Grußwort von Prof. Dr. Hartmut Schröder zur Eröffnung
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<strong>Grußwort</strong> <strong>von</strong> <strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Hartmut</strong> <strong>Schröder</strong> <strong>zur</strong> <strong>Eröffnung</strong> des<br />
Symposiums Komplementäre Augenheilkunde – Eine Chance für Patienten und deren Ärzte.<br />
11. September 2010 in Frankfurt am Main<br />
Krankheit beschränken, sondern umfassen – wie die Weltgesundheitsorganisation in ihrer<br />
Definition <strong>von</strong> Gesundheit festgelegt hat – gerade auch soziale Aspekte, verstehen sich also<br />
als soziale Wissenschaften;<br />
c) sie gehen <strong>von</strong> einem systemischen Verständnis <strong>von</strong> Heilung und Gesunderhaltung aus und<br />
sehen die Rolle <strong>von</strong> Therapie in einer Unterstützung der Selbstregulation, wobei sie besondere<br />
Aufmerksamkeit den Naturheilverfahren widmen;<br />
d) sie lassen sich nicht auf eine einzige medizinische Sichtweise begrenzen, sondern sehen<br />
ihre Aufgabe darin, andere Medizinsysteme (Ethnomedizin) so vorurteilsfrei wie möglich zu<br />
betrachten und bewährte Verfahren durch einen „kulturellen Transfer“ für die Nutzung in der<br />
eigenen Kultur zu übersetzen;<br />
e) sie sind grundsätzlich pluralistisch sowie pragmatisch und stellen allein den Patienten und<br />
die Orientierung an ihm in den Mittelpunkt aller Erkenntnis- und Anwendungsbemühungen. 14<br />
Mit diesen Sichtweisen befinden wir uns übrigens in bester Gesellschaft mit den größten Köpfen<br />
der Medizingeschichte. Dass der Arzt und Journalist Harro Albrecht sich in seinem<br />
Pamphlet in „Die Zeit“ und der Ablehnung der komplementären Medizin ausgerechnet auf<br />
Rudolf Virchow beruft, zeigt ein weiteres Mal und in trauriger Weise, dass die Geisteswissenschaften<br />
im Medizinstudium keine Rolle mehr spielen und selbst die Geschichte des eigenen<br />
Faches nicht mehr richtig vermittelt wird. Der Medizinhistoriker und Virchowkenner Christian<br />
Andree hat nämlich in einer umfangreichen Archivarbeit nachgewiesen, dass das wirkliche<br />
Schaffen und Denken <strong>von</strong> Virchow keineswegs so banalisiert werden kann, wie das einige<br />
Schulmediziner auf der Suche nach eigenen Gründungsmythen tun. Dazu einige Beispiele aus<br />
den Äußerungen <strong>von</strong> Virchow, der eben sowohl Mediziner als auch Arzt war. 15<br />
Im Jahr 1899 schrieb er:<br />
„Die Theorie der ‚Heilkunst’ geht daher am sichersten aus <strong>von</strong> der sogenannten Naturheilung<br />
oder ‚freiwilligen’ Heilung, wie sie sich schon ohne Zuthun des Arztes und ohne Anwendung<br />
<strong>von</strong> ‚Mitteln’ vollzieht. (...) und wenn es gelingt, ihren Verlauf und ihre Bedingungen zu erkennen,<br />
so ist nichts natürlicher, als dass der Arzt versucht, diesen Verlauf in normaler und<br />
zuträglicher Weise zu gestalten und die Bedingungen dazu herzustellen. Dann wird er nach<br />
der uralten Vorschrift minister naturae, nicht Herr, sondern Diener der Natur.“<br />
Was die Ethnomedizin betrifft, so ist auf Virchows umfassendes Interesse für andere Völker<br />
und – damit einhergehend – sein spezielles Interesse für besondere medizinische Heilungsmethoden<br />
in fremden Kulturen hinzuweisen. Wie die zwischen 1870 und 1902 erschienenen<br />
Veröffentlichungen vieler Mediziner und Naturforscher in den Verhandlungen<br />
der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte sowie in der Zeitschrift<br />
für Ethnologie belegen, hat Virchow alternativ- und ethnomedizinische Studien angeregt<br />
und ihre Erforschung stark gefördert.<br />
14 Weiteres zum grundlegenden Konzept in meinem Beitrag: Transkulturelle Gesundheitswissenschaften: Eine<br />
kulturwissenchaftliche Neurorientierung der Medizin? In: <strong>Hartmut</strong> <strong>Schröder</strong>, Ursula Bock (Hg.): Semiotische<br />
Weltmodelle. Mediendiskurse in den Kulturwissenschaften. Festschrift für Eckhard Höfner zum 65. Geburtstag.<br />
(= Semiotik der Kultur/ Semiotics of Culture, Bd. 8). Münster 2010. S. 517-529.<br />
15 Quellen und weiterführende Hinweise dazu in meinem Text: Rudolf Virchow und die transkulturellen Gesundheitswissenschaften.<br />
<strong>Grußwort</strong> zum Symposium Neue Beiträge <strong>zur</strong> Virchow-Forschung aus Anlass des 70.<br />
Geburtstags <strong>von</strong> <strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. Christian Andree. In: Rudolf Virchow. Sämtliche Werke. Abt. V - Virchowiana -<br />
Materialien und Dokumente. Herausgegeben <strong>von</strong> Christian Andree. Band V,1: Neue Beiträge <strong>zur</strong> Virchow-<br />
Forschung. Festschrift zum 70. Geburtstag <strong>von</strong> Christian Andree. Mit einem Anhang "Editionen in der Wissenschaftsgeschichte".<br />
Herausgegeben <strong>von</strong> Ingo Wirth. 2010. S. 1-11.