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Braunschweigisches Jahrbuch 32.1951 - Digitale Bibliothek ...

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<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> Braunschweig<br />

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<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> Braunschweig<br />

BBAUNSCBWEIGISCBES<br />

JAHRBUCH<br />

IM AUFTRAGE DES<br />

BRAUNSCHWEIGISCHEN<br />

GESCHICHTSVEREINS<br />

HERAUSGEGEBEN VON<br />

HANS GOETTING<br />

Der ganzen Reihe<br />

BAND 32<br />

GEORG WESTERMANN VERLAG<br />

B RA UNS C HWE I G<br />

195 1<br />

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Schriftleitung:<br />

Staatsarchivrat Dr. Hans Goettlng, WOlfenbüttel, Kanzleistraße 3<br />

(Niedersächsisches Staatsarchiv)<br />

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Inhalt<br />

Drei Kapitel aus der Geschichte der Stadt Schöppenstedt. Zur<br />

900. Wiederkehr ihrer ersten urkundlichen Erwähnung (Mit 7 Abb.)<br />

Seite<br />

Von Dr. Hermann K 1 ein a u. Staatsarchivdirektor in WOlfenbüttel • • . .. 1<br />

Das nach Goslar gelangte Auslandsschreiben des Konstantinos<br />

IX. Monomachos für Kaiser Heinrich III. von 1049<br />

Von Dr. Werner 0 h n s 0 r g e. Staatsarchivrat in Hannover<br />

Heinrich der Löwe im Spiegel der ausländischen Quellen des<br />

Mittelalters<br />

Von Dr. WIllI Ras ehe. Studienreferendar In UetersenIHolsteln<br />

Die Braunschweiger Hochzeitsschüsseln (Mit 8 Abb.)<br />

Von Prof. Dr. August F 1 n k. Direktor des Herzog Anton Ulrlch-Museurns In<br />

Braunschwelg • . . . . . . . • . • . . . . . . . . . . . • • • . • • . . . . • . . .. 90<br />

Kleinere Beiträge<br />

<strong>Digitale</strong> <strong>Bibliothek</strong> Braunschweig<br />

Wik, Markt und Stadt in Braunschweig.<br />

Zu Fritz Timmes Aufsatz: Ein alter Handelsplatz in Braunschweig<br />

Von Prof. Dr. Dr. Werner S pie ß. Direktor des Stadtarchivs und der Stadtbibliothek<br />

In Braunschwelg ••.......................... 103<br />

Zum Rechtsproblem der entlaufenen Liten.<br />

Ein Rückforderungsprozeß des Stifts Gandersheim gegen einen Braunschweiger<br />

Bürger im Jahre 1356<br />

Von Dr. Hans Go e t tin g. Staatsarchivrat In Wolfenbüttel •... 105<br />

Zur Geschichte der braunschweigischen Landesfarben<br />

Von Dr. Ottfrled Neu b eck er. Heraldiker In Berlln-Zehlendorf 112<br />

Chronik des Braunschweigischen Geschichtsvereins vom Juni<br />

1950 bis April 1951 . 115<br />

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57<br />

70


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SCHÖPPENSTEDT, Blick über die Stadt gegen den Elm Abb.l<br />

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SCHÖPPENSTEDT, S tadtgrundriß von 1760<br />

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. . ''','<br />

'- . ..... .. .<br />

Abb.2


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Drei Kapitel aus der Geschichte der Siadt Schöppenstedl<br />

Zur 900. Wiederkehr ihrer ersten urkundlichen Erwähnung<br />

Von<br />

Hermann Kleinau<br />

Inhaltsübersicht: A. Lage, urgeschichtliche Besiedlung und früheste urkundliche<br />

Erwähnungen SChöppenstedts S.l - B. Geschichte des Stadtgrundes und des<br />

Zusammenwachsens der Flur - 1. Die verschiedenen Bestandteile Schöppenstedts S.9:<br />

a) Twelken S. 11; b) Neindorf S.19; c) Allum S. 23. - 2. AIt-Schöppenstedt: a) Grundund<br />

lehnsherrliche Verhältnisse. Der Zehnte S. 25. b) l;rsprüngllche Begrenzung.<br />

Das Westendorf; Entwicklung des Straßennetzes S. 28. - C. Vom Dorfe zur Stadt<br />

Schöppenstedt. Entwicklung der städtischen Verfassung, Rechtspflege und Verwaltung<br />

S.41. - Erläuterung der in den Anmerkungen verwendeten Abkürzungen S.56<br />

A. LAGE, URGESCHICHTLICHE BESIEDLUNG UND FRÜHESTE<br />

URKUNDLICHE ERWÄHNUNGEN SCHÖPPENSTEDTS<br />

Wo das auf dem Elm entspringende Flüßchen Altenau nach<br />

Durchbrechung der letzten dem Elm vorgelagerten Hügel in ein<br />

breites, von seinen Anschwemmungen im Laufe der Zeit bedecktes<br />

Tal einmündet, das im Schlick der Altenau einen fruchtbaren, humosen<br />

Lehmboden besitzt, liegen eng aneinandergereiht die Orte<br />

Küblingen und Schöppenstedt. Von der Baumgruppe um die Friedenseiche<br />

im Norden der Stadt auf dem Sambleber Berge bieten dem<br />

Ausschauenden nach Süden hin die zahlreichen, z. T. bewaldeten<br />

Höhenzüge des vorharzischen Hügellandes ein immer wieder anziehendes,<br />

abwechslungsreiches, durch den vom Brocken beherrschten<br />

Harz abgeschlossenes Bild. Einige Hügelketten bilden nach Norden<br />

zu den übergang zum Elm mit seiner Waldpracht und seinen Denkmälern<br />

aus einer langen geschichtlichen Vergangenheit. Die eigentliche<br />

Siedlung Schöppenstedt (von ihrer ursprünglichen Begrenzung<br />

wird noch di·e Rede sein) steht in ihrem nördlich der Altenau gelegenen<br />

Teile (Markt, Kirche und anschließende Häusergruppen) in etwa 105 m<br />

Höhe über dem Meere ganz auf den Altenau-Aufschüttungen, während<br />

der Ortsteil südlich der Altenau (St"einwegl Abelnkarre) sich an<br />

den Nordhang eines den Markt um etwa 5-6 m überragenden Hügels<br />

anlehnt, dessen gleichfalls fruchtbarer Lößboden sich über Sand- und<br />

Kiesschichten lagert. Während di·e benachbarten Dörfer in der Hauptsache<br />

einen Südhang bevorzugen, boten die Flußaue und der letzte<br />

1 Braunschwelglsches <strong>Jahrbuch</strong> 1<br />

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Ausläufer eines Vorelmhügels einen trotz der Nordhanglage günstigen<br />

Siedelplatz. Den Süden und Westen der heutigen Feldmar.k<br />

bildet gleichfalls fruchtbarer Löß boden, der den Anschwemmungen<br />

der Altenau seinen Ursprung verdankt, während im Norden (Samb­<br />

Ieber Berg) und Nordwesten (Olla) stark ansteigende tonige oder<br />

doch auf tonigem Untergrunde liegende Hügel aus älteren Zeiten der<br />

Erdgeschichte aufsteigen. Im Südwesten (Neindorfer Berg) bestimmt<br />

mergeliger Untergrund die Bodenverhältnisse, der aus einer zwischen<br />

den erdgeschichtlichen Entwicklungszeiten der beiden anderen gekennzeichneten<br />

Feldmarkteile liegenden Periode stammt 1 •<br />

Bl'!i so günstigen Bodenverhältnissen kann es nicht verwundern,<br />

daß schon in sehr früher Zeit die menschliche Besiedlung des heutigen<br />

Schöppenstedter Bodens einsetzte. Lag er doch seit jeher in einem<br />

waldfreien Gebiete, das wir uns als eine parkartige, mit einzelnen<br />

Baum- und Buschgruppen durchsetzte Graslandschaft ,vorzustellen<br />

haben 2 • Wenn in neuerer Zeit auch nur Wenige Funde (ein Steinbeil<br />

und Feuersteinabschläge vom Wormelsberge und der südöstlich davon<br />

gelegenen Wanne "auf dem hohen See"; ein Steinbeil aus der Wanne<br />

"übern Allum Thie"; eine Feuersteinklinge und -abschläge aus dem<br />

Flurteile "überm Kreuze" an der ührder Landstraße im äußersten<br />

Süden der Feldmark; ferner vom Olla oberhalb der Twelkenmühle<br />

und an der Straße nach Braunschweig, am Sambleber Berge oberhalb<br />

der Meyenburgstraße, im Süden der großen Österlinge Gefäßscherben<br />

und Feuersteinabschläge) gemacht worden sind, so lassen<br />

in den Sammlungen der Braunschweiger Museen vorhandene ältere<br />

Funde von Steinbeilen, -äxten und anderen Steinwerkzeugen! doch<br />

erkennen, daß die heutige Schöppenstedter Feldmark außerhalb des<br />

überschwemmungsgebi'etes der Altenau nicht weniger dicht besiedelt<br />

gewesen sein wird, als die der umliegenden Orte.<br />

Die meisten der erwähnten Funde stammen aus der jüngeren Steinzeit<br />

(4000-2000 Jahre v. ehr.), und zwar besonders aus dem Kulturkreise<br />

der Bandkeramik 4 mit ihren verschiedenen Abwandlungen.<br />

Wir haben in diesen Funden überbleibsel von aus den Donauländern<br />

über Böhmen/Schlesien vereinzelt bis in das Land zwischen Aller und<br />

1 Vgl. Geologische Kartei: 25 000, Blatt Schöppenstedt, mit Erläuterungsheft.<br />

2 Mitteldeutscher Heimatatlas Karte 3.<br />

! O. Kr 0 ne, Vorgeschichte des Landes Braunschweig. Brschw. 1931.<br />

S.143.<br />

4 Benannt nach den in Bänderform an den Tongefäßen angebrachten<br />

Verzierungen.<br />

2<br />

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von Straßen, die dazu den Anlaß gab. Die Erforschung der verschiedenen<br />

Straßen unseres' Gebietes hat zwar noch nicht zu endgültigen<br />

Ergebnissen geführt. Immerhin läßt sich schon aus den<br />

Königsurkunden der Zeit Ottos 1. bis Heinrichs H. (936-1024) entnehmen,<br />

daß der Reiseweg der Kaiser und Könige damals wiederholt<br />

von dem recht häufig aufgesuchten Magdeburg über See hausen­<br />

Schäningen nach der Pfalz Werla bei Schladen, dem alten sächsischen<br />

Stamrhesvororte, führte, wo die Ottonen mit den Vertretern des sächsischen<br />

Stammes Landtage abhielten 8 • Diese Straße war eine Strecke<br />

'einer großen West-Ost-Linie des früheren Mittelalters von den Niederlanden<br />

zur EIbe über Osnabrück-Minden-Hildesheim-Ohrum<br />

(Okerübergang!) -Schöppenstedt-Schöningen-Magdeburg 9 • Karl<br />

der Große zog hier gegen die Sachsen 780 von Worms bis zur Mündung<br />

der Ohre in die EIbe und 784 bis Schöningen to •<br />

Zwischen di'esem alten Handels- und Heerwege und einer nördlichen,<br />

,von Braunschweig über Königslutter nach Helmstedt führenden<br />

Straße hat um 1500 eine aus dem Magnitore in Braunschweig<br />

über Klein-Schöppenstedt-Sickte-Evessen-Eilum nach Schüppenstedt<br />

gehende b'estanden, die hier auf den großen West-Ost-Weg<br />

trafII. Ein Nebenzweig dieser Straße verließ im 18. Jahrhundert<br />

8 H. J. R i eck e nb erg, Königsstraßen und Königsgut in liudolfingischer<br />

und frühsalischer Zeit. Archiv f.Urk.Forschg. 17. Bd. (1942) S.46. -<br />

K. B r a n d i. Werla. Deutsches Archiv 4 (1941) S. 64 f.<br />

U Hans D ö r I' i es, Entstehung und Formenbildung der niedersüchs.<br />

Stadt. Stuttgart 1929. S. 36. - Herb. Kr ü ger • Die vorgeschichtl. Straßen<br />

in den Sachsenkriegen Karls d. Gr. Korrespondenzbl. d. Gesamtvereins 80<br />

(1932) Sp. 252.<br />

10 H. Kr Ü ger a. a. O. Sp.263, 265. - Wilh. See I man n, Der fränk.<br />

Feldzug von 748. Nddtsch. Jhb. 62 (1936/37) S. 126-128.<br />

11 Joh. W ü t s ch k e, Beiträge z. Siedlungsgeschichte des nördl. subherzynen<br />

Hügellandes. Halle 1907. S.38 f. - W. S pie ß , Die Heerstraßen<br />

auf Braunschweig. Stud. u. Vorarb. z. Histor. Atlas Niedersachsens Heft 16.<br />

1937. S. 123, 136. - Seit 1802 beschäftigte man sich bei der Regierung mit<br />

der Fortsetzung des Chausseebaus auf der Braunschweig-Schöninger<br />

Straße. Am 5.3.1802 wurde ein Anschlag über den Bau der "Nebenstraße"<br />

tiber den 011a vorgelegt; 1803/04 wurden Steine dazu gebrochen, am 25. 1.<br />

1806 genehmigte Herzog Karl Wilhelm Ferdinand den Bauplan mit<br />

24412 Talern Kosten. In einem Berichte vom 10.9. 1806 über den Plan heißt<br />

es, man sei nicht der alten Straße [also wohl der über Eilum-Bansleben]<br />

gefolgt, da die Chaussee sonst beträchtlich verlängert sei. Auch bestünden<br />

ganze Strecken der Straße aus sog. Hohlwegen, führten teilweise durch<br />

Schluchten, Riehen und Untiefen, so daß die Unkosten sich beinahe um 1/3<br />

erhöht hätten. Leider fehlt ein Riß. 1808/09 wurde an der Chaussee gebaut.<br />

Verschiedene Eigentümer in Evessen und Schöppenstedt wurden für Abgabe<br />

von Grundstücksteilen (Gärten) entschädigt. - L Alt Abt. 4 Fb.7<br />

Nr.1396.<br />

4<br />

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Braunschweig durch das Augusttor und ging an Mascherode und am<br />

Salzwerke Salzdahlum vorbei nach Apelnstedt, auf Dettum und über<br />

Bansleb'en nach Schöppenstedt l2 •<br />

Aus der überlieferung des 16. bis 18. Jahrhunderts ist bekannt,<br />

daß auch zwei Linien - wohl als Fortsetzung eines alten Heerweges<br />

Hildesheim-Wolfenbüttel - von Wolfenbüttel aus auf Schöppenstedt<br />

führten. Deren eine (ursprünglich vielleicht von der Burg Wo 1fenbüttel<br />

her aus dem alten Kaisertore, der heutigen Trinitatiskirche,<br />

heraus etwas weiter südlich ziehend) entsprach bis zum Hartberge<br />

westlich Dettum etwa der heutigen Kreisstraße und zog als Nebenweg<br />

bei Gilzum und Hachum auf die Straße Braunschweig-Schöppenstedtt<br />

3 • Ein südlicher Zug verlief etwa 0,8 km nördlich Weferlingen<br />

und etwa ebensoweit südlich Eilum, um dann über Bansleben Schöppenstedt<br />

zu 'erreichen t4 •<br />

Schließlich führte eine weitere Straße von mehr örtlicher Bedeutung<br />

von Goslar über Hornburg-Berklingen nach Schöppenstedt. Sie<br />

ist höchstwahrscheinlich nicht alt, erst im 17.118, Jahrhundert bezeugt<br />

und auf dem Schöppenstedter Feldrisse der General-Landesvermessung<br />

von 1760 als "Goslarsche Heerstraße" bezeichnett 3 •<br />

Von der Stadt aus gabelten sich die von Westen kommenden<br />

Straßen in einen über Eitzum nach Schöningen und Helmstedt und<br />

einen über Küblingen-Warle-Watenstedt nach dem Kiebitzdamm<br />

ins Halberstädtische und Magdeburgische führenden Zweig l6 •<br />

Wenn auch das Alter und die Zeit der hauptsächlichen Benutzung<br />

jener Straßen noch weitergehender Klärung bedürfen, so kann man<br />

wohl Schöppenstedt schon in früher Zeit als einen Rastplatz und<br />

Orientierungspunkt der Fuhrleute im Fernverkehr ansehen loa , zumal<br />

es seit dem Spätmittelalter eine herzogliche Zollstätte war (s. unten<br />

S. 36). Die Lage am Ausgange des Tales zwischen Elm und Asse, die<br />

12 N Abt, 8 Gr. V (alte) Nr, 352. - Dorfbeschr. Apelnstedt 1754 S.9.<br />

13 Karl Maß be r g , Hs Abt. VI Gr. 14 Nr. 82a S.159, 165 f.<br />

I' L Alt Abt.4 Fb.2 Wolfb. Nr.40. - 11.'1 a ß be r g a, a. O. S.160.<br />

Ursprünglich wird die Straße vielleicht durch Bansleben geführt haben;<br />

der Bansleber Flurname "Liebfrauenstieg" und der Schöppenstedter "An<br />

der lieben Frauen Twete" mögen, auf die Liebfrauenkapelle vor Wolfenbüttel<br />

verweisend, damit zusammenhängen. - Vgl. O. Ha h n e, Siedlungsgeschichte<br />

u, Verkehrsstraßen zw. Elm und Asse auf Grund der Flurnamen<br />

des Dorfes Dettum. Nds. Jhb. Bd.19 (1942) S. 199, 201-203.<br />

U K. Maß b erg a. a, O. S. 124.<br />

18 N Abt. 8 Gr. V Nr. 352 (alt). - Kreisdir. Wolfenb. Nr.197. 1106.<br />

10a A. A. Städteatlas S.47.<br />

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5


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Kloster bestätigte 28 • Dem Kloster wurde dieser Besitz durch Urkunden<br />

der Päpste Innozenz Ir. und Coelestin IH. 1136 und 1195/97 erneut<br />

bestätigt; es hatte ihn noch 1364 29 • Die 8 Hufen, darunter der große<br />

Kamp mit 5 zehnt freien Hufen, waren später an das Blasiusstift in<br />

Braunschweig verpfändet. Man wußte aber schon 1520 nicht mehr,<br />

wann dies geschehen war. Bei dem Versuche des Klosters, sie 1559<br />

wieder einzulösen, beschworen die Stiftsherren von St. Blasius, sie<br />

wüßten von nichts, und behielten daher den ehemaligen Ilsenburger<br />

Besitz 30 •<br />

B. GESCHICHTE DES STADTGRUNDES UND DER FLUR<br />

1. Die verschiedenen Bestandteile Schöppenstedts<br />

Die Geschichte eines Ortes sollte eigentlich ein Bild geben, das auf<br />

die Grundfarben der Ergebnisse der landesgeschichtlichen Forschung<br />

aufgetragen ist. Allein zusammenfassende Darstellungen neuer Forschungsergebnisse<br />

in Nachbargebieten 31 haben leider für die Gegend<br />

um Braunschweig und den Elm noch keine Entsprechungen gefunden.<br />

In der Zeit, in der die Quellen über Schöppenstedt etwas reichlicher<br />

zu fließen beginnen, waren Menschen und Siedlungsland längst in<br />

vielfältige Beziehungen 'eingespannt, die teilweise denen der Nachbargebiete<br />

glichen, teilweise aber auch anders als diese gestaltet waren.<br />

Die gemeinverständliche Darstellung dieser Beziehungen ist infolgc<br />

ihrer vielfältigen Wurzeln und Zusammenhänge und der z. T. noch<br />

lückenhaften Forschungsergebnisse schwierig. So müssen wir uns in<br />

diesen Blättern in der Hauptsache damit begnügen, die Tatsachen in<br />

ihrer Besonderheit aneinanderzureihen und damit weitergreifenden<br />

Arbeiten Stoff zu späteren Zusammenfassungen zu bieten.<br />

28 UB Ilsenburg Einl. S. XVII. Nr.6 und 7.<br />

21 Ebd. Nr.16: in Schipenstede, nach eod. diplom. Anhalt. Nr.227: in<br />

Scipenstede. - UB. Ilsenburg Nr.45: in Schepenstede. - Ebd. Nr.246. -<br />

Leider hat sich der genaue Zeitpunkt des überganges der nach 1364 an das<br />

Stift gekommenen 8 (dar. 5 zehntfreien) Ilsenburger Hufen nicht ermitteln<br />

lassen. Zu ihnen dürften die von der Propstei 1383 zuerst an die von Damm<br />

in Braunschweig verliehenen zehntfr. Hufen gehört haben, die diese noch<br />

. 1832 innehatten (Stadtarch. Brschw. A IV 3 Nr.73-103).<br />

30 UB Ilsenburg II S. 397 f.<br />

31 Genannt seien hier nur die etwa an der ehemal. braunschw. Landesgrenze<br />

haltmachenden Arbeiten von Friedrich L ü t g e. Die Agrarverfassung<br />

des frühen Mittelalters im mitteldeutschen Raum. Jena 1937 und<br />

Walter Sc h I e s i n ger, Die Entstehung der Landesherrschaft. 1. Teil.<br />

Dresden 1941. .<br />

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9


Für die Geschichte eines Ortes, der, wie Schöppenstedt, bis in das<br />

19. Jahrhundert ausgesprochen ländliche Prägung zeigt, ist von ausschlaggebender<br />

Bedeutung die Geschichte seiner Ortslage und seiner<br />

Feldmark. Gilt es doch aus ihr zu erkennen, wie sich durch Einwirkung<br />

der j'eweiligen Bewohner und der sie beherrschenden Mächte<br />

die ursprüngliche, für das Leben der Einwohner bestimmende Lebensgrundlage<br />

entwickelt hat.<br />

Schöppenstedt, der kleinste Ort in dem bemerkenswerten Städteviereck<br />

um den Ost-Elm, von dem aus nach Norden bis zur EIbe hin<br />

sich nur vereinzelte andere städtische Si'edlungen hinziehen 32 , hat<br />

als solches weder in der Ortslage noch in seiner Flur von jeher etwa<br />

die Ausdehnung gehabt, wie wir sie heute von der Fri'edenseiche aus<br />

so gut übersehen können. Der tägliche Sprachgebrauch aller Mitbürger,<br />

deren Beruf mit der Bearbeitung unserer Feldmark zusammenhängt,<br />

und die mündliche überlieferung, die zuletzt durch die<br />

1869 abgeschlossene Separation in allen Bevölkerungskreisen geweckt<br />

sein dürfte, haben noch deutlich genug die Erinnerung daran bewahrt,<br />

daß das heutige Schöppenstedt die Feldmarken und mindestens<br />

auch einen Teil der Einwohner der drei eingegangenen Siedlungen<br />

(Wüstungen) Twelken, Neindorf und Allum in sich aufgenommen<br />

hat. Zum besseren Verständnis der späteren Entwicklung<br />

empfiehlt es sich daher, zunächst die Geschichte der drei Orte zu<br />

überblicken, mit deren Schicksalen das Werden der Stadt Schöppenstedt<br />

unlösbar verbunden ist. Dabei verdient Erwähnung, daß Groß­<br />

Schöppenstedt, wie es seit dem Mittelalter nicht selten genannt<br />

wurde, den entsprechenden, durch Klein- unterschiedenen Ort nicht,<br />

wie so viele Dörfer ringsum, in sein'er unmittelbaren Nachbarschaft<br />

hatte, sondern daß dieser vor den Toren Braunschweigs, 16,5 km<br />

Luftlinie entfernt, noch heute liegt.<br />

Ein gutes Bild der früheren Zustände gewährt die in Abb.3<br />

wiedergegebene Flurkarte von Schöppenstedt auf Grund der General­<br />

Landesvermessung von 1760 33 • Als Siedlung bestand schon damals<br />

freilich nur noch Schöppenstedt, aber die Feldmarken der drei<br />

Wüstungen sind als Twelken-, Neindorfer- und Allum-Feld noch mit<br />

ihren Grenzen und ihrem zum Anbau von Winter- oder Sommerfrucht<br />

oder zur Brache bestimmten und in Gewanne untergeteilten<br />

10<br />

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32 Hans D ö r r i e s a. a. O. Karte S. 19.<br />

38 Nach Städteatlas Tafel XV.<br />

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eine Verminderung der Stifts ländereien stattgefunden, denn 1760 waren<br />

nur noch etwa 50 zinsfUchtige Morgen bei 6 Schöppenstedtel' Grundstücken 41 •<br />

Mit ziemlicher Sicherheit läßt sich ebenfalls auf brunonischen Ursprung<br />

der Besitz des von der Brunonin Markgräfin Gertrud, der Schwester Markgraf<br />

Ekberts 11., 1115 gegründeten Ägidienklosters in Braunschweig zurückführen.<br />

In einem Privileg Papst Alexanders III. von 1179 wurden dem<br />

Kloster Einkünfte (redditus stipendiorum) in Twelken (Tewileken) bestätigt<br />

42 • über das weitere Geschick dieses Besitzes konnte nichts ermittelt<br />

werden.<br />

Vermutlich haben die Brunonen noch weitere Güter in Twelken besessen.<br />

Denn Herzog Heinrich der Löwe, in dessen Hand durch Erbschaft<br />

von seiner Mutter her der brunonische Besitz kam, vertauschte 1170 seine<br />

nicht näher bezeichneten dortigen Güter an das Stift Northeim (bei Göttingen)43.<br />

Es dürfte sich um das Vorwerk mit 4 Hufen in villa Tueleken<br />

gehandelt haben, das von Northeim mitsamt Liten, hörigen Knechten und<br />

übrigem Zubehör und Gütern in 4 anderen Orten 1263 für 160 Pfd. Braunschweiger<br />

Münze an das Blasiusstift in Braunschweig verkauft wurde und<br />

den Grundstock des Besitzes dieses Stiftes legte, von dem noch zu sprechen<br />

sein wird H •<br />

Auch in Twelken hatte schon früh eine Halberstädter Grundherrschaft<br />

Fuß gefaßt, nämlich das Augustiner-Chorherrenstift St. Bonifatius. Es ist<br />

nicht ausgeschlossen, daß Bischof Brantog von Halberstadt, der das Stift<br />

1030 gründete, ihm schon zur Ausstattung Güter in Twelken gab, wie es<br />

später sein Nachfolger beim Kloster IIsenburg mit Gütern in Schöppenstedt<br />

tat (s. oben S. 8 f.). Das Bonifatiusstift hatte 1174 in Twelken (Zwilike), nach<br />

Art der großen Grundherrschaften jener Zeit 45 , einen Meierhof (viIlicatio),<br />

über den eingehende Nachrichten überliefert sind. Auf ihm saß einer der<br />

an ihre Scholle gebundenen Bauern (Liten oder Laten) des Stiftes als<br />

Meier· s • Zu dem Meierhofe oder Vorwerke (allodium) gehörten 4 Hufen<br />

Land, eingeteilt in 110 Morgen, und 5 Hofstellen, wovon dem Stifte<br />

20 Malter Weizen, 8 Malter Roggen und 26 Braunschweiger Schillinge, sogenannte<br />

Malzpfennige, als Abgaben zu leisten waren. Wie es damals meist<br />

üblich war (vgl. Kötzschke a. a. 0.), bestand die Aufgabe des Meiers nicht<br />

nur in der Bewirtschaftung seines Meiergutes, sondern er war zugleich<br />

auch Einnehmer der von den übrigen Ländereien des mit dem Meierhofe<br />

eine Betriebseinheit bildenden Fronhofsverbandes eingehenden Abgaben.<br />

Zu diesen gehörten um 1311 in Twelken selbst 8 Litenhufen mit HofsteIlen.<br />

Sie waren an folgende Liten verteilt: Reyneco 2 mit 54 1 /2 Morgen, Helen-<br />

41 Nr. ass. 67, 68, 93, 95, 129 und 163. - Die halbe Hufe bei Nr. ass. 129<br />

und 10 Morgen bei 163 sind schon seit 1672 bei diesen Grundstücken nachweisbar.<br />

Hs Abt. VII B Nr. 254 S.16.<br />

42 Urk Abt. 9 Nr.5. - Reh tm eie r, Der Stadt Braunschweig Kirchenhistorie<br />

Bd. 1 Beil. z. 5. Kap. S.39.<br />

43 MG. HdL 83.<br />

44 Urk Abt. 7 Nr. 53. - UB Br Bd. 2 Nr. 200. - Der Verkauf wurde am<br />

10.1. 1264 von Herzog Johann bestätigt. Urk Abt. 7 Nr.54. Vgl. D ü r r e,<br />

Gesch. d. Stadt Br. S.406.<br />

45 Rud. K ö t z s c hk e, Deutsche Wirtschaftsgeschichte bis z. 17. Jh.<br />

2. Aufl. Berlin 1923. S. 84 f. - Vgl. auch oben den Verkauf der Meierei des<br />

Stiftes Northeim 1263!<br />

4S UB Bonif. Einl., Nr.3 und Anhg. XXIX. - Litcn = in ihrer Freiheit<br />

beschränkte Nachkommen von Einwohnern aus vorsächsischer Zeit. Vgl.<br />

M. Li n tz e I, Sachsen u. Anhalt 10 (1934) S. 65. - E. Mol i tor, Z2RG<br />

64 (1944) S.127, 136 f., 140, 162.<br />

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burgis 2 mit 52 Morgen, Ludolf 3 mit 78 1 /2 Morgen, Ekhard 1 mit 25 1 /. Morgen.<br />

Von ihnen waren insgesamt am Thomastage (= 21. Dezember) 32 und<br />

an Walpurgis (= 1. Mai) 13 Schillinge "herschultu (s. unten) zu entrichten.<br />

Außerdem hatte jeder Lite Vorwerksländerei zu bebauen, nämlich<br />

für den Besitz einer Hufe einen Morgen 3mal zu pflügen und mit 3 kleinen<br />

Scheffeln Weizen zu besäen, in der Fastenzeit einen 2. Morgen zu pflügen<br />

und mit 8 kleinen Scheffeln Hafer zu bestellen, das gesamte Getreide auch<br />

zu ernten. Außerdem hatte jeder zur Umzäunung des Meierhofes jährlich<br />

14 Bündel Weidenruten zu liefern. Weiter gehörten dem Stift die mit<br />

6 Schillingen Zins belastete Mühle in Twelken, eine Wiese und ein Busch<br />

(Wäldchen). Der dortige Meier hatte schließlich Geld- und Getreideabgaben<br />

von Liegenschaften in Frellstedt, Hohnsleben, Wobeck, Revininge (?),<br />

Gevensleben und Seker (wüst bei Jerxheim) einzunehmen 47 •<br />

Der Propst (Vorsteher) des Bonifatiusstiftes, zugleich Domherr des<br />

Halberstädter Domstiftes, hatte den größten Teil der Einkünfte des Chorherren<br />

kapitels. In der Urkunde von 1174 verzichtete er aber zugunsten der<br />

anderen Stiftsherren auf einen Teil der Propstei einnahmen und bestimmte<br />

u. a., daß der Zehnte von Emersleben (bei Halberstadt) teilweise zur<br />

Meierei Twelken zu liefern sei; eine Geldzahlung für ein Schwein zu Weihnachten<br />

aus Twelken trat er ab, behielt sich aber 2 Schweine, 10 Hühner,<br />

2 Schock Eier und 2 Schock Hafer zum Futter von dort vor.<br />

Außer den ältesten Namen von Bewohnern der heutigen Schöppenstedter<br />

Feldmark erfahren wir aus der Urkunde von 1174, daß die Liten<br />

neben ihren Abgaben auch der für Hörige aIIgemein üblichen Heiratsabgabe<br />

(bumede), der Abgabe eines Anteiles (das beste Stück Vieh oder Gewand)<br />

an der Hinterlassenschaft beim Sterbefall (buleve) und der herscolde, einer<br />

Heersteuer der nicht mit in den Krieg ziehenden Einwohner, unterlagen's.<br />

Auch dieses gesamte Gut (das Vorwerk mit dem einzeln aufgezählten<br />

Zubehör und die Mühle) wechselte, wie vorher das Northeimer, ziemlich<br />

früh den Herrn und ging durch Verkauf 1320 an die Katharinenkirche in<br />

Braunschweig über. Es sind in der Verkaufsurkunde 49 noch einmal die<br />

Namen der einzelnen Bauern und ihr Besitzanteil an den 8 Hufen<br />

= 210 1 /. Morgen genannt: Reyner hatte 4 Hufen; Johann Ledcge 1; Hermann,<br />

Ruleko, Alheid und Bele, die Erben Ludolf Mittendorfs ("midden<br />

dem dorpe U ) 1; die Kinder des t Rudolf Ruleverding und die seiner Schwester<br />

Gertrud 1; die Witwe Dietrich von Berklingens und ihre Kinder sowie<br />

Dietrichs Schwester Adelheid, Johann von Hondelages Ehefrau, je 1/2• Es<br />

ist in der Urkunde ausdrücklich betont, daß die Genannten nach Litenrecht<br />

samt ihren Kindern und Blutsnachkommen zu den 8 Litenhufen gehörten.<br />

Der Zins jeder Hufe betrug 2 1 /2 kleine Scheffel Weizen und 8 kleine Scheffel<br />

Hafer, dazu 6 Schillinge weniger 3 Pfg.<br />

Die Katharinenkirche schuf sich bald ziemlich erheblichen Grundbesitz<br />

in Twelken. Ihr Pfarrer Reimbold, ein zum Hofkaplan des Herzogs Otto<br />

47 O. Te u t e, Das alte Ostfalenland. Diss. Erlangen. Leipzig 1910. S. 215.<br />

48 Ge sen i u s , Meierrecht I S.307, 308, 312; 384. - H. A. L ü n i z e I,<br />

Die bäuer!. Lasten im Fürstentum Hildesheim S. 183, 184. J. G r i m m ,<br />

Deutsche Rechtsaltertümer 4 Bd. 1 S.505, 531.<br />

49 18.4. 1320, UB Br Il 888. - Bestätigt durch Herzog Otto 22.4. 1320,<br />

ebd.889, und durch den Bischof von Halberstadt am 17.10.1320 (HHa !II<br />

2044). - Vg!. H. D ü r r e a. a. O. S. 463 f. und UB Br Irr 199. - Eine wohl<br />

bald nach 1320 zusammengestellte Aufstellung der einzelnen Latengüter<br />

der Katharinenkirche mit Angaben über die Familienmitglieder der Laten<br />

s. UB Br. IV Nachtr.338.<br />

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(t 1344) aufgestiegener, offenbar einflußreicher Mann so , hatte 1320 den<br />

Grund dazu gelegt. Er erwarb dazu: 1321 vom Ritter Balduin von Wenden<br />

die von Herzog Otto zu Lehen gehende Vogtei über die Twelkenmühle und<br />

damit eine Abgabe von 2 Schillingen und 2 Hühnern 51 ;<br />

1338 für 6 Mark 1/2 Hufe mit Haus, Hof und Zubehör im Dorfe Twelken<br />

vom Bauern Johann, Sohn des Reyner, und seiner Frau Gertrud; Vorbesitzer<br />

der Hufe war Johann Groß52;<br />

1340 eine Hufe mit Hausstelle, Hof und Zubehör, die Hermann Mittendorf<br />

an Reiner, t Reiners Sohn, für 12 Mark verkauft hatte 53 ;<br />

1340 im Tausch gegen die Hälfte der 1338 gekauften halben Hufe eine<br />

andere von dem Bauern Heinrich Biderwiden (= bei der Weide) in<br />

Twelken 54 ;<br />

1341 kaufte Pfarrer Reinbold noch 4 Hufen von den Gebrüdern Reiners<br />

für den von ihm gestifteten Johannisaltar in seiner Kirch&5.<br />

Die Einkünfte von 2 Hufen in Twelken wurden von der Katharinenkirche<br />

zu Gedächtnisfeiern für Verstorbene verwendetr.8.<br />

1760 besaßen 13 oder 14 Schöppenstedter Höfes' etwa 190 Morgen<br />

Kirchenland durchweg zu Meierrecht, d. h. einem erblichen Rechte zur<br />

Bewirtschaftung mit der Pflicht zur Leistung bestimmter jährlicher Abgaben<br />

58 •<br />

Beträchtlichen Grundbesitz hatte in Twelken schließlich das Blasiusstift<br />

in Braunschweig. Er baute sich auf dem erwähnten Kaufe des Vorwerkes<br />

vom Stifte Northeim auf (s. oben S.12). 1305 kaufte das Stift die Vogtei<br />

über das Vorwerk mit 4 und 2 weitere Hufen, die bis dahin herzogliches<br />

Lehen der v. Sambleben gewesen war, und erwarb damit die Gerichtsbarkeit<br />

über seinen Besitzs,. In den Zinsregistern und Rechnungen des<br />

Blasiusstiftes, die mit einigen Lücken seit 1300 erhalten sind"O, kann man<br />

in den ersten Jahren nur die aus einzelnen Orten aufkommenden Zinse,<br />

seit 1315 auch die Namen der Zinspflichtigen laufend verfolgen. Die jährlichen<br />

Rechnungen - bis 1372 auf Pergamentrollen, seit 1381 in Pergamenthefte<br />

geschrieben - sind eine wichtige, in dieser Vollständigkeit sonst nicht<br />

vorhandene Quelle zur Wirtschafts- und Siedlungsgeschichte des ehemaligen<br />

Landes Braunschweig. Seit 1395 ist auch regelmäßig in ihnen angegeben,<br />

wieviel Land der einzelne Zinspflichtige vom Stifte hatte; so<br />

besaß dieses in jenem Jahre und noch nach der letzten Rechnung von<br />

1536 in Twelken 6 Hufen und 1 Hofstelle. 1315 waren die Stiftshufen an<br />

. 6 Bebauer (Witwe Konrad Drudes, Sohn Heinrich Glöckners (Campa-<br />

50 H. D ü r r e a. a. O. S. 462.<br />

61 UB Br III 24 und 25.<br />

62 Ebd.562. - Zeugen bei diesem Verkaufe waren Gordeler, Meynerding,<br />

Ludolf Drude, Ludolf Deneke und Hermann Mittendorf ("in medio<br />

ville"), Bauern in Twelken.<br />

53 Ebd.631 und 632.<br />

54 Ebd.633.<br />

66 UB Br IV 46. - Vgl. H. D ü r r e a. a. O. S.463 und UB Br IV 305. -<br />

S. auch 2 Urkunden im Stadtarch. Brschwg., St. Katharinen.<br />

58 So 1349, 1403. D ü r r e, Regesten Bd.68 S.87, 109.<br />

6' Nr. ass. 18, 19,62,67, 74?, 84, 105, 112, 121, 130, 147, 150, 210 und 215.<br />

Die größten Anteile hatten 18, 19, 112, 147 und 215.<br />

68 A. H a m pe, Das particulare Braunschweigische Privatrecht. Brschw.<br />

1901. S.362, 396 f. und bes.503 fi.<br />

69 UB Asseburg 11 603, 605. - Vgl. auch Beg e, Burgen S.62.<br />

60 ZR Bias. - Veröffentlichung der im Juli 1950 aufgefundenen Rechnungen<br />

ist beabsichtigt.<br />

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narius), lIermann v. Kneitlingen, Johann Rodestorp und seine Brüder,<br />

Töchter des Konrad König (Regis) und Widekind von Twelken) vergeben.<br />

1400 hatten Bertram Rodestorp, Grote Hinrik und Hinrik Druden je 1112,<br />

Reyner, Koneke Moller und Hermann Karsten je 1/2 Hufe, Ludeke Koghele<br />

eine Hofstelle. In den Kopialbüchern des Stiftes finden sich aus der Zeit<br />

seit 1410 zahlreiche Abschriften von Verpfändungs- und einzelnen anderen<br />

Verträgen über jene Grundstücke. 1435 ist Hinrich Grotehinrik, Bürger zu<br />

Schöppenstedt, als Late des Stiftes bezeichnet 6l • Seit 1438"2 sind die Ländereien<br />

- abweichend von denen des Cyriacusstiftes - stets als Lat- oder<br />

Laßgut benannt. Da abschließende Untersuchungen für unsere Gegend<br />

fehlen, muß es einstweilen unentschieden bleiben, ob diese Bezeichnungen<br />

dieselben Rechtsverhältnisse umschreiben, wie die verwandten Ausdrücke<br />

des Jahres 1263 (s. oben S.12) und für die Güter des Bonifatiusstiftes in<br />

früherer Zeit, oder ob sie - wie es anderweit beobachtet ist 63 - im Laufe<br />

der Zeit anderen Rechtsinhalt bekommen haben 64 •<br />

Noch 1760 und bis zur Ablösung um 1840 wurden fast 250 Morgen Stiftsland<br />

des Twelkenfeldes in Schöppenstedt bei zahlreichen Grundstücken<br />

der Stadt bebaut.<br />

In der Feldbeschreibung der Generallandesvermessung sind 1760 noch<br />

das Lorenzkloster in Schöningen mit 3 Morgen und die Stadt Schöppenstedt<br />

mit 3 Morgen 27 Ruten auf dem Twelkenfelde als Gutsherren aufgeführt.<br />

-<br />

Daß die Landesherren nur einen Teil ihrer Güter in Twelken aus der<br />

Hand gegeben hatten, können wir an einer ganzen Reihe von Lehen (d. h.<br />

ursprünglich zu ritterlichem Heeresdienste - später durch Geldzahlungen<br />

ablösbar - verpflichtende Verleihungen von Liegenschaften und nutzbaren<br />

Rechten) erkennen, die die Herzöge von Braunschweig und Lüneburg an<br />

verschiedene Lehnsleute vergaben. Schon zur Zeit des Herzogs Johann<br />

(reg. seit 1252, 1267-1277 in Lüneburg) waren die v. Bortfeld mit 1 1 /2 Hufen<br />

zu Twelken, die vorher die v. Meinersen hatten, belehnt; die Brüder Ulrich<br />

und Bodo KaIe in Braunschweig hatten sie als AfterIehen 66 • Das Lehen<br />

hatten die v. Bortfeld noch 1383/85 (damals weiterverlehnt an den Bürger<br />

Lenard in Braunschweig 66 ), 1471, 1507 und 1656; von ihnen ging es vor 1771<br />

an die v. Cramm über, die es bis zur Ablösung 1839 innehatten 67 • Ebenfalls<br />

in die Regierungszeit Herzog Johanns reicht eine Belehnung der v. Rottorf<br />

mit der Vogtei über 2 Hufen zu Twelken zurück, die noch 1369 und 1383/85<br />

fortbestand; dazu hatte 1353 Eilard v. Rottorf 1 Hufe in Twelken, derselbe<br />

1344/65 und um 1369 auch 16 Schillinge Zins 68 • Es hatten ferner 1318 Ritter<br />

61 Hs Abt. VII B Nr. 136 BI. 11 v.<br />

62 Ebd. BI. 45.<br />

63 E. Mol i tor, Ständerechtsverhältnisse als Geschichtsquelle. Histor.<br />

Zschr. Bd.170 (1950) S.29.<br />

64 Etwa das ungünstigste, nur persönliche, widerrufliche, auf kurzfristige<br />

überlassung gerichtete bäuerliche Nutzungsrecht wie in Thüringen/Obersachsen.<br />

VgI. R. K ö tz s c h kein: Adel und Bauern im deutschen<br />

Staate des Mittelalters (Leipzig 1943). S.303.<br />

66 Hs Abt. II Nr.l BI. 166 v.<br />

66 Sud. Bd. 6 S. 63 Z. 30.<br />

67 Hs Abt.I1I Nr.15 BI. 104 v. - Kartei z. Gesch. Orts verzeichnis Niedersachsens<br />

Bd.2 im StA WolfenbütteI.<br />

68 Hs Abt. II Nr.1 BI. 167 v. - Sud. Bd.2 Nr.79 und S.45 Z.27; Bd.3<br />

S.282 Z.27, 284 Z. 27; Bd. 5 S.65 Z. 5. - ,,1569 und 1590 waren diese Lehen<br />

nicht mehr im Besitz der Familie, man kannte sie nur noch aus alten<br />

Registern" (Lehnsakten).<br />

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I<br />

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SCHÖPPENSTEDT, Luftbildaufnahme 1932 Abb.4<br />

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teiligt, wenn er damals amtiert hätte. Auch sonst ist ein solcher in keiner<br />

Quelle bezeugt.<br />

Twelkens Gotteshaus wird 1400 als zum Archidiakonate Schöppenstedt<br />

gehörend erwähnt; 1482 schenkte ihm der Rat in Schöppenstedt 2 Hufen<br />

für Messen zur Abwendung von allerlei Unglück 79 • Noch 1526 zahlten die<br />

Vorsteher der Kirche in Twelken 3 Schilling Zins für einen Hof in Schöppenstedt<br />

an das Blasiusstift HO , 1542 wird jene als zu Schöppenstedt gehörende<br />

wüste Kapelle bezeichnet 8 !. Das Vermögen der Kapelle wurde bis zuletzt<br />

getrennt verwaltet, denn 1746 waren noch ihre alten Rechnungen vorhanden,<br />

die mit dem Jahre der Vertreibung Herzog Heinrichs d. J. durdJ.<br />

die Schmalkaldener 1542 endeten 82 • Das unbenutzte Gebäude, "über der<br />

Twelkenmühle gelegen", stand nodJ. 1584"3. Der dazu gehörende Kirchhof<br />

ist mehrfach im ältesten Rechnungsbande der KirdJ.e Schöppenstedt 1602 ff.<br />

genannt und wurde noch lange als Begräbnisplatz für Tote aus dem<br />

Schöppenstedter Armenhause, der Klus (daher Klus-KirdJ.hof! S. auch<br />

Abb.3) benutzt. Die auf ihm stehenden Ruinen des KirdJ.turmes wurden<br />

erst 1712 beseitigt und zu Drücken und anderen Bauten verwandt 84 • -<br />

Ein recht ansehnliches Alter hat die allen SdJ.öppenstedtern vertraute,<br />

leider stillgelegte Twelkenmühle. Sie gehörte um 1311 mit zum Besitze des<br />

Bonifatiusstiftes in Halberstadt 85 • Ihr übergang mit dessen Gute an die<br />

KatharinenkirdJ.e in BraunsdJ.weig 1321 ist sdJ.on erwähnt (s. oben S. 13 f.).<br />

Sie kam vor 1559 an das Kloster Riddagshausen, das sie 1559 und 1575 den<br />

v. Sambleben zur Leibzucht versdJ.rieb; danadJ. erhielt die Herzogin Elisabeth<br />

die Mühle auf Lebenszeit. NadJ. deren Tode nahm 1627 auf herzog!.<br />

Anordnung das Kloster die Mühle wieder in Besitz, in dem sie sidJ. nodJ.<br />

um 1650 befand. Im VergleidJ.e von 1662 belehnte Herzog August die<br />

v. Cramm auf Sambleben mit der Mühle, die dem Kloster erbzinspflidJ.tig<br />

blieb"8. -<br />

Gegenüber der Ansicht, das Bestehen des Dorfes noch 1482 sei<br />

fraglich 87 , kann als die überwiegende Meinung gelten, daß es noch<br />

1551 vorhanden gewesen sei 88 • Schon viel früher hat das nahe Schöppenstedt<br />

anscheinend auf Twelkener Einwohn'er anziehend gewirkt.<br />

Denn 1392 erteilte Herzog Friedrich dem Hans v. Gustedt bei Belehnung<br />

mit 4 Hufen in Twelken (5. oben S. 16) für den Fall, daß der<br />

Bauer (Meier) nach Schöppenstedt verzöge und von da aus das Gut<br />

70 BuK BI, 2 S. 264.<br />

80 ZR Blas.<br />

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81 K. K a y s er, Die reformatorischen KirdJ.envisitationen in den welfischen<br />

Landen 1542-1544. Göttingen 1897. S.119.<br />

811 L Alt Abt. 2 C III Nr.28, Ber. Oberamtm. Lichtensteins v. 20. 10. 1746.<br />

83 L Alt Abt. 19 Asseburg Nr.5 BI. 260v. - Die Angabe von der Benutzung<br />

1584 (Städteatlas S. 47 r) dürfte nidJ.t zutreffen.<br />

84 Brschw. Anzeigen 1756 Stek. 52. - Beg e S.56.<br />

85 UB Bonif. XXIX.<br />

86 L Alt Abt. 11 Riddagsh. Nr.88 und Abt. 19 Riddagsh. Nr.l BI. 115. -<br />

Urk Abt. 72 Nr. III, 61. - Beg e a. a. O.<br />

81 Hs Abt. VI Gr. 14 Nr.84.<br />

88 Bege a. a. O. - BuK III, 2 S. 264.<br />

2 Braunschwelglsches <strong>Jahrbuch</strong> 17<br />

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ebaute, das Privileg, daß dieser dann die Freiheit der Schöppenstedter<br />

Bürger haben solle 89 .<br />

Leider geht aus den Rechnungen des Blasiusstiftes nicht allgemein<br />

und sicher hervor, wo die Zinspflichtigen seiner Twelkener Ländereien<br />

ansässig waren. Immerhin ist schon 1406 je ein in Schöppenstedt und<br />

Küblingen Wohn'ender genannt. 1441 war etwa die Hälfte der zinsbelasteten<br />

Grundstücke im Besitze von Einwohnern aus beiden Orten<br />

und aus Bansleben; 1447 kam eine Familie in Braunschweig dazu;<br />

seit 1460 sind ausschließlich Bürger von Schöppenstedt und andere<br />

Auswärtige genannt. Aber 'es kann, wie wohl sicher 1447, durchaus<br />

sein, daß die Zinspflichtigen die Grundstücke an Bebauer in Twelken<br />

selbst weitervergeben hatten. I<br />

Auch Bezeichnungen in Lehnbriefen, wie etwa 1483-1491 "up dem<br />

velde to Twelken"90, können, als möglicherweise formelhaft aus älteren<br />

Urkunden übernommen, nicht als sicherer Beweis für das damalige<br />

Vorhandensein des Dorfes angesehen werden.<br />

Bessere Zeugnisse für das Fortbestehen des Ortes Twelken dürften<br />

seine Beteiligung an den von der Landschaft 1478, 1483 und 1487 dem<br />

Herzog Wilhelm, 1505 dem Herzog Heinrich d. Ä. bewilligten Viehsteuern,<br />

zu denen das Dorf jeweils eine Kuh beizutragen hatte, und<br />

Hafersteuern sein 91 . Im Landschatzregister von 1506, im Geldregister<br />

des Amtes Wolfenbüttel von 1521/22 und in einem Berichte über die<br />

in den Dörfern des Gerichtes Schöppenstedt gelegenen Äcker von<br />

1546 ist Twelken unter de!l Dörfern des Gerichtes aber nicht mehr<br />

genannt 92 . Das Dorf scheint allmählich verlassen zu sein; denn eine<br />

dem Vizedominat des Blasiusstiftes zinspflichtige HofsteIle erscheint<br />

in dessen Rechnungen seit 1532 als Garten 9S • Die im Besitz von<br />

Schöppenstedter Bürgern im 17.118, Jahrhundert und bis auf den<br />

heutigen Tag befindlichen Gärten an der Twelk'enmühle dürften in<br />

ähnlicher Weise auf ehemaligen Hofstellen von Twelken angelegt<br />

sein. Die 1542 nicht mehr benutzte Kapelle deutet mit Sicherheit<br />

darauf hin, daß um jene Zeit das Dorf aufgegeben war. -<br />

Auch nach anderen Orten ist der Name Twelken, wohl von ab-<br />

89 Stadtarch, Brschw, A IV 10, V Nr, 4.<br />

GO Hs Abt, III Nr.3 BI. 35 v.<br />

01 Reh tm eie r, Braunschw,-Lüneburg, Chronik Bd, II S.751, 852, -<br />

Hs Abt. II Nr, 8 BI. 183, - Brschw, histor, Händel I S, 290,<br />

9% Hs Abt, 111 Nr,5 BI. 256 v, L Alt Abt. 22A WoIfb, Nr, 1 Bd.1 - Stadtarch.<br />

Braunschw, B II!, 5 Bd, 26 S, 86 ff, - Es fehlt auch im Summarischen<br />

Auszuge des gemusterten Fußvolkes von 1539, L Alt Abt. 38 B Nr.5.<br />

93 ZR Blas. (1532),<br />

18<br />

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ziehenden jüngeren Söhnen, getragen und zum Familiennamen geworden.<br />

Im Hagen in Braunschweig ist schon von 1295 bis 1358 eine<br />

Ratsherrenfamilie v. T. nachweisbar D4 . 1351 ist ein Magister Johann<br />

de [von] Twelken in Magdeburg erwähnt D5 . In Schöppenstedt selbst<br />

hat das Twelkentor die Erinnerung an seinen Zweck, den Ausgang<br />

nach dem nahen Dorfe zu bilden, noch bis gegen 1800 bewahrt.<br />

b) Ne i n d 0 r f<br />

Die Erinnerung an Neindorf lebt deutlich fort im Flurnamen<br />

"Neindorfer Berg" an der Straße Schöppenstedt-Groß-Vahlberg. Die<br />

DorfsteIle ist im Feldrisse von 1760 gekennzeichnet durch die großen<br />

und kleinen Grashöfe (n ich t wie Städteatlas S.47 r.!). Das Dorf<br />

lag also zu bei den Seiten - hauptsächlich nördlich - der heutigen<br />

Straße am Neindorfer Bache, bevor jene den heutigen Feldweg von<br />

Berklingen nach Bansleben überschreitet (v gl. Abb. 3). Ziegel-,<br />

Mörtelbrocken und hartgraue Gefäßscherben findet man dort noch<br />

heute, und auf dem den Hauptteil der DorfsteIle umfassenden Löhrschen<br />

Acker ist man beim Pflügen verschiedentlich auf Mauerreste<br />

gestoßen. Die Feldmark dieser Wüstung ist größer als die der heiden<br />

anderen; 1760 wurde sie mit 886 3 /4 Morgen Acker = 29 1 /2 Hufen vermessenDe.<br />

Bei Erforschung der Geschichte dieser Wüstung muß vorsichtig verfahren<br />

werden; denn der Name Neindorf = neues Dorf kommt in unserer<br />

Gegend mehrfach vor 91 • Soweit sich aus den bisher ermittelten Quellen<br />

feststellen läßt, reicht die überlieferung für unser Neindorf nicht sehr<br />

weit zurück. Hier waren nicht die geistlichen Anstalten, Stifte und Klöster,<br />

die Hauptgrundherren. Vielmehr ist es kennzeichnend, daß die frühste<br />

sichere Nachricht den Lehnsbesitz des im Anhaltischen ansässigen Edelherrengeschlechtes<br />

v. Suselitz betrifft, von dem die auf Burg Twieflingen<br />

sitzende Familie v. Heimburg vor 1253 mit I112 Hufen to Nendorp by<br />

Schepenstidde belehnt war 98 • Leider ließ sich weder der Ursprung dieses<br />

94 W. S pie ß , Die Ratsherren der Hansestadt Braunschweig 1231-1671.<br />

Brschw. 1940. S. 180. - UB Br Bd. lI-IV. Sud. II S.50 und V S.38 Z. 1.<br />

95 Urk Abt. 7 Nr.320. - In Stadtoldendorf Flurname "Im Twelkenwinkel".<br />

Städteatlas S.39.<br />

96 Städteatlas S. 47 r.<br />

91 Genannt seien nur N. am Ösel, Wüstung Kraut-Neindorf b. Gr.­<br />

Biewende, N./Kr. Gifhorn, Kr. Oschersleben; mehrere Wüstungen N. und<br />

Niendorf in den Kreisen Haldensleben, Wanzleben und bei Halberstadt.<br />

98 Sud. 11. 484. - Die dort angegebene Datierung ist falsch; die obige<br />

nach G. B 0 d e, Die Heimburg a. Harz und ihr erstes Herrengeschlecht<br />

S. 73 f., 77. - Die Familie v. Suselitz ist vielleicht über die (möglicherweise<br />

mit den v. Meinersen stammverwandten) v. Hagen und deren Erben<br />

v. Woledhe an das Gut in Neindorf gekommen. Vgl. Stammt. von G. B 0 d e<br />

in Hs Abt. VII A Nr. 59 Bd. 1.<br />

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19


Besitzes noch der eines Zinses von 16 Schillingen an 2 Hufen des Ludeke<br />

Richerdes in Nendorpe bi Scheppenstidde ermitteln, den die Edlen<br />

v. Meinersen 1366 an den bis dahin damit belehnten Braunschweiger<br />

Bürger Konrad Stapel verkauften. Stapel veräußerte den Zins an zwei<br />

Bürger weiter, die ihn für Seelenmessen und Lichter an die Katharinenkirche<br />

in Braunschweig gaben 99 • Die Familie Stapel ist noch in dem Lehnbuche<br />

des Herzogs Friedrich von 1383/85 als Lehnsträgerin der beiden<br />

Hufen aufgeführt lOo •<br />

Ebenso steht für sich allein eine Urkunde von 1297 über den Verkauf<br />

von Einkünften in Neindorf (Nendorpe apud Scepenstede) mit der Burg<br />

Weferlingen durch Burchard Lochte von der Asseburg an den Rat der<br />

Stadt Braunschweig unter Vorbehalt des WiederkaufeslOl. Im Juli 1301<br />

war die Burg aber schon nicht mehr im Besitze der Stadt, so daß auch die<br />

15 Pfund und 1 Schilling wieder an den Verkäufer zurückgefallen sein<br />

dürften l02 .<br />

Einigen Besitz hatten ferner die Bischöfe von Halberstadt in Neindorf.<br />

Von ihnen trugen 1311 zu Lehen Johann von Volzum (Volksem) - wohl<br />

ein Braunschweiger Bürger l03 - u. a. 8 Schillinge Zins von einer Hufe in<br />

Nendorp prope Schepenstede und der Bürger Dietrich von Stöckheim in<br />

Braunschweig 3 Hufen lo ,. 1528 hatte das Cyriacusstift vor Braunschweig<br />

1 Hufe Erbzinsland lo ,. Auch das Lorenzkloster vor Schöningen und die<br />

Katharinenkirche in Braunschweig sind 1760 als Gutsherren für einige<br />

Morgen Land angegeben.<br />

Die Entstehung umfangreicherer Grundherrschaften in Neindorf dürfte<br />

dadurch verhindert sein, daß dort die braunschweigischen Herzöge so umfassende<br />

Rechte zu bewahren verstanden, daß für andere Herren wenig<br />

Raum blieb. Soweit die Quellen erkennen lassen, waren sie Mitte des<br />

14. Jahrhunderts Lehnsherren des ganzen Dorfes Neindorf.<br />

Einige kleinere herzogliche Lehen hatten dort um 1374 die Braunschweiger<br />

(im Hagen) Bürger Petri (1 Hufe in Nendorpe)l°6, 1400 und noch<br />

1638 die v. Bortfeld (11/2 Hufen in Nigendorp bei Schöppenstedtjl07, 1480<br />

Familie Heyne (12 Schillinge Zins an 1 Hufe in N. "bie Valeberge")I°8, um<br />

1483 Ludeke Ludeman in Schöppenstcdt (1/2 Hufe upm velde to Nendorpe<br />

99 UB Hochst. Hildesheim V 1180. - Stadtarch. Brschw. Urk. Kathar.<br />

Nr. 39; Kopialb. Kath. S. 42; St. Kathar. Nr. 5.<br />

100 Sud. VI S. 62 Z. 33.<br />

101 UB Asseburg 11 548 = UB Br IV Nachtr. 207. - Vgl. Heinz Ger me r,<br />

Die Landgebietspolitik der Stadt Braunschweig bis zum Ausgang des<br />

15. Jhs. Göttingen 1937. S.75.<br />

102 Ger m e r a. a. O.<br />

103 VgI. UB Br IV S. 728.<br />

lOt R i e deI, Cod. dip!. Brandenb. A Bd. 17 S.467. - Die Angabe BuK<br />

111,2 S.229, das ganze Dorf sei Lehen des Johann v. V. gewesen, beruht<br />

offenbar auf der gleichen Nachricht bei Beg e S.56, die einen Auszug aus<br />

dem Halberstädter Lehnregister von 1311 bei Lu c a n u s, Beitr. z. Gesch.<br />

d. Fürstenth. Halberstadt I S. 26, jedoch ohne Beachtung der Vorbemerkung<br />

S. 20 oben, falsch wiedergibt. - UB Br IV S.465.<br />

105 Hs VII B Nr.250 BI. 78. - So auch nach Feldbeschreibung von 1760.<br />

106 Sud. VI S. 63 Z. 18.<br />

107 Hs Abt. II Nr.1 BI. 192, 192 v. - Auch 1477 (Hs Abt. III Nr.2), 1507<br />

und 1539. D ü r r e, Reg. Bd. 56.<br />

108 Hs Abt. III Nr.4.<br />

20<br />

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by Valeberge; seine Nachkommen wurden noch 1649 damit belehnt)109. Um<br />

1344/65 war aber die in Gr.-Vahlberg ansässige; einflußreiche und reich<br />

begüterte Familie v. Weferling(en) mit dem Dorfe (villa Nendorpe) und<br />

allen Rechten daran belehnt 11o • 1414 kam es zwischen BasiIius von Wefer­<br />

Iingen und dem Rate von Schöppenstedt zur Einigung (die dazu führenden<br />

Vorgänge sind leider nicht bekannt) über das Dorf Neindorpe mit seinem<br />

Zubehör. Der Rat sollte jenem und dessen Erben sowie dessen Ehefrau<br />

zur Leibzucht eine jährliche Rente von 8 Mark (je zur Hälfte Martini und<br />

Weihnachten) zahlen, die nach Basilius' und seiner Leibeserben Tode auf<br />

ewig an die Landesherrschaft fallen solltei ll • Im gleichen Jahre wurde<br />

dann zwischen Basilius v. WeferIingen und dem Weichbilde Schöppenstedt<br />

ein förmlicher Kaufvertrag über das Dorf mit dem Kirchlehen abgeschlossen.<br />

Der Kaufpreis betrug 50 Braunschweiger Mark und die eben<br />

erwähnte dem Käufer verbriefte Rente von 8 Mark. Darüber hinaus wurden<br />

20 Mark für Zehrung und als Geschenk gegeben l12 • Seitdem war Neindorf<br />

Eigentum der Schöppenstedter.<br />

In dem LehnsverhäItnis zwischen dem Herzog und den v. Wefel'lingen<br />

trat damit an die Stelle des Lehngutes, das in die Gewere - d. h. Nutzung<br />

- der Käufer übergegangen war, die Rente. Mit dieser belehnte der Herzog<br />

Bernhard den Basilius von Weferlingen am 14.4.1415 unter ausdrücklicher<br />

Bestätigung des Leibzuchtlehens für Frau Agnes von Weferlingen 1l3 •<br />

Die Eheleute von Weferlingen verkauften mit herzogI. Genehmigung am<br />

23.4.1419 wiederkäuflich die Rente für 110 Mark an den Matthäus- und<br />

Gertruden-Kaland in Braunschweig weiter, wobei die Ehefrau auf ihr<br />

Leibzuchtsrecht vor einem Notar verzichtete 1l4 • Der Ehemann von Wefer­<br />

Iingen gelobte unter Bürgengestellung den herzoglichen Lehnsherren den<br />

Rückkauf der 8 Mark binnen den nächsten 2 Jahren 1l6 • Zu diesem Rückkaufe<br />

kam es aber offenbar nicht, denn 1420 erkannte Basilius v. Wefer­<br />

Iingen an, daß die Restsumme des mit 150 Mark angegebenen Rentenkaufpreises<br />

erst fällig sei, nachdem er den lehnsherrlichen Konsens zu dem<br />

Geschäfte beigebracht hätte llu • Auch 1423 war die Rente noch Wefer­<br />

Iingsches Lehen; der Matthäus-Kaland verkaufte in jenem Jahre aus dem<br />

auf ihn fallenden Teilbetrage von 4 Mark an den Pfarrer von Lehndorf<br />

1/2 Mark für 7 Mark ll7 • Noch am 12.9.1475 erhöhte Basilius von Weferlingen<br />

109 Hs Abt. ur Nr. 5 BI. 54 und Nr. 16 BI. 40 v. - Diese Hufe hatten später<br />

Tile Hofmeister und 1650-1771 die Familie Böckel in Schöppenstedt. Hs<br />

Abt. UI Nr. 21 b S.323.<br />

uo Sud. II S. 41 Z. 2. - Sie hatte das Lehen auch um 1369 (Sud. III S.283<br />

Z. 18) und 1400 (Hs Abt. II Nr.l BI. 193 v).<br />

111 Urk. Herzog Bernhards vom 13.11. 1414, Auszug. Hs Abt. II Nr.5<br />

BI. 156.<br />

112 Abschr.17. Jh. mit dem nicht auflösbaren Datum "in sünte Viminus<br />

dage" N Abt. 1 Schöpp. I Nr. 94. - Beg e S. 56 hat falsch 1411.<br />

113 J. J. Ge b h a r d i, Histor. Nachr. von dem Stifte S. Matthäi in<br />

Braunschweig. Brschw. 1739. S.111 f. - BuK III, 2 S.229 und Städteatlas<br />

S. 47 r scheinen die se Urk. als entscheidend angesehen zu haben<br />

114 Stadtarchiv Brschw. G U 7 Nr. 2 S. 29,30. - VgI. Ge b h a r dia. a. O.<br />

S.112-114 Nr.49-51. - UB v. Saldern Bd.2 Nr.1333. - Der Rat zu<br />

Schöppenstedt 'verpflichtete sich ausdrücklich am 23.4.1419 zur künftigen<br />

Zahlung der Rente an die Kalande. Or.-Urk. Stadtarch. Brschw.<br />

lt5 UB v. Saldern Bd. 2 Nr. 1334.<br />

116 Stadtarch. Brschw. Orig.-Urk. und G II St. Katharinen Nr.5.<br />

m Lehnsakten v. Weferling. Ge b h ar dia. a. O. S. 116 f. Nr.53.<br />

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21


d. J. die Rente gegen eine weitere Summe, und die bei den Kalande teilten<br />

sich je zur Hälfte darin 118 • Mit den 8 Mark wurden die v. Weferling weiterhin<br />

von 1474-1633 belehnt 118 &.<br />

Schöppenstedt war also Großgrundbesitzer geworden. Leider sind für<br />

die frühere Zeit keine Quellen darüber erhalten, wie es diese Stellung<br />

benutzt hat. Wahrscheinlich noch mehrfach wie in dem allein bekannten<br />

Falle aus dem Jahre 1491: es verwendete seine Liegenschaften als Sicherheit<br />

für Anleihen. Im übrigen wäre darüber noch einiges in einer Ge­<br />

-schichte der Schöppenstedter Flur zu sagen, wozu sich hoffentlich später<br />

an anderer Stelle Gelegenheit bieten wird.<br />

Auch über die Zehntherrschaft in Neindorf liegen erst späte Nachrichten<br />

vor. 1353 belehnte Graf Albrecht v. Schladen die Familie van dem Kerkhove<br />

in Braunschweig damit (to Neindorpe bi Scheppenstidde)l1u. 1363 und um<br />

1374 hatte ihn Heinrich Kerkhof als herzog!. Lehenl20. 1384 verpfändete<br />

ihn Bischof Gerhard von Hildcsheim dem Marienhospital in Braunschweig<br />

für 170 Mark; der Zehnte war dem Bischof von den Grafen von Schladen,<br />

von denen ihn Kurt Stapel in Braunschweig zu Lehen hatte, heimgefallen l21 .<br />

Eine Wiedereinlösung des Zehnten hat nicht stattgefunden, denn er befand<br />

sich vom gesamten Neindorfer Felde (883 Morgen 91 Ruten) bis zur Ablösung<br />

1845 im Besitze des Hospitals (Waisenhauses)122. Dieses pflegte den<br />

Zehnten von "Krautneindorf" zu verpachten, so 1569, 1621 und 1684-1723<br />

an Schöppenstedter Bürger, 1581 (gemeinsam mit Bertold Wesarch) und<br />

1590-1595 an den Vogt Peter von Heere in Schöppenstedt'23.<br />

Nach einer Nachricht von 1685 war ein Streit mit der Gemeinde Bansleben<br />

entstanden, deren Bauern sich das beste Land der Neindorfer Feldmark,<br />

12'/2 Morgen südöstlich der Kuckucksmühle, angemaßt und den<br />

Zehnten davon fortgefahren hatten; damals genossen der Rektor und der<br />

Kantor in Schöppenstedt den Zehnten von 14 Morgen, der einstigen Dorfstelle<br />

von Neindorfl24 . -<br />

Auch Neindorf war Kirchdorf. Zum Lehen der v. Weferling gehörte<br />

1344/65 und um 1369 das Patronatsrecht l2S • Um 1400 wird Neindorf als Kirchort<br />

im Archidiakonat Schöppenstedt genannt l26 . 1414 war das Patronat über<br />

die Kirche in die Einigung zwischen Basilius v. Weferlingen und dem<br />

Schöppenstedter Rat eingeschlossen; der Herzog erklärte sich bereit, die<br />

Pfarrpfründe einem vom Rate präsentierten Geistlichen zu verleiheni:,.<br />

1542 wird die wüste Kapelle in dem Protokolle über die Kirchenvisitation<br />

erwähnt; sie soU 1544 vom Kaland in Schöppenstedt gebraucht worden<br />

118 Stadtarch. Brschw. G II 7 Nr.2 S. 56 f. - Ge b h a r d i Nr.76 und 77<br />

(S.138-140).<br />

118a Hs Abt. UI Nr. 2 B!. 17 v. - Urk Abt. 96 Nr.42.<br />

119 v. S c h m i d t - Phi seI d eck, Zur Gesch. der Grafen v. Schladen,<br />

Hs Abt. VII A Nr.138, BI. 34 v.<br />

120 Stadtarch. Brschw., ehrono!. Regesten von H ä n seI man n zu 1363.<br />

- Sud. V S.47 Z.33.<br />

m UB Hochst. Hildesheim Bd. VI, 610.<br />

122 Stadtarch. Brschw. BMV JÜng. Reihe Nr. 77 und 78 Bd. 2. - N Abt. 1<br />

Schöpp. I Nr. 236.<br />

22<br />

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123 Ebd. Ältere Reihe Nr. 101 Bd. 1 und 3; Nr. 288.<br />

m Ebd. Nr.289, mit Skizze.<br />

125 Sud. II S. 41 Z. 2; 111 S.283 Z. 18.<br />

128 Zschr. Hist. V. Nds. 1862 S.104.<br />

121 Hs Abt. II Nr.5 Bl.156. - S. oben S.21.<br />

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sein '28 • Noch 1715 gehörte zur ehemaligen Kalandsländerei in Schöppen- .<br />

stedt, die damals die Hauptkirche in Wolfenbüttel hatte, der "sogenannte<br />

alte Kirchhof" von Neindorf, an dem 21 Weiden standen und dessen Einebnung<br />

damals vorgenommen wurde'2Ba•<br />

Das Dorf wird nach seinem Erwerbe durch die Schöppenstedt'er<br />

nicht lange mehr bestanden haben. 1491 wurde jedenfalls die Lage<br />

von 5 Hufen als "up den ort Neindorper felde, und ist ein wüste<br />

markende vor Scheppenstedt manke andern lande darsulvest, unß<br />

und unsen bleke eigendtlich tobehörich ", bezeichnet 129.<br />

c) All um<br />

Allum war die kleinste der Wüstungen um Schöppenstedt. Zwar<br />

erinnert bis heute das "Allenfeld", die auf dem Feldriss'e von 1760<br />

noch deutlich abgegrenzte Feldmark von damals 404 Morgen (= 13'/2<br />

Hufen) Acker '30 , an sie. Aber auf dem "Allum Thic", der etwa 150<br />

bis 200 m westlich der Straße Schöpp'enstedt-Ührde an dem von<br />

dieser zur Berklinger Straße hinüberführenden Feldwege gelegenen<br />

DorfsteIle, findet sich jetzt keine sichtbare Spur mehr.<br />

Wie bei Twelkcn erfahren wir über Allum zuerst aus Nachrichten über<br />

geistliche Grundherrschaften, die auch in der Geschichte dieses Ortes eine<br />

nicht unwesentliche Rolle spielten. Dem Lorenzkloster in Schöningen wurden<br />

mit seinen Besitzungen durch die Bischöfe von Halberstadt schon 1124<br />

und 1137 3 ' /2 Hufen und 2 Hofstellen in Allende bestätigt l3l • Noch 1566<br />

waren dem Kloster gehörende 3 Viertel Landes bei einem Kothofe in<br />

Watzum '32 •<br />

Durch Tausch erhielt das Blasiusstift in Braunschweig 1235 von Herzog<br />

Otto von Braunschweig 3 Hufen in Allenem von dessen Hausgute l33 • 1299<br />

schenkte Herzog Albrecht dazu 1 Hufe (in Alnum oder Alnem), die bis<br />

dahin Ritter Ludolf von WeferJingen als herzog!. Lehen gehabt hatte und<br />

deren Einkünfte mit zu dessen Jahrgedächtnis verwendet werden sollten'34.<br />

Durch die schon erwähnten Zinsregister und Rechnungen des Stiftes sind<br />

128 K. K a y s er, Kirchenvisitationen S. 119. - BuK III, 2 S.250. - Es<br />

handelte sich hier wohl um das Vermögen der Kapelle, das vom Kaland<br />

genutzt wurde. - 1573 hatte der Vogt Henni Wesarg in Schöppenstedt zwei<br />

der wüsten Neindorfer Kirche gehörende Hufen Land unter dem Pfluge<br />

und zahlte dafür Zins an die Kirche in Wolfenbüttel. Ldsch. BibI. 1225 Bd. 5<br />

Küblingen. -<br />

128a Hzg. August-BibI. Nov.21 BI. 88.<br />

12e Hs Abt. VII B Nr.119 BI. 160. - Die Vermutung, das Dorf sei 1542<br />

im schmalkaldischen Kriege zerstört (N Abt. 1 Schöpp. I Nr. 95), kann also<br />

nicht zutreffen.<br />

130 Städteatlas S. 47 r.<br />

131 HHa I 151 und 189. - Im Register des UB ist Allum fälschlich mit<br />

Alende in der Altmark (Nr. 316) zusammengeworfen, was zu berichtigen ist.<br />

132 L Alt Abt. 19 Wolfb. Nr.2.<br />

133 UB Br II 89. - Vgl. Bege S. 55.<br />

134 UB Asseburg Bd. I 509.<br />

•<br />

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23


wir auch über die weiteren Schicksale seines Besitzes in Allum gut unterrichtet.<br />

1300-1303 führen die Zinsregister Getreideabgaben aus Alnem<br />

(Alnum) auf. 1315 und 1316 erscheinen die Schwester des Lode mit 5, Bertold<br />

Stokeman mit 8 und die Witwe Heinrichs von Berclinghe mit 16 Schillingen<br />

als Zinspflichtige; 1321 werden allein 2 Mitglieder der Familie von<br />

Berklingen als solche genanntt S4a • Von etwa 1350 ab bis zum Schlusse der<br />

Rechnungen 1536 ist die Größe des Stiftsbesitzes stets mit 4 Hufen angegeben;<br />

er umfaßte damit fast 1/3 der Flur. In einigen Originalurkunden<br />

und den Kopialbüchern des Stiftes sind eine ganze Anzahl von Verpfändungen<br />

und Verkäufen von Stiftsländereien auf dem "Alnenfelde" aus<br />

der Zeit von 1439-1636 Überliefert l35 • Auch diese Ländereien sind stets<br />

als Latgut des Stiftes bezeichnet (vg!. oben S. 15). 1566 gehörte je 1/2 Hufe<br />

zu einem Kothofe in Küblingen und einem Ackerhofe in Watzum l36 •<br />

Im übrigen beherrschten die Herzöge von Braunschweig auch nach den<br />

Landabgaben an das Blasiusstift als Lehnsherren in Allum das Feld. Von<br />

ihnen hatten zu Lehen 1344 und noch 1374 die Godeken oder Kramer,<br />

Bürger in Braunschweig '37 , 4 Schillinge Zins an 1 Hufe "in Allenvelde"I"".<br />

Seit 1434 bis zur Allodifizierung 1841 hatten die v. Veltheim ebenfalls<br />

1 Hufe als herzog!. Lehen, das sie an die Braunschweiger Patrizierfamilie<br />

v. Kalm 1459 und noch 1794 weiterverlehnt hatten ta9 •<br />

Schon 1390 hatten noch andere Braunschweiger Bürger, die Familien<br />

Linde und Stapel, gemeinsame Einkünfte auf dem Alnevelde; damals<br />

überwies auch Ludeke Linde seiner Frau u. a. 2 dort gelegene Hufen zur<br />

Leibzucht 140 • Das Ratsgeschlecht van Beyerstede hatte 1483 an einer Hufe<br />

"up dem Alve velde by Groten Scheppenstidde" 4 Schillinge Zins. Das<br />

Lehen war um 1507-14 auf die Bürger Arnd Plaggemeyer und Ludeke<br />

Reinerdes zu gesamter Hand übergegangen; nach dem Tode des ersten<br />

Lehnsträgers waren 1554 und 1556 die Reinerdes allein belehnti".<br />

1495 genehmigte Herzog Heinrich d. Ä. den Verkauf einer ihm mit<br />

8 Schillingen zinspflichtigen Hufe "up dem Mallen velde" an den Bürger<br />

Busse Borsman in Schöppenstedt 142 •<br />

Schließlich war das Stift Halberstadt Lehnsherr von 2 Hufen in Allum,<br />

die 1311 die v. Warle hatten 143 • -<br />

l34a Es ist zu beachten, daß die Namen der Zinspflichtigen gleichzeitig<br />

unter der Braunschweiger Bürgerschaft vorkommen (UB Br II S.561, 628;<br />

III S. 645 (unter van Stockern). Da die ZR Blas. auch andere Wüstungsnamen<br />

ohne Kennzeichnung, ob der Ort fortbestand, weiter aufführten, können<br />

keine sicheren Schlüsse gezogen werden.<br />

135 1456-1464 Urk Abt. 7 Nr.623, 648, 653. - 1439-1636 Hs Abt. VII B<br />

Nr.136, 137, 139, 140, 150. - 1462-1464 Hs Abt. VII B Nr.137 BI. 16 v,<br />

25 und 27 auf dem Felde zu Alnum. 1539-1546 Hs Abt. VII B Nr.139<br />

BI. 554 v, 645 und 716 auf dem Alnum-Felde, später meist Allum-Felde.<br />

136 L Alt Abt. 19 Wolfb. Nr.2.<br />

137 UB Br IV, Register S. 645 und 676.<br />

las Sud. 11 S.50 Z.19, 52 Z.28; 1Il S.283 Z.28; V 8.<br />

m D ü r r e, Regesten Bd.85 S.114 - Urk Abt. 114 Nr.593. - Weitere<br />

Belehnungen v. Veltheim/v. Kalm 1470, 1484 (D ü r re a. a. O. S.154, 207),<br />

1543 ff. (Urk. Abt. 114 Nr.572-592.)<br />

140 D Ü r r e, Reg. Bd.76 (aus Degedb. Hagen) BI. 177 v.<br />

IH Hs Abt. III Nr.3 BI. 34 v. VgI. auch 111 Nr.4. - Hs Abt. III Nr.5<br />

BI. 118 v.<br />

I" Urk Abt. 7 Nr.857.<br />

143 "In Allen iuxta Scherensten (!)". R i e deI, eod. dipl. Brand. A Bd. 17<br />

S.450.<br />

24<br />

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1471 und nach 1656 2 Wiesen, die 1771 Lehen der v. Cramm waren l62 ; 1487<br />

und noch 1593-1609 die v. Weferling den Erbzins von 4 Pfund Geldes an<br />

8 Hufen, den 1627 die v. Hoym, 1771 wieder die v. Weferling hatten I6 '.<br />

An Braunschweiger Bürger waren verlehnt: 1312 an die Kerkhof<br />

I'2 Hof l64 ; 1386-1435 an die von Schöppenstedt 1 Hufei.'; seit 1463 ein<br />

Hof mit 1 Hufe an die von Kalm (vorher Lehen des Dietrich Loden; 1841--46<br />

allodiflziert)166. 1359 verpfändete Herzog Magnus seinen bei dem Kirchhofe<br />

gelegenen Hof (to Scepenstede) auf 3 Jahre an die Brüder v. Damm<br />

und belehnte sie gleichzeitig damit unter Ausschluß der späteren Pfandeinlösung.<br />

Dieser Hof war vorher an die im Magdeburgischen ansässige<br />

Ritterfamilie v. Dreileben verlehntt ti7 .<br />

Auch Schöppenstedter Bürger hatten herzogliche Lehen, so die Familie<br />

Kalmeyer einen Hof (vorher v. Ampleben) seit etwa 1408, der vor 1591<br />

an die Schrader überging, denen er 1745 allodifiziert wurde l68 , und die<br />

Familie Wesarg seit 1502 Haus und Hof in der Abelnkarre, das heutige<br />

Grundstück Nr. ass. 88 169 .<br />

über das 1475 an den Zöllner Illias von Lenede in Linden verlehnte<br />

Haus mit Hof zu Groten Scheppenstede ist nichts weiter bekannt l70 . -<br />

Bemerkenswert ist die 1601, 1613 und 1668 vorkommende Bezeichnung170a<br />

des Hofes Nr. ass. 210 (heute Löhr) als Tempelhof. Der Ritterorden<br />

der Templer hatte außer einem Hofe in Braunschweig Landbesitz in<br />

Achim, Kalme, Salzdahlum und Lamme l70b , die nach seiner Aufhebung<br />

im Jahre 1312 in andere Hände kamen. Nicht zu beweisen ist, daß er auch<br />

in Warle, Kneitlingen und Schöppenstedt begütert war, trotzdem im ersten<br />

Orte 3 an der Kirche gelegene Höfe als Tempelhöfe bezeichnet wurden<br />

und in Kneitlingen ein an die Kirche stoßendes Gebäude des sog. Eulenspiegelhofes<br />

von Tempelrittern bewohnt worden sein solJl70e. Die frühere<br />

Geschichte des Schöppenstedter Tempelhofes ist bisher nicht aufzuklären<br />

gewesen (s. oben Anm.167).<br />

Der Zehnte von der Schöppenstedter Flur war 1312 zur Hälfte als<br />

(herzogliches?) Lehen der van dem Kerkhove in Braunschwcig, die die<br />

andere Hälfte 1322 den bis dahin vom Archidiakonat Schöppenstedt damit<br />

162 Hs Abt. H Nr. 1 BI. 192 v; !Ir Nr.4 und Nr. 15 BI. 104 v; Nr. 21a S.60.<br />

163 Die Zinse waren 1487 an das Blasiusstift verpfändet. Die Namen der<br />

11 Zinspflichtigen sind bis auf 2 die der gleichzeitig in den Vizedominatsrechnungen<br />

St. Blasii Genannten. - Urk Abt. 7 Nr.803, 805. Hs Abt. IU<br />

Nr. 12 BI. 109 v; H. Müll er, Das Lehns- und Landesaufgebot unter Heinrich<br />

Julius von Braunschw.-Wolfenbüttel. Hannover und Leipzig 1905.<br />

S. 475 f. - Lehnsakten v. Weferling; Hs Abt. UI Nr.21a S.204.<br />

lij4 UB Br U Nr. 685 S.378.<br />

16. Sud. VI S.66 Z.44. Urk Abt. 114 Nr.2.<br />

16& Urk Abt. 114 Nr. 5. Hs Abt. IH Nr. 21a S. 255. - Allodif.-Tabellen.<br />

167 Sud. IU 86. - Es könnte sich um den Löhr'schen Hof Nr. ass. 210<br />

handeln.<br />

168 Hs Abt. II Nr.l BI. 201 v; Abt.III Nr.13 BI. 40 v. Allodif.-Tabellen.<br />

169 Hs Abt. IIr Nr. 14 BI. 118. - Häuserbuch.<br />

170 Hs Abt. III Nr.2 BI. 87.<br />

170a Taufreg. des Kirchenb. Schöppenstedt. Kirchenrechnung Bd.1.<br />

L Alt Abt. 7 Nr. P 135.<br />

170b D ü r r e, Gesch., der Stadt Braunschweig S. 535 ff. BuK IH, 2 S.2,<br />

55, 75/76; U S.276.<br />

170e BuK IU, 2 S.274, 218.<br />

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27


elehnten Söhnen des Hans von der Geltwort abkauften. Die v. d. K.<br />

hatten den Zehnten noch 1351, um 1370 eine Hälfte als herzogliches Lehen l7l •<br />

1584 und noch 1760 hatten ihn die v. Broitzem. Die Ablösung fand 1844/45<br />

statt 172 •<br />

b) Urs pr ü n g 1 ich e Beg ren z u n g. Das Wes t end 0 r f.<br />

Entwicklung des Straßenn'etzes<br />

Einen guten Überblick über die Stadt verschafft eine Luftaufnahme<br />

des Stadtgebietes von etwa 1932 (Abb. 4). Wir müssen uns freilich die<br />

erst in den letzten Jahrzehnten entstandenen Häuser am Sambleber<br />

Berge, um den Nordbahnhof, die Bauten an der Braunschweiger<br />

Straße, die schmucke Elmstraße, den Bansleber Weg, das ganze<br />

Bahnhofsviertel mit seinen Industri'ebauten und die Neue Straße<br />

fortdenken, ja selbst die Häuser um den Zoll und die gesamte Wolfenbütteler<br />

Straße, um uns Schöppenstedt so vorstellen zu können, wie<br />

es uns der Plun von 1760 (Abb. 2) zeigt. Es ist schon von sachkundiger<br />

Seite festgestellt, daß Schöppenstedt neben Seesen die einzige braunschweigische<br />

Stadt ist, in der aus dem Grundrisse des 18. Jahrhunderts<br />

kein sicherer Schluß auf den des Mittelalters gezogen werden kann 173.<br />

Sein Stadtgrundriß zeigt eine gewisse Ähnlichkeit mit dem :von<br />

Schöningen l74 . Beide Orte ziehen sich langgestreckt von Westen nach'<br />

Osten und werden in ihrer ganzen Länge von ein'em Bache - hier<br />

die Altenau - durchflossen. Wie in Schöningen, müssen wir die<br />

älteste Siedlung in Schöppenstedt wohl um die Kirche St. Stephanj175<br />

mit ihrem mächtigen, weit über die Maße einer Dorfkirche hinausgehenden<br />

Turme aus der Mitte des 12. Jahrhunderts suchen (so auch<br />

BuK III, 2, S. 157), dessen tragender Steinpfeiler mit seinem Schachbrettmuster<br />

am Kämpfer und altertümlichen Tieren und Blättern<br />

mit südwestdeutschen Vorgängern in Verbindung gebracht werden<br />

kann l76 . Dieser Kern der Stadt liegt - auch hierin Schöningen entsprechend<br />

- nach Osten zu.<br />

171 UB Br II Nr.685 S.378 und IV Nachtr.348. - Stadtarch. Brschw.,<br />

Regesten Hänselmann (1351). Sud. VIII, 76.<br />

1,2 BuK IH, 2 S. 254. - N Abt. 1 Schöpp. I Nr.232, 233, 235.<br />

173 Städteatlas S. 48 1.<br />

174 Vgl. a. a. O. Taf. XIV, 26 und S. 44 r.<br />

175 Vg!. oben S. 8. Solche auch in Atzum, LecheIn (wüst b. Wolfenbüttel).<br />

Kissenbrück, Wanlefsrode (wüst b. Harzburg) und Dardesheim (BuK III, 2.<br />

H. D ö r r i es a. a. O. S.82).<br />

1,8 BuK IH, 2 S. 258 f. mit Abbildung. - Aus dem Oberrheingebiet und<br />

dem Elsaß können durch Vermittlung von Kluniazensern und Prämonstratensern<br />

Einflüsse in unsere Gegend gekommen sein (Brief!. Mittlg. des<br />

Herrn Prof. Dr. Hans Kauffmann, jetzt Univ. Köln, von 1932). - Vielleicht<br />

28<br />

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,<br />

Wie sich dem bisher nicht bekannten 177 Plan von 1743 (Abb.5)<br />

entnehmen läßt, war dem Ortsteile um die Kirche (freilich nicht so<br />

ausgeprägt wie das Ostendorf in Schöningen) 'eine ihn nach Osten<br />

verlängernde IIäusergruppe nördlich der Altenau am Küblinger Tore<br />

und südlich davon an der Küblinger Pforte vorgelagert. Schon deren<br />

Gleichmäßigkeit und Kleinheit sowie das fast vollständige Fehlen<br />

von dazugehörigem Acker deuten auf Anbauten in späterer Zeit hin,<br />

die eine Nachricht aus der Zeit um 1584 ausdrücklich bestätigt l78 •<br />

Die - im Gegensatze zu Schöningen und der Ansiedlung von Klosterhörigen<br />

vor Helmstedt - einmalige Erwähnung von herzoglichen Abgaben<br />

aus der Mühle in dem Ostendorpe 1399 179 bezieht sich wohl auf<br />

die obere Mühle Nr. ass. 28. Mindestens seit der Anlage einer Umwallung,<br />

die die Mühle in Alt-Schöppenstedt einschloß, dürfte aber<br />

die Ortsgrenze nach Osten in der Höhe der sog. Freiftut verlaufen<br />

sein. Es ist hierbei zu beachten, daß der Plan Abb. 5 und ein ihr entsprechender,<br />

ebenfalls von dem sehr sorgfältig arbeitenden Landkommissar<br />

Funke vorgelegter Plan in größerem Maßstabe nur einen<br />

ungeteilten Altenaulauf darstellen l80 , der bis dicht vor die obere<br />

Mühle führte. Erst unmittelbar vor dieser ist als Beginn der auf<br />

Abb. 2 und 1772 181 schon weiter oberhalb beginnenden Freiftut ein<br />

im Zuge der heute am Ostende der.Hinterstraße in di'e Gärten hinausführenden<br />

Gasse verlaufender nordsüdlicher Graben eingezeichnett 82 ,<br />

der den Abschluß des alten Ortes gebildet haben dürfte 183 •<br />

Von dem zur Mühle gehörenden Grundstücke ass. 49 (jetzt Albert<br />

Herbst) aus zog der in seinen Resten noch heute sichtbare Stadtwall<br />

über die vom Steinwege nach Osten abzweigende Gasse hinüber und<br />

bestehen auch Zusammenhänge mit der Bauhütte des Domes in Königslutter.<br />

177 Städteatlas S. 481 bezeichnet ihn als fehlend.<br />

178 VgI. z. B. Kontributionsreg. von 1655 in L Alt Abt.7 Nr. S 889. -<br />

Franz AI ger man n. Beschreibg. des Amtes Wolfenbüttel um 1584.<br />

Hs Abt. VI Gr. 14 Nr.62 BI. 63 v.<br />

178 Sud. IX, 34. - Hs Abt. II Nr.l BI. 141 v. - 1438 heißt es, sie sei<br />

"bynnen densulven bleke [Scheppenstede] boven den Kerckhove belegen"<br />

(Hs Abt. VII B Nr.136 BI. 54). - Die angebliche Erwähnung von 1354<br />

(Städteatlas S, 47 r) bezieht sich auf Schöningen! So schon D ü r res<br />

Regesten.<br />

160 L Alt Abt. 2 C IV Nr.56 (z. Ber. v. 25.11.1743).<br />

181 N Abt. 1 Schöpp. I Nr. 241.<br />

182 Auf Abb.2 fehlt der Graben, der den Beginn des die Stadt nördlich<br />

umfließenden Wasserlaufs bildet; vgl. Original des Feldrisses von 1760.<br />

IB3 1712 hatte der Superintendent viele Weiden "in den Stadtgraben vor<br />

seinem Garten" gepflanzt. Rpb. S. 92.<br />

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29


Der lange westwärts ziehende Teil der Stoben straße jenseits jenes<br />

Grabens und der südlich davon liegende Stadtbezirk wurde noch vor<br />

100 Jahren das Westen dorf genannt l97 • Die Erinnerung an dieses<br />

ist heute geschwunden. Seine Entstehung ist in Zusammenhang gebracht<br />

mit dem Eingehen des Dorfes Neindorf l98 • Allein diese Annahme<br />

kann nicht zutreffen; denn Neindorf ist, wie oben S.22 dargelegt<br />

wurde, erst nach 1414 eingegangen. Die erste Nachricht über<br />

das Westendorf ist aber schon aus dem Jahre 1357 überliefert.<br />

Sie betrifft seine Peterskapelle, deren Pfarrer Friedrich von Veltheim<br />

damals vom Herzog Magnus für einen ihm zustehenden Zins<br />

die Mühle in dem Wcstendorpe to Scepenstede, die ehemals Hinrich<br />

Sassenhagen innehatte, zur beliebigen Verfügung erhielt l99 • Bei der<br />

Mühle dürfte es sich um die sog. untere Mühle (ass. 156) handeln,<br />

deren Lage am Ende des Westendorfes voraussetzen würde, daß die<br />

Altenau schon Mitte des 14. Jahrhunderts dort ihren Lauf gehabt hat,<br />

wenn nicht der zum Hofe ass. 155 gehörende Teich (s. Abb. 2) als<br />

Mühlenteich anzusehen sein sollte.<br />

Die Kapell'e, an die noch heute die Kapellenstraße erinnert, erhielt<br />

1377 den Vikar zu St. Blasius in Braunschweig Arnold von Wunstorf<br />

als Gehilfen des altersschwachen Pfarrers. Der Propst des Blasiusstiftes<br />

hatte (wohl von Anfang an) damals und noch 1542 das Patronat<br />

l99B • 1400 ist die Kapelle in einem Abgabeverzeichnis des Bistums<br />

Halberstadt 'erwähnt l99b • 1544 wurde in Schöppenstedt ein<br />

ev.-luth. Kaplanat errichtet und mit der Kapelle verbunden, die<br />

32 Gulden jährliche Einnahme hatte 199c • Sie scheint bald danach abgerissen<br />

worden zu sein. Anhaltspunkte über Grundriß und Alter<br />

des Bauwerkes li'eßen sich vielleicht durch Grabungen gewinnen.<br />

Als Standort dürfen wir wohl den Kapellenhof oder Kapellenkirchhof<br />

ansehen, der an der Südseite der Kapellenstraße unmittelbar neben dem<br />

Hofe Nr. ass. 138 lag; auf Abb.2 kennzeichnet ihn Buchstabe E. In den<br />

Jahren 1602-1639 zahlten 8-10 Bürger Zinse an die Kirche für Hütten<br />

(BuK IU, 2 S.6, 55, 98, 134, 148 (Maße!), 171, 187, 189; II S. 181). - Der B.<br />

auf Hof Nr. ass. 138 ist auf dem Kupferstiche von Merian dargestellt. Abb.<br />

eines Bergfriedes in Alt-Wallmoden s. Die Kunstdenkmäler d. Provo Hannover<br />

II, 7 Ldkrs. Goslar Tafel Id.<br />

191 Beg e S. 55. .<br />

198 Städteatlas S. 47 r.<br />

109 Sud. lII, 27. - Petrus als Kirchenpatron findet sich in der näheren<br />

Umgebung in Gr.-Denkte (ludolfingisch!), Remlingen und der Kapelle der<br />

ehm. Burg Schliestedt. BuK IU, 2.<br />

32<br />

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199a H Ha IV 2883. Kayser, Kirchenvisitationen.<br />

I99b Zschr. Hist. V. Nds. 1862 S. 104.<br />

I99c BuK III, 2 S. 250.<br />

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(wohl Speicher) auf dem Kapellerlhofe; der Bürgermeister Hans Lüddemann<br />

hatte ihn 1632-1634 für 2 Gulden in Pacht 200 • Dem Erbauer des<br />

Grundstückes ass. 137, dem Zimmergesellen Isensee, wurde 1750 ein Viertel<br />

des damals viereckigen, an der Straße 120, hinten 160 Fuß breiten Grundstückes<br />

als Bauplatz abgegeben. Um diese Zeit wurde der Kirchhof noch<br />

als Begräbnisplatz für die in Schöppenstedt untergebrachten Soldaten und<br />

deren Familien benutzt, im übrigen als Grasung verpachtet 20 '. 1833 erhielt<br />

Bürgermeister Schliephake als Eigentümer des Hofes 138 den Platz<br />

in Erbpacht; 1847 tauschte sein Besitznachfolger die 56'/8 Ruten große<br />

Fläche zu seinem Hofe ein 202 •<br />

Die Herzöge von Braunschweig waren Lehnsherren eines zehnt freien<br />

Hofes im Westendorf, den 1475-1569 die v. Sambleben, nach ihnen die<br />

v. Cramm innehatten 203 • SeiDe Lage hat sich nicht ermitteln lassen. Ferner<br />

hatte das Braunschweiger Patriziergeschlecht van dem Kerkhove um<br />

1370-1374 als herzogliches Lehen 4 Pfund Geld to Schepenstede in dem<br />

nedderen Westendorpe 204 •<br />

Mit Sicherheit läßt sich ein Hof im Westendorf seit sehr früher Zeit<br />

urkundlich belegen. Die Familie Pawel in Braunschweig besaß schon 1289<br />

in Schepenstede 4'/. Hufen 20 :;. Dieses Land dürfte mit zu den Liegenschaften<br />

gehört haben, mit denen 1392 die Gebrüder Pawel den von ihnen gestifteten<br />

Bernward-Altar in der Kirche des Hospitals (späteren Waisenhauses)<br />

BMV in Braunschweig ausstatteten: 4'12 Hufen auf dem Felde zu<br />

Groß-Schöppenstedt in dem Westendorfe mit dem Sedelhofe, auf dem der<br />

steinerne Bergfried stand, 2 Kothöfe und eine Hausstelle (Wort) mit Zubehör<br />

in dem Dorfe 206 • Nach Einführung der Reformation in der Stadt<br />

Braunschweig gingen die Einkünfte dieses Altars an die Martinikirche<br />

über, in deren ältesten Rechnungen jährliche Kornzinse von der Familie<br />

Westfal in Schöppenstedt als Meier der Kirche verbucht sind 207 • Der Hof<br />

befand sich mit 5 Hufen noch 1592 im Besitz der Westfals 208 , ging mit etwa<br />

130 Morgen Meierland um 1650 an die Familie Becordes, zu Anfang des<br />

19. Jahrhunderts durch Erbschaft an den Bürgermeister Schliephake über,<br />

der 1836 den an die Kirche zu entrichtenden Zins ablöste, 09 • Es ist der an<br />

der Kapellenstraße gelegene, heute Achillessche Hof Nr. ass. 138.<br />

Bemerkenswert war auch im Westendorfe der Grundbesitz des Blasiusstiftes<br />

in Braunschweig. Ein Latenhof des Stiftes mit 1'12 Hufen, der seit<br />

1315 im Besitze der Familie Henke nachweisbar ist und durch Kauf 1391<br />

und 1403 den Besitzer wechselte 2 '0, ging 1440 in den Pfandbesitz eines<br />

200 Kirchenrechnung 1602-1639. - Hütten auf dem Kirchhofe, die wohl<br />

als Speicher dienten, sind auch aus Börßum, Evessen, Kl.-Winnigstedt,<br />

Lebenstedt, Sauingen, Woltwiesche und Harlingerode bekannt. BuK III, 2<br />

S. 27, 171, 287, 336, 380, 386, 395a. E.<br />

'0' N Abt. 1 Schöpp. I Nr.519. Corp. bonorum d. Kirche S.10.<br />

202 Grundakten und Hypothekenbuch b. Amtsger. Schöppenstedt. Hs<br />

Abt. VI Gr. 14 Nr. 84.<br />

21)3 Hs Abt. 111 Nr.3-5. - Lehnsakten v. Sambleben.<br />

204 Sud. VIII 76 S.63 Anm. (= Hs Abt. II Nr.1 BI. 4 v) und V 36.<br />

20:; UB BI' II S.167 Z. 10.<br />

206 Stadtarch. Brschw. G II 1 Nr.l BI. 193 v/194 u. NH III 259 S.214-217.<br />

207 Stadtarch. Brschw. Kirchenrechn. Martini Nr. 1.<br />

208 Stadtarch. Brschw. G II 1 NI'. 4 S. 1078.<br />

209 L Alt Abt.7 Nr. S 889; Abt. 2 B NI'. 1488; Kontrib.-Kat. 1689/90;<br />

L Alt Abt. 20 Nr.343. - Stadtarch. Brschw. G II 1 Nr. 38 und 46. - Hypotheken-<br />

und Grundbuch Amtsger. Schöppenstedt.<br />

:IQ ZR Blas. -Urk Abt. 7 Nr. 388, 422.<br />

3 <strong>Braunschweigisches</strong> <strong>Jahrbuch</strong> 33<br />

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Braunschweiger Bürgers über 211 , seine Einkünfte wurden 1487 zu einer<br />

Stiftung für ein Mitglied des Blasiusstiftes verwendeV l2 •<br />

Mit 2 Höfen im Westendorfe und 4 Hufen Land, davon 2 zehntfrei,<br />

einem bisherigen Lehen des Blasiusstiftes an Familie Holtnicker in<br />

Braunschwelg, wurden von diesem 1402 Ludeman Heyne in Schöppenstedt<br />

und der Braunschweiger Bürger Wernecke Kalm belehnt 21s • In der nächsten<br />

bisher bekannten Belehnung für die Familie v. Kalm allein ist das<br />

Lehngut als 4 Hufen Land zu Schöppenstedt und ein Hof im Weichbilde<br />

daselbst, seit 1485 als 4 Hufen (davon 2 zehntfrei) und 1 Hof zu Groß­<br />

Schöppenstedt bezeichnet"I'. Das Lehen wurde 1841 durch die v. Kalm<br />

allodifiziert. Der Hof ist das Grundstück ass. 180, dessen Lage an der<br />

Grenze des Westendorfes schon erwähnt wurde2 15 •<br />

Auch der noch heute größte Hof Schöppenstedts Nr. ass. 155 (Kreuzhof)<br />

lag ebenfalls im Westendorfe und gehörte ursprünglich dem Blasiusstifte<br />

in Braunschweig als dessen Vorwerk. Schon 1300 ist er als solches erwähnt"I".<br />

Auf dem Vorwerke saß - wie in Twelken (s. oben S.12) - ein<br />

villicus = Meier 217 • In den Registern und Rechnungen des Stiftes ist als<br />

Lageort des Vorwerkes stets Schöppenstedt, nie das Westendorf angegeben.<br />

Der Meier Berend hatte 1375 auch Getreideabgaben "van dem hove neghest<br />

dem vorwerke" zu leisten, vermutlich demselben Hofe, von dem Hinrich<br />

Bosse 1427 3 Schilling Zins zu zahlen hatte und der damals ein einziges<br />

Mal als "in deme Westendorppe" belegen bezeugt ist. Das Vorwerk war<br />

eine beachtliche Anlage. Ein Graben umgab es (1348, 1433; Anlegung eines<br />

neuen Grabens 1480-1483). Außer dem Wohnhause (1443, 1454) und landwirtschaftlichen<br />

Gebäuden (1454) standen 2 Scheunen zur Aufnahme der<br />

an das Stift zu leistenden Kornabgaben (vgl. oben S. 12 f.) darauf (Ausgaben<br />

für Schiefersteine, Holz und Nägel zu Bauten daran 1316, 1348, 1408, 1443,<br />

1453, bes.1468). Zum Schutze gegen überfälle im offenen Westendorfe<br />

war das Vorwerk mit einem Bergfriede (zuerst 1408 und 1421 "propugnaculum";<br />

vgl. oben S.31) versehen, der mit Armbrust und Pfeilen für die<br />

Verteidiger ausgestattet war (1421, 1433) und für dessen Ausbesserung<br />

und Ausbau das Stift beträchtliche Kosten aufwandte (1436, 1438, 1439,<br />

bes. 1442 und 1444, und noch 1480-1482). - Zu dem Meierhofe wurde vor<br />

1708 ein ihm benachbarter Hof mit 2 Hufen (48 Morgen) hinzugekauft, der<br />

herzogliches Lehen seit 1437 der Familie von Schöppenstedt in Braunschweig<br />

und seit 1648 der schon vorher mitbelehnten Familie Block war;<br />

diese hatte das Lehen noch 1771 218 • Der seit etwa 1798 dem Kaufmann<br />

K. B. Krause in Braunschweig gehörende, "das Gut" genannte Hof wurde<br />

nach dessen Tode 1830-1832 in einzelnen Teilen verkauft; Gebäude und<br />

Gärten kamen an den Brauer und Branntweinbrenner Heinrich Schumann,<br />

der wieder einen stattlichen Landbesitz zu dem Hofe zusammenbrachte<br />

(Häuserbuch).<br />

über die weiteren Schicksale des Westendorfes wird noch zu sprechen<br />

sein.<br />

211 Ebd. Nr.568.<br />

112 Ebd. Nr. 767, 802.<br />

Z1S Urk Abt. 114 Nr.99, 100.<br />

214 Ebd. Nr. 103-131.<br />

215 Lehnstabellen. - Städteatlas S. 48 r heißt er statt Sc hell e rsc<br />

her fälschlich "der Schnellsche" Hof!<br />

218 ZR Blas. Darin auch 1302, 1304, 1311, 1312 usw.<br />

217 Ebd. 1301, 1408, 1465 (Hildebrand Adelems). - Die folgenden Angaben<br />

sind sämtlich dieser Quelle entnommen.<br />

218 Lehnsakten v. Schöppenstedt. Hs Abt. III Nr. 16 BI. 35/36 und Nr.21a.<br />

- Häuserbuch.<br />

34<br />

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Die Fortsetzung des Stadtwalles verlief vom Twelkentore innerhalb<br />

des Freiflutgrabens zum Stobentore 234 • -<br />

Einige weitere auf Abb. 2 nicht erkennbare Änderungen des<br />

Stadtgrundrisses hatte ein für die Stadt schicksalschweres Ereignis<br />

zur Folge. In das sich in ziemlicher Mühsal und Enge dahinzieh'ende<br />

Leben des Städtchens brach am 1. 10. 1743 ein Unheil herein, das Not<br />

und Elend über viele seiner Bewohner brachte, die aber schließlich<br />

im langsamen Aufsti'eg überwunden wurden. Beim Muskochen - man<br />

darf wohl an das beliebte Zwetschenmus denken - entstand durch<br />

Unvorsichtigkeit im Hause des Kälberhirten Wrede (Nr. ass. 135, jetzt<br />

Köchy; damals etwas näher an 134 und zur Stobenstraße hin stehend)<br />

ein Brand, der sich bei heftigem Winde schn'eIl ausbreitete und bis<br />

zum 3. Oktober 84 Häuser nebst vielen Ställen und Scheunen in Asche<br />

legte 235 • Der Häuserblock an der Sioben- und heutigen Bahnhofstraße,<br />

die Abelnkarre (außer der Landvogtei, jetzt W. Peters), der gesamte<br />

von der Abelnkarre, Karlstraße und dem Markte umschlossene Bezirk,<br />

der Steinweg bis auf den noch heute engen, obersten Teil, die<br />

Südseite der Jasperstraße (von den Grundstücken Nr. ass. 49-56 blieb'en<br />

die Wohnhäuser erhalten) bis zum Ende und vier der vor der<br />

Küblinger Pforte am Bache stehenden Häuser sind auf dem Plane<br />

(Abb. 5) als BrandsteIlen gekennzeichnet. Der sofort mit staatlicher<br />

Hilfe begonnene Wiederaufbau wurde vom Landkommissar Funke<br />

geleitet, dem die Stadt während seines Wirkens bis 1776 so viel zu<br />

verdanken hat, daß es wohl angebracht gewesen wäre, das Andenken<br />

an diesen Mann durch einen Straßennamen wachzuhalten. Nicht allein<br />

die neu errichteten Häuser bekamen ein anderes Ausseh'en, indem<br />

nach einem bestimmten Muster die Erdgeschosse massiv, die Obergeschosse<br />

in Fachwerk errichtet 236 und überall Brandmauern gezogen<br />

wurden (z. B. Grundstück Wandt-Steinweg), sondern auch verschiedene<br />

Straßenzüge erfuhren wesentliche Änderungen.<br />

Die vier Häuser vor der Küblinger Pforte wurden nicht wieder aufgebaut;<br />

ihre Bewohner erhielten in der Hinterstraße ehemalige Brand-<br />

entstanden dort Neubauten als westliche Verlängerung der Stobenstraße<br />

nach dem heutigen Bansleber Wege zu. L Alt Abt. 2 C III Nr.93.<br />

234 Risse von 1754/55 (oben Anm.225) und Abb.2.<br />

235 L Alt Abt. 2 C IV Nr.56. 58. Diese und N Abt. 1 Schöpp. I Nr.512<br />

auch zum Folgenden.<br />

238 Z. B. die Häuser Karl Behrens-Jasperstraße, Hofbrauhaus Wolters­<br />

Steinweg, bes. aber Seilerei Gautier-Steinweg mit schönem Backsteinmuster<br />

und Jahreszahl 1743.<br />

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37


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Von einigen Häusern wurden - meist infolge schlechter wirtschaftlicher<br />

Verhältnisse - Teile verkauft und zu selbständigen Häusern<br />

ausgebaut 243 • Im allgemeinen ist es aber mit den vorhandenen Quellen<br />

nicht möglich, die Geschichte der Schöppenstedter Grundstücke und<br />

ihre Lage in bestimmten Straßen über die Zeit von etwa 1650 hinaus<br />

zu verfolgen. Die stroh gedeckten Fachwerkbauten begünstigten die<br />

Ausdehnung von Bränden außerordentlich, so daß die Brandstiftung<br />

durch kaiserliche Truppen (Kroaten) 1641 an 70 Häuser, und Großbrände<br />

.von etwa 1678 die Superintendentur und die Häuser der<br />

Hinterstraße, vom 16.7.161770 Wohnhäuser, ungerechnet die Nebengebäude,<br />

von Martini 1586 über 40 Häuser und im Jahre 1578 71 Wohnhäuser<br />

vernichteten 244 •<br />

In älterer Zeit wurden die Häuser nach ihren Eigentümern, nach<br />

der Lage zwischen anderen Häusern oder mit einem bestimmten<br />

Namen bezeichnet. Die Straßenzüge - mit einigen Ausnahmen -<br />

werden daher in den bisher 'ermittelten Quellen in der Zeit vor etwa<br />

1700 nicht benannt. Feste Straßennamen wurden erst seit etwa 1850<br />

eingeführt. Vor 1800 wechselten die Bezeichnungen z. T. vielfach. Die<br />

wichtigsten waren folgende:<br />

Hin t e r s t r a ß e: Westlicher Teil vom Markte bis zur Ausfahrt aus<br />

dem Pfarrhofe: (Kleine) Pfarrgasse 1750, 1754. - Östlicher Teil: Hinter<br />

den Häusern 1745 2 • 4a.<br />

Kar} s t r a ß e: Gasse zum Twelkentore 1720, der Kathagen 1743,<br />

Carlstraße 1747, 1750 (nach Herzog Kar} 1., dem Förderer des Wiederaufbaus<br />

nach 1743 245 • Für Schöppenstedt tauchte sogar gelegentlich der nichtamtliche<br />

Name Carlsstadt [Br. Anzeigen 1761, Stück 70] auf).<br />

Heu t i g e Sild sei ted es M a r k t es: Herzogstraße 1750, 1756 245 &.<br />

Jas per s t ra ß e: Straße nach Kilblingen, Lange Straße 1750; östlichster<br />

Teil nördlich der Altenau: vor dem Küblinger Tor 1750; südlich<br />

der Altenau: an der Küblinger Pforte 1714, 1743; bis 1947 WiIhelmstraße<br />

(nach dem 1830-1884 regierenden Herzog Wilhelm von Braunschweig und<br />

Lüneburg)245b.<br />

243 L Alt Abt. 2 B Nr. 1486. - Häuserbuch. - Auf diese Weise entstand<br />

z. B. das kleinste Haus der Stadt, Jasperstr. Nr. ass. 24. - Derartige Häuser<br />

waren daran zu erkennen, daß ihnen keine Holzberechtigung zustand.<br />

244 Corp. bonorum der Stadt Sch. - BuK III, 2 S.251. L Alt Abt. 2 B<br />

Nr.1507. N Abt. 1 Schöpp. I Nr.516.<br />

2Ha L Alt Abt. 2 C III Nr. 30; Abt. 21 A Schöpp. Nr.1. - N Abt. 1 Schöpp. I<br />

Nr.516.<br />

245 L Alt Abt. 2 B Nr.1485; 2 C IV Nr.56 (vgl. Käthgenhagen bei<br />

H. Me i er, Die Straßennamen der Stadt Braunschweig, Wolfb. 1904. S.53);<br />

2 C III Nr.30.<br />

245a L Alt Abt. 2 C III Nr.30. N Abt. 1 Schöpp. I Nr.522.<br />

245b Ebd.; L Alt Abt.21 A Schöpp. Nr. 1 und Abt. 2 C III Nr.56.<br />

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39


S t ein weg: 1750 und schon 1638; der oberste Teil: vor dem Hohen<br />

Tore 1712, 1731, 1400-1404 bi dem hoghen dore 245c •<br />

Abelnkarre 246 : Apelnkarre 1743,1720 Gasse nach dem Hohen<br />

Tore, 1659 Apelnkarne (für das Wesargsche Grundstück Nr. ass. 88; L Alt<br />

Abt.7 Nr. W 603), 1638 Apfelkern, 1575 Vogetstraße sonsten die Abelen<br />

Karne genannt, 1502 und 1591 "die Appelkern"24üa .<br />

Ba h n hof s t r aß e: Neue Thorsstraße 1792; die Häuser ab Ecke<br />

Kapellenstraße bis zum Deutschen Hause 1757 "vor dem Gänsetor", vom<br />

neuen Tore herein oder Neue Straße 1750; Vor dem Neuen Tore 1624 und<br />

1715 2l6b •<br />

Neu e S t r a ß e: 1715 Windmühlenberg 246c •<br />

Kap e Il e n s t r a ß e: Gasse, so nach Becordes Hofe hinzieht; Kapellenhof<br />

1603-1629, 1715, 1745-1750 24Ud •<br />

S tob e n s t r a ß e: Schon 1750; ihr westlicher Teil 1611 "GaBe für<br />

dem Stovendohre" 246 e.<br />

B rau n s c h w e i ger S t r a ß e: Kirchstraße 1750 246f •<br />

Während der Amtszeit des Superintendenten Wolbeck: (um 1560 bis<br />

1599) waren nach den Bränden von 1578 oder 1586 mehr Häuser gebaut;<br />

während vorher 3 Familien unter einem Dache gewohnt hatten,<br />

hatte seitdem jeder ein eigenes Haus 247 .<br />

Wie ein Zeitgenosse berichtet, ließ nach dem Brande von 1578 Herzog<br />

Julius die Altenau (damals Nette genannt) geradelegen und durch<br />

die Stadt ziehen, auch den Ort "ordentlich in Straßen richten und<br />

dirigieren"248. Es ist also sehr wohl möglich, daß damals außer der<br />

schon erwähnten Erweiterung nach Küblingen zu (s. oben S. 29) auch<br />

das Altenaubett von der oberen bis zur unteren Mühle angelegt worden<br />

ist und die Nordseite der Stobenstraße, insbesondere deren unteres<br />

Ende zwischen dem Sack und dem Stobentore, regelmäßig bebaut<br />

wurde. Dabei könnte ein Teil der auf Abb. 2 zwischen den Höfen<br />

Nr. ass. 138 (Achilles) und 155 (Kreuzhof) als Gärten ersch'einenden<br />

Grundstücke des alten Westendorfes an die Straße verlegt sein.<br />

246C L Alt Abt. 2 C 111 Nr.30. Kirchenrechng. Bd. 1. - Rpb S.9, Hauskaufbriefe.<br />

- Hs Abt. VII B Nr. 150 BI. 336. - Ord. s. Blas. Nr.70 S.53.<br />

246 Seit 1502 in Braunschweig (H. Me i er a. a. O. S.9), 1528 in Helmstedt<br />

und auch in Schöningen (StädteatJas S. 25, 45).<br />

246a L Alt Abt. 2 C IV Nr.56; Abt. 2 B Nr.1485, 1493. Hs Abt. 111 Nr. 16<br />

BI. 14 v, Nr. 14 BI. 118 und Nr. 13 Bl. 39.<br />

2461> L Alt Abt. 2 C III Nr. 101 und 93, Nr. 30 a. b. - Kirchenr. Bd. 1; Rpb.<br />

246c Rpb 1715 S. 329.<br />

246d L Alt Abt. 2 C III Nr. 30 a.b. Kirchenrechng. Bd. 1, Rpb 1715 S.301.<br />

N Abt. 1 Schöpp. I Nr.519.<br />

2460 L Alt Abt. 2 C 111 Nr. 30 a. b. Hs Abt. VII B Nr.142 BI. 99 v.<br />

240[ L Alt Abt. 2 C 111 Nr. 30 a. b.<br />

247 L Alt Abt. 7 Nr. B 2163, Ber. von 1590.<br />

248 Franz AI ger man n, Beschreibg. d. Amtes Wolfenbüttel um 1584,<br />

Hs Abt. VI Gr.14 Nr.62 BI. 63 v.<br />

40<br />

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ländlichen Umgebung zu sein 254 • Die Verfassungen der mit Weichbildrecht<br />

begabten kleinen städtischen Orte bi'eten, wie schon Fe i g e<br />

S. 138, 141 f.) ausgeführt hat, ein uneinheitliches Bild, und es können<br />

für die Entwicklung ihrer rechtlichen Stellung und Verfassung keine<br />

festen Regeln aufgestellt werden. Da leider für Südniedersachsen auf<br />

gründlichen Einzelarbeiten fußende Untersuchungen über Art und<br />

Umfang der landesherrlichen Gewalt und den Aufbau der Landesverwaltung<br />

sowie der davon abhängigen Stellung der Städte und<br />

Flecken noch fehlen, können die folgenden Darlegungen nur einen<br />

Überblick über die Entwicklung in Schöppenstedt selbst geben.<br />

Sowohl die 1345 zuerst vorkommende Bezeichnung Weichbild,<br />

= Fleck'en 255 als auch das seit 1357 bezeugte, aber damals wohl schon<br />

einige Jahrzehnte bestehende vorstädtische Westendorf256 dürften den<br />

Schluß erlauben, daß die Heraushebung Schöppenstedts aus seiner<br />

ländlichen Umgebung etwa gleichzeitig mit der von Königslutter und<br />

Schöningen 257 im 1. Viertel des 14. Jahrhunderts erfolgte. Darauf<br />

deutet auch die Nachricht hin, daß Schöppenstedt von dem von 1374 bis<br />

1400 regierenden Herzog Friedrich und dessen Vorfahren Pri.vilegien<br />

erhalten hatte, die von den Herzögen Bernhard I. und Heinrich dem<br />

Milden am 21. Juli 1400 bestätigt wurden 258 •<br />

25f Fe i g e, S.113, 118, 119. - Es geht also nicht an, einen solchen Ort<br />

in eine Reihe mit den Wiken = Handelsplätzen des 8.-11. Jhs. zu stellen,<br />

der.en Entstehung und Entwicklung in ganz anderer Weise verlief. Hierüber<br />

vgI. H. P 1 a n i t z, Z2 RG Bd. 63 (1943) S. 22 ff.<br />

ZllG Anläßlich der Landesteilung zwischen den Herzögen Magnus I. und<br />

Ernst (0. v. He i n e man n, Gesch. von Braunsehweig u. Hannover Bd. 2<br />

S,69) wurden am 25.4.1345 Rat und "meynheyt [= Bürgerschaft] des<br />

wiebeldes to Scepenstede" dureh den die Regierung des Landes Göttingen<br />

übernehmenden Herzog Ernst ihres Vntertaneneides und der Huldigung<br />

entbunden und an den neuen Landesherrn Herzog Magnus verwiesen,<br />

Vrk Abt. 2 Nr.6. Corp. bonorum der Stadt Seh. Kap. I. - Weiehbildreeht<br />

= Ortsrecht; im übertragenen Sinne Weichbild = Ortsbezirk (S ehr öder<br />

- v. K ü n ß b erg, Lehrb. Deutsehen Rechtsgesch,7 S. 689. In Braunschweig<br />

z. B. 1319 locus vel hereditas ad jus municipale, quod wiebeldesrecht<br />

dicitur, pertineat. VB Br II 866,) - Die für Sehöppenstedt verwendeten<br />

Bezeichnungen wicbelde (1346, 1364, 1388, 1399, 1400, 1407, 1415, 1419;<br />

VB Br IV S,222, Sud. III 244, Hs Abt. II Nr.1 BI. 117 v, Sud. IX 28, 34,<br />

Hs Abt. II Nr.1 BI. 181 v, VB v. Saldern II 1201a, Ge b h a r dia. a. O.<br />

S.111, 112 f.) und Blek (1394, 1482, 1491; Corp. bon. der Kirche; Ge bha<br />

r diS. 144 = Beg e S.57 Am. 26, Hs Abt. VII B Nr. 119 BI. 160) sowie<br />

die lateinische übersetzung oppidum im ersten Stadtsiegel fügen sich<br />

durchaus in das für andere Gegenden Niedersaehsens von derartigen Orten<br />

gewonnene Bild ein. VgI. Fe i g e S. 112.<br />

256 S. oben S. 32 Anm. 199 und S.34 Anm.216.<br />

m VgI. StädteatJas S.41 und 45 1.<br />

2GB Absehr. Hs Abt. II Nr. 1 BI. 181 v. - Herzog Friedrichs Großvater<br />

IVIagnus 1., an den Sc:höppenstedt 1345 verwiesen wurde, regierte mit<br />

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Die Schöppenstedt berührenden Straßen müssen doch wohl soweit<br />

das Zusammentreffen durchreisender Kaufleute 259 begünstigt haben,<br />

daß sie die Entwicklung des Ortes beeinflußten 26o • Solcher sich gelegentlich<br />

abspielender Handelsverkehr bot einen Anreiz für Krämer<br />

und Handwerker zur Niederlassung, die die Stadtherren durch Hergabe<br />

von Grundstücken zu Erbleihe förderten.<br />

Wenn es sich in Schöppenstedt auch nicht um 'eine Neugründung<br />

handeln konnte, so läßt sich doch aus der Belastung einer größeren<br />

Anzahl von Grundstücken mit Grundzinsen erkennen, daß diese<br />

durchweg geringfügigen, die Ansiedler in der Regel kaum beschwerenden<br />

Abgaben aus dem Bestreben der Zinsberechtigten zu erklären<br />

sind, durch Hergabe von Baustellen unter günstigen Bedingungen<br />

(freie Veräußerlichkeit) eine Entwicklung zu städtischen Verhältnissen<br />

zu fördern, dabei aber durch einen jährlichen Zins ihre ursprünglichen<br />

Rechte deutlich und dauernd zu kennzeichnen. In<br />

Schöppenstedt sind 4 Gruppen von zinspflichtigen Grundstücken festzustellen:<br />

1. Hausstellen (areae) oder (seit etwa 1450) Höfe (curiae) des Blasiusstiftes,<br />

2. mit Hauszinsen zugunsten der Kirche St. Stephani belastete,<br />

3. der PIarre St. Stephani hauserbenzinspflichtige und<br />

4. den Landesherren (seit 1575 dem Amte Wolfenbüttel) wortzinspflichtige<br />

Grundstücke.<br />

In allen Gruppen treten uns, bis auf ganz vereinzelte späte Neubegründungen<br />

in Gruppe 2, die Zinse als schon bestehend entgegen.<br />

Die wichtigste ist wohl die vierte. Die Vermutung, liegt nahe, daß die<br />

an Kirche und Pfarre zu zahlenden Zinse entweder als solche oder<br />

in Form von später zu Zins ausgegebenen Grundstücken durch Stiftungen<br />

der ursprünglichen Grundherren an jene gelangt seien. Nicht<br />

einwandfrei zu klären ist auch, ob bei Gruppe 2 die Häuser als solche<br />

oder die Hausgrundstücke den zinspflichtigen Leihegegenstand bil-<br />

seinem Bruder Ernst gemeinsam ab 1318. - Falsch also, daß kein Privileg<br />

erteilt worden sei, wie Beg e S.54 angibt.<br />

m Dabei brauchen wir nicht an die in der städtegeschichtIichen Forschung<br />

der letzten Jahre häufig mit dem Großhandel gleichgesetzten Fernhändler'<br />

zu denken, sondern (wie es für Süddeutschland festgestellt ist)<br />

auch in unserer Gegend zogen viele kleine Kaufleute mit nach Menge und<br />

Wert geringen Waren über Land und boten diese an geeignet erscheinenden<br />

Plätzen feil. Vgl. Histor. Zschr. Bd. 170 (1950) S.367.<br />

260 Anders: Städteatlas S.47 1.<br />

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43


deten 261 • Sämtliche Zinse bestanden in Geldleistungen. Die Bezeichnungen<br />

der Zinse sind verschieden, wie es z. B. auch in der Stadt<br />

Braunschweig der Fall war26:? Im einzelnen ließ sich folgendes ermitteln:<br />

Zu 1. In den Rechnungen des Vizedominats St. Blasii 2ß3 erscheint zuerst<br />

1315 die Einnahme von 6 sol. 4 den. "de areis dingbenke in Scepenstede".<br />

1321 heißt es: de areis dincbenken Johannes Volcm[ari] 4 1 /2 sol.<br />

weniger 3 den. 1338, 1355, 1356, 1359, 1362 und 1366 sind 6 Zinspflichtige<br />

von diesen Grundstücken genannt (s. oben S. 26). Rechnungen von 1372<br />

und 1382 lassen nichts Sicheres erkennen. 1395 sind 8 areae, im 15. Jahrhundert<br />

durchweg 6 zinspflichtige Grundstücke aufgeführt, von denen eins<br />

1395-1528 im Besitz der Kirchenvorsteher zu St. Stephani war. Leider<br />

bricht die Reihe der Rechnungen 1536 ab, so daß sich nicht ermitteln läßt,<br />

wo die Grundstücke zu suchen sind.<br />

Dingbänke ist eine Bezeichnung für Gerichtsstätte 264 ; es scheint also<br />

das Blasiusstift die nicht mehr benutzte Gerichtsstätte im Besitz gehabt<br />

und zur Bebauung gegen verschieden hohen Zins zu Erbleihe ausgetan<br />

zu haben 263 •<br />

Z u 2. über die als Haus- oder Hauserbenzinse bezeichneten Zahlungen<br />

an die Kirche erfahren wir zuerst aus deren ältestem, 1602 beginnendem<br />

Rechnungsbande. Die Zinse betrugen 1 Gr 4 Pfg. bis 1 Gulden, meist 2 oder<br />

5 Groschen jährlich. 1749 waren 38 Grundstücke zinspflichtig 266 , wozu 1750<br />

ein vom Kapellenkirchhofe abgetrennter Bauplatz (ass. 137), 1754 das<br />

Grundstück Nr. ass. 2 und 1755 das bisherige Pfarrwitwenhaus Nr. ass. 212<br />

kamen. Die Zinse wurden z. T. 1814 (von Nr. ass. 3, 4, 32, 61, 68, 76, 192,<br />

208 und 217), die meisten erst 1877 abgelöst 2G7 •<br />

Zu 3. Die Hauserbenzins zahlenden Grundstücke sind im 1749 angelegten<br />

Güterverzeichnis (Corpus bonorum) der Kirche (S. 173) zuerst genannt.<br />

Es handelt sich um 16 Zinse2 68 , die 1874 abgelöst worden sind.<br />

Zu 4. Von Zinsen an Häusern und Hausstellen (worden) wurden 1399<br />

von Herzog Friedrich dem Henning v. Winnigstedt und dessen Frau 2 1 /2 Mk:<br />

auf Lebenszeit als Rente verschrieben 269 • Herzog Heinrich verkaufte 1438<br />

1'/2 Mk an der oberen Mühle und den ,,(vrigen) worttinsz", der von<br />

20 Grundstücken jährlich zu Michaelis, von 13 Grundstücken am Thomastage<br />

(2l. Dezember) zu zahlen war, an das Blasiusstift in Braunschweig 21o •<br />

21)1 Vgl. H. K lei n a u, Der Grundzins in der Stadt Braunschweig bis<br />

1350. Leipzig 1929. S.56.<br />

262 Ebd. S. 2-4, 5, 59 f.<br />

263 ZR Blas.<br />

2C4 Vgl. z. B. 1343 Sud. II 50.<br />

26S Vgl. H. K lei n a u a. a. O. S.3, 5 f., 63 f.<br />

266 Nr. ass. 3-5, 18, 32 bis 34, 53 bis 55, 60, 61, 67 bis 70, 73, 76, 77, 81.<br />

84,87,103 bis 105, 107, 149,169,174,188, 192 bis 194, 196,197, 208, 215, 217.<br />

267 Corp. bon. der Kirche Sch. S.8/9. - N Abt. 1 Schöpp. I Nr.284.<br />

2G8 Nr. ass. 3-6, 9-13, 17, 19, 29-31, 33, 47, 48, 51, 53, 57 und 189. -<br />

Also kein Grundstück im ehern. Westendorfe!<br />

269 Sud. IX 34. BuK 111, 2 S. 250.<br />

270 Hs Abt. VII B Nr. 136 BI. 54. - 1428 war in Seesen von sämtlichen<br />

Hausgrundstücken an die Herzöge ein gleichhoher Pfahlzins zu zahlen;<br />

die Zinse verteilten sich im 18. Jh., ähnlich wie in Schöppenstedt, auf 7 Berechtigte,<br />

in der Hauptsache auf das Amt und die beiden Kirchen. - In<br />

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Die Höhe der Zinse schwankt zwischen 4 Pfg. und 7 Schillingen; am<br />

häufigsten sind 18 Pfg. (achtmal) und 2 Schilling (fünfmal)2.oa. Zwar nahm<br />

das Stift schon 1439 die Hilfe des Schöppenstedter Vogtes bei Einziehung<br />

der Wortzinse in Anspruch; 1443/44 ließ es säumige Zahler pfänden, 1458<br />

mußte es dreimal wegen der Zahlung mahnen lassen, auch 1459-1463<br />

hatte es Kosten deswegen. Aber leider erscheinen die Wortzinse selbst<br />

erst ab 1500 in den Vizedominatsrechnungen des Stiftes 271 • 1526 sind 22<br />

(einschließlich der Mühle) zu Michaelis, 12 am Thomastage (hierunter der<br />

Müller mit einer zweiten Zahlung) fällige Zinse genannt. Unter den Michaeliszinsen<br />

erscheinen zweimal die Kirchenvorsteher zu St. Stephani und<br />

einmal der Rat. 1536 gehört zu den am Thomastage zahlbaren Zinsen auch<br />

der von Fleischscharren.<br />

Aber auch diese Quelle gestattet keine lückenlose Weiterführung der<br />

zinspflichtigen Grundstücke. Die Rechte des Blasiusstiftes müssen an die<br />

Herzöge zurückgekommen sein. Leider folgt auf die älteste Rechnung des<br />

Amtes Wolfenbüttel von 1521/22 erst die von 1575176, und in ihr sind die<br />

Wortzinse von 35 "Häusern und Stidden" in Schöppenstedt verbucht 212 •<br />

Darunter fehlen nicht die Mühle, die Altarleute zu St. Stephani (seit 1600/01<br />

"von der Kirche", 1610-1680/81 "wegen der Kirche", 1739-1755 "die<br />

Kirche") und "der Rat vom Rathause" (1739-1755 "das Rathaus"). Die<br />

Zahl der zinspflichtigen Grundstücke ist 1680/81 auf 39, 1749/50 auf 40<br />

(einschließlich Kirche und Rathaus) gestiegen 273 • Selbst wenn die Einbeziehung<br />

einiger Grundstücke nicht völlig sicher sein kann, so läßt ein<br />

Vergleich der Grundstücksnummern mit Abb. 2 erkennen, daß die wichtigsten<br />

Gebäude (Kirche und Rathaus) wortzinspflichtig waren, ferner die<br />

Grundstücke auf dem Markte und südlich davon, auch eine Anzahl von<br />

Eckgrundstücken (bes. Braunschweiger Straße und im Osten der Stadt)<br />

sowie die meisten Grundstücke des Steinweges. Man kann sagen, daß fast<br />

alle wortzinspflichtigen Hausstellen in dem Ortsteile um Kirche und Markt<br />

lagen und (bis auf die 4 im ehemaligen Westendorfe?) schon 1438, wahrscheinlich<br />

sogar 1399 vorhanden gewesen sein müssen. Die Erweiterung<br />

und offenbar planmäßige engere Bebauung des alten Dorfes durch die<br />

Stadtherren ist also deutlich erkennbar und dürfte auf dessen Grundrißbildung<br />

und Entwicklung starken Einfluß ausgeübt haben.<br />

Die Bezeichnung Wortzinse, der Umstand, daß die pflichtigen<br />

Grundstücke überwiegend in Gruppen oder doch nahe beieinanderlagen<br />

und auch die (infolge Fehlens von Quellen nicht aufklärbare)<br />

der Marktsiedlung Helmstedt schon 1155 und auch in Holzminden Wortzinse.<br />

Städteatlas S.l1, 241, 34. - In Schöningen 1370 als Zinstermine<br />

Thomastag und Gründonnerstag (Hs Abt. II Nr.l Bl.I60).<br />

2.0" Also kein einheitlicher Zins wie z. B. auch 1370 in Schöningen;<br />

a.a.O.<br />

m ZR Blas.<br />

• 272 L Alt Abt. 22A Gr.63 Wolfb. Nr.1.<br />

273 Ebd. Nr.2 ff. Soweit sich die Geschichte der einzelnen Grundstücke<br />

sicher zurückverfolgen läßt, konnten als zinspflichtig ermittelt werden die<br />

Nr. ass. 2, 13, 16, 19 bis 22, 24, 26 (?), 28 zus. mit 49 (Mühle), 64 bis 66,<br />

69 (?), (73?), 90 bis 96, 98, 101, 102, 154, 163, 171, 172, 188, 191, 201 (18. Jh.),<br />

208, 209, 216, die beiden 1752 abgerissenen Grundstücke auf dem west!.<br />

Markte, die Kirche (L Alt Abt. 22A Gr. 63 Wolfb. - Häuserbuch). - Wortzinspflicht<br />

des Rathausgrundstückes auch in Hildesheim; s. Joh. H. Gebau<br />

er, Wortzins und Fronzins in der Stadt Hildesheim. Z2 RG Bd.61<br />

(1941) S.167.<br />

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doppelte Belastung mit Wortzinsen und einem Zinse der anderen<br />

Gruppen könnten darauf hindeuten, daß wir es hier mit einer ähnlichen<br />

Leiheform zu tun haben, wie sie von mir in Braunschweig beobachtet<br />

ist. Die mehr oder weniger eng zusammenliegenden Stellen<br />

können sehr wohl, ähnlich der Auf teilung ganzer Ortslagen bei der<br />

Gründerleihe, gleichzeitig, wenn auch nicht unter völlig gleichmäßigen<br />

Zinsverpflichtungen zur engeren und regelmäßigeren Bebauung des<br />

alten Dorfes ausgegeben sein. Die wortzinspflichtigen Grundstücke<br />

standen nicht in unbedingt freiem Eigenturne, sondern der zinsberechtigte<br />

Grundherr behielt ein Obereigentum daran 274 •<br />

Auf Einfluß der Stadtherren ist, wie die Wortzinspfiicht zeigt, auch<br />

die Anlage der für den Ort bedeutsamen Mühle und der Verkaufsstände<br />

(Scharren) auf dem Markte zurückzuführen. Die Abführung<br />

des Stand- oder Stättegeldes von den Märkten an das Amt Wolfen:<br />

büttel dürfte erst auf die Erteilung eines Marktprivilegs 1583 zurückzuführen<br />

sein.<br />

Die Herzöge verstanden auch, sich die von ihnen geförderte Entwicklung<br />

durch Errichtung des schon erwähnten (oben S. 36 Anm. 228)<br />

Zolles nutzbar zu machen. Sowohl die reichhaltigen Zollrollen von<br />

1666 und 1686 als auch die Tatsache, daß er mit seinen Einnahmen<br />

1521/22, 1540/41 und 1602 die 2. Stelle unter den 6 Zollstätten des<br />

Amtes Wolfenbüttel einahm, dürften ausreichend beweisen, daß sich<br />

der Zoll an einem Platze mit günstiger Verkehrslage befand t75 •<br />

An dem Vorhandens'ein wesentlicher Merkmale einer Stadt, jedoch<br />

mit tatsächlichen Unterschieden gegenüber einer solchen, kann schon<br />

für das 14. Jahrhundert kein Zweifel bestehen. Alt-Schöppenstedt war<br />

schon damals eine Niederlassung von Bürgern (1392, 1395) mit frei<br />

veräußerlichem Grundbesitz und der Freiheit von grundherrlichen<br />

Diensten und Abgaben 276 , mit einer Befestigung 'und mit Ratsverfassung<br />

(1345)277.<br />

274 H. Kleinau a.a.O. S.73 Am. 7, 77, 80f., 89. - J. H. Gebauer<br />

a. a. O. S. 155, 166 f.<br />

m LAlt Abt. 8 WoIfb. vorI. Nr.1094 und Abt.22A Gr.63 (1602 waren<br />

etwa 40 Gulden Zollgeld von den Braunschweiger Bürgern geplündert).­<br />

Stadtarch. Brschwg. B III 5 Bd.26 BI. 26 v.<br />

276 Stadtarch. Brschwg. A IV 10 Urk. V Nr.4. - Sud. VIII 32.<br />

271 VgI. Fe i g e S.116, 120, 124, 144 f. - Flecken waren in Niedersachsen<br />

nicht allgemein offen im Gegensatze zu Städten, wie W. S pie ß. Die Großvogtei<br />

Calenberg. Göttingen 1933. S. 71 behauptet. Im Fehlen "einer eigentlichen<br />

Stadtmauer" kann nicht der Hauptgrund für die Nichtentwicklung<br />

zur Stadt gesehen werden. VgI. Fe i g e S.120.<br />

46<br />

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erheblichem Maße dörfliche Art behielt, aber auch infolge der schlechten<br />

überlieferung seiner älteren Privilegien, die dem Rate als Grundlage<br />

zur Behauptung seiner Rechte hätten dienen können 28S • Gerade<br />

der letzte Umstand hatte immer wieder Streitigkeiten zwischen<br />

dem Rate und dem Vogte oder auch dem Amte (Groß vogtei) Wolfenbüttel<br />

zur Folge, dessen Gerichtsbarkeit im dreimal jährlich auf dem<br />

Rathause gehaltenen Landgerichte Schöppenstedt unterworfen blieb,<br />

und dessen "Außenstelle" der Vogt im· 16.-18. Jahrhundert war 289 ,<br />

dem zugleich die umliegenden Dörfer hinsichtlich des Niedergerichtes<br />

und der Verwaltung unterstanden 290 • Gelegentlich der z. T. heftigen<br />

Auseinandersetzungen mit dem Rate bezeichnete der Vogt Nehring<br />

1674 eine Zumutung des Rates als "Schöppenstedter Streich", womit<br />

wohl zum ersten Male diese heute geläufige und weithin bekannte<br />

Bezeichnung aus der Vergangenheit bezeugt sein dürfte 291 •<br />

Der Rat bestand 1482 aus 4 Personen, die sich als "Borgemesters,<br />

Ratmanne und Vorstender" des Fleckens Schöpp·enstedt bezeichneten<br />

292 • 1602 werden 6 Ratsmitglieder genannt, die sämtlich den Titel<br />

Bürgermeister führten 293 • In den Jahren 1657-1666 und 1682 bildeten<br />

3 Bürgermeister, von denen (wie es auch später die Regel war) jeder<br />

abwechselnd ein Jahr lang "regierte", und der Stadtrichter den Rat,<br />

1675/76 und 1694 3 Bürgermeister und 2 Kämmerer2° 4 • Bei den jährlichen<br />

Ratsänderungen sind 1713/14 neben 2 Bürgermeistern 1 Käm-<br />

288 N Abt. 1 Schöpp. I Nr.13. L Alt Abt. 7 Nr. S 1844, Schriftsatz des<br />

Rates von Mai 1680.<br />

289 Ldsch. Bibl. 1752 Bl. 347, 350, 355 f. - Worauf die Bemerkung Beg e s<br />

(S.58) beruht, der Großvogt des Amtes Wolfenbüttel sei an die Stelle des<br />

Stadtvogtes getreten, hat sich nicht feststellen lassen. Großvögte, die auf<br />

eine Zusammenfassung mehrerer Vogteien schließen lassen (W. S pie ß<br />

a. a. O. S. 44 ff., 55), sind bisher seit 1499 bekannt (H. Sam se, Die Zentralverwaltung<br />

in den südwelfischen Landen. Hildesheim u. Leipzig 1940. S. 182,<br />

vgl. auch S. 242). Seitens der Stadt Schöppenstedt wurde 1680 (vorige Am.)<br />

behauptet, das Amt Wolfenbüttel sei selbst ursprünglich eine Vogtei gewesen<br />

und "viele hundert Jahre nach dieser Stadt Schöppenstedt aus den<br />

asseburgischen und anderen Gütern erstlich zusammengesetzt". Worauf<br />

die Angabe aus den Jahren 1630 (Amt) und 1680 (Stadt) beruht, der Vogt<br />

habe vor Wesarg (um 1560-1570) in ührde gewohnt, und 1678 sei an dessen<br />

ehern. Wohn stätte dort ein Hopfengarten angelegt (Ldsch. BibI. 1752<br />

BI. 348 v; N Abt.l Schöpp. I Nr.14), war nicht aufzuklären .<br />

.. 0 Ldsch. BibI. 1752 BI. 347 v. - Zum Gerichte Schöppenstedt gehörten<br />

1547 die Dörfer Bansleben, Barnstorf, Berklingen, Eitzum, Küblingen,<br />

Schliestedt, ührde, Warle und Watzuri1 (Landsch. I, 6 Bl. 5 v).<br />

291 L Alt Abt.7 Nr. S 1844.<br />

292 J. J. Gebhardi a.a.O. S. 144.<br />

293 Braunschw. Mag. 1907 S.65.<br />

294 L Alt Abt. 7 Nr. S 2050, 1844, B 2029, S 1717; Abt. 2 B Nr.1488.<br />

4 Braunschweiglsches <strong>Jahrbuch</strong> 49<br />

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merer, 1716 und 1726 je 2 Bürgermeister und 2 Kämmerer genannt 29S •<br />

Die Ungleichmäßigkeit der Besetzung lag anscheinend z. T. darin b'egründet,<br />

daß durch den Tod oder sonst erledigte Ratsstellen längere<br />

Zeit unbesetzt blieben. Nicht nur zwischen Rat und Amt, sondern<br />

auch zwisch'en Bürgermeistern und Rat und der Bürge'rschaft kam es<br />

in Schöppenstedt im 17.118. Jahrhundert wiederholt zu von allen Seiten<br />

mit großer Hartnäckigkeit ausgetragenen Meinungsverschiedenheiten,<br />

so daß 1724 der Kammerrat v. Hoym als ständiger Kommissar<br />

zur Schlichtung der Streitigkeiten eingesetzt werden mußte. Dieser<br />

griff u. a. nach eigenmächtiger Einsetzung von 2 Kämmerern durch<br />

die damaligen Bürgermeister ein; 1727 gab es neben 3 Bürgermeistern<br />

auch 3 Kämmerer, die 1716-1726 üblich gewesene Ratsbesetzung ist<br />

aber in der 1. Hälfte des 18. Jahrhunderts als die Regel angesehen 29u •<br />

Seit etwa 1600 wurde der Schriftverkehr des Rates durch einen<br />

Stadtschreiber erledigt. 1602 ist zuerst Johannes Dettmer als solcher<br />

genannt 291 • Der ebenfalls seit 1602 erwähnte Richter, der 1731 als<br />

Ratsbedienter galt, hatte in der Hauptsache die Vollstreckung der<br />

Gerichtshandlungen des Rates durch Pfändungen vorzunehmen 2 !18.<br />

Für verschiedene Polizeiaufgaben und Hilfsdienste hatte der Rat<br />

besondere Kräfte zur Verfügung. Bei bestimmten Anlässen, z. B. bei<br />

einem Streite um die Weide im Küblinger Holz'e 1715, konnte er aus<br />

den seit 1667 eingerichteten Korporalschaften oder Quartieren (Vierteln)<br />

der Stadt Bürger zum Schutze der Herden 'einsetzen 299 • Die 4 Korporale<br />

besichtigten z. B. zusammen mit den Feuerherren die Häuser<br />

auf Durchführung der feuerpolizeilichen Vorschriften, gaben obrigkeitlich'e<br />

Befehle bekannt, riefen die Bürger zu Versammlungen zusammen<br />

und hatten die Aufsicht bei Gemeindearbeiten 30o • 1655 waren<br />

2 Ratsdiener vorhanden, von denen einer 1731 als Ratsknecht oder<br />

Schließer bezeichnet wurde 30I • Dan'eben gab es um 1715 einen Grabenvogt<br />

zur Beaufsichtigung des Stadtgrabens, einen Weidenvogt für<br />

2115 Rpb 1713 S.9, 1714 S.3; 1716 S. 398. - L Alt Abt. 2 B Nr.1485.<br />

29. L Alt Abt.2 B Nr.1485. - N Abt. 1 Schöpp. I Nr.19 und Nr.21<br />

(Amtsber. v. 10.12.1743).<br />

197 Brschw. Magazin 1907 S. 66. - Die Stadtschreiber Johannes Thomas<br />

(um 1630) und Ernst Martin Hewel (um 1720) waren studierte Leute und<br />

zugleich Notare (L Alt Abt. 7 Nr. K 291 und Abt. 2 B Nr.1485).<br />

298 N Abt. 1 Schöpp. I Nr. 19. - L Alt Abt. 2 C III Nr.83 und z. B. Abt. 7<br />

Nr. W 1133 und Rpb 1715 S.92.<br />

50<br />

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299 Rpb 1715 S.366. L Alt Abt. 2 B Nr.1488.<br />

300 Rpb 1712 S.7, 1714 S.8, 136. - E. Kleinau S.12f.<br />

301 L Alt Abt. 7 Nr. S 889. N Abt. 1 Schöpp. I Nr. 19.<br />

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der Vogt habe seit alters nichts mit dem Stadtgerichte zu tun 3lO • In<br />

'einem Rezesse von 1705 wurde ausdrücklich bestätigt, daß die Gerichtsbarkeit<br />

in bürgerlichen und Strafsachen beim Amte und der<br />

Vogtei bleiben, die freiwillige Gerichtsbarkeit neben dem Amte ausgeübt<br />

werden sollte. Inhaftnahme von Strafgefangenen war sofort<br />

dem Amte oder Vogte zu melden. Ratsmühle und Neindorfer Feldmark<br />

blieben unter dem Amte; der Rat durfte aber Urkunden über<br />

die Neindorfer Ländereien ausstellen und wie früher dessen Verteilung<br />

vornehm'en. Der Vogt hatte Bürgermeister und Stadtrichter<br />

zu beeidigen 311 •<br />

Infolge der fortdauernden Streitigkeiten mit dem Amte und geringer<br />

Fähigkeiten der Magistratsmitglieder sah sich der Herzog<br />

schli'eßlich genötigt, 1727 den Advokaten Ulrich Levin Dedekind zum<br />

Gerichtsschultheißen in Schöppenstedt einzusetzen, der aber 1734 von<br />

seinem Amte zurücktrat 312 • Sein Nachfolger wurde im November 1743<br />

der gleichzeitig zum Landkommissar des Schöningenschen Distriktes<br />

bestellte Karl August Funke 3l3 , zu dessen Aufgaben die Durchführung<br />

einer völligen Neuregelung der Verwaltung und Rechtspflege in<br />

Schöppenstedt gehörte. Der Magistrat wurde 1743 seiner Ämter enthoben.<br />

Nach Festlegung der Gerichtsgrenzen (1744) erhielt der 1745<br />

zunächst aus einem Kämmerer und dem Stadtschreiber (Sekretär)<br />

bestehende und im gleichen Jahre um einen Bürgermeister erweiterte<br />

Magistrat die untere Gerichtsbarkeit über Stadtgrund, Gärten und<br />

Feldmark unter Trennung vom Residenzamte Wolfenbüttel widerruflich<br />

übertragen 314 • Mit einem rechtsgelehrten Gerichtsschuldheißen<br />

315 an der Spitze und seit 1762 um einen Ratmann oder Senator<br />

310 N Abt. 1 Schöpp. I Nr. 13 (um 1667). L Alt Abt. 7 Nr. S 1844 (Schrifts.<br />

v. Mai 1680).<br />

31\ N Abt. 1 Schöpp. I Nr. 13. Beg e S. 59 ff. Slg Abt. 40 A Nr. 4707. BuK<br />

III, 2 S. 251. - Verteilung durch Rat schon 1595. L Alt Abt. 7 Nr. K 351.<br />

312 L Alt Abt. 2 C !II Nr.42. Corp. bonorum der Stadt Kap.!.<br />

313 L Alt Abt. 2 C III Nr.92.<br />

314 Ebd. Nr.42, 62. N Abt. 1 Schöpp. I Nr.21. Slg. Abt.40A Nr.6241,<br />

6257, 6271, 6490, 6506. Corp. bonorum d. Stadt Sch. Kap. I und IV. Das bei<br />

Beg e S.62 angeführte Datum März 1742 kann nicht stimmen.<br />

315 Bis 1776 Funke (1755 Kommissionsrat, seit 1761 durch Schüler vertreten,<br />

1763 geadelt, 1773 Hofrat), 1776-1781 Landkommissar Schüler<br />

(1749 Stadtsekretär, 1758 Landkommissar, 1761 Geschäfte, des Gerichtsschultheißen<br />

vertretungsweise, 1768 Vorsitz im Rate), 1781 bis Dez. 1786<br />

(interimistisch) Klosterrat Dedekind in Wolfenbüttel, Jan.1787-1796 Advokat<br />

Aug. Julius Koch aus Helmstedt, 1796-1807 Justizamtmann Bernh.<br />

Friedrich Ballenstedt aus Schöningen mit dem Titel Justizrat (L Alt Abt. 2<br />

C III Nr.51 und 92).<br />

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53


ERLÄUTERUNG<br />

der in den Anmerkungen verwendeten Abkürzungen<br />

Die in den Anmerkungen angeführten Archivbezeichnungen beziehen<br />

sich, soweit nichts anderes vermerkt ist, auf das Nds. Staatsarchiv Wolfenbüttel.<br />

Abkürzungen:<br />

L Alt Abt. 11 Blasiusstift, unverzeichnete Zinsregister und Rechnungen<br />

= ZR Blas.<br />

L Alt Abt. 21 Stadt Schöppenstedt Ratsprotokollbuch 1712-1716 = Rpb. -<br />

Von den am meisten angeführten Druckschriften sind gekürzt genannt:<br />

earl Beg e, Geschichte der Städte Seesen und Scheppenstedt. Wolfenb.<br />

1846 (= Beg e).<br />

Ders., Gesch. einiger der berühmtesten Burgen u. Familien des Herzgt.<br />

Braunschweig. Wolfb.1844 (= Beg e, Burgen).<br />

R. F e i g e, Die Statuten des Fleckens und der Stadt Sachsenhagen.<br />

Schaumburger Heimat Bd. 1 (1939) (= F ei g e).<br />

L. H ä n sei man n u. H. Mac k , Urkundenbuch der Stadt Braunschweig.<br />

4 Bde. 1873 ff. (= UB Br).<br />

E[rnst] [K lei n aJ u, Geschichtliches über Schöppenstedt. In: Adreßbuch<br />

von Schöppenstedt 1930. S. 3 ff. - Auch als Sonderdruck f. d. Heimatmuseum<br />

Schöppenstedt unter dem Titel: Die Geschichte der Stadt<br />

Schöppenstedt von ihren Anfängen zu Beginn des 9. Jh. bis z. Jahre 1930,<br />

hrsg. von Erich Leimkugel (= E. Kleinau).<br />

Die Bau- und Kunstdenkmäler des Herzogt. Braunschweig. 3. Bd. 2. Abtlg.<br />

Die Ortschaften des Kreises Wolfenbüttel mit Ausschluß der Kreisstadt.<br />

Bearb. von Prof. Dr. P. J. Me i er. Mit Beiträgen von Dr. K. S t einac<br />

k er. Wolfb.1906 (= BuK III, 2).<br />

P. J. Me i er, Niedersächsischer Städteatlas. 1. Abtlg.: Die braunschweig.<br />

Städte. 2. Autl.1926 (= Städteatlas).<br />

Monumenta Germaniae historica (= MG).<br />

G. Sc h m i d t, Urkundenbuch des Hochstifts Halberstadt und seiner Bischöfe.<br />

4 Bde. Leipzig 1883-1889 (= H Ha).<br />

H. Sud end 0 I' f, Urkundenbuch z. Gesch. der Herzöge von Braunschweig<br />

und Lüneburg. 11 Teile. 1859-1883 (= Sud.).<br />

Ferner:<br />

Häuserbuch der Stadt Schöppenstedt. Auf Grund aller erreichbaren Quellen<br />

zusammengetragene handschI'. Geschichte der alten vor 1760 entstandenen<br />

Grundstücke der Stadt des Ver!., Fortsetzungsabdruck seit April<br />

1951 in der "Elmzeitung" (= Häuserbuch).<br />

56<br />

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Das nach Goslar gelangte Auslandsschreiben<br />

des Konstantinos IX. Monomachos für Kaiser Heinrich II!.<br />

von 1049<br />

Von<br />

Werner Ohnsorge<br />

Als D ö I ger I im Jahre 1925 den zweiten Teil seiner byzantinischen<br />

Kaiserregesten veröffentlichte, mußte es nach dem damaligen<br />

Stande der Forschung in der Tat scheinen, als ob für die Gesandtschaft<br />

des Konstantinos IX. Monomachos an Kaiser Heinrich In. von<br />

1049 hinsichtlich ihrer Berührung mit dem deutschen Herrscher<br />

lediglich die Nachricht des Joeundus in der Praefatio zur Translatio<br />

s. Servatii 2 zur Verfügung stände. Der Legendenschreiber berichtet,<br />

daß Heinrich In. sich wegen des von ihm gegründeten Stiftes SS.<br />

Simon und Judas in Goslar 3 für Reliquien des hl. Servatius in<br />

Maastricht interessierte und daß auf der Synode zu Mainz von Mitte<br />

Oktober 1049 in Anwesenheit des Kaisers und des Papstes Leo IX.<br />

die "questio de gen'ealogia Servatii" verhandelt wurde, über die<br />

sich Alagreeus aus Jerusalem in einer Schrift ausgelassen hatte.<br />

über die Zuverlässigkeit des Stammbaumes war man im Zweifel.<br />

Joeundus fährt fort: "Ex voluntate vero Omnipotentis aderant tune<br />

quidam Greci, omni sapientia pleni, ipsa etiam qua venerant legatione<br />

regia viri dignissimi; missi quippe fuerant ab imperatore<br />

Constantinopolitano"; sie bestätigten die Daten des Alagreeus.<br />

Daß die Angaben der Translatio nicht mit H e n s ehe n 4 als unzuverlässig<br />

zu verwerfen sind, ergab sich aus einer Nachricht des<br />

1 Franz D ö I ger, Regesten der Kaiserurkunden des oströmischen<br />

Reiches 2 (Corpus der griechischen Urkunden des Mittelalters und der<br />

neueren Zeit, Reihe A, Regesten, Abt. 1, München und Berlin 1925), Nr. 896.<br />

z MG. 88. XII. p. 90.<br />

3 E. 8 t ein d 0 r f f, Jahrbücher des Deutschen Reiches unter Heinrich<br />

Ir!., 2 (Leipzig 1881), 8.99 ff; C. Wolf f - A. v. Be h r - U. H ö 1sc<br />

her, Die Kunstdenkmäler der Provinz Hannover 11, Reg.-Bez. Hildesheim,<br />

1 u.2, 8tadt Goslar (Hannover 1901), S. 38 ff.; A. Hau e k, Kirchengeschichte<br />

Deutschlands III, 3. u. 4. Auf!. (Leipzig 1920), 8.742 Anm.1,<br />

8.1019.<br />

4 8. He n s ehe n, Exegesis hist. de episcopatu Tungrensi et Traiectensi<br />

II p. 11, mir nicht erreichbar; vgl. MG. 88. XII. p.90 not. 37.<br />

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57


Adam von Bremen 5 , der im Anschluß an die Schilderung der Mainzer<br />

Synode von 1049 nach Bemerkungen über die durch Adalbert 6<br />

gelenkte glückliche Außenpolitik Heinrichs IH. folgende Sätze<br />

bringt: "Ad hunc nostrae felicitatis cumulum accessit hoc, quod<br />

fortissimus imperator Grecorum Monomachus et Heinricus Francorum<br />

transmissis ad nostrum cesarem muneribus congratulati sunt<br />

archiepiscopo pro sapientia et tide eius rebusque bene gestis eius<br />

consilio. Tune ille Constantinopolitano reseribens jactavit se inter<br />

alia descendere a Grecorum prosapia Theophanu et fortissimo<br />

Ottone sui generis auctoribus. Ideoque nee mirum esse, si Grecos<br />

diligeret, quos vellet habitu et moribus imitari; quod et fecit. Similia<br />

regi Franciae mandata legavit et aliis."<br />

Allerdings glaubte die deutsche Forschung 7 im Anschluß an Georg<br />

D e h i 08 gegen G f r öre r 9 einmütig, daß den Mitteilungen Adams<br />

für die Beziehungen der bei den Kaiser insofern nur geringer Wert<br />

innewohne, als die griechische Gesandtschaft ein Schreiben des Byzantiners<br />

für A d alb e r t mitgebracht hätte und Adam den Inhalt<br />

der Antwort des Erzbischofs an Konstantinos IX. wiedergäbe. Ich<br />

habe 1947 nachgewiesen 1 0, daß diese Auffassung unhaltbar ist, daß<br />

wir bei Adam vielmehr ein höchst wertvolles D e p 'e r d i t u m<br />

He i n r ich s IH. nach Byzanz ausgeschrieben finden. Schon B r e -<br />

h i e r 11 und in engem Anschluß an ihn Sc h 1 u m b erg e r l2 hatten<br />

diese Anschauung vertreten; aber D ö I ger 13 hatte sich ihnen angesichts<br />

der Einstimmigkeit der deutsch'en Auffassung nicht an-<br />

5 Adam von Bremen, Hamburgische Kirchengeschichte, ed, B. Sc h m eid­<br />

I er, MG. 8S. rer. Germ., 3. Aufl. (Hannover u. Leipzig 1917), Iib.III c.32<br />

p.174.<br />

8 E. M ase h k e, Adalbert von Bremen, in: Die Welt als Geschichte 9<br />

1943, S. 25 ff.<br />

7 Schmeidler S.174; S. Stein berg, Adam von Bremen, Hamburgische<br />

Kirchengeschichte 3. Aufl. (Die Geschichtsschreiber der deutschen<br />

Vorzeit 44, Leipzig 1926), 8.154; O. H. M a y, Regesten der Erzbischöfe von<br />

Bremen 1 (Veröffentl. d. Hist. Kommission für Hannover usw. XI, Hannover<br />

1937), S. 58 Nr.244,<br />

8 G. D eh i 0, Geschidl1e des Erzbistums Hamburg-Bremen bis zum<br />

Ausgang der Mission 1 (Berlin 1877), Anmerkungsteil 8.37 (zu S.205).<br />

9 A. Fr. G fr öre r, Pabst Gregorius VII. und sein Zeitalter 6 (Schaffhausen<br />

1860), S. 545 f.<br />

10 W. 0 h n s 0 r ge, Das Zweikaiserproblem im früheren Mittelalter<br />

(Hildesheim 1947), S. 76 f.<br />

11 L. B reh i er, Le schisme oriental du XIe siecle (Paris 1899), S, 16.<br />

n G. S chI u m be r ger, L'epopee Byzantine a la ftn du dixieme siecle,<br />

3e partie, Les Porphyrogenetes Zoe et Theodora (Paris 1905), S.682.<br />

11 D ö I ger S. 9 Nr.896.<br />

58<br />

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Prunk ausfertigung durch Goldschrift eine weitere Schmückung der<br />

Urkunde durch Goldsi'egel überflüssig mache", weil die Vatikanischen<br />

Originale keinerlei Spuren von Besiegelung aufweisen und in<br />

der literarischen Erwähnung von byzantinischen Auslandsbriefen<br />

im Abendland ,von Goldbesiegelung bei Stücken mit Goldschrift<br />

vielfach nicht di'e Rede ist; dem stand entgegen, daß im Zeremonienbuch<br />

des Konstantinos Pophyrogennetos "Goldsiegel von abgestuftem<br />

Gewicht, nämlich 1, 2, 3 und 4 solidi schwer"s6 für auswärtige<br />

Empfänger, vor allem auch für die Päpste gefordert werden. Später: 17<br />

neigte er zu der Meinung, daß den Rotuli Goldsiegel bei g e g e ben<br />

waren; man "knüpfte damit ... an die Sitte der frühbyzantinischen<br />

Zeit an, den Barbarenfürsten Goldmedaillons von der Größe mehrerer<br />

Goldstücke zuzusenden, wie sie uns mehrfach erhalten sind<br />

und vielleicht schon damals die überbrachten Urkunden begleiteten,<br />

den ,Geschenk'-Charakter der jeweils ,gewährten' Vertragsbedingungen<br />

als Symbole der q;t).oT:tj.da des Kaisers betonend". Bereits<br />

1933 8H hatte er auf eine interessante Arbeit Al f ö I d i S39 hingewiesen,<br />

der aus Münzfunden aus der Zeit um 400 in Szilägysomly6<br />

in Siebenbürgen und sonst stammende Goldmedaillons mit dem<br />

Brustbild des Kaisers vom Gewicht bis zu 412,72 g abgebildet und<br />

behandelt hat, die dann bei den Germanen Nachahmung fanden 40 :<br />

"Nicht allein die Medaillons haben die Germanen den Römern nachgeahmt,<br />

sondern auch die Gewohnheit, solche Goldmünzen in prunkvollem<br />

Rahmen ge faßt zu tragen." D Ö I ger schloß daraus 41 , daß<br />

solche Goldmedaillons "noch bis ins 11. Jh. hinein nicht als Hängesiegel<br />

verwandt worden" sind, vielmehr, "selbst wenn sie etwa mit<br />

einem Bande außen auf der gerollten, Urkunde befestigt gewesen<br />

sein sollten, ihren Geschenkcharakter bewahrt haben". Beobachtungen<br />

über übereinstimmung des Motivs 'eines Goldmedaillons Kon-<br />

36 D ö I ger, Aus den Schatzkammern des Heiligen Berges (München<br />

1948), S. 317 mit Hinweis auf Konstantinos Porphyrogennetos, de caerim. 11<br />

48: 686,5 ff. Bonn.<br />

31 D ö I ger, Aus den Schatzkammern S.317.<br />

38 D ö I ger in Byzant. Ztschr. 33 (1933), S. 469 f.<br />

39 A. AI f ö I d i , Materialien zur Klassifizierung der gleichzeitigen Nachahmungen<br />

von römischen Münzen aus Ungarn und den Nachbarländern,<br />

UI. Nachahmungen römischer Goldmedaillons als germanischer Halsschmuck<br />

(mit Beitr. v. W. Antoniewicz u. R. Gaettens), in: Numizmatikai<br />

Közlöny 28-29 Eufolyam 1929/30 (Budapest 1933), S.10-25 mit Anhang<br />

S.26-28: W. Antoniewicz, Der Fund von Boroczyce.<br />

4tl A lf ö I diS. 17.<br />

41 D öl ger in Byzant. Ztschr. 33, S.470.<br />

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63


stantins d. Gr. von 330-333 mit den späteren Goldsiegeln bestärkte<br />

ihn in seiner Vermutung 42 •<br />

Die Sonderverwendung des Siegels im Goslarer Fall, seine Verarbeitung<br />

zu ein'em Kelch, zeigt, daß es offenbar mit dem Pergament<br />

nicht verbunden war, daß es sich also nicht um ein angehängtes<br />

Siegel, sondern um ein bei g e g 'e ben e s im D ö I ger schen Sinne<br />

handelt, das natürlich zugleich mit einem zusammenhaltenden Faden<br />

den Verschluß des Rotulus bewirkte, aber nach der Entfernung des<br />

Verschlusses mit der Urkunde nicht m'ehr im Zusammenhang stand<br />

und seinen eigenen Schicksalsweg gehen konnte, der, wie Goslar<br />

zeigt, oft sehr seltsam gewesen sein mag. Dar u m also die vielfache<br />

Nichterwähnung von Goldsi'egeln bei der Beschreibung von<br />

Auslandsbriefen 43 • D a her auch das konsequente Schweigen über<br />

eine aurea bulla bei den päpstlichen Rotuli im Katalog des Ameli0 4 4,<br />

während dort die Litterae patentes des Michael VIII. Palaiologos<br />

und Andronikos H. ausdrücklich als "bulla aurea bullate" aufgeführt<br />

sind 45 •<br />

Diese den Auslandsbriefen beigegebenen größeren und gewichtigeren<br />

Bildsiegel, für die die Goslarer überlieferung bezeichnenderweise<br />

ein beträchtliches Gewicht vermerkt - die unmögliche<br />

Gewichtsangabe der deutschen Fassung 46 dürfte auf Konto der b'ereits<br />

von W eil a nd 47 konstatierten Phantasie ihres Autors zu<br />

setzen sein -, sind aber offenbar nicht erst, wie D öl ger 4R vermutet,<br />

"seit dem Ende des 9. Jh. im byzantinischen Urkundenwesen<br />

eingeführt". Sie wurden bereits ,von Karl d. Gr. spätestens 803 übernommen<br />

49 , der sie maßgeblich für die Zukunft als angehängte Gold-<br />

42 D ö I ger, Aus den Schatzkammern S. 317 Anm. 5.<br />

4. D Ö I ger, Der Kodikellos S. 33 Anm. 3.<br />

44 Den i f I e S. 98; 0 h n S 0 r g e, Ein Beitrag S. 372 f.<br />

45 De n i f I e S.98 Anm.l; 0 h n so r g e, Ein Beitrag S.373 Anm.1.<br />

46 22 Mark; vgl. F. Fr i e den s bur g , Münzkunde und Geldgeschichte<br />

der Einzelstaaten (B el 0 w - M ein eck e s Handb. d. mal. u. neuer.<br />

Gesch. IV,3, Bln.-Mchn. 1926), S. 23: Gewichtsmark = 215,5 g; Kaufmannsmark<br />

= 200 g .<br />

. • 7 W eil a n d p.588. 48 D ö I ger, Aus den Schatzkammern S.317.<br />

48 W. Oh n s or g e. Legimus; die von Byzanz übernommene Vollzugsform<br />

der Metallsiegeldiplome Karls d. Gr., in: Festschr. E. E. Stengel (Weimar<br />

1951), S. 21 ff. Auch an dem sog. Kaiserbrief von St. Denis in Paris sind,<br />

wie ich mich 1943 persönlich überzeugte, Siegelspuren nicht festzustellen<br />

(vgl. auch D ö 1 ger, Facsimilcs Nr.2 und der sei b e, Europas Gestaltung<br />

im Spiegel der fränkisch-byzantinischen Auseinandersetzung des<br />

9. Jhs., in: Der Vertrag von Verdun 843, hrsg. von Theodor M a y e r<br />

[Lpz. 1943], S. 242 Anm. 101; meine daselbst angeführte, 1943 fertiggestellte<br />

Arbeit über den Kaiserbrief konnte wegen der notwendigen Tafelbeilagen<br />

bislang leider nicht gedruckt werden).<br />

64<br />

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gleichzeitigen Papstbullen haben einen größeren Durchmesser<br />

(26 mm). Otto IH. ahmte die ihm bekanntgewordene Gepflogenheit<br />

des byzantinischen Urkundenwesens im in n e ren Verkehr nach, in<br />

dem Moment, als er durch Arnulf von Mailand um eine Porphyrogennete,<br />

eine Tochter Konstantins VIII. warb 57 • D öl g e r 58 und<br />

Va s i I i e v 59 stimmen mit mir gegen S ehr a m m 60 darin überein,<br />

daß Ottos "byzantinisch be einfluß te Haltung in der Tat ... weit<br />

stärk'er durch die byzantinische Rivalität als durch die antik-römische<br />

Herrschaftsidee bestimmt wurde". Daß das letzte Metallsiegel<br />

Ottos IH. in der ikonographischen Ausgestaltung des Revers Päpstliches<br />

übernimmt, ist eine andere Sache und zeigt erneut di'e Selbständigkeit<br />

des Westens gegenüber der byzantinischen Anregung;<br />

letztere ließ übrigens der mit Konstantinopel auf weniger vertrautem<br />

Fuße stehende Heinrich H. bezeichnenderweise alsbald wieder<br />

zugunsten der abendländischen Tradition fallen, die ein'en Unterschied<br />

der Metallbulle im internen und externen Schriftverkehr<br />

nicht kannte. Inwiefern die Goldbulle des byzantinischen Chrysobulls<br />

mit der Goldbulle der Rotuli dem Mo t i v nach zusammenhängt,<br />

kann auf Grund des heute bekannten Materials noch nicht<br />

endgültig gesagt werden. Glaubte D öl ger 1933 61 eine ikonographische<br />

Entwicklung vom Brustbild zum Standbild feststellen zu<br />

können, so haben die neuen Veröffentlichungen von R 0 u i 11 a r d<br />

und C 011 0 m p 62 dem widersprochen. "Eine völlig geradlinige Entwicklung<br />

des Goldsiegelbildes läßt sich für die frühere Zeit nicht<br />

erweisen; der Typus der Kaiser b ü s t e ist zwar wohl, worauf<br />

wieder der Zusammenhang mit den Medaillons führen würde, der<br />

älteste, doch zeigt das älteste bisher bekannte Goldsiegel (von Konstantin<br />

IX. v. J. 1052) den Kaiser schon stehend, Christus thronend,<br />

während auf dem erwähnten zweitältesten, demjenigen Michaels VII.<br />

v. J. 1057, Christus in Büste dargestellt ist und die Goldsiegel des<br />

Nik'ephoros Botaneiates (1078-1081) und Alexios 1. (1081-1118) in<br />

57 P. E. Sc h r a m m, Kaiser, Basileus und Papst in der Zeit der<br />

Ottonen, in: Hist. Ztschr. 129 (1923), S. 471 ff.<br />

58 D Ö 1 ger in Ztschr. d. Savignystiftg. f. Rechtsgesch., Germ. Abt. 67<br />

(1950), S. 462; daraus das nachstehende Zitat.<br />

59 A. A. Va s i 1 i e v , Histoire de l'empire byzantin 1 (Paris 1932), S. 435<br />

mit Anm. 2.<br />

60 P. E. Sc h r a m m, Kaiser, Rom und Renovatio 1 (Lpz.-Bln. 1929)<br />

S.114.<br />

66<br />

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61 D Ö 1 ger in Byzant. Ztschr. 33 (1933), S.470.<br />

81 Vgl. Anm.52.<br />

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dieser Hinsicht noch einen bunten Wechsel aufweisen 63 ." Auch das<br />

deutet darauf hin, daß Auslandsbriefsiegel und Chrysobullsiegel<br />

vom 10. bis 12. Jahrhundert eine Zeitlang nebeneinander gestanden<br />

haben, bis schließlich nach einer Überlieferungslücke vom Ende des<br />

12. Jahrhunderts bis zum dritten Viertel des 14. Jahrhunderts die<br />

Chrysobullsiegel einen Durchmesser von 3-4,7 cm haben 64 •<br />

Führen schon diese Betrachtungen über das Goldsiegel des Auslandsschreibens<br />

in den größeren Zusammenhang der west-östlichen<br />

Beziehungen, so ist die Nachricht der Goslarer Quelle besonders<br />

bedeutsam, weil sie di'e oben ausgeschriebene, auf Adalbert zurückgehende<br />

Angabe Adams von Bremen über Heinricr.s IH. Verhältnis<br />

zu Byzanz charakteristisch unterstreicht. So gründlich hat er sich<br />

die byzantinische Anschauung von der Allgewalt des Monokrators<br />

zum Vorbild genommen, daß er im Vollgefühl seiner eigenen kaiserlichen<br />

Würde ohne Respekt vor der Integrität einer Urkunde des<br />

Basileus - die im Osten der Destinatär ehrfürchtig zu küssen<br />

pflegte, ehe er sie mit der Hand b'erührte 65 - das goldbeschriebene<br />

Purpurpergament des Kaisers Konstantinos IX. Monomachos 'oder,<br />

wie wir sahen, vielmehr nur die erste griechische Hälfte des Auslandsbriefes<br />

zur Verwendung als palla altaris in seiner Stiftung<br />

SS. Simon und Judas bestimmte und das dem. Rotulus beigegebene<br />

Goldsiegel zu einem Kelch für eben diese Kirche ,verarbeiten ließ.<br />

Man wertet den kostbaren byzantinischen Auslandsbrief in seiner<br />

Singularität, aber verwendet ihn ohne Skrupel ganz nach eigenem<br />

Ermessen, und zwar charakteristischerweise zum Dienste Gottes.<br />

Heinrich fühlt sich als der Römische Kaiser in der spezifischen Bedeutung<br />

des Wortes; Konstantin ist demgegenüber nur der imperator<br />

Grecorum 66 • Wieder kann hierfür der auf Adalbert sich stützende<br />

Adam Zeuge sein. Der Vergilvers: "Parcere subiectis et debellare<br />

superbos" steht unmittelbar vor dem oben mitgeteilten Passus des<br />

Cap. 32 des 3. Buches bei Adam. Er ist natürlich im Zusammenhang<br />

der bekannten Vergilstelle: "Tu regere imperio populos, Romane,<br />

memento ... " verstanden und empfunden und bedeutet eine Huldigung<br />

an das Römische Kaisertum Heinrichs, gegen den der imperator<br />

Grecorum kontrastiert ist. Dabei weiß Adam sehr wohl um<br />

den Römerstolz der Griechen im Sinne des Bürgergesetzes des<br />

83 D Ö 1 ger, Aus den Schatzkammern S. 317 Anm. 5.<br />

114 D Ö 1 ger. ebd. S.317.<br />

85 D öl ger. Die Kaiserurkunde S. 234.<br />

86 0 h n s 0 r g e, Zweikaiserproblem S. 33 et passim.<br />

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67


Caracalla von 212 67 ; und daß auch Heinrich darum wußte, beweist<br />

die Tatsache, daß er sich Konstantinopel gegenüber, trotz der sehr<br />

weitläufigen Verwandtschaft, seiner angeblichen griechischen Abstammung<br />

von Theophanu her rühmte 68 • "Glücklich" waren Adalbert<br />

und Heinrich darüber, die Aufmerksamkeit des Ostens erregt zu<br />

haben. Die politische Verbundenh'eit mit dem Osten, Bewunderung<br />

vor seiner Kultur, aber zugleich auch der Stolz, nicht weniger, sondern<br />

mehr zu sein als Byzanz, vereinen sich in eigentümlicher<br />

Mischung in dem römischen Kaiserbegriff des 11. Jahrhunderts 69 •<br />

Auf einem gewissen Gemeinschaftsbewußtsein mit dem Osten,<br />

auf dem Gefühl, in einen größeren, Byzanz mit umfassenden Rahmen<br />

des politischen Geschehens hin'einzugehören, beruht die bisher zu<br />

wenig beachtete Tatsache, daß während des früheren Mittelalters,<br />

seit dem 9. Jahrhundert, die im byzantinischen Machtbereich übliche,<br />

jedermann freistehende Verwendung von Bleibullen 70 im Westen<br />

gerade durch Kirchenfürsten 71 , bezeichnenderweise auch durch Adalbert<br />

und Liemar ,von Bremen 72 , aufgegriffen wird, während dem<br />

Abendland von Hause aus das Wachssiegel eigen ist. Di'e Verwendung<br />

der Bleibulle kann in gewissem Sinne als Gradmesser byzantinischen<br />

Denkeinflusses im Westen gewertet werden. Erst nach der<br />

Beendigung des Zeitalters des Doppelkaisertums von 803 bis 1204,<br />

in dem sich die Gemeinschaft der romanischen und germanisch'en<br />

Völker aus einem größeren Zusammenhang des geschichtlichen<br />

67 Adam lib. 3 c. 27 p.170: "Ipse (Adalbert) indulsit, ut iam non Latino<br />

more vellet ecclesiastica obire mysteria, sed nescio qua Romanorum sive<br />

Grecorum consuetudine fultus per tres missas, ubi astitit, XII modulari<br />

officia precepit."<br />

6S In meinem Zweikaiserproblem ist mir S.77 bei der Bestimmung des<br />

Verwandtschaftsgrades der Liutgard infolge einer Undeutlichkeit der Tafel<br />

bei Sc h r a m m, Die deutschen Kaiser S.226, leider ein Irrtum unterlaufen.<br />

- Adam bezeugt für Heinrich III. dieselbe Anschauung vom<br />

"summus Grecorum sanguis", mit der Gerbert Otto IH. apostrophiert; vgl.<br />

J. Ha ve t, Lettres de Gerbert (Paris 1889) App. II p.237 und C. Erdman<br />

n, Das ottonische Reich als Imperium Romanum, in: Dt. Archiv für<br />

Gesch. d. MA. 6 (1943), S.424. Heinrich war genau wie Otto der überzeugung:<br />

"Grecos imperio superare" und dürfte auch von sich gesagt haben:<br />

"Nostrum est Romanum imperium."<br />

69 0 h n s 0 r g e, Zweikaiserproblem S. 78 ff.<br />

70 H, B res s lau, Handbuch d. Urkundenlehre 2, 2 (2. Auf!. hrsg.<br />

v. H. W. K lew i t z, Bln.-Lpz. 1931), S.562; D Ö 1 ger, Aus den Schatzkammern<br />

S. 316.<br />

71 B res s lau S. 565.<br />

72 B res s lau S.565 Anm, 7; seine Bedenken hinsichtlich Adalberts<br />

teile ich nicht.<br />

68<br />

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Lebens herausschält, weiß die Kurie ihr Reservatrecht der Blei bulle<br />

im Abendlande 73 durchzusetzen.<br />

Konrad 11. hatte 1027 unmittelbar nach seiner Kaiserkrönung die<br />

Beseitigung des Doppelkais'ertums durch eine politische Heirat seines<br />

zehnjähTigen Sohnes mit einer der den Fünfzigern nahen Töchter<br />

des söhnelosen Kaisers Konstantinos VIII. ernstlich ins Auge gefaßt7<br />

4 • Von frühester Jugend an hatte sich also das Denken Heinrichs<br />

III. im abendländisch-byzantinischen Gesamtraum bewegt.<br />

Nachdem die Hoffnung auf eine Wiederherstellung der Einheit des<br />

Imperiums gescheitert war, war Heinrich III. von der Prävalenz<br />

seines Kaisertums gegenüber Byzanz im Sinne der auf Leo IH. zurückgehenden<br />

75 , durch Otto 11. seitens der deutschen Herrscher übernommenen<br />

römischen Kais'eridee durchaus durchdrungen, wußte<br />

jedoch auch die bevorzugte Stellung des auf das alte Rom gegründeten<br />

Ost reiches und seiner Kultur im Konzert der politischen Mächte<br />

zu werten. Ein Ausdruck dieser inneren Haltung 76 ist seine Behandlung<br />

des nach Goslar überlassenen Auslandsschreibens des Konstantin<br />

os IX. Monomachos und seines ihm beigegebenen Siegels.<br />

73 B res s lau S. 564, S. 566.<br />

74 H. B res s Ia u, Jahrbücher des Deutschen Reiches unter Konrad II., 1<br />

(Lpz. 1879), S. 234 ff. nach Forschungen zur dt. Gesch. 10 (1875), S. 605 ff.;<br />

Schlumberger S.43f.; J. R. Tanner - C. W. Previte-Orton<br />

- Z. N. B r 0 0 k e, The Cambridge Medieval History 4 (Cambridge 1923),<br />

S.97; Sc h r am m, Kaiser, Basileus und Papst S.474.<br />

75 W. 0 h n so r g e, Die Konstantinische Schenkung, Leo IH. und die<br />

Anfänge der kurialen römischen Kaiseridee, in: Ztschr. d. Savignystiftg.<br />

f. Rechtsgesch., Germ. Abt. 68 (1951), S. 78 ff.<br />

76 über Heinrichs äußere Haltung Byzanz gegenüber vgl. A. Mi ehe I ,<br />

Humbert und Kerullarios 1 (= Quellen und Forschungen aus dem Gebiete<br />

der Geschichte hrsg. v. d. Görresgesellschaft 21, [Paderborn 1924], S. 30 ff.).<br />

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69


Heinrich der Löwe<br />

im Spiegel der ausländischen Quellen des Mittelalters<br />

Von<br />

Willi Rasche<br />

Heinrich der Löwe, eine der bedeutendsten Gestalten des deutschen<br />

Mittelalters, hat naturgemäß seit seinen Lebzeiten starke<br />

Beachtung bei den Geschichtsschreibern gefunden. Wie für das<br />

Studium der deutschen Geschichte des 12. Jahrhunderts die Fülle der<br />

reichsdeutschen Quellenzeugnisse von Wichtigkeit istt, so wesentlich<br />

ist für die Abrundung des Bildes der Persönlichkeit des Welfen ein<br />

Blick auf die ausländischen QU'ellen. Im folgenden soll daher aufgezeigt<br />

werden, wie der Westen und der Norden, vornehmlich Engländer<br />

und Dänen, den Löwen sah.<br />

Die i n I ä n dis ehe n Quellenzeugnisse des Mittelalters lassen<br />

sich in folgenden Gruppen zusammenfassen: Unter den Z ei tgen<br />

0 s 5 e n nehm'en Rahewin, der Gehilfe und Fortsetzer Ottos<br />

von Freising, im Süden und Helmold im Norden die erste Stelle<br />

ein. Aus Rahewins Feder stammt die berühmte Charakteristik, die<br />

uns ein anschauliches Bild Heinrichs des Löwen vermittelt!. Sie erfährt<br />

eine Ergänzung durch die nüchternere Schilderung der Person<br />

des Welfen b'ei dem Italiener Acerbus Morena s . Helmold von Bosau<br />

beschreibt in seiner Slawenchronik das Kolonisationswerk jener<br />

Zeit und betont darin die einzigartige Machtstellung seines Herrn<br />

und Herzogs gegenüber Sachsen und Dänen 4 •<br />

1 Vgl. Ursula Jen t z s eh, Heinrich d. L. im Urteil d. deutschen Gesch.<br />

schreibung von seinen Zeitgenossen bis zur Aufklärung, Beitr. z. mittelalt.<br />

u. neuen Geschichte 11 (Jena 1939).<br />

2 Rahewin hebt u. a. hervor: Heinrichs kaiserliche Abstammung, körperliche<br />

Kraft, Geistesstärke, Hervorragen in Zucht und Wettstreit, Ruhm,<br />

Unbestechlichkeit, Wahrung von Ordnung und Frieden. - Ottonis et<br />

Rahewini Gesta Friderici 1. Imperatoris IV, 46 ed, B. v. Si m s 0 n (MG. SS.<br />

rer. Germ., 3. Aufl., Hannoverae 1912) p.286. '<br />

8 Acerbus Morena sagt kaum etwas über geistige und charakterliche<br />

Eigenschaften. - Das Geschichtswerk des Otto Morena und seiner Fortsetzer<br />

über die Taten Friedrichs 1. in der Lombardei ed. F. G ü t erb 0 c k<br />

(MG. SS. rer. Germ. Nova Series 7, Berlin 1930) S, 169.<br />

4 Helmolds Slawen chronik ed. B. Sc h m eid 1 e r (MG. SS. rer. Germ.,<br />

3. Auf!. Hannover 1937).<br />

70<br />

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Die G e s chi c h t s w 'e r k e der e r s t e n H ä 1 f ted e s<br />

1 3. Ja h r h und e r t s schöpfen bereits zum großen Teil aus heute<br />

verlorenen Primärquellen. Vor allem aber stehen sie ganz unter<br />

dem Eindruck der Entzweiung zwischen Kaiser und Herzog, und sie<br />

gehören aUe zu einer der beiden Parteien (Staufer oder Welfen),<br />

die einander heftiger als je zuvor bekämpfen. Gewiß nahmen vorher<br />

u. a. die Kölner Königschronik, Giselbert von Mons und besonders<br />

Gottfried von Viterbo auch schon leidenschaftlich gegen Heinrich<br />

den Löwen Stellung. Aber gegenüber der ursprünglicheren Darstellungs<br />

art der Zeitgenossen macht sich nun eine stärkere Wertung<br />

und Reflexion über die Ereignisse bemerkbar. Zu beachten ist auch<br />

das legendäre Element, das schon ab 1200 in die Berichte über den<br />

Herzog eindringt und sich von da ab ständig ausbreitet. So werden<br />

die Gründe für Heinrichs Hilfsverweigerung im Jahre 1176 angeführt:<br />

allzu große Verluste der Leute Heinrichs in früheren Kämpfen<br />

vor Crema und Mailand (Marbacher Annalen), Konspiration<br />

Heinrichs mit dem italienischen Feind (Otto von St. Blasien und<br />

Lauterberger Chronik), Bestechung und die Exkommunizierung des<br />

Kaisers (Burchard von Ursberg), Heinrich gibt vor, schon ein Greis<br />

und durch die dauernden Kämpfe zu sehr geschwächt zu sein (Arnold<br />

von Lübeck). Heinrich soll sogar seinen Vetter Friedrich zum<br />

Kaiser gemacht haben (Chronik des Lüneburger St.-Michaelis­<br />

Klosters). Arnold von Lüb'eck vertritt die Sache des Herzogs wie<br />

früher sein Vorgänger Helmold. Erfurter Quellen geben dagegen<br />

der Stimmung der mitteldeutschen Fürsten Ausdruck und bezeichnen<br />

ihn als Reichsfeind, Kirchen- und Armenbedrücker.<br />

Die 5 ä c h si s ehe W e I t ehr 0 n i k Eikes von Repgow ist in<br />

mehrfacher Hinsicht von besonderer Bedeutung. Abgesehen davon,<br />

daß sie in den dreißiger Jahren des 13. Jahrhunderts von einem<br />

Nichtgeistlichen in deutscher Sprach'e :verfaßt wurde 5 , bedeutet sie<br />

, auch für unser Thema einen Wendepunkt. Eike selber will in der<br />

A-Rezension Reichsgeschichte schreiben und nimmt dementsprechend<br />

auch gegenüber Heinrich dem Löwen eine selbständige, nach Recht<br />

und Wahrheit suchende Stellung ein. In der 1248, wahrscheinlich<br />

von einem Mönch des Welfenklosters St. Michaelis in Lüneburg, verfaßten<br />

C-Rezension tritt uns demgegenüber eine von der welfischen<br />

Hausmacht beeinflußte Darstellung entgegen. Diese Rezension leitet<br />

5 Vgl. dazu H. Ba 11 s c h m i e d e, Die Sächsische Weltchronik, Niederdeutsches<br />

<strong>Jahrbuch</strong> 30 (1914) S. 81 ff und W. M ö 11 e n b erg, Eike von<br />

Repgow, HZ. 117 (1917) S. 387 ff.<br />

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71


damit zu ein'er neuen Art der Geschichtsschreibung über, die um die<br />

Mitte des 13. Jahrhunderts allgemein zu beobachten ist und ihren<br />

Ursprung zum großen Teil in dem schnellen und tragischen Ende<br />

der staufischen Reichsgewalt hat: Betonung und Beschränkung auf<br />

die Landesgeschichte. Diese Tendenz erhält in Braunschweig besondere<br />

Impulse durch die 1235 erfolgte Konstituierung des Herzogtums<br />

Braunschweig-Lüneburg. So entstehen in diesem alten Welfenzentrum<br />

eine Reihe von Chroniken, die in diesem Zeitabschnitt di'e<br />

Geschichtsschreibung über Heinrich den Löwen beherrschen. Das<br />

bedeutendste Werk dieser Gruppe ist die B rau n s c h w e i gis c he<br />

Re im c h r 0 n i k. Sie verbindet in großartiger Weise Preis und<br />

Lob des von ihr besungenen Herzogs mit gerechter Wertung, deren<br />

Grundlage der Verfasser, ein Braunschweiger Kleriker, im Walten<br />

eines unergründlichen Schicksals findet. Kaiser und Herzog und ihre<br />

Handlungsweise werden von Gott geleitet. So tut Heinrich der Löwe<br />

Unrecht, ohne aber letzten Endes schuldig zu sein. Für Heinrich<br />

sprechen ja auch all die vielen Werke, die er zur Ehre Gottes und<br />

zur Manifestation des eigenen Lebenswillens schuf. Nicht zufällig<br />

entsteht daher diese Quelle gerade in Braunschweig, die eigentlich<br />

als 'einziges Quellenzeugnis eine gewisse Gesamtschau des Wirkens<br />

Heinrichs des Löwen gibt, wenn auch unter welfischem Vorzeichen.<br />

Schönheit und Bedeutung der Braunschweigischen Reimchronik werden<br />

nie wieder erreicht, so oft sie auch ausgeschri'eben wird.<br />

Den s p ä t mit tel alt e r li c h e n Q u e 11 e n z e u g n iss e n<br />

fehlt wieder die einheitliche Konzeption; sie fallen in die Einzelheiten<br />

zurück. Diese wiederum werden immer mehr entstellt und<br />

von Sagenmotiven verdrängt. Die unkritisch'e Darstellungsart, mit<br />

der alles Gelesene oder Gehörte überliefert wird, erhebt sich nie<br />

mehr über eine parteiisch'e Stellungnahme hinaus, ja meistens kümmert<br />

man sich nicht einmal um diese. Lobendes und Schmähendes,<br />

Verteidigung und Anklage stehen nebeneinander. Politisch-historisches<br />

Urteil hat der Freude am behaglichen Erzählen weichen<br />

müssen. Wie schon in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, liegt<br />

nun während des gesamten Spätmittelalters das Schwergewicht der<br />

Aufzeichnungen über Heinrich den Löwen in Norddeutschland. Von<br />

den Sagenmotiven, die alle dazu dienen sollen, den offenbar unfaßbaren<br />

Zwist zwischen Kaiser und Herzog zu erklären oder doch<br />

wenigstens begreiflich zu machen, seien nur einige genannt: Kaiserin<br />

und Herzogin sollen um Schmuckgegenstände in Streit geraten sein,<br />

der sich später auf die Männer übertrug (Herford). Heinrich der<br />

72<br />

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Löwe wird des Mordes an Thomas a Becket, Erzbischof von Canterbury,<br />

verdächtigt, und der Kaiser soll schon während Heinrichs<br />

Wallfahrt (1172) die sächsischen Großen gegen den Herzog aufgewiegelt<br />

haben (Gobelinus Person). Einen Höhepunkt in der Verdrehung<br />

und Verschüttung der Tatsachen bedeutet Hermann Korners<br />

Chronica Novella (erste Hälfte des 15. Jahrhunderts). Daß Heinrich<br />

der Löwe Barbarossa zum Kaiser gemacht habe, wird mehrfach<br />

wiederholt. Aus Heinrichs Wallfahrt machen die Chronisten einen<br />

Kreuzzug. Bei den Kämpfen zwischen Kaiser und Herzog im Jahre<br />

1181 bieten sie die Könige und Fürsten halb Europas auf (Korner<br />

und Chronicon Luneburgicum vernac, Sax. infer. dia!.), In dieser Art<br />

wird auch über das Ende des Mittelalters hinaus weiter fabuli'ert.<br />

Immer neue Motive drängen sich ein, ein Beweis, wie stark Heinrich<br />

der Löwe in Norddeutschland in der Erinnerung des Volkes fortgelebt<br />

haben muß.<br />

So ergibt eine rückschauende Betrachtung der deutschen Quellen<br />

des Mittelalters, daß das Bild Heinrichs des Löwen im Laufe der<br />

Jahrhunderte einer ständigen Wandlung unterliegt, d. h. das<br />

Schwergewicht wird von den Tatsachen auf das Legendäre, Sagenhafte<br />

am Leben und Wirken des Welfen verschoben. Bei der spärlichen<br />

Nachrichtenübermittlung der damaligen Zeit ist das Auftauchen<br />

zunächst ganz unabsichtlich entstellender Darstellungen<br />

kaum verwunderlich. Der beschränkte Gesichtskreis der Chronisten<br />

und die unvollkommene Kenntnis der geographischen Räume und<br />

der Personen trugen dazu bei. Folgende drei Momente waren diesem<br />

Vorgang aber noch besonders förderlich: 1. Der "Verrat" Heinrichs<br />

des Löwen am Kaiser und die Niederwerfung des mächtigen<br />

Herzogs wurden als so ungeheuerliche Ereignisse angesehen, daß<br />

man sich immer wieder damit beschäftigte und, da die Gründe für<br />

Heinrichs Weigerung nicht klar zutage lagen, alle möglichen Deutungen<br />

versuchte. 2. Das verstärkte Wiederaufleben des staufischweifischen<br />

Gegensatzes in der nächsten Generation führte zu bewußter<br />

übertreibung bzw. Entstellung im Dienste der streitenden<br />

Parteien. 3. Die geradezu einzigartige Machtstellung Heinrichs des<br />

Löwen und seine allgegenwärtige, unermüdliche Tatkraft ließen ihn<br />

schon vor dem Konflikt als einen außergewöhnlichen Menschen erscheinen.<br />

Von hier aus war es nur noch ein kleiner Schritt, bis man<br />

ihm Wunder und übermenschliche Kräfte zutraute. Damit waren<br />

viele Motive zur Legendenbildung gegeben. Beiname, Löwenstandbild<br />

und Wallfahrt taten das Ihre dazu. So kam es, daß bald bereits<br />

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73


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nur kurz erwähnt7. Diese Hervorhebung der äußeren Macht, des<br />

Besitzes und Glanzes des Welfen erfährt noch eine Verstärkung<br />

und eine Erklärung zugleich, wenn wir weiter nach Westen zu den<br />

N 0 r man n engehen. R 0 b 'e r t u s deM 0 n t e und S t e p h a n<br />

von R 0 u e n sind hier die Kronzeugen des einzigartigen Glanzes,<br />

der Pracht und der unermeßlichen Güter des Herzogspaares. Mit<br />

fast den gleichen Worten wie die Annalen von Egmond weist Robert<br />

bei den gleichen Gelegenheiten voll Stolz auf diese sichtbaren Zeichen<br />

der hohen Stellung und des großen Wohlstandes hin s . Stolz<br />

ist der Chronist, da di'e Herzogin die Tochter und der Herzog der<br />

Schwiegersohn seines eigenen königlichen Herrn, Heinrichs 11. von<br />

England, ist. Das geht noch viel deutlicher aus den Worten Stephans<br />

von Rouen hervor, der Robert in seinen Lobpreisungen des Herzogs<br />

und besonders der Herzogin und der Hervorhebung ihres Vermögens<br />

noch übertrifft. Stephan gibt uns auch die Begründung, weshalb<br />

Heinrichs des Löwen Ehre nicht geringer ist als die des mit ihm<br />

verwandten Kaisers: "Denn des Königs (Heinrichs H.) Schwiegersohn<br />

ist er, dessen Tochter er sich vermählte; nur um so berühmter<br />

ist er durch solch eine Ehe geworden"9. Hier ist der innere Zusammenhang<br />

ganz deutlich: in der Huldigung an die Königstochter<br />

und Herzogin Mathilde bezeigen di'e normannischen Chronisten auch<br />

dem Herzog ihre Ehrerbietung und umgekehrt. Stets und vor allem<br />

aber schreiben und reden sie zur Ehre und zum Ruhme dessen,<br />

durch den - nach ihrer Ansicht - das Herzogspaar erst die letzte<br />

Erhöhung seines Ansehens erhalten hat, zum Ruhme ihres eigenen<br />

Königs, des mächtigen Herrschers des anglonormannischen Doppelreiches.<br />

So gibt Robert Heinrich dem Löwen auch noch Schwaben<br />

zu den heiden Herzogtümern Sachsen und Bayern. Und auf seiner<br />

Wallfahrt hätte der Herzog im Heiligen Lande noch vieles begonnen<br />

und vollendet, wenn der König (von Jerusalem) und die Tempelherren<br />

sich nicht entgegengestellt hätten, erklärt der Chronistl°.<br />

Er zeigt aber auch, daß König Heinrich von England seine Gunst<br />

an keinen Unwürdigen verschwendet; denn "kein anderer Mensch<br />

hat so großen Besitz (wie Heinrich der Löwe), Wenn er nicht Kaiser<br />

7 Anna1es Egmundiani (MG. SS. 16) p, 466 ff.<br />

8 Roberti de Monte cronica. (MG. SS. 6) p,516.<br />

9 Stephani Rothomagensis Normannicus Draco. (MG. SS, 26) p. 171.<br />

10 MG. SS. 6, p. 521 f - M. Phi 1 i pp s 0 n, Heinrich d. L., Sein Leben<br />

und seine Zeit (2. Auf!.. Leipzig 1918) S.388 knüpft m. E. zu weitgehende<br />

Folgerungen an diese Äußerung Roberts, die doch ziemlich allgemein gehalten<br />

ist.<br />

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75


Betrachten wir zunächst die Hauptquelle, die Ge s t a He nr<br />

i ci II. e tRi c a r d i 1., deren unbekannter Verfasser in der Nähe<br />

des königlichen Hofes zu vermuten ist, so suchen wir vergeblich<br />

die überschwenglichen Lobpreisungen der Normannen. Vor den<br />

Kämpfen mit dem KaiS'er wird Heinrich der Löwe überhaupt nicht<br />

erwähnt. Der allgemeine Ton ist überraschend sachlich und die<br />

Stellungnahme neutral. Wohl lesen wir, daß der Kölner Erzbischof<br />

den Herzog "fälschlich anklagt", um nicht zu sagen "verleumdet".<br />

Aber es finden sich viele für Heinrich den Löwen nachteilige Be-·<br />

merkungen. Klar und deutlich heißt es, daß der Herzog gegen den<br />

Eid, den er seinem kaiserlichen Herrn geschworen hatte, aus der<br />

zweiten Verbannung zurückkehrt. Und gemäß dem Bericht über<br />

Kämpfe und Prozeß fürchtet er den Urteilsspruch und wagt nicht,<br />

vor Gericht zu erscheinen. Dagegen werden die Beschuldigungen,<br />

die Barbarossa gegen den Vetter .vorbringt, ausführlich wiedergegeben.<br />

Selbst als Friedrich - der Quelle nach gegen sein König<br />

Heinrich Ir. gegebenes Wort - dem auf Gnade hoffenden Herzog<br />

diese nicht gewährt, fehlt jeder Angriff gegen ihn. Das Bild Heinrichs<br />

VI. ist sogar äußerst positiv: sofort bei seines Vaters Tod gibt<br />

er dem Herzog alle seine Besitzungen zurück, ja noch zehn gute<br />

Burgen dazu l6 • Wo ist des Löwen sonst so hochgerühmte Tatkraft<br />

geblieben? Immer handelt nur sein Schwiegervater für ihn. Er<br />

selber kehrt im Jahre 1183 "confusus" aus Deutschland zurück.<br />

Auch der herzliche Empfang des Verbannten durch König Heinrich,<br />

die reichlich für ihn bereitgestellten Mittel und die Teilnahme an<br />

den Hoftagen vermögen nicht darüber hinwegzutäuschen, daß Heinrich<br />

der Löwe ohne alle rühmenden Prädikate genannt wird. Natürlich<br />

wird in dieser Quelle, die dem Thron so nahe steht, mit<br />

Achtung von ihm als dem Königsschwiegersohn gesprochen. Aber<br />

zwischen den Zeilen ist zu lesen, daß er keine reale Macht mehr<br />

verkörpert.<br />

Es sind nicht viele englische Quellen außer den Gesta Henrici,<br />

die sich mit Heinrich dem Löwen befassen. Die wenigen aber genügen,<br />

um zu zeigen, daß ein enger Zusammenhang besteht zwischen<br />

der Stellung der Chronisten zur anglonormannischen Dynastie<br />

und ihrer Einstellung zum Welfenherzog und Königsschwiegersohn.<br />

Zwei von ihnen, Roger von Hoveden und Radulf von<br />

16 Gesta Henrici Secundi Benedicti Abbatis ed. W. S tub b s (London<br />

1867) 1, S. 249 f, 288, 310, 318 f, 322 fund 2, S. 56, 92, 145.<br />

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Die e t 0, geben unzutreffende Berichte über die Vorgänge. Soweit<br />

sich Roger nicht an seine Vorlage, die Gesta Henrici, hält, bringt er<br />

eine völlig unhaltbare, fabulöse Begründung für den Zwiespalt<br />

zwischen dem Welfen und dem Kaiser. Fast noch weiter von den<br />

Tatsachen weg entfernt sich Radulf. Ein eindeutiges Urteil für oder<br />

wider Heinrich den Löwen fällt weder der eine noch der andere.<br />

Radulf scheint schlecht orientiert zu sein, obwohl er als Dekan von<br />

St. Paul in der Hauptstadt London schreibt. Er hat keine enge Verbindung<br />

zur Krone. Daher interessiert ihn Heinrich der Löwe als<br />

Ausländer auch erst, als er während der Verbannung in sein Blickfeld<br />

tritt. Für oder wider den Herzog Partei zu ergreifen, ist nicht<br />

die Art eines Chronisten, der selbst zwischen Heinrich 11. und<br />

Thomas Becket eine neutrale Stellung einnimmtl 7 • Ähnlich liegen<br />

die Dinge bei Roger. Als Angehöriger der Hofgeistlichkeit, dazu<br />

von König Heinrich H. mehrfach mit besonderen Aufgaben betraut,<br />

ist 'er wohl besser unterrichtet als Radulf. Dafür ist er noch vorsichtiger<br />

und schweigt, obwohl ihm die Vorgänge in der englischen<br />

Königsfamilie reichlich Anlaß zur Kritik geboten hätten und er genügend<br />

Kenntnis davon gehabt hab'en dürfte 18 • Wie sollte er da<br />

über Heinrich den Löwen eine selbständige Meinung vertreten?<br />

Das ganze Gegenteil lernen wir in Gi r al d u s C am b ren s i s<br />

(G. de Barri) und Ger v a s i u s von C an t erb u r y kennen.<br />

Geraldus bringt lange Zeit seines Lebens im engeren Dienste Heinrichs<br />

H. zu; er vereinigt so mit seiner Menschenkenntnis und seinem<br />

umfassenden Wissen einen tiefen Einblick in die Dinge bei Hofe,<br />

der ihn, den Waliser, zum scharfen Kritiker am herrschenden Königsgeschlecht<br />

werden läßt. Was Wunder, daß er auch an Heinrich den<br />

Löwen den Wesenszug herausstellt, der ihm an dessen Verwandten<br />

mißfällt, die Gewalttätigkeit?! So nennt er den Herzog in einem<br />

Atemzug mit Nero und Domitian, den beiden verhaßtesten Tyrannen<br />

der römischen Kaiserzeit, um alle drei dem jungen Prinzen Johann<br />

17 Radulfi de Diceto Decani Lundoniensis Opera Historica ed. W. Stubbs<br />

(London 1876) 2, S. 12 f - Vgl. dazu Diet, Nat. Biogr. 15, S. 12 ff, bes. S. 13<br />

oben und H. L a m p r e c h t, Untersuchungen über einige englische<br />

Chronisten des 12. und des beginnenden 13. Jahrh. (Diss. Breslau 1937)<br />

S.84 f.<br />

18 Chronica Rogeri de Hoveden ed. W. S tub b 5 (London 1868-1871) 2,<br />

S.199 f - Vgl. auch MG. SS. 27, S.145 Anm.4, Phi li p p s 0 n, a. a. 0.,<br />

S.370 und Ch. G r 0 5 5, The Sources and Literature of English History<br />

from the Earliest Times to About 1485 (2. Auft., London 1915) Nr.1800,<br />

S. 373 f.<br />

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als abschreckende Beispiele vor Augen zu führen\9. - Sollte es<br />

noch 'eines Beweises bedürfen für die enge Verquickung zwischen<br />

der Einstellung der Geschichtsschreiber zur eigenen Dynastie und<br />

zum Herzog, so erbringt ihn Gervasius von Canterbury. In seiner<br />

"mönchischen und königsfeindlichen Einstellung"20 findet er Ausdrücke<br />

schärfster Verurteilung für Heinrich den Löwen, der, nach<br />

ihm, von der mächtigen Hand Gottes vertrieben worden ist und<br />

nun seinen Lebensunterhalt erbitten muß. Das klingt anders als die<br />

Berichte, die stets des Königs freigebige und im Überftuß spendende<br />

Hand hervorhoben. In seiner Charakterisierung des Herzogs stellt<br />

Gervasius Heinrichs gute Eigenschaften den schlechten nur gegenüber,<br />

um di'e letzteren um so schärfer zu betonen: " ... seinen Adel<br />

und seinen Ruhm verdarb er durch allzu großen Geiz und Untreue.<br />

Denn er hielt beharrlich das Seine fest und war begierig auf fremdes<br />

Gut, stolz, überheblich und, was sich am wenigsten für ein'en<br />

Fürsten ziemt, er hielt kaum jemandem die Treue. Nicht einmal<br />

im Zweikampf wagte er, seine Unschuld zu beweisen"21. Welche<br />

weite Kluft zwischen dieser Charakteristik und der Rahewins!<br />

Unter den englischen Berichten über Heinrich den Löwen bedeutet<br />

Gervasius trotz vieler Mängel noch einmal einen gewissen Höhepunkt.<br />

Nach ihm läßt das Interesse am Schicksal des Herzogs schnell<br />

nach. Selbst so bedeutende Vertreter der großen Historikerschule<br />

des 13. Jahrhunderts, St. Albans in London, wie Roger de Wendover<br />

und besonders Mattheus Paris bringen nur noch kurze Bemerkungen<br />

über den Sachsenherzog. über die Zeit der Verbannung gehen sie<br />

nicht hinaus.<br />

Nicht etwa ein Verfall der Geschichtsschreibung ist der Grund<br />

dafür, daß in den englischen Quellen nichts Wesentliches mehr über<br />

Heinrich den Löwen zu finden ist, sondern ein Nachlassen des Interesses<br />

am Gegenstand. Der Herzog selber ist in England als politische<br />

Macht nicht wirksam geworden und hat deshalb kaum nachgewirkt.<br />

Das ist aus den englischen Quellen herauszulesen. Ob Heinrich dem<br />

Löwen in den Plän'en Heinrichs 11. eine andere Rolle zugedacht war,<br />

ist eine andere Frage, die wir hier nicht zu erörtern haben. Des<br />

19 Giraldi Cambrensis Expugnatio Hiberniae ed. J. F. Dirn 0 c k (London<br />

1867) S. 226.<br />

20 Vgl. Lamprecht, a.a.O., S.90f und Gross a.a.O., Nr.1730,<br />

S.348.<br />

2\ Gervasii Cantuariensis Opera Historica ed. W. S tub b s (London<br />

1879-1880) 1, S.311.<br />

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Herzogs Beziehungen zu England blieben bei der Lage der Dinge in<br />

'erster Linie personell-verwandtschaftlicher Art 22 • Allerdings gab es<br />

ein Fortwirken. Die Wahl Ottos IV. zum deutschen König wurde<br />

wesentlich von England aus betrieben und finanziert. Und in der<br />

Schlacht von Bouvines zeigten sich die Fronten klar und deutlich.<br />

Aber gerade der für die englisch-welfisch'e Sache ungünstige Ausgang<br />

dieser Schlacht und die Rückwirkungen auf das englische<br />

Königtum unter Johann trugen zu einer starken Reaktion in England<br />

gegen diese Bindungen bei. Nach allem bleibt' festzuhalten,<br />

daß fast nur die Zeitgenossen in England über Heinrich den Löwen<br />

berichten und diese ganz unter dem Blickwinkel, unter dem sie die<br />

'eigene Dynastie betrachten.<br />

Eine ganz andere Stellung als zu England 'nahm Heinrich der<br />

Löwe zu D ä ne m a r k ein. Stets waren hier die Fragen politischer<br />

Machtentfaltung maßgebend für beide Teile. Dänemark aber war<br />

der schwächere Teil. Nicht nur solange Thronwirren die dänische<br />

Macht schwächten, sondern auch unter dem tatkräftigen und klugen<br />

König Waldemar 1. erkannte es die deutsche Lehensoberhoheit an,<br />

eine Oberhoheit des deutschen Kaisers. Tatsächlich aber nahm Heinrich<br />

der Löwe die deutschen Interessen Dänemark gegenüber wahr,<br />

wie es kein Kaiser besser vermocht hätte. Wenn sich die Pläne Barbarossas<br />

und seines Vetters auch schon vor dem Zerwürfnis hier<br />

und da gekreuzt haben, hier im äußersten Norden waren die Interess'en<br />

des Herzogs stets zugleich die des Reiches 23 • Mehr als jeder<br />

kaiserliche Auftrag war die stillschweigende InteressenteiIung zwischen<br />

Kaiser und Herzog Antrieb für den Löwen. - Lange Jahre<br />

waren König Waldemar und Herzog Heinrich Verbündete gegen die'<br />

Slawen. Das Gesetz des HandeIns lag aber bei Heinrich dem Löwen.<br />

Oft genug spürten die nördlichen Nachbarn die harte Hand des unbeugsamen<br />

Welfen; und sie hätten sich ihrer lieber heute als morgen<br />

entledigt, wären sie nur stark genug gewesen, sich ohne oder<br />

gegen ihn der Slawen zu erwehren.<br />

22 Gewiß war auch Heinrichs Hochzeit mit Mathilde. wie die meisten<br />

Ehen mittelalterlicher Fürsten, aus politischen Erwägungen geschlossen<br />

worden. Aber gerade die damaligen politischen Pläne erfüllten sich bekanntlich<br />

nicht und waren zudem von anderer Seite (Fricdrich 1.) geschmiedet<br />

worden.<br />

23 Vgl. F. R ö r i g, Reichssymbolik auf Gotland. Hansische Geschichtsblätter<br />

64 (1940) S. 20: Bewußt ließ Friedrich I. den stärksten norddeutschen<br />

Fürsten auch die königlichen Aufgaben durchführen, die des Herzogs Ansehen<br />

wiederum noch weiter stärkten.<br />

6 Braunschwelgisches <strong>Jahrbuch</strong> 81<br />

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Schwierigkeiten zeigt sich der Herzog bestürzt. Wieder sind List<br />

und Verstellung seine Hilfsmittel. Schließlich schützen Heinrich und<br />

die Sachsen den Mangel an Fischen für die Fastenzeit vor, um ihren<br />

Rückzug zu begründen, und verbrämen so die Feigheit mit dem<br />

Namen ,der Religion. Die Feigheit aber wird durch die hastige<br />

Flucht, auf der die Sachsen ihre Ausrüstung liegenlassen, offenbar 27 •<br />

Hierin ist nun Saxos Grundmotiv vollständig enthalten. Die Gegenseite<br />

ist erbärmlich: geldgierig, Versprechungen machend und feige.<br />

Die Dänen dagegen sind tapfer, furchtgebietend und stehen treu zu<br />

ihrem Wort. Daran ändert sich auch nichts, als Dänen und Sachsen<br />

gemeinsam gegen die Slawen ziehen. Im Gegenteil, seit in Wal dem ar<br />

ein tüchtiger König an der Spitze der Dänen steht, steigert sich<br />

deren Nationalstolz noch weiter. Peinlich ist dem Chronisten die<br />

Tatsache, daß sich seine Landsleute wieder und wied'er an Heinrich<br />

um Hilfe gegen die Slawen wenden müssen. Daher versucht er, si'e<br />

mit allen Mitteln zu bemänteln und zu beschönigen. Freilich erkennt<br />

der Däne hin und wieder auch die Tapferkeit der Sachsen an. Als<br />

diese von den Slawen heimtückisch überfallen worden sind und sie<br />

unter Heinrich und Gunzelin die Angreifer in die Flucht schlagen<br />

(1164), schreibt er: "So ließen es die Sachsen, obwohl sie nicht zum<br />

Kriege vorbereitet waren, durch ihre Tapferkeit (!) unentschieden,<br />

ob sie eine Niederlage erhielten oder den anderen beibrachten"28.<br />

Es ist aber zu beachten, daß diesmal keine Dänen beteiligt sind.<br />

Gegenüber den Slawen räumt Saxo den Deutschen schon eher<br />

Tapferkeit ein, nicht aber gegenüber seinen eigenen Landsleuten.<br />

Als Heinrich im Spätsommer 1166 König Waldemar um eine Unterredung<br />

bittet und zugleich seine Tochter dem dänischen Thronfolger<br />

verloben will, schreibt Saxo mit Genugtuung: "Heinrich kam, um<br />

die vorher verschmähte Freundschaft des Königs zurückzugewinnen,<br />

ohne die er die Slawen nicht im Zaume halten konnte"%9.<br />

'Diese in die allgemeine Schild'erung der Ereignisse eingeflochtenen<br />

Bemerkungen genügen Saxo noch nicht, um seiner Abneigung<br />

gegen Heinrich den Löwen Luft zu machen. Vielmehr streut er<br />

kleine Erzählungen ein, die das rechte Licht auf des Herzogs Charakter<br />

werfen sollen. So läßt er einen Gefolgsmann des Löwen berichten,<br />

Heinrich habe trotz der Ermahnungen seiner Gefährten ein<br />

müßiges Leben geführt, anstatt den Slawenkrieg fortzuführen, wie<br />

6*<br />

27 17,5-6 - S. 400 f.<br />

28 30,5 - S, 450,<br />

29 37,4- S, 461.<br />

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es ein alter Schwur von ihm verlangte 30 • Heinrichs unmäßigen<br />

Stolz geißelt der Chronist in der Schilderung der Zusammenkunft<br />

des Herzogs mit dem Dänenkönig auf der Eiderbrücke im Jahre<br />

1171. Bei dieser Unterredung zeigt sich Heinrich so maßlos und<br />

aufgeblasen, daß er sich weigert, nach früherer Gewohnheit weiter<br />

als zur Mitte der Brücke dem König entgegenzugehen, um nicht zu<br />

bekennen, daß der, dem er entgegenginge, ihn an Würde überragest.<br />

Wie können wir uns wundern, so fragt Saxo mehrfach, daß zwischen<br />

des Königs Tugend und dem sächsischen Wankelmut ein festes<br />

Bündnis oder beständige Eintracht nicht möglich war?<br />

Sollten wir nach diesem Bild Saxos von Heinrich dem Löwen<br />

erwarten, daß sich der Däne im Streit des Welfen mit dem Kaiser<br />

auf Friedrichs Seite stellt, so würden wir enttäuscht. Den Chronisten,<br />

der - wie wir sahen - eine unabhängige dänische Macht<br />

betont, interessieren diese "innerdeutschen" Auseinandersetzungen<br />

kaum. Ihm ist allein wichtig, wie sich die Stellung des Kaisers und<br />

Heinrichs des Löwen gegenüber Dänemark dadurch ändert. Nur mit<br />

einem Nebensatz berührt er daher die Vorgänge, di'e im Jahre 1180<br />

zur Zusammenkunft zwischen Waldemar und Heinrich führen. Diese<br />

Begegnung aber ist das Gegenstück zu der von 1171. Heinrich überschreitet<br />

die ganze Brücke, "über deren Mitte er nie zuvor hinauszugehen<br />

pflegte", und bemüht sich um Waldemars Unterstützung.<br />

"So sehr gebietet der Zwang dem Stolz und wird der Hochmut vom<br />

Unglück gezähmt", ruft Saxo triumphierend aus.<br />

Soviel von den Berichten über Heinrich den Löwen. In ihrer<br />

Eindeutigkeit bedürfen sie keines weiteren Kommentars. Wir sagten<br />

schon, daß Saxo durchaus nicht im Lager des Kaisers gegen den<br />

Löwen steht. Auch dazu seien wenige Quellenstellen angeführt.<br />

Friedrich sucht König Waldemar durch Heiratspläne gegen Heinrich<br />

den Löwen zu gewinnen, wobei 'er so listig wie unverschämt handelt.<br />

So spricht der Däne vom Kaiser. - Auch die Städte Sachsens<br />

fallen, wie Saxo ausdrücklich bemerkt, aus Haß auf Heinrich, nicht<br />

etwa aus Liebe zum Kaiser vom Herzog ab. Diese Äußerungen 32<br />

klingen kein'eswegs freundlich für Barbarossa. Im Vergleich mit<br />

Heinrich mag er als der Bessere erscheinen. Gegenüber dem Dänenkönig<br />

aber ist er verworfen wie der Herzog. Bei 'einer Gelegenheit<br />

30 35, 3 f - S. 458 f.<br />

SI 48 -So 499.<br />

32 Wir beschränken uns auf einige wenige, in denen Friedrich I. in Verbindung<br />

mit Heinrich dem Löwen erwähnt wird.<br />

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lobt Saxo sogar den Welfen, während er den Staufer schmäht. Als<br />

sich 1162 König Waldemar in Burgund bei Barbarossa befindet und<br />

ihn um Futter für die Pferde bittet, wird er von Fri'edrich auf die<br />

umliegende Gegend und auf Raub verwiesen. Waldemar lehnt das<br />

entrüstet ab. Nun ist es Heinrich der Löwe, der den Kaiser an sein'e<br />

Pflichten dem königlichen Gast gegenüber erinnert: "Er möge den<br />

nicht ohne seine Gastfreundschaft entlassen, dessen Vaterland<br />

gleichsam ein'e Herberge aller Ankommenden zu sein pflege. Der<br />

Kaiser versprach das zwar schnell, führte es aber nicht aus (!)"33.<br />

Wie kommt 'es zu diesem verschiedenen Urteil Saxos, und was bedeutet<br />

es? Der Däne entwirft das negative Urteil über Heinrich den<br />

Löwen nicht in erster Linie, weil sich der Welfe als mächtiger Herzog<br />

oft in Feindschaft mit den Dänen befindet. Sein Haß richtet<br />

sich gegen Heinrich als den Vertreter der deutschen Macht gegenüber<br />

den Dänen. Das Lehens- und Abhängigkeitsverhältnis Dänemarks<br />

vom Reich an sich ist Saxo und den Kreisen um ihn der<br />

Stein des Anstoß'es, nicht die Handlungsweise des Herzogs im einzelnen,<br />

wie sehr sie auch die schon vorhandene Abneigung verstärken<br />

mag. Das zeigt sich in den erwähnten Äußerungen über<br />

Barbarossa. 1180 begrüßt Saxo mit Schadenfreude das Sinken des<br />

Sternes des Welfen, um im gleichen Augenblick den Kaiser mit den<br />

schärfsten Worten anzugreifen. 1162 aber, als der König beim<br />

Kaiser, seinem Lehnsherrn weilt; ist es 'eben diese Abhängigkeit,<br />

die den Ärger des Geschichtsschreibers erregt. Dahinter tritt das<br />

sächsisch-dänische Verhältnis zurück. Daher wird der Kaiser im<br />

ungünstigsten Licht dargestellt, gegen den sich der fromme und<br />

ehrenhafte Waldemar rühmlich abhebt.<br />

Eine eigenartige Übereinstimmung besteht zwischen Saxo und<br />

der His tor i aRe g u m Dan 0 rum die t a K n y t li n g a -<br />

Sag a. Sie ist von einem unbekannten weltlichen isländischen Verfasser<br />

in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts in der Volkssprache<br />

abgefaßt und gibt die Geschichte der dänischen Könige von<br />

Harald Blauzahn bis zum Jahre 1187, in dem auch Saxo abbricht.<br />

Kürzer und prägnanter, sonst übereinstimmend, ist der Bericht vom<br />

Feldzug Heinrichs zur Wiedereinsetzung König Svens. Di'e folgenden<br />

Darstellungen der Kämpfe gegen die Slawen, die Wald em ar und<br />

Heinrich gemeinsam durchführen, stimmen in den Tatsachen eben-<br />

33 28, 21 f - S. 444.<br />

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falls mit Saxo überein 34 • Auch aus dieser Darstellung geht die<br />

Rivalität des Herzogs und des Königs hervor. Sogar' eine Kriegsdrohung<br />

schickt Heinrich an Waldemar. Dennoch ist der Grundton<br />

der Saga im Vergleich zu den Gesta Danorum :versöhnlicher und<br />

den Tatsachen angemessener. Die bissigen Angriffe Saxos fehlen<br />

und insbesondere die klein'en eingeschobenen Erzählungen und Gespräche,<br />

die diesem dazu dienten, die deutschen Fürsten im schlechten<br />

Lichte zu zeigen. Vor allem nehmen die Zeiten gemeinsamen<br />

Zusammengehens in der Saga eine gleichwertige Stellung n'eben<br />

denen der Zerwürfnisse ein. So ist die Knytlinga-Saga, obgleich sie<br />

sachlich nichts Neues bringt, eine wertvolle Ergänzung zu den Gesta<br />

Danorum. In ihr spiegelt sich Saxos Werk, dessen leidenschaftliche<br />

Feindseligkeit gegen Heinrich und die Deutschen sich dadurch klar<br />

als Eigentümlichkeit des Autors und seiner Umgebung erweist.<br />

Wahrhaft dürftig sind die Berichte über Heinrich den Löwen<br />

in den weiteren dänischen Quellen. Sie sind alle mehr oder weniger<br />

von Saxo abhängig und bringen uns keinerlei neue Gesichtspunkte.<br />

So haben wir rückschauend das überraschende Bild, daß sich die<br />

dänischen Nachrichten über Heinrich den Löwen im wesentlichen<br />

mit dem bei allen Mängeln großartigen Werk des Saxo Grammaticus<br />

erschöpfen. Die Ausnahme der Knytlinga-Saga weist jedoch<br />

darauf hin, daß man trotz Saxos überragender Stellung nicht die<br />

gesamte mittelalterliche dänische Geschichtsschreibung mit ihm<br />

identifizieren darf.<br />

Fassen wir nun das Bild Heinrichs des Löwen in den ausländischen<br />

Quellen zusammen und suchen wir nach weiteren Beweggründen<br />

für die Urteilsweise der verschiedenen Chronisten.<br />

Der augenfälligste gemeinsame Zug der westlich'en Quellen ist<br />

die Betonung des Besitzes und des äußeren Glanzes der Persönlichkeit<br />

Heinrichs des Löwen, die sich bei den normannischen Chronisten<br />

zur besonderen Stärke steigert. Der Antrieb der Normannen<br />

zur Lobpreisung des Herzogs, seine Verwandtschaft mit dem anglonormannischen<br />

Königshaus, führt schließlich in der ersten Hälfte<br />

des 13. Jahrhunderts dazu, Heinrich den Löwen als Exponenten der<br />

welfischen Partei gegen die staufische dadurch noch besonders herauszuheben,<br />

daß man ihn zum Rivalen Barbarossas um die Kaiserkrone<br />

macht. Die kühle Zurückhaltung der englischen Qu'ellen<br />

erklärt sich zum großen Teil aus der häufigen Opposition der Chro-<br />

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s.I Historia rcgum Danorum dicta Knytlinga-Saga (MG. SS. 29) S. 310 f.<br />

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Kaisers distanzieren. Immerhin, wir dürfen festhalten: keine Quelle<br />

tritt für den Herzog ein. Zur Erklärung dieser Tatsache reichen<br />

unsere bisher angeführten Gründe allein nicht aus. Böhm hat aber<br />

völlig mit Recht darauf hingewiesen, daß die Gesta das Reichsinteresse<br />

stark in den Vordergrund stellen. Er hebt hervor, daß man<br />

in England "über die land- und lehnrechtIichen Prozeßgrundlagen<br />

hinaus in römisch-rechtlichen Vorstellungen lebte" und entsprechend<br />

"die Anklage ... als Vergehen ,de l'esione majestatis Romani imperii'<br />

formuliert" (Verletzung der Majestät des römischen Reiches). Das<br />

trifft den Kern der Sache. Man hatte in England konkrete Vorstellungen<br />

·vom mittelalterlichen Imperium Romanum und sah in<br />

Heinrich dem Löwen den Rebellen gegen dieses Reich. Diese Haltung<br />

wurde wesentlich verstärkt durch Barbarossas Führerschaft im<br />

dritten Kreuzzug. Der Kaiser des üb'ernationalen, christlichen Imperiums<br />

an der Spitze der abendländischen Christenheit - das war<br />

das deutlichste Symbol für das Bestehen dieses Reiches, trug dem<br />

Kaiser Sympathien und hauchte dem Reichsbegriff gerade bei den<br />

fremden Nationen neues Leben ein. Die meisten englischen Quellen<br />

schrieben, nachdem Barbarossa das Kreuz genommen hatte. Da ist<br />

es verständlich, daß sie im "Abfall" des Herzogs vom Kaiser eine<br />

Rebellion sahen und entsprechend von ihm Abstand nahmen.<br />

Ganz andere Verhältnisse zeigt die dänische Geschichtsschreibung.<br />

Saxo versuchte immer wieder, Heinrich den Löwen in den Augen<br />

seiner Leser herabzusetzen, und hob an einer Stelle besonders deutlich<br />

hervor, welche höhere Würde König Waldemar vor dem Herzog<br />

zukäme. Auch hier ist ein Vergleich mit Böhms Untersuchungen<br />

über Barbarossas Bild in den Quellen von Gewinn. Wir haben schon<br />

bemerkt, wie sich Saxo im Jahre 1180 und zuvor in Metz gegen den.<br />

Kaiser wandte. Immer war der das Ziel seiner Angriffe, der jeweils<br />

die deutsche Macht repräsenti'erte. Böhm legt nun dar, daß Saxo<br />

auch bei anderen Gelegenheiten mit Entstellungen und Verleumdungen<br />

gegen den Kaiser .vorgeht. Wie wir in den Gesta Danorum<br />

die Überordnung des Dänenkönigs über den Sachsenherzog fanden,<br />

so stellt Böhm die Gleichstellung Waldemars mit Friedrich 1. fest.<br />

Die Unterordnung ist in beiden Fällen nur erzwungen, sie wird<br />

geleugnet und als auf Betrug gegründet bezeichnet, wo es nur geht.<br />

In Dänemark gab es keine Ideologie, die irgendwie an das Reich<br />

. band. Welch ein Unterschied zu England! Das tatsächlich unabhängige<br />

Volk erkennt aus richtiger Einschätzung ihres Wertes die<br />

88<br />

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ordnende Macht des Reiches an 37 • Das lehensabhängige Volk aber<br />

leugnet dieses Reich und spricht vom "jämmerlichen Joch der Deutschen".<br />

So entspringt Saxos negatives Bild von Heinrich dem Löwen<br />

ganz anderen Wurzeln als das ebenfalls negative in den englischen<br />

Quellen. Dort stand der Herzog als Rebell g e gen das Reich. Bei<br />

Saxo stcht Heinrich n e ben Friedrich. Beide sind unredliche und<br />

hinterhältige Zwingherren der edlen Dänen. Hier ist Heinrich "der<br />

typische Deutsche" wie der Kaiser.<br />

37 Auch in England lehnte sich ein Johannes von Salisbury gegen das<br />

"Richteramt der Deutschen" auf. Aber das war vor des Herzogs Rebellion<br />

und vor dem dritten Kreuzzug.<br />

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Die Braunschweiger Hochzeitsschüsseln<br />

Von<br />

August Fink<br />

Das Hochzeitsmahl ist zu Ende, als Trompeter eine feierliche<br />

Zeremonie ankündigen. Brautvater und Bräutigam gehen von Tisch<br />

zu Tisch, danken den Gästen für ihr Kommen und bitten sie, noch<br />

lange fröhlich beisammenzubleiben. Dann macht, vom Oheim der<br />

Braut geleitet, der Bräutigamsvater die Runde. Er sammelt die<br />

Brautgabe der Gäste in einem blanken Topf, einem "Grapen", und<br />

stellt ihn zum Schluß .vor der Braut auf die Tafel.<br />

Selten wird ein solcher Brauch einmal so ausführlich geschildert,<br />

wie bei der Vermählung der Tochter des Hildesheimer Bürgermeisters<br />

Henning Brandes zu Goslar 1504 1 • Die Sitte förmlicher<br />

überreichung der Hochzeitsgeschenke - Geld, gelegentlich auch<br />

Schmuck - ist verbreitet, aber auch so selbstverständlich gewesen,<br />

daß z. B. keine der Stadtbraunschweiger Hochzeitsordnungen aus<br />

drei Jahrhunderten sie erwähnt. Im nahen Wolfenbüttel ist 1645<br />

alter Brauch, daß nach dem Hochzeitsessen "die Geschenke dem<br />

Bräutigam und der Braut öffentlich an ihrem Tische überreicht und<br />

in eine große Schüssel gelegt werden"2. Für ländliche Verhältnisse<br />

schildert um 1840 'ein Gemälde des Braunschweigers earl Schröder 3<br />

das herkömmliche Opfern der Brauttafelgelder: die Gäste legen sie<br />

in eine zinnerne Schüssel.<br />

Damals wie im Jahre 1504 in Goslar diente zum Einsammeln ein<br />

Geschirr aus dem Haushalt. Aber es finden sich in verschiedenen<br />

deutschen Kunstsammlungen große bemalte Holzteller, die eigens<br />

zur Aufnahme der Brautgaben gefertigt sein sollen. Die größte<br />

Folge solcher Geschirre, sechs Einzelstücke, besitzt das Herzog­<br />

Anton-Ulrich-Museum in Braunschweig. Sie stammen sämtlich aus<br />

dem 16. Jahrhundert. Nur nach mündlicher Überlieferung sind es<br />

Hochzeitsschüsseln. Ist der Name begründet?<br />

1 Henning Brandes, Diarium, hsg. v. Ludwig H ä n seI man n,<br />

Hildesheim 1896, S. 178, s. a. S. 33 u. 43.<br />

2 Hofgerichtsordnung Herzog Augusts d. J., Wolfenbüttel, 1663, S.472.<br />

3 Je s se, Die Sammlung bäuerlicher Altertümer im Städt. Museum,<br />

Braunschweig o. J. (1950), Tafel 9.<br />

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Fünf der Schüsseln tragen Familienwapp'en, die auf bestimmte<br />

Personen zu beziehen sind. Einmal ist auch das Wappen einer verstorbenen<br />

ersten Gattin hinzugefügt. Die beiden jüngsten Stücke<br />

haben je vier Wappen, die der Eltern b'eider Ehepartner.<br />

In allen Fällen ist die Beziehung auf die Hochzeit möglich. Daß<br />

ein zweimal verheirateter Mann die Wappen beider Frauen mit d'em<br />

eigenen verbindet, entspricht einer durch den Schmuck an Braunschweiger<br />

Bürgerhäusern bezeugten Gewohnheit 4 ; Betreuung der<br />

Kinder erster Ehe ist im 16. Jahrhundert so sehr die Hauptaufgabe<br />

der Stiefmutter, daß auf einem Zierstück für ihre Hochzeit das<br />

Wappen ihrer Vorgängerin nichts Befremdliches hat.<br />

Immerhin besagen Ehewappen auf einem Hausgerät zunächst<br />

weiter nichts, als daß es der häuslichen Gemeinschaft eines Paares<br />

gedient hat; ein Zusammenhang mit dem Beginn ihrer Ehe ist damit<br />

noch nicht erwiesen. Aber auf der Schüssel Nr. 1 gehört das Frauenwappen<br />

einer 1529 Verheirateten und 1580 Verstorbenen; der Schluß<br />

auf die Herstellung zur Hochzeit ist so gut wie sicher. Er gilt wohl<br />

auch für die Schüssel Nr.4 von 1544; hier sind die Todesjahre der<br />

Eheleute 1584 und 1588. Bei Nr.3 - undatiert - ist das Hochzeitsjahr<br />

1539 der Wappeninhaber bekannt; die Bemalung gehört nach<br />

ihrem Stil zwischen Nr.2 und 4. Die Bezeichnung als Hochzeitsschüssel<br />

ist danach in drei Fällen aus dem zweiten Viertel des<br />

16. Jahrhunderts unbedenklich.<br />

Die genannten Jahreszahlen gehen auf die Anbringung der Wappen.<br />

Auf dem Stück von 1544 sind sie nachträglich in RundfeId'er des<br />

Randes eingefügt worden, die vorher schon Blatt rosetten enthielten.<br />

Diese Schüssel hat also mit neutraler Dekoration in der Malerwerkstatt<br />

auf einen Käufer gewartet, von dem nicht vorauszusehen<br />

war, ob er sie mit Wappen würde versehen lassen. Trotzdem sind<br />

die Jahreszahlen ein Anhalt auch für die Entstehungszeit der<br />

Malerei; denn die Stilfolge der datierbaren Stücke ist so regelmäßig,<br />

daß wohl keins von ihnen jahrelang Ladenhüter war.<br />

Der eine Fall nachträglicher Anbringung der Wappen lehrt: die<br />

Aufnahme der Brauttafelgelder war nicht der einzige Zweck solcher<br />

Prunkgeschirre. Die Eigenart der Schüssel Nr.2 bestätigt es. Dies<br />

Stück von 1534 hat keine Familienwappen und nicht wie die übrigen<br />

ein Hauptbild biblischen oder genrehaften Themas, sond'ern Dar-<br />

4 Beispiele bei H. M eie r - C. K ä m pe, Heraldische Untersuchungen,<br />

Braunschw. Mag. Bd. 9, 1903, S.4, 16, 28.<br />

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stellungen zur Stadtgeschichte: die Teilnahme der Braunschweiger<br />

an einem Kriegszug gegen die Burg Peine 1522.<br />

Nur in diesem Sonderfall beziehen sich die Bilder auf bestimmte<br />

Personen und ein besonderes Ereignis; die eigentlichen Hochzeitsschüss'eln<br />

bringen Motive ohne Beziehung auf ein Familienfest: die<br />

Geburt Christi, die Enthauptung des Täufers, das Urteil Salomos,<br />

eine Gartengesellschaft.<br />

Die Schüsseln sind allgemein als Tafelschmuck, im Regelfall als<br />

solcher einer Hochzeitstafel anzusehen. Dabei geht, die Sorgfalt der<br />

Malerei weit über das hinaus, was eine einmalige Verwendung erfordert<br />

hätte. Si'e sind offenbar nach dem ersten Gebrauch sorgsam<br />

verwahrte Erinnerungsstücke gewesen und wohl gelegentlich als<br />

neutrale Prunkgeräte wieder aufgesetzt worden; kaum sehr oft,<br />

denn die meisten sind wenig abgenutzt. Die jüngste hat auf dem<br />

Rande ein Fruchtstilleben; das deutet vielleicht darauf hin, daß<br />

solche Geschirre außer für jenen Hochzeitsbrauch auch als Obstschalen<br />

gedient haben.<br />

Vier Schüsseln verteilen sich im Abstand von fünf Jahren auf die<br />

Zeit von 1529 bis 1544. Die beiden letzten stammen aus dem Ende<br />

des 16. Jahrhunderts; auf sie sind die Voraussetzungen der älteren<br />

Zeit nicht ohne Weiteres zu übertragen.<br />

Beidemal sind die Wappen nicht so eindeutig wie bei den älteren<br />

bestimmt, bei Nr. 5 Stil und Hochzeitsjahr nicht im Einklang. Hier<br />

bleibt als Ausweg nur die Hypothese, daß der Brauch sich gewandelt<br />

hat und in späterer Zeit HochZ'citsschüsseln nicht nur für die eigene<br />

Vermählung, sondern auch für die einer Tochter beschafft worden<br />

und dann nur mit den Wappen der eigenen Familie, nicht auch mit<br />

denen der Sippe des neuen Schwiegersohnes geziert sind. Das wäre<br />

der gleiche Fall, der für eine Schüssel aus Lübeck schon 1540 erwiesen,<br />

für eine Nürnberger von 1634 wahrscheinlich ist.<br />

Form und Material der älteren Braunschweiger Schüsseln sind<br />

sehr geeignet für das Einsammeln von Geschenken einer Hochzeitstafel.<br />

Lindenholz ist verhältnismäßig leicht. Die älteste und größte<br />

Schüssel wiegt bei fast 80 cm Durchmesser 4300 g, Ein Messingteller<br />

gleicher Größe würde b'ei 2 mm Wandstärke doppelt so schwer<br />

sein; in Holz ist ein solches Riesengeschirr noch eben handlich.<br />

Unterwärts ist bei den drei ältesten Schüsseln der Rand in der<br />

Mitte so verstärkt, daß heim waagerechten Tragen die Fingerspitzen<br />

an einem Grat festen Halt finden.<br />

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in Osterwieck mit einem zweimal wiederholten Ehewappen. In<br />

Braunschweig steht die älteste Notiz, die eine Hochzeitsschüssel betreffen<br />

kann, in einem Ehevertrag von 1489 5 : die Braut legt bei<br />

ihrer zweiten Heirat das' Vorbehaltsgut ihres Sohnes aus erster Ehe<br />

fest; dazu gehört "eyn grot malt schottei, darinn'e steit gemalt de<br />

historien van Hector und Troyen". Untergrund der Malerei dürfte<br />

Holz gewesen sein. - Schon 1447 erhält der Braunschweiger Maler<br />

Cord 1 Mark für die Bemalung des Schildes, den der Rat dem<br />

Herzog Heinrich bei der ihm zu Ehren gehaltenen Tafelrunde verehrt<br />

6 • Der Preis erscheint für ein Wappen zu hoch; war ein solcher<br />

Schild ein Tafelaufsatz und Vorstufe der bemalten Hochzeitsschüsseln?<br />

Bei den älteren Braunschweiger Stücken ist das Randornament<br />

meist in Metallfarben gehalten. Danach sind die Holzteller vielleicht<br />

Ersatz für in älterer Zeit gebräuchlich'e Metallgeschirre. Braunschweig<br />

ist seit dem 14. Jahrhundert ein Hauptort für die Anfertigung<br />

getriebener Messingbecken 1 • So wäre es verständlich, wenn<br />

hier zunächst Erzeugnisse der Beckenwerker als Opfert eller bei<br />

Hochzeiten ,verwendet wären. Allerdings entspricht das, was -<br />

meist als Taufschüsseln in Kirchen - von solchen Becken gotischer<br />

Zeit erhalten geblieben ist, nicht dem Dekorationssystem der Holzschüsseln<br />

mit seinen Rundfeldern auf dem Rand. Aber diese neue<br />

Aufteilung kann beim übergang zum anderen Material aus dem<br />

Gefühl heraus entstanden sein, daß ein breitrandiger Teller neue<br />

Wege für den Schmuck eröffnete. Auch im Mittelbild; hi'er sind die<br />

Messingbecken niemals über einfache Kompositionen aus wenigen<br />

Figuren hinausgekommen. Die Holzschüsseln dagegen geben stets<br />

figurenreichen Darstellungen den Vorzug.<br />

Nur in Braunschweig hat man eine größere Folge solcher Schüsseln,<br />

anderwärts nur gelegentlich ein Einzelstück. Das reicht nicht zur Abgrenzung<br />

des einstigen Verbreitungsgebietes. In Ni'ederdeutschland<br />

waren solche Schüsseln im 15. und 16. Jahrhundert zwischen Harz<br />

und Ostsee gebräuchlich. Um 1600 war ihre Verwendung bei Hochzeiten<br />

auch dem Nürnberger Patriziat geläufig. Hier gibt die Ver-<br />

5 Stadtarchiv Braunschweig, Degedingebuch der Altstadt, 1489, 17. Vertrag.<br />

6 S a c k, Künste u. Gewerke, Handschrift im Stadt archiv Braunschweig,<br />

Bd.161. .<br />

7 F u h se, Schmiede u. verwandte Gewerbe (Werkstücke Bd. 5), Braunschweig<br />

1930. S. 63.<br />

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mehrung der Ahnenwappen und einmal sogar die Angabe der Hochzeitsjahre<br />

auch der Vorfahren einen so eindeutigen Hinweis auf den<br />

ZWeck der Schüsseln, wie er in Niedersachsen nicht vorkommt. Ein<br />

Zusammenhang mit dem Nürnberger Brauch ist bei den späten<br />

Daten der von dort kommenden Exemplare nicht gesichert.<br />

Entstehungsort einer der norddeutschen Schüsseln ist ohne<br />

Zweifel Lübeck, und die ganze Braunschweiger Reihe ist höchstwahrscheinlich<br />

in Braunschweig selbst geschaffen worden. Zwar<br />

gehört bei dem ältesten Stück das Frauenwappen einer Hildesheimer<br />

Familie, aber gerade diese Schüssel steht der nächstälteren so nahe,<br />

daß beide am gleichen Orte anzusetzen sind. Nur in Braunschweig<br />

ergibt sich auch eine Deutung des Künstlermonogramms auf der<br />

ältesten HoclJ.zeitsschüssel. Es gehört dem Maler Barthold van der<br />

Heyde, der hier bis 1532 wirkte. Urkundlich werden von ihm dekorative<br />

Arbeiten wie die Bemalung von Turniergerät und Fahnen<br />

erwähnt. So gibt uns seine bemalte Schüssel einen Begriff vom<br />

Schaffen eines jener Künstler, die mit der Verzierung von Gebrauchsgegenständen<br />

ein Randgebiet der Kunst gepflegt haben und.<br />

deren Werke fast restlos im Verbrauch untergegang'en sind. Die Vermutung,<br />

daß auch die übrigen Schüsseln aus Werkstätten ähnlicher<br />

Art stammen, führt auf Meisternamen auch noch für die bei den<br />

Stücke von 1534 und 1539: Bonaventura Abt und Peter Spitzer.<br />

Volle Gewißheit ist in diesen Fällen noch nicht gegeben, aber angesichts<br />

der verhältnismäßig wenigen Maler solcher Gattung immerhin<br />

eine erhebliche Wahrscheinlichkeit. Für die drei jüngsten<br />

Schüsseln fehlt ein entsprechender Anhalt noch. - Die Meister der<br />

Braunschweiger Hochzeitsschüsseln erweisen sich an einer im Zusammenhange<br />

der großen Kunst bescheidenen Aufgabe als tüchtige<br />

Maler von meist ansehnlich'er dekorativer Gewandtheit; bezeichnend<br />

ist bei ihren für bestimmte Gelegenheiten entstandenen A!'heiten<br />

die Einstellung auf die Mode des Tages. So werden die Hochzeitsschüss'eln<br />

für uns zu Dokumenten, an denen wir den Verlauf des.<br />

Eindringens der Renaissance-Ornamentik in der ersten Hälfte des<br />

16. Jahrhunderts verfolgen können, wie am Ausgang des Säkulums<br />

- mit dem die Kunstgattung in Braunschweig abgestorben zu sein<br />

scheint - den wachsenden und in seinen Auswirkungen zwiespältigen<br />

Einfluß niederländischer Kunst.<br />

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95


1. 2. 6.<br />

Abb. 7. Signaturen und Hausmarken auf den Schüsseln<br />

Beschreibung der Braunschweiger<br />

Hochzeitsschüsseln<br />

6.<br />

1: .2<br />

Inventare: F = Herzogl. Museum Braunschweig, handschriftl. Inventar<br />

um 1800, Band F. R = R i e gel, Die Sammlung mittelalterliche Gegenstände,<br />

Braunschweig 1879. - Material aller Schüsseln: Lindenholz.<br />

D = Durchmesser der Schüssel, d = Durchmesser des Spiegels.<br />

1. Hoc h z e i t s s c h ü s seI 1 5 2 9 (R 0 g g e - D ö r r i e n), von<br />

Bar t hol d v. d. He y d e. F. 838, R. 122. - Bez. im Mittelbilde unten<br />

BH 1529. D = 77,5 cm, d = 30,5 cm. Gewicht 4300 g.<br />

Die An b e tun g des Kin des. Maria und 3 Engel knien mit Ochs<br />

und Esel anbetend um das nackt im Strahlenglanz auf einem Quaderstein<br />

liegende Kind. Im Stall Josef mit brennender Kerze, auf dem<br />

Futtertrog ein Putto, zwei weitere schweben oben mit Schrifttafel. Rechts<br />

zwei Hirten, hinten Hirtenverkündigung.<br />

Rundmedaillons auf dem Rande: oben und seitlich Halbflguren mit<br />

Spruchbändern. Oben Go t t v a t er (Matth. 4, 17), links Mo ses (5. Mos.<br />

18,5), rechts Je s a jas (Jes. 7, 14). Unten Doppelwappen: Lamm mit<br />

Siegesfahne vor 3 Ähren, Helmdecke schwarzweiß, die Ähren als Helmzier:<br />

R 0 g g e. - Goldener Ring über 3 Kleeblättern, Helmdecke schwarzgelb,<br />

Helmzier die Kleeblätter: D ö r r i e n, Sophie Rogge geb. Dörrien<br />

aus Hildesheim, t 31. 1. 1580 (Arnswaldt, Die Dörrien, Heft 1, Leipzig 1910,<br />

S.12). Ihr Ehemann vielleicht der Magister Rogge, 1530 in Braunschweig<br />

als Hausbesitzer (ass. 1517, Wilhelmstraße 68) bezeugt.<br />

Zwischen den Rundfeldern Ranken, in freier Symmetrie auf aufrechte<br />

Stellung der Schüssel berechnet. Unten ein Behelmter und ein Mädchen,<br />

nackt und geflügelt, als Schildhalter. Sie wachsen als Halbflguren aus der<br />

Abschlußblüte der Spiralranken. Die Hauptspirale endet in einer Blattmaske.<br />

Oben gehen ähnliche Ranken vom Oberkörper gegenständiger<br />

Einhörner aus, die statt der Vorderbeine gesenkte Flügel haben und von<br />

Putten geritten werden, einem geflügelten Kind mit Turnierlanze, einem<br />

flügellosen mit Säbel und kleinem Rundschild; unteres Rankenende ist<br />

jederseits ein Kopf mit Heim. Dem rechten hält ein Putto einen Schild<br />

vor, neben dem linken ein Kinderpaar als Reiter und Reittier. - Die<br />

Ranken wirken wie aus Metall getrieben. Die Einzelformen eintönig:<br />

Blütenkelche aus mehreren Kränzen spärlich . gezackter Spitzblätter;<br />

Blattkelche, den Stengeln ohne Beachtung der Wuchs richtung aufgestülpt.<br />

Schildhalter, Putten und Gesichter sind fleischfarbig, das übrige Ornament<br />

hat felderweise wechselnde Metallfarbe (2 Goldtöne, Bronze, Silber).<br />

96<br />

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HochzeltsschüsseJ 1<br />

Rolleicord ·Aufnahmen<br />

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Schüssel 2<br />

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HochzeitsschüsseJ 3 und 4<br />

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Hochzeitsschüssel 5 und 6<br />

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Hintergrund - mit gemalten Zlernägeln geschmückt - viertelsweise übel'<br />

Kreuz rot und grün.<br />

Das Monogramm ist in Braunschweig nur auf Bar t hol d va n der<br />

He y d e zu beziehen, der urkundlich 1490-1532 nachzuweisen ist<br />

(S. Re i dem eis t er, Genealogien Braunschw. Patrizier- und Ratsgeschlechter,<br />

Braunschw.1948, S.71, Mit hof f, Mittelalterl. Künstler<br />

und Werkmeister Niedersachsens, 2. Auf1., Hannover 1883, S.147); urkundlich<br />

bezeugt sind von ihm 1516-1521 Ausmalung eines Raumes, Bemalung<br />

von Wappen schilden und Fahnen.<br />

Im Figürlichen auf der Hochzeitsschüssel ist v. d. Heyde der Tradition<br />

des späten 15. Jahrhunderts mit niederländischem Einschlag verbunden.<br />

In der Ornamentik ist er in provinzieller Befangenheit Anhänger der<br />

modischen Renaissance. Seine Hauptquelle scheinen Drucke um 1525 zu<br />

sein (vgl. Joh. Lu t her, Titeleinfassungen der Reformationszeit, Leipzig<br />

1909-1913, Tafel 3, 6, 17, 18, 31, 41, 68, 69, 83, 119, 124); bei einem Putto<br />

verrät sich durch Weglassen eines Beines als ungenau benutzte Vorlage<br />

ein Stich von Lukas v. Leyden (B. 170).<br />

2. P ein e r S eh ü s seI, 1534. Von Bon ave n t u raA b t (?)<br />

F.842, R.123. - Datiert im unteren Medaillon, daneben Hausmarke. D =<br />

. 75,5 cm, d = 36,5 cm, 3700 g.<br />

Der S t u r mau f Pe i n e am 23. August 1522. Die Burg liegt als<br />

achteckiger gotischer Turm mit Nebengebäuden - daran das Wappen<br />

von Hildesheim zu Füßen der Madonna - auf einem festen Hügel in<br />

einem runden Wassergraben. Vorn 'links sturmbereites Fußvolk. Rechts<br />

feuern 3 Kartaunen und 3 Büchsenschützen hinter Schanzkörben, unterstützt<br />

von weiteren Rohren rechts hinten, auf die Burg. Links hat ein<br />

Sturmtrupp mit rot-weißer Fahne den Graben überquert, wird aber mit<br />

heißem Kalk und Pechkränzen empfangen. Hinten links versuchen die<br />

Angreifer einen Sturmbock und ein Geschütz über den Graben zu bringen,<br />

rechts rückt Fußvolk mit berittenem Führer an. Eine weitere Abteilung<br />

liegt im Mittelgrunde rechts in Deckung. Davor hebt bei einem brennenden<br />

Sturmbock der rote Braunschweiger Löwe die Pranke gegen die Eule<br />

von Peine, die flügelschlagend auf einem Blockhaus sitzt. Feuer aus<br />

Schießscharten und Turmluken der Burg. Hinten Zelte, eine Reservebatterie,<br />

eisbergartig zackiges Gebirge. Gefallene liegen verstreut, dabei<br />

vorn neben einer Kapelle ein Mönch in Schwarz.<br />

Rundmedaillons des Randes: Unten das S t a d t b rau n s c h w e iger<br />

Auf g e bot hinter einer bespannten vierrädrigen dreifachen<br />

Karrenbüchse um Trommler, Pfeifer und den weiß-roten Fähnrich geschart.<br />

Rechts rotes. Reiterfähnlein mit St. Autor, ein Zelt mit dem<br />

Löwenwappen. Hinten vor Gebüsch 3 Geschütze und zechende Krieger.<br />

- Rechts sprengt Herzog He in r ich d. J. von Braunschweig-Wolfenbüttel<br />

mit Gefolge auf gedecktem Pferd in den Kampf: vollgerüstet, mit<br />

rotem Schurz und breitem rotem Federhut. Daneben 2 ähnlich gerüstete<br />

Führer. Der Fähnrich trägt die rote Reiterstandarte mit vierfeldrigem<br />

Herzogswappen. Vorreiter ist ein Trompeter in Rot. Vorn drei Knechte in<br />

Rot und Schwarz, hinten dichtgedrängt die Eisenhüte der Truppe, Lanzen,<br />

schwarz-gelbe Fahnen, ein Zelt. - Oben Sc h arm ü tz e 1. Ein Trupp<br />

dringt über eine Brücke, hat 3 Gegner erlegt, einen ins Wasser gejagt<br />

und den Rest in die Flucht getrieben. Hinten ist an ein Haus am Waldrand<br />

Feuer gelegt, ein ab protzender Landsknecht enthüllt die Hinterfront.<br />

- Links: Verwundung des Herzogs. Er wird mit blutendem<br />

Schenkel schuß aus dem Kampf geführt, Ritter umgeben ihn, der<br />

7 Braunschwelglsches <strong>Jahrbuch</strong> 97<br />

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Fähnrich in Rot-Gelb schwingt über ihm die Fahne. Hinten drängen Hüte,<br />

Helme, Lanzen und Fahnen vor einer Zeltstadt.<br />

Zwischen den Rundfeldern Ornament, über Kreuz wiederholt, nach<br />

der Tellermitte zu orientiert: ein gegenständiges Greifenpaar mit Kandelaber,<br />

ein Paar Doppelvoluten in Form eines liegenden C, aus dem sich<br />

eine Ranke entwickelt. Einzelmotive: Buckelschale, Blattkelch, quergeriefte<br />

Säulentrommeln, geperlte Voluten, gehäufte Rundplättchenprofile.<br />

Gefieder der Greifen wird zu Blattwerk, Blattwerk läuft in Tiergestalten<br />

aus: Vierfüßer mit langer Ober-, kurzer Unterlippe und Blättermähne,<br />

Storch mit Blattgefieder. - Die Einzelheiten gut gegeneinander<br />

abgewogen, besser als bei Nr.1 als dekorative Einheit und im Farbwert<br />

gegen die bunten Bilder zurücktretende Rahmung aufgefaßt. Technik:<br />

braune Lasuren mit Schwarz und Hellgelb über Olvergoldung. Der<br />

Hintergrund über Kreuz wechselnd sehr dunkel rot und grün.<br />

Zur Darstellung vgl. Rob. B 0 h I man n. Die Hochzeitsschüssel mit<br />

dem Sturm auf Peine, Zeitschr. f. hist. Waffenkunde Bd.6, 1912, S.214<br />

und Fr. Ar n eck e, Das Schloß Peine während und nach der Stiftsfehde,<br />

Zeitschr. des Harzvereins Bd.47, 1914, S.14l. - Heinrich d. J.<br />

wollte die dem Domkapitel zu Hildesheim gehörige, der Stadt Hildesheim<br />

verpfändete Burg erobern, mußte aber am 24. August 1522 abziehen. Das<br />

MittelbIld bestätigt manche Einzelheiten der Chronik des Hildesheimers<br />

J ohann Oldekop.<br />

Die Schüssel ist kaum für einen Anhänger des abgeschlagenen Herzogs<br />

entstanden, auch wohl nicht für die siegreichen Hildesheimer; sonst<br />

wären die Randbilder sicher ihren Taten gewidmet. Auf eine sinnvolle<br />

Deutung führt der Umstand, daß die Teilnahme der Braunschweiger<br />

Bürger am Kampf ausgesprochen lustlos war. Sie wollten ihre Verbindungen<br />

zur Hanse nicht gefährden und waren den Hildesheimern für<br />

Waftenhilfe bei Bleckenstedt 1493 verpflichtet. So soll wohl das untere<br />

Randbild die wohlwollende Untätigkeit der Stadtbraunschweiger schildern,<br />

während die Pointe der beiden Darstellungen des Landesherrn der<br />

Denkzettel ist, den der kriegslustige Herr vor Feine erhielt. Im Januar<br />

1534 wurde der Bund niedersächsischer Städte, dem Braunschweig<br />

und Hildesheim angehörten, erneuert. Ein Fest in Braunschweig anläßlich<br />

dieses Bündnisses ist die Gelegenheit, auf die der Bildschmuck<br />

der Schüssel paßt: gemeinsame Kriegserinnerungen der glücklich versöhnten<br />

Städte.<br />

Ein Gemälde der Belagerung von 1522 im Rathaus zu Peine gehört<br />

erst dem Beginn des 17.Jahrhunderts an, scheint aber mit der Schüssel<br />

eine gemeinsame Vorlage zu haben (Bau- und Kunstdenkmäler Provo<br />

Hannover, Kreis Peine, Hannover 1938, S.122, Tafel 37.) Als Meister der<br />

Schüssel ist ein mit Kriegs- und Turniergerät vertrauter Maler vorauszusetzen.<br />

In Braunschweig wird 1534 als solcher Bon ave n t u r a<br />

Abt gewannt. Er hat damals dem Herzog Roß decken für Turniere, 1535<br />

einen Harnisch bemalt, 1546 für den Rat von Braunschweig ein Fähnlein<br />

verziert. Er ist 1525 bis 1552 in Braunschweig nachzuweisen, bei Mithof<br />

f als "Bonaventura" verzeichnet (S.45); der Familienname Abt ergibt<br />

sich aus den Schoßregistern der Altstadt Braunschweig (Stadtarchiv<br />

Braunschweig). Da zur gleichen Zeit nur Pet er Spitzer (s. Schüssel Nr.3)<br />

als Maler mit ähnlichen Arbeiten in der Stadt bezeugt ist, kann die Zuschreibung<br />

der Peiner Schüssel an Abt gewagt werden. Sein sichereres<br />

Verhältnis zur Renaissanceornamentik könnte sich aus süddeutschen Beziehungen,<br />

etwa einer Verwandtschaft mit Ulrich Abt in Augsburg erklären,<br />

doch liegen für diese Annahme keine Beweise vor.<br />

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3. Hoc h z e i t s sc h Ü s seI, 1539. (v. V e ehe 1 d e - V e 1 hau er).<br />

Von Pet er S p i t zer (?). F.839. R. 125. D = 71 cm, d = 32 cm. 3350 g.<br />

Der Tod J 0 h a n n e s des T ä u f er s. Der Henker, zu dessen<br />

Füßen der Leichnam verblutet, legt das Haupt des Täufers auf die<br />

Silberschüssel der Salome, zwischen beiden eine Dienerin. Im Mittelgrund<br />

steht Salome noch einmal mit dem Haupt vor Herodes, der in einer<br />

Säulenhalle unter einem Baldachin mit der Königin und 3 Männern<br />

tafelt; ein vierter flankiert mit einem Knaben stehend das Königspaar.<br />

Links hinten der Gefängnisturm und Ausblick auf einen umbauten Garten.<br />

Beherrschende Farben sind dunkles Rot, mattes Gold und Grau.<br />

Oberes Rundmedaillon: Helm mit rot-weißer Decke und schwarz-weißgoldbraunen<br />

Federn als Zier. Das Wappen dazu im unteren Medaillon, in<br />

Weiß schwarzer Schrägbalken mit drei goldenen Rosen: v. V e ehe I d e.<br />

Seitlich ohne Medaillonrand Wappenschilde, von nackten Engelknaben<br />

gehalten; heraldisch links: in Weiß ein springender schwarzer Hund:<br />

v. Da m m; rechts in Weiß 3 (2,1) Oberkörper schwarzer,. springender<br />

Hunde: V el hau e r. Umriß der Wappenschilder blattartig gelappt, oben<br />

zur Spirale eingerollt. Die Wappen beziehen sich auf den Braunschweiger<br />

Zehnmann und Gewandschneider Tile von Vechelde (1494-1572) und<br />

seine beiden Frauen Remborg v. Damm (t 1536) und Lucia Velhauer<br />

(t 1588). Das Jahr der zweiten Vermählung 1539 paßt zum Stil der<br />

Malerei (Vgl. Werner Spieß, v. Vechelde, Braunschweig 1951, S.137,<br />

Anm.306.)<br />

Füllornament des Randes: wucherndes Blattwerk, unten unter den<br />

Füßen zweier Drachen (armlose behaarte Frauenkörper, plumper<br />

Schwanenhals, Blattwerkkopf) beginnend, die in Hockstellung einander<br />

abgekehrt sind. Die Ranken gehen von einem Horn aus. Sie rollen sich<br />

mehrfach in breite, flache, spärlich geriefte Voluten ein und bestehen<br />

aus üppigen Blättern sowie aus Girlanden mit gebuckelten Quergliedern<br />

zwischen lappigen Bäuschen, die an geschlitzte Pluderärmel erinnern.<br />

Das Ornament ist frei in lockerer Symmetrie gezeichnet, auf Öl goldgrund<br />

in Schwarz und Gelb modelliert, wahrscheinlich stark nachgedunkelt.<br />

Hintergrund dunkelgrün, die Putten naturfarbig.<br />

Einzelmotive des Ornaments lassen sich auf Aldegrever zurückführen<br />

(B.258, 259: 1537; - B.270: 1539; - B.202: o. J.), sind aber breiter entwickelt.<br />

Die armlosen Drachenweiber .1528 bei Lukas v. Leyden (B. 162,<br />

164) ganz ähnlich. Charakteristischstes Motiv jedoch die gewundenen<br />

Bäuche mit geperlten Bändern, die an das Schnürrollenmotiv der Niedersächsischen<br />

Fachwerkschnitzerei erinnern und u. a. am Brusttuch in Goslar<br />

(1526, Bau- und Kunstdenkmäler Provo Hannover, Stadt Goslar, S.370)<br />

und am Huneborstelschen Haus in Braunschweig (angeblich 1536,<br />

Me i e r - S t ein a c k er, Bau- und Kunstdenkmäler Stadt Braunschweig,<br />

e. Aufl., Braunschweig 1926, S. 87) vorkommen. Im Werk des<br />

Bildschnitzers Simon Stappen, zu dem beide Häuser gehören, besteht<br />

überhaupt die größte Verwandtschaft zur Ornamentik der Schüssel. Da<br />

die entsprechenden, längst vorher entwickelten Motive auf den beiden<br />

ältern Schüsseln noch fehlen, liegt es nahe, die Vecheldesche von 1539<br />

einem Maler zuzuschreiben, der Mitarbeiter des Simon Stappen war. Das<br />

ist Peter Spitzer, 1533-1578 in Braunschweig nachweisbar. Urkundlich<br />

sind für ihn ähnliche Arbeiten wie für v. d. Heyde und Abt bezeugt, erhalten<br />

nur zwei Holzschnitte, die wenig Vergleichsmöglichkeit mit der<br />

Schüssel bieten (Heinrich Mac k, Die Ansicht der Stadt Braunschweig<br />

aus dem Jahre 1547, München 1927. - Der sei b e, Daniel Byrings<br />

Pasquill, Braunschweig 1925.)<br />

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den Schilden zu schweben. Heraldisch rechts weißes Einhorn: Remme<br />

r d t s. Oben zwei dunkelgraue Blumen, zweiblättrige Lippenblütler<br />

mit gelben Staubgefäßen: angeblich W red e. Links 2 rote Lilien: D e t -<br />

te n. Unten rotes Lilienkreuz: v. B r 0 i t z e m. Zwischen den Medaillons<br />

illusionistische Fr u c h t s t i 11 e ben mit starken Schatten und grellen<br />

Lichtern: Äpfel und Birnen verschiedener Farbe, Quitten und Pflaumen,<br />

dunkle Trauben und Kirschen, Himbeeren, Maulbeeren, Mandeln. Walund<br />

Haselnüsse sowie gelbe und graue Gewürze(?) in Form von Birkenkätzchen;<br />

dazwischen ein Zweig Hahnenfuß und ein Obstmesser.<br />

Die Wappen bezog Heinrich Me i er (<strong>Braunschweigisches</strong> Magazin 1903,<br />

S. 30, Anm. 1) auf den Braunschweiger Bürger und Zehnmann Hieronymus<br />

Remmerdts (t 6.7.1602) und seine zweite Frau Lucia, deren Eltern<br />

Hinrich Detten und eine Tochter des Tile v. Broitzem waren. Nach dem<br />

Testament des Remmerdts (Stadt archiv Braunschweig, Testamente Bd. 19,<br />

S. 288) waren 1601 bereits ein Sohn und drei Töchter zweiter Ehe verheiratet,<br />

daher ist die Heirat wohl bald nach 1570 anzusetzen. Remmerdts'<br />

Mutter war nach H. Meier Anna Wrede. Das obere Wappen. das<br />

ihr gehören müßte, ist sonst nicht bekannt und weicht von dem für die<br />

Wredes überlieferten ab. - Das Mittelbild der Schüssel geht auf Motive<br />

aus dem Kreise des Marlen de Vos zurück, ohne daß bisher eine bestimmte<br />

Vorlage ermittelt wäre. Der Stil der skizzenhaft sorglosen<br />

Malerei weist auf die Zeit kurz vor 1600. Auch das Stilleben und die<br />

Wappenform sind eher damals als um 1570 möglich. Danach kann das<br />

Stück, wenn es als Hochzeitsschüssel entstanden ist. nur für eines der<br />

Kinder des Hieronymus Remmerdts und der Lucia Detten bestimmt gewesen<br />

sein.<br />

6. Hoc h z el t s s c h ü s seI um 1600 (N. N. - v. B r 0 1 t z e m). F. 843,<br />

R. 126. Rückseite 2 Hausmarken. D = 57,6 cm, d = 38,5 cm, 1200 g.<br />

Lu s t 1 g e G e seil s c h a f t. Vier Paare in Umarmung und ein<br />

Gitarrespieler im Grünen um einen Tisch bei Wein und Obst. Kühle<br />

Farben, vorwiegend Rot, Blaßgelb. Blaugrün.<br />

Auf dem Rande vier Rundfelder mit Wappen. dazwischen goldene,<br />

schwarz umrandete Mauresken auf graugelbem Grund; bezeichnend für<br />

die ziemlich einfachen Bänder und Ranken 1st die Kürze der einzelnen<br />

Motive und die Einschaltung von Punkt- und Strichreihen als Flächenfüllung.<br />

Die Wappen: heraldisch rechts dreizackige Gabel in Silber: unbekannt.<br />

Oben zwei grüne Ranken oder Ähren in Silber; unbekannt.<br />

Links rotes Lilienkreuz in Silber: v. B r 0 i t z e m. Unten rot und silbern<br />

geteilt mit goldenem Ring: Re i n erd e s.<br />

Die beiden bekannten Wappen sind die der Eltern der Frau. Sie muß<br />

die Tochter eines v. Broitzem und einer geborenen Reinerdes sein.<br />

Heinrich Meier (Brief in den Museumsakten) hat daher die beiden anderen<br />

Wappen auf Joachim Tägtmeier bezogen, den zweiten Ehemann<br />

der Margarete, Tochter des Autor v. Broitzem und der Margarete Reinerdes;<br />

ihr Hochzeitsjahr ist 1585. Diese Bestimmung befriedigt nicht.<br />

Tägtmeiers Wappen ist .keine Gabel, sondern eine einer solchen nur<br />

oberflächlich ähnliche Hausmarke; Margarete Tägtmeier geb. v. Broitzem<br />

starb nach kinderloser zweiter Ehe schon 1590. Der Stil der Schüssel aber<br />

macht ihre Entstehung vor 1590 unwahrscheinlich. So wird man das<br />

Stück auf eine v. Broitzem aus der nächsten Generation beziehen müssen.<br />

Im Testament der Gese Reinerdes geb. Meier (Stadtarchiv Braunschweig,<br />

Testamente Bd.4, S.393) wird 1587 ihre Tochter Katharina als Witwe<br />

eines Brun v. Broitzem bezeichnet. Dieser fehlt in Sophie Reidemeisters<br />

Stammtafeln Braunschweiger Patrizier; H. Meier führt ihn als Sohn des<br />

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101


Straßenzug Kattreppeln deutete ich wie Timme gern als Wohnstätte<br />

oder Arbeitsplatz der Seilwinder.<br />

Daß ich in solchen und anderen Einzelbeobachtungen Timme zustimmen<br />

muß, ist also selbstverständlich. Doch berühren sie alle nicht<br />

den Kern der Timmeschen Theorie. Bei ihr dreht sich vielmehr alles<br />

um den Hafen, Umschlag und Handelsplatz am übergange des Dammes<br />

über die Oker. Ihn erstmalig gesehen und uns anschaulich geschildert zu<br />

haben, ist Timmes großes Verdienst, und ich zweifle nicht, daß seine<br />

Entdeckung der historischen Wirklichkeit entspricht.<br />

Wie aber steht es mit der Bedeutung dieses Hafens? Ein Dreifaches<br />

ist möglich. Es könnte sich lediglich um einen kleinen Floß- und Bootshafen<br />

für den gewerblichen Lokalverkehr zur Eisenbütteler Mühle und<br />

weiter aufwärts zum Harz handeln. Als solcher erscheint er im Spätmittelalter<br />

unter der Bezeichnung "Gerberhafen"; an seiner Existenz ist<br />

gar nicht zu zweifeln. Oder aber er war außerdem auch ein Hafen für<br />

den Fernverkehr zur See, zu einer Zeit, als Neustadt und Hagen noch<br />

gar nicht bestanden. Dann ist wiederum zweierlei denkbar. Der Hafen<br />

könnte von der zu Anfang des 11. Jahrhunderts gegründeten Braunschweiger<br />

Marktsiedlung (am Kohlmarkt) aus angelegt worden sein. Das<br />

leuchtete mir zunächst sehr viel mehr ein, als die weitere Möglichkeit,<br />

daß nämlich dieser Hafen älter sein sollte als die Marktsiedlung, also<br />

mindestens bis ins 10. Jahrhundert zurückreiche. Wollen wir diese letztere<br />

Möglichkeit mit Timme annehmen, so reichen die s t ä d t i s ehe n<br />

Anfänge Braunschweigs noch über die Marktgründung zurück, eine Tatsache<br />

von fundamentaler Bedeutung für die Geschichte unserer Stadt.<br />

Dieser Beweis ist nun leider aus dem lokalen Quellenmaterial nicht zu<br />

erbringen, zum al auch die Ausgrabung bei st. Nikolai versagte. Timme<br />

gibt mit erfreulicher Offenheit zu, daß seine topographischen Feststellungen<br />

nicht über das 12. Jahrhundert zurückführen.<br />

Die Anfänge einer Stadt dürfen nun aber nicht nur vom lokalen<br />

Blickfelde her gesehen werden. Die einzelne Stadt, besonders in ihrer<br />

Frühzeit, muß vielmehr stets in den Zusammenhang der allgemeinen<br />

Entwicklunp, des Städtewesens gestellt werden, - wie umgekehrt diese<br />

allgemeine Entwicklung nur erkannt werden kann auf Grurtd unzähliger<br />

Einzelbeobachtungen an einzelnen Städten. Die Forschung der letzten<br />

Jahrzehnte glaubt aber allgemein über die im "Markte" liegenden rechtsgeschichtlichen<br />

Anfänge der deutschen Stadt vorstoßen zu müssen zu<br />

deren älterem wirtschaftsgeschichtlichen Ursprung. Diesen findet man in<br />

vielfach als "Wik" (meist männlich) bezeichneten Umschlagplätzen des<br />

frühesten Wanderhandels, an denen die herbeigeführten Waren gestapelt<br />

wurden, um an periodisch stattfindenden Zusammenkünften der Kaufleute<br />

feilgeboten zu werden. Nach allgemein vorgetragener Lehre sollen<br />

diese Handelsplätze keine Siedlungen gewesen sein. Timme läßt sie<br />

jedoch - m. E. mit vollem Recht - von "Hafenarbeitern, Handwerkern<br />

und Schankwirten" bewohnt sein; ich möchte zum mindesten noch<br />

Fracht- und Schiffsführer, Fuhr- und Bootsleute hinzufügen. Aber entscheidend<br />

ist allerdings, daß diese Handelsplätze keine Kau fm a n n s -<br />

siedlungen waren. Als die wandernden Kaufleute ansässig wurden,<br />

als, wie Fritz Rörig auf Grund ältester urkundlicher überlieferung so<br />

anschaulich sagt, aus den "mercatores frequentantes" "mercatores<br />

manentes" wurden, entstand, abseits von dem feuchten Hafengelände,<br />

der "Markt" der Kaufleute. Ich möchte glauben, daß sich die neue Sicht<br />

der städtischen Entwicklung mit der Zeit siegreich durchsetzen wird.<br />

Dann aber wird man auch, Timme folgend, in dem Hafenplatze bei<br />

St. Nikolai einen Braunschweiger Wik sehen müssen, einen Schiffslande-,<br />

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Umschlag-, Stapel- und Handelsplatz aus der Zeit vor Entstehung der<br />

Marktsiedlung (am Kohlmarkt), der, nach Gründung von Hagen und<br />

Neustadt mit ihren günstiger gelegenen Häfen, seit dem Ende des<br />

12. Jahrhunderts seine einstige Bedeutung langsam verlor. Man wird<br />

sich dann aber auch dazu verstehen müssen, den Wortbestandteil "Wiek"<br />

in "Brunswiek" und "Altewiek" mit dem germanischen Worte "wiken"<br />

(weichen, Zurückweichen des Wassers, Bucht, Handelsplatz an der See<br />

oder an einem Flusse) und nicht mehr. wie bisher üblich, mit dem<br />

lateinischen Worte "vicus" (Ort) in Beziehung zu setzen.<br />

Dieser Braunschweiger "Wik" reichte also bis ins 10. Jahrhundert<br />

zurück. Er wurde nie, wie der "Markt", "gegründet". Wann aber ist er<br />

entstanden? Timme greift bis ins 9. Jahrhundert zurück, wenn er an dm.<br />

überlieferte Jahr 861 erinnert. Das Jahr selbst bleibt doch wohl ein<br />

Phantasiegebilde jüngerer Chronistik, zumal ein Gründungsjahr für den<br />

Wik ja gar nicht in Frage kommen kann. Daß aber die Normannen im<br />

9. Jahrhundert auf ihren Handels- und Plünderungszügen bis zum<br />

Braunschweiger Wik hinauffuhren, möchte man doch glauben. Aber<br />

auch sie werden nicht die ältesten Fernhändler gewesen sein. So verlieren<br />

sich die ersten Anfänge des Wiks m. E. in grauer Vorzeit.<br />

In völligem Dunkel liegen auch die Anfänge der Grundherrschaft<br />

Dankwarderode mit der Burg auf der Okerinsel und dem Herrendorfe<br />

bei der späteren Magnikirche. Wurden die Grundherren vom Wik angezogen<br />

oder führte das Vorhandensein der Burg zur Entstehung des<br />

Stapels? Das ist noch nicht zu entscheiden. Späterhin freilich taten die<br />

Burg und weiterhin auch der Dom das ihrige, um den Wik zu immer<br />

größerer Entfaltung zu bringen. Das Vorhandensein von Burg und Wik<br />

aber bewog den wandernden Kaufmann zur Gründung der Kaufmannssiedlung<br />

("des Marktes") am Kohlmarkt um das Jahr 1000.<br />

Keine der genannten frühesten Siedlungen kann aus der Entwicklungsgeschichte<br />

der heutigen Großstadt Braunschweig weggedacht werden.<br />

Die eigentlich städtische, d. h. auf Handel und Gewerbe eingestellte<br />

Entwicklung aber geht von dem Wik über den Markt des 11. Jahrhunderts<br />

zur Altstadt des 12. Jahrhunderts und weiter zur Pentapolis<br />

der hansischen Blütezeit seit dem 13. Jahrhundert.<br />

Wie P. J. Meier einst, von dem Stande der damaligen allgemeinen<br />

Stadtgeschichtsforschung ausgehend, den Braunschweiger "Markt" entdeckte,<br />

so erschließt uns jetzt F. Timme, unsere heutigen Erkenntnisse<br />

von den Anfängen des Städtewesens klug nutzend, den Braunschweiger<br />

"Wik". Wir aber, die wir an der Entstehungsgeschichte unserer Stadt<br />

aufs lebhafteste interessiert sind, sind F. Timme denselben Dank schuldig,<br />

den unsere Väter P. J. Meier gezollt haben.<br />

Zum Rechisproblem der entlaufenen Lüen<br />

Ein Rückforderungsprozeß des Stifts Gandersheim gegen einen<br />

Braunschweiger Bürger im Jahre 1356<br />

Von H'ans Goettlng<br />

Dem überraschenden Anwachsen der Stadtbevölkerung seit dem<br />

12. Jahrhundert entsprach auf der anderen Seite eine Abwanderung vom<br />

flachen Lande in die Städte, die einschneidende soziale und wirtschaftliche<br />

Wirkungen hatte und vor allem die umliegenden Grundherrschaften<br />

vor ernste Probleme stelltet. In dem Bestreben, möglichst viele neue<br />

t Hans Feh r. Deutsche Rechtsgeschichte (4. Aufl. Berlin 1948) S. 81 f.<br />

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105


Ansiedler zu gewinnen, boten die Städte bzw. Stadtherren jene Summe<br />

von Schutz- und Siedlungsprivilegien, die das berühmte Rechtssprichwort<br />

"Stadtluft macht frei", das in dieser Form allerdings erst der Neuzeit<br />

entstammt, sinnfällig charakterisiert!. Diese hatten zwar auch gewisse<br />

Bindungen gegenüber dem städtischen Gemeinwesen zur Folge,<br />

versprachen aber in jedem Falle eine derartige Verbesserung der sozialen<br />

Stellung, daß sie für die Eigenleute der Grundherren des flachen<br />

Landes eine starke Verlockung sein mußten, sich ihrem bisherigen<br />

Rechtsverhältnis zu entziehen und sich als freie Bürger in der Stadt<br />

niederzulassen. Wenn ihnen dies gelang, so war es Sache des früheren<br />

Herrn, sie zunächst einmal zu finden, sodann aber vor dem Richter des<br />

Ortes seine Ansprüche auf sie geltend zu machen, indem er selbst den<br />

Beweis für die Unfreiheit der beanspruchten Personen zu führen hatte.<br />

Geschah dies nicht binnen Jahr und Tag, so galt sein Anspruch als<br />

,.verschwiegen"3, und sein Eigentum war für ihn verloren. Man wird der<br />

Bemerkung S t rah m s 4 zustimmen, daß dies "im Hinbliclt auf die<br />

Spärlichkeit der Besiedelung und demnach auf den verhältnismäßig<br />

hohen wirtschaftlichen Wert, den der einzelne Mensch repräsentierte,<br />

für den Leib- oder Dienstherrn einen recht erheblichen Verlust bedeutete".<br />

Nimmt man hinzu. daß vielfach von seiten der Stadt zum<br />

Schutz des vindizierten Neubürgers versucht wurde, den Sachverhalt<br />

zu verdunkeln und das Rückforderungsverfahren zu erschweren 5 • so war<br />

der "nachjagende Herr" in jedem Falle eindeutig im Nachteil. Besonders<br />

schwierig war die Lage der geistlichen Grundherrschaften mit ihrem sich<br />

oft über weite Räume erstreckenden Streu besitz, die kaum eine Möglichkeit<br />

hatten, eine Abwanderung von Eigenleuten oder Dienstpflichtigen<br />

in die Städte auf die Dauer zu verhindern. Sie versuchten daher schon<br />

frühzeitig, mit Hilfe der Reichsgesetzgebung den für sie schädlichen<br />

Auswirkungen der städtischen Niederlassungsfreiheit entgegenzuwirken 8 ,<br />

ohne freilich das übel beseitigen zu können.<br />

Die FrMe der Aufnahme von Eigenleuten als Bürger hat naturgemäß<br />

schon in den frühen Stadtrechten ihren Niederschlag gefunden. Auch<br />

Braunschweig macht darin keine Ausnahme. Bereits in den Jura Indaginis<br />

lautet das Freiheitsprivileg ganz allgemein: "Quicumque annum<br />

et diem in civitate manserit sine alicuius impeticionc, dc cetcro liber<br />

manebiF." Im Ottonischen Stadtrecht wird die Frist bereits vom Erwerb<br />

des Bürgerrechts an gerechnet 8 : "Swelich man to Bruneswich is iar unde<br />

dach bor ger e sund er ansprake, dene ne mach neman gevorderen"8.<br />

-----<br />

! Das Problem ist zuletzt in der ausgezeichneten Untersuchung von<br />

Hans S t rah m. Mittelalterliche Stadtfreiheit, Schweizer Beiträge zur Allgemeinen<br />

Geschichte 5 (1948) S. 77 ff. zusammenfassend behandelt worden.<br />

Str. leitet den Ursprung der städtischen Freiheitsprivilegien mit einleuchtenden<br />

Gründen vom Königsschutz und den Regalien her. Für die<br />

folgenden allgemeinen Ausführungen sei der Kürze halber auf die bei<br />

S t rah m angeführten Quellen und Druckwerke verwiesen.<br />

8 S t rah m a. a. 0., S.82 und Anm. 15.<br />

4 a. a. 0., S. 82 f.<br />

5 a. a. 0., S. 83 f. und Anm. 18.<br />

e a. a. 0., S.85. Vgl. besonders die dort Anm. 22 gebotenen zahlreichen<br />

Beispiele, die mit der Confoederatio cum principibus ecclesiasticis von 1220<br />

einsetzen.<br />

7 <strong>Braunschweigisches</strong> Urkundenbuch I (1873) p. 2 § 9.<br />

8 Walther Sc hot tel i u s , Das Ottonische Stadtrecht und seine Fortwirkung<br />

im Rechte der Stadt Braunschweig (jur. Diss. Göttingen 1904), S.13.<br />

8 Brschw. UB. I. p. 6 § 42.<br />

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In dieser Fassung ist der Grundsatz dann in die vom Ottonianum abhängigen<br />

jüngeren Stadtrechte übergegangen 10 •<br />

Indessen sahen sich die Herzöge, die ja als Grundherren selbst durch<br />

den Wegzug von Eigenleuten in die Stadt betroffen wurden, schließlich<br />

veranlaßt, die allzu freie Handhabung der Bestimmung einzuschränken.<br />

So hören wir, daß der Rat im Jahre 1314 zahlreiche herzogliche Eigenleute.<br />

die inzwischen Bürger geworden waren, nachträglich freikaufen<br />

mußte l1 , und im Jahre 1317 bestimmte die Urkunde Herzog Albrechts<br />

des Feisten und seines Sohnes Ottos des Milden für die vier Weichbilder<br />

Altstadt, Hagen, Neustadt und Altewiek 12 , daß kein Neubürger, auf den<br />

binnen Jahr und Tag Anspruch erhoben werde, das Bürgerrecht behalten<br />

dürfe, wenn er sich nicht mit seinem früheren Herrn verglichen<br />

habe. Das gerichtliche Beweisverfahren über die Liten- bzw. Hörigen­<br />

eigenschaft des "Angesprochenen" aber solle vor dem her zog 1 ich e n<br />

Vogtgericht verhandelt werden13 - also nicht vor dem Rat, der diese<br />

Verfahren offenbar an sich zu ziehen strebte. Beide Bestimmungen wurden<br />

in den Huldebrief Herzog Ottos des Milden von 1318 Oktober 28<br />

übernommen und in den folgenden herzoglichen Huldebriefen wiederholt<br />

l ••<br />

Andererseits hatte auch der Braunschweiger Rat, wIe aus einer<br />

Rechtsbelehrung an Duderstadt hervorgeht l5 , ein Interesse an friedlichen<br />

Vergleichen mit den Grundherren und suchte schon von sich aus möglichen<br />

Ungelegenheiten, die sich aus der Bürgerrechtsverleihung an<br />

Eigenleute ergaben. aus dem Wege zu gehen. So wurden diejenigen<br />

Zuzügler mit Verfestung bedroht, die falsche Angaben über ihren Geburtsstand<br />

machten l6 •<br />

Von der besonders schwierigen Lage der geistlichen Grundherrschaften,<br />

die natürlich nicht den gleichen Druck ausüben konnten wie der<br />

Herzog und Stadtherr, war bereits die Rede. Es blieb ihnen allenfalls<br />

ein Vergleich mit der Stadt übrig. wie ihn etwa Bischof Otto II.. das<br />

Domkapitel, die Klöster St. Michaelis und St. Godehardi und die Stifter<br />

St. Moritz und zum Hl. Kreuz zu Hildesheim im Jahre 1322 abschlossen,<br />

indem sie nachträglich alle ihre Liten und sonstigen Eigenleute. die in<br />

Braunschweig Bürger geworden waren, freiließen. In Zweifelsfällen<br />

10 Brschw. UB. II (1900), Reg. s. v. Freiheit (p. 698), IV (1912) p.563 § 34.<br />

11 Brschw. UB. H. p.415 nr.752.<br />

1! 1317 August 15. Ebda. p. 463 f. nr.820.<br />

13 Brschw. UB. II. p.698, Reg. s. v. Freiheit, verkennt den Sinn des<br />

Satzes, wenn es sagt. "wer einen als unfrei anspreche, habe sein Recht 1 n<br />

der Stadt zu suchen".<br />

14 Brschw. UB. I. p.13 § 4: "Worde ok jheman anspraket binnen jar unde<br />

daghe der de de burscap ghewunnen hedde, dene ene seolde de rat to<br />

nemene borghere hebben. he ne hedde sek vorliket mit der hercap" und<br />

§ 6: "Were ok dat also. dat jeman der sulven user borghere jeneghen vorderen<br />

wolde vor lat eder vor eghen eder jenigherleye ansprake don wolde<br />

eder jenighe seult gheven wolde, de scolde antworten vor u 5 e m e richte<br />

in der stat to Brunswich."<br />

15 Nach 1318 Sept. 22. Brschw. UB. II. p. 482 nr. 843: "Swelk use borghere<br />

mit uns sit jar unde dach ane ansprake, dhene hebbe we vor enen vryen<br />

borghere; na dem male aver, dat he sik fry kofte, so is sin recht diste betere."<br />

16 Brschw. UB. I. p.46 § 30: "We na desser tyd use borghere wert unde<br />

sprikt vor deme rade. wanne he de burseap wint, he si vry noch he en<br />

besta nemende wert he des darna bedraghen, dat he jemendes Iat eder<br />

eghen 15, de rad wel eme volghen mit ener vestinghe."<br />

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sollten zwei Ratmannen der Altstadt beeiden, ob die Annahme zu Bürgerrecht<br />

vor dem Datum des Vertragsabschlusses erfolgt war 17 • Auch das<br />

Stift St. Blasien traf mit dem Rat der fünf Weichbilder eine Vereinbarung,<br />

wonach dieser jeden, der das Bürgerrecht erwerben wollte, zuvor<br />

namentlich und genau befragen sollte, ob er .. jure litonico" dem<br />

Stift zugehöre. Wenn er dies bejahe, aber auch wenn er es leugne und<br />

das Stift dann von sich aus binnen Jahr und Tag seine Rechte geltend<br />

mache, solle er nicht als Bürger aufgenommen werden, ehe er sich nicht<br />

.. in amicicia vel in jure" mit dem Stift verglichen habe. Andererseits<br />

verpflichtete sich dieses, nach Ablauf von Jahr und Tag keine Ansprüche<br />

mehr zu erheben. Auch hier sollte in Zweifelsfällen über den<br />

Ablauf der Frist der Eid zweier Ratmannen der Altstadt endgültig<br />

sein l8 •<br />

Wie nun eine' derartige .. Ansprache", also das prozessuale Beweisverfahren<br />

gegen einen entlaufenen Liten, Im einzelnen vor sich ging,<br />

darüber schweigen die Stadtbraunschweiger Quellen, und auch anderswo<br />

scheint die überlieferung angesicht der im Regelfall vorauszusetzenden<br />

Mündlichkeit des Verfahrens nicht besonders reichhaltig zu seinu. Um<br />

so wertvoller ist es, daß im Urkundenbestand des ehemaligen Reichsstifts<br />

Gandersheim drei bisher ungedruckte Prozeßaktenstücke in Urkundenform<br />

aus dem Jahre 1356 auf uns gekommen sind!O, die uns einen<br />

interessanten Einblick in den Ablauf eines solchen Litenprozesses geben.<br />

Die überlieferung ist hier einem besonderen Umstand zu verdanken.<br />

Der Prozeß fand nämlich vor einem geistlichen Gericht statt, für das<br />

nach kanonischem Recht Schriftlichkeit des Verfahrens vorgeschrieben<br />

war. Es ist zwar nur ein Teil der Prozeßakten erhalten, und insbesondere<br />

sind wir über den endgültigen Ausgang nicht unterrichtet, doch gibt uns<br />

schon dieser Ausschnitt mit den Positionen der Klägerin und den<br />

Responsionen des Beklagten bemerkenswerte Aufschlüsse.<br />

Es klagte das Reichsstift Gandersheim durch die Äbtissin Jutta (von<br />

Schwalenberg) und das Gesamtkapitel gegen den Braunschweiger Bürger<br />

Heinrich von Sottmar (Hinrik van Sotterum), welcher ein Lite des Stifts,<br />

und zwar aus dessen Villikation ("Amt") Gr. Denkte, Kr. Wolfenbüttel,<br />

gewesen sein sollte. Da das Dorf Sottmar zu diesem alten Gandersheimer<br />

Außen besitz gehörte, macht schon der Herkunftsname des Beklagten<br />

diese Behauptung wahrscheinlich. Nun handelte es sich aber offensichtlich<br />

nicht um einen Neubürger. Bereits 1334 erscheinen urkundlich In Braunschweig<br />

ein .. Johannes de Sotterum et frater eius"21, dann 1335 in einer<br />

Urkunde des Ägidienklosters als Zeugen .. Henninghus et Hin r i c u s<br />

dicti de Zotterum, cives in Brunsvich"22, und 1350 tritt ein Henrike van<br />

Sotterum mit mehreren Söhnen, die ihrerseits bereits Nachkommenschaft<br />

haben, als Bürge auf 23 • Wenn also dieser Heinrich von Sottmar<br />

mit dem Beklagten des Jahres 1356 identisch ist, woran kaum zu zweifeln<br />

sein dürfte, so war er bereits mehr als zwanzig Jahre als Bürger in<br />

17 1322 Juli 13. Brschw. UB. III. (1905) p. 49 f. Nr.57. Erneuerung der<br />

Vereinbarung 1351 Okt.27 mit Bischof Heinrich III., Brschw. Stadtarchiv<br />

Urk. gern. Stadt Nr. 158.<br />

18 1325 Jan.29. Brschw. UB. II!. p. 97 f. Nr.130.<br />

Ig S t rah m a. a. 0., S.81 Anm. 14 führt nur ein Beispiel aus Besancon<br />

aus dem Jahre 1263 an.<br />

20 Niedersächs. Staats archiv Wolfenbüttel, Urk.Abt. 6 Nr.176, 177, 178.<br />

!I Brschw. UB. IH. p. 325 Z. 26.<br />

!t Ebda. p.342 Nr.460.<br />

23 Brschw. UB. IV. p. 359 Z. 15 ff.<br />

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zwei geistlichen Kommissaren 29 in der Magnikirche zu Braunschweig abgegeben<br />

hatte. Diese Positionen, Klagebehauptungen, welche der Prozeßgegner<br />

zuzugeben oder zu bestreiten hatte, sind in mehrfacher Hinsicht<br />

interessant und sollen hier in übersetzung wiedergegeben werden. Der<br />

Beklagte wurde befragt, ob er zugebe,<br />

1. daß er ein Lite des Stifts Gandersheim sei,<br />

2. daß er eine Großmutter mit Namen Ghese gehabt habe,<br />

3. daß diese seine Großmutter Ghese drei Töchter gehabt habe, von<br />

denen eine Hanna geheißen habe,<br />

4. daß die gen. Ghese mit einem Manne namens Santgrove verheiratet<br />

gewesen sei,<br />

5. daß die gen. Hanna die Mutter des Beklagten Heinrich von Sottmar<br />

und seines Bruders Johannes gen. Buchenghest gewesen sei,<br />

6. daß die zweite Tochter seiner Großmutter Ghese, die Schwester<br />

der Hanna, Ghesa gehießen habe und den Heinrich gen. Woldenberg d. Ä.,<br />

einen Liten des Stiftes Gandersheim, geboren habe"O,<br />

7. daß die dritte der Töchter der Großmutter Ghese Grete gehießen<br />

habe und unverheiratet geblieben sei,<br />

8. daß diese dritte Tochter Grete bald gestorben sei und daß nach<br />

ihrem Tode Gunzelin von der Asseburg und Hermann Holtnicker, Bürger<br />

,zu Braunschweig, im Namen des Stifts Gandersheim von ihrem Nachlaß<br />

die Baulebung ("partem sibi debitam pro iure quod dicitur Buleuinghe")<br />

empfangen hätten,<br />

9. daß das Stift Gandersheim diese "porcio" seit mehr als 50 Jahren<br />

unangefochten vom Nachlaß seiner Liten in Höhe der Hälfte des beweglichen<br />

Gutes oder einer von der Äbtissin sonst gnadenhalber festgesetzten<br />

Quote erhoben habe,<br />

10. daß diese Regelung der Sterbfallabgabe in (den Gandersheimer<br />

"Ämtern") Denkte, Wanzleben (Bez. Magdeburg), Derenburg (Kr. Wernigerode),<br />

Gitter (jetzt Salzgitter), Hoheneggelsen (Kr. Hildesheim-Marienburg),<br />

Rautenberg (Kr. Hildesheim), Grone (Kr. Göttingen) und Brüggen<br />

(Kr. Alfeld) sowie in Gandersheim und den umliegenden Orten allgemein<br />

bekannt sei,<br />

11. daß die vorgenannten Artikel in Denkte und den umliegenden<br />

Ortschaften, wo man über die Vorfahren des Beklagten unterrichtet sei,<br />

"eommunis vox et publica fama" seien.<br />

Auf alle diese Positionen leugnete der Beklagte (mit den Worten<br />

"non eredit") oder antwortete ausweichend ("dieit se neseire, non reeordatur").<br />

Zu Artikel 5 meinte er, seine Mutter habe zwar Hanna gehießen,<br />

wäre aber mit jener Hanna nicht identisch. Nach öffentlicher Verlesung<br />

vor dem Richter bat daher der Prokurator der Klägerin um Feststellung,<br />

daß der Beklagte auf die Positionen 2, 3, 4, 7, 8, 9 und 10 nicht,<br />

wie vorgeschrieben, "cl are et distinete", sondern "obseure" geantwortet<br />

habe. Der Richter gab dem Antrag statt und beauftragte erneut zwei<br />

Kommissare, für die Klagepartei wiederum den Magister Werner von<br />

Ludolfshausen, für den Beklagten den Kanoniker des Blasiusstifts<br />

29 Für die Klägerin Magister Werner von Ludolfshausen, Pleban zu<br />

Sebexen, für den Beklagten Bruno von Erfurt, ständ. Vikar des Stiftes<br />

st. Blasien zu Braunschweig.<br />

so Ein Roseke Woldenberg ist 1355 urkundlich als Meier in Gr. Denkte<br />

bezeugt, Urk. Abt. 6 Nr.170.<br />

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Magister Hermann von Göttingen st , die Positionen bis zum 25. November<br />

nochmals durch Heinrich von Sottmar unter Eid beantworten zu lassen,<br />

und zwar ausschließlich mit den Worten "credit" oder "non credit". Für<br />

die von dem Beklagten verneinten Artikel oblag nunmehr der Klägerin<br />

die Beweislast. Die gleichen Kommissare wurden daher von dem Beklagten<br />

angewiesen, bis zum 9. Dezember die von ihr benannten Zeugen<br />

je nach deren Wohnorten in Braunschweig und in Denkte zu vernehmen.<br />

Am 10. Dezember fand dann ein weiterer Termin statt 32 • Hierzu lagen<br />

die neuen Antworten des Beklagten auf die klägerischen Positionen vor.<br />

Es zeigte sich, daß er alle Artikel bis auf die Nrn.1U und 11 ("ignorat")<br />

mit "non credit" beantwortet hatte. Nunmehr hätten die Zeugenaussagen<br />

verlesen werden müssen, aber die beiden Kommissare hatten, wie sie<br />

dem Richter schriftlich unter ihrem Siegel mitteilten, wenig Glück entwickelt.<br />

Die von ihnen am 1. Dezember zur Kirche in Gr. Denkte zitierten<br />

Zeugen waren weder durch freundliches Zureden noch durch energische<br />

Auforderung zu bewegen gewesen, den vorgeschriebenen Zeugeneid zu<br />

leisten, wenn sie auch versichert hatten, ohne Eid die Wahrheit sagen<br />

zu wollen, soweit sie sie wüßten. Unter diesen Umständen hatten die<br />

Kommissare zunächst von der Zeugenvernehmung abgesehen.<br />

Indessen bot der Beklagte Heinrich von Sottmar selbst eine Handhabe<br />

zu einer Verurteilung, da er der Vorladung zu diesem Termin weder<br />

persönlich Folge geleistet hatte noch sich hatte vertreten lassen. Der<br />

Richter gab daher dem Antrag des Prokurators der Klägerin statt und<br />

erklärte den Beklagten für "contumax", hartnäckig ungehorsam. Mit<br />

dieser Interlokutsentenz war die Möglichkeit gegeben, die Schlußsentenz<br />

allein auf Grund der Klage, also ohne Beachtung der Einreden des Beklagten<br />

zu fällen. Dieses Endurteil nun kennen wir nicht. Eine Rückführung<br />

des Beklagten in den früheren Geburtsstand war ohnehin ausgeschlossen.<br />

Urkundlich ist Heinrich von Sottmar nicht mehr nachzuweisen.<br />

Da er 1350 bereits Enkel hatte, scheint er zur Zeit des Prozesses<br />

schon in höherem Alter gestanden zu haben und wohl bald gestorben<br />

zu sein. Ein Ludeke von Sotterum, offenbar einer seiner Enkel oder<br />

Großneffen, ist 1365 als Bürge im Gedenkbuch der Stadt Braunschweig<br />

belegt 33 , ein Hinrik von Sotterum urkundlich im Jahre 1400 3 4, weitere<br />

Namensträger waren mit den vorhandenen Hilfsmitteln nicht mehr<br />

festzustellen.<br />

Ob es schließlich noch dem Stift Gandersheim gelungen ist, von dem<br />

Beklagten durch Anwendung von Kirchenstrafen seitens des geistlichen<br />

Richters eine Vergleichszahlung oder Ablösung der Baulebung zu erhalten,<br />

bleibt ungewiß. Der Beklagte hatte, wohl im Vertrauen auf den<br />

Schutz der städtischen Gemeinschaft, offenbar wider besseres Wissen<br />

und den geleisteten Eid alles abgestritten und schließlich Litisdisertion<br />

geübt, und sogar die eigenen Stiftsleute hatten, vielleicht um keinen<br />

Präzedenzfall zu ermöglichen, durch Verweigerung des Zeugeneides das<br />

Beweisverfahren erschwert. Die Durchsetzung des Gandersheimer Rechtsanspruchs<br />

begegnete also außerordentlichen Schwierigkeiten. Das inter-<br />

Si Dieser ist mehrfach in Urkunden seines Stiftes nachzuweisen, so<br />

Nds. StA. Wolfenbüttel Urk. Abt. 7 Nr. 324, 325, 329. Daß er in der zweiten<br />

Prozeßurkunde Hermannus Advocatisse genannt wird, ist möglicherweise<br />

auf einen Hörfehler (Gotingen-vogtinne?) zurückzuführen.<br />

S2 Urk. Abt. 6 Nr.178.<br />

33 Die Chroniken der nds. Städte I (ed. H ä n seI man n), S. 367 Anm. 2.<br />

S4 Stadtarch. Brschw., Urk. gem. Stadt Nr.376a.<br />

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Standarte das Wort "Garde" mit Stoff überdeckt wurde. Aber die Kokardengeschichte<br />

hat noch kein Ende. Wie es scheint, hat Braunschweig<br />

als einziges Land im Jahre 1848 die schwarzrotgoldene Kokarde nicht nur<br />

zusätzlich, sondern an Stelle der braunschweigischen Kokarde angelegt,<br />

wie man aus den nachstehenden Tagesbefehlen 3 herauslesen muß.<br />

"Tagesbefehl an Mein Feld-Corps.<br />

Der König von Preußen hat die alten deutschen Farben angenommen<br />

und sich und sein Volk unter das ehrwürdige Banner des Deutschen<br />

Reiches gestellt. Ich beeile Mich der Erste 4 zu sein, der diesem hohen<br />

Entschlusse folgt. Ich rechne darauf, daß Ihr, Meine Truppen, diesen<br />

Farben ebenso ruhmvoll folgen werdet, als Ihr unter Eurem bisherigen<br />

Banner nur glorreich zu kämpfen gewohnt wart.<br />

Von heute an werdet Ihr das deutsche Feldzeichen und die deutsche<br />

Fahne führen und hoffe Ich, daß diese Farben dazu beitragen werden,<br />

die Einheit von Deutschland zu stärken und zu befestigen.<br />

Braunschweig, den 22sten März 1848.<br />

(gez.) Wilhelm Hzg<br />

Infanterie-Regiment }<br />

Husaren-Regiment . Ab ch ·ft ··b dt"<br />

Leib-Bataillon In s rl u ersan .<br />

Artillerie<br />

Nach drei Jahren legten die deutschen Kontingente die einst so<br />

enthusiastisch angelegte Kokarde wieder ab, und zwar in Braunschweig<br />

auf folgende Anordnung hin:<br />

"An das Herzogliche Brigade-Commando/hieselbst.<br />

Se. Hoheit haben gleich der von Sr. Majestät dem Könige von Preußen<br />

für die Armee erlassenen Kabinetsordre, ebenfalls das Ablegen der<br />

deutschen Kokarde zu befehlen geruht und wird daher die Artillerie an<br />

den Helmen die Braunschweigische Kokarde, blau und gelb, wiederum anlegen.<br />

Braunschweig, den 26sten März 1851. Auf Allerhöchsten Befehl<br />

Der Oberstleutnant und Flügel-Adjutant<br />

(gez.) Bause."<br />

Am nächsten Tage wurde die Anordnung auch auf das gesamte "vom<br />

Herzoglichen Kriegs-Collegium ressortierende Personal" ausgedehnt. Dabei<br />

blieb es bis zum Jahre 1897, als zum 100. Geburtstag Kaiser Wilhelms<br />

I. alle deutschen Truppen neben ihrer Landeskokarde die deutsche<br />

"Bundeskokarde" anlegten.<br />

3 L Neu Abt. 25C Nr.83: Akten des Hzgl. Brigade-Commandos betr.<br />

Varia 1824-1853.<br />

4 Herzog Wilhelm war, soweit es übersehen werden kann, in dieser<br />

Beziehung tatsächlich der erste. Die nächsten Erlasse über die Anlegung<br />

der deutschen Kokarde sind der holsteinische (24. 3.), hamburgische (25. 3.),<br />

lübeckische (29.3.), bremische (29.3.), mecklenburgische (31. 3.), denen anscheinend<br />

erst am 11. Juni Bayern und dann weitere Staaten folgten.<br />

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Chronik des Braunsch weigischen Geschichtsvereins<br />

Juni 1950 bis April 1951<br />

Die Hauptversammlung am 24. Juni 1950 im Forsthaus Wo I f e n -<br />

b ü t tel (408. Sitzung) war von 45 Teilnehmern besucht. Der Vorsitzende,<br />

der Schriftführer und der Schatzmeister berichteten über die Arbeit und<br />

ihre finanziellen Bedingungen im Vereinsjahr 1949/50. Der alte Vorstand<br />

wurde wiedergewählt und durch Hinzuwahl von Lehrer Hans Wiswe­<br />

Fümmelse als Beisitzer ergänzt. Nach einer Vorschau des Vorsitzenden<br />

auf die geplanten Ausflüge und Vorträge führte Museumsdirektor<br />

Dr. F i n k durch die Wolf e n b ü t tel e r Tri n i tat i ski reh e.<br />

Sie ist als Gotteshaus der Vorstadtgemeinde "Gotteslager" aus dem<br />

Kaisertor entstanden, das Ende des 16. Jahrhunderts als östlicher Hauptausgang<br />

der Stadt den Verkehr der Straßen nach Braunschweig, nach<br />

Osten und Südosten kontrollierte. Mit einer Erweiterung der Stadtbefestigung<br />

nach dem Dreißigjährigen Kriege verlor das Tor seine militärische<br />

und verkehrstechnische Bedeutung. Daher wurde ein Saal im<br />

Obergeschoß des großen Torgebäudes jener Gemeinde als Notkirche überwiesen,<br />

als sie damals durch Anlage des neuen Walles zum Verzicht<br />

auf ihre vor dem Tor liegende Kirche gezwungen worden war. 1693 wurde<br />

dann der Oberbau des Kaisertores zu einer prächtigen Kuppelkirche ausgebaut,<br />

die am 1. Januar 1700 feierlich eingeweiht, aber - nur aus Fachwerk<br />

errichtet - bereits 1705 das Opfer eines Blitzschlages wurde.<br />

1719 wurde an ihrer Stelle die heutige Trinitatiskirche vollendet, die von<br />

dem Kaisertor nur Grundriß und Umfassungsmauern, von der ersten<br />

Kirche die unversehrt gebliebenen steinernen Fassadentürme übernahm.<br />

Noch heute sind die Torbögen des Kaisertores mit ihren im Stil der<br />

Weserrenaissance verzierten Quadern, durch Planierung des Brandschutts<br />

halb im Boden versunken, in der Sakristei der Kirche zu sehen. Wir<br />

können uns aber, wie Dr. Fink berichtete, heute nach den Ergebnissen<br />

einer Dissertation von Siegfried Vogel (Technische Hochschule Braunschweig,<br />

1948) von dem gesamten Torgebäude eine anschaulichere Vorstellung<br />

machen. Im Germanischen Museum zu Nürnberg befindet sich<br />

der Entwurf einer Umgestaltung - vielleicht nur für eine vorübergehende<br />

Festdekoration - der Ostfront des Tores. Die 1589 entstandene<br />

Zeichnung ist von Dr. Thöne als Werk des Niederländers Vredeman de<br />

Vries erkannt worden. Der Kern des Gebäudes zeigt in seiner Architektur<br />

große Verwandtschaft mit der alten Faktorei (dem heutigen Staats archiv)<br />

auf der Kanzleistraße, als deren Architekten neuerdings Dr. Seeleke den<br />

fürstlichen Bauverwalter Cord Mente, den Vorgänger Paul Franckes,<br />

vermutet hat.<br />

Die heutige Trinitatiskirche ist ein Werk Hermann Korbs. Ihm ist<br />

bislang auch der Entwurf der ersten, verbrannten Kirche zugeschrieben<br />

worden, und die Rekonstruktion dieses Baus, die Vogel wieder versucht<br />

hat, beruht auf dieser Voraussetzung. Aber sie ist, wie Dr. Fink darlegte,<br />

heute anzuzweifeln. Wahrscheinlich sind in der Baugeschichte der<br />

ersten "Torkirche" zwei Abschnitte zu unterscheiden. Beim ersten wurden<br />

seit 1693 die nicht sehr reichlich vorhandenen Geldmittel durch den<br />

Bau der beiden steinernen Türme verschlungen, die sich den 1691-1693<br />

entstandenen Glockenturm der Wolfenbütteler Johanniskirche zum Vor-<br />

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straft wurde. Bemerkenswert ist eine Verordnung Herzog Augusts aus<br />

dem Jahre 1648 "wider die Wahrsager und Chrystallen-Gucker". Alle<br />

diese Gesetze kamen im Laufe des 18. Jahrhunderts stillschweigend außer<br />

Gebrauch, desgleichen die Folter seit etwa 1770. Aus dem Braunschweigischen<br />

Polizei strafgesetzbuch 1855, § 164, läßt sich gut erkennen, was<br />

man früher verfolgte: "Wahrsagerei gegen Lohn oder sonstigen Vorteil,<br />

Kartenschlagen, Schatzgraben, Zeichen- und Traumdeutung, Zaubereien,<br />

Geisterbeschwörungen und dergleichen Gaukeleien." Das neue Gesetz<br />

belegte diese Straftaten mit Geldbußen bis zu 10 Talern oder 14 Tagen<br />

Gefängnis, sofern nicht bestimmte Fälle des Betruges vorlagen.<br />

3. Das Aktenmaterial des 16. und 17. Jahrhunderts ist recht dürftig,<br />

wohl ein Zeichen, daß die Zahl der Fälle nicht allzu groß gewesen sein<br />

kann. Mit besonderer Vorsicht ist die frühere Geschichtsschreibung zu bewerten,<br />

da ihre Angaben z. T. auf ungenauen Angaben beruhen. Insbesondere<br />

muß ihr vorgehalten werden, daß Verordnungen außerhalb<br />

des Zusammenhanges zitiert werden. So hat Herzog Heinrich Julius nicht<br />

die Zauberei schlechthin verfolgt, sondern in einem vielgenannten Ausschreiben<br />

wegen Handhabung der Kirchenordnung vom 6. 1. 1593 heißt es<br />

wörtlich: "Abgötterei, Gotteslästerung, Zauberei, Totschlag, Hurerei.<br />

Diebstahl, oder (solche Personen, die) in Neid und Haß, Fressen und<br />

Saufen, Geiz und dergleichen öffentlichen Sünden leben." Der Herzog<br />

wollte offensichtlich gegen die Sittenverderbnis ganz allgemein vorgehen,<br />

und zwar innerhalb der Kirchenzucht.<br />

4. Die vorhandenen Akten erweisen zwingend, daß bei allen Straftaten<br />

eingehend und sorgfältig verfahren worden ist. Zahlreiche Gutachten<br />

von Universitäten wurden eingeholt. Ein Verstoß gegen gesetzliche<br />

Bestimmungen, insbesondere Willkür, läßt sich nicht feststellen.<br />

Die Folter wurde nur teilweise angewandt, wenn die Aussagen der Angeklagten<br />

mit denen der Zeugen in gröblichstem Widerspruch standen<br />

oder sonstige Beweisstücke bereits vorlagen. Die Verfahren endeten teilweise<br />

mit Einstellungen, teilweise mit geringeren Strafen und nur in<br />

wenigen schweren Fällen mit einer Verurteilung zum Tode.<br />

5. Den Akten nach muß man sich unter Zauberei in der Regel<br />

Wahrsagerei, trügerische Mithilfe bei Auffindung von Dieben mit magischen<br />

Mitteln, Verabfolgung von seltsamen (meistens grauenvollen)<br />

Tränken für Menschen und Vieh, Gebrauch von zauberischen Formeln<br />

bei Krankheits- und anderen Fällen usw. vorstellen. Ein Sonderfall ist<br />

die behauptete "Teufelsbuhlschaft". Da die Angeklagten in dieser Beziehung<br />

die eingehendsten, wenn auch befremdende Angaben - auch<br />

ohne Folter - gemacht haben, ferner von ihren Vorstellungen selbst<br />

überzeugt gewesen sind, kann nicht gesagt werden, was eigentlich vorlag.<br />

Eine wissenschaftliche Bearbeitung ist noch keineswegs abgeschlossen.<br />

Die Anwendung der Folter ist hinsichtlich der Teufelsbuhlschaft unzweckmäßig<br />

gewesen. Gleichwohl kann man die ernst zu nehmenden<br />

Aussagen nicht einfach als nicht vorhanden abtun. Es liegen hier Probleme<br />

vor, die besonders große Schwierigkeiten verursachen.<br />

6. Die Angeklagten waren durchweg sehr übelbeleumdete Personen,<br />

die sich durch seltsame Praktiken stark von ihrer Umgebung abhoben.<br />

Wenn sie verfolgt wurden, hatten sie es sich selbst zuzuschreiben, zumal<br />

wenn sie Schaden angerichtet hatten, z. B. mit Tränken, falscher Wahrsagerei<br />

und unzulänglicher Anwendung sympathetischer Mittel. Da solche<br />

Praktiken seit Jahrtausenden bei allen Völkern der Erde angewendet<br />

worden sind, ist ihre Bekämpfung nicht ohne weiteres als "Wahn" zu<br />

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betrachten. Sie entsprach vielmehr der Vernunft und dem Sicherheitsbedürfnis,<br />

wenn auch das Strafmaß, wie erwähnt, heutzutage anders beurteilt<br />

werden kann.<br />

Den ersten Vortrag im neuen Jahr hielt Prof. Dr. Hermann Mitgau<br />

- Göttingen, der am 23. Januar 1951 in der 411. Sitzung über das<br />

Thema sprach: "D i e g e seIl s c h a f t s g e s chi c h t 1 ich e B e d e u -<br />

tun g der ,S 0 z i ale n I n z u c h t' - g e z e i g t a n Bei s pie 1 e n<br />

des nie der d eu t s ehe n Rau m es".<br />

Wie zur Zeit ihrer größten inneren Festigkeit die Völker selbst, so<br />

sind auch ständische (von Geburt, Beruf und Amt traditional-organisch<br />

bestimmte) Gesellschaftsformen genealogisch als Gemeinschaftsgebilde<br />

aufgebaut gewesen. Das heißt: sie sind über die Dauer von Generationen<br />

hin blutsmäßig in sich zusammenhängende Einheiten; soziologisch getragen<br />

von den Mannesstämmen ihrer Großfamilien. Daraus ergaben sich<br />

wichtige Folgeerscheinungen in Kult, Recht (Familien-, Namen-, Erbrecht,<br />

Blutrache usw.), in Herrschaft und Verfassung (politischer Aufbau,<br />

Führerauslese usw.), in Wehrfähigkeit, Gesittung, in Wirtschafts- und<br />

Siedlungsweise u. a. Das alles ist zurückzuführen auf drei grundverschie­<br />

'dene Funktionen jeder Vererbung: der biologischen, der juristischökonomischen<br />

und der traditional-kulturellen.<br />

Unter Sippengefüge im engeren Sinne soll eine Verwandtschaftshäufung<br />

durch Inzucht verstanden werden, die sich nun über diese drei<br />

verschiedenen Vererbungsvorgänge, sich wechselseitig verdichtend, bedeutsam<br />

auswirkt. Gerade in altständischen Gesellschaftsformen wird<br />

dies historisch-nachweisbar deutlich, schon deswegen bemerkenswert,<br />

weil "Stand" selbst über "Inzucht" vorzüglich entstanden ist. Das gilt<br />

sowohl beim Adel wie beim Bauerntum als auch bei den Schichtungen<br />

innerhalb des alten Bürgertums, etwa beim Patriziat oder beim Handwerk.<br />

Diese altständischen Gesellschaftsformen weisen immer wieder die<br />

Eigenschaft auf, eine "Heiratspolitik" unter sich hervorzurufen, d. h. sich<br />

exklusiv gegen jeden anderen Stand abzuschließen. Das veranlaßt schon<br />

jedes Streben nach politisch-sozialer Selbstbehauptung. Beispiele: Machtmonopole<br />

über die hochmittelalterlichen Grafenrechte (s. von Dungern),<br />

die Voraussetzung der Stiftsfähigkeit (s. Aloys Schulte, "Adel und<br />

Kirche"), die Rats-"verwandtschaften" in den alten Städten, die "Bruderschaften"<br />

des Handwerks u. a., nachgewiesen durch "Ahnenprobe" und<br />

,.Geburtsbriefe", bei Meisterzulassung und Bürgeraufnahme, wenn in die<br />

Innung "eingeheiratet wird" usw.<br />

So entsteht ein ständisches Sippengefüge mit wichtigen Folge-Erscheinungen:<br />

Monopolbildungen von Hoheitsrechten und Privilegien, Ämterpatronage,<br />

Züchtung einer Führerelite (England), Berufsvererbung und<br />

Begabungshäufung in Handwerk und Gewerbe (siehe Geigenbau in<br />

Mittenwald), biologische Anpassungs- und Selbstbehauptungskraft ("Immunität")<br />

alter Gelehrten-, Beamten- und Offiziers stämme, Consensus in<br />

allen überlieferungswerten: in "Haltung" und Prestige (= verpflichtende<br />

Ehr- und Ebenburtsvorstel1ungen. "Familienstolz"); wirtschaftlich ein besonders<br />

wichtiges Beispiel: das Geheimnis der "Akku'mulation des Kapitals"<br />

aus dem genealogischen Erbgange wesentlich mitzuerklären, ein<br />

Vorgang, der für die Entstehung des Hochkapitalismus entscheidend ist.<br />

Örtlich und landschaftlich nachweisbare "Inzuchträume" : der hanseatische<br />

Bereich von Handelsbeziehungen (Hamburg: s. Schramm, Ostseeraum:<br />

s. Rörig), das baltische Literatentum, die rheinisch-westfälische Wirtschaft<br />

(s. Wülfrath), der Leipziger Buchhandel (s. Hohlfeld), der Quedlinburger<br />

"Marktadel" (s. Mitgau), die Altfrankfurter Schöffen- und Rats-<br />

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mitglieder (s. Majer-Leonhard), das Westfälische Patriziat (s. v. Klocke<br />

,u. a.), das Stadt-Braunschweigische (s. Reidemeister, Spieß), die "hübschen"<br />

Familien Hannovers (s. Plöhn u. a.), die Gandersheimer Amtmänner<br />

(s. Mitgau), die Räte und Sekretäre in den südwelfischen Landen<br />

(s. Samse), der Geheime Rat und das Kammergericht in Berlin (5. Faden),<br />

die "Klüfte" in Dithmarschen und "Vetternschaften" auf Fehmarn, um<br />

einige konkrete Beispiele zu nennen. - An dem viergenerationentiefen<br />

Verwandtschaftsgeflecht eines niederlausitzischen Rundlings wurde der<br />

genealogisch bestimmte "Gemeinschaftscharakter" einer alten Dorfsiedlung<br />

nachgewiesen. Der Redner schloß mit der These: das Sippen­<br />

Inzuchtsgefüge sei eine der wesentlichen Voraussetzungen aller sozialen<br />

"Gemeinschaftsgebilde" im Sinne von Tönnies.<br />

Prof. Dr. Karl Ho pp e trug am 14. Februar 1951 auf der 412. Sitzung<br />

vor über "Ursprung und Entwicklung der Sage von<br />

Heinrich dem Löwen".<br />

Die Frage nach der Entstehung der Braunschweiger Löwensage stellt<br />

die Forschung vor eine schwierige Aufgabe. Die ursprünglichen, noch in<br />

die hochhöflsche Zeit des Mittelalters hinabreichenden Fassungen sind<br />

verlorengegangen. Zu ihrer Rekonstruktion sind wir auf die mit dem<br />

15. Jahrhundert einsetzende schriftliche überlieferung angewiesen, die<br />

erhebliche Unterschiede aufweist. Nur auf dem Wege der vergleichenden<br />

Literaturbetrachtung und mit Hilfe sorgsamer Motivanalysen läßt sich<br />

ein Bild von der Entwicklung der Sage gewinnen.<br />

Ihren Ursprung hat sie nicht, wie gewöhnlich angenommen wird, in<br />

einer literarischen Fassung, sondern in einer lokal und geschichtlich bedingten<br />

Volkssage, deren Grundmotiv das Treueverhältnis zwischen dem<br />

Herzog und dem aus dem Morgenland von ihm mitgebrachten Löwen<br />

war. Dieses Stoffes bemächtigte sich in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts<br />

ein niederdeutscher Dichter und gab ihm unter Einbeziehung<br />

von Motiven der Heimkehrsage die Gestalt einer von ritterlichem Ethos<br />

geprägten Ballade. Diese wanderte wie zahlreiche andere niederdeutsche<br />

Sagenstoffe nach dem Norden und erfuhr hier eine Nachbildung, die in<br />

dänischen Versionen des 16. und 17. Jahrhunderts auf uns gekommen ist.<br />

Bei uns wurde die niederdeutsche Ballade im Laufe des 14. Jahrhunderts<br />

wiederholt durch Hinzufügung von Motiven, die im wesentlichen der<br />

Sage vom Herzog Ernst entstammen, erweitert. Damit gewann die Heinrichssage<br />

zwar den Reiz einer reich mit wunderbaren Orienterlebnissen<br />

durchsetzten Abenteuererzählung, büßte aber den frommen und heroischen<br />

Charakter ein, der ihr ursprünglich eigen war. Im 15. und 16. Jahrhundert<br />

erlebte die Sage in ihrer vergröberten Fassung zahlreiche Neubearbeitungen.<br />

insbesondere von seiten der Meistersinger. Hiervon legen<br />

ein niederländisches Lied, mehrere Gedichte von Hans Sachs, die Gedichte<br />

des Rheinfranken M. Wyssenherre und des Braun!'lchweigers<br />

H. Göding Zeugnis ab. Unter diesen verschiedenen Fassungen hat die<br />

"schöne alte Histori" von H. Göding zeitlich und räumlich die weiteste<br />

Verbreitung gefunden. Gleichwohl stellt nicht sie, sondern die erste poetische<br />

Bearbeitung der Sage, die ältere Heinrichsballade, die wertvollste<br />

unter allen Fassungen dar.<br />

Den letzten der Vorträge, die sämtlich wieder im Herzog-Antonmrich-Museum<br />

stattfanden, hielt Archivassessor Dr. Hans Jürgen Q u er -<br />

f ur t h am 16. März 1951 (413. Sitzung). Er behandelte "D i e U n t e r -<br />

wer fun g der S t a d t B rau n s c h w e i g im Ja h r e 1671."<br />

Das Jahr 1671 brachte eine entscheidende Wendung in der Geschichte<br />

der Stadt Braunschweig. Die bis dahin nach außen fast selbständige und<br />

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von ihrer Bürgerschaft selbst verwaltete Hansestadt wurde durch Herzog<br />

Rudolf August in eine nach außen wie nach innen völlig abhängige<br />

Stadt verwandelt. Braunschweig war stark verschuldet und ungenügend<br />

gerüstet, und in der Bürgerschaft bestanden starke Spannungen, so daß<br />

der Herzog verhältnismäßig leichtes Spiel hatte, als er eine Einigung mit<br />

den Herzögen von Celle und Hannover zum Vorgehen gegen Braunschweig<br />

erzielt hatte. Das Besitzrecht an Braunschweig, das bisher zwischen<br />

Wolfenbüttel und Celle geteilt war, ohne daß einer der Herzöge<br />

Einfiuß auf die Stadt gehabt hätte, fiel ganz an den Wolfenbütteler Herzog,<br />

der dafür das Dannenberger Gebiet an Celle abtrat.<br />

Am 19. Mai 1671 erschienen überraschend herzogliche Reiter vor der<br />

Stadt und schlossen diese ein. Dann rückte die gesamte welfische Heeresmacht<br />

nach. Gleichzeitig wurde der Stadt ein Ultimatum zur Unterwerfung<br />

überreicht. Rat und Bürgerschaft waren zunächst einmütig für<br />

eine Ablehnung der herzoglichen Forderungen. Die Verteidigung der<br />

Stadt wurde vorbereitet. Während zwischen der Stadt und dem<br />

Herzog ergebnislos verhandelt wurde, rüstete sich die herzogliche<br />

Armee zur Beschießung der Stadt. Diese setzte am 31. Mai ein und<br />

ging ununterbrochen bis zum 5. Juni fort. Die Batterien waren nördlich<br />

der Stadt aufgestellt. Deshalb hatte hauptsächlich das Weichbild<br />

Hagen Schäden an Wallanlagen und Häusern. Die Verluste an Menschen<br />

blieben gering. Die Gegenwehr der Bürger konnte nicht viel ausrichten.<br />

Jetzt Schlug die Stimmung bei einem großen Teil der Bürgerschaft um.<br />

Es bildete sich, vom Hagen ausgehend und von reichen Kaufleuten geführt,<br />

eine starke Opposition gegen den Rat, die ein Nachgeben gegenüber<br />

dem Herzog verlangte und mit der Beseitigung des Rates drohte.<br />

Dieser erreichte zunächst bei Rudolf August einen Waffenstillstand. In<br />

der Erkenntnis, daß bei der militärischen und innerpolitischen Lage an<br />

einen erfolgreichen Widerstand nicht mehr zu denken war und die alte<br />

Selbständigkeit nicht erhalten werden konnte, ging nun auch der Rat<br />

auf die Forderungen des Herzogs ein. Der Druck der Opposition führte<br />

aber dazu, daß die Stadt kapitulieren mußte, ohne einen bindenden Vertrag<br />

zu erlangen, der wenigstens die Besitzungen der Stadt sicherte und<br />

die Selbstverwaltung erhielt, wie es der Rat erstrebte. Am Pfingstsonntag,<br />

dem 11. Juni, wurde die Kapitulation im herzoglichen Hauptquartier<br />

in Riddagshausen vollzogen. Am folgenden Tage wurden, den<br />

Abmachungen entsprechend, das Fallerslebertor und das Steintor von<br />

einem Wolfenbütteler Regiment besetzt. Einen weiteren Tag später wurde<br />

vor dem Nußberg eine große Parade der Armee abgehalten, an der<br />

außer den welfischen Herzögen auch fremde Fürstlichkeiten teilnahmen.<br />

Danach wurden die gesamten Wallanlagen Braunschweigs von herzoglichen<br />

Truppen besetzt. Wenige Tage darauf huldigte die Bürgerschaft<br />

auf dem Altstadtmarkt in feierlicher Form dem Landesherrn.<br />

Bei der Lage der Dinge war ein Nachgeben der Stadt vor der Macht<br />

des Herzogs unvermeidlich gewesen; daß dies Nachgeben unter so harten<br />

Bedingungen zustandekam und mit dem Verlust der Selbstverwaltung<br />

endete, die der Herzog bald beseitigte, war der Zwietracht der Bürger<br />

und besonders den oppositionellen Kreisen zuzuschreiben, welche auf<br />

politische Rechte und politische Betätigung keinen Wert mehr legten und<br />

sich ganz dem absolutistischen Fürstentum auslieferten, dessen Druck<br />

sie dann bald zu spüren bekamen.<br />

Dr. Moderhack<br />

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