieder in<br />
der Öffentlichkeit zeigen zu können.<br />
Wie schon in den letzten Kriegswochen war in den ersten Nachkriegswochen<br />
eine der größten Sorgen des Mutterhauses der Kontakt mit den<br />
auswärtigen Filialen. Besondere Freude herrschte deshalb, <strong>als</strong> die Generaloberin<br />
am 1. Juni endlich die Schwestern und Superior Pfaffenbüchler in<br />
Adelholzen besuchen konnte. Die amerikanische Militärregierung hatte ihr<br />
die Sondergenehmigung erteilt, für notwendige Fahrten das Auto von Berg<br />
am Laim zu benützen. Vorher hatte Prof. Lebsche, der <strong>als</strong> einer der wenigen<br />
sehr schnell sein Auto wieder benützen durfte, für wichtige Fahrten den<br />
Chauffeur gemacht.<br />
Da der Bahn- und Postverkehr immer noch unterbrochen war, konnte<br />
die Verbindung zu den meisten Niederlassungen nur über Boten hergestellt<br />
werden. So dauerte es lange, bis endlich auch zu den weiter entfernten<br />
Niederlassungen wie Bayreuth und Regensburg wieder Kontakt<br />
hergestellt werden konnte. Die größten Sorgen machte man sich um die<br />
215
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
216<br />
beiden Schwestern, die Bischof von Preysing in Berlin den Haushalt führten.<br />
Im Krieg waren sie ausgebombt worden und hatten mehrm<strong>als</strong> ihre<br />
Notunterkünfte wechseln müssen. Schon dam<strong>als</strong> hatte man in München<br />
oft wochenlang nichts mehr von ihnen gehört. Jetzt, nach Kriegsende, blieb<br />
das Mutterhaus mehrere Monate im Ungewissen über ihr Schicksal. Erst im<br />
September kamen beruhigende Nachrichten aus Berlin.<br />
12.2. Sondereinsätze in der unmittelbaren<br />
Nachkriegszeit<br />
Trotz der eigenen Sorgen kümmerten sich die Schwestern um die vielen<br />
Mitmenschen, die gerade in diesen ersten Nachkriegswochen ihre Hilfe<br />
brauchten. Da in München die Nahrungsmittelversorgung sehr mangelhaft<br />
war, herrschte großer Andrang an der Mutterhauspforte, wo die <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern Tee und Suppe für die Hungrigen ausgaben. Diese Notversorgung<br />
nahmen nicht nur Arme in Anspruch, sondern auch Reisende, die<br />
sonst keine Möglichkeit sahen, in München an etwas Essbares zu kommen:<br />
„In der Großstadt war die Beschaffung von Lebensmitteln fast unmöglich, besonders<br />
der Produkte, die täglich frisch vom Lande kamen. In keinem Gasthaus der Stadt<br />
gab es Suppe, Brot etc. Nur bei den <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern in der Nußbaumstraße<br />
gab es warme Suppe, das sprach sich herum. Unsere Pfortenspeisung dehnte sich<br />
nicht nur auf die Armen aus. Es kamen Handwerker und Geschäftsleute und manch<br />
besserer Herr war froh, wenn er eingeladen wurde, an der Pforte Mittag zu machen.<br />
Leute, die am Bahnhof ankamen, fragten gleich nach der Nußbaumstraße, weil sie<br />
in Würzburg oder Nürnberg gehört hatten, dort gäbe es Suppe.“ 169<br />
Auch viele ehemalige Häftlinge aus dem Konzentrationslager in Dachau<br />
kamen an die Pforte und berichteten den erschütterten Schwestern von<br />
ihren Erlebnissen. Keiner konnte am Kriegsende mehr die Augen davor<br />
verschließen, wohin die NS-Ideologie geführt hatte: „Aus den Konzentrationslagern<br />
strömten die Gefangenen heraus, furchtbare Dinge wurden offenbar.“ 170<br />
Kaum einem jedoch wurde das Ausmaß der Grausamkeit in den Lagern<br />
so deutlich vor Augen geführt, wie einigen <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern, die<br />
von den amerikanische Behörden zu Sondereinsätzen bei der Pflege von<br />
ehemaligen KZ-Häftlingen herangezogen wurden.<br />
So mussten die Schwestern der ambulanten Pflegestation in Landsberg auf<br />
Befehl der amerikanischen Behörden die Pflege der schwerkranken Juden<br />
des befreiten KZ Kaufering-Landsberg übernehmen. Der Bürgermeister<br />
war angewiesen worden, für die Pflege der Lagerinsassen Ordensschwestern<br />
ins Lager zu schicken. So machten sich am 29. April 1945 Schwester<br />
M. Betha Blöchl und Schwester M. Reinlinde Rast in Begleitung eines
Wiederaufbau und neue Wege<br />
Arztes, zweier Sanitäter und der Schwester des Bürgermeisters <strong>zum</strong> Lager<br />
auf. Schon der Weg dorthin war sehr beschwerlich, da wegen der Sprengung<br />
der Brücken durch die Deutschen große Umwege gemacht werden<br />
mussten. Schwester M. Betha berichtete später ans Mutterhaus: „Schwester<br />
M. Reinlinde und ich beteten im Stillen ohne Unterlass auf dem Weg dorthin. Wir<br />
fühlten, dass wir vor eine große Aufgabe gestellt wurden. Aber, wie konnten wir<br />
auch nur ahnen, was Schreckliches auf uns wartete.“ 171 Im Lager befanden sich<br />
885 Menschen, darunter an die 300 Schwerkranke. Schwester M. Betha<br />
beschreibt das Krankenrevier, in dem etwa 50 Kranke lagen: „Unvergesslich<br />
bleibt uns der grauenvolle Anblick, unbeschreiblich der Jammer und das Elend, das<br />
uns hier empfing, das Heulen und Schreien der Kranken. Wir fanden hier etwa 50<br />
Kranke, total verkommen und verwahrlost, starr von Schmutz und Läusen, <strong>zum</strong><br />
Skelett abgemagert, in Lumpen gehüllt… Großes Entsetzen befiel uns, <strong>als</strong> wir<br />
die Kranken in solch menschenunwürdigen Unterkünften antrafen.“ Obwohl die<br />
Amerikaner sie eindringlich vor dem im Lager grassierenden Fleckfieber<br />
gewarnt hatten, dachten sie nicht mehr an ihre eigene Gefährdung: „Beim<br />
Anblick all dieses Elends hatten wir all die Gefahren der Ansteckung vergessen. Aber<br />
was waren hier auf diesen ausgedehnten Arbeitsfeldern zwei armselige Schwestern?<br />
Im ganzen Lager kein Tropfen Wasser, kein Licht – Verbandmaterial hatten wir mitgebracht.“<br />
Strömender Regen, der in Schnee überging, erschwerte die Lage<br />
zusätzlich. Einige Tage arbeiteten die beiden Schwestern, im Wechsel mit<br />
zwei weiteren <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern, Schwester M. Jolenta Beyer und<br />
Schwester M. Ursinella Fleischmann, unter unvorstellbar schweren Bedingungen,<br />
um den Kranken und Sterbenden nach ihren Kräften beizustehen.<br />
„Tief beschämte uns die wiederholte Anklage, dass es Deutsche waren, die diese Verhältnisse<br />
zugelassen und geduldet haben. Nun hatten wir Gelegenheit ein wenig gut<br />
zu machen, was andere verbrochen hatten.“ Da auch die Amerikaner einsahen,<br />
dass im Lager keine ordentliche Krankenpflege möglich war, transportierten<br />
sie die Kranken nach und nach in die Landsberger Kaserne. Allerdings war<br />
auch diese völlig überbelegt und in einem jämmerlichen Zustand. Zunächst<br />
fehlten auch hier Strom und Wasser, aber immerhin hatten nun alle ein<br />
Dach über dem Kopf. Die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern blieben hier weiterhin<br />
für die Pflege der Kranken zuständig, unter denen viele an Typhus und<br />
Fleckfieber litten. Während die Schwestern M. Betha und M. Reinlinde<br />
nach einigen Wochen wieder in ihre ambulante Pflegestation zurückkehren<br />
durften, mussten die beiden anderen Schwestern noch bis Anfang August in<br />
der Kaserne durchhalten.<br />
Auch im Krankenhaus Eggenfelden pflegten die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
viele ehemalige KZ-Häftlinge, die dort von den Amerikanern eingewiesen<br />
worden waren. Die meisten von ihnen waren typhuskrank und<br />
befanden sich in einem grauenvollen Allgemeinzustand.<br />
217
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
Sterbezimmer<br />
des<br />
seliggesprochenen<br />
Priesters<br />
Karl Leisner<br />
im Waldsanatorium<br />
bei Planegg<br />
218<br />
Da die Amerikaner<br />
schnell Vertrauen zu den<br />
<strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
gefasst hatten, übertrugen<br />
sie ihnen in vielen<br />
Krankenhäusern<br />
die Pflege der ausländischen<br />
Patienten. Auch<br />
im Münchner Ausländerkrankenhaus<br />
in der<br />
Schwabinger Rümannstraße<br />
waren die Schwestern<br />
tätig. Dieses Haus<br />
war ursprünglich <strong>als</strong> städtisches Altenheim gebaut, aber nach Fertigstellung<br />
<strong>als</strong> Lazarett genutzt worden. Von Juni 1945 bis März 1951 diente es <strong>als</strong> Krankenhaus<br />
der UNRRA (United Nations Relief and Rehabilitation Administration),<br />
einer Organisation der Vereinten Nationen (UNO), die für die so<br />
genannten „displaced persons“ zuständig war. Diese entwurzelten und heimatlos<br />
gewordenen Menschen waren in erster Linie ehemalige KZ-Häftlinge<br />
und Zwangsarbeiter, die nicht mehr in ihre Heimat zurück konnten<br />
oder wollten. Auch der Strom der Flüchtlinge und Vertriebenen aus den<br />
deutschen Ostgebieten stellte für die Schwestern eine große Herausforderung<br />
dar.<br />
Bei der Pflege der vielen typhuskranken KZ-Häftlinge und Flüchtlinge<br />
war es nicht verwunderlich, dass zwischen 1945 und 1947 auch zwölf<br />
<strong>Barmherzige</strong> Schwestern an Typhus starben. 172 Darunter war auch die schon<br />
mehrfach erwähnte Schwester M. Gradulpha Lehnert, die leibliche Schwes-<br />
Die Rettung kam zu spät:<br />
Der selig gesprochene Priester Karl Leisner<br />
Im Waldsanatorium der <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern in Planegg starb am 12.<br />
August 1945 der 1996 selig gesprochene<br />
Priester Karl Leisner (1915-1945). Auch er<br />
war ein Opfer der Nation<strong>als</strong>ozialisten,<br />
die ihn <strong>als</strong> jungen Diakon wegen systemfeindlicher<br />
Äußerungen im November<br />
1939 verhaftet hatten. Ab Dezember<br />
1940 war er im Konzentrationslager<br />
Dachau inhaftiert, wo er im Dezember<br />
1944 geheim und unter schwierigsten<br />
Umständen durch einen inhaftierten<br />
französischen Bischof <strong>zum</strong> Priester<br />
geweiht wurde. Während der Haft verschlechterte<br />
sich sein Gesundheitszustand<br />
zunehmend. Bei der Befreiung<br />
aus dem Konzentrationslager war seine<br />
Tuberkulose schon so weit fortgeschritten,<br />
dass es keine Rettung mehr gab.<br />
Freunde brachten ihn zu den <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern in Planegg, die ihn bis<br />
zu seinem Tod liebevoll pflegten.
ter von Schwester Pascalina, der Haushälterin von Papst Pius XII. Schwester<br />
M. Gradulpha hatte am Städtischen Krankenhaus in Traunstein die Isolierstation<br />
geleitet, bis sie selbst an Typhus erkrankte und im November 1946<br />
verstarb. 173<br />
Auch ohne diese sehr belastenden Sonderaufgaben wären die Schwestern<br />
ausgelastet gewesen. Weiterhin mussten sie, teilweise noch Jahre lang,<br />
die vielen Ausweichkrankenhäuser aufrechterhalten, bis die Kliniken in<br />
München wieder aufgebaut waren. Die Hilfsschwestern der anderen Orden<br />
aber waren für Aufgaben ihrer eigenen Gemeinschaften abgezogen worden.<br />
Auch in München selbst gab es viel zu tun. So arbeiteten die <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern weiterhin im Schwabinger Krankenhaus, das die Amerikaner<br />
beschlagnahmt und <strong>zum</strong> Amerikanischen Hospital umfunktioniert hatten.<br />
Hier waren ein gewisses Maß an Englischkenntnissen und Flexibilität<br />
gefordert.<br />
Die Maria-Theresia-Klinik wurde in der unmittelbaren Nachkriegszeit<br />
<strong>zum</strong> Zentrum der Gesundheitsversorgung in München. Die Amerikaner<br />
hatten dem politisch unbelasteten Chirurgen Prof. Lebsche eine zentrale<br />
Rolle bei der Neuorganisation der Münchner Gesundheitsversorgung eingeräumt.<br />
Seine kleine Privatklinik hatte zudem <strong>als</strong> einziges Krankenhaus<br />
weit und breit die Bombenangriffe unbeschädigt überstanden, wodurch<br />
sie ein wichtiges Auffangbecken für Patienten aus weitem Umkreis wurde.<br />
Viele Operationen wurden hier durchgeführt, die sonst nur in den Universitätskliniken<br />
üblich waren. Für die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern an der Klinik<br />
bedeutete diese Sonderstellung der Klinik und ihres Chefs eine große<br />
Mehrbelastung in der Pflege und Verwaltung.<br />
12.3. Wiederaufbau des Mutterhauses<br />
Wiederaufbau und neue Wege<br />
Die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern gingen mit viel Elan den Wiederaufbau ihres<br />
Mutterhauses an. Im Februar 1946 erhielten sie die Baugenehmigung. Allerdings<br />
erwies sich das Unternehmen wegen der großen Materialknappheit<br />
<strong>als</strong> sehr schwierig. Für alles benötigte man Bezugsscheine. Wegen des großen<br />
Mangels an Nägeln mussten die Schwestern in allen ihren Filialen eine<br />
Nagelsammelaktion durchführen. Hatte man endlich die dringend benötigten<br />
Materialien, musste man sie gut bewachen, damit sie nicht über Nacht<br />
wieder verschwanden.<br />
Dementsprechend groß war die Freude, <strong>als</strong> nach all den Schwierigkeiten<br />
die wieder aufgebaute Mutterhauskirche eingeweiht werden konnte: „Der<br />
Weiße Sonntag (24. April) 1949 wird <strong>zum</strong> Meilenstein in der Geschichte unseres<br />
Ordens und er wird davon zeugen, dass auch die furchtbaren Erschütterungen der<br />
219
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
220<br />
Einweihung<br />
der wiederaufgebautenMutterhauskirche<br />
1949:<br />
Kardinal<br />
von Faulhaber<br />
zieht<br />
mit den<br />
Schwestern<br />
und Superior<br />
Nißl in die<br />
Kirche ein.<br />
vergangenen Jahre das Werk des hl. Vinzenz in unserem Vaterlande nicht zerstören<br />
konnten, sondern dass aus den Ruinen neues Leben blüht.“ 174<br />
1950 wurden auch die Bauarbeiten am Mutterhaus abgeschlossen.<br />
Der seit 1914 amtierende Superior Prälat Pfaffenbüchler durfte den<br />
Abschluss des Wiederaufbaus der Ordenszentrale nicht mehr erleben. Er<br />
verstarb am 3. Februar 1947 in Adelholzen. Zum neuen Superior wurde im<br />
Juli 1947 der Stadtpfarrer von St. Ludwig in München, Karl Nißl, ernannt.<br />
Zusammen mit der beim Generalkapitel im November 1947 wiedergewählten<br />
Generaloberin Schwester M. Castella Blöckl stellte dieser nun die<br />
Weichen für die Zukunft, die zunächst sehr hoffnungsvoll aussah. In den<br />
ersten drei Nachkriegsjahren war die Zahl der Neueintritte erfreulich hoch.<br />
Im Jahr 1947 stieg die absolute Zahl der Ordensschwestern mit dem Eintritt<br />
von 55 Kandidatinnen noch ein letztes Mal auf insgesamt 2645 an. Seit dem<br />
Höchststand von 1938 mit 2837 Mitgliedern war die Zahl kontinuierlich<br />
zurückgegangen. <strong>175</strong> Die Zunahme der Neueintritte unmittelbar nach dem<br />
Krieg lässt sich mit einem gewissen Überhang aus den letzten Kriegsjahren<br />
erklären. Viele junge Frauen hatten ihren Ordenseintritt bis nach Kriegsende<br />
zurückgestellt, meist aus Rücksicht auf ihre Familien, die ihre Mithilfe<br />
beispielsweise in ihrem landwirtschaftlichen Betrieb benötigten. Schon<br />
unmittelbar nach dem Krieg kamen die ersten Anmeldungen. Die Chronik<br />
berichtet von einer Bewerberin aus Aschaffenburg, die sich zu Fuß bzw. per<br />
Anhalter auf den Weg nach München machte. In diesen ersten Nachkriegsjahren<br />
wurden die Einkleidungs- und Professfeiern in St. Michael in Berg<br />
am Laim gefeiert. Groß war die Freude, <strong>als</strong> 1949 diese Feiern in die wieder<br />
aufgebaute Mutterhauskirche zurückverlegt werden konnten. Die erste<br />
Einkleidungsfeier darin fand schon zwei Wochen nach der Einweihung statt.
Das wiederaufgebaute<br />
Mutterhaus<br />
1950. Der<br />
Chor der<br />
Mutterhauskirche<br />
wurde beim<br />
Wiederaufbau<br />
verlängert.<br />
Die neu eingekleideten Novizinnen erhielten die Namen der 21 im Krieg<br />
getöteten Schwestern.<br />
1946 kehrte nach 34 Jahren das Noviziat nach Berg am Laim zurück.<br />
1912 war es von dort für drei Jahre nach Adelholzen verlegt worden. Von<br />
1915 bis 1944 befand es sich im Mutterhaus, wurde aber 1944 wegen der<br />
Fliegerangriffe nach Planegg ausgelagert. Da das Postulatsgebäude zerstört<br />
worden war, wurde auch das Postulat in Berg am Laim untergebracht.<br />
Nach dem „Boom“ von 1947 ging die Zahl der Kandidatinnen allerdings<br />
kontinuierlich zurück. Der Nachwuchsmangel und der damit verbundene<br />
Rückgang der Schwesternzahl machten sich in den folgenden Jahren bereits<br />
bemerkbar und nahm immer größeren Einfluss auf die Entscheidungen der<br />
Ordensleitung.<br />
Pilgerreisen nach Rom im Heiligen Jahr 1950<br />
Im Mai 1950 reiste die Ordensleitung<br />
nach Rom. Schwester M. Berthilia Hidringer<br />
durfte sie begleiten. Schwester<br />
Pascalina Lehnert, die schon mehrm<strong>als</strong><br />
erwähnte Haushälterin des früheren<br />
Nuntius Pacelli, des nun seit 1939 amtierenden<br />
Papstes Pius XII., hatte alles für<br />
einen angenehmen Aufenthalt vorbereitet.<br />
Kardinal von Faulhaber, ebenfalls<br />
gerade in der Ewigen Stadt, empfing<br />
die Delegation und ernannte bei die-<br />
Wiederaufbau und neue Wege<br />
sem Anlass den neuen Superior Karl<br />
Nißl <strong>zum</strong> Prälaten. Höhepunkt des Aufenthalts<br />
war die Audienz beim Heiligen<br />
Vater, der nach wie vor großen Anteil<br />
an der Münchner Kongregation nahm.<br />
Nicht nur die Ordensleitung pilgerte im<br />
Heiligen Jahr nach Rom, sondern auch<br />
eine große Anzahl der Schwestern,<br />
nämlich insgesamt 120, durfte diese<br />
besondere Freude erleben.<br />
221
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
222<br />
12.4. Neue Entwicklungen in Indersdorf und Landshut<br />
Schon kurz nach Kriegsende nahm Superior Pfaffenbüchler Verbindung mit<br />
dem Ordinariat auf, um die Möglichkeit einer Rückkehr der <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern nach Indersdorf zu besprechen. Und tatsächlich sollte diese<br />
bald erfolgen, allerdings unter anderen Bedingungen, <strong>als</strong> die Schwestern sie<br />
erhofft hatten. Anfang Juli wurde die Ordensleitung von der amerikanischen<br />
Besatzungsmacht verständigt, dass das Kloster Indersdorf von der UNRRA<br />
beschlagnahmt worden sei. Es sollten dort ca. 300 Kinder betreut werden,<br />
deren Eltern in den Konzentrationslagern getötet worden waren oder <strong>als</strong><br />
vermisst galten. In Indersdorf sollten sie bleiben, bis sich entweder doch<br />
noch die Eltern meldeten oder eine Adoption zustande kam. Die Amerikaner<br />
ordneten an, das Mutterhaus solle für diese Aufgabe Schwestern zur<br />
Verfügung stellen. So machten sich am 11. Juli 1945 fünf Schwestern auf den<br />
Weg nach Indersdorf. Fünf weitere sollten in Kürze folgen. Die Schwestern<br />
wurden von der Indersdorfer Bevölkerung freudig begrüßt. Immer wieder<br />
hörten sie: „Mei Schwestern, weil’s no wieder da seid’s.“ 176 Die Ordensfrauen<br />
kamen zwar mit ihren amerikanischen Vorgesetzten gut zurecht, konnten<br />
sich aber mit dem Mangel an Ordnung und Erziehung, der in dem Heim<br />
herrschte, nur schwer identifizieren. Als die UNRRA im Sommer 1946 mit<br />
den Kindern nach Prien am Chiemsee umzog, konnten die <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern wieder ins Mutterhaus zurückkehren. Nach dem Abzug der<br />
UNRRA nutzte eine andere Flüchtlingsorganisation der UNO, die IRO<br />
(International Refugee Organization), das Kloster für die Unterbringung<br />
von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, im Alter von 16-26 Jahren.<br />
Diese jungen Menschen waren Vollwaisen, meist jüdischer Abstammung,<br />
die unter der nation<strong>als</strong>ozialistischen Herrschaft Furchtbares erlebt hatten.<br />
Nicht wenige hatten die Ermordung ihrer Eltern mit ansehen müssen und<br />
selbst nur überlebt, weil ihre Arbeitskraft noch ausgebeutet werden sollte.<br />
Ihren Hass und ihre Zerstörungswut ließen sie am Inventar des Klosters aus,<br />
wohl in der irrigen Annahme, es handle sich um NS-Eigentum. Nach ihrem<br />
Abzug im August 1948 ließen sie das Haus völlig verwüstet zurück.<br />
Die Ordensleitung hatte seit Jahren mit dem Eigentümer des Klosters,<br />
dem Freistaat Bayern, Verhandlungen wegen einer erneuten Übernahme<br />
geführt. Allerdings bestand sie darauf, die Niederlassung käuflich zu erwerben.<br />
Auf einen Pachtvertrag wollte man sich nach den Erfahrungen von 1938<br />
nicht mehr einlassen. Gerade angesichts des heruntergekommenen Zustands<br />
und der damit nötigen Investitionen an Geld und Arbeit wollte man nicht<br />
riskieren, bald wieder vor die Tür gesetzt zu werden. Auch der neue Superior<br />
Karl Nißl war <strong>als</strong> gebürtiger Indersdorfer sehr an dem Kauf des Klosters<br />
interessiert. Am 1. August 1949 ging das Kloster schließlich in den Besitz des
Wiederaufbau und neue Wege<br />
Ordens über. Schon<br />
im November 1948<br />
hatten Schwester M.<br />
Ado Ehrensberger und<br />
Schwester M. Sentiana<br />
Kundler die mühevolle<br />
Arbeit übernommen,<br />
das Haus wieder<br />
bewohnbar zu machen.<br />
Bald wurden sie dabei<br />
von der neuen Oberin<br />
Schwester M. Adrama<br />
Kuchler unterstützt.<br />
Nun stand die<br />
Frage im Raum, wie man das Kloster in Zukunft nutzen sollte. Als Erstes<br />
knüpften die Schwestern an die Tradition der Kinderbetreuung an, indem<br />
sie bereits im November 1949 einen Kindergarten eröffneten. Dafür wurden<br />
die Schwestern M. Edhilda Hillenmeyer und M. Humilitas Käsbauer, beide<br />
ausgebildete Kindergärtnerinnen, nach Indersdorf geschickt. Sie beschäftigten<br />
60 Kinder in einem einzigen 90 m² großen Raum unter zunächst<br />
sehr primitiven Bedingungen mit den wenigen zur Verfügung stehenden<br />
Spielsachen und Materialien wie Papier- und Schreinerabfällen.<br />
Auch mit dem Angebot eines Winterkurses für Landfrauen, der ebenfalls<br />
im November 1949 begann, nahm der Orden eine seit Ende 1922<br />
in Indersdorf gepflegte Tradition wieder auf. Bis zu ihrem unfreiwilligen<br />
Abzug 1938 hatten die Schwestern jeweils von November bis April Winterkurse,<br />
bei entsprechender Nachfrage zusätzlich auch noch dreimonatige<br />
Sommerkurse angeboten.<br />
Auch in Adelholzen hatte der Orden 1930 mit solchen Kursen begonnen,<br />
zunächst nur für den eigenen Ordensnachwuchs, dann auch für Nichtordensangehörige.<br />
Diese Kurse wurden schon 1933 wieder eingestellt, nach<br />
dem Krieg noch einmal von 1946 – 1949 aufgenommen.<br />
Zweck dieser Kurse, die auch bereits <strong>als</strong> Haushaltungsschule bezeichnet<br />
wurden, war laut einem Prospekt aus Indersdorf, „katholische Mädchen<br />
aus bäuerlichen Familien … zu pflichtgetreuen christlichen Hausfrauen und sachverständigen<br />
Landwirtinnen heranzubilden“. 177 Auch wenn dies für heutige<br />
Ohren recht antiquiert klingen mag, so waren doch bei genauerem Hinsehen<br />
die Unterrichtsinhalte, besonders was den Ernährungs- und Gesundheitsbereich<br />
anbelangte, schon erstaunlich fortschrittlich. Neben den <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern übernahmen auch weltliche Fachlehrkräfte einen Teil<br />
des Unterrichts.<br />
Schwester<br />
M. Adelgunde<br />
Flier mit<br />
ukrainischen,<br />
kroatischen<br />
und französischenKleinkindern<br />
beim<br />
UNRRA-<br />
Einsatz in<br />
Indersdorf<br />
1946<br />
223
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
224<br />
Vorübergehend stellte der Orden in seinem Indersdorfer Kloster ab Januar<br />
1951 Räume für die katholische Landvolkshochschule für Frauen zur Verfügung.<br />
Diese Initiative zur Erwachsenenbildung der ländlichen Bevölkerung<br />
ging von Weihbischof Johannes Neuhäusler aus und wurde von Organisationen<br />
wie dem Frauenbund und dem Bauernbund, aber auch von staatlicher<br />
Seite unterstützt. 1953 wurde diese erste katholische Volkshochschule in<br />
Oberbayern in das neu gebaute Haus auf dem Petersberg verlegt.<br />
Nach Abzug der Volkshochschule baute der Orden den Bereich der<br />
Hauswirtschaftsschule weiter aus. Ende 1952 richtete er eine einjährige<br />
Hauswirtschaftliche Berufsschule in Indersdorf ein. Gedacht war diese für<br />
14- bis 17-jährige Mädchen, die unmittelbar nach ihrer Schulentlassung mit<br />
dem einen Jahr in der Hauswirtschaftsschule ihre Berufsschulpflicht ableisten<br />
und die Zugangsberechtigung zu verschiedenen Ausbildungsberufen<br />
wie Kinderpflegerin, Krankenschwester oder Säuglingsschwester erwerben<br />
konnten. Die zunächst noch parallel dazu fortbestehenden Landfrauenkurse,<br />
die sich an 18- bis 25-jährige Frauen richteten, wurden nach einiger Zeit<br />
wegen mangelnder Nachfrage wieder eingestellt. Die einjährige Hauswirtschaftsschule<br />
dagegen erfreute sich über mehrere Jahrzehnte einer großen<br />
Resonanz. Erst 1984 gab der Orden seine Indersdorfer Hauswirtschaftsschule<br />
endgültig auf, da seit Beginn der 1980er Jahre die Anmeldungen stark<br />
zurückgingen.<br />
Als noch zukunftsweisender <strong>als</strong> die Einrichtung der Berufsfachschule für<br />
Hauswirtschaft sollte sich ein anderer Weg erweisen, den die Schwestern<br />
auf Anraten des Erzbischöflichen Ordinariats von München und Freising<br />
bei ihrem Neubeginn in Indersdorf beschritten. Während die Schwestern<br />
noch darüber nachdachten, ob man in der Tradition der alten Marienanstalt<br />
ein Heim für die vielen Kriegs- und Flüchtlingswaisen einrichten oder<br />
Schwester M. Amanda<br />
Padberg beim<br />
Kochunterricht in der<br />
Haushaltungsschule<br />
Indersdorf in den<br />
1950er Jahren. Eine<br />
der Schülerinnen<br />
(3. von links) wurde<br />
später selbst <strong>Barmherzige</strong><br />
Schwester:<br />
Schwester M. Felana<br />
Stichlmair arbeitet<br />
heute in der ambulanten<br />
Station in<br />
Oberstdorf.
Wiederaufbau und neue Wege<br />
das Kloster lieber <strong>als</strong> Erholungs- und<br />
Exerzitienhaus nutzen sollte, trat das<br />
Schulreferat des Ordinariats mit dem<br />
Vorschlag an die Kongregation heran,<br />
eine im Landkreis Dachau dringend<br />
benötigte Mittelschule zu eröffnen.<br />
Eine allgemeinbildende weiterführende<br />
Schule stellte für den Orden<br />
trotz seiner Erfahrungen mit Landfrauen-,<br />
Näh- und Krankenpflegekursen<br />
völliges Neuland und somit<br />
eine große Herausforderung dar. Da<br />
die Kongregation nach Möglichkeit<br />
mit ihren eigenen Schwestern <strong>als</strong><br />
Lehrpersonal arbeiten wollte, mussten<br />
zunächst geeignete Schwestern<br />
gefunden und zu Lehrerinnen ausgebildet<br />
werden. Die Entscheidung für die Re<strong>als</strong>chule in Indersdorf erforderte<br />
viel Mut, einen hohen Einsatz an finanziellen Mitteln und vor allem viel<br />
Engagement der dort eingesetzten <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern. Doch es sollte<br />
sich lohnen: Indersdorf wurde zu einem wichtigen Bildungszentrum im<br />
Dachauer Land.<br />
Die lange Zeit an der Re<strong>als</strong>chule <strong>als</strong> Lehrerin und Direktorin tätige<br />
Schwester M. Borromäa Raabe, eine profunde Kennerin der Geschichte des<br />
Klosters Indersdorf, beschreibt den anstrengenden Alltag der Lehrschwestern:<br />
„30 Wochenstunden und mehr bei Klassenstärken von oft über 40 Schülerinnen<br />
– dazu Mithilfe im Internat und während der Ferien auch kräftig in Haus und<br />
Garten. Da mussten die Holzfußböden abgespänt, eingelassen, gebohnert werden,<br />
ohne Maschinen versteht sich! … Außer Klassenstöbern, Schränke auswischen und<br />
Möbeltragen gab es für uns noch andere „Ferienjobs“: Caritasverband und Kreisjugendring<br />
haben viele Jahre dafür gesorgt, dass wir den Umgang mit Kindern nicht<br />
verlernten.“ 178 Erst Anfang der 1980er Jahre gaben die Schwestern diese<br />
zusätzlichen Betreuungsangebote während der Ferien auf, da die Schwestern<br />
nicht mehr die Jüngsten waren und die Schulferien zur Erholung brauchten.<br />
Doch <strong>als</strong> sie 1987 das Internat endgültig aufgaben, stellten sie die Internatsräume<br />
drei weitere Jahre verschiedenen Gruppen preiswert zur Verfügung.<br />
Auch nach 1990 blieb das Kloster Indersdorf ein offenes Haus. Bis zu ihrem<br />
Abzug 1995 gewährten die Schwestern hier Menschen in Ausnahmesituationen<br />
Unterkunft. So nahmen sie zwei Jahre lang 25 Asylbewerber auf. Auch<br />
bei besonderen Anlässen wie dem Kirchentag und dem Taizé-Treffen in<br />
München stellten sie Räume zur Verfügung.<br />
Erdkundeunterricht<br />
bei<br />
Schwester<br />
M. Borromäa<br />
Raabe an der<br />
Re<strong>als</strong>chule<br />
Indersdorf<br />
(1962)<br />
225
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
226<br />
Das Engagement des Ordens in Indersdorf trug reiche Früchte. Die Mädchenre<strong>als</strong>chule<br />
erlangte schnell einen hervorragenden Ruf. Durch die staatliche<br />
Bildungsoffensive in den 70er Jahren wuchs die Zahl der Schülerinnen<br />
stetig an. Die Re<strong>als</strong>chule nahm immer mehr Raum ein. So waren die nach der<br />
Schließung der Berufsfachschule und des Internats frei gewordenen Räume<br />
schnell wieder belegt. Eine Erweiterung und Modernisierung der Schule<br />
war unabdingbar. Zudem drängte die Öffentlichkeit schon längst darauf, die<br />
Schule auch für Buben zu öffnen. Angesichts des fortgeschrittenen Alters<br />
der in Inderdorf tätigen Schwestern und des allgemeinen Nachwuchsmangels<br />
in der Kongregation entschloss sich die Ordensleitung im Interesse<br />
der Zukunftssicherung der Einrichtung, die Trägerschaft <strong>zum</strong> 1. September<br />
1987 an das Katholische Schulwerk der Erzdiözese abzugeben.<br />
Ende der 80er Jahre kaufte der Landkreis für die Schule den ehemaligen<br />
Klostermeierhof an. In den folgenden Jahren folgten Sanierung und Ausbau<br />
des denkmalgeschützten Anwesens. Nach dieser Erweiterung konnte im<br />
Herbst 1992 die Öffnung der Mädchenre<strong>als</strong>chule für Buben realisiert werden.<br />
Die Schwestern halfen auch nach Abgabe der Trägerschaft weiterhin<br />
nach Kräften mit. Im August 1995 jedoch ging die Geschichte der <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern im Kloster Indersdorf endgültig zu Ende. Schweren<br />
Herzens verließen sie diesen Ort, an dem sie seit 1856 gewirkt hatten. Sie<br />
hinterließen eine gut funktionierende, allgemein anerkannte Re<strong>als</strong>chule, die<br />
wesentlich zur Bereicherung der Bildungslandschaft des Dachauer Landkreises<br />
beiträgt.<br />
Den Kindergarten in Indersdorf, der aus den bescheidenen Anfängen<br />
von 1949 längst zu einer modernen Vorzeigeeinrichtung geworden ist, führte<br />
die Kongregation noch einige Jahre weiter. Zum 1. Januar 2003 übergab<br />
sie ihn an das Franziskuswerk in Schönbrunn.<br />
Marienanstalt in Landshut<br />
Auch in der Marienanstalt in Landshut übernahm der Orden in der Nachkriegszeit<br />
selbst die Trägerschaft. 179 Der Grund dafür war die miserable<br />
finanzielle Lage der Anstalt. In der Kriegs- und Besatzungszeit herrschte<br />
große Not im Kinderheim. Das alte Modell der Finanzierung durch den<br />
Marienverein erwies sich <strong>als</strong> nicht mehr tragfähig. Mit den zur Verfügung<br />
stehenden Mitteln konnte kaum noch der Betrieb, geschweige denn die<br />
dringend anstehende Sanierung finanziert werden. Um die Zukunft des<br />
Kinderheims zu sichern, entschloss sich die Kongregation, die Trägerschaft<br />
selbst zu übernehmen. Nachdem der Marienverein dem Orden die<br />
Anstalt per Schenkung <strong>zum</strong> 1. Januar 1953 übertragen hatte, machte sich
dieser an die notwendigen Um- und Ausbauten. Auch in den 1960er Jahren<br />
wurde kräftig weitergebaut. So entstand 1966 ein neues Säuglingsheim<br />
für Kinder bis sechs Jahren und nach der Auflösung der Landwirtschaft an<br />
der Stelle der Ökonomiegebäude u. a. ein neuer Kindergarten. Waren im<br />
Heim vor dem Krieg 50 Kinder und während des Krieges an die 90 Kinder<br />
untergebracht worden, konnten nun nach den Umbauten ca. 140 Kinder<br />
betreut werden. Um die Einrichtung trotz Schwesternmangels weiterhin zu<br />
erhalten, schenkten die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern ihr 1973 in St. Vinzenz<br />
umbenanntes Kinderheim <strong>zum</strong> 1. Januar 2002 dem Caritasverband Landshut.<br />
Die Schwestern blieben allerdings auch unter dem neuen Träger dort<br />
tätig. Heute sind noch fünf <strong>Barmherzige</strong> Schwestern in der Einrichtung im<br />
Einsatz.<br />
12.5. Krankenhäuser und Altenheime<br />
in eigener Trägerschaft<br />
„Notkrankenhaus“ Adelholzen<br />
Wiederaufbau und neue Wege<br />
Nicht nur die wichtigsten Einsatzorte der Kinder- und Jugendpflege der<br />
<strong>Barmherzige</strong>n Schwestern, die Einrichtungen in Indersdorf und Landshut,<br />
übernahm der Orden in eigener Trägerschaft, auch im Bereich der Krankenpflege<br />
ist eine ähnliche Entwicklung zu beobachten. Das erste ordenseigene<br />
Krankenhaus eröffnete das Mutterhaus im Jahr 1946 in dem im selben Jahr<br />
<strong>als</strong> Bad anerkannten Adelholzen. 180 Die Idee der Ordensleitung, im Kurhaus<br />
ein Krankenhaus für Innere Medizin einzurichten, bedeutete jedoch noch<br />
Links: Die<br />
alte Marienanstalt<br />
in<br />
Landshut<br />
Rechts: Das<br />
Kinderheim<br />
in Landshut<br />
in den<br />
1960er<br />
Jahren<br />
227
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
228<br />
keine bewusste Weichenstellung, in Zukunft eigene Krankenhäuser zu führen,<br />
sondern war aus der Not der unmittelbaren Nachkriegszeit entstanden.<br />
So konnten die Ordensleitung und Kardinal von Faulhaber die Beschlagnahmung<br />
des Kurhauses durch die Amerikaner nur dadurch verhindern,<br />
dass das in der Kriegszeit eingerichtete Lazarett <strong>als</strong> Krankenhaus weitergeführt<br />
wurde. Nach Schließung des Lazaretts Ende August 1945 begannen<br />
die nötigen Umbau- und Renovierungsarbeiten, in einer Zeit knapper<br />
Baumaterialien kein leichtes Unterfangen. Schon im Juni 1946 konnten die<br />
ersten Patienten aufgenommen werden. Da das Wasser der Primusquelle<br />
für seine Heilkraft bei Stoffwechselkrankheiten bekannt war, setzte man<br />
den entsprechenden Schwerpunkt und ließ das Krankenhaus 1947 unter<br />
der Bezeichnung „Stoffwechselkrankenhaus Bad Adelholzen“ ins Handelsregister<br />
eintragen. Obwohl sich das Kurhaus trotz der Umbauten für ein<br />
modernes Krankenhauses wenig eignete, blieb das Notkrankenhaus wegen<br />
seiner Beliebtheit bei Patienten und einweisenden Ärzten, aber auch wegen<br />
des großen Bettenmangels in der Nachkriegszeit bis <strong>zum</strong> 1. April 1969 in<br />
Betrieb. Lange Zeit war das Krankenhaus nicht einmal an die öffentliche<br />
Wasserversorgung angeschlossen, sondern deckte seinen Bedarf mit dem<br />
Wasser der Primusquelle. Nachdem in Traunstein und Trostberg zwei große<br />
neue Krankenhäuser entstanden waren und der Orden in Ruhpolding selbst<br />
einen Krankenhausbau plante, entschloss sich die Ordensleitung zur Schließung<br />
des Adelholzener Krankenhauses, <strong>zum</strong>al dort schon längst eine Sanierung<br />
anstand. Nach der Renovierung wurde Adelholzen 1970 <strong>als</strong> Fortbildungs-<br />
und Exerzitienhaus wiedereröffnet.<br />
Maria-Theresia-Klinik<br />
Auch die Entscheidung, mit dem Kauf der Maria-Theresia-Klinik die Trägerschaft<br />
für ein weiteres Krankenhaus zu übernehmen, traf die Ordensleitung<br />
weniger aus dem Wunsch nach mehr ordenseigenen Krankenhäusern<br />
<strong>als</strong> vielmehr aus dem Bestreben, die Zukunft der Klinik zu sichern. 181 Der<br />
Orden wollte mit dem Kauf der chirurgischen Privatklinik am Bavariaring<br />
im Jahr 1952 das Lebenswerk des kinderlosen Prof. Lebsche erhalten. Um die<br />
Klinik zukunftsfähig zu machen, ließ die Kongregation in den Jahren 1952<br />
und 1953 die notwendig gewordenen umfangreichen Sanierungsarbeiten<br />
durchführen. Durch einen großzügigen Anbau wurde die Kapazität des<br />
Hauses verdoppelt. Auch unter dem neuen Träger leitete Prof. Lebsche die<br />
Klinik weiterhin wie gewohnt. Erst nach seinem Tod im Jahr 1957 ging die<br />
Verwaltung des Hauses in die Hände des Mutterhauses über. Für die ärztliche<br />
Leitung konnten die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern Prof. Dr. Karl Tauber <strong>als</strong>
neuen Chefarzt gewinnen.<br />
Auch unter Prof.<br />
Tauber blieb der Ruf der<br />
Klinik ausgezeichnet.<br />
Nach seinem Tod im Jahr<br />
1974 entschloss sich das<br />
Mutterhaus, die bereits<br />
wieder fällige Modernisierung<br />
der Klinik in<br />
Angriff zu nehmen. Um<br />
den gestiegenen Komfortbedürfnissen<br />
der<br />
Patienten, aber auch dem<br />
technischen Fortschritt in Haus- und Medizintechnik gerecht zu werden,<br />
musste eine umfassende Renovierung vorgenommen werden. Ein für die<br />
Klinikerweiterung angekauftes Nachbarhaus in der Güllstraße wurde durch<br />
einen kostenintensiven unterirdischen Tunnel unter der Straße mit dem<br />
Stammhaus verbunden. Da ein Klinikbetrieb unter diesen Umständen nicht<br />
mehr möglich gewesen wäre, musste das Haus 1975 für eineinhalb Jahre<br />
geschlossen werden. Eine solche Klinikschließung war ein großes Risiko,<br />
aber bei der Wiedereröffnung des Hauses 1977 zeigte sich, dass sowohl die<br />
Patienten <strong>als</strong> auch die einweisenden Ärzte der Klinik treu geblieben waren.<br />
Auch unter dem neuen Chefarzt Prof. Dr. Alfred Schaudig, einem Spezialisten<br />
für Herzschrittmacherimplantationen, florierte die Klinik weiter. Nach<br />
seinem Abschied übertrug die Kongregation die Leitung zwei Chefärzten.<br />
Seit 1995 bzw. seit 1997 bestimmen Dr. Michael Zimmermann und Prof.<br />
Dr. Dr. Tomas F. Hoffmann die Geschicke der Klinik maßgeblich mit.<br />
In den Jahren 2001-2003 erfolgte erneut eine Sanierung des Hauses.<br />
Weil eine Schließung nicht möglich war, musste der Umbau bei laufendem<br />
Klinikbetrieb weiterlaufen, eine sehr strapaziöse Zeit, die dank des Einsatzes<br />
der Mitarbeiter gemeistert werden konnte.<br />
Krankenhaus Vinzentinum<br />
Wiederaufbau und neue Wege<br />
Mitte der 1960er Jahre suchte die Gemeinde Ruhpolding einen neuen Träger<br />
für ihr völlig veraltetes Gemeindekrankenhaus. 182 Dem neuen Träger<br />
sollte das alte Gebäude unentgeltlich überlassen werden unter der Auflage,<br />
innerhalb der nächsten fünf Jahre ein neues Krankenhaus zu errichten. Verhandlungen<br />
der Gemeinde mit anderen potentiellen Trägern wie dem Roten<br />
Kreuz, Caritas und auch den am alten Krankenhaus tätigen Mallersdorfer<br />
Die Maria-<br />
Theresia-<br />
Klinik<br />
nach dem<br />
Umbau in<br />
den 1970er<br />
Jahren<br />
229
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
Das KrankenhausVinzentinum<br />
in<br />
Ruhpolding<br />
230<br />
Schwestern waren an der<br />
mit dem Geschenk verbundenen<br />
hohen finanziellen<br />
Belastung für den<br />
Neubau gescheitert. Die<br />
<strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
nahmen schließlich<br />
die Schenkung des<br />
Gemeindekrankenhauses<br />
samt eines Grundstückes<br />
von 11.000 m² <strong>zum</strong> 1.<br />
Januar 1966 an. Da der<br />
neue Bau mit Rücksicht<br />
auf Landschafts- und Ortsbild nicht hoch werden durfte, war ein großer<br />
Baugrund nötig. Deshalb kaufte der Orden Nachbargrundstücke auf, so<br />
dass ein Grund von 20.000 m² für den Neubau zur Verfügung stand. Nach<br />
Abriss des alten Krankenhauses ließ die Kongregation einen Neubau in<br />
Atriumbauweise errichten. Das „Vinzentinum“ der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
konnte am 1. Februar 1971 bezogen werden.<br />
Das neue Ruhpoldinger Krankenhaus wurde wie das kurz vorher aufgelassene<br />
Adelholzener Krankenhaus ein Krankenhaus für Innere Medizin.<br />
Hinter den Kreiskliniken in Traunstein und Trostberg ist es das drittgrößte<br />
Krankenhaus im Landkreis Traunstein. Nach einer Überflutungskatastrophe<br />
im August 1991 wurde es gründlich saniert und den modernen Erfordernissen<br />
angepasst.<br />
Krankenhaus Neuwittelsbach<br />
1885 hatte der Geheimrat Dr. Rudolf von Hößlin eine Kuranstalt eröffnet,<br />
die 1914 in die Stiftung „Kuranstalt Neuwittelsbach R. von Hößlin’sche<br />
Stiftung“ umgewandelt und ab 1932 <strong>als</strong> „Klinik für Innere Krankheiten“<br />
geführt wurde. 183 Bei Luftangriffen wurde die Klinik Anfang Januar 1945<br />
zerstört. Von 1948 bis 1951 betrieb die Stiftung <strong>als</strong> Ersatz das „Kurhaus<br />
Brendel“ in Tutzing, um sich schließlich 1957 aufzulösen. Das Stiftungsvermögen<br />
ging an die Rotkreuzschwestern in München.<br />
Das Ruinengrundstück an der Renatastraße im Stadtbezirk Neuhausen-<br />
Nymphenburg hatte die Stiftung bereits im März 1947 an die Kongregation<br />
der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern verkauft. Zur Arrondierung kauften die<br />
Schwestern noch weitere Nachbargrundstücke in der Romanstraße und<br />
begannen im November 1970 mit dem Bau einer weiteren ordenseigenen
Fachklinik für Innere<br />
Medizin. Im Mai 1973<br />
wurde das neue Krankenhaus<br />
Neuwittelsbach an<br />
der Ecke Romanstraße/<br />
Renatastraße von Kardinal<br />
Döpfner eingeweiht.<br />
Einzigartige Besonderheiten<br />
im Raum München<br />
sind heute die<br />
Rheuma-Tagklinik des<br />
Krankenhauses und eine<br />
Ganzkörper-Kältekammer<br />
zur Schmerzlinderung.<br />
Auch das Krankenhaus Neuwittelsbach wurde durch Sanierungsmaßnahmen<br />
immer wieder auf den modernsten Stand gebracht. So fanden<br />
Umbaumaßnahmen von 1994 bis 1998 statt. 2005 konnte der Abschluss<br />
einer weiteren Sanierung, bei der unter anderem die Fenster und die Fassade<br />
erneuert wurden, gefeiert werden.<br />
Den Bau der neuen ordenseigenen Krankenhäuser in Ruhpolding und<br />
München kann man <strong>als</strong> Teil einer neuen Ordensstrategie ab den 1960er<br />
Jahren sehen. Zu einer Zeit, <strong>als</strong> ein sich verschärfender Nachwuchsmangel<br />
bereits dazu geführt hatte, dass sich die Schwestern aus Niederlassungen<br />
zurückziehen mussten, entschied sich die Ordensleitung dafür, eigene Häuser<br />
zu bauen, in denen in der Zukunft die Kräfte konzentriert werden sollten.<br />
Eine weitere Folge dieser Richtungsentscheidung war der Bau von<br />
Altenheimen.<br />
Altenheime in Teisendorf und Ruhpolding<br />
Wiederaufbau und neue Wege<br />
Das erste öffentliche Altenheim der Kongregation entstand in Teisendorf. 184<br />
Schon seit der Eröffnung des Teisendorfer Krankenhauses im Jahr 1905<br />
waren dort <strong>Barmherzige</strong> Schwestern tätig. In den 60er Jahren entsprach das<br />
alte Haus längst nicht mehr den Anforderungen moderner Krankenpflege.<br />
Staatliche Zuschüsse für einen Krankenhausneubau wurden der Gemeinde<br />
verweigert, da die Regierung von Oberbayern keinen Bedarf mehr für ein<br />
Krankenhaus in der Region sah. Wie Ruhpolding machte nun auch die<br />
Gemeinde Teisendorf den <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern das Angebot, ihnen das<br />
alte Gemeindekrankenhaus samt Grundstück unentgeltlich zu überlassen.<br />
Anders <strong>als</strong> in Ruhpolding sollte der Orden aber <strong>als</strong> Gegenleistung ein moder-<br />
Das KrankenhausNeuwittelsbach<br />
nach<br />
der letzten<br />
Sanierung<br />
2005<br />
231
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
Das Alten-<br />
und Pflegeheim<br />
St.<br />
Adelheid in<br />
Ruhpolding<br />
232<br />
nes Altenheim errichten.<br />
Die Ordensleitung<br />
erklärte sich einverstanden<br />
und so kam<br />
im November 1966<br />
der Schenkungsvertrag<br />
zustande. Nach dem<br />
Abriss des Krankenhauses<br />
begannen schon<br />
bald die Arbeiten und<br />
im August 1968 konnte<br />
das neue Alten- und<br />
Pflegeheim St. Elisabeth<br />
eingeweiht werden.<br />
Da sich in den letzten Jahrzehnten die Anforderungen an ein Altenheim<br />
stark gewandelt haben, entschloss sich die Kongregation, das Haus im Jahr<br />
2000 nach gerade mal 30 Jahren abzureißen und einen Neubau zu errichten,<br />
der die zeitgemäße Seniorenbetreuung ermöglicht. Während der Bauzeit<br />
wurden die Bewohner vorübergehend in Wohncontainern beim Schwesternheim<br />
St. Vinzenz in Inzell untergebracht. Groß war die Freude, <strong>als</strong> die<br />
Bewohner am 1. Juli 2001 zurückkehren und die neue Seniorenwohnanlage<br />
mit Pflegeheim St. Elisabeth beziehen konnten. Im neuen Gebäude<br />
sind sowohl Betreutes Wohnen <strong>als</strong> auch stationäre Voll- und Kurzzeitpflege<br />
sowie Tagespflege möglich.<br />
Als der Orden in Ruhpolding das Krankenhaus Vinzentinum baute,<br />
errichtete er gleichzeitig auch das Alten- und Pflegeheim St. Adelheid. 185<br />
Der Orden hatte dem Ruhpoldinger Verkehrsverein das Altenheim Dr.<br />
Barth abgekauft und Nachbargrundstücke erworben, um das neue Haus<br />
zu bauen. Als das Vinzentinum in den 1990er Jahren saniert wurde, wurde<br />
auch die notwendig gewordene Modernisierung des Alten- und Pflegeheim<br />
durchgeführt.<br />
Altenheime in Berg am Laim, Unterhaching, Planegg und Alzing<br />
In Berg am Laim hatte das Mutterhaus schon im 19. Jahrhundert, <strong>als</strong> die erste<br />
Generation der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern alt geworden war, ein Altenheim<br />
für die eigenen Schwestern. In den 1950er Jahren zeichnete sich ab, dass die<br />
dortigen Räumlichkeiten nicht ausreichen würden, wenn die vielen zur Blütezeit<br />
zwischen 1895 und 1930 eingetretenen Schwestern das Ruhestandsalter<br />
erreichen würden. Die Ordensleitung fasste deshalb 1963 den Beschluss,
Wiederaufbau und neue Wege<br />
in Unterhaching ein<br />
neues Schwesternaltenheim<br />
zu bauen. 186 Nach<br />
dem Abriss einiger baufällig<br />
gewordener Ökonomiegebäude<br />
entstand<br />
dort eine großzügige<br />
Anlage für 150 Schwestern.<br />
Das neue Heim,<br />
das nach der Ordensheiligen<br />
Katharina Labouré<br />
benannt wurde, konnte<br />
1967 bezogen werden.<br />
Da damit der wachsende<br />
Bedarf noch nicht gedeckt war und die Räumlichkeiten in Berg<br />
am Laim den Anforderungen nicht mehr entsprachen, wurde an diesem<br />
wichtigen Ordensstandort in den Jahren zwischen 1977 und 1982 ebenfalls<br />
ein neues Altenheim errichtet. 1970 war der landwirtschaftliche Betrieb in<br />
Berg am Laim aufgegeben worden, so dass alle Ökonomiegebäude abgerissen<br />
und an ihrer Stelle der Neubau des Alten- und Pflegeheims St. Michael<br />
gebaut werden konnte. Das große moderne Gebäude wurde zwar mit<br />
einem Architekturpreis ausgezeichnet, erregte aber bei der Bevölkerung<br />
wegen der unmittelbaren Nähe zur Michaelskirche, eines prächtigen Rokoko-Bauwerks,<br />
zunächst etwas Unmut.<br />
Als in Planegg der Sanatoriumsbetrieb eingestellt wurde, wurde auch<br />
dieses Haus im Jahr 1985 zu einem Altenheim für die Schwestern umgebaut.<br />
187 Zusätzlich wurde 1989 noch das Schwesternheim St. Hildegard in<br />
Alzing, Gemeinde Siegsdorf,<br />
nahe bei Adelholzen,<br />
für die Ruhestandsschwestern<br />
eröffnet. 188<br />
Nun hatte man<br />
genügend Platz für die<br />
Ruhestandsschwestern<br />
geschaffen, ja es zeichnete<br />
sich schon in den<br />
90er Jahren ab, dass<br />
bald wieder Kapazitäten<br />
in den ordenseigenen<br />
Altenheimen frei würden.<br />
Inzwischen waren<br />
Das Schwesternheim<br />
St.<br />
Katharina<br />
Labouré in<br />
Unterhaching<br />
Das<br />
Alten- und<br />
Pflegeheim<br />
St. Michael<br />
in Berg am<br />
Laim (Luftbild<br />
Anfang<br />
der 1980er<br />
Jahre)<br />
233
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
234<br />
bereits viele <strong>Barmherzige</strong> Schwestern, die in den Boomzeiten der Kongregation<br />
beigetreten waren, verstorben. Der Rückgang seit den 1940er Jahren<br />
begann sich nun auch bei der Zahl der in den Ruhestand kommenden<br />
Schwestern auszuwirken. Deshalb beschloss die Ordensleitung, die Häuser<br />
in Berg am Laim, Unterhaching und Planegg <strong>als</strong> öffentliche Alten- und<br />
Pflegeheime ausweisen zu lassen. In den letzten Jahren nutzen vermehrt<br />
zivile Bewohner die Möglichkeit, in diesen Heimen ihren Lebensabend zu<br />
verbringen. Eine Besonderheit der Häuser in Berg am Laim und Unterhaching<br />
ist, dass hier alt gewordenen Mitgliedern fremder Orden, die über<br />
keine eigenen Altenheime verfügen, die Möglichkeit eröffnet wurde, ein<br />
gemeinschaftliches Leben zu führen.<br />
Von den ordenseigenen Altenheimen ist heute nur noch das Schwesternheim<br />
St. Hildegard in Alzing den eigenen Schwestern vorbehalten.<br />
12.6. Eigene Berufsfachschulen für Pflegeberufe<br />
Wie schon erwähnt, hatte die Kongregation bereits seit den 1920er Jahren<br />
eine staatlich anerkannte ordenseigene Schule für Krankenpflege, in der<br />
sie ihren eigenen Schwesternnachwuchs ausbildete. 189 Da das Postulatsgebäude<br />
in der Blumenstraße, in der die Schule untergebracht war, bei den<br />
Luftangriffen im 2. Weltkrieg zerstört worden war, wurde die Schule ab<br />
1948 in das Mutterhaus verlegt. Seit 1970 ruht diese Schule aus Mangel an<br />
Nachwuchs.<br />
Schon ab 1910 hatten die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern zudem die städtische<br />
Krankenpflegeschule am Schwabinger Krankenhaus bzw. nach deren<br />
Verlegung ab 1946 bis 1959 am Krankenhaus rechts der Isar geleitet, an der<br />
sowohl eigene Schwestern <strong>als</strong> auch freie Schwestern ausgebildet wurden.<br />
In der Nachkriegszeit wurde bald deutlich, dass die <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern den großen Bedarf an Pflegekräften nicht mehr allein würden<br />
decken können. Beim Jahresschluss 1957 arbeiteten in den immerhin<br />
noch 150 Niederlassungen der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern neben den 2295<br />
Ordensschwestern bereits 846 weltliche Schwestern. 190 Ihr Anteil betrug<br />
demnach bereits 36%. Auf Anregung des Ordens wurden an einigen der<br />
kommunalen Krankenhäuser, in denen die Ordensschwestern tätig waren,<br />
Krankenpflegeschulen für die Ausbildung von freien Schwestern eröffnet.<br />
Lehrschwestern der Kongregation übernahmen den Unterricht und meist<br />
auch die Leitung an diesen Schulen.<br />
Zudem entschloss sich die Ordensleitung, selbst eine Krankenpflegeschule<br />
für katholische freie Schwestern zu gründen. Als Bauplatz wählte der<br />
Orden wegen seiner günstigen Lage zu den Innenstadtkliniken das Rui-
nengrundstück in der Thalkirchner<br />
Straße, auf dem bis<br />
zu seiner Zerstörung durch<br />
Bomben im Januar 1945 das<br />
„Maria-Regina-Stift“ gestanden<br />
hatte. Nach dem Ankauf<br />
weiterer benachbarter Ruinengrundstücke<br />
begannen<br />
die Bauarbeiten. Anfang 1959<br />
konnte der Neubau bezogen<br />
werden und im März begann<br />
bereits der erste Kurs. Die<br />
praktische Ausbildung sollte<br />
in den Innenstadtkliniken und<br />
in der ordenseigenen Maria-<br />
Theresia-Klinik durchgeführt<br />
werden. Da viele weltliche<br />
Schwestern eine Unterkunft in München suchten, bauten die Schwestern<br />
auch noch ein Schwesternwohnheim, das 1962 eingeweiht werden konnte.<br />
Wurden zunächst nur katholische Schwesternschülerinnen aufgenommen,<br />
ist die Zulassung inzwischen unabhängig von der Konfession. In der<br />
seit 1980 <strong>als</strong> Berufsfachschule für Krankenpflege Maria Regina bezeichneten<br />
Schule hatte zunächst der Orden die Leitung und den Großteil der<br />
Lehrschwestern gestellt. Heute sind an der Schule ausschließlich weltliche<br />
Lehrkräfte tätig.<br />
Zusammen mit dem Krankenhausbetrieb eröffneten die <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern im Jahr 1971 in Ruhpolding auch eine Berufsfachschule für<br />
Krankenpflegehilfe. Diese einjährige Ausbildung ermöglicht Hauptschülern,<br />
ausgebildete Krankenpflegehelfer/innen zu werden und zugleich<br />
Aschaffenburg (1954 – 1969)<br />
Bamberg (1957 – 1980)<br />
Altötting (1957 – 1987)<br />
Landshut (1953 – 1975)<br />
Neumarkt Opf. (1960 – 1981)<br />
Schongau (1958 – 1980)<br />
Traunstein (1960 – 1981)<br />
Donauwörth (1964 – 1967)<br />
Wiederaufbau und neue Wege<br />
Kommunale Krankenpflegeschulen, an denen <strong>Barmherzige</strong><br />
Schwestern unterrichteten 191<br />
Krankenhaus Schwabing (1910 – 1964)<br />
Krankenhaus Mü. r.d.I. (1946 – 1959)<br />
Kreiskrankenhaus Eggenfelden<br />
(1972 – 1973)<br />
Auch an der Krankenpflegeschule der<br />
<strong>Barmherzige</strong>n Brüder in Regensburg<br />
unterrichteten <strong>Barmherzige</strong> Schwestern<br />
1959 – 1976.<br />
Die Schwestern<br />
M.<br />
Jonilla<br />
Pühringer<br />
und M. Vinzentia<br />
Moll<br />
(von links)<br />
begrüßen<br />
neue Schülerinnen<br />
der<br />
Berufsfachschule<br />
Maria<br />
Regina<br />
(1966)<br />
235
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
<strong>Barmherzige</strong><br />
Schwestern<br />
an der Primusquelle<br />
in Adelholzen<br />
in<br />
den 1950er<br />
Jahren<br />
236<br />
die Zugangsvoraussetzungen zur Ausbildung <strong>als</strong> Krankenschwester oder<br />
Krankenpfleger zu erwerben. Nachdem der Orden 1979 den Schulbetrieb<br />
für mehr <strong>als</strong> ein Jahrzehnt eingestellt hatte, eröffnete er 1991 die Schule<br />
wieder.<br />
1995 gründeten die Schwestern eine weitere Schule in Ruhpolding, die<br />
Berufsfachschule für Altenpflege. Beide Schulen befinden sich in einem<br />
Nebengebäude des Alten- und Pflegeheims St. Adelheid.<br />
12.7. Adelholzener Alpenquellen – Ausbau des Betriebs<br />
In der Zeit nach dem 2. Weltkrieg vollzog sich eine bemerkenswerte Entwicklung<br />
in dem einzigen rein gewerblichen Betrieb der <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern, dem Adelholzener Brunnenbetrieb. 192 Durch die Bereitschaft<br />
der Ordensleitung, immer wieder die nötigen, oft sehr hohen Investitionen<br />
zu tätigen, um die Füllanlagen auf den neuesten Stand der Technik<br />
zu bringen, und durch die Anpassung der Produktpalette an die sich verändernden<br />
Kundenwünsche blieb das Unternehmen nicht nur konkurrenzfähig,<br />
sondern erlangte eine führende Position unter den deutschen<br />
Brunnenbetrieben.<br />
In der unmittelbaren Nachkriegszeit hatte der Betrieb zunächst ebenso<br />
wie die Konkurrenzbetriebe Probleme, genügend Glasflaschen zu bekommen.<br />
Millionen Glasflaschen waren während des Krieges zu Bruch gegangen<br />
oder zweckentfremdet worden. Es dauerte, bis die Glasproduktion den<br />
Bedarf wieder decken konnte. Die<br />
Produktion von Limonade wurde<br />
erschwert, weil es an Zucker und<br />
Essenzen dafür fehlte. Treibstoffmangel<br />
erschwerte den Vertrieb. Dennoch<br />
gelang es den Schwestern, 1945 und<br />
1946 Produktion und Vertrieb sowohl<br />
von Wasser <strong>als</strong> auch von Brause aufrecht<br />
zu erhalten. In den folgenden<br />
von Not geprägten Nachkriegsjahren<br />
ging der Absatz durch den weitgehenden<br />
Wegfall der Limonadenproduktion<br />
zurück. Die Vorräte an Zucker<br />
und Essenzen für die Brauseproduktion<br />
waren inzwischen weitgehend<br />
aufgebraucht. Erst 1950, <strong>als</strong> die Limonadenproduktion<br />
wieder in groß-
Wiederaufbau und neue Wege<br />
em Umfang einsetzte, begann der<br />
Aufschwung. Der Adelholzener<br />
Brunnenbetrieb wurde Mitglied in<br />
dem bayerischen Verband „Brunnengebiet<br />
Bayern“, dem noch 14<br />
andere Betriebe angehörten, und<br />
beteiligte sich an der Genossenschaft<br />
Deutscher Brunnen. Die<br />
deutschen Betriebe hofften, durch<br />
Zusammenarbeit, vor allem durch<br />
gemeinsame Werbekampagnen, der<br />
übermächtigen amerikanischen<br />
Konkurrenz besser gewachsen zu<br />
sein. Gemeinsam vertrieben sie vor allem die neu entwickelte Orangenlimonade<br />
„Raspa“, die intensiv beworben wurde. Obwohl die Schwestern<br />
über die Werbekampagne nicht immer glücklich waren, entschlossen sie<br />
sich schließlich zur Produktion. Während der Vertrieb dieser Limonade in<br />
Deutschland insgesamt nicht besonders erfolgreich lief, konnte Adelholzen<br />
den Vertrieb von „Raspa“ bis 1964 ständig steigern. In den 60er Jahren<br />
entwickelte Adelholzen mit „Primella“ eine eigene Limonade. Ein Erfolg<br />
wurde auch die erste kalorienreduzierte Limonade „bleib in form“, die<br />
Adelholzen bis heute im Sortiment hat. Der Brunnenbetrieb profitierte vom<br />
Wirtschaftswunder der Nachkriegsjahrzehnte, aber auch von dem Geschick<br />
einer fähigen Geschäftsführung. Kurat Haslberger, der sich viele Jahrzehnte<br />
äußerst umsichtig und vorausschauend um die ökonomischen Belange kümmerte,<br />
hatte rechtzeitig die fähige Schwester M. Iphigenia Insam, die in den<br />
60er Jahren die Geschäftsführung übernahm, <strong>als</strong> Nachfolgerin aufgebaut.<br />
Die Geschäftsleitung erkannte früh, dass die Zukunft weniger im Bereich<br />
des Tafel- und Heilwassers <strong>als</strong> vielmehr im Bereich der gesüßten Getränke<br />
liegen würde. Außerdem sah sie, dass die Produktionsbedingungen ständig<br />
den neuesten technischen Möglichkeiten angepasst werden mussten. So war<br />
1960, immerhin 30 Jahre nach der letzten Modernisierung der Füllerei, die<br />
Investition in eine neue Anlage dringend geboten. Nachdem der Einbau der<br />
damaligen neuesten Technik erfolgt war, konnte die Produktion verdoppelt<br />
werden. Mit dem sich in den kommenden Jahrzehnten immer schneller<br />
vollziehenden technischen Fortschritt sollten die Abstände bis zur nächsten<br />
Modernisierung immer kürzer werden.<br />
Ein entscheidender Schritt erfolgte 1970, <strong>als</strong> sich der Orden entschloss,<br />
eine großzügige neue Produktionsanlage im Tal unterhalb des Kurhauses<br />
zu errichten. Mit der neuen Anlage, mit der wiederum eine Verdopplung<br />
der Produktion möglich war, wurde endgültig die Industrialisierung des<br />
Schwester<br />
M. Iphigenia<br />
Insam,<br />
Generalökonomin<br />
1966 – 1987<br />
237
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
Die Produktionsstätte<br />
des Brunnenbetriebs<br />
vor 1970<br />
Die Füllerei<br />
in den<br />
1960er<br />
Jahren<br />
238<br />
Betriebs vollzogen. Auch<br />
in der Verwaltung fand<br />
eine Umstrukturierung<br />
statt. Zur Unterstützung<br />
von Schwester M. Iphigenia,<br />
die in ihrer Funktion<br />
<strong>als</strong> Generalökonomin der<br />
Kongregation auch noch<br />
zahlreiche andere Aufgaben<br />
hatte, wurde <strong>als</strong><br />
weltlicher Betriebsleiter<br />
Vero Kriesche eingestellt.<br />
Die Großzügigkeit der neuen Anlage war auf weiteren Zuwachs in der<br />
Zukunft angelegt und durchaus nicht risikofrei. Doch die Verkaufszahlen<br />
stiegen weiter, obwohl inzwischen das Wirtschaftswachstum in Deutschland<br />
seit der Ölkrise 1973 gebremst worden war und die Zahl der Arbeitslosen<br />
anstieg. Schon 1973 war mit der Füllung von 30 Millionen Flaschen im<br />
Jahr die Kapazität der Anlage voll ausgeschöpft. Gerade rechtzeitig vor dem<br />
Jahrhundertsommer von 1976 mit Hitzerekorden wurde die bereits beim<br />
Bau der neuen Produktionsstätte geplante zweite Abfüllanlage eingerichtet.<br />
Nun waren weitere 40.000 Füllungen pro Stunde möglich.<br />
Der steigende Wasserbedarf konnte mit den bisher genutzten Quellen<br />
nicht mehr gedeckt werden, deshalb musste eine 5 km entfernte Quelle<br />
im Bergener Moos erschlossen und über eine Leitung mit dem Betrieb<br />
verbunden werden.<br />
Und laufend gingen die Anpassungen an die modernste Technik weiter.<br />
1986 wurde zur 1700-Jahr-Feier von Adelholzen eine weitere Füllanlage in<br />
Betrieb genommen. Die inzwischen drei Füllanlagen erreichten nun schon<br />
eine Kapazität von über 100.000 Flaschen in der Stunde. Kaum war die<br />
neue Anlage installiert,<br />
kam es im Jahr 1987 zu<br />
einer großen Krise der<br />
Mineralwasserwirtschaft.<br />
Ausgelöst worden war<br />
diese durch einen Artikel<br />
in der Zeitschrift „natur“,<br />
in dem davor gewarnt<br />
wurde, Mineralwasser zu<br />
trinken, da die Werte<br />
für Natrium und Nitrat<br />
in vielen Fällen teils
Wiederaufbau und neue Wege<br />
weit über den Grenzwerten<br />
lägen und somit<br />
ein Gesundheitsrisiko<br />
darstellten. Eine große<br />
Verunsicherung bei den<br />
Verbrauchern und erhebliche<br />
Umsatzeinbrüche<br />
bei vielen Brunnenbetrieben<br />
waren die Folgen.<br />
Der Adelholzener Primusquelle<br />
schadete diese<br />
Diskussion jedoch nicht,<br />
sondern führte im Gegenteil zu einer enormen Umsatzsteigerung, weil das<br />
Adelholzener Wasser <strong>als</strong> eines der natriumärmsten Wasser in den Testberichten<br />
ausdrücklich <strong>als</strong> besonders empfehlenswert bezeichnet wurde. So konnte<br />
die Füllmenge von 144 Millionen Flaschen im Jahr 1986 auf über 200<br />
Millionen im Jahr 1988 gesteigert werden. Damit stieß die Primusquelle<br />
schon wieder an ihre Kapazitätsgrenzen und eine erneute Erweiterung war<br />
unumgänglich. Die Installation weiterer Anlagen oder Maschinen reichte<br />
dieses Mal nicht aus, es musste wie 1971 ein Neubau, das Werk II, in Angriff<br />
genommen werden.<br />
Das Jahr 1989 markiert den Beginn einer neuen Ära der Adelholzener<br />
Primusquelle. Schwester M. Iphigenia, maßgeblich an der Entwicklung<br />
der Primusquelle von einer kleinen Füllerei zu einem großen, modernen<br />
Brunnenbetrieb beteiligt, schied im Alter von 80 Jahren endgültig aus der<br />
Geschäftsleitung aus. Ihre Nachfolge trat Schwester M. Theodolinde Mehltretter<br />
an. Zudem wurden mit dem Bau des Werks II, den Schwester M.<br />
Iphigenia noch auf den Weg gebracht hatte, die Weichen für das kommende<br />
Jahrzehnt gestellt. Die neue computergestützte Anlage war zusammen mit<br />
den Technikern des Betriebes entwickelt und somit die Steuerungs- und<br />
Prozessüberwachung den besonderen Firmenbedürfnissen angepasst worden.<br />
Im Dezember 1989 wurde das neue Werk von Erzbischof Friedrich<br />
Kardinal Wetter feierlich eingeweiht. Mit zwei unabhängigen Füllanlagen<br />
war die Flexibilität des Betriebs entscheidend erhöht worden.<br />
Mit dem kostenintensiven Neubau war der Orden durchaus ein hohes<br />
Risiko eingegangen. Nur wenn es gelingen würde, den Umsatz zu steigern<br />
oder <strong>zum</strong>indest auf dem erreichten Stand zu halten, wäre das neue<br />
Werk rentabel. Die letzten Jahrzehnte hatte man sich daran gewöhnt, dass<br />
die Füllmengen von Jahr zu Jahr stetig anstiegen. Dementsprechend groß<br />
war der Schock, <strong>als</strong> die Primusquelle 1993, erstm<strong>als</strong> seit 30 Jahren, einen<br />
leichten Rückgang der Füllmengen zu verzeichnen hatte. Die Stagnation<br />
Betriebsgebäude<br />
der<br />
AdelholzenerAlpenquellen<br />
GmbH<br />
239
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
240<br />
traf nicht nur den Adelholzener Betrieb, sondern die gesamte Mineralwasserbranche,<br />
da eine weitgehende Sättigung des Marktes erreicht war. Die<br />
kleine Krise von 1993 hatte der Ordensleitung das Risiko der bisherigen<br />
Rechtsform der Firma bewusst gemacht. Zum 1. Januar 1994 wurde deshalb<br />
der Brunnenbetrieb Adelholzener Primusquelle in eine GmbH umgewandelt,<br />
in die Adelholzener Alpenquellen GmbH mit Sitz in München und<br />
Zweigniederlassung in Siegsdorf. Ein Aufsichtsrat, in dem Schwestern aus<br />
der Ordensleitung und Fachleute aus der Wirtschaft vertreten sind, übt die<br />
Kontrolle aus. Infolge der GmbH-Gründung haftet nun der Orden nicht<br />
mehr unbeschränkt mit seinem gesamten Vermögen, sondern nur noch<br />
mit dem dafür angelegten Stammkapital. Den Vorsitz der Geschäftsführung<br />
übernahm Schwester M. Theodolinde Mehltretter, die auch für die Personalabteilung<br />
zuständig war. Vero Kriesche übernahm die Geschäftsführung<br />
für den Bereich Produktion und Technik, Franz Demmelmair für das Ressort<br />
Finanzen und Verwaltung. Die Firmenverwaltung, die immer noch im<br />
Kurhaus untergebracht war, zog nun in das neue Firmengebäude um.<br />
1994 erfolgte die Zertifizierung des Qualitätsmanagements des Betriebes<br />
nach DIN ISO 9001.<br />
Doch, um auf dem gesättigten und hart umkämpften deutschen Getränkemarkt<br />
weiterhin konkurrenzfähig zu bleiben, mussten Ordensleitung und<br />
Geschäftsführung des Betriebs in den nächsten Jahren neue Ideen entwickeln<br />
und sehr flexibel auf veränderte Verbraucherwünsche reagieren.<br />
Als Erstes setzte die Firmenleitung auf die Entwicklung neuer Produkte.<br />
Es zeigte sich ein neuer Trend in der Branche, Mineralwasser mit Fruchtsäften<br />
zu mischen. Auch in Adelholzen schloss man sich diesem Trend mit der<br />
Reihe „Adelholzener PLUS“ an und brachte 1995 eine Apfelschorle auf<br />
den Markt. Als sich diese <strong>als</strong> großer Erfolg erwies, erweiterte der Betrieb<br />
diese Reihe durch rote Schorlen, die ebenfalls großen Anklang fanden.<br />
Aber nicht nur bei der Erweiterung des Produktsortiments musste die<br />
Firmenleitung flexibel auf neueste Entwicklungen reagieren, sondern auch<br />
bei den Verpackungen. Mitte der 90er Jahre kamen neue PET-Kunststoffflaschen<br />
auf den Markt. Die in den 70er und 80er Jahren in der deutschen<br />
Mineralwasserwirtschaft fast ausschließlich benutzte, genormte 0,7-Liter-<br />
Perlen-Einheitsglasflasche wurde immer mehr verdrängt. Die Ordensleitung<br />
stand den Kunststoffflaschen zunächst äußerst skeptisch gegenüber. Auf keinen<br />
Fall wollte man damit die gute Umweltbilanz des Unternehmens oder<br />
das Image der Adelholzener Getränke <strong>als</strong> hochwertige und gesundheitsfördernde<br />
Getränke gefährden. Aus Verantwortung für den Betrieb und seine<br />
Mitarbeiter musste jedoch auch an die Konkurrenzfähigkeit gedacht werden<br />
und so konnte man den Trend zur PET-Flasche nicht einfach ignorieren.<br />
Allerdings war zunächst noch nicht absehbar, ob sich die Kunststoffflasche
Wiederaufbau und neue Wege<br />
wirklich würde durchsetzen können. Deshalb entschlossen sich Ordens-<br />
und Betriebsleitung mit der Installation einer kleinen PET-Füllanlage mit<br />
einer stündlichen Füllkapazität von 16.000 Liter im Jahr 1997 zu einem<br />
„sanften“ Einstieg. Der Trend zu Kunststoffflasche hielt nicht nur an, sondern<br />
es kam in den folgenden Jahren zu einem wahren Boom. Die Adelholzener<br />
Alpenquellen zogen aus dieser Entwicklung Konsequenzen und ließen<br />
2002 und 2004 neue PET-Mehrweganlagen installieren. Dabei gingen sie<br />
einen neuen, zukunftsweisenden Weg. Als einer der ersten Brunnenbetriebe<br />
arbeiteten sie bei der Abfüllung mit der Reinraumtechnik, durch die ein<br />
aseptisches Klima im Füllraum geschaffen wird, das den Bedingungen in<br />
einem OP-Saal vergleichbar ist und die Abfüllung von Fruchtsaftgetränken<br />
ohne Konservierungsmittel ermöglicht. Auch in Bezug auf die Flaschengrößen<br />
zeigten sich die Adelholzener einfallsreich. So erschlossen sie sich<br />
mit den 0,5-l-PET-Flaschen unter dem Label „Die Leichten für unterwegs“<br />
einen neuen Markt. Eine Idee der Brauereien aufgreifend, führten sie teilbare<br />
Getränkekästen für einen Teil ihrer Produkte ein.<br />
Schwer tat sich die Ordensleitung zunächst mit ihrer Zustimmung zu<br />
dem Einstieg in das PET-Einwegsystem. Die großen Discounter, die die<br />
Logistikprobleme bei der Rücknahme der Pfandflaschen vermeiden wollten,<br />
übten zunehmend Druck auf die Getränkehersteller aus, auch Einwegsysteme<br />
anzubieten. Nach langen Diskussionen befürwortete die Ordensleitung<br />
die Installierung einer ersten Einweganlage im Jahr 2000. Allerdings sollte<br />
in den Einwegflaschen keines der traditionellen Getränke der Adelholzener<br />
angeboten werden. Da sowohl der Markt für Mineralwasser <strong>als</strong> auch für<br />
Schorlen stark durch jeweilige regionale Anbieter besetzt und nahezu gesättigt<br />
war, sollte für die Einwegflasche, die auf dem ganzen deutschen Markt<br />
vertrieben werden sollte, ein neues Produkt entwickelt werden. In den USA<br />
war die Idee entwickelt worden, Wasser mit zusätzlichem Sauerstoff anzureichern.<br />
Die Geschäftsführung gab ein wissenschaftliches Gutachten in Auftrag,<br />
das klären sollte, ob durch diese Sauerstoffanreicherung tatsächlich eine<br />
gesundheitsfördernde Wirkung nachgewiesen werden könne. Erst nachdem<br />
die Wissenschaftler dies bestätigt hatten, genehmigte die Ordensleitung den<br />
Einstieg in die Produktion von sauerstoffangereicherten Erfrischungsgetränken,<br />
die unter dem Namen ACTIVE 02 zunächst <strong>als</strong> sauerstoffangereichertes<br />
Wasser, nach dessen Erfolg auch in verschiedenen Geschmacksrichtungen<br />
auf den Markt kamen. Als besonders pfiffig erwies sich für diese<br />
neuartigen Getränke, die mit dem Image von Sportlichkeit und Jugendlichkeit<br />
beworben werden, der so genannte Sportslock-Verschluss, ein neuer,<br />
nur mit einer Hand zu öffnender Trinkverschluss.<br />
Diese so genannte „Sport Linie“ wurde 2003 durch die „Fitness Linie“<br />
(kohlensäurefreie und kalorienarme Getränke) ergänzt. Inzwischen gehören<br />
241
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
242<br />
Inbetriebnahme einer<br />
neuen PET-Einweganlage<br />
im Jahr 2005:<br />
Schwester M. Theodolinde<br />
Mehltretter mit<br />
Pater Leopold Mader<br />
OFMConv (rechts) und<br />
Volker Kronseder vom<br />
Anlagenbauer Krones<br />
zu der Produktpalette von ACTIVE 02 auch die Reihen „Active Fresh“<br />
und „Active Live“. Diese kohlensäurefreien und diätetischen Getränke sind<br />
von der 2003 per Gesetz eingeführten Pfandpflicht ausgenommen.<br />
Auch wenn die Bedeutung der klassischen Perlenglasflasche durch die<br />
neuen Kunststoffflaschen erheblich eingeschränkt wurde, wurde sie in Adelholzen<br />
doch nicht ganz verdrängt. Neben den PET-Einwegflaschen mit<br />
einem Anteil von 17,7% und den PET-Mehrwegflaschen mit einem Anteil<br />
von 33,6% im Jahr 2005 spielt die klassische Glasflasche nach wie vor eine<br />
große Rolle.<br />
Früher war der Betrieb äußerst zurückhaltend mit Werbung umgegangen.<br />
Um konkurrenzfähig zu bleiben, hielt die Unternehmensleitung Mitte<br />
der 90er Jahre den Ausbau der Werbemaßnahmen für unumgänglich. Die<br />
Unternehmensleitung mit Geschäftsführerin Schwester M. Theodolinde<br />
Mehltretter ging dabei mutig neue Wege. Da die Werbung im Fernsehen<br />
von Fachleuten <strong>als</strong> besonders effektiv angesehen wird, entschied man sich für<br />
Werbespots im Bayerischen Fernsehen. Schwester M. Theodolinde scheute<br />
sich nicht, sich selbst dafür zur Verfügung zu stellen. Welchen Stellenwert die<br />
Werbung inzwischen einnimmt, zeigt das neu geschaffene Ressort Marketing<br />
und Vertrieb unter der Leitung eines weiteren Geschäftsführers, Stefan<br />
Hoechter. Früher beschränkte sich die Werbung weitgehend auf das Absatzgebiet<br />
Südbayern mit Schwerpunkt München. Dort fahren schon seit Anfang<br />
der 70er Jahre die städtischen Busse und Straßenbahnen mit Adelholzener<br />
Werbung. Nachdem Ende der 90er Jahre die fränkischen Brunnenvertriebe,<br />
entgegen früherer Gepflogenheit, auch auf den südbayerischen Absatzmarkt<br />
drängten, beschloss die Unternehmensleitung, nun ebenfalls die Werbung<br />
auf ganz Bayern auszudehnen. Besonders wichtig war es in den letzten Jahren<br />
geworden, sich von der Konkurrenz durch ganz individuelle Produkte
Wiederaufbau und neue Wege<br />
und Flaschenformen abzuheben und ein einheitliches Erkennungszeichen<br />
für alle Firmenprodukte mit hohem Wiedererkennungswert zu entwickeln.<br />
Dies ist den Adelholzener Alpenquellen sehr gut gelungen mit dem Bild der<br />
Berge, die die Reinheit des Wassers assoziieren sollen.<br />
Die neuen Unternehmensstrategien erwiesen sich <strong>als</strong> äußerst erfolgreich:<br />
Inzwischen ist Adelholzen der Marktführer in Bayern für Mineralwasser,<br />
Heilwasser, Schorle und kalorienarme Erfrischungsgetränke. Deutschlandweit<br />
zählt der Betrieb zu den führenden Anbietern für „Wasser mit<br />
Geschmack“ und im Segment Schorle. Ja, mit den neuen, voll im Trend<br />
der Zeit liegenden Produkten in der Einwegflasche gelang den Adelholzener<br />
Alpenquellen sogar die Erschließung internationaler Absatzmärkte. Seit<br />
2002 exportiert das Unternehmen nicht nur in europäische Länder wie<br />
die Schweiz, Österreich, Italien, Irland und Luxemburg, sondern auch nach<br />
Japan, Südkorea und in die Vereinigten Arabischen Emirate. Mit der neuen,<br />
2005 installierten vollaseptischen PET-Einweganlage mit einer Füllleistung<br />
von stündlich 30.000 Flaschen betreiben die Adelholzener Alpenquellen die<br />
weltweit größte Abfüllanlage für sauerstoffangereicherte Getränke. Zuletzt<br />
wurde im Juni 2007 eine neue PET-Einweganlage eröffnet.<br />
Für die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern stellte sich mit wachsendem Erfolg<br />
ihres Brunnenbetriebs immer mehr die Frage, wie ein auf Gewinnmaximierung<br />
angelegtes Wirtschaftsunternehmen <strong>zum</strong> Selbstverständnis ihres<br />
Ordens passt. Die Ordensleitung entwickelte im Rahmen dieser Diskussionen<br />
eine Unternehmensphilosophie, die bei allen Entscheidungen <strong>zum</strong><br />
Tragen kommen soll.<br />
Die Ordensleitung muss Sorge dafür tragen, dass das Unternehmen,<br />
das schon längst zu der wichtigsten Einnahmequelle des Ordens und zu<br />
einem der wichtigsten Arbeitgeber im Chiemgau geworden ist, wirtschaftlich<br />
„gesund“ bleibt. Deshalb werden von den Gewinnen der Adelholzener<br />
Alpenquellen zuallererst die für die Zukunft des Betriebs nötigen Investitionen<br />
getätigt. Die Entscheidungen der Unternehmensleitung müssen aus<br />
Verantwortung gegenüber den rund 420 Mitarbeitern immer auch unter<br />
dem unternehmerischen Aspekt getroffen werden. Die für neue Investitionen<br />
nicht benötigten Gewinne aber verwendet der Orden nicht nur zur<br />
Finanzierung der eigenen karitativen Werke, sondern fördert damit auch<br />
ordensfremde soziale Einrichtungen und Projekte. Zur Unternehmensphilosophie<br />
gehört außerdem, dass neben Kundenzufriedenheit und Gewährleistung<br />
von Qualitätsprodukten auch die Zufriedenheit der Mitarbeiter ein<br />
zentrales Anliegen bleiben muss. Während in vielen anderen Firmen schon<br />
längst alle Zusatzleistungen gestrichen worden sind, zeugen in Adelholzen<br />
weiterhin freiwillige soziale Leistungen, beispielsweise die kostengünstige<br />
Versorgung in der Betriebskantine mit biologischem Essen aus den eige-<br />
243
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
244<br />
nen Landwirtschaften, von einem sozial verantwortlichen Umgang mit den<br />
eigenen Mitarbeitern.<br />
Nicht nur mit den Mitarbeitern, auch mit der Umwelt will man verantwortungsvoll<br />
umgehen. Der Umweltschutz hat in Adelholzen bereits<br />
eine lange Tradition. Schon Anfang der 70er Jahre wurde eine eigene Kläranlage<br />
für den Betrieb gebaut. Bei der Expansion des Werks in den 90er<br />
Jahren gelang es durch eine eigene Umweltstrategie, den Verbrauch von<br />
Wasser und Energie zu senken, Müll zu reduzieren und Reinigungsmittel<br />
möglichst sparsam zu verwenden. Ein großer Teil des Mülls wird recycelt,<br />
durch Kraft-Wärme-Kopplung wird Energie besonders effizient genutzt.<br />
Schon 1997 legte das Unternehmen <strong>als</strong> eines der ersten in der Branche eine<br />
Umwelterklärung nach dem EG-Öko-Audit ab, verbunden mit regelmäßigen<br />
Validierungen in den folgenden Jahren. Für ihr besonderes umweltpolitisches<br />
Engagement erhielt der Betrieb im Jahr 2004 die „Staatsmedaille<br />
für Umwelt und Gesundheit“ des Bayerischen Umweltministeriums.<br />
*
Kapitel 13<br />
Neue Herausforderungen<br />
für den Orden in einer<br />
säkularisierten Gesellschaft<br />
13.1. Nachwuchsmangel: Ursachen und Folgen<br />
Die Geschichte der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern nach dem 2. Weltkrieg kann<br />
man durchaus <strong>als</strong> eine Erfolgsgeschichte sehen. Der Orden hatte durch hohe<br />
Eintrittszahlen viele arbeitsfähige Schwestern, die in zahlreichen kommunalen<br />
und staatlichen sozialen Einrichtungen Dienst leisteten. Die Anzahl<br />
der ordenseigenen Häuser erhöhte sich stark und deren Entwicklung verlief<br />
sehr positiv. Der einzige rein gewerbliche Betrieb, die Adelholzener Alpenquellen<br />
GmbH, entwickelte sich von einem kleinen Brunnenbetrieb mit<br />
Handfüllapparaten zu einem international agierenden Getränkehersteller<br />
mit Produktionsanlagen, in denen modernste Technik eingesetzt wird.<br />
Karte von den<br />
Niederlassungen<br />
der Kongregation zu<br />
Beginn der 1950er<br />
Jahre<br />
245
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
Entwicklung<br />
der Zahl<br />
der Kandidatinnen<br />
von 1828 bis<br />
2007<br />
246<br />
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In der Gesellschaft genießen die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern Respekt<br />
und Ansehen. Der Staat honorierte das hohe soziale Engagement der Kongregation<br />
mehrfach durch die Verleihung von Verdienstorden an die jeweiligen<br />
Generaloberinnen. Und dennoch sah sich der Orden schon seit den<br />
Anfangsjahren der Bundesrepublik Deutschland mit einem Problem konfrontiert,<br />
das alle Erfolge überschattete und die Zukunft des Ordens immer<br />
mehr in Frage stellen sollte: der Nachwuchs blieb zunehmend aus.<br />
Schon in der ersten Hälfte der 50er Jahre fielen die jährlichen Eintritte<br />
unter 30, in der zweiten Hälfte unter 20. Das Problem des Nachwuchsmangels<br />
wurde immer deutlicher. Ab Mitte der 60er Jahre erfolgte ein noch<br />
größerer Einbruch. Jetzt traten nur noch ein bis zwei junge Frauen jährlich<br />
ein. In den 70er Jahren gab es erstm<strong>als</strong> Jahre, in denen kein Eintritt zu verzeichnen<br />
war. In den 80er Jahren waren Eintritte nur noch die Ausnahme<br />
und seit 1988 gab es überhaupt keinen Neuzugang mehr. 193<br />
Was waren die Ursachen für den Rückgang des Nachwuchses?<br />
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Einige der oben genannten gesellschaftlich bedingten Faktoren, die früher<br />
einen Ordenseintritt für eine junge Frau attraktiv gemacht hatten, fielen<br />
im Nachkriegsdeutschland weg, da sich seit den 60er Jahren die Rahmenbedingungen<br />
grundlegend änderten. Als Frauenkongregation waren die<br />
<strong>Barmherzige</strong>n Schwestern insbesondere von der Veränderung des Rollenbildes<br />
der Frau betroffen. Auch Frauen wurde nun das Recht auf eine gute<br />
Ausbildung und die Ausübung eines Berufes zugestanden. Durch die Bildungsreform<br />
in den 70er Jahren wurde dieses Recht auch für Mädchen aus<br />
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Neue Herausforderungen für den Orden in einer säkularisierten Gesellschaft<br />
unteren Schichten in reale Chancen umgesetzt. Nun standen Frauen immer<br />
mehr Berufe offen, mit denen sie ihren Lebensunterhalt sichern konnten<br />
und durch die sozialen Sicherungssysteme auch für den Fall von Krankheit<br />
und Alter versorgt waren.<br />
Mit dem Wandel der äußeren Rahmenbedingungen ging gleichzeitig<br />
ein grundlegender Wertewandel in der Gesellschaft einher. Alte Tugenden<br />
wie Pflichterfüllung und Gehorsam wurden auf dem Hintergrund, welche<br />
verheerende Rolle sie beim Funktionieren des NS-Staates gespielt hatten,<br />
immer mehr hinterfragt. Auch christliche Werte wie Demut und Nächstenliebe<br />
schienen nicht mehr in eine Zeit zu passen, in der die Selbstverwirklichung<br />
des Individuums <strong>als</strong> oberstes Ziel propagiert wurde.<br />
Und wie waren die traditionellen Ordensgelübde von Gehorsam, Armut<br />
und Keuschheit mit den neuen Wertvorstellungen zu vereinbaren? Immer<br />
mehr Bürger forderten die demokratischen Prinzipien nicht nur in der<br />
Politik, sondern auch in der Gesellschaft ein. Die in vielen Gesellschaftsbereichen,<br />
beispielsweise in den Schulen und in den Kirchen, noch vielfach<br />
vorhandenen autoritären Strukturen wurden zunehmend in Frage gestellt.<br />
Gehorsam <strong>als</strong> Wert an sich erschien fragwürdig und nicht vereinbar mit der<br />
Selbstbestimmung des Menschen. In der Wohlstandsgesellschaft aufgewachsene<br />
Menschen, die an ein bestimmtes Konsumverhalten gewöhnt waren,<br />
konnten auch das Gelübde der Armut immer schwerer nachvollziehen. Erst<br />
recht galt dies für das Gelübde der Keuschheit. Seit der sexuellen Revolution<br />
der 60er Jahre konnten mit diesem Begriff viele überhaupt nichts mehr<br />
anfangen. An die Stelle einer früheren Leibfeindlichkeit und Verteufelung<br />
der Sexualität trat nun das andere<br />
Extrem einer völligen Enttabuisierung<br />
und einer starken Überbetonung<br />
der Bedeutung der Sexualität.<br />
Der bewusste Verzicht auf das Ausleben<br />
der Sexualität, den es in der<br />
Geschichte in allen Kulturen gegeben<br />
hat und der meist mit Respekt<br />
Ewige<br />
honoriert wurde, wurde nun vielfach<br />
<strong>als</strong> geradezu naturwidrig angesehen.<br />
Der Einfluss der Kirchen auf<br />
Politik und Gesellschaft wurde in<br />
den letzten Jahrzehnten zurückgedrängt.<br />
Die Gesellschaft entwickelte<br />
sich immer mehr zu einer säkularisierten<br />
Gesellschaft. Immer weniger<br />
junge Menschen wachsen heute in<br />
Profess von<br />
Schwester<br />
M. Katharina<br />
Blümlhuber,<br />
dem jüngsten<br />
Mitglied<br />
der Kongregation,<br />
vor<br />
Superior<br />
König im<br />
Jahr 1992<br />
247
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
248<br />
einer christlich geprägten Umgebung auf. Falls sich heutzutage jemand für<br />
den Ordensberuf entscheidet, erfährt er statt der früheren Anerkennung und<br />
Unterstützung meist völliges Unverständnis oder sogar Ablehnung. Ein solcher<br />
Lebensentwurf ist den meisten Menschen absolut fremd geworden.<br />
Folgen des Nachwuchsmangels<br />
Die Folgen des Nachwuchsmangels waren für das Mutterhaus der <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern gravierend. Gerade in den Wiederaufbaujahren in den<br />
50er Jahren war eine große Zahl an Krankenschwestern gefragt. So vermerkte<br />
die Ordenschronik im Jahr 1955: „Im Hinblick auf den großen Baueifer vieler<br />
Gemeinden bzw. Träger der Anstalten wäre es notwendig, zahlreichen Nachwuchs<br />
zu haben; denn unaufhörlich kommen Bitten um Vermehrung der Schwestern… Es<br />
ist ein Schmerz für das Mutterhaus, die Bitten um Ordensschwestern nicht erfüllen<br />
zu können. Wir müssen gemeinsam dieses Kreuz unserer Zeit tragen… „Herr,<br />
sende Arbeiter in deinen Weinberg!“ – mit dieser innigen Bitte beschließen wir das<br />
alte Jahr.“ Und 1956 heißt es dort: „Die größte Sorge ist die Nachwuchssorge. Es<br />
können nicht einmal die durch Sterbefälle erledigten Posten besetzt werden.“ 194<br />
Der Schwesternmangel zwang die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern, sich aus<br />
immer mehr Niederlassungen zurückzuziehen. Der Rückzug begann Ende<br />
der 50er Jahre mit der Kündigung des Krankenhauses in Burghausen und<br />
erfasste in den kommenden Jahrzehnten praktisch alle ordensfremden Krankenhäuser<br />
und Altenheime. Hatte der Orden 1960 noch 154 Niederlassungen,<br />
sank die Zahl im Jahr 1970 auf 140 und im Jahr 1980 auf 105. 195 In<br />
den 80er Jahren beschleunigte sich diese Entwicklung und erreichte mit 40<br />
Abgaben den Höhepunkt der Kündigungswelle. In den 90er Jahren wurden<br />
weitere 30 Niederlassungen aufgegeben. Heute, im Jahr 2007, ist die Zahl<br />
der Niederlassungen auf 28 geschrumpft.<br />
Auch in München, wo die Alten- und Krankenpflege lange Zeit fast<br />
ausschließlich in der Hand der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern war, blieb ihnen<br />
die Aufgabe von immer mehr Häusern nicht erspart. Zunächst trennten<br />
sie sich von den städtischen Krankenhäusern. So erfolgte bereits 1960 die<br />
Kündigung des Sanatoriums in Harlaching und 1964 des Schwabinger<br />
Krankenhauses. In den 70er Jahren gaben sie das Krankenhaus rechts der<br />
Isar und das Krankenhaus am Biederstein ab. In den 80er Jahren zogen<br />
sich die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern aus den Altenheimen der Stadt München<br />
zurück, in denen sie teilweise – wie im Heilig-Geist-Spital – schon<br />
seit den Gründungsjahren ihrer Kongregation tätig gewesen waren. Auch<br />
der Rückzug aus den Münchner Universitätskliniken, den die Schwestern<br />
möglichst lange hinausgezögert hatten, ließ sich schließlich nicht vermeiden.
Neue Herausforderungen für den Orden in einer säkularisierten Gesellschaft<br />
Von der Chirurgischen Klinik trennte<br />
sich die Kongregation bereits 1974.<br />
1979 gab sie die Gynäkologische Klinik<br />
auf, 1981 die Haunersche Kinderklinik,<br />
1985 und 1986 zog sie sich<br />
aus der Frauenklinik und der Orthopädischen<br />
Klinik zurück. In den 90er<br />
Jahren erfolgte noch die Aufgabe der<br />
Psychiatrischen und der Dermatologischen<br />
Klinik. Als letzte Münchner<br />
Universitätsklinik verließen die <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern im Juni 2000 die<br />
Medizinische Klinik der Innenstadt, das<br />
ehemalige Allgemeine Krankenhaus,<br />
ihre erste Wirkungsstätte in Bayern bei<br />
ihrer Gründung 1832. Schon in den<br />
60er Jahren hatte die Kongregation die<br />
Verantwortung für die Hauswirtschaft in der Medizinischen Klinik abgegeben.<br />
Seit Ende der 1970er Jahre hatten sich die Schwestern sukzessive auch<br />
aus der Pflege zurückgezogen, indem sie eine Station nach der anderen in<br />
die Hände weltlicher Pflegekräfte gaben. Zum 30. Juni 2000 schieden nun<br />
endgültig die letzten sieben <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern aus dieser Klinik aus,<br />
die so eng wie kein anderes Haus mit dem Wirken der Schwestern in Bayern<br />
verbunden ist. Dieser Abschied war besonders schmerzvoll, machte er<br />
doch mehr <strong>als</strong> deutlich, dass endgültig eine Ära zu Ende ging. Eine Ära, in<br />
der die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern lange Zeit fast ausschließlich das gesamte<br />
nichtärztliche Personal an den Münchner Universitätskliniken gestellt und<br />
zu deren Erfolgsgeschichte wesentlich beigetragen hatten.<br />
Jeder einzelne Abschied aus den vielen Niederlassungen in ganz Bayern<br />
war stets mit Trauer verbunden. Der Ordensleitung fiel jede einzelne Entscheidung<br />
schwer, da die Niederlassungen oft schon mehr <strong>als</strong> hundert Jahre<br />
von den <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern betreut worden waren. Aber sie sah, dass<br />
die immer weniger und immer älter werdenden Schwestern ihre Kräfte auf<br />
weniger Niederlassungen, vorwiegend die eigenen, konzentrieren mussten.<br />
Und wie hart kam erst mancher Schwester der Rückzug aus einem Haus<br />
an, das ihr oft jahrzehntelang Heimat gewesen war? Groß war auch meist<br />
das Bedauern der örtlichen Bevölkerung, die sich an die lange Präsenz der<br />
Schwestern gewöhnt hatte und sich nicht vorstellen konnte, auf sie verzichten<br />
zu müssen.<br />
Für die Träger der Einrichtungen bedeutete der Weggang der Schwestern<br />
ebenfalls einen großen Verlust. Zwar war es im Gegensatz zu früher<br />
Tafel im<br />
Eingangsbereich<br />
der Medizinischen<br />
Klinik, die<br />
an das lange<br />
Wirken<br />
der <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern<br />
in diesem<br />
Haus<br />
erinnert<br />
249
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
250<br />
kein Problem mehr, geeignetes und qualifiziertes weltliches Personal zu finden,<br />
aber die Umstellung bedeutete auf jeden Fall eine nicht unerhebliche<br />
Erhöhung der Personalkosten. Da die Ordensschwestern nicht an tarifliche<br />
Arbeitszeiten gebunden waren und Belastungen durch Urlaubszeiten,<br />
Krankheit und Alter von der Kongregation selbst getragen wurden, waren<br />
sie für den Träger relativ kostengünstige Mitarbeiter. Diesen Aspekt hatten<br />
schon die Klinikdirektoren der Münchner Krankenhäuser den Nation<strong>als</strong>ozialisten<br />
entgegengehalten, die an Stelle der Ordensschwestern Braune<br />
Schwestern hatten einführen wollen. Auch in den 50er und 60er Jahren, <strong>als</strong><br />
wegen des Mangels an Ordensschwestern immer mehr weltliche Krankenschwestern<br />
angestellt werden mussten, hatten die Direktionen immer wieder<br />
darauf hingewiesen, dass ein 1:1-Ersatz einer <strong>Barmherzige</strong>n Schwester<br />
durch eine weltliche Schwester nicht ausreiche und schon deshalb höhere<br />
Personalkosten unumgänglich seien. So schrieb der Direktor der Frauenklinik<br />
im Oktober 1966 an die Universitätsverwaltung: „Ohne die Qualität<br />
der freien Schwestern in Frage stellen zu wollen, muss jedoch gesagt werden, dass<br />
sie keinen vollen Ersatz für die ausgeschiedenen Ordensschwestern darstellen: Die<br />
Ordensschwestern haben sich im Gegensatz zu den freien Schwestern nicht an die<br />
47-Stundenwoche gehalten, sondern darüber hinaus so lange gearbeitet, <strong>als</strong> ihre<br />
Anwesenheit notwendig war. Außerdem waren in Notfällen die Ordensschwestern<br />
durch ihre Unterbringung im Klinikgebäude auch außerhalb ihrer Arbeitszeit ständig<br />
einsatzbereit.“ 196 Die Universitätsverwaltung bestätigte diese Sichtweise<br />
in einem Schreiben an das Kultusministerium im November 1966: „Die<br />
Universität kann die Richtigkeit der Behauptung bestätigen, dass der Ersatz einer<br />
Ordensschwester durch eine geprüfte weltliche Schwester im Verhältnis 1:1 unzureichend<br />
ist. Eine Verhältniszahl von 1:1,5 entspricht den praktischen Notwendigkeiten<br />
eher.“ 197<br />
Dieses Problem wurde mit weiteren gesetzlichen Arbeitszeitverkürzungen<br />
noch verschärft. So beantragte die Universitätsverwaltung beim<br />
Kultusministerium im Februar 1970, dass bei dem ab Juli 1970 angekündigten<br />
sukzessiven Rückzug des Ordens die in der Frauenklinik tätigen 38<br />
<strong>Barmherzige</strong>n Schwestern nicht nur durch 38 weltliche Schwestern, sondern<br />
durch weitere 32 ersetzt werden sollten. 198<br />
13.2. Nachkonziliare Umbruchsituation<br />
Die gesellschaftlichen Veränderungen führten nicht nur zu einem Rückgang<br />
des Ordensnachwuchses mit allen seinen Folgen für das Wirken des Ordens<br />
nach außen, sondern auch zu Veränderungen innerhalb des Ordens. Nach<br />
und nach setzten sich Lockerungen bei den vorher noch recht strengen
Neue Herausforderungen für den Orden in einer säkularisierten Gesellschaft<br />
Regelungen des Alltagslebens durch. Schon Anfang der 50er Jahre stellte<br />
die damalige Ordenschronistin Schwester M. Emma Mayer bedauernd fest,<br />
dass die formal noch bestehende, sehr restriktive Regelung für den Heimaturlaub<br />
in der Praxis durch immer mehr Ausnahmen unterlaufen wurde. So<br />
häuften sich Fälle, in denen Geistliche die Ordensleitung um die Genehmigung<br />
baten, dass eine <strong>Barmherzige</strong> Schwester an Primizfeiern oder Priesterjubiläen<br />
in ihrem Heimatort teilnehmen durfte. Immer mehr geriet die<br />
Leitung durch derartige Anfragen unter Druck und wünschte deshalb eine<br />
Klärung der Regelung beim Generalkapitel von 1953. 199 Kardinal von Faulhaber<br />
riet dem Orden zu äußerster Zurückhaltung, was die Heimfahrten<br />
betraf. So bestätigte das Generalkapitel die alte strenge Regelung, wonach<br />
eine Schwester zu Lebzeiten der Eltern nur ein einziges Mal in die Heimat<br />
reisen durfte und nach dem Tod der Eltern noch ein einmaliger Grabbesuch<br />
gestattet war. Auch für Primizfeiern und Priesterjubiläen sollte es<br />
keine Ausnahmen mehr geben, außer es handelte sich um einen Bruder der<br />
<strong>Barmherzige</strong>n Schwester.<br />
Aber die neue Zeit war nicht aufzuhalten. So wurde schon beim Generalkapitel<br />
1959 eine wesentlich liberalere Heimfahrtsregelung erlassen. Nun<br />
durften die Schwestern bei Lebzeiten der Eltern alle drei Jahre, nach dem<br />
Tod der Eltern alle fünf Jahre zu den Geschwistern in die Heimat reisen und<br />
dort bis zu fünf Tage Urlaub verbringen. Schwerkranke Eltern sollten jederzeit<br />
besucht werden dürfen und die Teilnahme an ihrer Beerdigung sollte<br />
auf jeden Fall ermöglicht werden. 200 Außerdem bürgerte es sich ein, dass<br />
an Einkleidungs-, Profess- und <strong>Jubiläum</strong>sfeiern, zu denen früher nur eine<br />
kleine Zahl nächster Verwandter zugelassen worden war, ein größerer Kreis<br />
Angehöriger teilnehmen durfte.<br />
Vergleichbar mit der gesamtgesellschaftlichen Tendenz wurde beim<br />
Ordensnachwuchs mehr Wert auf einen mittleren und höheren Bildungsabschluss<br />
gelegt. So besuchten immer mehr junge Schwestern die Mittelschule,<br />
zunächst die der Englischen Fräulein in Berg am Laim und ab 1955<br />
auch die ordenseigene Mittelschule in Indersdorf. Einige absolvierten das<br />
Gymnasium bei den Armen Schulschwestern. Da für die Re<strong>als</strong>chule in<br />
Indersdorf dringend eigenes Lehrpersonal benötigt wurde, wurden einige<br />
Schwestern für das Lehramt ausgebildet. So nutzte beispielsweise Schwester<br />
M. Borromäa Raabe die vom Kloster Seligenthal in Landshut angebotene<br />
Möglichkeit, in einer zwei<strong>jährigen</strong> Ausbildung die Lehrbefähigung<br />
zu erlangen. Als externe Schülerin wohnte die junge Schwester im nahe<br />
gelegenen Heilig-Geist-Spital, das von den eigenen Mitschwestern geleitet<br />
wurde. Der weiteren Ausdifferenzierung der Berufswelt wurde durch die<br />
Ausbildung von Schwestern für neue Berufe und durch berufliche Weiterbildung<br />
Rechnung getragen.<br />
251
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
Kandidatinnentracht<br />
bis 1959<br />
(Puppe aus<br />
dem Schaukasten<br />
im<br />
Mutterhaus)<br />
252<br />
Änderung der Ordenstracht<br />
Bereits in den frühen 50er Jahren setzte die Diskussion über eine Änderung<br />
der Ordenskleidung ein. Anlass dazu waren Äußerungen von Papst<br />
Pius XII., wonach er die Einführung schlichterer Trachten begrüßen würde.<br />
Die Münchner Ordensleitung, die wie der Großteil ihrer Schwestern an<br />
der traditionellen Flügelhaube festhalten wollte, wandte sich beunruhigt an<br />
ihre langjährige Kontaktperson in Rom, Schwester Pascalina Lehnert. Diese<br />
konnte die Münchner Schwestern vorläufig beruhigen. Für den Fall, dass<br />
eine Ordensgemeinschaft eine Änderung ihrer Tracht wünschte, würde der<br />
Papst seine Zustimmung geben. Er denke aber nicht an eine verbindliche<br />
Auflage für alle Orden, ihre Kleidung zeitgemäßer zu gestalten. 201 Doch das<br />
Thema blieb aktuell, <strong>zum</strong>al das Mutterhaus der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
in Untermarchtal 1954 eine neue Tracht einführte, wenn auch zunächst nur<br />
für neu Eingekleidete.<br />
Das Mutterhaus München ersetzte 1959 die doch recht altertümlich wirkende<br />
Tracht der Postulantinnen durch eine einfachere Kandidatinnentracht.<br />
Nach dieser zaghaften kleinen Veränderung brach mit den 60er Jahren eine<br />
Zeit von großen, grundlegenden Reformen an. Der Anstoß ging jedoch<br />
nicht von den Schwestern selbst aus, sondern von der obersten Kirchenleitung,<br />
dem neuen Papst Johannes XXIII. Der Nachfolger des 1958 verstorbenen<br />
Papst Pius XII. nahm wider Erwarten trotz seines fortgeschrittenen<br />
Alters schon unmittelbar nach seinem Amtsantritt eine grundlegende Erneuerung<br />
der katholischen Kirche in Angriff. Er forderte, die Kirche müsse sich<br />
der neuen Zeit stellen und in der Gegenwart ankommen, wofür er den<br />
Begriff „Aggiornamento“ („Heutigwerden“) prägte. Im Januar 1959 gab<br />
er seine Absicht kund, ein neues Konzil<br />
einzuberufen. Nach den notwendigen<br />
Vorbereitungen eröffnete Johannes<br />
XXIII. im November 1962 das Zweite<br />
Vatikanische Konzil, das sich ohne Vorgaben,<br />
in möglichst freiem Diskurs, zu<br />
den unterschiedlichsten Fragenkomplexen<br />
Gedanken machen und neue, auch<br />
für die Zukunft tragfähige Antworten<br />
finden sollte. Wie von Papst Johannes<br />
XXIII. erhofft, entwickelte das Konzil<br />
eine große reformerische Eigendynamik,<br />
die auch durch den Tod des Papstes im<br />
Juni 1963 nicht gestoppt werden konnte.<br />
Sein Nachfolger Papst Paul VI. führte
Neue Herausforderungen für den Orden in einer säkularisierten Gesellschaft<br />
das Konzil in diesem Sinne bis zu dessen<br />
Abschluss im Dezember 1965 weiter.<br />
In dieser Zeit des Aufbruchs der Kirche<br />
in die Moderne konnte sich die<br />
Ordensleitung der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
nicht länger gegen die schon lange<br />
diskutierte und von vielen Schwestern<br />
befürchtete Änderung der Tracht stellen.<br />
Der neue Erzbischof von München und<br />
Freising, Julius Kardinal Döpfner, drängte<br />
die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern zur Änderung<br />
ihrer Ordenskleidung, noch bevor<br />
das 1965 erlassene Dekret des Zweiten<br />
Vatikanischen Konzils dies ausdrücklich<br />
forderte: „17. Das Ordensgewand <strong>als</strong> Zeichen<br />
der Weihe sei einfach und schlicht, arm<br />
und zugleich schicklich, dazu den gesundheitlichen Erfordernissen, den Umständen<br />
von Zeit und Ort sowie den Erfordernissen des Dienstes angepasst. Ein Gewand,<br />
das diesen Richtlinien nicht entspricht, muss geändert werden. Das gilt sowohl für<br />
Männer wie für Frauen.“ 202<br />
Im Jahr 1963 bekamen zunächst nur die neu eingekleideten Novizinnen<br />
ein neues Ordenskleid. Die Mutterhauschronistin, die den Bruch mit der<br />
alten Tradition sehr bedauerte, notierte dazu: „1963 brachte dem Orden das,<br />
vor dem schon lange gebangt wurde: den Verlust der Flügelhaube.“ Ab 1964 folgte<br />
die Umkleidung aller Schwestern: „Wir vollzogen den Akt der Umkleidung<br />
im Gehorsam gegen die Kirche, von deren Oberhaupt sie empfohlen und gegenüber<br />
dem Erzbischof unserer Diözese, Julius Kardinal Döpfner, von dem sie strengstens<br />
verlangt wurde.“ 203 Die alte Flügelhaube wurde durch einen einfachen wei-<br />
Generaloberin Schwester<br />
M. Mildgitha<br />
Bachleitner bei einer<br />
Audienz bei Papst<br />
Johannes XXIII. (1961)<br />
Die ersten<br />
Kandidatinnen<br />
in<br />
der neuen<br />
Tracht im<br />
Treppenhaus<br />
des Mutterhauses<br />
im<br />
Jahr 1959<br />
253
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
Neue<br />
Ordenstracht<br />
ab<br />
1964 (Puppe<br />
aus dem<br />
Schaukasten<br />
im<br />
Mutterhaus)<br />
254<br />
ßen Schleier ersetzt, der nur das Gesicht frei ließ. Nach 1972 konnten sich<br />
die Schwestern wahlweise zwischen diesem Schleier und dem neu eingeführten<br />
Schleier entscheiden, der auch den Haaransatz sichtbar machte. Das<br />
weiße Schultertuch der alten Tracht wurde durch einen kleinen weißen<br />
Kragen ersetzt.<br />
Nicht alle Schwestern waren gegen die Einführung des schlichteren<br />
Schleiers an Stelle der alten Flügelhaube: „Der Verlust und das Verschwinden<br />
der Flügelhaube wurde von vielen bedauert und betrauert, von manchen begrüßt.“ 204<br />
Manche Schwester mag die Abschaffung der alten Kopftracht auch <strong>als</strong><br />
Erleichterung angesehen haben. Waren die Flügelhauben doch alles andere<br />
<strong>als</strong> pflegeleicht gewesen. Aufwändig mussten sie gestärkt werden, und das<br />
Feststecken der Haube war eine Kunst, die junge Schwestern erst erlernen<br />
mussten. Allerdings verloren die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern mit ihren<br />
Flügelhauben auch ihr „Markenzeichen“, das sie vorher unverwechselbar<br />
gemacht hatte. Die neue Tracht konnte nun leicht mit der Ordenskleidung<br />
anderer Gemeinschaften verwechselt werden. Das Ordenskleid, das „heilige<br />
Kleid“, blieb auch weiterhin ein einfaches schwarzes Gewand. Dieses wird<br />
nach wie vor in der Kirche getragen. Für den Arbeitsalltag wurde das weiße<br />
Arbeitsgewand der Schwestern beibehalten. Neu hinzu kamen in den kommenden<br />
Jahren das pflegeleichte, aber dennoch festliche dunkelblaue Kleid<br />
und das graue Kleid für Urlaub und Freizeit.<br />
Neue Lebensordnung für die Schwestern<br />
Das Zweite Vatikanische Konzil sollte noch weiter reichende Folgen für die<br />
Kongregation haben. Neben thematischen Schwerpunkten wie der Erneuerung<br />
der Liturgie, dem Selbstverständnis der<br />
Kirche allgemein, der christlichen Ökumene<br />
und dem Umgang der Kirche mit nichtchristlichen<br />
Religionen befasste sich das Konzil<br />
auch mit der Frage nach einer Reform des<br />
Ordenslebens. Von dem dazu im Oktober<br />
1965 veröffentlichten Dekret über die zeitgemäße<br />
Erneuerung des Ordenslebens „Perfectae<br />
Caritatis“ waren auch die <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern betroffen. Alle Ordensgemeinschaften<br />
wurden aufgefordert, in den nächsten<br />
Jahren ein Generalkapitel einzuberufen, das<br />
die Ordensregeln und -statuten darauf überprüfen<br />
sollte, ob sie noch zeitgemäß wären.
Neue Herausforderungen für den Orden in einer säkularisierten Gesellschaft<br />
In den folgenden Jahren setzten<br />
sich die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern in<br />
mehreren außerordentlichen Reformkapiteln<br />
mit der Erneuerung ihrer<br />
Gemeinschaft auseinander. Ein erstes<br />
Ergebnis dieser Beratungen war<br />
die 1970 vom Erzbischof approbierte<br />
neue Lebensordnung. Sie ist in erster<br />
Linie eine Überarbeitung der alten<br />
Ordensregeln, die rechtlichen Bestimmungen<br />
wurden nur in den Anhang<br />
aufgenommen und in den folgenden<br />
Jahren weiter überarbeitet. Die heute<br />
gültige Lebensordnung von 1985 ist<br />
das Ergebnis dieses langen Prozesses.<br />
Viele der neuen Regelungen betrafen<br />
das alltägliche Leben der Schwestern. 207 War früher der Alltag einer<br />
<strong>Barmherzige</strong>n Schwester stark reglementiert, sollte nun der einzelnen<br />
Schwester mehr persönliche Freiheit eingeräumt werden. An die Stelle der<br />
früher üblichen starken Kontrolle, die bis zur Zensur der Post gereicht hatte,<br />
sollte nun die weitgehende Eigenverantwortlichkeit der Schwester treten. So<br />
fielen die früher sehr strengen Beschränkungen von Fernseh- und Radiokonsum.<br />
Die Urlaubs- und Taschengeldregelungen wurden weiter gelockert.<br />
Ab 1973 durften die Schwestern, wenn sie es wünschten, ihren gesamten<br />
Urlaub in ihrer Heimat verbringen. Zunehmend wurde ihnen auch gestattet<br />
an Freizeitaktivitäten wie Bergwandern teilzunehmen, wofür das Tragen<br />
von Freizeitkleidung erlaubt wurde. Seit 1969 war es den Schwestern<br />
freigestellt, ihren Taufnamen beizubehalten, selbst einen Ordensnamen zu<br />
Kandidatinnen beim<br />
Federballspiel im<br />
Mutterhausgarten<br />
(ca. 1960)<br />
Einkleidung<br />
und Profess<br />
in der neuen<br />
Ordenstracht<br />
im<br />
Mai 1965 mit<br />
Julius Kardinal<br />
Döpfner<br />
255
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
Ordenstracht<br />
bis<br />
1964 (Puppe<br />
aus dem<br />
Schaukasten<br />
des Mutterhauses)<br />
256<br />
wählen oder sich für einen<br />
Doppelnamen zu entscheiden.<br />
1971 wurde die Kandidatinnentracht<br />
abgeschafft.<br />
Bis zur Einkleidung trugen<br />
die Kandidatinnen nun ihre<br />
eigene zivile Kleidung. Für<br />
die Zeit zwischen der ersten<br />
zeitlichen Profess und der<br />
Profess auf Lebenszeit wurde<br />
die Bezeichnung „Juniorat“<br />
eingeführt. Während dieses<br />
Juniorats sollten die jungen<br />
Schwestern nicht nur fachlich,<br />
sondern auch spirituell unter Anleitung einer dazu bestimmten Junioratsleiterin<br />
weitergebildet werden.<br />
Die Lebensordnung von 1970 beschränkte die Arbeitszeit auf höchstens<br />
54 Wochenstunden. Damit lag die Höchstarbeitsdauer zwar noch um einiges<br />
über der tariflichen Arbeitszeit, aber die Regelung sicherte den Schwestern<br />
erheblich mehr Zeit für Erholung <strong>als</strong> früher.<br />
Das Radfahren, das den Augsburger <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern bereits<br />
1954 genehmigt worden war, wurde nun auch den Münchner Schwestern<br />
erlaubt. Diese Neuerung war für die Schwestern nicht nur ein weiteres Freizeitvergnügen,<br />
sondern für manche Schwester – beispielsweise in der ambulanten<br />
Pflege – auch eine sehr große Erleichterung. Ein Teil der Schwestern,<br />
in erster Linie die älteren, sah die vielen neuen Freiheiten mit Besorgnis.<br />
Die Flügelhaube der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
Vinzenz von Paul hatte für die von<br />
ihm gegründeten neuen Ordensgemeinschaften<br />
gefordert, sie sollten auf<br />
Ordenskleidung verzichten und stattdessen<br />
Alltagskleidung tragen. So beruht die<br />
Kleidung der vinzentinischen Gemeinschaften<br />
auf der dam<strong>als</strong> in den unteren<br />
Schichten üblichen Bekleidung. Während<br />
diese Kleidung jedoch der Mode unterworfen<br />
war und sich im Laufe der Jahrhunderte<br />
änderte, blieben die Ordensleute<br />
bei der alten Kleidung. Mädchen und<br />
Frauen hatten früher alle eine Kopfbede-<br />
ckung zu tragen. So geht die Flügelhaube<br />
der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern auf die<br />
Kopfhaube der bretonischen Landmädchen<br />
zurück, erfuhr allerdings im Laufe<br />
der Zeit einige Abänderungen.<br />
Die auffällige Haube wurde schnell <strong>zum</strong><br />
Erkennungs- und Markenzeichen der<br />
<strong>Barmherzige</strong>n Schwestern. Allerdings<br />
erregte sie bei manchem auch Anstoß.<br />
Der Hildesheimer Bischof hatte deshalb<br />
bei der Gründung des dortigen Mutterhauses<br />
auf einer Änderung der Ordenstracht<br />
bestanden. Aus Rücksicht auf die
Neue Herausforderungen für den Orden in einer säkularisierten Gesellschaft<br />
Doch ein Großteil, vorwiegend<br />
die jüngeren, freute sich<br />
über die neuen Bestimmungen<br />
und traute sich einen<br />
verantwortlichen Umgang<br />
mit den neuen Freiheiten zu.<br />
Auch sie waren Kinder ihrer<br />
Zeit und hätten die alten<br />
restriktiven Regelungen, die<br />
die älteren Generationen<br />
noch <strong>als</strong> selbstverständlich<br />
akzeptiert hatten, immer<br />
weniger verstanden und <strong>als</strong><br />
Schikanen empfunden.<br />
Wandel des Superiorenamtes<br />
Die ehemalige<br />
Generaloberin<br />
Schwester M.<br />
Gundebalda<br />
Engelhart bei<br />
ihrer Diamantenen<br />
Profess<br />
im Jahr 1990.<br />
Neben ihr steht<br />
ihre Nachfolgerin,<br />
die dam<strong>als</strong><br />
amtierende<br />
Generaloberin<br />
Schwester<br />
Maria Siglinde<br />
Reichart.<br />
Auch in der Ordensleitung waren die Schwestern gewillt, mehr Eigenverantwortung<br />
zu übernehmen. So begannen sie, die Notwendigkeit des Superiors<br />
<strong>als</strong> einer Art männlichen Geschäftsführers des Ordens zu hinterfragen.<br />
Der tatsächliche Einfluss des Superiors war auch früher schon abhängig<br />
gewesen von den jeweiligen Persönlichkeiten des Amtsinhabers und der<br />
Generaloberin. Das Amt an sich war jedoch nie in Frage gestellt worden.<br />
Immer war die Notwendigkeit anerkannt worden, dass die <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern <strong>als</strong> Frauenkongregation einen vom Bischof eingesetzten Pries-<br />
Diasporasituation der katholischen Kirche<br />
in der überwiegend protestantischen<br />
Umgebung mussten die Schwestern auf<br />
die Aufsehen erregende Haube verzichten<br />
und stattdessen schwarze Schleier<br />
tragen. 205<br />
Auch mancher Arzt beanstandete die Flügelhaube.<br />
In erster Linie hielten die Chirurgen<br />
die ausladende Haube beim Einsatz<br />
im Operationssaal für unpraktisch<br />
und unhygienisch. So berichtet die Mutterhauschronik,<br />
dass Prof. Dr. Lexer, der<br />
Nachfolger Prof. Sauerbruchs an der Chirurgischen<br />
Klinik, bei seinem Amtsantritt<br />
1928 darauf bestanden habe, die Schwes-<br />
tern müssten sich von ihrer Haube trennen:<br />
„Die müsst ihr weg tun!“ 206 Generaloberin<br />
Schwester M. Desideria Weihmayer<br />
besprach das Problem mit Kardinal von<br />
Faulhaber, der ihr riet, der Forderung des<br />
Professors zu entsprechen. Nur dem Einfallsreichtum<br />
der erfahrenen Schwester<br />
M. Potamiena Maier war es zu verdanken,<br />
dass sich die Operationsschwestern nicht<br />
dam<strong>als</strong> schon von ihrer Flügelhaube trennen<br />
mussten. Sie ließ einen Überzug aus<br />
einem feinen, waschbaren Stoff anfertigen,<br />
den die OP-Schwestern über ihre<br />
Haube ziehen konnten. Mit dem Ergebnis<br />
gab sich auch der Professor zufrieden.<br />
257
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
258<br />
Verabschiedung von<br />
Superior Prälat Joseph<br />
König im Juli 2001<br />
durch Schwester M.<br />
Adelinde Schwaiberger<br />
und Schwester M.<br />
Hiltrudis Zehetmaier in<br />
ihren damaligen Funktionen<br />
<strong>als</strong> Generaloberin<br />
bzw. Generalvikarin<br />
ter benötigten, der ihre Interessen nach außen vertrat und die Ordensgeschäfte<br />
beaufsichtigte. Noch bei der Änderung der Statuten im Jahr 1942<br />
war unter dem sehr einflussreichen Superior Pfaffenbüchler und dem stark<br />
in die Geschicke des Ordens eingreifenden Kardinal von Faulhaber das Amt<br />
des Superiors gestärkt worden. In der Nachkriegszeit emanzipierten sich<br />
die Schwestern nach und nach von diesem männlichen Führungsanspruch.<br />
Das Generalkapitel im Februar 1966 stellte die Weichen für die Zukunft,<br />
indem es das Amt der Generalökonomin mit umfassenden Kompetenzen<br />
für die Leitung der gesamten Ökonomie der Kongregation einrichtete. In<br />
Schwester M. Iphigenia Insam hatte der Orden eine sehr fähige Schwester<br />
für dieses Amt gefunden, die von Bad Adelholzen aus über zwei Jahrzehnte<br />
kompetent und selbstständig die wirtschaftlichen Geschicke leitete. Als sie<br />
1987 in den Ruhestand ging, übernahm Schwester M. Theodora Werner<br />
dieses verantwortungsvolle Amt vom Mutterhaus aus, in dessen Verwaltung<br />
sie schon seit 1981 tätig war.<br />
Das Amt des Superiors hatte immer aus zwei unterschiedlichen Aufgabenbereichen<br />
bestanden, der Beratung der Schwestern in wirtschaftlichen<br />
und geistlichen Fragen. Mit der Einführung des Amts der Generalökonomin<br />
nahm der Einfluss des seit 1947 amtierenden Superior Karl Nißl auf<br />
die Geschäftsführung des Ordens ab. Somit trat seine Funktion <strong>als</strong> geistlicher<br />
Begleiter der Schwestern mehr in den Vordergrund. Auf Wunsch der<br />
Schwestern genehmigte Kardinal Döpfner 1965 zudem das Amt eines Spiritu<strong>als</strong><br />
für die Kongregation. So erhielten sie in dem Priester Dr. Peter Kern<br />
einen weiteren spirituellen Begleiter. Als jedoch im Jahr 1972 sowohl Superior<br />
Nißl <strong>als</strong> auch Spiritual Dr. Peter Kern ihr Amt niederlegten, fasste Kardinal<br />
Döpfner beide Ämter wieder unter der Bezeichnung Superior zusammen.<br />
Doch im Grunde wurde nur noch die alte Bezeichnung übernommen.<br />
Der Aufgabenbereich des neu ernannten Superiors Joseph König entsprach
Neue Herausforderungen für den Orden in einer säkularisierten Gesellschaft<br />
weit mehr dem eines Spiritu<strong>als</strong> <strong>als</strong> dem des Superiors im herkömmlichen<br />
Sinne. Er sollte in erster Linie geistlicher Begleiter der Ordensschwestern<br />
sein. Der Superior wurde in der neuen Lebensordnung von 1970 nicht<br />
mehr <strong>als</strong> Teil der Ordensleitung aufgeführt. Im Ordensrat hatte er nur noch<br />
eine beratende Stimme. Bis zu seinem Ruhestand im Jahr 2001, <strong>als</strong>o ganze<br />
29 Jahre lang, begleitete Prälat König die Kongregation <strong>als</strong> Superior „der<br />
neuen Art“ durch eine Zeit, die mit vielen Veränderungen und Umwälzungen<br />
für die Schwestern verbunden war. Er sollte der letzte Superior sein.<br />
Sein Nachfolger Pater Prof. Dr. Robert Lachenschmid SJ steht den Schwestern<br />
seit dem 1. September 2001 <strong>als</strong> Spiritual zur Seite.<br />
Demokratische Gestaltung der Ordensleitung<br />
Das Generalkapitel von 1966 führte nicht nur das Amt der Generalökonomin<br />
ein, sondern gestaltete die Ordensleitung gemäß der Vorgaben des Konzils<br />
demokratischer. 208 Die oberste Autorität des Ordens sollte nicht mehr<br />
die Generaloberin sein, sondern das Generalkapitel. Dieses wird alle sechs<br />
Jahre von allen Professschwestern gewählt. Wählbar sind alle Schwestern,<br />
die bereits die Profess auf Lebenszeit abgelegt haben. Dem Generalkapitel<br />
gehören neben den gewählten Schwestern kraft ihres Amtes die amtierende<br />
Generalleitung und die ehemaligen Generaloberinnen an. Wie viele Delegierte<br />
in das Generalkapitel zu wählen sind, kann der Generalrat festlegen,<br />
allerdings sollen die gewählten Delegierten im Verhältnis zu der amtierenden<br />
Generalleitung mindestens zwei Drittel des Generalkapitels ausmachen. In<br />
der Regel sitzen etwa 30 Schwestern im Generalkapitel. Dieses Gremium<br />
berät und entscheidet alle wichtigen Ordensangelegenheiten und legt für alle<br />
Schwestern verbindliche Richtlinien fest. Wenn besonders schwerwiegende<br />
Die seit 2004 amtierende<br />
Ordensleitung. Von links: Gener<strong>als</strong>ekretärin<br />
Schw. Anna Maria<br />
Burgauer, Schw. M. Vinzentia<br />
Moll, Generalökonomin Schw.<br />
M. Theodora Werner, Generaloberin<br />
Schw. M. Theodolinde<br />
Mehltretter, Schw. M. Adelinde<br />
Schwaiberger, Schw. M. Epiphania<br />
Böhm, Schw. M. Evelina<br />
Franzl und Generalvikarin Schw.<br />
M. Veneranda Sachsenhauser;<br />
nicht auf dem Bild: Schw. Rosa<br />
Maria Dick, Beauftragte für Fort-<br />
und Weiterbildung<br />
259
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
Aufbau<br />
der Ordensleitung<br />
260<br />
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Entscheidungen anstehen,<br />
kann die Generaloberin<br />
auch ein außerordentliches<br />
Generalkapitel<br />
einberufen, das allerdings<br />
dann wieder neu gewählt<br />
werden muss.<br />
Eine der wichtigsten<br />
Aufgaben des Generalkapitels<br />
ist die Wahl des<br />
neuen Generalrats. Dieser<br />
besteht aus der Generaloberin<br />
und fünf Generalrätinnen.<br />
Die Generaloberin<br />
war zwar auch<br />
früher schon von den<br />
Schwestern des Ordensrates<br />
unterstützt und<br />
beraten worden, seit 1966<br />
wurden die Ratsschwestern<br />
jedoch stärker mit in<br />
die Verantwortung eingebunden.<br />
Der in Generalrat<br />
umbenannte Ordensrat<br />
wurde von einem rein<br />
beratenden Gremium zu<br />
einem beschlussfähigen<br />
Gremium mit echter Mitbestimmung. 1966 wurde auch das neue Amt der<br />
Generalvikarin eingeführt. Die Generaloberin ernennt eine ihrer Generalrätinnen<br />
zur Vikarin, die sie <strong>als</strong> ihre Stellvertreterin und Hausoberin des<br />
Mutterhauskonvents entlasten soll.<br />
Die Generaloberin ernennt mit Zustimmung des Generalrats Schwestern<br />
für die Ämter der Generalökonomin, der Gener<strong>als</strong>ekretärin und der Beauftragten<br />
für die Fort- und Weiterbildung. Als weitere Ämter sind vorgesehen<br />
die Leiterinnen des Postulats, des Noviziats und des Juniorats. Diese Ämter<br />
sind wegen des fehlenden Nachwuchses derzeit jedoch nicht besetzt.<br />
Die in die Ämter berufenen Schwestern können dem Generalrat angehören,<br />
müssen es aber nicht. Eine Ausnahme stellt die Generalökonomin dar.<br />
Sie darf nicht gleichzeitig dem Generalrat angehören. Der Generalrat tagt<br />
in der Regel einmal monatlich. Die Inhaberinnen der Ämter nehmen, falls<br />
sie keine Generalrätinnen sind, an diesen Beratungen nur teil, wenn es um
Neue Herausforderungen für den Orden in einer säkularisierten Gesellschaft<br />
Belange geht, die ihr Amt betreffen. Eine Ausnahme bildet die Gener<strong>als</strong>ekretärin,<br />
die zur Unterstützung des Generalrats bei allen Sitzungen zugegen<br />
ist.<br />
Die Generalleitung wird gebildet aus dem Generalrat mit der Generaloberin<br />
und den Inhaberinnen der genannten Ämter. Der aktuellen, im Jahr<br />
2004 gewählten Generalleitung gehören neun Schwestern an.<br />
Die nach den Veränderungen in der Ordensleitung ins Amt gewählten<br />
Generaloberinnen wollten die gewandelte Stellung der Generaloberin<br />
auch in ihrer Anrede deutlich machen. Die ab 1968 amtierende Generaloberin<br />
Schwester M. Gundebalda Engelhart ließ sich nicht mehr mit der<br />
früher üblichen Bezeichnung „Ehrwürdige Mutter“ ansprechen, sondern<br />
wünschte nur noch „Mutter Gundebalda“ genannt zu werden. Ihre Nachfolgerin<br />
Schwester M. Siglinde Reichart bat ihre Mitschwestern, weiterhin<br />
bei der Anrede „Schwester“ zu bleiben. Da es mancher Schwester schwer<br />
fiel, die Generaloberin wie jede andere Mitschwester anzusprechen, entsprach<br />
die neue Generaloberin schließlich dem Wunsch vieler Schwestern,<br />
auch den ersten Teil ihres Ordensnamen „Maria“ auszusprechen und ließ<br />
sich Schwester Maria Siglinde nennen. Bei ihren beiden Nachfolgerinnen<br />
im Amt, Schwester M. Adelinde Schwaiberger und Schwester M. Theodolinde<br />
Mehltretter, war die Beibehaltung der Anrede „Schwester“ schon kein<br />
Thema mehr.<br />
Schwierige Phase nach dem Konzil<br />
Nicht wenige Katholiken bedauerten, dass mit dem Zweiten Vatikanischen<br />
Konzil, das viele Neuerungen und Änderungen nach sich zog, manche alte<br />
Traditionen aufgegeben wurden. Außerdem befürchteten etliche Gläubige<br />
eine mit dem Glauben nicht zu vereinbarende Anpassung an den Zeitgeist.<br />
Kritik gab es auch aus den Reihen der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern. Zeitweise<br />
war sogar die Einigkeit der Schwesternschaft gefährdet. Viele, vorwiegend<br />
ältere Schwestern standen den Veränderungen skeptisch gegenüber.<br />
Besorgt und verunsichert beobachteten sie die Entwicklung. Auf der<br />
anderen Seite standen Schwestern, die voll Hoffnung und Aufbruchstimmung<br />
in die Zukunft blickten und denen teilweise die Reformen noch<br />
zu wenig waren. Hinzu kam, dass sich alle Ordensangehörigen gezwungen<br />
sahen, sich mit ihrem bisherigen Selbstverständnis auseinanderzusetzen. Das<br />
Zweite Vatikanische Konzil sieht jeden getauften Christen in gleicher Weise<br />
zur Heiligkeit berufen. Dadurch wurde das bisherige Selbstverständnis von<br />
Ordensangehörigen von ihrer besonderen Berufung in Frage gestellt. Nach<br />
früherer Auffassung gab es grundsätzlich zwei Wege, das Heil zu erlangen:<br />
261
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
Links: Mutterhauskirche<br />
nach der<br />
Neugestaltung<br />
im Jahr<br />
1971<br />
Rechts:<br />
Madonna in<br />
der Mutterhauskirche<br />
(1978)<br />
262<br />
Den Weg eines gewöhnlichen Christen, der durch die Befolgung der Gebote<br />
das ewige Heil erlangen konnte, und den besonderen Weg der Ordensleute,<br />
die durch die Einhaltung der drei Evangelischen Räte, der Ehelosigkeit,<br />
der Armut und des Gehorsams, ihre Heiligung erreichten. Dieser zweite<br />
Weg galt <strong>als</strong> der höherwertige. Der Stand der Ordensleute wurde bereits im<br />
Diesseits <strong>als</strong> ein Stand der Vollkommenheit angesehen. Das Konzil räumte<br />
mit diesen Vorstellungen auf und sah das Leben <strong>als</strong> Mönch oder Nonne <strong>als</strong><br />
eine mögliche Form von vielen gleichwertigen Lebensformen, in denen ein<br />
Christ sich vervollkommnen könne.<br />
Dieses gewandelte Bild von Berufung mag mit dazu beigetragen haben,<br />
dass die Lockerung der früheren strengen Regeln für das Alltagsleben der<br />
Schwestern nicht den erhofften Anstieg von Eintritten zur Folge hatte. Im<br />
Gegenteil, die Zahl der Kandidatinnen ging weiter drastisch zurück. Waren<br />
1967 noch acht Kandidatinnen eingetreten, waren es 1968 nur noch drei,<br />
1969 zwei und 1970 eine Kandidatin. Noch deutlicher zeigt die ungewöhnlich<br />
hohe Zahl an Austritten in den Jahren 1969 mit acht und 1970 mit<br />
neun, wie groß die Verunsicherung der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern in dieser<br />
Zeit des Umbruchs war. 209<br />
Aber wie jede Krise barg auch diese die Chance eines Neuanfangs. Die<br />
<strong>Barmherzige</strong>n Schwestern nutzten diese zur Entwicklung eines neuen<br />
Selbstverständnisses und zur spirituellen Erneuerung. Sie besannen sich<br />
in zunehmendem Maße auf ihre vinzentinischen Wurzeln. Einerseits versuchten<br />
sie, neu zu definieren, wie das vinzentinische Apostolat der tätigen
Neue Herausforderungen für den Orden in einer säkularisierten Gesellschaft<br />
Nächstenliebe in einer veränderten Zeit mit immer weniger <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern zu erfüllen sei. Andererseits setzten sie sich verstärkt mit der<br />
besonderen Spiritualität des Ordensgründers auseinander. Vinzenz von Paul<br />
hatte das Gebet und das Leben mit dem Evangelium, das heißt, seine enge<br />
Verbindung zu Gott, immer <strong>als</strong> Basis seiner Arbeit für den Nächsten gesehen:<br />
„Je mehr wir an der eigenen Vervollkommnung arbeiten, um so besser sind wir<br />
fähig, dem Nächsten gut zu sein.“ 210 Die spirituelle Weiterentwicklung der<br />
Schwestern trat nun mehr in den Mittelpunkt und neben der fachlichen<br />
Weiterbildung wurden nun auch die spirituellen Angebote weiter ausgebaut.<br />
Eine weitere Folge dieser Rückbesinnung auf die vinzentinischen Wurzeln<br />
war die verstärkte Zusammenarbeit mit den anderen von Straßburg ausgegangenen<br />
Mutterhäusern ab Mitte der 1960er Jahre. In der Bündelung ihrer<br />
Kräfte sahen die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern einen wichtigen Lösungsansatz,<br />
ihre Gemeinschaften zukunftsfähig zu machen.<br />
13.3. Zusammenarbeit in der Vinzentinischen<br />
Föderation<br />
Der Kontakt zwischen den von Straßburg aus gegründeten Mutterhäusern<br />
mit ihrem Stammmutterhaus in Straßburg und auch untereinander war<br />
nie ganz abgerissen. In der Amtszeit von Schwester Marie Ange Vogel <strong>als</strong><br />
Straßburger Generaloberin (1946 – 1964) intensivierten sich diese Beziehungen.<br />
So notierte die Ordenschronistin 1956: „In Straßburg knüpft man<br />
seit der Ernennung von Sr. Marie Ange zur Generaloberin immer mehr Verbindung<br />
mit den von Straßburg ausgegangenen Mutterhäusern, so auch mit München.<br />
Am 28. Juni kamen abends per Wagen<br />
die Mutter Ange mit 2 Begleitschwestern<br />
an… Der Eindruck der Besucherinnen war<br />
denkbar gut. Sie besitzen spürbar den Geist,<br />
den man aus dem Buch von Mutter Ignatia<br />
lesen kann.“ Die Münchner trugen auch<br />
ihren Teil zur weiteren Verbesserung der<br />
Beziehungen bei, wobei man auf ein<br />
bewährtes bayerisches Mittel zurückgriff:<br />
„Vor der Abreise von Mutter Ange sandte<br />
man gutes Münchener Bier (Export) nach<br />
Straßburg, das am Vinzenztag ankam und<br />
große Freude machte.“ 211<br />
In der nachkonziliaren Umbruchsituation<br />
entschlossen sich die Straßburger<br />
Hängende<br />
Statue des<br />
hl. Vinzenz<br />
in der<br />
Mutterhauskirche<br />
263
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
Gründungen, noch enger zusammenzuarbeiten,<br />
um gemeinsam den<br />
Konzilsauftrag der Erneuerung des<br />
Ordenslebens umzusetzen. Im Mai<br />
1966 hatte auf Anregung des Konzils<br />
ein Treffen aller Generaloberinnen<br />
der Bundesrepublik Deutschland<br />
stattgefunden. Neben dem offiziellen<br />
Tagungsgeschehen kam es<br />
dabei zu einer vorsichtigen Annäherung<br />
der Angehörigen der vinzentinischen<br />
Gemeinschaften. Die Idee<br />
eines Zusammenschlusses wurde hier<br />
bereits geboren. In der Folge trafen<br />
sich die von Straßburg aus gegründeten<br />
Gemeinschaften zu regelmäßigen<br />
Tagungen, auf denen sie die<br />
anstehenden Reformen diskutierten und ab 1968 begannen, eine gemeinsame<br />
Lebensordnung auszuarbeiten. Ergebnis war die Lebensordnung von<br />
1970.<br />
Im November 1970 schlossen sich zunächst zehn von Straßburg mittelbar<br />
oder unmittelbar gegründete Mutterhäuser an historischem Ort,<br />
im Mutterhaus Straßburg, zur Vinzentinischen Föderation zusammen. 212<br />
Das Föderationskreuz<br />
Inzwischen gehören der Föderation zwölf Mutterhäuser an. Zu den zehn<br />
Gründungsmitgliedern (Straßburg, Augsburg, Freiburg, Fulda, Heppenheim,<br />
München, Paderborn, Hildesheim, Untermarchtal und Innsbruck mit den<br />
Provinzen Meran und Treviso) kamen die Mutterhäuser Mananthavady/<br />
Indien und Dong-Suwon/Südkorea hinzu. Als Zeichen ihrer Zusammengehörigkeit<br />
tragen die Schwestern eine kleine Silberplakette <strong>als</strong> Anhänger.<br />
Ein Kreuz ruht auf einem Anker, dem Symbol für Halt und Hoffnung. Der<br />
Anker verweist mit seiner V-Form auch gleichzeitig auf den Ordensgründer<br />
Vinzenz von Paul. Rund um das Kreuz, das symbolhaft die Mitte bildet, sind<br />
viele Menschen zu erkennen, womit die vinzentinische Idee der Gottesliebe<br />
durch praktizierte Nächstenliebe versinnbildlicht ist.<br />
Ziel der Föderation war und ist, die Unabhängigkeit der einzelnen Mutterhäuser<br />
in ihren unterschiedlichen Ausprägungen beizubehalten und dennoch<br />
die Zusammenarbeit auszubauen. Die Kooperation reicht von gemeinsamen<br />
Noviziatsschulungen, Fort- und Weiterbildungen, Begegnungstagen<br />
bis zur Veröffentlichung der gemeinsamen Zeitschrift „heute“. Ab 1979<br />
überarbeitete die Föderation die Lebensordnung von 1970. Ergebnis war<br />
die gemeinsame Lebensordnung von 1984, deren Approbation je nach<br />
264
Neue Herausforderungen für den Orden in einer säkularisierten Gesellschaft<br />
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Zuständigkeit durch den Bischof bzw. durch Rom in den Jahren zwischen<br />
1984 und 1986 erfolgte. Die Lebensordnung der Münchner Kongregation<br />
wurde 1985 vom Erzbischof von München und Freising approbiert.<br />
Auf jährlichen Tagungen pflegen die Mitglieder der Föderation einen<br />
regen Gedankenaustausch. Sie arbeitet auch mit den übrigen vinzentinischen<br />
Gemeinschaften zusammen, beispielsweise durch die Mitarbeit bei<br />
MEGVIS, der Mittel-Europäischen Gruppe für Vinzentinische Studien, die<br />
ihren Sitz in Köln hat. MEGVIS veröffentlicht Studienberichte rund um<br />
den hl. Vinzenz und seine Spiritualität. Jede Vinzentinerin, jeder Vinzentiner<br />
kann dafür Beiträge liefern.<br />
Seit 1994 gehören alle Mitglieder der Föderation offiziell auch zu der<br />
großen Vinzentinischen Familie der „Töchter der Liebe“ und der Lazaristen,<br />
die auf die direkte Gründung durch den hl. Vinzenz von Paul zurückgehen.<br />
In Rom wurde 1994 die Affiliation der vinzentinischen Gemeinschaften<br />
mit einer Urkunde besiegelt, wodurch nun alle Gemeinschaften gegenseitig<br />
Anteil an den geistigen Gütern haben: „Affiliation ist die gegenseitige<br />
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Alle direkt<br />
oder indirekt<br />
von Straßburg<br />
aus<br />
gegründetenGemeinschaften<br />
265
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
Schwesternzahl<br />
der Föderation<br />
bei der<br />
Föderationstagung<br />
im Oktober<br />
2006 in<br />
Hildesheim<br />
266<br />
Profess-<br />
Schwestern<br />
Novizinnen Postulantinnen<br />
Augsburg 187 – –<br />
Freiburg 240 – –<br />
Fulda 180 – –<br />
Heppenheim 66 – –<br />
Hildesheim<br />
Perú<br />
Innsbruck<br />
Meran<br />
Treviso<br />
Tansania<br />
Dong-Suwon/<br />
Südkorea<br />
155<br />
40<br />
158<br />
102<br />
26<br />
83<br />
1<br />
6<br />
–<br />
–<br />
1<br />
12<br />
–<br />
3<br />
–<br />
–<br />
–<br />
15<br />
217 4 10<br />
Mananthavady 227 4 15<br />
München 453 – –<br />
Paderborn 399 – –<br />
Straßburg 149 – –<br />
Untermarchtal 463 3<br />
3<br />
Tansania<br />
183 17 10<br />
Quelle: „heute“ 1/2007<br />
Teilnahme an allen geistlichen<br />
Verdiensten durch Gebete und<br />
gute Werke und die Teilnahme<br />
an den Früchten der Eucharistiefeiern,<br />
die die Mitglieder<br />
der beteiligten Gemeinschaften<br />
vollbringen.“ 213<br />
Einige Mutterhäuser der<br />
Föderation hatten versucht,<br />
ihr Nachwuchsproblem<br />
durch den Einstieg in die<br />
Mission zu beheben. Auch<br />
im Münchner Mutterhaus<br />
wurde eine Zeitlang diese<br />
Idee diskutiert, aber wieder<br />
fallen gelassen, da die betreffenden<br />
Mutterhäuser inzwischen<br />
erkannt hatten, dass die<br />
Mission kein zukunftsträchtiger<br />
Weg war, um Nach-<br />
wuchs für Deutschland zu gewinnen. Schnell hatten sie einsehen müssen,<br />
dass es mehr Sinn machte, die Schwestern in ihrer Heimat zu belassen und<br />
vor Ort wirken zu lassen. Bald entwickelten sich Missionen zu selbstständigen<br />
Mutterhäusern.<br />
In München gab es Anfang der 1970er Jahre Versuche, kleine Schwesterngemeinschaften<br />
in den herkömmlichen Aufgabenbereichen in den<br />
Niederlassungen neben dem mehrheitlich weltlichen Personal zu belassen.<br />
Dieser Ansatz wurde wegen verschiedener damit verbundener Probleme<br />
wieder aufgegeben. 214<br />
*
Kapitel 14<br />
Die Kongregation heute<br />
Das Nachwuchsproblem wurde in den letzten 20 Jahren immer gravierender.<br />
1988 war <strong>zum</strong> letzten Mal eine Kandidatin eingetreten, verließ aber<br />
einige Jahre später den Orden wieder. Somit ist die 1960 geborene und<br />
1983 eingetretene Schwester M. Katharina Blümlhuber heute die jüngste<br />
Schwester. Das Gros der Schwestern ist bereits älter <strong>als</strong> 65 Jahre.<br />
Aufgrund des fehlenden Nachwuchses waren der Mitgliederschwund<br />
und die starke Überalterung schon seit den 60er Jahren absehbar. Die erste<br />
und wichtigste Konsequenz, die die Ordensleitung aus dieser Entwicklung<br />
zog, war die Konzentration der Kräfte auf die ordenseigenen Häuser. Der<br />
Rückzug aus den nichtordenseigenen Niederlassungen der Kranken- und<br />
Altenpflege ist heute beinahe abgeschlossen. Von den im Jahr 2007 verbliebenen<br />
28 Niederlassungen sind 15 ordenseigen. Von den 13 nichtordenseigenen<br />
Niederlassungen sind nur noch 6 aus dem traditionellen Aufga-<br />
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Tätigkeitsfelder<br />
der<br />
Kongregation<br />
im Jahr<br />
2007<br />
267
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
268<br />
bengebiet der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern und nur noch mit sehr kleinen<br />
Konventen besetzt.<br />
Neben der Konzentration auf die eigenen Häuser schlug die Ordensleitung<br />
noch einen zweiten Weg für die Zukunft ein. So erschloss sich der<br />
Orden in den letzten zwei Jahrzehnten neue Tätigkeitsfelder, einerseits den<br />
Bereich der Seelsorge und der spirituellen Lebenshilfe, andererseits den<br />
Bereich sozialer und psychologischer Hilfe für verschiedene Randgruppen<br />
der Gesellschaft. Für diese Aufgaben stellte der Orden einzelne Schwestern<br />
oder kleine Gruppen ab. Zum überwiegenden Teil sind andere Organisationen<br />
die Träger dieser Initiativen. So sind die weiteren sieben nichtordenseigenen<br />
Einrichtungen, für die die Kongregation heute noch Schwestern<br />
stellt, im Bereich neuer Projekte zu finden. 215<br />
14.1. Rückzug aus den traditionellen Einsatzbereichen<br />
in nichtordenseigenen Niederlassungen<br />
Nur wenige Schwestern sind heute noch in ordensfremden Einrichtungen<br />
in den traditionellen Aufgabengebieten tätig. Heute arbeiten noch zwei<br />
Schwestern in der ambulanten Sozi<strong>als</strong>tation in Oberstdorf. Auch in den<br />
Haushalten des Spätberufenenseminars St. Matthias in Waldram und im<br />
Herzoglichen Georgianum in München sind ebenfalls je zwei Schwestern<br />
beschäftigt. Im Münchner Bischofshof arbeiten nach wie vor Schwester M.<br />
Adelberga Öttl im Haushalt und Schwester M. Solemnis Simmelbauer <strong>als</strong><br />
Sekretärin. Als einzige in der Krankenpflege in einer Münchner Universitätsklinik<br />
verbliebene Schwester ist Schwester M. Belanda Schneider an der<br />
Psychiatrischen Klinik tätig.<br />
Nur im inzwischen von der Caritas geführten Kinderheim St. Vinzenz<br />
in Landshut besteht in einem ordensfremden Haus und in einem traditionellen<br />
Aufgabengebiet noch ein größerer Konvent von fünf <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern. Im Kinderheim werden heute an die 60 Kinder betreut, für<br />
die das Jugendamt aufgrund problematischer Familienverhältnisse <strong>zum</strong>indest<br />
vorübergehend eine Heimunterbringung für die bessere Lösung hält.<br />
Daneben wurden in den letzten Jahren Betreuungsangebote wie Krippe<br />
und Hort weiter ausgebaut, da diese wegen der häufigeren Berufstätigkeit<br />
beider Elternteile immer mehr nachgefragt werden. Das neueste Hilfsangebot<br />
richtet sich an jugendliche allein erziehende Frauen, denen durch<br />
die Betreuung ihrer Kleinkinder die Möglichkeit gegeben wird, die eigene<br />
Ausbildung abzuschließen. Damit soll jungen Frauen bei einer ungewollten<br />
Schwangerschaft die Entscheidung für das Kind erleichtert werden.<br />
Zwei der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern in Landshut leisten noch pädagogische
Schwester M. Irene<br />
Reidinger mit Kindern<br />
ihrer Gruppe<br />
im Landshuter Kinderheim<br />
St. Vinzenz<br />
(2006)<br />
Arbeit in den Kindergruppen. Die anderen drei Schwestern arbeiten in der<br />
Verwaltung bzw. kümmern sich um alles, was in Haus und Garten anfällt.<br />
Auch die bereits weit im Rentenalter stehende Oberin Schwester M. Tyella<br />
Eichstetter, die bis zur Übernahme durch die Caritas die Heilpädagogische<br />
Einrichtung geleitet hatte, lässt es sich nicht nehmen, überall mit anzupacken,<br />
wo es nötig ist. 216<br />
14.2. Ordenseigene Häuser<br />
Nach wie vor liegt der Tätigkeitsschwerpunkt der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
in ihren eigenen Häusern in den Bereichen Krankenpflege und Altenpflege.<br />
In ihren drei Kliniken sowie sechs Alten- und Pflegeheimen ist neben den<br />
inzwischen unverzichtbaren weltlichen Mitarbeitern auch noch eine größere<br />
Zahl an Schwestern tätig. Zufriedene Patienten der Kliniken betonen<br />
in ihren Dankesbriefen häufig, wie wohltuend sie neben der kompetenten<br />
medizinischen Versorgung die besondere, durch die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
geprägte Atmosphäre empfunden hätten.<br />
Zum 1. Januar 1990 wurde die Zentralverwaltung der ordenseigenen Kliniken<br />
und derjenigen Altenheime, in denen ausschließlich weltliche Bewohner<br />
leben, zur Krankenhaus- und Altenheimdirektion zusammengelegt.<br />
Krankenhäuser<br />
Die Kongregation heute<br />
In den letzten Jahren intensivierte sich die Zusammenarbeit der beiden<br />
Münchner Kliniken. Sie erstreckt sich unter anderem auf die Bereiche<br />
Küche, Labor und EDV. Kooperationen gibt es aber auch mit Kliniken<br />
269
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
Maria-Theresia-Klinik<br />
am Bavariaring<br />
in München<br />
nach<br />
Abschluss<br />
der Sanierung<br />
2003<br />
270<br />
anderer kirchlicher Träger.<br />
So betreiben das Krankenhaus<br />
Neuwittelsbach und<br />
die Maria-Theresia-Klinik<br />
zusammen mit dem<br />
Klinikum Dritter Orden<br />
das Zentrum für Radiologie<br />
und Nuklearmedizin<br />
Nymphenburg, um bei<br />
der Anschaffung und beim<br />
Betrieb teurer Spezialgeräte<br />
Kosten zu sparen.<br />
Maria-Theresia-Klinik<br />
In der chirurgischen Fachklinik an der Theresienwiese sind noch 22 der<br />
rund 100 Beschäftigten <strong>Barmherzige</strong> Schwestern. Kurz vor der Feier ihres<br />
75-<strong>jährigen</strong> Bestehens erfuhr die 68-Betten-Klinik eine besondere Auszeichnung.<br />
Seit 1. April 2005 ist sie offizielles Akademisches Lehrkrankenhaus<br />
der Ludwig-Maximilian-Universität, in dem Medizinstudenten den<br />
chirurgischen Teil ihres Praktischen Jahres ableisten können.<br />
Krankenhaus Neuwittelsbach<br />
In der Fachklinik für Innere Medizin im Münchner Stadtbezirk Neuhausen-Nymphenburg<br />
ist der Anteil der Ordensschwestern mit 15 von ca. 180<br />
Beschäftigten geringer <strong>als</strong> in der Maria-Theresia-Klinik. Das Krankenhaus<br />
hat neben den 132 Betten für die stationäre Behandlung 10 teilstationäre<br />
Plätze in der angeschlossenen Rheuma-Tagklinik. Neuwittelsbach ist die<br />
einzige Rheumaklinik im Großraum München, die über eine Kältekammer<br />
verfügt. Sie wird zur Schmerzlinderung eingesetzt. Seit Beginn des Jahres<br />
2007 ist das Krankenhaus <strong>als</strong> erste nicht-universitäre Klinik Münchens mit<br />
einem PET/CT (Positronen-Emissions-Tomographie/Computertomographie)<br />
zur Untersuchung von Tumorpatienten ausgestattet.<br />
Krankenhaus Vinzentinum<br />
In der 82-Betten-Klinik für Innere Medizin in Ruhpolding sind noch acht<br />
<strong>Barmherzige</strong> Schwestern im Einsatz. Als Besonderheit verfügt das Krankenhaus<br />
Vinzentinum seit Oktober 2005 über ein Schlafmedizinisches Zentrum,<br />
in dem in einem mit 4 Messplätzen ausgestatteten Schlaflabor Schlafstörungen<br />
diagnostiziert werden.
Alten- und Pflegeheime<br />
Ein Großteil der Schwestern<br />
befindet sich inzwischen<br />
im Ruhestand. Ungefähr<br />
die Hälfte der Ruhestandsschwestern<br />
verbringt ihren<br />
Lebensabend in dem größten<br />
ordenseigenen Alten-<br />
und Pflegeheim St. Michael<br />
in Berg am Laim. Die<br />
übrigen leben in den Alten-<br />
und Pflegeheimen in Unterhaching, Planegg und Alzing. In diesen Häusern<br />
bilden die Ruhestandsschwestern etwa zwei Drittel der dort lebenden<br />
Ordensschwestern. Das andere Drittel besteht aus arbeitsfähigen Schwestern,<br />
die sich zusammen mit dem weltlichen Personal um ihre Mitschwestern<br />
und die übrigen Heimbewohner kümmern.<br />
In den beiden Alten- und Pflegeheimen in Ruhpolding und Teisendorf<br />
leben keine Ruhestandsschwestern, aber zehn bzw. sechs berufstätige<br />
Schwestern arbeiten dort bzw. sind in der Leitung tätig.<br />
Alle Alten- und Pflegeheime wurden in den letzten Jahren gründlich<br />
saniert und den neuesten Erfordernissen angepasst. Kurzzeitpflege ist in<br />
allen Häusern möglich. An den Standorten Berg am Laim und Teisendorf<br />
wurden zudem Wohneinheiten für Betreutes Wohnen geschaffen.<br />
Eine Besonderheit unter den Altenheimen stellt das Schwesternheim<br />
St. Hildegard im Siegsdorfer Ortsteil Alzing dar. Das ordensinterne Altenheim<br />
dient nicht nur <strong>als</strong> Alterssitz für über 50 Schwestern, sondern zudem<br />
<strong>als</strong> Erholungshaus für die eigenen Schwestern und für Angehörige anderer<br />
Ordensgemeinschaften.<br />
Schulen<br />
Die Kongregation heute<br />
Die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern betreiben drei Berufsfachschulen: die Berufsfachschule<br />
für Krankenpflege Maria Regina in München sowie die Berufsfachschulen<br />
für Altenpflege und Krankenpflegehilfe in Ruhpolding. Darin<br />
wurde und wird ein großer Teil der später in den eigenen Krankenhäusern<br />
und Alteneinrichtungen eingesetzten weltlichen Pflegekräfte ausgebildet.<br />
Und die Schwestern legen Wert darauf, dass ihre Schulen weiterhin eine<br />
besondere christliche Prägung haben. Dafür wurde ihre Berufsfachschule<br />
für Krankenpflege Maria Regina im Jahr 2005 mit dem ersten Preis eines<br />
Betreutes<br />
Wohnen in<br />
St. Elisabeth<br />
in Teisendorf<br />
271
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
Praktische<br />
Ausbildung<br />
zur Krankenpflege<br />
(2002)<br />
272<br />
gemeinsamen Wettbewerbs<br />
des Landes-<br />
Caritasverbandes und<br />
der Liga Bank ausgezeichnet.<br />
Bei diesem<br />
Wettbewerb konnten<br />
katholische Fachschulen<br />
für Pflegeberufe<br />
ihr christliches Profil<br />
und ihre religiösen<br />
Angebote präsentieren.<br />
Die Münchner<br />
Schule der <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern<br />
stellte sich mit ihrem Kursprojekt „Ethik ohne Grenzen“ vor. Dieses einwöchige<br />
Seminar bietet die Schule im Rahmen des alljährlichen vierwöchigen<br />
Austauschs mit den Schülerinnen und Schülern der Krankenpflegeschulen<br />
der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern in Linz und in Wien an. Das Seminar<br />
soll christlich sozialisierten Schülern ihren Glauben neu erfahrbar machen<br />
und nichtgläubigen Schülern die Chance geben, den christlichen Glauben<br />
kennen zu lernen.<br />
Das im Gebäude der Berufsfachschule Maria Regina befindliche Schwesternheim<br />
hat einen eigenen Konvent mit elf <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern.<br />
Ein Teil davon kümmert sich um das Schwesternheim, dessen Zimmer zu<br />
etwa einem Drittel von Schülerinnen der Berufsfachschule belegt sind, die<br />
hier wohnen können und verpflegt werden. Der Rest der Zimmer wird an<br />
andere junge Auszubildende und Studierende vermietet.<br />
Landwirtschaft<br />
Die Kongregation betreibt nach wie vor drei landwirtschaftliche Betriebe,<br />
die mit ihren Produkten die ordenseigenen Häuser versorgen. So liefert der<br />
Primushof Fleisch und Wurstwaren aus der eigenen Metzgerei. Der reine<br />
Grünlandbetrieb mit ca. 100 Hektar Weiden und 60 Hektar Wald betreibt in<br />
erster Linie Rinderaufzucht und -mast, hält aber auch Schweine und Schafe.<br />
Den Sommer verbringen die Jungrinder auf der Bäckeralm. Der Primushof<br />
arbeitet eng mit dem Katharinenhof zusammen, der über 140 Hektar Grün-<br />
und Ackerland und 27 Hektar Wald bewirtschaftet. Beide Betriebe sind zertifizierte<br />
Naturland-Betriebe. Der Katharinenhof im Ortsteil Fachendorf der<br />
Gemeinde Pittenhart wurde von der Kongregation 1992 nach ökologischen
Gesichtspunkten neu<br />
aufgebaut. Der Milcherzeugungsbetrieb<br />
überlässt die auf dem<br />
Katharinenhof geborenen<br />
Kälber dem<br />
Primushof zur Aufzucht.<br />
Die trächtigen<br />
Jungkalbinnen kehren<br />
wieder auf den Katharinenhof<br />
zurück.<br />
Auch der 130<br />
Hektar große Marxhof<br />
in Unterhaching<br />
spielt für die Kongregation <strong>als</strong> Kartoffellieferant für die ordenseigenen<br />
Häuser eine große Rolle. Zwar musste die historische Hofanlage in den<br />
1960er Jahren dem Bau des Alten- und Pflegeheimes St. Katharina Labouré<br />
weichen, aber dem reinen Anbaubetrieb stehen Wirtschaftsgebäude neben<br />
dem Altenheim und seit einigen Jahren zusätzlich eine große Halle auf den<br />
Feldern zur Verfügung. Der Marxhof betreibt integrierten Landbau, d.h.,<br />
durch Berücksichtigung der Boden- und Klimaverhältnisse und entsprechende<br />
Wahl der Kulturen und Sorten kann die Verwendung von Düngemitteln<br />
und Pflanzenschutzmitteln so gering wie möglich gehalten werden.<br />
Vom Marxhof aus werden auch die landwirtschaftlichen Flächen des Waldsanatoriums<br />
bei Planegg mitbewirtschaftet. Durch eine Betriebskooperation<br />
mit dem Weise-Hof in Unterhaching seit 2002 kann der Betrieb noch<br />
effizienter arbeiten.<br />
In den ordenseigenen landwirtschaftlichen Betrieben arbeitet heute<br />
keine <strong>Barmherzige</strong> Schwester mehr mit.<br />
Adelholzener Alpenquellen GmbH<br />
Die Kongregation heute<br />
Auch im ordenseigenen Brunnenbetrieb ist heute keine Schwester mehr<br />
tätig, seit sich Schwester M. Theodolinde Mehltretter nach ihrer Wahl zur<br />
Generaloberin aus der Geschäftsführung zurückgezogen hat.<br />
Der Orden weiß sehr zu schätzen, welche Möglichkeiten der erfolgreiche<br />
Betrieb ihm bietet, Menschen in Not zu helfen. In großzügiger<br />
Weise unterstützen die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern mit den erwirtschafteten<br />
Gewinnen, die nicht für Investitionen benötigt werden, soziale Einrichtungen<br />
und Hilfsinitiativen verschiedenster Art. Als ein Beispiel von vie-<br />
Der Primushof<br />
in<br />
Adelholzen<br />
273
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
274<br />
len sei der „Vinzenz-von-Paul-Förderpreis“ 217 genannt, den die Kongregation<br />
zusammen mit der Adelholzener Alpenquellen GmbH gestiftet hat. In<br />
Zusammenarbeit mit dem Caritasverband der Erzdiözese München und<br />
Freising wird mit dem Preis herausragendes soziales Engagement Ehrenamtlicher<br />
honoriert, z. B. in Nachbarschaftshilfen, Besuchsdiensten, Hospizkreisen<br />
oder in Flüchtlingshilfen. Bei der erstmaligen Preisvergabe im<br />
Jahr 2005 wurden insgesamt 15 Initiativen gefördert. Auch am Ende des<br />
<strong>Jubiläum</strong>sjahres 2007 soll wieder der „Vinzenz-von-Paul-Förderpreis“ im<br />
Gesamtumfang von 25.000 € vergeben werden.<br />
Innerbetriebliche Fortbildung<br />
Den ersten Preis des<br />
Vinzenz-von-Paul-<br />
Förderpreises in der<br />
Region Süd belegte<br />
das Projekt „PROFI“,<br />
das in Niederbergkirchen<br />
die Familien<br />
der Gemeinde<br />
unterstützt. Ausgezeichnet<br />
wurden<br />
die Vertreter des<br />
Projekts von Weihbischof<br />
Dr. Franz Dietl<br />
(2.v.r.), Caritasdirektor<br />
Hans Lindenberger<br />
(l.) und Schwester<br />
M. Theodolinde<br />
Mehltretter.<br />
Die Kongregation beschäftigt in ihren ordenseigenen Häusern und Einrichtungen<br />
inzwischen insgesamt etwa 1500 weltliche Mitarbeiter. Auf diese ist<br />
sie wegen ihres fehlenden Nachwuchses und ihrer immer älter werdenden<br />
Schwestern in steigendem Maße angewiesen. Der Orden zeigt die Wertschätzung<br />
für seine Mitarbeiter durch die Gewährung von freiwilligen Sozialleistungen,<br />
aber auch die preisgünstige Versorgung in den Kantinen, u. a.<br />
mit Bioprodukten aus den eigenen Landwirtschaften und Getränken aus<br />
Adelholzen. Doch das ist nicht alles. Die Schwestern bemühen sich, ihre<br />
Mitarbeiter an ihrem geistlichen Leben teilhaben zu lassen, in dem sie diese<br />
beispielsweise zu besonderen festlichen Anlässen einladen, gemeinsam mit<br />
ihnen Gottesdienst zu feiern. Viel liegt den Schwestern daran, den besonderen<br />
vinzentinischen Geist ihrer Einrichtungen zu erhalten. Ihr Ziel ist
es, auch ihren zivilen Mitarbeitern den vinzentinischen Auftrag näher zu<br />
bringen. Großen Wert legt die Kongregation deshalb auf die innerbetriebliche<br />
Fortbildung, wofür sie ein eigenes Bildungsreferat eingerichtet hat.<br />
Neben dem thematisch sehr breit gefächerten Kursangebot zur fachlichen<br />
Fortbildung nutzen die Mitarbeiter gerne auch spirituelle Angebote wie<br />
Kurzexerzitien und Besinnungswochenenden.<br />
Spirituelle Angebote<br />
Spirituelle Angebote, nicht nur für die eigenen Schwestern und Mitarbeiter,<br />
sondern für jeden Interessierten, sind in den letzten Jahren ein wichtiger<br />
Tätigkeitsbereich der Kongregation geworden. Bevorzugte Veranstaltungsorte<br />
für diese Veranstaltungen sind das Haus Mechtild in der Augsburger<br />
Straße in München und das Exerzitien- und Bildungshaus in Bad Adelholzen.<br />
Aber auch die anderen Erholungsheime der Schwestern, St. Vinzenz in<br />
Inzell, Haus Luise in Unterwössen und St. Hildegard in Alzing stehen für<br />
Exerzitien und Besinnungswochenenden zur Verfügung. Wie weit gefächert<br />
das von Schwester Rosa Maria Dick konzipierte und geleitete spirituelle<br />
Angebot des Ordens inzwischen ist, zeigt ein Blick in das Programm. So<br />
reicht das Angebot von regelmäßig stattfindenden Treffen wie „Rast und<br />
Besinnung am Abend“ im Haus Mechtild über ein Besinnungswochenende<br />
in Inzell, das sich mit dem Ostergeheimnis befasst, bis zu Schweigeexerzitien<br />
in Bad Adelholzen. Fußwallfahrten bereichern das Programm. Wählen kann<br />
man beispielsweise zwischen einer Fußwallfahrt von München nach Andechs<br />
oder einer zweitägigen Wallfahrt von Bad Adelholzen nach Altötting.<br />
Seit September 2006 bieten die vier Schwestern des neuen Konvents im<br />
Haus Mechtild sowohl Menschen, die aus welchen Gründen auch immer<br />
Der Konvent des<br />
Hauses Mechtild (von<br />
links) Schwester M.<br />
Andrea Leyrer,<br />
Schwester M. Adelgundis<br />
Semmler, Schwester<br />
M. Belanda Schneider<br />
und Schwester Rosa<br />
Maria Dick<br />
Die Kongregation heute<br />
275
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
276<br />
eine Auszeit benötigen, <strong>als</strong> auch Menschen, die sich für das Leben in einer<br />
geistlichen Gemeinschaft interessieren, die Möglichkeit, eine Zeit lang mit<br />
ihnen zu wohnen und ihr Leben zu teilen. Solche Auszeiten bzw. Einzelexerzitien<br />
unter dem Motto „Komm und sieh!“ sind das ganze Jahr über<br />
möglich.<br />
14.3. Neue Projekte – Schwestern in Einzelaufgaben<br />
Das neue Angebot im Haus Mechtild kann man <strong>als</strong> Teil eines Weges sehen,<br />
den die Kongregation in den letzten beiden Jahrzehnten eingeschlagen<br />
hat: Einzelne Schwestern oder kleine Schwesterngemeinschaften übernehmen<br />
innerhalb eines neuen Projekts Aufgaben jenseits der herkömmlichen<br />
Tätigkeitsfelder der Kongregation. 218 Teils entwickeln die Schwestern selbst<br />
die Idee für eine Initiative, teils lassen sie sich von Ideen anderer begeistern.<br />
Gemeinsam ist diesen neuen Projekten, dass es sich meist um eine Einzelaufgabe<br />
für eine Schwester handelt und dass damit Defizite des staatlichen<br />
sozialen Netzes ausgeglichen werden sollen. Die Hilfe richtet sich häufig an<br />
vernachlässigte gesellschaftliche Randgruppen oder Menschen in besonderen<br />
Notsituationen, für die sich sonst niemand zuständig fühlt. Der Orden<br />
unterstützt diese Initiativen, in dem er dafür seine engagierten Schwestern<br />
zur Verfügung stellt. In vielen Fällen leistet er zudem noch organisatorische<br />
und finanzielle Hilfen.<br />
Der Ordensleitung ist wichtig, dass die Schwestern trotz ihres Einzeleinsatzes<br />
einer Schwesterngemeinschaft, einem Konvent, angehören. So sind<br />
alle Schwestern, die in München in Einzelaufgaben der neuen Projekte<br />
eingesetzt sind, Teil des Konvents Maria Regina. Auch wenn diese Schwestern<br />
während ihres Dienstes teilweise an ihren Einsatzorten wohnen, haben<br />
sie dennoch ein zusätzliches Zimmer im Haus Maria Regina, wo sie sich<br />
an ihren freien Tagen zurückziehen und am gemeinschaftlichen Leben ihrer<br />
Mitschwestern teilnehmen können.<br />
Haus Benedikt Labré e.V.<br />
Walter Lorenz, ein ehemaliger Lokführer, hatte nach einem einschneidenden<br />
persönlichen Erlebnis mit Obdachlosen, in denen er Christus zu<br />
sehen meinte, Anfang der 1980er Jahre begonnen, sein Leben in den Dienst<br />
dieser Randgruppe zu stellen. Er gründete den Verein Benedikt Labré e.V.,<br />
benannt nach einem französischen Heiligen, der im 18. Jahrhundert mit<br />
Armen und Bettlern gelebt hatte. Lorenz wollte Obdachlosen in München
nicht nur ein Heim bieten, sondern mit ihnen unter einem Dach leben.<br />
Früh schon hatten die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern die Initiative sowohl<br />
finanziell <strong>als</strong> auch personell unterstützt. Heute arbeitet mit Schwester M.<br />
Timothea Heitzer noch eine <strong>Barmherzige</strong> Schwester im Haus des Vereins<br />
in der Pommernstraße.<br />
Haus St. Benno in Oberschleißheim<br />
1996 eröffnete die Erzdiözese München und Freising das Haus St. Benno<br />
in Oberschleißheim in der Trägerschaft des Katholischen Männerfürsorgevereins<br />
e.V. 219 Dieses Haus dient <strong>als</strong> Alten- und Pflegeheim für ehemalige<br />
Obdachlose. Hier sollen sie in Würde ihren Lebensabend verbringen können.<br />
Häufig sind diese Menschen, die teilweise jahrzehntelang auf der Straße<br />
gelebt haben, frühzeitig gealtert und gesundheitlich stark angegriffen. Auch<br />
psychische Krankheiten sind keine Seltenheit. Von Anfang an unterstützte<br />
das Mutterhaus dieses Projekt personell. Heute kümmert sich Schwester M.<br />
Dagmar Raab, eine gelernte Krankenschwester, hauptsächlich im Nachtdienst<br />
um die kranken und alten Heimbewohner. Da sie während ihres<br />
Dienstes im Haus lebt, absolviert sie dort nicht nur Nachtdienste, sondern<br />
übernimmt auch weitere Aufgaben wie Besuche im Krankenhaus. Auch<br />
eine liebevolle und würdige Sterbebegleitung ist Teil ihrer Aufgaben. Sehr<br />
liegt ihr das seelische Wohl der ihr Anvertrauten am Herzen. So organisiert<br />
sie Andachten und versucht, durch ihren gelebten Glauben ansteckendes<br />
Vorbild zu sein.<br />
Zum Engagement der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern für die Obdachlosen<br />
gehören auch heute noch die schon erwähnten „Pfortenspeisungen“, vor<br />
allem die „Vinzenzstube“ in Berg am Laim und die Suppenstube im Haus<br />
Mechtild.<br />
Schwester M. Dagmar<br />
Raab mit einem<br />
Bewohner des Hauses<br />
St. Benno<br />
Die Kongregation heute<br />
277
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
278<br />
Der Jakobsbrunnen – Gemeinde für Menschen in seelischer Not e.V.<br />
Initiatoren des Projekts „Jakobsbrunnen“ waren die <strong>Barmherzige</strong> Schwester<br />
M. Clementine Rodler und der Jesuitenpater Arnold Brychcy. 220 Beide<br />
hatten in ihrer beruflichen Tätigkeit <strong>als</strong> Stationsschwester in der psychiatrischen<br />
Universitätsklinik bzw. <strong>als</strong> Seelsorger in einem Reha-Zentrum<br />
für psychisch Kranke die Erfahrung gemacht, dass es ein großes Defizit in<br />
der ambulanten Nachsorge für Psychiatriepatienten gab. In ihren 14 Jahren<br />
an der Klinik hatte Schwester M. Clementine häufig erleben müssen, dass<br />
sich Psychiatriepatienten nach ihrer Entlassung in ihrem Alltag allein nicht<br />
zurechtfanden. Der Weg zurück in die stationäre Behandlung, nicht selten<br />
aber auch Selbstmorde, waren die Folgen. Mitte der 80er Jahre entwickelte<br />
Schwester M. Clementine zusammen mit Pater Brychcy die Idee, selbst<br />
etwas gegen diesen Missstand zu unternehmen. Sie orientierten sich dabei<br />
am amerikanischen Fountain House Modell. Chronische Psychiatriepatienten<br />
können sich dort einem Club anschließen, in dem sie durch gemeinsame<br />
Aktivitäten und den Austausch mit anderen Patienten stabilisiert werden.<br />
Zudem erhalten sie dort Hilfe bei ihrer Wiedereingliederung in den<br />
normalen Alltag.<br />
Allerdings wollten Schwester M. Clementine und Pater Brychcy einen<br />
anderen Schwerpunkt setzen <strong>als</strong> das amerikanische Vorbild. Selbst vom<br />
Glauben getragen, sahen sie in der seelsorgerischen Begleitung der Kranken<br />
einen wichtigen Ansatzpunkt, den Patienten Kraft und Halt zu geben. Am<br />
1. März 1988 eröffneten sie in einem Haus im Münchner Stadtteil Laim das<br />
„Religiöse Zentrum für Psychisch Kranke“. Ende desselben Jahres zogen sie<br />
in das ordenseigene Haus Mechtild in der Augsburger Straße um, wo ihnen<br />
das Mutterhaus unentgeltlich Räume zur Verfügung stellte. Von Anfang an<br />
stießen die Initiatoren bei der damaligen Generaloberin Schwester Maria<br />
Ein Ort der Begegnung<br />
für Menschen in<br />
seelischer Not ist der<br />
Jakobsbrunnen.<br />
Schwester M. Clementine<br />
Rodler mit einigen<br />
engagierten ehrenamtlichen<br />
Mitarbeitern<br />
des Vereins im Garten<br />
seines Hauses (rechts:<br />
Pater Arnold Brychcy)
Siglinde Reichart auf offene Ohren. Als 1990 schließlich die Gründung des<br />
Vereins „Der Jakobsbrunnen – Gemeinde für Menschen in seelischer Not“<br />
unter dem Dach des Caritasverbandes erfolgte, gehörte auch die Kongregation<br />
zu den Gründungsmitgliedern. Bis heute unterstützt sie den Verein,<br />
dessen Aufgabe laut Satzung „die seelsorgliche Begleitung und die Betreuung<br />
von psychisch kranken Menschen in Krisen und in seelischer Not“ ist.<br />
Nicht zuletzt dank eines finanziellen Beitrags der Kongregation konnte der<br />
Verein 1997 ein Haus im Münchner Vorort Lochham erwerben, das nun <strong>als</strong><br />
Begegnungs- und Beratungsstätte dient.<br />
Das Hilfsangebot richtet sich nicht nur an die Patienten selbst, sondern<br />
auch an ihre Angehörigen. Es reicht von individueller Einzelberatung bis hin<br />
zu Gruppenangeboten wie Gebetskreisen, Bibelkreisen, Seminaren, Exerzitien,<br />
Wallfahrten und gemeinsamen Gottesdiensten. Bei allem Vertrauen auf<br />
die heilende Liebe Gottes versprechen Pater Brychcy und Schwester M.<br />
Clementine den Patienten keine schnelle und wundersame Heilung und<br />
betonen die Notwendigkeit begleitender therapeutischer und medizinischer<br />
Maßnahmen. Sie sehen den Jakobsbrunnen <strong>als</strong> Teil eines sozialen Netzes für<br />
die Patienten. So halten sie Verbindung zu Ärzten und Kliniken, vermitteln<br />
den Patienten Kontakt zu sozialen Diensten und leisten pragmatische Hilfe<br />
bei der Wiedereingliederung in den Alltag.<br />
Projekt Omnibus<br />
Die Kongregation heute<br />
Seit 1. März 2002 arbeitet Schwester Daniela Maria Holzner beim Projekt<br />
„Omnibus“ der Franziskaner an der Hauner’schen Kinderklinik mit. 221 Die<br />
Kinderklinik hat ein weites Einzugsgebiet. So kommen Patienten nicht nur<br />
aus ganz Deutschland, sondern auch aus anderen Staaten, in denen die medizinische<br />
Versorgung nicht<br />
so gut ist, beispielsweise<br />
aus Russland und Arabien.<br />
Für Eltern, die ihrem Kind<br />
während des Klinikaufenthalts<br />
möglichst nahe sein<br />
wollten, gab es in der bereits<br />
1886 gebauten Kinderklinik<br />
kaum Unterbringungsmöglichkeiten.<br />
Zu der Sorge<br />
um das schwerkranke Kind<br />
kam für die Eltern deshalb<br />
häufig der Stress, vorüber-<br />
Schwester<br />
Daniela<br />
Maria<br />
Holzner mit<br />
Gästen des<br />
Hauses am<br />
Frühstückstisch<br />
279
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
Schwester<br />
Mirjam<br />
Riesbeck<br />
bereitet den<br />
Gottesdienst<br />
in der<br />
Kapelle des<br />
Deutschen<br />
Herzzentrums<br />
vor.<br />
280<br />
gehend eine kostengünstige Unterkunft in Kliniknähe zu finden. Als Krankenhausseelsorger<br />
sah der Franziskanerpater Michael Först diese Not und<br />
wollte etwas dagegen unternehmen. So rief er 1985 die Initiative „Omnibus“<br />
ins Leben. Mit Hilfe von Spendengeldern mietete er Wohnungen an,<br />
wo Eltern und Geschwister der kleinen Patienten nicht nur umsonst wohnen<br />
konnten, sondern auch betreut wurden. Pater Michael erlebte nicht<br />
mehr, dass 1999 in einem Neubau an der Lindwurmstraße zwei Stockwerke<br />
erworben werden konnten. Dort stehen nun 25 Zimmer zur Verfügung für<br />
Eltern und Geschwister von Kindern, die in der Hauner’schen Kinderklinik<br />
oder auch in einer anderen Klinik in stationärer Behandlung sind.<br />
Bei „Omnibus“, inzwischen eine Stiftung des bürgerlichen Rechts, ging<br />
es nie ausschließlich um eine günstige Übernachtungsmöglichkeit, sondern<br />
um seelischen Beistand für Menschen in einer extrem belastenden Situation.<br />
Die Eltern können sich, wenn sie es wünschen, zurückziehen, haben<br />
aber auch die Möglichkeit, sich mit anderen betroffenen Eltern auszutauschen.<br />
Die Betreuer bieten ihnen unaufdringlich seelsorgerische Begleitung<br />
an. Die Verstärkung des Betreuerteams, neben den Franziskanern auch<br />
ehrenamtliche Helfer, durch Schwester Daniela wird <strong>als</strong> Bereicherung für<br />
„Omnibus“ empfunden. Die gelernte Kinderkrankenschwester und Heilpädagogische<br />
Erzieherin kümmert sich kompetent und liebevoll um die<br />
Geschwisterkinder. Auch die betreuten Erwachsenen wissen die Möglichkeit<br />
zu schätzen, je nach Wunsch und Situation zwischen einem männlichen<br />
oder weiblichen Ansprechpartner wählen zu können.<br />
Krankenhausseelsorge – Schwester Mirjam im Herzzentrum<br />
Schwester Mirjam Riesbeck, ausgebildete<br />
Gemeindereferentin, ist <strong>als</strong><br />
Klinikseelsorgerin am Deutschen<br />
Herzzentrum in München tätig. Als<br />
solche hat die <strong>Barmherzige</strong> Schwester<br />
die Aufgabe, Gottesdienste vorzubereiten<br />
und durchzuführen. Patienten,<br />
die nicht an Gottesdiensten teilnehmen<br />
können, bringt sie die Heilige<br />
Kommunion ans Krankenbett. Liebevoll<br />
schmückt sie den Andachtsraum<br />
der Klinik entsprechend dem Verlauf<br />
des Kirchenjahres und hält ihn <strong>als</strong><br />
Ort der Stille Tag und Nacht offen.
Ihre Hauptaufgabe aber besteht darin, den Patienten und ihren Angehörigen<br />
<strong>als</strong> Seelsorgerin beizustehen. Das kann die Organisation der Taufe<br />
eines Kindes vor einer Operation sein, aber auch Sterbe- und Trauerbegleitung.<br />
Manchmal geht es aber auch nur darum, Menschen Aufmerksamkeit<br />
zu schenken, ihnen durch Gespräche die Möglichkeit zu geben, ihr Herz<br />
zu erleichtern.<br />
„Oase“ in der Pfarrgemeinde St. Margaret München-Sendling<br />
Die Kongregation heute<br />
Schwester M. Werrica Rauch, vorher in der Krankenpflege und in der Ausbildung<br />
von Krankenschwestern an der Krankenpflegeschule Maria Regina<br />
eingesetzt, gründete im Januar 1991 zusammen mit Pfarrer Valentin Königbauer<br />
die „Oase“ in der Sendlinger Pfarrei St. Margaret. Mit der Oase wollte<br />
sie einen Ort der Besinnung, des Gebetes und der Glaubensorientierung<br />
schaffen, eine geistliche Oase mitten in dem Getriebe der Großstadt München.<br />
Ziel der Initiative ist es u. a., Menschen in schwierigen Lebenssituationen<br />
sowohl seelsorgerische Begleitung <strong>als</strong> auch praktische Unterstützung<br />
im Alltag anzubieten. So unterschiedlich der angesprochene Personenkreis,<br />
so vielfältig ist auch das Angebot der „Oase“. Für Kontaktangebote wie<br />
„Mutter-Kind Tea Time“ oder „Frauen treffen Frauen“ bis hin zu Gebetsabenden<br />
und Bibelgesprächskreisen bietet die „Oase“ Raum. Den Mittelpunkt<br />
der „Oase“ bildet die seelsorgerische Betreuung durch Schwester<br />
Werrica, die stets für persönliche Glaubensgespräche zur Verfügung steht.<br />
Zusammen mit einem festen Team aus ehrenamtlichen Helfern, die nach und<br />
nach Mitglied der „Oase“ geworden sind, bereitet sie die Themen für das<br />
spirituelle Angebot<br />
vor. Der Schwerpunkt<br />
liegt dabei<br />
auf den so genannten<br />
„Alpha-Kursen“,<br />
einer Art Einführungskurs<br />
in den<br />
Glauben. Ist es doch<br />
erklärtes Ziel des<br />
Projekts, Menschen,<br />
die Gott suchen und<br />
der Kirche entfremdet<br />
wurden, wieder<br />
an den Glauben<br />
heranzuführen.<br />
Schwester<br />
M. Werrica<br />
Rauch im<br />
Gespräch<br />
mit Teilnehmern<br />
eines<br />
Glaubenskurses<br />
281
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
282<br />
Die Kongregation unterstützte die Initiative von Anfang an, nicht nur<br />
durch die Freistellung von Schwester Werrica, sondern durch finanzielle<br />
Hilfe beispielsweise bei der Anmietung und Renovierung der Räumlichkeiten.<br />
Der Dienst Schwester M. Werricas beschränkt sich nicht mehr nur<br />
auf die Sendlinger Pfarrei. Sie betreut neu in die Kirche aufgenommene<br />
Menschen im gesamten Stadtgebiet. Zudem stellt sie die Alphakurse auch<br />
in anderen Pfarreien vor und bietet Starthilfe für die Kurse an.<br />
Unterstützung der Hospizbewegung<br />
Auch bei der Gründung des ersten Hospizes in Bayern, dem 1991 eröffneten<br />
Hospiz Johannes von Gott im Krankenhaus der <strong>Barmherzige</strong>n Brüder<br />
im Münchner Stadtteil Nymphenburg, waren die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
beteiligt. In den ersten Jahren bemühten sich dort zwei, zeitweise auch<br />
drei <strong>Barmherzige</strong> Schwestern darum, schwerstkranke Menschen im letzten<br />
Stadium ihrer unheilbaren Krankheit ein würdiges und möglichst schmerzfreies<br />
Sterben zu ermöglichen. Schweren Herzens musste sich die Kongregation<br />
<strong>zum</strong> Jahresende 1995 aus dem aktiven Einsatz im Johanneshospiz<br />
wieder zurückziehen. Allerdings unterstützt die Kongregation <strong>als</strong> Mitglied<br />
des Fördervereins nach wie vor diese für viele Schwerstkranke und ihre<br />
Angehörigen so wichtige Einrichtung.<br />
Projekt Tschechien<br />
Schwester M. Tabitha Götschl, langjährige Oberin an der Psychiatrischen<br />
Universitätsklinik in München, hatte bei einer Reise nach Tschechien<br />
Der neue Konvent von Kajov,<br />
kurz nach der Ankunft im<br />
Juli 1999: die Schwestern<br />
M. Tabitha Götschl (links), M.<br />
Raphaela Schreml (2. v. l.), M.<br />
Bonavita Wolf (3. v. r.) und M.<br />
Leonarda Seitz (2. v. r.). Mit<br />
auf dem Foto: Generaloberin<br />
Schwester M. Adelinde<br />
Schwaiberger (3. v. l.) und<br />
Generalökonomin Schwester M.<br />
Theodora Werner (rechts), die<br />
die Schwestern zu ihrer neuen<br />
Wirkungsstätte begleiteten,<br />
und der Pfarrer von Krumlov.
Die Kongregation heute<br />
den früher sehr bekannten Marien-<br />
Wallfahrtsort Gojau, tschechisch Kajov,<br />
gesehen. Erschüttert über die Vernachlässigung<br />
des Ortes in vierzig Jahren<br />
kommunistischer Herrschaft entstand<br />
bei ihr der Wunsch, hier eine Gemeinschaft<br />
der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern zu<br />
gründen und den Ort wieder zu einem<br />
Zentrum geistlichen Lebens zu machen.<br />
Sie fand mit ihrer Idee sowohl bei ihren<br />
Ordensoberen <strong>als</strong> auch beim Bischof von<br />
Budweis Gehör. Man einigte sich darauf,<br />
dass dem neuen Schwesternkonvent das<br />
stark renovierungsbedürftige Pfarrhaus<br />
des Wallfahrtortes zur Verfügung gestellt<br />
werden sollte. Die Münchner Ordensleitung<br />
erklärte sich einverstanden, vier Schwestern nach Tschechien zu schicken.<br />
Ende Juli 1999 machten sich Schwester M. Tabitha Götschl, Schwester<br />
M. Raphaela Schreml, Schwester M. Leonarda Seitz und Schwester M.<br />
Bonavita Wolf zu ihrem neuen Einsatzort auf.<br />
Der Anfang in Kajov erforderte einiges an Pioniergeist und erinnerte<br />
an die Anfänge der Kongregation in Bayern. Während die Kirche bereits<br />
renoviert war, war der Pfarrhof in einem so schlechten Zustand, dass sich<br />
die vier Schwestern zwei Jahre lang ein einziges, unbeheiztes Zimmer teilen<br />
mussten. Erschwerend kamen die Verständigungsprobleme hinzu. Alle<br />
Schwestern mussten erst einmal Tschechisch lernen. Als Erstes wurde die<br />
Renovierung des Pfarrhofes in Angriff<br />
genommen. Finanziert wurde diese aus<br />
Spendenmitteln und aus Mitteln der<br />
Kongregation. Auch die Ausstattung<br />
mit Möbeln übernahm zu einem Teil<br />
das Mutterhaus. Nach und nach konnten<br />
sich die Schwestern in Kajov ihren<br />
eigentlichen Aufgaben, der Pfarrseelsorge<br />
und der Gemeindecaritas, widmen.<br />
In Zusammenarbeit mit der inzwischen<br />
in Tschechien aufgebauten Caritas<br />
kümmern sich die Schwestern um die<br />
ambulante Versorgung von kranken und<br />
alten Bürgern des Ortes. Gleichzeitig<br />
liegt ihnen die Arbeit mit den Kindern<br />
Der Innenhof<br />
des<br />
Pfarrhofs<br />
von Kajov<br />
vor der<br />
Renovierung<br />
Die Kirche<br />
des Marienwallfahrtsortes<br />
Kajov<br />
283
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
284<br />
der Gemeinde am Herzen. Durch Beschäftigungsangebote wie Basteln und<br />
die Übernahme des Patronats für den Jugendchor halten sie Kontakt zu den<br />
Kindern und Jugendlichen des Ortes. Der Elterngeneration, die im Kommunismus<br />
aufwuchs und sich nun in der neuen demokratischen Gesellschaftsordnung<br />
mehr und mehr am westlichen Materialismus orientiert, liegt meist<br />
wenig an einer religiösen Erziehung ihrer Kinder, selbst wenn diese getauft<br />
sind. Die Schwestern versuchen, ihnen die Grundlagen des Glaubens zu<br />
vermitteln. Ihr Pfarrhaus soll ein offenes Haus sein, nicht nur für tschechische<br />
Priester, sondern auch für Obdachlose und Hilfe suchende Straßenprostituierte<br />
von der nahe gelegenen deutsch-tschechischen Grenze.<br />
Die Schwestern schafften es innerhalb kurzer Zeit, den Wallfahrtsort<br />
Kajov nicht nur äußerlich wieder in alter Schönheit erstehen zu lassen, sondern<br />
ihn auch geistlich neu zu beleben. Heute ist Kajov nicht nur für tschechische<br />
Wallfahrer, sondern auch für Pilger aus Österreich und Deutschland<br />
ein neuer Anziehungspunkt. Vor allem Jugendliche aus den drei Ländern<br />
kommen im Sommer mit Zelten und Schlafsäcken auf der Suche nach<br />
einem Sinn für ihr Leben, der über die atheistische oder materialistische<br />
Einstellung ihrer Umgebung hinausgeht.<br />
14.4. Neues Mutterhaus<br />
Im Jahr 2003 berief Generaloberin Schwester M. Adelinde Schwaiberger<br />
ein außerordentliches Generalkapitel ein, das über die Zukunft des Mutterhauses<br />
in der Nußbaumstraße entscheiden sollte. 222 Konkreter Anlass war ein<br />
Schreiben der Universität vom August 2002, in dem vom Orden die Abtre-<br />
Generaloberin<br />
Schwester M. Theodolinde<br />
Mehltretter,<br />
Generalökonomin<br />
Schwester M. Theodora<br />
Werner und<br />
Friedrich Kardinal<br />
Wetter bei der<br />
Grundsteinlegung<br />
des neuen Mutterhauses<br />
im Juli 2005.<br />
Links Architekt<br />
Anton Zeller
Das neue Mutterhaus<br />
in München-<br />
Berg am Laim,<br />
Vinzenz-von-Paul-<br />
Straße 1<br />
Die Kongregation heute<br />
tung des restlichen Mutterhausgartens für einen geplanten Spielplatz der<br />
jugendpsychiatrischen Abteilung der ans Mutterhaus angrenzenden Psychiatrischen<br />
Klinik gefordert wurde. Dieses Schreiben führte den Schwestern<br />
wie schon so oft in der Vergangenheit die rechtlich unsicheren Eigentumsverhältnisse<br />
deutlich vor Augen. Auch wenn das Grundstück, auf dem das<br />
Gebäude steht, früher Eigentum der städtischen Krankenhausstiftung war<br />
und heute Eigentum des bayerischen Staates ist, war bisher <strong>zum</strong>indest das<br />
Nutzungsrecht der Schwestern unstrittig gewesen. Dieses Nutzungsrecht<br />
war jedoch von Anfang an mit der Bedingung verknüpft gewesen, dass die<br />
Schwestern im damaligen Allgemeinen Krankenhaus, der heutigen Medizinischen<br />
Klinik, den Krankenpflegedienst leisteten. Mit dem endgültigen<br />
Rückzug aus dieser Klinik im Juni 2000 hätte nun auch das Nutzungsrecht<br />
in Frage gestellt werden können.<br />
Bei den Überlegungen des Generalkapitels musste auch die Tatsache<br />
berücksichtigt werden, dass das alte Mutterhaus aus dem Jahr 1839 in den<br />
kommenden Jahren gründlich hätte saniert werden müssen, um auch in<br />
Zukunft <strong>als</strong> Zentrale der Kongregation fungieren zu können. Wegen der<br />
ungeklärten rechtlichen Situation wäre jedoch eine solche kostenintensive<br />
Investition mit unwägbaren Risiken verbunden gewesen.<br />
Angesichts dieser Lage war es nicht weiter verwunderlich, dass das Generalkapitel<br />
in geheimer Abstimmung einstimmig für den Bau eines neuen<br />
Mutterhauses in Berg am Laim votierte.<br />
Bei der seit über 100 Jahren immer wieder diskutierten Frage nach Verlegung<br />
des Mutterhauses war seit den 1960er Jahren der Standort Berg am<br />
Laim favorisiert worden. Für den östlichen Stadtteil Münchens sprach einiges:<br />
Immerhin befindet sich dort die zweitälteste Ordensniederlassung, die in der<br />
285
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
Die Kapelle<br />
des neuen<br />
Mutterhauses<br />
wurde dem<br />
hl. Vinzenz<br />
von Paul<br />
geweiht.<br />
286<br />
Geschichte der Kongregation immer<br />
eine besondere Rolle gespielt hat. Mit<br />
der Aufgabe der Ökonomie stand auch<br />
der nötige Baugrund zur Verfügung.<br />
Inzwischen war auch die Verkehrsanbindung<br />
durch zwei U-Bahnlinien<br />
äußerst günstig.<br />
Im Mai 2005 begannen die Bauarbeiten<br />
auf einem ca. 11.000 Quadratmeter<br />
großen Grundstück in der<br />
Nähe des ordenseigenen Altenheimes<br />
St. Michael. Die feierliche Grundsteinlegung<br />
für das mit 7000 Quadratmeter<br />
Wohn- und Nutzfläche sehr großzügig<br />
geplante neue Mutterhaus erfolgte<br />
am 13. Juli 2005. Nach fast 170 Jahren<br />
nahmen die Schwestern Anfang 2007<br />
Abschied von ihrem angestammten<br />
Mutterhaus und zogen in ihre neue Zentrale um.<br />
Das vom Architekturbüro Zeller & Romstätter konzipierte neue Mutterhaus<br />
ist ein architektonisch interessanter Bau. Für den Grundriss verwendeten<br />
die Architekten die griechischen Buchstaben Alpha und Omega,<br />
die aus der Offenbarung des Johannes entnommene Symbolik für Gott <strong>als</strong><br />
Anfang und Ende allen Seins. Den unteren Querbalken des Omega bildet<br />
das Eingangsgebäude, in dessen Mitte sich der Eingangsbereich mit Foyer<br />
befindet. Von hier gewährt eine Sichtachse den Blick auf die gegenüberliegende<br />
Mutterhauskapelle, die das Alpha darstellt.<br />
Das neue Mutterhaus bietet mehr Platz <strong>als</strong> das alte. So konnten hier<br />
neben den Schwesternwohnungen, der Ordensverwaltung und der Schneiderei<br />
auch die bisher wegen Platzmangels ausgelagerten Bereiche der Innerbetrieblichen<br />
Fortbildung und der Krankenhaus- und Altenheimdirektion<br />
untergebracht werden. Gästezimmer und Gruppenräume für größere Veranstaltungen<br />
ergänzen das Raumangebot.<br />
Den Mittelpunkt des Gebäudes bildet die neue Mutterhauskapelle St.<br />
Vinzenz, die – wesentlich kleiner <strong>als</strong> die alte Mutterhauskirche – den Anforderungen<br />
des ebenfalls kleiner gewordenen Mutterhauskonvents besser entspricht.<br />
Frei im würfelförmigen Raum schwebend, hängt das große Kreuz<br />
der alten Kirche in der neuen Kapelle und kontrastiert mit dem bunten<br />
Glasfenster der Altarwand, das die Auferstehung symbolisieren soll. Auch<br />
Altar, Ambo und Tabernakel der alten Mutterhauskirche haben wieder ihren<br />
Platz gefunden.
Mehrere hundert Gäste<br />
begrüßte Schwester M.<br />
Theodolinde Mehltretter<br />
am 10. März 2007<br />
zur Einweihung des<br />
neuen Mutterhauses,<br />
u. a. Friedrich Kardinal<br />
Wetter, Christa<br />
Stewens, die Bayerische<br />
Staatsministerin für<br />
Arbeit und Sozialordnung,<br />
Familie und<br />
Frauen, sowie Abt Dr.<br />
Johannes Eckert.<br />
Am 10. März 2007, auf den Tag genau <strong>175</strong> Jahre nach Ankunft der ersten<br />
beiden <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern aus Straßburg, feierte die Kongregation<br />
die Einweihung ihres neuen Mutterhauses. An die 400 Gäste nahmen an<br />
der feierlichen Segnung des Hauses durch Friedrich Kardinal Wetter teil.<br />
Benediktinerabt Dr. Johannes Eckert aus der Münchner Abtei St. Bonifaz<br />
konnte für die Festansprache gewonnen werden, die er unter das Motto<br />
„Der Barmherzigkeit Raum geben“ stellte.<br />
Mit dem Umzug in ihre neue Ordenszentrale zu Beginn des <strong>Jubiläum</strong>sjahres<br />
2007 setzten die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern ein Zeichen der<br />
Hoffnung. Sie demonstrierten mit diesem Neubeginn in Berg am Laim,<br />
dass sie an die Zukunft ihrer Gemeinschaft glauben.<br />
14.5. Wie wird die Zukunft aussehen?<br />
Die Kongregation heute<br />
Der früher das Leben der Kongregation beherrschende Dienst in städtischen<br />
und staatlichen Krankenhäusern und Altenheimen wird inzwischen von<br />
einem ebenso gut ausgebildeten weltlichen Pflegepersonal geleistet. Abgesehen<br />
davon, dass die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern in diesem Bereich ersetzbar<br />
geworden sind, könnten sie diese Aufgabe mit ihrem stark zurückgegangenen<br />
Person<strong>als</strong>tand heute nicht mehr leisten.<br />
Das vinzentinische Apostolat ist jedoch nach wie vor höchst aktuell. Der<br />
hl. Vinzenz von Paul fasste seinen Auftrag sehr weit: Den Mitmenschen in<br />
Not zu helfen. Diese Not kann sehr viele und zu verschiedenen Zeiten sehr<br />
287
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
288<br />
unterschiedliche Ausprägungen erfahren. Hier gilt es, aufmerksam zu sein,<br />
um die Nöte der Zeit zu erkennen.<br />
Schon der Heilige hatte gesehen, dass Menschen nicht nur Hilfe zur<br />
Erhaltung ihrer physischen Gesundheit, sondern auch ihrer seelischen<br />
und geistlichen Gesundheit benötigen: „Weder Gott noch die Menschen sind<br />
damit zufrieden, wenn wir armen Kranken nur Nahrung und Heilmittel bringen.<br />
Wir haben nach Gottes Willen auch eine seelsorgliche Aufgabe an ihnen zu<br />
erfüllen.“ 223<br />
Sogar in unserer reichen Gesellschaft mit ihrem gut ausgebauten sozialen<br />
Netz gibt es viele Mitmenschen in Not. Psychische Probleme und<br />
Orientierungslosigkeit können durch materielle Absicherung nicht beseitigt<br />
werden. Zudem ist absehbar, dass auch die Zahl der materiell Notleidenden<br />
in Zukunft mit einem Abbau des sozialen Netzes und hoher Arbeitslosigkeit<br />
weiter ansteigen kann. So wird es für Menschen, die sich für ihre Mitmenschen<br />
engagieren möchten, auch in Zukunft viel zu tun geben. Dabei<br />
wird Offenheit gefragt sein, nicht nur um die Not zu erkennen, sondern<br />
auch für neue Formen der Hilfe. Doch was kann dabei die Kongregation<br />
noch leisten mit ihren immer mehr abnehmenden personellen Kräften?<br />
Sie kann weiterhin in der schon praktizierten Weise Projektarbeit betreiben:<br />
Not erkennen, darauf aufmerksam machen und Initiativen zur Abhilfe<br />
starten. Über die personelle Hilfe hinaus unterstützt die Kongregation<br />
Hilfsprojekte bereits heute durch Bereitstellung von Geldmitteln, Räumen,<br />
Material etc. Auch dies wird ein Weg für die Zukunft darstellen, wenn die<br />
Zahl der arbeitsfähigen Ordensschwestern weiter zurückgeht.<br />
Als weitere wichtige Aufgabe, auch in der Zukunft, sehen die <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern die Erfüllung des vinzentinischen Auftrags, Seelsorger für<br />
ihre Mitmenschen zu sein. So möchten sie Menschen, die orientierungslos<br />
geworden sind und den Sinn ihres Lebens hinterfragen, dabei helfen, Gott<br />
zu finden. Dabei kommt ihnen <strong>als</strong> Ordensleuten, die ihr ganzes Leben in<br />
den Dienst Gottes gestellt haben, eine ganz besondere Rolle <strong>als</strong> Zeugen<br />
eines gelebten Glaubens zu, im Sinne des Vinzenzwortes: „Nichts entspricht<br />
dem Evangelium mehr, <strong>als</strong> auf der einen Seite Erleuchtung und Kräfte für die<br />
eigene Seele zu sammeln, dann aber den Menschen von dieser geistigen Nahrung<br />
mitzuteilen.“ 224<br />
In den ordenseigenen Einrichtungen der Alten- und Krankenpflege<br />
sehen die Schwestern ihren Auftrag darin, den gewachsenen Anforderungen<br />
in diesen Bereichen auch in Zukunft gerecht zu werden und ihren<br />
weltlichen Mitarbeitern den vinzentinischen Geist zu vermitteln, damit die<br />
Einrichtungen trotz des allmählichen Rückzugs der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
in diesem Sinne weitergeführt werden. Auch den nicht mehr arbeitsfähigen<br />
Schwestern kommt innerhalb der Kongregation mit dem Apostolat
des Gebets und des Opfers noch<br />
eine wichtige Aufgabe zu.<br />
Die Kongregation versucht,<br />
den bei ihrer Gründung vor <strong>175</strong><br />
Jahren eingeschlagenen Weg in<br />
Treue weiter zu gehen, dabei aber<br />
offen zu bleiben für neue Herausforderungen.<br />
Schwer überschattet<br />
das Fehlen des Nachwuchses<br />
die Zukunft der Kongregation.<br />
Auf dem letzten Generalkapitel<br />
im November 2004 bekannte die<br />
damalige Generaloberin Schwester<br />
M. Adelinde Schwaiberger:<br />
„Das Ausbleiben von neuen Berufungen<br />
in dieser Zeit ist für unsere<br />
Kongregation eine Grenzerfahrung,<br />
die ich persönlich und, ich glaube, die<br />
gesamte Gemeinschaft <strong>als</strong> die größte<br />
spürbare Armut erleben, die es zu tragen gibt.“ 225<br />
Aber es war dieselbe Generaloberin, die den Bau des neuen Mutterhauses<br />
in Angriff genommen und damit ihren Glauben an die Zukunft<br />
bekundet hat. Denn trotz aller Unsicherheit vertrauen die <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern darauf, dass Gott auch in Zukunft Menschen berufen wird, die<br />
ihr Leben ganz in seinen Dienst stellen wollen. Sie glauben fest daran, dass<br />
sich ein Teil dieser berufenen Menschen auch von dem zeitlos modernen<br />
Auftrag des hl. Vinzenz ansprechen lassen wird, den Dienst an Gott durch<br />
den Dienst an den Mitmenschen, durch tätige Nächstenliebe zu verwirklichen.<br />
Ihre Zuversicht stützt sich auf den festen Glauben daran, dass Gott<br />
für alles sorgen wird. Den Menschen kommt dabei nur die Aufgabe zu, mit<br />
den eigenen, beschränkten Möglichkeiten zu versuchen, den Willen Gottes<br />
zu erkennen und umzusetzen. Denn wie ihr geistiger Gründervater Vinzenz<br />
von Paul sind die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern vom Mutterhaus München<br />
überzeugt:<br />
„Gottes Dinge geschehen von selbst. Die wahre Weisheit besteht darin, der Vorsehung<br />
Schritt für Schritt zu folgen.“ 226<br />
*<br />
Die Kongregation heute<br />
Hl. Vinzenz<br />
von Paul<br />
(Wandteppich<br />
im<br />
Mutterhaus)<br />
289
290<br />
Anhang<br />
Generaloberinnen des Mutterhauses München<br />
1. Schwester Ignatia Jorth<br />
Amtszeit<br />
1832 – 1845<br />
2. Schwester M. Vinzentia Balghuber 1845 – 1848<br />
3. Schwester M. Benonia Stanglmaier 1848 – 1855<br />
4. Schwester M. Regina Hurler 1855 – 1895<br />
5. Schwester M. Avila Dorn 1895 – 1911<br />
6. Schwester M. Seraphina Sellmayer 1911 – 1912<br />
7. Schwester M. Osmunda Rummel 1912 – 1924<br />
8. Schwester M. Desideria Weihmayr 1924 – 1941<br />
9. Schwester M. Castella Blöckl 1941 – 1956<br />
10. Schwester M. Mildgitha Bachleitner 1956 – 1968<br />
11. Schwester M. Gundebalda Engelhart 1968 – 1980<br />
12. Schwester Maria Siglinde Reichart 1980 – 1992<br />
13. Schwester M. Adelinde Schwaiberger 1992 – 2004<br />
14. Schwester M. Theodolinde Mehltretter seit 2004<br />
Oberin des Allgemeinen Krankenhauses (bzw. des Krankenhauses l.d.I. bzw. der<br />
Medizinischen Klinik in der Innenstadt) waren, bevor sie Generaloberin wurden:<br />
Sr. Ignatia (gleichzeitig beide Ämter) und die 3.,4.,7.,12. Generaloberin<br />
Superioren des Mutterhauses München<br />
1. Superior J. Michael Rädlinger<br />
Amtszeit<br />
1832 – 1833<br />
2. Superior Michael Hauber 1833 – 1843<br />
3. Superior Josef Riedl 1843 – 1846<br />
4. Superior Herenäus Haid 1846 – 1848<br />
5. Superior Peter Paul Gradler 1848 – 1853<br />
6. Superior Karl von Prentner 1853 – 1857<br />
7. Superior Anton Etzinger 1857 – 1884<br />
8. Superior Johann Paul Wendl 1884 – 1900<br />
9. Superior Konrad Hiller 1900 – 1914<br />
10. Superior Prälat Johann Pfaffenbüchler 1914 – 1947<br />
11. Superior Prälat Karl Nißl 1947 – 1972<br />
12. Superior Prälat Joseph König 1972 – 2001
Spirituale des Mutterhauses München<br />
1. Spiritual Dr. Peter Kern<br />
Amtszeit<br />
1965 – 1972<br />
2. Spiritual Pater Prof. Dr. Robert Lachenschmid SJ seit 01.09.2001<br />
Person<strong>als</strong>tand<br />
Jahr Schw. Nov. Kand. Gesamt<br />
1832 2 14 33 49<br />
1835 30 22 15 67<br />
1840 65 39 39 143<br />
1845 121 35 30 186<br />
1850 183 25 30 238<br />
1855 260 77 33 370<br />
1860 368 63 36 467<br />
1865 447 41 34 522<br />
1870 487 62 44 593<br />
1875 543 50 27 620<br />
1880 548 57 36 641<br />
1885 587 54 42 683<br />
1890 592 78 60 730<br />
1895 660 93 67 820<br />
1900 767 141 76 984<br />
1905 927 130 95 1152<br />
1910 1120 186 132 1438<br />
1915 1433 208 113 <strong>175</strong>4<br />
1920 1590 146 109 1845<br />
1925 <strong>175</strong>7 202 119 2078<br />
1930 2099 211 146 2456<br />
1932 2246 246 139 2631<br />
1935 2324 229 129 2682<br />
1940 2672 91 39 2802<br />
1945 2526 25 40 2591<br />
1950 2509 95 24 2628<br />
1955 2501 78 28 2607<br />
1960 2432 40 18 2490<br />
1965 2283 31 7 2321<br />
1970 2062 5 1 2068<br />
1975 1797 2 0 1799<br />
Anhang<br />
291
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
292<br />
Jahr Schw. Nov. Kand. Gesamt<br />
1980 1555 1 2 1558<br />
1985 1273 1 0 1274<br />
1990 1056 1 0 1057<br />
1995 828 0 0 828<br />
2000 627 0 0 627<br />
2005 474 0 0 474<br />
2006 449 0 0 449<br />
Schw. = Professschwestern; Nov. = Novizinnen; Kand. = Kandidatinnen<br />
Quelle: BSMüA 30 und statistische Angaben der Mutterhausverwaltung<br />
Stand jeweils 31.12. des Jahres<br />
Verzeichnis der Niederlassungen<br />
Übernahme<br />
Ort Name der Einrichtung Abgabe<br />
1832 München Allgemeines Krankenhaus, Städt. Krankenhaus<br />
links der Isar, Uniklinik Medizinische Klinik der<br />
Innenstadt, Ziemssenstraße<br />
2000<br />
1835 Landshut Städt. Krankenhaus An der Lände, Neubau 1965 1984<br />
1836 München Heilig-Geist-Spital in Mathildenstr., ab 1907 am<br />
Dom-Pedro-Platz<br />
1984<br />
1837 Aschaffenburg Städt. Krankenhaus 1969<br />
1837 Neumarkt/Opf. Städt. Krankenhaus 1986<br />
1839 München Mutterhaus (Nußbaumstraße), ordenseigen 2007<br />
1840 München Krankenhaus Haidhausen, Städt. Krankenhaus<br />
rechts der Isar<br />
1977<br />
1840 Orb Krankenhaus (1875 Übernahme durch Mutterhaus<br />
Fulda)<br />
1875<br />
1841 Eichstätt Städt. Krankenhaus/Kreis-Krankenhaus 1994<br />
1841 München Nockher’sche Armenanstalt in der Blumenstraße 1895<br />
1842 München Erholungsheim in Berg a. Laim, Alters- u.<br />
Rekonvaleszenten-Heim, Neubau 1980 Altenund<br />
Pflegeheim St. Michael, ordenseigen<br />
1842 München Städt. St. Josef-Spital 1934<br />
1842 Neunburg v. W. Armen- u. Krankenhaus 1872<br />
1843 Bad Tölz Städt. Krankenhaus 1983<br />
1843 Landshut Waisenhaus, mit Krankenhaus verwaltet 1922<br />
1844 Ingolstadt Krankenhaus 1917
Übernahme<br />
Ort Name der Einrichtung Abgabe<br />
1845 Ingolstadt Städt. Heilig-Geist-Spital 1995<br />
1846 Amberg Gefangenen-Strafanstalt (1862 nach Wasserburg<br />
verlegt)<br />
1862<br />
1846 Donauwörth Städt. Krankenhaus 1967<br />
1846 Donauwörth Lungenspital/Städt. Bürgerspital 1983<br />
1847 Augsburg Ambul. Pflege Bachsches Seelhaus (Anfänge<br />
Mtths. Augsburg)<br />
1862<br />
1847 Erding Städt. Krankenhaus, seit 1888 zusätzlich städtische<br />
Josefsanstalt<br />
1973<br />
1847 Landshut Kinderbewahranstalt, mit Krankenhaus verwaltet 1921<br />
1847 Sünching Bezirks-Krankenhaus/Altenpflegeheim 1979<br />
1848 Lichtenfels Städt. Krankenhaus 1973<br />
1849 Landsberg Städt. Heilig-Geist-Spital, Kinderabteilung 1970<br />
aufgegeben<br />
1994<br />
1850 Amberg Marienspital/Städt. Marien-Krankenhaus 1974<br />
1850 Landsberg Städt. Krankenhaus 1983<br />
1850 Ottobeuren Spital/Gemeindl. Josefs-Pensionat 1987<br />
1851 Vilsbiburg Bezirks-Krankenhaus, seit 1860 zusätzlich<br />
Heilig-Geist-Spital<br />
1988<br />
1853 Amberg Rettungsanstalt St. Maximilian/Säuglingsheim 1937<br />
1853 Amberg Waisenhaus, Neubau 1966 Kinderheim<br />
Joh.-Heinrich-Werner-Haus<br />
1998<br />
1853 Deggendorf Städt. Krankenhaus 1967<br />
1853 Dinkelscherben Heilig-Geist-Spital 1980<br />
1853 Kempten Kreis-Krankenhaus 1980<br />
1853 Kempten und Bezirks-/Kreis-Spital-Stiftung 1983<br />
1853 München Hauner’sches Kinderspital/<br />
Universitäts-Kinderklinik<br />
1981<br />
1853 Regensburg Kindheit Jesu Anstalt, 1967 Neubau 1976<br />
1854 Bamberg Städt. Krankenhaus 1980<br />
1854 Deggendorf Städt. Waisenhaus/Kinderheim 1978<br />
1854 Eggenfelden Bezirks-Krankenhaus 1974<br />
1854 Eichstätt Kindererziehungsanstalt, Rettungsanstalt 1857<br />
1854 Haimhausen Kinder-Erziehungsanstalt<br />
(nach Indersdorf verlegt)<br />
1856<br />
1855 Landshut Magdalenenheim, Armenbeschäftigungs-Anstalt 1988<br />
1855 München Krippenanstalt St. Anna 1958<br />
1855 München Armenversorgungsanstalt 1973<br />
Anhang<br />
293
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
294<br />
Übernahme<br />
Ort Name der Einrichtung Abgabe<br />
1855 Regensburg Domkapitel’sches Waisenhaus/Katholisches<br />
Kinderheim<br />
1976<br />
1855 Sonthofen Heilig-Geist-Spital 1991<br />
1855 Tirschenreuth Bezirks-/Kreis-Krankenhaus 1982<br />
1855 Tirschenreuth Invalidenheim 1988<br />
1856 Dillingen Heilig-Geist-Spital/Hospital-Stiftung 1984<br />
1856 Indersdorf Kloster/Marienanstalt 1938<br />
1856 Passau Städt. Krankenhaus 1972<br />
1857 Passau Armenlazarett, 1907 in Maierhof aufgegangen 1907<br />
1857 Landshut Marienanstalt, 1973 in Kinderheim St. Vinzenz<br />
umbenannt, von 1952 – 2001 ordenseigen, 2002<br />
Schenkung an Caritasverband<br />
1857 München Städt. amb. Pflegestation bei St. Ludwig 1945<br />
1857 München Ambulante Pflegestation St. Bonifaz 1922<br />
1857 Traunstein Städt. Krankenhaus 1989<br />
1858 Burghausen Städt. Krankenhaus 1957<br />
1858 Immenstadt Bezirks-Spital, Pfründner-/Waisenanstalt,<br />
1874 – 1971 auch Kinderbewahranstalt<br />
1987<br />
1858 Landshut Heilig-Geist-Spital 1981<br />
1859 München Armenhaus/Städt. Altenheim an der Kreuzkirche 1944<br />
1859 Augsburg Katholisches Krankenhaus (Mtths. Augsburg) 1862<br />
1859 Landau/Isar Bezirks-Krankenhaus 1979<br />
1859 München Versorgungs-Anstalt für Unheilbare St. Nikolai<br />
am Gasteig<br />
1941<br />
1860 Wasserburg Städt./Kreis-Krankenhaus 1985<br />
1860 Dingolfing Distr.-/Bezirks-/Kreis-Krankenhaus 1982<br />
1860 Regensburg Katharinenspital 1980<br />
1861 Griesbach Bezirks-/Kreis-Krankenhaus 1971<br />
1861 Hengersberg Bezirks-Krankenhaus 1969<br />
1861 Schongau Bezirks-/Kreis-Krankenhaus 1980<br />
1862 Altötting Städt. Krankenhaus, Neubau 1985, Zusammenlegung<br />
mit Neuötting<br />
1997<br />
1862 Wasserburg Städt. Heilig-Geist-Spital, seit 1971 Caritas-<br />
Altenheim St. Konrad<br />
1992<br />
1862 Wasserburg Gefangenenanstalt 1909<br />
1863 Palling Distriktarmenhaus u. Gemeinde-Krankenhaus,<br />
Pflegeheim<br />
1994<br />
1863 Weilheim Krankenhaus 1887
Übernahme<br />
Ort Name der Einrichtung Abgabe<br />
1863 Frontenhausen Gemeinde-Spital/Kreis-Krankenhaus, ab 1981<br />
Mechtildisheim (Altenheim)<br />
1982<br />
1863 Passau Josefspital in der Heilig-Geist-Gasse, seit 1907<br />
Josefspensionat Maierhof in der Innstraße<br />
1985<br />
1864 München Ambulante Pflegestation i. d. Pfarrei St. Peter 1944<br />
1864 Plattling Bezirks-/Kreis-Krankenhaus 1987<br />
1864 Regensburg Bischof Wittmanns Erziehungs-Anstalt 1976<br />
1865 Frontenhausen Bürgerheim 2000<br />
1865 Bamberg Städt. Antonistift für Unheilbare 1981<br />
1865 Miesbach Distriktskrankenhaus/Städt. Krankenhaus 1973<br />
1865 Regensburg Domkapitel’sches Krankenhaus 1930<br />
1865 Schongau Städt. Heilig-Geist-Spital 1987<br />
1865 Trostberg Bezirks-Krankenhaus, von 1870 bis 1942 auch<br />
Bruderhaus<br />
1967<br />
1865 München Krippenanstalt St. Josef 1943<br />
1865 München Krippenanstalt St. Bonifaz 1922<br />
1865 Schongau ambulante Pflegestation 1970<br />
1866 Moosburg Bezirks-Krankenhaus 1982<br />
1866 München Chirurgische Klinik, Beginn <strong>als</strong> Aushilfskrankenhaus<br />
von l. d. Isar<br />
1974<br />
1866 Velden Bezirks-Krankenhaus, ab 1977 Pflegeheim 1978<br />
1868 Burghausen Heilig-Geist-Spital 1979<br />
1868 Dillingen Städt. Krankenhaus 1958<br />
1868 Dorfen Gemeinde-Krankenhaus 1989<br />
1868 Haag/Obb. Bezirks-Krankenhaus 1986<br />
1868 Neuötting Städt. Krankenhaus, 1985 zusammenlegt mit<br />
Altötting<br />
1985<br />
1869 Bamberg Irrenanstalt, Nervenklinik St. Getreu 1997<br />
1869 Indersdorf Bezirks-Krankenhaus 1992<br />
1869 Wegscheid Bezirks-Krankenhaus 1988<br />
1869 Wasserburg Bruder- und Armenhaus 1970<br />
1869 Wegscheid ambulante Pflegestation 1966<br />
1870 Holzkirchen Distrikts-/Gemeinde-Krankenhaus 1983<br />
1871 München Krippenanstalt St. Peter 1943<br />
1871 Gundelfingen Städt. Spital u. Krankenhaus mit ambul. Pflegestation<br />
(bis 1976)<br />
1991<br />
1872 Lauingen Städt. Spital, ambul. Pflegestation, ab 1989<br />
Caritas-Sozi<strong>als</strong>tation<br />
2000<br />
1874 München St. Georgiritter Krankenhaus Nymphenburg 1912<br />
Anhang<br />
295
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
296<br />
Übernahme<br />
Ort Name der Einrichtung Abgabe<br />
1875 Hutthurm Bezirks-Krankenhaus 1980<br />
1876 Rotthalmünster Bezirks-Krankenhaus 1984<br />
1883 München Johannis-Spital, Sendlingerstraße 1895<br />
1884 München Städt. Mathilden-Pensionat 1980<br />
1888 Altötting Städt. Marienstift 1989<br />
1890 Landsberg Ambulante Pflegestation Marienheim 1970<br />
1895 München Städt. Altersheim St. Martin 1983<br />
1896 Haag/Obb. Gemeindl. Pfründner-Anstalt, 1960 Caritas-<br />
Altenheim St. Kunigund<br />
1996<br />
1896 München Postulat, ordenseigen 1944<br />
1898 Dorfen Gemeindl. Marienstift mit ambulanter Pflegestation<br />
(bis 1967)<br />
1983<br />
1898 Planegg Waldsanatorium, Lungenheilstätte bis 1984,<br />
seit 1986 Alten- und Pflegeheim, seit 1921<br />
ordenseigen<br />
1899 Immenstadt Städt. ambulante Krankenpflegestation 1986<br />
1899 München Städt. Sanatorium Harlaching 1960<br />
1901 Bogen Bezirks-Krankenhaus mit ambulanter Pflegestation<br />
(bis 1967)<br />
1973<br />
1901 Erding Fischersche Bezirks-Armenanstalt 1986<br />
1901 Grafenau Bezirks-Krankenhaus 1989<br />
1901 Oberstdorf Gemeindliches Krankenhaus 1977<br />
1901 Oberstdorf Ambulante Pflegestation, ab 1953 Vinzenz Haus<br />
1902 Erding Städt. Heiliggeist-Spital mit ambulanter Pflegestation<br />
(bis 1967)<br />
1990<br />
1902 Peiting Gemeindliches Krankenhaus 1972<br />
1903 Plattling Städt. Josefsheim (angebunden ans Krankenhaus) 1981<br />
1904 München Universitätsklinik für Psychiatrie 1991<br />
1905 Landau/Isar Städt. Heilig-Geist-Spital mit ambulanter Pflegestation<br />
(bis 1967)<br />
1986<br />
1905 Landshut/Achdorf<br />
Bezirks-/Kreis-Krankenhaus 1992<br />
1905 Teisendorf Gemeindl. Krankenhaus mit ambulanter<br />
Pflegestation<br />
1967<br />
1906 Altötting Städt. Bruderhaus (1973 mit Marienstift<br />
zusammengelegt)<br />
1973<br />
1906 Bärnau Städt. Krankenhaus mit ambulanter<br />
Krankenpflegestation<br />
1969<br />
1906 Donauwörth Ambulante Pflegestation 1991
Übernahme<br />
Ort Name der Einrichtung Abgabe<br />
1906 München Chirurgische Klinik an der Mandlstraße 1907<br />
1906 Sonthofen Ambul. Pflegestation, seit 1993 Caritas-Sozialzentrum<br />
St. Hildegard<br />
2006<br />
1907 Bad Adelholzen Kurhaus, Lazarett, Krankenhaus 1946 – 1969, seit<br />
1970 Bildungs- und Exerzitienhaus, Primusquelle<br />
bzw. seit 1994 Adelholzener Alpenquellen<br />
GmbH, Landwirtschaft (Primushof), ordenseigen<br />
1907 Waldkirchen Bezirks-Krankenhaus 1992<br />
1908 Passau Städt. Josefs-Pensionat/Bürgerliche<br />
Heilig-Geist-Stift<br />
1978<br />
1908 Immenstadt Bezirks-/Kreis-Krankenhaus 1991<br />
1908 Ingolstadt Garnison-Lazarett 1921<br />
1908 München I. Univ. Frauenklinik 1985<br />
1909 Lauingen Bezirk-Krankenhaus 1977<br />
1909 Marienhöhe Erholungsheim 1909<br />
1909 Velden Gemeindliche Johannesanstalt 1978<br />
1910 Bad Tölz Städt. Josefs-Pensionat 1989<br />
1910 München Städt. Krankenhaus Schwabing 1964<br />
1910 München Kinder-Krankenhaus Schwabing 1969<br />
1910 Siegenburg Gemeindliches Krankenhaus 1977<br />
1911 Alzing Genesungsheim der LVA, seit 1967 ordenseigen<br />
Schwesternheim St. Ludovika, seit 1989 Schwesternheim<br />
St. Hildegard<br />
1911 München Städt. Bürgerheim 1991<br />
1912 Bayreuth Kinderheim, -garten, ambul. Pflegestation,<br />
Caritas-Sozi<strong>als</strong>tation<br />
2007<br />
1912 München Herzogliches Georgianum (1912 – 1939;<br />
1950 – 1973; seit 1983)<br />
1912 Peiting Marienheim 1971<br />
1913 Hausstein Sanatorium am Hausstein bei Deggendorf 1975<br />
1913 München Orthopädische Klinik 1986<br />
1913 Reit im Winkl Gemeindliches Krankenhaus 1970<br />
1915 Bogen Bezirks-Kinderheim/Bewahranstalt 1938<br />
1916 Scheidegg i. Allg. Kinderheilstätte, Prinz-Luitpold-Kinderklinik 1982<br />
1917 München Gynäkologische Klinik 1979<br />
1919 Dietfurt Städt. Krankenhaus mit ambul. Krankenpflegestation<br />
(bis 1987)<br />
1974<br />
1919 München Gilmer’sche Klinik und Schlösser’sche<br />
Augenklinik<br />
1943<br />
Anhang<br />
297
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
298<br />
Übernahme<br />
Ort Name der Einrichtung Abgabe<br />
1919 Ströging Altersheim Maria-Theresia-Anstalt 1921<br />
1919 Traunstein Städt. Bürgerheim 1970<br />
1920 Regensburg Städt. Krankenhaus an der Greflingerstraße 1929<br />
1920 Sonthofen Gemeindl. Krankenhaus 1970<br />
1920 Strullendorf Wald-Erholungsstätte 1937<br />
1922 Amberg Säuglingsheim 1936<br />
1922 Bamberg Entbindungsanstalt u. Hebammenschule, Staatl.<br />
Frauenklinik<br />
1971<br />
1923 Schongau Städt. Altersheim/Bürgerheim 1991<br />
1923 Unterhaching Marxhof, Erholungsheim, 1967 Neubau Schwesternheim<br />
St. Katharina Labouré, ordenseigen<br />
1925 München Bischöfliches Palais, Haushalt<br />
(1925 – 1952; seit 1977)<br />
1926 Partenkirchen Sanatorium Haus St. Hildegard 1975<br />
1927 Emmering Kinder-Erholungsheim „Walburga-Heim“ 1956<br />
1928 Grafenau Marienanstalt, Kinderbewahranstalt,<br />
Kindergarten<br />
1977<br />
1928 München Städt. Altersheim St. Josef am<br />
Luise-Kiesselbach-Platz<br />
1979<br />
1928 Schrobenhausen Pensionat St. Georgstift 1994<br />
1929 Fuchsmühl Marienheim, Kinderbewahranstalt, ambul. Pflegestation,<br />
ab 1953 auch Altenpflege<br />
1994<br />
1929 München Krankenhaus l.d.I., Dermatologische Abteilung,<br />
Thalkirchner Straße<br />
1995<br />
1929 Regensburg Krankenhaus der <strong>Barmherzige</strong>n Brüder,<br />
Frauenabeilung<br />
1995<br />
1929 Traunstein Erzbischöfliches Studienseminar, Haushalt 2003<br />
1930 München Maria-Theresia-Klinik, Chirurgische Privatklinik<br />
Prof. Lebsche, seit 1952 ordenseigen<br />
1930 Regensburg Domkapitel’sches Josefsheim/Pensionat 1978<br />
1931 Amberg Don Bosco Heim, Schülerheim 1937<br />
1931 München Ambul. Pflege beim Altenheim in Berg a. L.,<br />
ab 1971 Sozi<strong>als</strong>tation<br />
1985<br />
1932 Eichstätt Bischöfliches Palais, Haushalt 1935<br />
1933 München Reginastift 1945<br />
1934 Neumarkt/Rott Gut und Stift St. Veit 2004<br />
1934 München Kuranstalt/Chirurgische Privatklinik Dr.<br />
Rinecker<br />
1971<br />
1934 München Kuranstalt/Medizinische Privatklinik Dr. Müller 1985
Übernahme<br />
Ort Name der Einrichtung Abgabe<br />
1934 München Albertus-Stift (Leopoldstraße bzw.<br />
Werneckstraße)<br />
1977<br />
1934 Siegenburg Kinderheim u. -garten 1977<br />
1935 Berlin Bischöfliches Palais 1951<br />
1935 München Schwesternheim Sollner Straße, ordenseigen 1967<br />
1935 München Kinderheim St. Vinzenz 1945<br />
1936 Eichstätt Studienseminar St. Benedikt 1941<br />
1936 München Ambul. Krankenpflegestation St. Georg in<br />
Bogenhausen<br />
1952<br />
1937 München Villa Rosipal 1944<br />
1939 München Hilfs-Krankenhaus Max-Josef-Stift 1948<br />
1939 München Hilfs-Krankenhaus Pullach, Berchmanskolleg 1943<br />
1940 Landshut Hilfs-Krankenhaus Adelmannschloss 1965<br />
1940 München Hilfs-Krankenhaus Nymphenburg 1950<br />
1942 München Städt. Altersheim Schwabing, 1942 Lazarett,<br />
1945 Ausländerkrankenhaus der UNRRA, IRO,<br />
ab 1951 Altenheim<br />
1977<br />
1943 München Hilfs-Krankenhaus Waldtrudering 1948<br />
1944 Burgellern Ausweich-Krankenhaus* 1965<br />
1945 Indersdorf Marienheim im Auftrag der UNRRA 1946<br />
1945 München Krankenhaus am Biederstein 1973<br />
1946 Bogen Kinderheim, ab 1972 Pfarr-Kindergarten 1992<br />
1946 München Privatklinik Krecke-Klinik 1958<br />
1947 Achatswies Kinder-Krankenhaus bei Fischbachau (zu<br />
Schwabing gehörend)<br />
1970<br />
1947 Bad Tölz Darlappheim, Altenheim 1968<br />
1948 Ohlstadt Ausweich-Krankenhaus der Kinderklinik 1966<br />
1949 Indersdorf Kloster Indersdorf (Marienanstalt), Landfrauenschule,<br />
1952-1984 Haushaltungsschule, seit 1952<br />
Re<strong>als</strong>chule (1989 an Erzdiözese abgegeben), seit<br />
1949 Kindergarten St. Vinzenz (2003 an Franziskuswerk<br />
Schönbrunn abgegeben), ordenseigen<br />
von 1949 bis 1989 bzw. Kindergarten bis 2002<br />
1995<br />
1950 München Röntgen-Institut (zur Chirurgischen Klinik<br />
gehörend)<br />
1959<br />
1955 München Kindergarten in Berg am Laim 1986<br />
1959 München Schwesternheim Maria Regina,<br />
Schwesternwohnheim<br />
Anhang<br />
299
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
300<br />
Übernahme<br />
Ort Name der Einrichtung Abgabe<br />
1959 München Krankenpflegeschule Maria Regina für freie<br />
katholische Schwestern, seit 1980 BFS für<br />
Krankenpflege<br />
1961 Deggendorf Pfarrkindergarten St. Martin 1986<br />
1964 Hengersberg Altersheim 1969<br />
1964 Inzell Schwesternerholungsheim St. Vinzenz,<br />
ordenseigen<br />
1965 Unterwössen Schwesternerholungsheim Bichlhof, ordenseigen<br />
1966 Ruhpolding Altenheim St. Anna, 1971 Neubau Altenheim St.<br />
Adelheid, ordenseigen<br />
1967 Regensburg Bischöfliches Studienseminar, Haushalt 1989<br />
1968 Teisendorf Seniorenwohnanlage mit Pflegeheim St.<br />
Elisabeth<br />
1971 Ruhpolding Krankenhaus Vinzentinum<br />
1971 Ruhpolding Krankenpflegehilfe-Schule, ab 1991 BFS für<br />
Krankenpflegehilfe<br />
1972 München Städt. Krankenhaus Neuperlach, Onkologische<br />
Abteilung<br />
1984<br />
1972 München Berchmanskolleg, Altenpflege<br />
(nach Unterhaching verlegt)<br />
1997<br />
1972 München Ambulante Krankenpflege St. Gertrud 1974<br />
1973 Lichtenfels Städt. Altersheim/Mayacher Stiftung 1994<br />
1973 München Internes Krankenhaus Neuwittelsbach,<br />
ordenseigen<br />
1973 München Städt. Altenheim 1987<br />
1974 Dietfurt Caritas-Altenheim 1997<br />
1974 Trostberg Kreis-Krankenhaus (kleine Gruppe von<br />
Schwestern)<br />
1976<br />
1975 Indersdorf Sozi<strong>als</strong>tation Dachau 1978<br />
1976 Regensburg Kinder-Zentrum St. Vinzenz, Heilpädagogisches<br />
Kinderheim<br />
1997<br />
1977 Gräfelfing Caritas-Altenheim St. Gisela 1996<br />
1977 Inzell Gemeinde-Krankenhaus 1998<br />
1979 München Caritas-Sozi<strong>als</strong>tation Sendling 1987<br />
1981 Plattling Caritas-Sozi<strong>als</strong>tation St. Vinzenz 2004<br />
1982 Frontenhausen Mechtildisheim 2001<br />
1983 München Deutsches Herzzentrum (Krankenhausseelsorge)<br />
1986 München Caritas-Sozi<strong>als</strong>tation Haidhausen 1987<br />
1986 München Haus Benedikt Labré, Obdachlosen-Betreuung
Übernahme<br />
Ort Name der Einrichtung Abgabe<br />
1987 Unterwössen Schwesternerholungsheim Haus Luise,<br />
ordenseigen<br />
1987 Wolfratshausen Erzbischöfliches Spätberufenen-Seminar St.<br />
Matthias in Waldram<br />
1988 München Passionisten-Kloster St. Gabriel (Haushalt) 2001<br />
1988 München Haus Mechtild/Noviziat, seit 2007 Haus der<br />
Stille, ordenseigen<br />
1988 München Der Jakobsbrunnen, erst Laim, dann Haus<br />
Mechtild, seit 1997 in Lochham<br />
1990 München Johannes-Hospiz der <strong>Barmherzige</strong>n Brüder 1995<br />
1991 München „Oase“ Pfarrgemeinde St. Margret<br />
1995 Ruhpolding BFS für Altenpflege, ordenseigen<br />
1995 Fachendorf Katharinenhof in Pittenhart, ordenseigen<br />
1996 Oberschleißheim Alten- und Pflegeheim für Obdachlose, Haus St.<br />
Benno<br />
1997 München Caritas-Sozi<strong>als</strong>tation in Berg am Laim 1999<br />
1999 Kajov Projekt Tschechien, Pfarrseelsorge,<br />
Gemeindecaritas<br />
2002 München Projekt OMNIBUS<br />
2007 München Neues Mutterhaus in Berg am Laim, ordenseigen<br />
ambul. = ambulante; städt. = städtisch; staatl. = staatlich; Mtths. = Mutterhaus<br />
* Auf die Auflistung der zahlreichen Ausweichkrankenhäuser der Münchner Kliniken,<br />
in denen die Schwestern tätig waren, wurde hier aus Platzgründen verzichtet.<br />
Quelle: BSMüA 017, Niederlassungsverzeichnisse<br />
Anhang<br />
301
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
302<br />
Die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
Gedicht König Ludwig I.<br />
Gedruckt 1844 in der Zeitschrift „Sion“<br />
Engel, die im irdischen Gefilde<br />
nur allein dem Wohl der Menschen leben,<br />
Güte sind sie, sie sind Liebe, Milde,<br />
haben sich den Leidenden gegeben.<br />
Gott anbeten und die Kranken pflegen,<br />
ein ununterbrochenes Selbstverleugnen<br />
ist ihr Daseyn, keinen Wunsch sie hegen,<br />
sind sich gleich, was sich auch mag ereignen.<br />
Nicht die Körper, die allein genesen,<br />
auch die Seelen ihr Bemühen rettet,<br />
sie verändern ganz des Menschen Wesen,<br />
lösen, was ihn an die Sünde kettet.<br />
Endelos ihr gänzliches Entsagen,<br />
geh‘n dem Tode immerfort entgegen,<br />
unaufhörlich sie das Leben wagen,<br />
überall verbreitend Ruh‘ und Segen.<br />
Heil‘ge Jungfrau‘n, Gottes muth‘ge Schaaren,<br />
heldenhafter <strong>als</strong> des Krieges Helden;<br />
denn kein Ruhm, wie groß auch die Gefahren,<br />
ihre Todsverachtung wird vergelten.<br />
Ihnen wird kein Lohn jem<strong>als</strong> auf Erden,<br />
was auch wären ihnen ird‘sche Kronen!<br />
Jenseits nur kann Lohn denselben werden,<br />
Himmlisches sich bloß im Himmel lohnen.<br />
Christus, Du nur kannst die Willen lenken,<br />
Du nur kannst die Herzen so entzünden,<br />
dass, sich selbst vergessend, sie sich senken<br />
ganz in Liebe, die nicht zu ergründen.
Literaturverzeichnis<br />
Adelholzener Alpenquellen GmbH, Manuskript der <strong>Festschrift</strong> <strong>zum</strong> 100-<strong>jährigen</strong><br />
<strong>Jubiläum</strong> der Übernahme des Betriebs durch die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern (2007)<br />
Bartholmä, Friedrich, Die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern in München in bezug auf Krankenpflege.<br />
Eine Stimme an unsere Zeit, Verlag M. S. Kreuzer, Augsburg 1838.<br />
Behrend-Rosenfeld, Else R., Ich stand nicht allein, Leben einer Jüdin in Deutschland<br />
1933-1944, Verlag C.H.Beck, München 1988, Tagebuchaufzeichnungen, erstm<strong>als</strong><br />
erschienen 1945.<br />
Brentano, Clemens von, Die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern, 2. Auflage, Mainz 1852.<br />
Buchberger, Michael (Hg.), Die Kulturarbeit der katholischen Kirche in Bayern,<br />
München 1920.<br />
Buchborn, Eberhard (Hg.), Vom Allgemeinen Krankenhaus zur Medizinischen Klinik<br />
Innenstadt der Ludwig-Maximilians-Universität, München 1988.<br />
300 Jahre <strong>Barmherzige</strong> Schwestern vom Heiligen Vinzenz von Paul 1633-<br />
1933, 100 Jahre Welt-Vinzenz-Verein 1833-1933, Hanns Eder-Verlag, München<br />
1933.<br />
Eder, Manfred, Helfen macht nicht ärmer, Von der kirchlichen Armenfürsorge zur<br />
modernen Caritas in Bayern, Altötting 1997.<br />
Förg, Gabriele (Hg.), Bayern – Land mit Löwenspuren, Geschichten aus der bayerischen<br />
Geschichte, Allitera Verlag, München 2005.<br />
Frings, Bernhard, Mit ganzem Herzen, Hundert Jahre Missionsschwestern vom Heiligen<br />
Herzen Jesu von Hiltrup, Laumann-Verlag, 2000.<br />
Gebhardt, M. Caritas Schwester, Die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern in der NS-Zeit, in:<br />
Das Erzbistum München und Freising in der Zeit der nation<strong>als</strong>ozialistischen Herrschaft,<br />
hrsg. Von Georg Schwaiger, Sonderdruck, Verlag Schnell & Steiner, München,<br />
Zürich 1984.<br />
Dies., Geschichte der barmherzigen Schwestern vom hl. Vinzenz von Paul,<br />
Mutterhaus München, Typoskript, kurz Mutterhauschronik genannt, Fortführung<br />
(bis 1974) und Überarbeitung einer im Jahr 1953 handgeschriebenen<br />
Chronik von Sr. M. Emma Mayer (starb 1978). Diese <strong>Barmherzige</strong> Schwester war<br />
von 1925 – 1967 im Schreibzimmer des Mutterhauses beschäftigt, hatte <strong>als</strong>o engen<br />
Kontakt mit der Ordensleitung. Diese Chronik basiert auf der Briefchronik und<br />
schöpft aus persönlichen Erinnerungen von Schwester Emma ohne Anspruch auf<br />
Vollständigkeit. Da der Autorin nur die digitale Form der Mutterhauschronik vorlag,<br />
bezeichnen alle Seitenangaben die jeweiligen Bildschirmseiten.<br />
Glowatzki, Herbert CM (gesammelt), Gedrängt vom Erbarmen, Worte des heiligen<br />
Vinzenz von Paul, Salzkotten 1959.<br />
303
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
304<br />
Häberl, Franz Xaver, Abhandlung über öffentliche Armen- und Krankenpflege, München<br />
1813<br />
Hauber, Michael, Allgemeine Statuten des Ordens der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern des<br />
hl. Vinzenz von Paul im Königreich, München 1835.<br />
Ders., Zwölf gottselige Betrachtungen über die Vorzüge und Pflichten des Ordens der<br />
BS <strong>als</strong> Armen- und Krankenpflegerinnen in den Spitälern, Sulzbach 1835.<br />
Hausberger, Karl / Hubensteiner, Benno, Bayerische Kirchengeschichte, Süddeutscher<br />
Verlag GmbH, München 1985.<br />
Hubensteiner, Benno, Bayerische Geschichte, Staat und Volk, Kunst und Kultur, München<br />
1980<br />
Kasberger, Erich / Knauer-Nothaft, Christl, Berg am Laim. Von den Siedlungsanfängen<br />
<strong>zum</strong> modernen Stadtteil Münchens, Volk Verlag, 2006.<br />
Kerschensteiner, Hermann, Geschichte der Münchner Krankenanstalten, Verlag J.F.<br />
Lehmann, München, Berlin 1939.<br />
Kobell, Luise von , Luise von Kobell und die Könige von Bayern, Historien und Anekdoten<br />
anno 1790 – 1890, Hg. Kurt Wilhelm, Ehrenwirtverlag, München 1980.<br />
Kongregation der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern vom hl.Vinzenz von Paul, Mutterhaus<br />
München (Hg.), Alten- und Pflegeheim Waldsanatorium Planegg, <strong>Festschrift</strong><br />
zur Einweihung am 19.02.2003, anlässlich des Abschlusses der Gener<strong>als</strong>anierung,<br />
München 2003.<br />
Dies. (Hg.), Alten- und Pflegeheim St. Michael Berg a. Laim, <strong>Festschrift</strong> zur Einweihung<br />
am 22.07.2004, anlässlich des Abschlusses der Gener<strong>als</strong>anierung, München<br />
2004.<br />
Dies. (Hg.), Gedenkfeier anlässlich des 150<strong>jährigen</strong> Wirkens der <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern in Bayern am 10.März 1982, Seitz-Verlag, München 1982.<br />
Dies. (Hg.), Lebensordnung der Kongregation der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern vom<br />
hl. Vinzenz von Paul Mutterhaus München, München 1985.<br />
Dies./St.Vinzentius Zentralverein München (Hg.), 400 Jahre Vinzenz von Paul<br />
1581-1981, Predigten und Ansprachen, München 1981.<br />
Kopp, Franz Xaver, Generalbericht über die Choleraepidemie 1836-1837 in München,<br />
München 1837.<br />
Kunz, Irene, Grundausbildung und Spezialisierung in der Krankenpflege. Zwischen<br />
1800 und 1960. Med. Diss. Freiburg 1984.<br />
Laube, Volker, Fremdarbeiter in kirchlichen Einrichtungen im Erzbistum München<br />
und Freising, 1939 – 1945, Eine Dokumentation, Schriften des Archivs des Erzbistums<br />
München und Freising, Bd. 7, Regensburg 2005.<br />
Locher, Wolfgang Prof. Dr., 100 Jahre Chirurgische Universitätsklinik München an<br />
der Nußbaumstraße, München 1991.<br />
Ders., 150 Jahre Dr. von Haunersches Kinderspital 1846 – 1996, München 1996.<br />
Ders./Scriba, Peter C., Prof. Dr. Dr. hc. (Hg.), Zum Abschied der <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern, Feierstunde zur Verabschiedung der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern vom Hl.
Literaturverzeichnis<br />
Vinzenz von Paul aus der Medizinischen Klinik Innenstadt in München am 8.Juni<br />
2000, München 2000.<br />
Martin, Anselm, Geschichtliche Darstellung der Kranken- und Versorgungsanstalten<br />
zu München mit medizinisch-administrativen Bemerkungen aus dem Gebiet der<br />
Nosokomialpflege, Georg Franz Verlag, München 1834.<br />
Nicolai, Frauke, 650 Jahre Fürsorge und Pflege, Ein Bericht <strong>zum</strong> <strong>Jubiläum</strong> der Heilig-<br />
Geist-Spital-Stiftung der Stadt Landsberg, Landsberg/Augsburg 1999.<br />
Riehl, Hans, Märchenkönig und Bürgerkönige, Wittelsbacher Geschichte(n)<br />
1808 – 1918, Verlag W. Ludwig, Pfaffenhofen 1979.<br />
Rosmus, Anna, Wintergrün, Verdrängte Morde, Konstanz 1993.<br />
Sauer, Sr. M. Sigram O.S.B. (zusammengestellt), Das Mutterhaus der Missionsbenediktinerinnen<br />
von Tutzing in schwerer Zeit, Tutzing 2003.<br />
Schad, Martha, Bayerns Königinnen, Piper-Verlag, München/Zürich 2005.<br />
Scherer, Emil Clemens, Die Kongregation der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern von Straßburg.<br />
Ein Bild ihres Werdens und Wirkens von 1734 bis zur Gegenwart. (Forschungen<br />
zur Kirchengeschichte des Elsaß Bd. 2), Butzon & Bercker, Kevelaer 1930.<br />
Ders., Schwester Ignatia Jorth und die Einführung der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern in<br />
Bayern, Gilde-Verlag, Köln 1932.<br />
Seidler, Eduard, Geschichte der Pflege des kranken Menschen, 3. Aufl., Stuttgart<br />
1966.<br />
Sintzel, Michael, Erinnerungen an die wohlerwürdige Frau Ignatia Jorth, Gründerin<br />
und erste General-Oberin des Ordens der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern in Bayern,<br />
München 1845.<br />
Ders., Geschichte der Entstehung, Verbreitung und Wirksamkeit des Ordens der <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern, Regensburg 1847.<br />
Sporer, Irmgard, Das Mutterhaus der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern vom Heiligen Vinzenz<br />
von Paul von München, Med. Diss. TU München 1988.<br />
Sterner, Lieselotte, Die Kongregation der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern vom hl. Vinzenz<br />
von Paul in Hildesheim von 1852 bis <strong>zum</strong> Zweiten Vatikanischen Konzil, Untersuchung<br />
einer karitativen Ordensgemeinschaft vor dem Hintergrund der sozialen<br />
und politischen Entwicklung im 19. und 20. Jahrhundert, Hannover 1999.<br />
Thorr, Joseph, Darstellung der baulichen und inneren Einrichtungen eines Krankenhauses<br />
durch die Organisationsverhältnisse des städtischen allgemeinen Krankenhauses<br />
in München erläutert. Nebst einer Übersicht der Leistungen dieser Anstalt<br />
vom Jahre 1820-1846, München 1847.<br />
Ders., Die Leistungen des allgemeinen Krankenhauses in München von der Eröffnung<br />
bis <strong>zum</strong> Jahre 1854, München 1854.<br />
Walther, Philipp Franz Dr. von, Über den finanziellen Zustand des allgemeinen Krankenhauses<br />
in München im Jahre 1835.<br />
305
306<br />
Bildnachweis<br />
Allgemeines Krankenhaus in München, Lithographie von Carl August Lebschée<br />
(1800 – 1877) um 1830, S. 20, Ausschnitt aus Stadtkarte München, S. 162, Wiedergabe<br />
mit freundlicher Genehmigung des Stadtarchivs München.<br />
König Ludwig I., S. 22, Königin Caroline, S. 85 und Königin Therese, S. 137, Gemälde<br />
von Joseph Stieler (1781 – 1858), Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung des<br />
Wittelsbacher Ausgleichsfonds, München.<br />
Professor Johann Nepomuk von Ringseis, S. 38, Gemälde von Joseph Stieler, Wiedergabe<br />
mit freundlicher Genehmigung des Bayerischen Nationalmuseums.<br />
Grafiken S. 78, 134, 135, 156, 246, 260, 265, 267 von der Autorin erstellt.<br />
Fahrkarte, S. 47, Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung von Frau Therese Weiß,<br />
der ehemaligen Besitzerin des Hotelgasthofs zur Post in Fürstenfeldbruck (früher<br />
Postkutschenstation).<br />
Alle weiteren Abbildungen sind dem Fotobestand des Mutterhauses München<br />
entnommen.
Archivalienverzeichnis<br />
Archiv des Instituts für Geschichte der Medizin der Universität<br />
München<br />
Bestand Krankenhaus links der Isar<br />
340/III Übereinkunft des Magistrats mit dem Orden der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
über die Verpflegung und das Dienstpersonal.<br />
734/1 Wiederherstellung des Ordens der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern. I. Epoche<br />
1826/1831.<br />
734/2 Wiederherstellung des Ordens der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern. II. Epoche ab<br />
1832.<br />
734/3 Die Einführung des Instituts der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern in auswärtigen<br />
Krankenhäusern.<br />
740 Geldbezüge der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern im Krankenhause links der Isar.<br />
1846 – 1853.<br />
Archiv des Mutterhauses der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern in München<br />
Gesamtbestand gesichtet.<br />
Wichtiger Hinweis: Mit der Verlegung des Archivs ins neue Mutterhaus wird<br />
eine Neuordnung der Bestände vorgenommen. Die hier gemachten Angaben<br />
beziehen sich noch auf die alte Ordnung des Archivs.<br />
Bayerisches Hauptstaatsarchiv<br />
MK 49353 <strong>Barmherzige</strong> Schwestern v. Hl. Vinzenz von Paul. Bestätigung der<br />
Körperschaftsrechte.<br />
MK 69469 Gesamtverwaltung der Universitätskliniken links der Isar. Verwendung des<br />
Mutterhauses der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern 1959 – 1972.<br />
MInn 89195 Rechtsstatus des Ordens der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern vom Hl. Vinzenz<br />
von Paul in München 1946.<br />
307
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
308<br />
Archiv des Erzbistums München und Freising<br />
AEM, NL-Pfaffenbüchler Nr.1.<br />
Erzbischöfliches Archiv der Diözese München und Freising<br />
EAM, Erzbischöfe 1821 – 1917, Karton 3 und 15a.<br />
EAM, NL Faulhaber, 5501, 5660-66, 8182, 8183, 8186, 8187, 8189.<br />
Staatsarchiv München<br />
Mü LRA 58779, Kloster- und Ordensangelegenheiten, 1828.<br />
LRA 59135, Maßregeln gegen die Cholera.<br />
RA 2529, 51019, <strong>Barmherzige</strong> Schwestern in München, Aufstellung eines Superiors,<br />
1884.<br />
RA 3675 Das Krankenhaus in der Stadt München, 1839 1863.<br />
RA 3675, 57251, Das Krankenhaus in München l. d. Isar, 1864 – 1905.<br />
Stadtarchiv München<br />
Krankenanstalten, Nr. 42, Krankenpflege durch <strong>Barmherzige</strong> Schwestern und Diakonissen,<br />
1819 – 1868.<br />
Ebd., Nr. 43, Öffentlicher Bericht von Krankenhausinspektor Thorr 1854.<br />
Ebd., Nr. 72, Superioren, 1832 – 1914.<br />
Ebd., Nr. 76, Weltliche Krankenpflegerinnen, 1919 – 1939.<br />
Ebd., Nr. 77, NS-Schwestern, weltliche Schwestern, 1939 – 1941.<br />
Ebd., Nr. 217, Städtisches Sanatorium Harlaching.<br />
Stadtchronik.
Abkürzungsverzeichnis<br />
AEM Archiv der Erzdiözese München und Freising<br />
BSMüA Archiv des Mutterhauses der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern in<br />
München<br />
GeschMedMüA Archiv des Instituts für Geschichte der Medizin der Universität<br />
München<br />
BayHStA Bayerisches Hauptstaatsarchiv München<br />
EAM Erzbischöfliches Archiv der Erzdiözese München und Freising<br />
Jhg. Jahrgang<br />
Krankenhaus l.d.I. Krankenhaus links der Isar, früher Allgemeines Krankenhaus, jetzt<br />
Medizinische Klink der Innenstadt in der Ziemssenstraße<br />
Mutterhauschronik Schwester M. Caritas Gebhardt, Die Geschichte der <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern vom hl. Vinzenz von Paul, Mutterhaus München,<br />
Typoskript<br />
NL Nachlass<br />
StAM Staatsarchiv München<br />
StadtAM Stadtarchiv München<br />
SZ Süddeutsche Zeitung<br />
309
310<br />
Anmerkungen<br />
1 Martin, 1834, , S.73, aus Bericht des Innenministeriums zur Aufhebung des<br />
Elisabethspit<strong>als</strong>.<br />
2 Ebd., S. 87.<br />
3 Ebd. S. 87.<br />
4 Kerschensteiner, 1939, S. 186.<br />
5 BSMüA, Königliches Reskript v. 29.07.1827, IV.<br />
6 Ebd., VII.<br />
7 GeschMedMüA, 734/1, Straßburger Generalvikar Liebermann an Dompropst<br />
von Streber, 05.04.1828, Abschrift vom 9.04.1828.<br />
8 Ebd., Brief der Straßburger Generaloberin, Sr. Vinzenz Sultzer, an den Magistrat<br />
vom 14.09.1828.<br />
9 Ebd., Brief des Straßburger Generalvikars an das Münchner Ordinariat vom<br />
12.12.1828, Abschrift.<br />
10 Zitiert nach Scherer, Schwester Ignatia Jorth, S. 28.<br />
11 GeschMedMüA 734/1, Straßburger Generaloberin an Magistrat, 26.02.1830.<br />
12 Zitiert nach<br />
Generaloberin.<br />
Scherer, S. 32, Brief von Sr. Mechtildis an Straßburger<br />
13 StadtAM, Stadtchronik.<br />
14 Bayerischer Volksfreund vom 29.04.1830, BayHStA, M Inn Nr. 61673.<br />
15 Zitiert nach Scherer, S. 35.<br />
16 BSMüA,01 Mappe 2.<br />
17 Ebd.<br />
18 Zitiert nach Scherer, S. 38, Brief von Pater Rupert Leiß an Superior Thomas.<br />
19 Aus GeschMedMüA 734/2.<br />
20 GeschMedMüA, 734/1.<br />
21 BSMüA, 01 Mappe 7, Schwester Ignatia Jorth, Presseberichte und Stadtchronik<br />
behaupten, die beiden Straßburger Schwestern seien in Dachau von der Magistratsdelegation<br />
empfangen worden. Sie gingen demnach davon aus, dass die Schwestern die Route<br />
über Dachau, nicht über FFB genommen hätten. Anzunehmen ist, dass sich dieser Irrtum<br />
aufgrund mangelnder Recherche vonseiten der Presse eingeschlichen hat und unbesehen übernommen<br />
wurde.<br />
22 StadtAM, Stadtchronik.<br />
23 GeschMedMüA, 734/2, Übereinkunft vom Januar 1832 und BSMüA, 01<br />
Mappe 2.<br />
24 BSMüA, 02 Mappe 8, 1834-1847, Schreiben der Oberin an Magistrat vom<br />
4.10.1834.
25 Zitiert nach Scherer, S. 54/55.<br />
26 Ebd. S. 55/56, Bericht der Krankenhauskommission vom 5. April 1833.<br />
27 Ebd., S. 59/60, Festpredigt von Döllinger.<br />
28 Ebd., S. 173.<br />
29 Ebd.<br />
30 Ebd., S. 161/162.<br />
31 BSMüA 20 Generaloberinnen, Sr. Ignatia Jorth, Brief des Münchner Ordinariats<br />
an Magistrat wg. Aufenthaltsverlängerung 5.8.1834.<br />
32 BSMüA, 01 Mappe 2, auch in 01 Mappe 1 und 03 Mappe 3, Eingabe Ignatias<br />
vom 24. April 1835.<br />
33 Zitiert nach Scherer, S. 73, Brief Sr. Ignatias an Straßburger Generaloberin.<br />
34 BSMüA, 03 Mappe 8, Königliches Reskript vom 30. Mai 1835.<br />
35 BSMüA, 03 Mappe 3, Brief Sr. Ignatias an das Mutterhaus in Straßburg am<br />
25.06.1836.<br />
36 Kopp, Franz Xaver, 1837, S. 173.<br />
37 BSMüA, 03 Mappe 3, Brief Sr. Ignatias an Mutterhaus Straßburg am 25.06.1833.<br />
38 Walther, 18, S. 8.<br />
39 Vgl. <strong>zum</strong> Mutterhausbau BSMüA, 02, auch zu den folgenden Kostenangaben;<br />
zu der Debatte bei den Landständen hier auch Exemplare der Münchner Politischen<br />
Zeitung vom 06.11.1837.<br />
40 BSMüA, 03 Mappe 3, Brief Sr. Ignatias an Mutterhaus Straßburg am 05.08.1836.<br />
41 Zitiert nach Scherer, S. 96.<br />
42 Ebd.<br />
43 Ebd., S. 103/104, Brief Sr. Ignatias an Sr. Vinzenz Sultzer am 4.8.1833.<br />
44 Ebd., S. 104, Brief Sr. Ignatias an Sr. Vinzenz Sultzer, einige Wochen später <strong>als</strong><br />
4.8.1833.<br />
45 Ebd.<br />
46 Ebd., S. 107.<br />
47 Ebd., S. 119.<br />
48 Ebd., S. 124.<br />
49 Ebd.<br />
50 BSMüA 30, Personalbücher 1832-1879.<br />
51 Scherer, S. 143.<br />
52 GeschMedMüA, 734/2 und BSMüA 01 Mappe 2, Schreiben des Magistrats an<br />
Generaloberin Sr. Ignatia Jorth, anlässlich der Überreichung eines Silberkreuzes am<br />
24. Mai 1836.<br />
53 Zitiert nach Scherer, S.199 Brief Sr. Ignatias an Straßburger Ordensleitung ca.<br />
Ende Mai 1836.<br />
54 Ebd., S. 217.<br />
55 Ebd., S. 224.<br />
56 Vgl. BSMüA 30, Personalbücher 1832–1879, 1880–1901.<br />
Anmerkungen<br />
311
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
312<br />
57 Vgl. BSMüA, 017 Niederlassungen.<br />
58 BSMüA, 1026, Henlesche Stiftung.<br />
59 Ebd., Brief des Augsburger Superiors an den Münchner Superior vom<br />
11.09.1895.<br />
60 Ebd., Antwortschreiben des Münchner Superiors an den Augsburger Superior<br />
61<br />
vom 17.09.1895.<br />
Buchborn, S. 9.<br />
62 GeschMedMüA, 734/1, Thorrbericht.<br />
63 Buchborn, S. 3.<br />
64 Kerschensteiner, S. 185/186.<br />
65 Ebd., S. 187.<br />
66 GeschMedMüA, 734/1, Thorrbericht.<br />
67 Statuten von 1835, § 2.<br />
68 Vgl. zu allen folgenden Angaben zu Pflegeausbildung BSMüA 50, 3300, 3301,<br />
3305 und Mutterhauschronik.<br />
69 BSMüA, 03 Mappe 3, Brief Sr. Ignatias an Sr. Vinzenz Sultzer am 5.8.1836.<br />
70 Nicolai, Frauke, 1999, S. 13.<br />
71 Angaben aus dem Gener<strong>als</strong>ekretariat des Mutterhauses, Sr. Anna Maria<br />
Burgauer, Dezember 2006.<br />
72 Kerschensteiner, S. 241.<br />
73 Ebd.<br />
74 Gebhardt, Mutterhauschronik, S. 46.<br />
75 Kobell, S. 317.<br />
76 Kerschensteiner, S. 258.<br />
77 Gebhardt, Mutterhauschronik, S. 74.<br />
78 Kopp, S. 74/75.<br />
79 Vgl. Kerschensteiner und Kobell.<br />
80 Gebhardt, Mutterhauschronik, S. 96.<br />
81 Kerschensteiner, S. 293, Direktor Friedrich von Müller über Spanische Grippe.<br />
82 Gebhardt, Mutterhauschronik, S. 118.<br />
83 BSMüA, 60 Lazarettpflege.<br />
84 Alle folgenden Angaben aus BSMüA, 60 Lazarettpflege.<br />
85 BSMüA, 03 Mappe 3, Brief der Straßburger Generaloberin an Münchner Gene-<br />
raloberin, 23. 10.1870.<br />
86 Alle folgenden Angaben aus BSMüA, 60 Lazarettpflege.<br />
87 Ebd., Kriegstagebuch von Sr. M. Alma Mack.<br />
88 Ebd., Bericht von Sr. M. Magdalena Barnickel.<br />
89 Ebd.<br />
90 Vgl. zu Revolution und Inflation Gebhardt, Mutterhauschronik, S. 122 – 124.<br />
91 Kerschensteiner, S. 289.
92 aus Internet: http://www.dhm.de/lemo/html/weimar/revolution/raeterepublik/<br />
index.html.<br />
93 aus Internet: http://www.br-online.de/wissen-bildung/collegeradio/medien/<br />
94<br />
geschichte/revolution3. Vgl. Neue Schriftenreihe des Stadtarchivs München, Bd.<br />
Nr. 29, Revolution und Räteherrschaft in München.<br />
Kerschensteiner, ebd.<br />
95 Gebhardt, Mutterhauschronik, S. 123.<br />
96 Diese und die folgenden Angaben zur Statistik zu Niederlassungen aus BSMüA<br />
017.<br />
97 BSMüA 03 Mappe 8, Hillerchronik.<br />
98 BSMüA 30 Mitgliederverzeichnisse.<br />
99 Hauber, Allgemeine Statuten, 1835, auch in BSMüA, 03 Mappe 8, Statuten<br />
von 1835, Königliches Reskript vom 30. Mai 1835.<br />
100 Ebd.<br />
101 Ebd.<br />
102 Zur geplanten Mutterhausverlegung vgl. BSMüA 05,06,07 und BayHStA, MK<br />
39646, Mutterhaus der BS, Verlegung des Mutterhauses, 1927 – 1939.<br />
103 Gebhardt, Mutterhauschronik, S. 121.<br />
104 Zu Adelholzen vgl. Gebhardt, Mutterhauschronik und BSMüA 020, darin u. a.<br />
Haslberger, Alfons (Kurat),Wildbad Adelholzen, Einst und jetzt, Ein Führer<br />
zu seinen Heilquellen, in seiner Geschichte und Umgebung, 1913 und<br />
Neuauflage 1925.<br />
105 zitiert nach Manuskript der <strong>Festschrift</strong> <strong>zum</strong> 100-<strong>jährigen</strong> <strong>Jubiläum</strong> der Übernahme<br />
der Adelholzener Alpenquellen durch die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern (2007)<br />
106 AEM, NL Pfaffenbüchler Nr. 1, Pacelli an Pfaffenbüchler 5.1.1932.<br />
107 Vgl. zu den folgenden Angaben und Zitaten BSMüA 208, Ordensregel-Statuten,<br />
Beilage zur Ordensregel der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern des Mutterhauses<br />
München, Innere Verfassung und Verwaltung, 05.11.1895.<br />
108 Gebhardt, Mutterhauschronik, S. 141.<br />
109 Ebd.<br />
110 EAM-NL Faulhaber, V 5662, <strong>Barmherzige</strong> Schwestern 1933 – 1945, Schreiben<br />
an die bayerischen Bischöfe vom 12.07.1934.<br />
111 Gebhardt, Mutterhauschronik, S. 132, Stand vom 10.03.1932; die abweichende<br />
Angabe von 143 Kandidatinnen im Jahr 1932 in BSMüA 30 Status des Ordens ab<br />
1828, alte Liste, erklärt sich daraus, dass dort der Stand vom 31.12.1932 genannt<br />
wird, inzwischen waren einige dieser Kandidatinnen eingekleidet worden und wurden<br />
somit zu den Novizinnen gerechnet. Allerdings gibt es für die Mitgliederzahlen<br />
ab 1932 eine neue Liste, bei der es zu der alten Liste geringfügige Abweichungen<br />
gibt. Da aber Schwester M. Emma Mayer die neue Liste mit den Polizeianmelde-,<br />
Profess- und Totenbüchern abgeglichen hat, stützt sich die Autorin mit ihren Statistiken<br />
ab 1932 auf die neue Liste. Für 1932 nennt die neue Liste eine Gesamtzahl der<br />
Anmerkungen<br />
313
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
314<br />
Mitglieder von 2631 und eine Kandidatinnenzahl von 139. Die Zahlen der neuen<br />
Liste weichen <strong>als</strong>o geringfügig nach unten ab. Scherer spricht im <strong>Jubiläum</strong>sjahr<br />
sogar von 194 Kandidatinnen, eine Zahl, die zwar von späteren Autoren übernommen<br />
wurde, aber nicht verifizierbar ist.<br />
112 EAM NL Faulhaber V 5660, Mutterhaus der BS 1919 – 1933.<br />
113 BSMüA 10, Festbrief von Superior Pfaffenbüchler zur 100-Jahrfeier.<br />
114 AEM, NL Pfaffenbüchler Nr. 1, Pacelli an Pfaffenbüchler, Vatikan 20.8.1932.<br />
115 Gebhardt, Mutterhauschronik, S. 133.<br />
116 Zitiert nach Eder, Manfred, Helfen macht nicht ärmer, S. 480, Geheimanweisung<br />
des Reichssicherheitsdienstes vom 15.2.1938.<br />
117 Gebhardt, Die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern in der NS-Zeit, S. 693/694.<br />
118 BSMüA 801, Zeitungsausschnitte, SA-Mann vom 8.5.1937.<br />
119 BSMüA 803, Widerstand gegen das Nazi-Regime und Verfolgte, Bericht<br />
vom Stadtjugendamt an Superior Pfaffenbüchler vom 18.2.1937.<br />
120 BayHSTA MK 39646, Mutterhaus der BS, Verlegung des Mutterhauses,<br />
1927 – 1939, Vertrag vom 2.3.1937 zwischen Stadt und Orden.<br />
121 Völkischer Beobachter vom 1.1.1938, zitiert nach Gebhardt, Die <strong>Barmherzige</strong>n<br />
Schwestern in der NS-Zeit, S. 700/701.<br />
122 Siehe zu Folgendem StAM, Krankenanstalten Nr. 77, NS-Schwestern, weltliche<br />
Schwestern 1939 – 41.<br />
123 Ebd., Schreiben der Gauleitung der NSDAP, Gau München-Oberbayern an<br />
Münchner Oberbürgermeister, 18.12.1939.<br />
124 Ebd., Bericht der Krankenhausverwaltung vom Krankenhaus r.d.I. vom<br />
12.1.1940.<br />
125 Siehe zu folgendem Vorgang BayHSTA MK 39646, Mutterhaus der BS, Verlegung<br />
des Mutterhauses, 1927 – 1939.<br />
126 Ebd., Rechtsgutachten vom 28.10.1937 von Fiskalreferent Mayr im Auftrag des<br />
OB Fiehler erstellt.<br />
127 Ebd., OB an Kultusministerium in einem geheimen Schreiben vom 25.11.1937.<br />
128 Ebd., OB zitiert in Schreiben an Kultusministerium vom 16.5.1938 aus dem<br />
Schreiben Hilgenfeldts an OB vom 29.12.1937.<br />
129 Gebhardt, Mutterhauschronik, S. 142, hier auch die Angaben zu den Austritten<br />
entnommen.<br />
130 Gebhardt, Die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern in der NS-Zeit, S. 702.<br />
131 EAM NL Faulhaber, 8186 Besteuerung der Orden, Beschränkung des Nachwuchses,<br />
Erlass des Arbeitsministers vom 29.9.1940 an die Präsidenten der<br />
Landesarbeitsämter.<br />
132 Ebd., Aktenvermerk, Konferenz München 1942 <strong>zum</strong> Ordensnachwuchs.<br />
133 Siehe dazu BSMüA024 Bukarest; EAM NL Faulhaber, 5666 <strong>Barmherzige</strong><br />
Schwestern in Bukarest.<br />
134 Gebhardt, Mutterhauschronik, S. 136.
135 BSMüA 80, Brief des Beauftragten für KLV im Gau München-Oberbayern der<br />
NSDAP i.A. Oberstaller am 31.März 1941 an das Kurhaus Adelholzen.<br />
136 BSMüA 601 Lazarettpflege im II. Weltkrieg, Mappe 2.<br />
137 Gebhardt, Mutterhauschronik, S. 139.<br />
138 Ebd.<br />
139 Behrend-Rosenfeld, Else, Ich stand nicht allein, 1988, S. 114, siehe auch S. 113,<br />
128/129.<br />
140 Ebd., S. 129.<br />
141 BSMüA 802 III. Reich-Judenverfolgung, Schreiben von Helmut Lisberger vom<br />
17.2.1991, zu der Heimanlage in Berg am Laim siehe auch Kasberger, Erich/<br />
Knauer-Nothaft Christl, Berg am Laim, 2006, Beitrag von Erich Kasberger zu der<br />
„Heimanlage für Juden in Berg am Laim“.<br />
142 Zu folgenden Vorgängen siehe: Rosmus, Anna, Wintergrün, 1993.<br />
143 Zitiert nach Rosmus, S. 15.<br />
144 Ebd., S. 14.<br />
145 Zitiert nach SZ vom 28./29.8.1993.<br />
146 Siehe dazu BSMüA 031 Maria-Theresia-Klinik.<br />
147 Diese und folgende Angaben aus Laube, Volker, Fremdarbeiter in kirchlichen Einrichtungen,<br />
2005.<br />
148 BSMüA 80.<br />
149 Gebhardt, Mutterhauschronik, S. 137.<br />
150 BSMüA 601, Lazarettpflege im II.Weltkrieg, Mappe 1.<br />
151 Zitiert nach Gebhardt, Die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern in der NS-Zeit, S. 708.<br />
152 Ebd., S. 699/700, Schreiben der Ordensleitung an Oberkommando der Wehrmacht<br />
vom 8.2.1940, Unterstützungsschreiben verschiedener Klinikdirektoren und<br />
des Gesundheitsamts.<br />
153 Ebd., S. 713.<br />
154 Ebd., S. 708 ff.; Dies., Mutterhauschronik, S. 151/152; BSMüA 602 II. Weltkrieg,<br />
Situation Krankenhäuser u. Ausweich-Krankenhäuser, Pflegepersonal und<br />
Hilfsschwestern.<br />
155 BSMüA 602, Listen der Hilfsschwestern, Rundschreiben der Generaloberin<br />
Schwester M. Castella Blöckl vom 31.3.1942, Listen über Hilfsschwestern.<br />
156 Gebhardt, Die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern in der NS-Zeit, S. 708.<br />
157 Zu den Luftangriffen vgl. BSMüA 801 II. Weltkrieg-Luftangriffe; Gebhardt, Mutterhauschronik<br />
S.153 f., Dies., Die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern in der NS-Zeit,<br />
S. 711 f.<br />
158 Gebhardt, Mutterhauschronik, S. 154.<br />
159 BSMüA 80, Anweisung des Kardin<strong>als</strong> <strong>zum</strong> religiösen Verhalten bei Fliegerangrif-<br />
fen vom 28.9.1942 und 5.10.1942.<br />
160 Gebhardt, Mutterhauschronik, S. 157.<br />
Anmerkungen<br />
315
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
316<br />
161 BSMüA 801 II. Weltkrieg-Luftangriffe, Bericht der Generaloberin an die Schwestern<br />
vom 17.6.1944.<br />
162 Ebd., Grabrede von Domkapitular Grassl am 17.6.1944.<br />
163 BSMüA 018 Berg am Laim, Brief von Superior Pfaffenbüchler an Herrn Hirschmann,<br />
vom 29. Juli 1944, aus Bad Adelholzen.<br />
164 BSMüA 801, Bericht der GO an auswärtige Filialen vom 14.7.1944.<br />
165 Gebhardt, Mutterhauschronik S. 161.<br />
166 Ebd., S. 177.<br />
167 BSMüA 09 Zerstörung des Mutterhauses durch Bomben, Einiges aus dem<br />
Mutterhaus 1945, S. 9.<br />
168 Gebhardt, Die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern in der NS-Zeit, Tabelle 2b, S. 691.<br />
169 Gebhardt, Mutterhauschronik, S. 178.<br />
170 Ebd., S. 172.<br />
171 BSMüA Häuserakte Landsberg, Zitate aus Blöchl, Sr. M. Betha, Bericht<br />
der Ambulanten Krankenpflegestation über die Pflege der Juden vom 29.<br />
April bis 1. August 1945.<br />
172 Gebhardt, Die <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern in der NS-Zeit, S. 716.<br />
173 EAM NL-Faulhaber, V 5661, Mutterhaus der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
1933-1952, Benachrichtigung an Domvikar Grassl durch die Familie<br />
Lehnert-Kinzhofer.<br />
174 Gebhardt, Mutterhauschronik, S. 202.<br />
<strong>175</strong> BSMüA 30, Mitgliederverzeichnisse.<br />
176 Siehe dazu BSMüA 030 Marienheim Kloster Indersdorf, darin vor allem:<br />
Raabe, Sr. M. Borromäa, Die Geschichte der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
in Indersdorf 1856-1995, Vortrag von 1997, Zitat S.10.<br />
177 Ebd.,Werbeprospekt für Landfrauen-Schule Indersdorf.<br />
178 Ebd., Raabe, S. 13.<br />
179 Siehe dazu BSMüA 033, Landshut Marienheim.<br />
180 Siehe dazu BSMüA 020, Bad Adelholzen.<br />
181 Siehe dazu BSMüA 031, Maria-Theresia-Klinik.<br />
182 Siehe dazu BSMüA 037 Ruhpolding, Krankenhaus Vinzentinum.<br />
183 Siehe dazu BSMüA 028 Krankenhaus Neuwittelsbach.<br />
184 Siehe dazu BSMüA 038 Teisendorf, Altenheim St. Elisabeth.<br />
185 Siehe dazu BSMüA 036 Ruhpolding, Altenheim St. Adelheid.<br />
186 Siehe dazu BSMüA 022 Unterhaching.<br />
187 Siehe dazu BSMüA 021 Waldsanatorium Planegg.<br />
188 Siehe dazu BSMüA 026 Schwesternheim St. Hildegard.<br />
189 Siehe dazu BSMüA 019 Postulat und BSMüA 3300 Ordenseigene<br />
Krankenpflegeschulen.<br />
190 Gebhardt, Mutterhauschronik, S. 273.<br />
191 Siehe dazu BSMüA 3301 Kommunale Krankenpflegeschulen.
192 Siehe dazu BSMüA 020 Bad Adelholzen und Manuskript der <strong>Festschrift</strong> <strong>zum</strong><br />
100-<strong>jährigen</strong> <strong>Jubiläum</strong> der Übernahme der Adelholzener Alpenquellen durch die<br />
<strong>Barmherzige</strong>n Schwestern.<br />
193 BSMüA 30, Mitgliederverzeichnisse.<br />
194 Gebhardt, Mutterhauschronik, S. 264/65.<br />
195 BSMüA 017,Verzeichnisse der Niederlassungen.<br />
196 BayHSTA, MK 69532 Hebammen und Schwestern der I. Frauenklinik,<br />
Direktor der Frauenklinik an Universitätsverwaltung, 25.10.1966.<br />
197 Ebd., Universität an Kultusministerium, 4.11.1966.<br />
198 Ebd., Universität an Kultusministerium, Februar 1970.<br />
199 Gebhardt, Mutterhauschronik, S. 252 f.<br />
200 BSMüA 20 Leitung, 204 Informationsberichte Generalkapitel 1953 –1975.<br />
201 Gebhardt, Mutterhauschronik, S. 259.<br />
202 BSMüA 20 Leitung, 207 Änderung der Ordenstracht, Dekret über die zeitgemäße<br />
Erneuerung des Ordenslebens vom II. Vatikanischen Konzil im Oktober<br />
1965, Erzbischöfliches Ordinariat München und Freising (Hg.), S. 19.<br />
203 Gebhardt, Mutterhauschronik, S. 293/294.<br />
204 Ebd. S. 294.<br />
205 300 Jahre <strong>Barmherzige</strong> Schwestern, 1933, Domkapitular Seeland zu Mutterhaus<br />
Hildesheim, S. 79 ff.<br />
206 Gebhardt, Mutterhauschronik, S. 130/131.<br />
207 Siehe dazu BSMüA 20 Leitung, 204 Informationsberichte Generalkapitel<br />
1953-1975.<br />
208 Siehe die heute gültigen Regelungen in Lebensordnung der Kongregation von<br />
1985.<br />
209 BSMüA 20 Leitung, Generaloberinnen, Bericht der GO Sr. Gundebalda <strong>zum</strong><br />
Generalkapitel 1980.<br />
210 Glowatzki, Herbert CM (gesammelt), Gedrängt vom Erbarmen, Worte des heiligen<br />
Vinzenz von Paul, Salzkotten 1959, S. 54.<br />
211 Gebhardt, Mutterhauschronik S. 266/267.<br />
212 Siehe dazu BSMüA 1026 Vinzentinische Föderation.<br />
213 BSMüA 1029 Affiliation, Affiliationsurkunde.<br />
214 BSMüA 2011 Kleine Gemeinschaften, Schwestern in Einzelaufgaben.<br />
215 Die aktuellen statistischen Daten beruhen auf Angaben aus der Mutterhausverwaltung.<br />
Bei den Angaben zur Zahl der Niederlassungen und der jeweiligen<br />
Besetzung mit Schwestern wurden die Zahlen von 7/2007 verwendet. Die Zahlen<br />
<strong>zum</strong> Person<strong>als</strong>tand der Schwestern sind der Jahresabschlussstatistik <strong>zum</strong> 31.12.2006<br />
entnommen. Weitere Quellen <strong>zum</strong> aktuellen Stand der Kongregation: http://<br />
www.barmherzige-schwestern-muenchen.de und Rechenschaftsbericht<br />
des Generalkapitels vom November 2004.<br />
216 Gespräch mit Schwester M. Tyella Eichstetter am 10.3.07.<br />
Anmerkungen<br />
317
<strong>Festschrift</strong> der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
318<br />
217 Siehe auch heute 4/2005.<br />
218 BSMüA 2011 Kleine Gemeinschaften, Schwestern in Einzelaufgaben und<br />
Mappe zu neuen Projekten aus Gener<strong>als</strong>ekretariat.<br />
219 Siehe auch heute, Zeitschrift der Föderation Vinzentinischer Frauengemeinschaften<br />
4/2002, Sr. M. Ingela Hofmann, Sr. M. Dagmar Raab, Haus St.<br />
Benno, S. 5 f.<br />
220 Ebd., Sr. M. Clementine Rodler, „Der Jakobsbrunnen“, S. 3 f.<br />
221 Ebd., Sr. Daniela Maria Holzner, Projekt Omnibus, S. 30 f.<br />
222 BSMüA 20 Leitung, Außerordentliches Generalkapitel am 11./12.1.2003, Rundschreiben<br />
der Generaloberin vom 16.1.2003, Schreiben der Ludwig-Maximilian-<br />
Universität an Ordensleitung vom 9.8.2002.<br />
223 Glowatzki, S. 106.<br />
224 Ebd., S. 96.<br />
225 Rechenschaftsbericht des Generalkapitels vom November 2004, S. 2.<br />
226 Glowatzki, S. 13.
Impressum<br />
<strong>175</strong> Jahre <strong>Barmherzige</strong> Schwestern in Bayern, 1832 – 2007<br />
Herausgegeben im <strong>Jubiläum</strong>sjahr 2007 von der<br />
Kongregation der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern<br />
vom heiligen Vinzenz von Paul<br />
Mutterhaus München<br />
Vinzenz-von-Paul-Straße 1<br />
81671 München<br />
www.barmherzige-schwestern-muenchen.de<br />
Verantwortlich: Schwester M. Theodolinde Mehltretter, Generaloberin<br />
Verfasserin: Hildegard Zellinger-Kratzl<br />
Redaktion: Wolfgang Dausch<br />
Produktion: Don Bosco Kommunikation<br />
Grafik: Margret Russer<br />
Satz: undercover<br />
Litho: Camscan<br />
Druck: Don Bosco Druck & Design<br />
319
Das Logo der Kongregation der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern vom hl. Vinzenz<br />
von Paul, Mutterhaus München, lässt mehrere Einzelteile erkennen:<br />
ein Dach, das über allem steht, ein stilisiertes Haus, das sich aus mehreren<br />
Bausteinen zusammensetzt, und ein weißes Kreuz in der Mitte des<br />
Hauses. Das dunkle Blau des Daches lässt an Schutz und Geborgenheit<br />
denken. Es könnte die Hand Gottes über der Kongregation sein, vielleicht<br />
auch die schützende, segnende Hand des hl. Vinzenz von Paul.<br />
Auch das Mutterhaus kann darunter verstanden werden, in dem alle<br />
Einrichtungen und Hilfswerke der Kongregation ihren Ursprung und ihre<br />
Heimat haben. Die Bausteine, die das weiße Kreuz aussparen, verdeutlichen<br />
die Krankenhäuser, Altenheime und die vielen weiteren Wirkungsstätten,<br />
in denen Schwestern und Mitarbeiter im Geist des hl. Vinzenz<br />
wirken. Die drei violetten Bausteine weisen auf das Sakrale hin. Im Sinne<br />
der Kongregation bedeuten sie Glaube, Hoffnung und Liebe, vinzentinisch<br />
„Dienen in der Einfachheit der Liebe“. Das Kreuz steht für Heil und<br />
Erlösung. Die Kongregation der <strong>Barmherzige</strong>n Schwestern will unter<br />
dem Schutz Gottes dazu beitragen, den Menschen das Heil zu bringen.